"We all have two lives. The second one begins when you realize you only have one."
5.2.2023
Wieder im Krankenhaus. Das vierte Mal in vier Wochen. Diesmal bleibe ich sogar freiwillig übers Wochenende. Denn mein Herz flattert und pumpt viel zu schnell, ich bin total kurzatmig, schon das Frischmachen im Bad ist anstrengend, ein ständiger Druck lastet auf der Brust, und ich fühle mich fahrig und schlapp. Kein Wunder, denn seit Wochen bin ich auch ohne jede körperliche Anstrengung mit einem Ruhepuls von 80 bis über 100 im Dauersport-Modus unterwegs, und die Pumpleistung des Herzens liegt nur noch bei 35%, wie ich später erfahren sollte (normal sind 55-70%). So ein Herz kann einem eine Scheißangst einjagen. Also bleibe ich lieber im Krankenhaus, hier fühle ich mich sicherer.
Begonnen hatte alles Anfang Januar.
1.1.2023
Ich gehe am Neujahrstag joggen und spüre plötzlich einen heftigen Schmerz in der Brust. Ich spaziere daher in Ruhe nach Hause zurück und denke, das sei wohl eine Nachwirkung der üblen grippalen Infektion mit 40 Grad Fieber, die wir mit der ganzen Familie im Dezember durchgemacht hatten, und werde sicher schnell wieder vorüber gehen.
Der verstörende Druck auf der Brust verschwand aber nicht. Also Suche nach einem Hausarzt (wir waren ja erst ein halbes Jahr zuvor nach Buxtehude gezogen) und einen ersten Termin vereinbart.
6.1.2023
Einige Tage später begrüßte mich die behandelnde Ärztin mit dem forschen Hinweis, ich habe genau zehn Minuten Zeit. Also beeilte ich mich mit meinem Bericht und war kurz darauf auch schon ans EKG angeschlossen. Als die Ärztin das Ergebnis sah, war sie auf einmal sehr viel zugewandter und eröffnete mir mit teilnehmendem Blick, ich habe Herzrhythmusstörungen aufgrund von Vorhofflimmern. Ehrlich gesagt war ich davon gar nicht so schockiert, sondern sogar irgendwie erleichtert, weil ich dadurch endlich eine plausible Erklärung bekam, warum ich mich in den vergangenen Monaten immer weniger leistungsfähig gefühlt hatte.
Meine Erleichterung sollte aber schon bald schwinden, denn die Ärztin meinte, ich solle sofort (!) für weitere Untersuchungen ins Krankenhaus, wo ich einen Nachmittag in der Notaufnahme verbrachte - und einen unfreiwilligen Einblick in die aktuell tatsächlich sehr krasse Lage im Gesundheitswesen bekam: Draußen standen die Rettungswagen Schlange, drinnen ging es rund wie im Bienenstock, an allen Enden fehlte es an Betten und Personal. Dennoch bewältigten die Schwestern, Pfleger und Ärzt:innen alles mit beeindruckender Gelassenheit und erstaunlich viel Humor ("Hält man ja sonst gar nicht aus!"). Auch außerhalb von Pandemie-Zeiten sind das wahre Held:innen!
Doch allmählich begannen sich auch für mich die Mühlen des Krankenhausbetriebs zu drehen: Befragung durch diverse Schwestern und Ärzte, erneutes EKG, Blutentnahme und vor allem immer wieder warten. Irgendwann dann die zunächst halbwegs beruhigenden Ergebnisse: Blutwerte OK, Blutdruck ebenso, Herzfrequenz noch unterhalb des kritischen 100er Wertes. Ich durfte also erst mal wieder nach Hause - mit einem Rezept für Blutverdünner und Betablocker sowie der Empfehlung einer baldigen Kardioversion, d.h. eines Elektroschocks des Herzens, um es wieder in den richtigen Rhythmus zu bringen. Die kardiologische Abteilung werde sich bei mir wegen eines Termins in der folgenden Woche melden.
Leider bekam ich dann doch erst zwei Wochen später einen Termin. Die Tage bis dahin wurden mir sehr lang, da der Druck auf der Brust nicht nachließ und ich mich immer schlapper fühlte. Ich fuhr gewzungenermaßen auf Sparflamme, kümmerte mich in meiner frisch gebackenen Selbsttändigkeit (super timing!) nur um das Nötigste und brauchte jeden Tag einen Mittagsschlaf.
20.1.2023
Am Tag vor meinem 54. Geburtstag war es dann so weit: Nach den üblichen Vorbereitungen und Aufklärungen über alle möglichen Risiken und Nebenwirkungen wurde ich ins Land der Träume geschickt und durfte, erfolgreich kardiovertiert, ein paar Stunden später wieder nach Hause. Ich war überglücklich, endlich wieder richtig eingetaktet zu sein!
