Für mehr Veränderung, befrei' dich zuerst von deiner Akzeptanzfixiertheit
Jede und jeder von uns hat das schon mal versucht – und mit den besten Absichten: Stell Dir vor, Du willst in einer Organisation etwas verändern. Aber bevor Du mit dieser kleinen oder großen Veränderungsinitiative beginnst, versuchst Du, alle zu überzeugen, auf eine Linie zu bringen und zu einer Einigung in der Sache zu gelangen. Vor allem willst du von Anfang an diejenigen Akteure ins Boot holen, die „besonders wichtig“ sind oder die du für als „bedeutsam“ erachtest. Vielleicht legst du auch erst einmal mit Qualifizierung und Zahlen, Daten, Fakten los. Denn genau so wird erfolgreiche Veränderung doch gemacht, oder? Falsch, sagt Prof. Anita Engels von der Universität Hamburg. Ein solcher Angang an Veränderung führt wahrscheinlich zu gar nichts – jedenfalls nicht zu konstruktiver Veränderung.
Prof. Engels bezeichnet den gängigen Ansatz zu Entwicklung, Change und Veränderungsarbeit als „Akzeptanzfixiertheit“. Wenn das für dich einen eher negativen Klang hat: Genauso ist es gemeint. Nenn diesen traditionellen Angang einen „Versager-Mindset“, wenn du magst. Das Problem ist: Aufgrund der Komplexität individueller Identitäten und Präferenzen sowie wegen der Dynamik menschlicher Interaktionen funktioniert es in kleinen und erst recht in großen Gruppen niemals, von vornherein Akzeptanz für das Neue oder Kommende zu erreichen. Es handelt sich bei der Akzeptanzfixiertheit um eine Logik des „gesunden Menschenverstands“, die von Natur aus verdreht ist und Versagen produziert. Stell dir einen Moment lang das lohnenswerteste Veränderungsziel für eine Organisation (oder eine Gesellschaft) vor. Stellen dir jetzt vor, du erzählst anderen Menschen davon und versuchst, sie für dieses Ziel zu gewinnen und ihre Zustimmung zu erhalten. Es ist äußerst wahrscheinlich, dass bei Weitem nicht jeder zustimmen wird. Ganz im Gegenteil. Denn so funktioniert Veränderung in der realen Welt nun mal einfach nicht.
Akzeptanzfixiertheit ist eine Logik des „gesunden Menschenverstands“, die von Natur aus verdreht ist und Versagen produziert.
Wenn Dein Interessengebiet organisatorische Veränderung ist (so wie meins), dann hast Du wahrscheinlich schon einmal versucht, per Akzeptanzfixiertheit etwas zu bewirken. Und Du wirst damit gescheitert sein oder zumindest unter deiner eigenen Vorgehensweise gelitten haben. Der Ansatz der Akzeptanzfixiertheit hat jedoch viele Facetten. Eine davon besteht darin, Menschen in Gruppen („A, B, C”) einzuteilen oder ihren Reifegrad zu bewerten, bevor man etwas unternimmt. Eine andere Facette ist die Entwicklung von Führungspersönlichkeit und Personalentwicklungs- oder Trainingsaktivitäten, die darauf abzielen, „Menschen für Veränderungen fit zu machen“ oder für Zustände, die später eintreten könnten. Change Management als Ansatz ist tief vom Geist der Akzeptanzfixiertheit durchdrungen. Das ist auch eine Erklärung dafür, warum die meisten Veränderungsinitiativen scheitern oder versanden.
