DIREKTION FÜR SICHERHEITSPOLITIK
SICHER. UND MORGEN?
SICHERHEITSPOLITISCHEJAHRESVORSCHAU2016
Die Direktion für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für
Landesverteidigung und Sport hat internationale und österrei-
chische Experten eingeladen, die für das Jahr 2016 relevan-
Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkreter
mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit
eine eingeschränkte Gestaltungsfähigkeit und eine schwinden-
politik sind:
Intensivierung von Kooperationen
SICHERHEITSPOLITISCHE
JAHRESVORSCHAU 2016
ÖSTERREICHISCHES BUNDESHEER
sipol_jvs2016
SICHER. UND MORGEN?
SICHERHEITSPOLITISCHE
JAHRESVORSCHAU 2016
Direktion für Sicherheitspolitik
DIE INHALTE DER EINZELNEN BEITRÄGE GEBEN DIE PERSÖNLICHE EINSCHÄTZUNG DER
EXPERTEN WIEDER UND ENTSPRECHEN NICHT NOTWENDIGERWEISE DEN POSITIONEN DES
BUNDESMINISTERIUMS FÜR LANDESVERTEIDIGUNG UND SPORT UND DER INSTITUTIONEN,
FÜR DIE SIE TÄTIG SIND.
EINE VIELZAHL VON BEITRÄGEN DIESER JAHRESVORSCHAU WURDE VOM SPRACHINSTITUT
DES BUNDESHEERES UND VON MITARBEITERINNEN UND MITARBEITERN DES BÜROS FÜR
SICHERHEITSPOLITIK INS DEUTSCHE ÜBERSETZT.
IMPRESSUM
MEDIENINHABER, HERAUSGEBER UND HERSTELLER:
Republik Österreich/Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport
PROJEKTLEITUNG: Brigadier Dr. Johann Frank
REDAKTION: Büro für Sicherheitspolitik; Dr. Egbert Apfelknab, Dr. Rastislav Báchora; Dr. Wolfgang Brau-
mandl-Dujardin; Mag. Raphaela Engel; OberstdhmfD Mag. Karl Fitsch; OberstdG MMag. Thomas Fronek; Mag.
Alexander Fuchssteiner; OberstdG Mag. Georg Geyer; Brigadier Mag. Gustav Gustenau; Sahrah Kiparski, MA,
Martin Leithner, BA; OberstdhmfD Dr. Wolfgang Manzl; Mag. Walter Matyas; Hofrat Hermann Meyer; Mag.
Jürgen Neuhuber; OberstdhmfD Dr. Bernhard Richter; OberstdhmfD Mag. Stefan Ulmer; Christoph Winna, BA;
Mag. Astrid Zahel
ÜBERSETZUNGEN: Sprachinstitut des Bundesheeres und Büro für Sicherheitspolitik
LAYOUT UND SATZ: Büro für Sicherheitspolitik; Lukas Bittner, BA
ALLE: Roßauer Lände 1, 1090 Wien;
HERSTELLUNG: BMLVS/Heeresdruckzentrum 15-8718
ISBN: 978-3-902275-44-8
Wien, Dezember 2015
Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“
des Österreichischen Umweltzeichens,
BMLVS/Heeresdruckzentrum, UW-Nr. 943
PROLOG
08 Vorwort — Gerald Klug
10 Einleitung — Johann Frank
TRENDSZENARIO 2016 FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE
SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK
13 Trendszenario 2016 für die österreichische Sicherheits-
und Verteidigungspolitik — Johann Frank und Gustav E. Gustenau
GLOBALES UMFELD 2016
33 Globale Sicherheitstrends 2016 — Richard Weitz
37 Globale machtpolitische Entwicklungen 2016 — Nicolas Stockhammer
41 Globale Entwicklungen 2016 — Mathew Burrows
44 Weltordnung 2016 — Ulrich Menzel
47 Geopolitische Ausrichtung der USA 2016 — Henning Riecke
50 Russlands strategische Ausrichtung 2016 — Joris Van Bladel
55 China und die Weltordnung 2016 — Sven Richard Gareis
59 Europas strategische Ambition 2016 — Herfried Münkler
62 Globale Finanzmärkte 2016 — Thieß Petersen
65 Globale Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung 2016 — Urlich Schuh