Das Glück war allerdings nur von kurzer Dauer: Schon am nächsten Morgen spürte ich wieder die nur allzu bekannten Symptome - innere Unruhe, Abgeschlagenheit, ab und an eine Art Flattern im Herzen ... Kurz: Ich fühlte mich genauso mies wie vorher. Die Smart Watch, die meine Frau mir aus gegebenem Anlass geschenkt hatte, bestätigte dann schnell per digitalem EKG: Das Vorhofflimmern war zurück. Ich war am Boden zerstört.
Im Krankenhaus hatte man mir ohnehin geraten, selbst im Erfolgsfall so bald wie möglich eine Ablation durchführen zu lassen, einen minimalinvasiven Eingriff, bei dem störende Nervenenden im linken Vorhof "verödet" und so die Auslöser für das Vorhofflimmern im Idealfall komplett abgestellt werden. Schon zehn Tage später bekam ich hierfür einen Termin. Eine erlösende Vorstellung, denn ich wurde von Tag zu Tag immer kurzatmiger und fahler im Gesicht. Und die beiläufige Bestätigung während der Voruntersuchung, dass ich am Neujahrstag wohl einen leichten Herzinfarkt hatte, hatte nicht gerade zu meiner Beruhigung beigetragen.
31.1.2023
Nun das volle Programm: Nachdem die Ultraschall-Untersuchung am Vortag eine "mittelgradige Herzinsuffizienz" mit nur 35% Herzleistung zutage gefördert hatte, kam ich am OP-Tag zunächst in den Genuss einer Herzkatheder-Untersuchung mit örtlicher Betäubung (eher unangenehm, gelinde gesagt), um mögliche Schäden an den Herzkranzgefäßen zu finden oder auszuschließen. Ergebnis: Meine Arterien sind tip top - immerhin etwas! Danach wieder ein "blauer Traum", wie es bei Janosch heißt, und ab zur Ablation. Nach insgesamt über drei Stunden im OP zurück in den Überwachungsraum und dort die gute Nachricht, dass alles erfolgreich verlaufen sei, yeah! Am nächsten Tag durfte ich schon wieder nach Hause.
Diesmal blieb der Herzrhythmus immerhin zwei Tage stabil, doch dann war das Flimmern wieder zurück: Blöderweise gibt es bei Ablationen zwar durchaus gute Prognosen, aber längst keine 100%ige Erfolgsquote. Und je länger das Vorhofflimmern schon angedauert hatte, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme tatsächlich wirkt - bei mir war das wohl schon einige Jahre der Fall ...
3.2.2023
Nach einer miserablen Nacht war mein Herz morgens so rasend unterwegs, dass ich die 112 wählte. Der Notarzt stellte nicht nur einen Ruhepuls von 140 fest, sondern benutzte auch zum ersten Mal den Begriff "Vorhofflattern", der mein eigenes Empfinden viel treffender beschrieb als das übliche "Vorhofflimmern". Also "durfte" ich diesmal mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus - was mein kleiner Sohn mit großer Faszination und unsere wunderbare Nachbarn mit ebenso großer Sorge verfolgten.
Als die Krankenschwester, der ich bei der Ankunft im Krankenhaus meine Story erzählte, mir ihren Respekt für meine Gelassenheit ausdrückte und meinte, ich sei ihr Held des Tages, fühlte ich mich alles andere als heldenhaft, sondern wollte einfach nur losheulen.
Danach wieder eine Reihe von Befragungen und Untersuchngen, die erneut kein unmittelbar lebensbedrohliches Risiko für mich ergaben. Vom Arzt in der Notaufnahme vor die Wahl gestellt, übers Wochenende da zu bleiben oder am Montag Morgen zur erneuten Kardioversion wieder zu kommen, entschied ich mich für den Aufenthalt in der kardiologischen Abteilung. Und das will schon was heißen, denn natürlich bin auch ich kein großer Krankenhaus-Fan. Doch wie eingangs beschrieben, fühlte ich mich hier nach den Erfahrungen der letzten Wochen einfach sicherer.
Auch die zweite Kardioversion sollte indes keinen nachhaltigen Erfolg haben - trotz dreier Stromstöße, nach denen ich so aussah, als hätte man mir zwei heiße Smartphones auf Brust und Rücken gelegt. Vier Tage danach fing das Flimmern wieder an. Es war einfach nur noch frustrierend, und ich musste immer mehr gegen die Vorstellung ankämpfen, dass ich nun für immer mit einer Herzschwäche leben müsse.
