Struktur vs. Vision – Ein unterschätztes Führungsdilemma in Zeiten des Wandels
Ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile? Aristoteles beschrieb mit dem zur Frage umgewandelten Eingangssatz einst das Zusammenwirken und sich gegenseitige fördern verschiedener Elemente, mit dem Ziel, einen gemeinsamen und grösseren Nutzen davon zu haben.
Gilt diese Aussage auch für Führung? Oder ist Führung singulär ausgerichtet und besteht deshalb nicht aus sich ergänzenden, einzelnen Teilen, die gemeinsam mehr Erfolg haben könnten?
Im Zusammenhang mit Führung tauchen die Begriffe Management und Leadership unweigerlich auf, werden aber oft gegensätzlich oder nicht präzise verwendet.
Deshalb müssen wir zunächst die Definitionen der beiden Führungsrollen und deren Unterschiede kennen, um Führung als Ganzes zu verstehen und um beide Teile bestenfalls nach Aristotelischem Vorbild Übergewinn bringend zusammen einzusetzen.
Harvard-Professor John P. Kotter definierte bereits zu Beginn der neunziger Jahre den Unterschied zwischen den beiden Begriffen. Für ihn unterscheidet vor allem die Vision die beiden Rollen. Während Manager im Unternehmen eher einer Verwaltungsposition nachkommen, treten Leader als Visionäre auf. Er grenzt somit zwischen den verschiedenen Kompetenzen und Ebenen von Führung ab.
Das Ergebnis von Leadership durch Vorgabe einer Richtung und der Ausrichtung der Mitarbeitenden, durch Motivation und Inspiration, ist dabei Wandel und Bewegung. Jenes von Management, durch Planen und Budgetieren, organisieren und besetzen der Stellen, sowie durch Controlling und Lösen von Problemen, ist Ordnung und Stabilität.
Eine Kernkompetenz von guten Leadern ist demnach Mitarbeitende zu motivieren, zu inspirieren und dahingehend zu befähigen, ihre gemeinsamen Ziele zu erreichen. Leadership schafft zudem Vertrauen und Identifikation. Der Blick ist stets in die Zukunft gerichtet.
Ein guter Manager hingegen schafft Strukturen, teilt Ressourcen ein und sorgt für eine funktionierende Organisation. Sein Handeln ist eher durch Erfahrungen aus der Vergangenheit und deren Konsequenzen beeinflusst. Zielsetzung ist der Erhalt des gegenwärtigen Zustandes und eine sinnvolle Verteilung und Nutzung der Ressourcen.
Management bedeutet also eine Organisation aufrecht zu erhalten und Leadership hingegen, sie zu verändern und dabei andere dafür zu begeistern. So treffen offensichtlich sehr gegensätzliche Aufgabengebiete aufeinander: Motivation trifft auf Organisation und Vision auf den Status quo. Leider wird von Führungskräften oft verlangt, dass sie beides können, dabei ist das fast unmöglich, da die meisten erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen genau gegensätzlich sind.
Müssen Manager und Leader das jeweils andere Aufgabengebiet übernehmen, verlieren sie den Focus auf ihre Kernkompetenzen und Hauptaufgaben. Dass Leadership und Management durch ein und dieselbe Person ausgeführt wird, ist daher eine seltene Ausnahme[1].
Schliesslich ist auch die Positionierung dieser beiden Führungsrollen im Unternehmen unterschiedlich. Die Autorität des Leaders kommt von diesem selbst aus, jene des Managers hingegen von der Position im Unternehmen.
Damit Management und Leadership funktionieren und zusammen performen, braucht es bestimmte Grenzen zueinander. Nur so können die beiden unterschiedlichen Führungsrollen auch nebeneinander gelebt und ausgeführt werden. Werden diese Grenzen in einem Führungsteam hingegen nicht gezogen, wird sich dieses Führungsteam unweigerlich im «Tal der Tränen» wiederfinden. Manager sind schlussendlich keine Leader und Leader keine Manager. In dieser Tatsache liegt oft auch die Ursache von nicht funktionierenden Führungsteams; die Aufgaben folgen schlicht nicht den Kompetenzen.
Gut geführte Unternehmen haben deshalb ein gut ausgewogenes Verhältnis von Struktur und Vision. Leadership ist in Zeiten des Wandels wichtiger und entscheidender denn je. Dennoch braucht es Management, um Struktur zu geben und Ordnung zu halten. Führung erzielt dann Wirkung, wenn Leadership durch Management flankiert wird.
Führungskräfte müssen deshalb durchgängig nach ihren Kompetenzen eingesetzt werden. Sie müssen dabei aber auch selbst erkennen, ob sie nun Leader oder Manager sind. Gelingt es, ein reflektiertes Führungsteam nach ihren Kompetenzen zusammenzustellen und aufgabenorientiert einzusetzen, werden die einzelnen Teammitglieder als einheitliches Ganzes auftreten, sich gegenseitig fördern und einen gemeinsamen, grösseren Nutzen davonziehen – das Ganze wäre dann mehr als die Summe seiner Teile.
[1] Zitat John P. Kotter, Professor für Führungskräftemanagement an der Harvard Business School: «Niemand kann Leader und Manager in einem sein».
Mentor & Trainer 🧠 Organisationsentwickler 📈 Mediator 🕊️
2 JahreInspirierende An- und Einsichten! Ich unterscheide 4 Führungsarten. Strategisch Führung, Operative Führung, Projektführung und Fachführung. In dieser Sicht erhalten Leadership und Management ihren Platz. Wenn man unter Struktur eine 'starre' Organisation versteht, dann besteht das Dilemma klar. Wenn es ein Unternehmen schafft, sich von dieser Sicht zu verabschieden und Struktur / Organisation als etwas manchmal schnell Bewegliches versteht (und ich meine damit nicht primär Agilität), dann öffnet sie sich für neue Organisationsformen. Aber - Beweglichkeit entsteht immer zuerst im Kopf ;-)
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2 JahreLieber Dominik inspierend und im Kern richtig. Dennoch denke ich, dass sich Führung und Management in der Praxis i.B. in KMUs z.B. <50 Ma nicht komplett trennen lassen und auch hier die Devise gelten kann 1+1=3. Natürlich ist es ein Spagat und eine Herausforderung für einen Leader beiden Rollen gerecht zu werden und oft überwiegt das Eine oder Andere. Ich bin froh mit Muhammet einen Sparringspartner gefunden zu haben der mir Teile meiner Management und Führungsaufgaben abnimmt. Und auch hier gilt 1+1=3