69 Geopolitische Bedeutung von Freihandelsabkommen 2016 — Daniel S. Hamilton
73 Strategische Rohstoffe 2016 — Miriam Kraus
76 — Michael Brzoska
79 — Raphael Bossong
82 Terrormiliz „Islamischer Staat“ 2016 — Guido Steinberg
85 Hybride Bedrohungen 2016 — Sascha Dov Bachmann
GLOBALE SICHERHEITSARCHITEKTUR 2016
89 Vereinte Nationen 2016 — Richard Gowan
INHALT
INHALT
92 OSZE 2016 — Lamberto Zannier
95 Afrikanische Union 2016 — Martin Pabst
99 NATO 2016 — Jamie Patrick Shea
104 NATO im Einsatz 2016 — Josef D. Boltz und Marco Taedcke
107 Nukleare NATO-Politik 2016 — Karl-Heinz Kamp
RISIKO- UND KONFLIKTBILD FÜR EUROPA 2016
112 Soziale Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität in Europa — Martin Schenk
115 — Walter Feichtinger
118 Terrorismus in Europa 2016 — Louise Shelley
121 Flucht und Migration nach Europa 2016 — Ángel Gurría
124 Migrationsperspektive 2016 — Peter Van der Auweraert
127 Flüchtlingsströme und Potentiale 2016 — Karin Kneissl
130 Transnationale Organisierte Kriminalität 2016 — Maximilian Edelbacher
133 Cybersicherheit und Cyberbedrohungen in der EU 2016 — Miroslav Mareš
136 Biotechnologie 2016 — Anne L. Clunnan
140 Autonome (unbemannte) Waffensysteme 2016 — Noel Sharkey
143 Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen 2016 — Tariq Rauf
146 Energiesicherheit Europas 2016 — Julia Grill und Harald Raupenstrauch
149 Entwicklungsperspektiven am Westbalkan 2016
153 Bosnien und Herzegowina 2016
157 Kosovo 2016
160 Mazedonien 2016 — Dane Taleski
163 Serbien 2016 — Marko Savkovic
167 Risiken für die Sicherheit in der Schwarzmeerregion 2016 — Ivan Krastev
171 — Alexander Dubowy
174 Transnistrien 2016 — Victoria Bucataru
177 — Georgi Kanashvili
180 — Chistroph H. Benedikter
183 Türkei 2016 — Sinan Ülgen
187 Iran 2016 — Reinhard Meier-Walser
191 Afghanistan 2016 — Michael Semple
195 Entwicklungen in Zentralasien 2016 — Ilya Zaslavskiy
198 Strategische Lage im Nahen und Mittleren Osten 2016 — Guido Kraus
203 — Georg Plattner
206 Syrien 2016 — Nadim Shehadi
209 Irak 2016 — Gudrun Harrer
212 Saudi Arabien und Jemen 2016 — Marie-Christine Heinze
215 Libyen 2016 — Thiemo Kapffer
218 Ägypten 2016 — Amr Adly
221 Tunesien 2016 — Hardy Ostry
225 Frauen im Terrorsystem des „Islamischen Staats“ 2016 — Dalia Ghanem-Yazbeck
228 Entwicklungen in Sahel-Afrika 2016 — Roland Marchal
231 Entwicklungen in Westafrika 2016 — Georg Hainzl
234 Mali 2016 — Paul Melly
237 Europäische Union und Russland 2016 — Chistrian Stadler
240 Militärstrategische Ambition Russlands 2016 — Sergey Markedonov
243 Wirtschaftliche Stabilität Russlands 2016 — Ruslan Grinberg
EUROPÄISCHE UNION 2016
247 Rahmenbedingungen 2016 für eine globale Strategie der EU
— Alessandro Marrone und Nathalie Tocci
250 Europäisches Weißbuch — Sven Biscop
254 Deutschland 2016 — Patrick Keller
257 Rolle Deutschlands in Europa 2016 — Hartmut Mayer
261 Frankreich 2016 — Peter Jankowitsch
263 Großbritannien 2016 — Bastian Giegerich
266 Finnland 2016 — Hiski Haukkala
270 Schweden 2016 — Jacob Westberg
274 Baltische Staaten 2016
278 Griechenland 2016 — John M. Nomikos