13./17.2.2023
Also wieder in die Notaufnahme und ein paar Tage später ab zur dritten Kardioversion. Diesmal bekam ich im Anschluss Amiodaron, das Medikament der Wahl gegen die Herzrhythmusstörungen, das die Ärzte wegen der unter Umständen heftigen Begleiterscheinungen bislang vermieden hatten. Nun aber war endgültig klar, dass es ohne nicht ging - und mit den Tabletten blieb der Herzrhythmus bis heute stabil, wohoo!!
Das größere Problem waren in den letzten Wochen tatsächlich die Nebenwirkungen des Medikamenten-Cocktails, den ich jeden Tag einnahm und zum Teil noch einnehme: massive Schlafstörungen, ständig ein flaues Gefühl und Appetitlosigkeit, dazu ein Ruhepuls von unter 50 und 5 kg Gewichtsverlust (worüber sich andere vielleicht freuen würden). Kein Wunder, dass ich über weite Strecken kaum in die Gänge kam, selbst als das Vorhofflimmern längst beseitigt war. Dennoch geht es langsam, aber sicher bergauf, und ich durfte peu à peu die Medikamente reduzieren.
22.3.2023
Meine Herzleistung ist wieder bei 50%, ich fühle mich seit ein paar Tagen fast normal und bin heute zum ersten Mal seit Langem mal wieder unterwegs (freue mich riesig darauf, etliche Digitalos der Buchbranche in München wiederzusehen!).
Aber natürlich bin ich weiterhin sehr vorsichtig, trinke wenig Kaffee und keinerlei Alkohol und achte darauf, dass ich mich täglich ordentlich bewege. Außerdem ist noch nicht absehbar, ob das Vorhofflimmern zurückkehrt, sobald ich das Amiodaron wie geplant Ende April absetze. Dann wird eine weitere Ablation nötig, die immerhin eine noch höhere Erfolgswahrscheinlichkeit hätte als die erste. Und jetzt weiß ich ja, auf was ich mich da einlasse und dass ich wohl noch einen langen Weg vor mir habe, auch wenn es sich aktuell wieder sehr gut anfühlt. Oder, wie meine Frau zu mir sagte: "So viel Durchhaltevermögen, wie Du hattest, um da reinzukommen, wirst Du auch haben, um da wieder rauszukommen!"
Warum ich das alles hier so ausführlich beschreibe?
Wie viele andere Menschen auch habe ich mich bis vor Kurzem für im Grunde unverwundbar gehalten und nicht im Entfernsten mit einer solchen gesundheitlichen Herausforderung gerechnet - obwohl ich im Verlauf der letzten Jahre eine allmählich abnehmende Leistungsfähigkeit beobachtet hatte. Aber ich schob das eben auf zu viel Stress durch Arbeit, Kinder, Umzüge und hoffte auf eine Auszeit, die ich mir "irgendwann mal" gönnen würde ... Sicher bin ich nicht alleine damit, über lange zeit bestimmte Symptome zu ignorieren oder zumindest nicht hartnäckig genug untersuchen zu lassen, weil irgendwie immer zuviel anderes zu tun ist.
Daneben sind viele Erkrankungen natürlich tückisch, weil sie sich unter Umständen über sehr lange Zeit nur sehr schleichend entwickeln und viele Symptome sich ohne Beschäftigung mit dem entsprechenden Thema gar nicht zuordnen lassen und auch von Hausärzten nicht unbedingt richtig eingeordnet werden. Oder wer von Euch wusste, dass Nachtschweiß ein wichtiges Anzeichen für Herzrhythmusstörungen ist (weil das Herz Tag wie Nacht schneller arbeitet, um die schwächere Herzleistung infolge des unregelmäßigen Pumpens zu kompensieren)? Wenn dann noch, wie in meinem Fall, Untersuchungsergebnisse wie Blutdruck, EKG, Blutwerte usw. völlig OK sind, ist es sehr leicht, sich wider besserer Intuition in trügerische Sicherheit zu wiegen.
Obwohl wir eigentlich alle wissen, dass Gesundheit das Wichtigste ist, wie meine Oma immer sagte, wachen wir meist doch erst auf, wenn wir einen ernsthaften Schuss vor den Bug bekommen - und uns damit der Endlichkeit unseres Lebens bewusst werden. Daher wollte ich versuchen zu vermitteln, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, wenn die eigene Gesundheit so massiv beeinträchtigt ist. Dabei bin ich noch vergleichsweise glimpflich weggekommen: Das anhaltende Vorhofflimmern hätte leicht zum Schlaganfall führen können, stattdessen hatte ich "nur" einen leichten Herzinfarkt und eine (hoffentlich) vorüber gehende Herzschwäche.