Der amerikanische Journalist Alan Deutschman beschrieb den Ansatz der Akzeptanzfixiertheit einst in seinem Buch Change or Die anhand von drei Haupttreibern, die er „Die Drei F“ nannte: „Facts, Fear, Force“ – zu deutsch: Fakten, Angst, Zwang. Der Begriff Akzeptanzfixiertheit indes vermittelt eine noch umfassendere Botschaft: Wenn Du bedeutende Veränderungen erreichen willst, musst Du zunächst Deine eigene Willenskraft einsetzen und dann Einladung – wodurch die anfängliche Akzeptanz anderer Menschen an Relevanz verliert. Anders ausgedrückt: Wenn Du vom Geist der Akzeptanzfixiertheit besessen bist, wirst Du (wahrscheinlich) nie über’s Überzeugen-wollen hinauskommen, selbst wenn Du über eine gewisse Macht verfügst. Denn Du wirst für immer in der Schleife der Akzeptanzbemühungen stecken bleiben und letztendlich nach dem Heiligen Gral der Einheitlichkeit hinterher jagen.
Im Moduls des Change Management bleiben auch die besten Anliegen im Morast der Akzeptanzbemühungen stecken. Wir jagen auf immer dem Heiligen Gral der Einheitlichkeit hinterher.
Was Veränderungsarbeit in Systemen und an Systemen jedoch wirklich braucht ist nicht Einheitlichkeit, sondern Einheit. Einheit hingegen ist das Ergebnis von Willenskraft und gemeinsamem Handeln, nicht das Ergebnis des Wartens darauf, dass andere Menschen sich Deinen hochgesteckten Zielen anschließen.
Ein weitaus vielversprechenderer Ansatz für Veränderungsarbeit in großen Gruppen basiert auf dem Grundsatz „Aktiver Teilhabe“ (englisch: Chosen Agency). Der Ansatz Aktiver Teilhabe umfasst:
Leider werden in Organisationsentwicklungs-Kreisen ausreichend autorisierte Ansätze für Veränderungen oft fahrlässig mit „Top-down“ gleichgesetzt. Aktive Teilhabe aber hat rein gar nichts mit Autoritarismus zu tun. Stattdessen ist Aktive Teilhabe für tiefgreifende und vielleicht sogar „transformative“ Veränderungen die einzige demokratische (und damit ethisch vertretbare) Herangehensweise. Denn mit ausreichender und klarer Autorisierung zu beginnen und alle durch Einladung einzubeziehen ist ur-demokratisch. Erst wenn wir mit der Autorisierung der Vielen durch eine:n Sponsor:in beginnen, wird das höchste Maß an gemeinsamer Handlungsfähigkeit und Engagement möglich. Klare Autorisierung ist Voraussetzung für demokratisches, gleichgerichtetes Handeln der vielfältigen Vielen. Sie ist das glatte Gegenteil von „Top-down“ und die einzige Art und Weise, wie Macht in demokratischen Verhältnissen verantwortungsvoll genutzt werden kann.
Top-Down, Bottom-up, Graswurzel: All diese Denkweisen sind beseelt vom Modus der Akzeptanzfixiertheit. Ein menschenwürdiger, besserer Modus klingt so: "Vernünftig autorisiert, gemeinsam mit allen Willigen, systemüberwindend, Time-boxed."
Veränderungsarbeit, die auf dem Ansatz Aktiver Teilhabe basiert, gründet auf einer tiefgreifenden Erkenntnis über menschliche Psychologie: Dass es die Erfahrung gemeinsam gestalteter Realität ist, die letztlich zu Vereinbarung, Vereinigung und sogar zur Einheit großer Gruppen in demokratischer Handlungsfähigkeit führt – nicht Zwang, Fakten/Angst/Gewalt oder der Versuch, „die Leute“ zur Akzeptanz zu überreden. Unternehmer, Manager, Change Agents und jene, die sich für Organisationsgestaltung engagieren tun gut daran, dies zu verinnerlichen.
Lies BetaCodex Network-Forschungspapier Nr. 24, Slave to the Rhythm, über Lean als Systemüberwindung und Zeitorientierte Unternehmensführung
nichts ändern, ändert nichts. #freeyourmind
1 WocheIch differenziere daher auch zwischen Akzeptanzmanagment und Changemanagement! Reines Akzeptanzmanagment ist eher Marketing und hat mit Change wenig zu tun. #changewashing
Den Artikel gibts übrigens auch in englischer Sprache! HIer: https://nielspflaeging.substack.com/p/to-get-unstuck-first-get-rid-of-your