281 Irland 2016 — Ben Tonra
285 Italien 2016 — Stefano Silvestri
288 Tschechien 2016 — Libor Frank
291 Slowakei 2016 — Marian Majer
295 Slowenien 2016 — Petra Roter
299 Kroatien 2016
302 Ungarn 2016 — Tamás Csiki
EUROPÄISCHE VERTEIDIGUNGSPOLITIK 2016
308 GSVP 2016 — Sven Biscop
311 Unsichere Zukunft der GSVP 2016 — Ronja Kempin und Nicolai von Ondarza
314 Weiterentwicklung der GSVP-Missionen und Operationen 2016 — Thierry Tardy
317 Verteidigungsindustrielle Basis Europas 2016 — Hilmar Linnenkamp
321 Trends in der europäischen Streitkräfteentwicklung 2016 — Bruno Hofbauer
324 Streitkräfteentwicklung Deutschland 2016 — Christian Mölling
328 Streitkräfteentwicklung Frankreich 2016 — Jérôme Pellistrandi
332 Regionale Verteidigungskooperationen 2016 — Rastislav Báchora
ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITSVORSORGE 2016
338 Politische Rahmenbedingungen der österreichischen Sicherheitsvorsorge 2016
— Alexandra Föderl-Schmid
341 Außen- und sicherheitspolitische Ambition Österreichs 2016 — Karin Fichtinger-Grohe
344 — Markus Weidinger
347 Österreich und die Vereinten Nationen 2016 — Jan Kickert und Philipp Charwath
350 Österreich und die OSZE 2016 — Christian Strohal
354 Österreich und die NATO 2016 — Jürgen Meindl
358 Finanzsicherheit in Österreich 2016 — Margit Schratzenstaller
361 Terrorismusabwehr in Österreich 2016 — Peter Gridling
364 Migrationspolitik in Österreich 2016 — Peter Webinger
INHALT
367 Sicherheit durch Integration in Österreich 2016 — Alexander Schahbasi
370 Soziale Sicherheit und gesellschaftliche Kohäsion in Österreich 2016 — Christian Klopf
373 Gesundheit und Sicherheit in Österreich 2016 — Michael Kunze
376 Energiesicherheit in Österreich 2016 — Walter Boltz
379 Risikopotential von Natur- und technischen Katastrophen in Österreich 2016
— Robert Stocker
383 Risikopotential und Resilienz kritischer Infrastuktur in Österreich 2016
— Alexander Pschikal
387 Cybersicherheit und Cyberabwehr in Österreich 2016
— Wolgang Rosenkranz und Wolfgang Gattringer
390 Medien und Sicherheitspolitik in Österreich 2016 — Wilhelm Theuretsbacher
393 Sorgen und Erwartungen der Bevölkerung im Lichte der Flüchtlingsthematik 2016
— Alexander Reichmann
DAS ÖSTERREICHISCHE BUNDESHEER 2016
397 Streitkräfteentwicklung in Österreich 2016 — Philipp Eder
400 Auslandseinsätze des Bundesheeres 2016 — Martin Jawurek
403 Inlandseinsätze des Bundesheeres 2016 — Franz Reißner
MEHR SICHERHEIT DURCH EIN LEISTUNGSFÄHIGES BUNDESHEER
406 Mehr Sicherheit durch ein leistungsfähiges Bundesheer — Othmar Commenda
8 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die Direktion für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport gibt für das
Jahr 2016 zum zweiten Mal eine umfassende sicherheitspolitische Jahresvorschau heraus. Namhafte interna-
tionale, österreichische und ressorteigene Expertinnen und Experten analysieren darin die für das Kalender-
jahr 2016 zu erwartenden Entwicklungen der europäischen und österreichischen Sicherheitsvorsorge, wichtiger
internationaler Institutionen, Regionen und Staaten sowie konkreter Bedrohungen und Konflikte.
