Gefangen im 2D-Paradigma

Gefangen im 2D-Paradigma

Die Technologie von morgen ist bereit – und doch scheinen wir noch immer an den Konventionen von gestern festzuhalten. XR-Systeme wie Apple Vision Pro, Meta Quest 3/Windows 11 und das kommende Android XR-OS versprechen immersive Erlebnisse, aber ein Blick auf ihre Benutzeroberflächen zeigt ein ernüchterndes Bild: Überall begegnen uns schwebende 2D-Panels und Fenster. Diese Designs basieren auf einem Desktop-UI-Paradigma, das bereits vor 50 Jahren etabliert wurde.

Dieses Festhalten an altbekannten Strukturen wirkt wie ein Rückspiegel unserer Generation. Anstatt nach vorne zu blicken und das Potenzial von 3D voll auszuschöpfen, marschieren wir rückwärts in die Zukunft. Die Chance, XR als eigenständiges Medium zu definieren, droht durch diese Rückbesinnung auf vertraute Konzepte verloren zu gehen.


Status quo: Vertrautheit als Sicherheitsnetz

Warum setzen Unternehmen wie Apple, Meta oder Google auf schwebende 2D-Panels? Der Hauptgrund ist Vertrautheit. Für viele Nutzer stellt der Umstieg auf ein XR-Headset bereits eine enorme Hürde dar. Bekannte Konzepte wie Fenster, Raster und Icons erleichtern diesen Übergang. Unternehmen wollen sicherstellen, dass ihre Produkte zugänglich und intuitiv bleiben.

Auch für Entwickler ist dieser Ansatz pragmatisch. Bestehende Apps wie Office, Photoshop oder Outlook lassen sich leicht in das XR-Format portieren, ohne dass umfangreiche Anpassungen erforderlich sind. Solche schwebenden Panels sind also mehr als nur eine Designentscheidung – sie sind ein Mittel zum Zweck, um XR langsam und kontrolliert in den Alltag der Menschen einzuführen.

Doch dieses Sicherheitsnetz hat seinen Preis. Durch die Fixierung auf 2D-Interfaces fehlt es an Anreizen, neue Nutzungskonzepte zu entwickeln, die die räumlichen Fähigkeiten von XR wirklich nutzen. Das Ergebnis: Ein Medium mit unendlichem Potenzial wird auf ein Minimum reduziert.


Vision: Die Chancen von 3D-Interaktionen

Das räumliche Potenzial von XR geht weit über das hinaus, was schwebende Panels bieten. Beispiele zeigen, wie echte 3D-Interaktionen völlig neue Arbeits- und Kreativprozesse ermöglichen können:

  • Gemeinsames Arbeiten in 3D-Räumen: In einem XR-Umfeld können Teams gleichzeitig an 3D-Modellen arbeiten, Prototypen direkt manipulieren und Ideen in Echtzeit austauschen.
  • Neue Visualisierungen: Statt komplexe Daten in Tabellen und Diagrammen darzustellen, könnten diese räumlich organisiert werden. Informationen könnten entlang der Z-Achse gestapelt und miteinander verknüpft werden, um Zusammenhänge intuitiver darzustellen.
  • Räumliche Kreativität: Anwendungen wie Photoshop oder AutoCAD könnten Funktionen bieten, die es Nutzern ermöglichen, Inhalte in einem echten 3D-Raum zu manipulieren – etwa durch das Zerlegen von Bildern in verschiedene Schichten oder das Bearbeiten von Modellen direkt im Raum.

Die Killer-App für XR ist nicht nur Technologie – es ist die Möglichkeit, Menschen räumlich miteinander zu verbinden. Ob es um Meetings, Workshops oder kreative Prozesse geht: XR könnte menschliche Interaktion revolutionieren, wenn wir den Mut hätten, die Limitierungen des 2D-Paradigmas zu überwinden.


Hürden: Warum 3D-UI nicht einfach ist

Die Umstellung auf 3D-Interfaces bringt jedoch erhebliche Herausforderungen mit sich:

  1. Technische Barrieren: Entwickler müssen neue Tools und Methoden erlernen, um 3D-Interfaces zu erstellen. Es fehlen standardisierte Werkzeuge und Richtlinien, die die Entwicklung erleichtern.
  2. Kulturelle Barrieren: Designer und Nutzer sind stark an 2D-Konzepte gewöhnt. Der Wechsel zu 3D erfordert eine grundlegende Veränderung der Arbeitsweise.
  3. Komplexität: Nicht jede Aufgabe profitiert von einem 3D-Interface. Viele Prozesse, wie das Lesen von Texten oder das Verwalten von Dokumenten, sind in 2D effizienter.

Diese Hürden erklären, warum Unternehmen vorsichtig sind und auf evolutionäre statt revolutionäre Veränderungen setzen. Der Übergang von 2D zu 3D wird Zeit und Ressourcen erfordern.


Ausblick: Evolution statt Revolution

Um das Potenzial von XR auszuschöpfen, müssen wir einen Mittelweg finden. Die radikale Abkehr vom 2D-Paradigma ist weder realistisch noch sinnvoll. Stattdessen könnten hybride Ansätze helfen, den Übergang zu erleichtern:

  • Schrittweise Einführung von 3D-Elementen: Bekannte Anwendungen könnten um räumliche Funktionen erweitert werden, die echte Mehrwerte bieten.
  • Werkzeuge für 3D-Design: Unternehmen sollten in Tools investieren, die es Designern und Entwicklern erleichtern, räumliche Inhalte zu erstellen.
  • Neue Bildungsansätze: Der XR-Bereich erfordert Gestalter, die technisches und kreatives Know-how kombinieren. Ausbildungsprogramme könnten helfen, diese Lücke zu schließen.

