Was die Tech-Branche beim Thema Talent richtig macht – und was andere Branchen dringend lernen sollten
(c) Loidold & Partners, 2024

Was die Tech-Branche beim Thema Talent richtig macht – und was andere Branchen dringend lernen sollten

Um es auf den Punkt zu bringen: Die Tech-Branche führt die Talentdebatte nicht deshalb an, weil sie die höchsten Gehälter zahlt. Sie führt, weil sie radikal anders denkt, wenn es darum geht, wie Arbeit organisiert, Teams aufgebaut und Leistung ermöglicht wird. Das hat nichts mit HR-Romantik zu tun – sondern mit einem grundlegend anderen Verständnis von Wertschöpfung.

Talent Management in Tech – um den Menschen herum gebaut

In führenden Tech-Unternehmen entstehen Rollen nicht im Organigramm, sondern an der Schnittstelle zwischen Unternehmensziel und individueller Stärke. Ein Beispiel: Spotify arbeitet seit Jahren mit einem System aus Squads, Tribes, Chapters und Guilds – kleinen, agilen Einheiten, die funktionsübergreifend organisiert sind, aber gleichzeitig durch gemeinsame Lernkulturen verbunden bleiben.

Das schafft Autonomie ohne Orientierungslosigkeit. Und es skaliert. Die dahinterliegende Überzeugung: Menschen leisten mehr, wenn sie mitgestalten dürfen, wie sie wirken – nicht nur, wo sie im Organigramm stehen.

Führung in Tech – jenseits klassischer Hierarchien

Viele Tech-Führungskräfte kommen nicht über klassische Management-Karrieren ins Spiel. Sie führen zunächst Produkte, nicht Menschen. Einfluss entsteht über Problemlösungskompetenz, nicht über Status. Unternehmen wie Atlassian oder GitLab fördern gezielt dezentrale Entscheidungen und asynchrone Zusammenarbeit, weil die besten Ideen nicht zwingend vom ranghöchsten Mitarbeitenden kommen – und oft nicht einmal aus derselben Zeitzone.

Das Ergebnis: schnellere Zyklen, flachere Strukturen, und eine Führungskultur, die auf Glaubwürdigkeit und Klarheit basiert – nicht auf Kontrolle.

Kultur und Mobilität – ein globales Talentverständnis

Tech-Talente sind mobil – geografisch wie intellektuell. Sie wechseln nicht nur den Arbeitgeber, sondern auch Branche, Rolle oder Geschäftsmodell. Was sie bindet, ist nicht Stabilität, sondern Entwicklung.

Deshalb reicht Vergütung allein nicht mehr aus. Gefragt sind: Zweck, Flexibilität und professionelle Gestaltungsfreiheit. Viele Tech-Unternehmen haben erkannt: Kultur ist kein Employer Branding – sondern strategische Infrastruktur.

Was klassische Branchen daraus lernen müssen

Immer mehr Traditionsunternehmen beobachten die Entwicklung genau. Bayer - in Person des neuen CEOs Bill Anderson - möchge Führung neu denken und Hierarchien eliminieren. So experimentiert man in Forschung und Digitalbereichen mit netzwerkartigen, agilen Teamstrukturen – kleinen, klar ausgerichteten Teams mit mehr Verantwortung und kürzeren Entscheidungswegen.

Aber: Kopieren ersetzt kein Umdenken. Die echten Fragen lauten:

  • Können Führungskräfte Kontrolle abgeben?
  • Können Leistungssysteme Beitrag statt Anpassung belohnen?
  • Können Organisationen akzeptieren, dass Spitzenkräfte nicht linear Karriere machen wollen?

Die Lektion ist klar: Tech hat Arbeit nicht einfacher gemacht. Sondern intelligenter – und am Menschen orientiert. Das ist kein „Tech-Ding“. Es ist ein neuer Führungsstandard. Und der ist überfällig – in fast allen anderen Branchen.

Lob an Tech – und dennoch Luft nach oben

Eines muss man der Tech-Branche lassen: Sie hat in Sachen Talentmanagement viel richtig gemacht. Strukturen wie bei Spotify zeigen, was möglich ist, wenn man Verantwortung, Lernen und Impact intelligent miteinander verknüpft.

Aber: Wer gut ist, ist noch lange nicht exzellent, es geht noch mehr. „More of the same“, was die Nutzung der eigenen Stärken betrifft, auch unter Bewusstmachung der bereits bestehenden Wettbewerbsvorteile im "War for Talent". Jetzt ist aber auch die Zeit für den nächsten Schritt:

  • People Analytics aus Pilotprojekten in die Fläche bringen
  • Lernökosysteme über alle Funktionen hinweg etablieren
  • Transparente Leistungssteuerung ermöglichen – ohne Bürokratie

Wer heute führt, muss systematisch exzellent werden – oder riskiert, von seinen eigenen Prinzipien überholt zu werden.

Warum sich das wirtschaftlich auszahlt

Zahlreiche Studien zeigen: Unternehmen mit einem hohen Reifegrad im Talentmanagement sind finanziell deutlich erfolgreicher. Ein greifbares Beispiel liefert erneut Spotify:

  • Im Jahr 2024 erzielte das Unternehmen erstmals einen operativen Gewinn (EBIT) von rund 1,365 Mrd. €, bei einem Umsatz von 15,67 Mrd. €
  • Dieser wirtschaftliche Erfolg folgte auf mehr als ein Jahrzehnt gezielter Investitionen in agile Strukturen, kulturelle Klarheit und strategisches Talentmanagement

Die Botschaft ist eindeutig: Ein ausgereiftes Talentmodell ist kein weicher Faktor – sondern ein harter Wettbewerbsvorteil.

Sind wir nicht alle ein bisschen Tech?

Man muss kein Softwareunternehmen sein, um von der Tech-Branche zu lernen. Viele der Prinzipien – agile Teams, klar definierte Verantwortung, transparente Ziele, lernfördernde Kultur – lassen sich branchenübergreifend adaptieren. Und der Druck dazu wächst.

Denn: Die Talente, um die es geht, denken längst nicht mehr in Branchen, sondern in Kompetenzräumen und Wirkungsfeldern. Gerade in Bereichen wie Healthcare, MedTech, Software oder Digital Services entstehen neue, attraktive Ökosysteme, die klassische Branchen wie Maschinenbau oder Automotive zunehmend unter Druck setzen.

Der Wettbewerb um die besten Köpfe findet heute horizontal statt: zwischen Firmen mit attraktiven Arbeitsmodellen – nicht mehr entlang traditioneller Branchengrenzen.

Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal ist dabei der Workplace: Tech-Unternehmen haben früh erkannt, dass der Ort, an dem gearbeitet wird – physisch wie digital – nicht nur Produktivität ermöglicht, sondern Identifikation stiftet. Das zeigt sich in kollaborativen Tools, in Office-Konzepten, in Mobilitätsangeboten, in Remote-Regelungen – und in einer Kultur, die Leistung und Lebensrealität miteinander verbindet. Hier nimmt Tech (und Experten wie Branko Zivanovic ) klar eine Vorreiterrolle ein, und andere Branchen orientieren sich bereits deutlich sichtbar daran.

Fazit

Wer heute noch denkt, Talent sei ein Thema für die Personalabteilung, verkennt die Realität: Talent ist die Strategie.

Tech hat das verstanden – und profitiert davon. Für alle anderen gilt: Jetzt ist der Moment aufzuholen.

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