Die Analysen zeigen, dass sicherheitspolitische Risiken für die Europäische Union und Österreich zunehmen
und das europäische strategische Denken wieder stärker von Fragen der Geopolitik und der militärischen Ver-
teidigung bestimmt ist, wenn auch in anderer Form als zur Zeit des Kalten Krieges. Die Terroranschläge von
Paris Mitte November 2015 machen deutlich, dass die Staaten vor der grundlegenden Herausforderung stehen,
einer der fundamentalsten Staatsaufgaben – der Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger
– nachzukommen.
Eine große Herausforderung für Europa und damit für Österreich stellt die derzeitige Flüchtlingssituation dar.
Die prekäre Sicherheitslage in ihren Heimatländern veranlasst tausende Menschen, ihr Heil in der Flucht vor
Krieg, Terror und Elend zu suchen. Österreich gilt als sicheres Land und ist daher das Ziel vieler Flüchtlinge.
Das Bundesheer kommt seiner Verantwortung nach, diesen Menschen, die in großer Not zu uns kommen,
humanitär zu helfen.
Die Situation an der südlichen Grenze unseres Landes geht über die Kapazitäten von Polizei und anderen
Blaulichtorganisationen hinaus. Das Bundesheer ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Bandes – getreu
seinem Leitgedanken „Schutz und Hilfe dort, wo andere Institutionen an ihre Grenzen stoßen“ – mit fast
2000 Soldatinnen und Soldaten im Assistenz- und Hilfseinsatz zur Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Das Thema „Migration nach Europa“ wird von vielen Autoren dieses Bandes aufgegriffen, ob es um die Ursa-
chen der Fluchtbewegungen, um mögliche Auswirkungen auf die regionale Stabilität in Europa, um die sicher-
heitsrelevanten Aspekte der österreichischen Migrations- und Asylpolitik oder um die Stärkung der Sicherheit
durch Integration geht.
VORWORT
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 9
Zahlreiche Beiträge thematisieren die Lage am Balkan, im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika ebenso
wie das Vorgehen Russlands im europäischen Osten. Auch die Entwicklungen in wichtigen Ländern der Euro-
päischen Union und die Zukunft der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wer-
den gewürdigt. Der Trend, dass die Sicherheitslage in der europäischen Nachbarschaft auch für die innere
Sicherheit der EU zunehmend an Bedeutung gewinnt, setzt sich auch 2016 fort.
Die Analyse der Streitkräfteentwicklung in Europa sowie der österreichischen Außen- und Sicherheitspoli-
tik und zahlreiche Spezialthemen wie die Sicherheitspolitik Österreichs aus Sicht der Medien oder Fragen der
Sicherheit im Cyberraum runden die Themenpalette ab.
Die vorliegenden Analysen der Expertinnen und Experten werden in ein Trendszenario 2016 für die österrei-
chische Sicherheits- und Verteidigungspolitik verdichtet, das entscheidend dazu beitragen kann, die Heraus-
forderungen für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu gewichten. Eine Kernaussage ist
dabei, dass sich die sicherheitspolitischen Annahmen der Österreichischen Sicherheitsstrategie und der Teil-
strategie Verteidigungspolitik grundsätzlich bestätigt haben und dass die konsequente Ausrichtung der Bun-
desheerplanung auf die neuen einsatzwahrscheinlichen Aufgaben dynamisiert fortzusetzen ist.