Insofern bin ich zutiefst dankbar für die Chance, jetzt mein zweites Leben beginnen zu dürfen, das ja mein einziges ist - anders als mein bester Freund aus Schulzeiten: Er starb im letzten Sommer ohne jede Vorwarnung von einem Moment zum anderen an einem Herzinfarkt und hinterließ seine Frau und drei Kinder, die noch nicht mal mehr Gelegenheit hatten, von ihm Abschied zu nehmen. Da nehme ich es doch mit der tatsächlich ungewissen Zukunft auf und versuche alles mir Mögliche, diese Zukunft gut zu gestalten - schon für meine Frau und meine Kinder!
Die eigentlich Botschaft lautet also: Es gibt viel Wichtigeres als Job, Wohlstand und Karriere, spektakuläre Urlaube und sonstige Äußerlichkeiten. Oder, um es mit Alexandra Reinwarth zu sagen: "Das Leben ist zu kurz für später" (ein sehr lesenwertes Buch!). In diesem Sinne: Passt auf Euch auf und lebt bewusst, um gesund zu bleiben!!
Strategic thinker and digital product developer focusing on emerging technologies | CSPO®
2 JahreLieber Hermann Eckel ich habe deinen Post eben erst gesehen. Ich wünsche Dir eine schnelle Genesung und du hast recht wir haben ein Leben und darauf muessen wir aufpassen. Alles Gute für dich Jürgen
CLever Lernen – CLever Lehren
2 JahreHerzlich willkommen in Buxtehude und alles erdenklich Gute für ein gesundes Leben mit der Familie in unserer lebenswerten Stadt! Selber bin ich seit über einem Jahr "AU" mit frühem Brustkrebs, gleichzeitig ist eine mir nahe stehende Person von Vorhofflimmern und Herzschwäche betroffen. Darum ein warmer Dank für deine Schilderung, die hilft, dieses häufige Krankheitsbild, aber auch die derzeitige Situation im Gesundheitswesen besser zu verstehen.
Lieber Hermann, ich hoffe es geht Dir wieder und in Zukunft gut! Ich hatte selbst vor wenigen Jahren im Familienkreis mit diesem Thema zu tun. Wir wurden damals im Deutschen Herzzentrum (München Lothstr) bestens beraten und behandelt, ich möchte deshalb ein paar Details beisteuern, soweit ich mich hoffentlich korrekt erinnere. Uns wurde damals gesagt, Kammerflimmer-Patienten benötigen "im Durchschnitt über mehrere Jahre 2,3 Ablationen" bis sie dauerhaft geheilt sind. Bei uns wurde mit der 1. Ablation aus einer willkürlich unregelmäßige Störung ist eine "regelmässige Unwucht" (nennt man das dann "*flackern"?), was dann deutlich besser und nachhaltiger behandelt werden konnte, und in einer zweiten Ablation ganz abgestellt. Die Ablationen selbst konnten im DHZ minimalinvasiv durchgeführt werden, so dass es bereits am übernächsten Tag nach Hause ging. Nach einigen Jahren wurde eine Dritte fällig, und seither ist alles ruhig, und es muss auch kein Marcumar mehr eingenommen werden (was auf Dauer keine gute Idee ist). Somit lagen wir also im oberen Durchschnitt bei den Ablationen, wenn ich richtig gelesen habe, Du im unteren. Ich drücke Dir die Daumen ! Cheers Tom.
Verlegerin (seit 1992). Vorsteherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels (von Oktober 2019 bis Ende Oktober 2025)
2 JahreLieber Hermann, pass auf dich auf!!! Bitte!!! Das klingt nicht gut und manchmal ist es ja gerade so, dass der Körper uns zeigt, was wir ihm zugemutet haben, NACHDEM wir gerade etwas verändert haben… eigentlich unlogisch… gönn dir Ruhe (sagt die Richtige, ich weiß) und sei herzlich umarmt von deiner Karin
Herausgeber bei LD
2 JahreTja, Selbständigkeit und Krankheit sind schlechte Partner. Ich danke auch jeden Morgen, dass ich aufstehen kann und brauche auch die Gewissheit, dass ich mit Volldampf den Tag durcharbeiten kann und all die Steine auf dem Weg wegräume. Das macht mich schon sehr nachdenklich, zu fragen, wo ich die Ruhe- und Auszeiten setzen sollte. Danke für den Bericht, das macht sehr nachdenklich. Alles Gute!