Schwebende 2D-Panels sind nicht das Endspiel von XR, sondern nur der erste Schritt. Die wahre Revolution wird stattfinden, wenn wir den Mut haben, räumlich zu denken und die Grenzen des Bekannten zu überschreiten. Doch um dort anzukommen, brauchen wir Geduld, Vision und die Bereitschaft, Neues zu wagen.

Und vielleicht liegt genau hier die spannendste Frage: Wie könnte eine Welt aussehen, in der 3D-Interfaces den Alltag wirklich revolutionieren? Werden wir weiter an Altbekanntem festhalten oder wagen wir den Sprung in eine räumliche Zukunft?

Mein Motto lautet jeher „Gib Folien in 3D/VR KEINE Chance“

Sebastian Egger-Lampl

Experiential learning = future | subdue XR technology for better learning experiences

7 Monate

Ich bin der Meinung dass es einfach noch z.B. zu wenig echte Spatial Developer gibt bzw, auch viel zu wenige Leute die XR Learning richtig neu denken im Sinne: Wie kann ich den User in (Inter-) Aktion bringen und ihn vor (neue) Aufgaben stellen um eben komplementäres Lernen zu den bisherigen Lern-Methoden möglich zu machen. Wenn man sich den (kommunizierten) Demand von diversen HR Abteilungen ansieht und auch das Angebot auf z.B. der Learntec durchwandert fällt mir auf: Viele e-Learning Expert:innen sind der Meinung dass sie 'nur' ein Authoring Tool brauchen um dann immersives Lernen eh selber machen zu können. Resultat sind dann 360° Click Adventures die zwar 3D Content tlw. verwenden (stehen dann halt 3D Modele rum, haben aber kaum Interaktionsmöglichkeiten) aber eben am Ende 'nothing more than' e-learning im Headset sind. Ich denke da braucht es noch einiges an Zeit und Erkenntnis dass ich nicht alles in-house selber machen kann zum jetzigen Entwicklungspunkt von XR-Learning.

Armin Brysch

Professor - Tech For Good - Research on Transformation, Marketing and Metaverses in Tourism and the Service Sector - Speaker - VP Travel Industry Club (TIC)

7 Monate

Guter Punkt Torsten, auch viele Hochschulen sind in ihrer Lehre nach wie vor im 2D Paradigma verhaftet. Investitionen der „Präsenz-Hochschulen“ in die Infrastruktur blenden die Chancen von virtuellen Lehr- und Lernräumen noch weitgehend aus.

Adrian Dietrich

Developing AI-driven Virtual Assistants for dynamic brand solutions in the Metaverse.

7 Monate

Das finde ich genauso, sehe da zusätzlich noch den Aspekt, wenn Daten in 3D in einen Bezug gesetzt werden sollen, fehlen aktuell meines Erachtens die Informationen und der Ansatz, wie man 2D-Inhalte mit Mehrwert in einen räumlichen Bezug sinnvoll setzt. Bei Bilddateien gibt es eine Hierarchie von Layern beispielsweise oder bei Ordnern gibt es Unterordner. Mich würde es freuen, wenn der Mut aufkommt, Inhalte nach Relevanz räumlich zu ordnen und damit virtuelle Wissensräume in einer Art 3D-Mind Map zu strukturieren. Das kann es aus meiner Sicht ermöglichen, Informationen schneller zu erfassen, Zusammenhänge zu verstehen und komplexe Zusammenhänge einfacher begreiflich zu machen.

Sean Keogh

Sean Keogh is Partner and co-founder at headroom, Managing Director at eskape.digital GmbH

7 Monate

Und tatsächlich ist die Übertragung von Inhalten zwischen den Welten eines der nervigeren Probleme, mit denen wir umgehen müssen. Wie Du schon sagst: Viele produktive Tätigkeiten sind in 2D besser aufgehoben. Was derzeit fehlt, ist ein nahtloser Übergang zwischen den Welten - das Aufsetzen des Headsets bedeutet bisher, dass man seine bekannte Arbeitsumgebung zurücklässt. Das kann auch gut sein, aber eben nicht immer. Der Weg, der von den Systemanbietern gegangen wird, ist daher verständlich - auch, weil damit eine bestehende App-Ökosphäre sofort in den neuen Geräten verfügbar ist und User nicht mit einer Applikationswüste konfrontiert werden. Offenbar stehen wir noch am Anfang - unsere Hoffnung muss sein, dass die weitere Proliferation von Geräten Entwickler dazu bringt, echte 3D Applikationen zu produzieren. Sie werden kommen und sie werden spannend sein. Apple, Meta und Google täten gut daran, das zu unterstützen.

Sean Keogh

Sean Keogh is Partner and co-founder at headroom, Managing Director at eskape.digital GmbH

7 Monate

Du hast vollkommen Recht. Und der Aufruf "Gib Folien in 3D keine Chance" spricht mir aus der Seele. Im Grunde kann ich alles unterstützen, was Du geschrieben hast - hier noch mal einfach nur anders formuliert: Der wesentliche Vorteil von XR Technologien liegt in der Fähigkeit, Menschen digital zusammenzubringen. Das ist der Use-Case, wo diese Technologie weit weit besser funktioniert als die 2D Alternativen. Viele derjenigen, die für das heutige Arbeiten verantwortlich sind, haben das noch nicht erkannt. Gleichzeitig existiert eine Idee, dass "produktives Arbeiten" die Bearbeitung von Dokumenten bedeutet. Dafür brauchen wir unsere bekannten Applikationen wie Word, Excel etc. Wenn der Einstieg in XR bedeutet, dass wir den Zugang zu diesen Applikationen verlieren, bekommt XR einen gedanklichen Malus.

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