Diese Jahresvorschau richtet sich nicht nur an Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Medien, sondern auch
an die interessierte Öffentlichkeit.
Ich möchte allen, die am Zustandekommen der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2016 mitgewirkt haben,
meinen besonderen Dank aussprechen, insbesondere den Autorinnen und Autoren, die mit ihrem analytischen
Fachwissen zur Weiterentwicklung des sicherheitspolitischen Bewusstseins sowie zu einer verbesserten Einsicht
in die Notwendigkeiten militärischer Sicherheitsvorsorge beitragen – damit Österreich auch morgen sicher
bleibt.
MAG. GERALD KLUG
BUNDESMINISTER FÜR
LANDESVERTEIDIGUNG UND SPORT
10 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die Welt ist unsicherer geworden. Daran wird sich auch 2016 nichts ändern!
Ein Rückblick auf die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Trendszenario 2015 zeigt, dass die sicherheitspolitischen
Risiken und Bedrohungen für die EU und Österreich tatsächlich zugenommen haben. Auch die Handlungsfähig-
keit wesentlicher Akteure wie jene der EU oder auch einzelner wichtiger Staaten hat sich wie prognostiziert weiter
eingeschränkt.
Die durchaus richtige Einschätzung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklungen und die zahl-
reichen positiven Rückmeldungen zur Vorschau 2015 haben uns bestärkt, die Publikationsreihe auch im Jahr 2016
fortzusetzen und mit einer größeren Zahl von Beiträgen und einer breiteren Themenagenda wieder einen strate-
gischen Ausblick auf sicherheitspolitische Trends und deren mögliche Auswirkungen auf das für Österreich rele-
vante Umfeld zu geben. Darüber hinaus stellt die vorliegende Publikation auch eine Umsetzung der Empfehlungen
der Österreichischen Sicherheitsstrategie dar, der zu Folge die österreichische Bevölkerung „umfassend über die
Sicherheitslage im In- und Ausland“ informiert werden soll.
Die Direktion für Sicherheitspolitik wendet sich mit dieser Publikation direkt an politische und militärische Ent-
scheidungsträger, Diplomaten und Fachleute sowie an Journalisten und die interessierte Öffentlichkeit. So soll zur
Weiterentwicklung des sicherheitspolitischen Bewusstseins und zu einer verbesserten und tieferen Einsicht in die
Notwendigkeiten militärischer und umfassender Sicherheitsvorsorge beigetragen werden.
Auch diesmal analysieren nationale und internationale Expertinnen und Experten die in den nächsten 12 bis 18
Monaten erwartbaren Entwicklungen internationaler Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkre-
-
fältig aufeinander abgestimmter und leserfreundlich strukturierter Einzelbeiträge in den Themenfeldern globa-
Verteidigungspolitik, Österreichische Sicherheitsvorsorge und Österreichisches Bundesheer ab. Die Inhalte der
einzelnen Beiträge geben dabei die persönliche Einschätzung der Expertinnen und Experten wieder und entspre-
chen nicht notwendigerweise den Positionen des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport.
Die Analysen der Expertinnen und Experten werden in das System der strategischen Vorausschau des Bundesmi-
nisterium für Landesverteidigung und Sport eingebettet und zu einem Trendszenario 2016 für die österreichische
Sicherheits- und Verteidigungspolitik verdichtet. Das Trendszenario 2016 weist im Vergleich zum Trendszenario
-
bilität in der europäischen Nachbarschaft und der sicherheitspolitischen Handlungsschwäche der Europäischen
Union. Die EU wird erst, wenn sie ihre Beziehungen zu Russland neu geregelt hat, zu einer aktiveren Rolle bei der
EINLEITUNG
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 11
-
schen Russland und der EU wenig zweckmäßig.
