Organisationen brauchen auch Manager, nicht nur Leader
Wer sich gelegentlich LinkedIn aufhält, kann sie nicht übersehen: Die Text-Bild-Kacheln, die in säuberlich-tabellarischer Form die beiden Begriffe Management und Leadership gegenüberstellen. Der Manager führt durch Kommando und Kontrolle, der Leader durch Visionen. Der Manager lässt andere arbeiten, der Leader ist der „Diener“ seines Teams. Der Manager delegiert, der Leader inspiriert und coacht. Diese Auflistung ließe sich endlos fortsetzen. Tenor ist in jedem Fall: Der Leader ist gut, der Manager ist böse oder zumindest altbacken. Wer Führung richtig verstehen will, betreibt Leadership. Diese Aufteilung in gut und schlecht ist so erfolgreich, weil sie so einfach ist – allzu einfach.
Dass solche simplen Gegenüberstellungen wohl eher der Selbstbestätigung dienen, auf der „guten Seite“ zu stehen als ein Umdenken zu bewirken, wäre an sich noch nicht dramatisch. Die Verbreitung einer pauschalen Idealvorstellung von Führung hat aber ganz reale – und schädliche – Konsequenzen. Sie werden von Führungskräften, die bemüht sind, ihre Aufgabe gut zu meistern, als Orientierung genutzt und nicht selten als Anforderungen an sie herangetragen, etwa in Form von Führungsleitbildern. Das Problem: Den „einen richtigen Weg“ gibt es in der Organisationspraxis nicht (Kühl 2019).
Auch in der Forschung ist die Vorstellung, es gäbe einen perfekten Führungsstil, den eine Person entweder beherrscht oder nicht, weit überholt. Neuere Führungstheorien wissen, dass auch Bedingungen wie die Aufgabe, die Organisation und nicht zuletzt die Geführten in die Wahl des passenden Führungsverhaltens einbezogen werden müssen (Pfister und Neumann 2019) Eine Schwarz-Weiß-Darstellung von perfekter Führung kann niemals die diversen Anforderungen abbilden, denen Führungskräfte in der Praxis ausgesetzt sind. Diese können häufig auch klassisches Management erfordern. Gerade neu in Führungsrollen gekommene Personen möchten aber unbedingt gute Leader sein – und finden sich so in einer Zwickmühle wieder.
Ein Resultat davon ist das „Macro Leading“, das Management-Vordenker Henry Mintzberg bereits vor über einem Jahrzehnt beschrieben hat (Mintzberg 2009). In dem Bemühen, das verpönte „Micro Management“ zu vermeiden, tun Führungskräfte genau das Gegenteil: Sie kappen die Verbindung zum Tagesgeschäft völlig und beschränken sich auf eine globalgalaktische Impulsgeber-Rolle. Mintzberg sieht Macro Leading als mindestens ebenso großes Problem wie Micro Management, da Führende keinen Bezug mehr zur praktischen Arbeit haben, sondern nur noch über den Dingen schweben.
Tragisch hieran ist, dass dies letztlich den Mitarbeitenden schadet – obwohl sie doch diejenigen sein sollen, denen ein „menschenorientierter“ Führungsstil dienen soll. Die Verunsicherung überträgt sich auf sie, da sie keine Entscheidungen bekommen, die sie für ihre Arbeit aber benötigen (und häufig sogar fordern). Ihre Führungskräfte mögen beteuern, dass sie sich als Coach verstehen, doch die Art und Weise, wie Organisationen funktionieren, lässt sich nicht ohne Weiteres außer Kraft setzen. In Organisationen ist es die originäre Funktion der Hierarchie, Entscheidungen zu vertreten und durchzusetzen (Baecker 1999).
Mitarbeitende damit allein zu lassen, ist kein Empowerment, sondern im besten Falle unbedacht. Denn – und das ist der entscheidende Punkt – Führung heißt Verantwortung. Führungskräfte haben eine herausgehobene Position, die sich nicht zuletzt in der Vergütung widerspiegelt. Der Preis dafür ist, dass sie Entscheidungen treffen müssen, für die sie die Konsequenzen tragen und letztlich den Kopf hinhalten. Wenn Führungskräfte sich auf die Rolle als Impulsgeber, Sparringspartner und Coach zurückziehen, aber vor Entscheidungen zurückschrecken, betreiben sie ein Outsourcing ihrer Verantwortung an die Mitarbeitenden, ohne dass diese davon finanziell oder Prestige-seitig profitieren.
Das ist den jeweiligen Führungskräften nicht vorzuwerfen. Sie haben meist beste Absichten, aber zwischen idealistischen Erwartungen an „richtige“ Führung und realen Anforderungen diverser Stakeholder keine Chance, es richtig zu machen– eine Lose-Lose-Situation. Leider sind es häufig dieselben Stellen in Organisationen, die solche Idealbilder postulieren, die dann Führungskräfte schelten, die mit den Widersprüchen in der Praxis überfordert sind.
Natürlich heißt all das nicht, dass die unter dem Label „Leadership“ laufenden Praktiken falsch sind. Es ist höchst anerkennenswert, wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitenden Handlungsfreiheiten übertragen und sie durch Wertschätzung und gemeinsame Ziele motivieren wollen. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Verantwortung nicht delegiert werden kann, solange es keine strukturellen Veränderungen gibt. Wer wirklich andere Führungsmodelle will, setzt daher nicht auf der Personen-, sondern auf der Organisationsebene an. Bis dahin sollte man mit normativen Aussagen über Führungshandeln etwas reflektierter umgehen.
Literatur:
PwC | Partner | Customer Transformation - Head of Customer Growth | Podcast Host "Digital Leaders"
3 JahreDanke für den Impuls, Niklas. Ich kann dem nur zustimmen und im Arbeitsalltag ist dies Quell vieler spannender Herausforderungen, die in meinem persönlichen Erleben die Führungsaufgabe so interessant machen.
⛵️INNOVATION STRATEGY. DRIVEN BY JOY | CEO, Board Member & Non-Executive Advisor | Geschäftsmodelle, Turnaround & Transformation | Author & Speaker | xMD Bertelsmann & xPartner VW Group
3 JahreAgree. Großer Fan von Ambidextrie.