-
barschaft mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit und Resilienz der EU und ihrer Mitglieds-
staaten – insbesondere durch Migration und Terrorismus. Aus den anhaltenden zentrifugalen Kräften innerhalb
Bewältigung von Herausforderungen im Inneren. Trotz europaweiter Stabilisierung der Verteidigungsbudgets ist
die EU auch weiterhin nicht in der Lage, eigenständig größere Operationen zur Wahrung vitaler Sicherheitsinteres-
sen durchzuführen.
Die Schlussfolgerungen aus den Analysen für die Notwendigkeiten der österreichischen Verteidigungspolitik 2016
sind offenkundig: Die Landesverteidigung als Kernaufgabe des Österreichischen Bundesheeres ist angesichts des
Bedrohungswandels im Sinne der Österreichischen Sicherheitspolitik neu zu gestalten, wobei nunmehr die Bewäl-
Funktionsfähigkeit des Staates im Vordergrund stehen. Bei katastrophalen Ereignissen kann die Resilienz von
Staaten nur durch jene Organisationen gestützt werden, die per se krisenrobust sind und unter schwierigen Ver-
hältnissen ihre Funktionalität aufrechterhalten können: Das sind und bleiben zu allererst die Streitkräfte eines Lan-
des. Daher muss auch in die militärische Landesverteidigung wieder verstärkt investiert werden. Diese Folgerung
entspricht auch der Erwartung breiter Teile der österreichischen Bevölkerung.
-
gen und Herausforderungen übersehen werden bzw. nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dies könnten 2016
eine Jahresvorausschau kann nichts an dem Umstand ändern, dass rasche Lageentwicklungen und strategische
Überraschungen die prägenden Charakteristika der gegenwärtigen Sicherheitslage sind. Somit bleibt die beste Art
Zukunft vorherzusagen, sie aktiv zu gestalten.
Mein Dank gilt in erster Linie dem Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, den Autorinnen und
Autoren für ihre hervorragende Analyse, dem Sprachinstitut des Bundesheeres an der Landesverteidigungsaka-
demie für die Übersetzungstätigkeit und ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Büros für
Sicherheitspolitik, die durch ihren unermüdlichen Einsatz maßgeblich zum rechtzeitigen Zustandekommen dieser
Publikation beigetragen haben.
Für ein sicheres Österreich auch morgen.
BRIGADIER
DR. JOHANN FRANK
Leiter der
Direktion für Sicherheitspolitik
TRENDSZENARIO 2016
FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE
SICHERHEITS- UND
VERTEIDIGUNGSPOLITIK
Der in der Teilstrategie Verteidigungspolitik festge-
legte moderne verteidigungspolitische Management-
prozess dient der Sicherstellung einer bestmöglichen,
innovativen Zukunfts- und Anpassungsfähigkeit der
Entwicklung des Österreichischen Bundesheeres.
Dieser Prozess umfasst die grundsätzlich in einem
Fünfjahresrhythmus erfolgende Erstellung von
sicherheitspolitischen Umfeldszenarien. Wesentliche
Aufgabenstellung dabei ist die Festlegung und perma-
nente Überwachung einer Früherkennungsarchitektur
von strategischen Schlüsselfaktoren mit jährlicher
Berichtslegung.
(vgl. Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 18)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 13
Dieser Beitrag fasst die Analysen der Experten
zusammen und verdichtet sie zu einem Trendsze-
nario 2016 für die österreichische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik.
1. Sicherheitspolitische Umfeldszenarien
für Österreich 2025
Das Trendszenario 2016 basiert auf den umfassenden
Vorarbeiten des Bundesministeriums für Landesverteidi-
gung und Sport (BMLVS) zur Analyse möglicher künfti-
ger sicherheitspolitischer Entwicklungen. Es ist eine kon-
sequente Weiterentwicklung des Trendsszenarios 2015.
TRENDSZENARIO 2016
FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE
SICHERHEITS- UND
VERTEIDIGUNGSPOLITIK
Johann Frank und Gustav E. Gustenau
14 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Folgende fünfzehn Schlüsselfaktoren und deren Wechselbeziehungen bilden das System
der sicherheitspolitischen Umfeldszenarien für die österreichische Verteidigungspolitik:
Im Jahr 2012 wurden begleitend zu den Arbeiten an der
Österreichischen Sicherheitsstrategie (ÖSS) und zur Neu-
planung des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) erst-
malig sicherheitspolitische „Umfeldszenarien 2025“
erstellt. Dabei wurden die für die österreichische Sicher-
heitspolitik relevanten Schlüsselfaktoren im Rahmen
künftigen Entwicklungsmöglichkeiten analysiert. Aus
zehn bedeutendsten Schlüsselfaktoren herausgearbeitet.
Die alternativen Ausprägungen der fünfzehn Schlüssel-
faktoren wurden zu insgesamt sieben in sich schlüssigen
Umfeldszenarien kombiniert. Die Szenarien können ent-
lang der beiden bestimmenden Faktoren, nämlich „sicher-
heitspolitische Handlungsfähigkeit der EU“ einerseits und „Kon-
andererseits, kategorisiert
werden.
Ausgehend von einer damals, im ersten Erstellungs-
jahr 2012, noch grundsätzlich stabilen Umfeldsituation
ROLLE DER NATO
MILIT. BEDROHUNG
DER SICHERHEIT
ÖSTERREICHS
NICHT MILIT.
BEDROHUNG
ÖSTERREICHS
POLITISCHE
EU-INTEGRATION
LEISTUNGS-
SPEKTRUM GSVP
EU-STREITKRÄFTE-
INTEGRATION
VERTEIDIGUNGSPOLIT.
KOOPERATIONEN
REGIONALE
STABILITÄT IN EUROPA
STABILITÄT EUROP.
NACHBARREGIONEN
ROLLE RUSSLAND
IN EUROPA
GLOBALE
MACHTPOLITISCHE
ENTWICKLUNGEN
GLOBALE KONFLIKTE
GLOBALE WIRTSCHAFTS-
ENTWICKLUNG & WOHL-
STANDSVERTEILUNG
ROHSTOFF-
VERSORGUNG
INTERNATIONALE
ORGANISATIONEN
(IOS) UND REGIME
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 15
wurde in einer Perspektive von 10 bis 15 Jahren mit einer
wesentlichen Veränderung der äußeren Rahmenbedin-
gungen für Österreichs Sicherheit gerechnet. Im zukünf-
tigen „Erwartungsraum“ befanden sich schon damals
– nach Einschätzung der Experten – jene Szenarien,
deren Kern man wie folgt beschreiben kann: Das globale
Umfeld ist geprägt von einer eher multipolaren, konfron-
tativen Sicherheitsarchitektur, das Verhältnis zu Russland
Verantwortung wesentlich umfassender wahr als gegen-
wärtig, wobei der innere Organisationsgrad der EU bei
aller Differenzierung auch von einer deutlich engeren
Kooperation im Bereich der Verteidigungspolitik gekenn-
zeichnet ist.
Aufbauend auf der Bewertung der sicherheitspolitischen
Österreichische Sicherheitsstrategie und ein Leistungspro-
sah im Kern ein auf nicht-konventionelle Bedrohungen
ausgerichtetes Bundesheer vor, das national und interna-
tional in einen Kooperationsverbund eingebettet ist und
bestmöglich Beiträge im Rahmen einer umfassend ange-
legten Umfeldstabilisierung sowie einer neuausgerichteten
nationalen gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge leistet.
Angesichts der hochgradigen Unsicherheiten im sicher-
heitspolitischen Umfeldsystem sind ein permanentes
Monitoring aktueller Trends und eine Bewertung der
Entwicklungsalternativen der Umfeldfaktoren erforder-
lich. Im Vordergrund des Monitoringprozesses stehen
dabei die Fragen, ob die erkennbare Entwicklung in Rich-
tung des ursprünglichen Erwartungsraumes aus dem
Jahr 2012 weist, worin die größten Unsicherheiten beste-
hen, oder ob überhaupt Trendbrüche erkennbar sind, die
zu einem gänzlich anderen Umfeld führen können und
daher auch gravierende Änderungen in der Verteidigungs-
planung zur Folge hätten.
Gegenwartsraum
Erwartungsraum
LEISTUNGS-
FÄHIGE GSVP
IM DIENSTE
DER UN
2012
DESINTEGRATION
DER EU ERNEUERTE
TRANSATLANTISCHE
PARTNERSCHAFT
REGIONALE
MACHT EU IN
EINER MULTI-
POLAREN WELT
KERNEUROPA
IN EINEM
KONFLIKTIVEN
UMFELD
ZIVILMACHT
EUROPA
WELTORDNUNG
KONFRONTATIVKOOPERATIV
USA EUROPAS
HEGEMON
DARSTELLUNG DER SICHERHEITSPOLITISCHEN UMFELDSZENARIEN
AUS DER SICHT VON 2011
MARGINALISIERUNG
DER EU
EU HANDLUNGSFÄHIG
EU NICHT HANDLUNGSFÄHIG
16 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Im Unterschied zur Vorausschau 2015 hat die Rolle
Russlands in Europa etwas an Relevanz verloren, weil
2. Das verteidigungspolitische Trendsze-
nario für Österreich 2016
Eine aktuelle Bewertung des Systems der Umfeldfak-
toren unter Berücksichtigung der Einzelbeiträge der
„Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2016“ ergibt,
dass wie auch im Jahr davor vor allem sieben Fak-
toren die größte Relevanz für das System des
sicherheitspolitischen Umfeldes für Österreich
besitzen:
1 Globale machtpolitische Entwicklungen
2 Globale Wirtschaftsentwicklung &
Wohlstandsverteilung
3 Rohstoffversorgung
GLOBALES UMFELD
4
5 Internationale Organisationen und Regime
6 Rolle der Nato
GLOBALE SICHERHEITSARCHITEKTUR
7 Regionale Stabilität in Europa
8 Stabilität europäischer Nachbarregionen
9 Rolle Russlands in Europa
RISIKO- & KONFLIKTBILD EUROPA
11 Verteidigungspolitische Kooperationen
12 Leistungsspektrum und Ausrichtung der GSVP
13 EU-Streitkräfteintegration
EUROPÄISCHE SICHERHEITSPOLITIK
EUROPÄISCHE UNION
10 Entwicklung der EU
RELEVANZ DER SCHLÜSSELFAKTOREN FÜR
DIE SICHERHEITSPOLITISCHE
UMFELDENTWICKLUNG ÖSTERREICHS
bestimmend sehr relevant relevant
1
23
5
7
10 12
13
11
8
9
4
6
GLOBALESUMFELD
GLOB.
SICHERHEITSARCHITEKTUR
RISIKO- & KONFLIKTBILD EUROPA
EUROPÄISCHE UNION
EUROP.SICHERHEITSPOLITIK
Die Pfeile zeigen die Veränderungen zum Trendszenarion 2015
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 17
2.1 BESCHREIBUNG DER SCHLÜS-
SELFAKTOREN HINSICHTLICH IHRER
ERWARTBAREN ENTWICKLUNG 2016
2.1.1 Stabilität europäischer
Nachbarregionen
GENERELLE
TRENDBESCHREIBUNG
Die Entwicklungen in der europäischen Nachbar-
schaft haben auf absehbare Zeit eine erhebliche
Beeinträchtigung der Stabilität Europas zur Folge.
Das eurostrategische Umfeld der EU bleibt kon-
-
ken besteht darin, dass die EU in den Nachbarregi-
bedingt über die Ressourcen verfügt, diese Entwick-
-
wicklungen kann die EU somit zunehmend weniger
gegensteuern. Auf militärstrategischer Ebene bleiben
und der zunehmende Bedarf an Stabilisierungskräf-
ten in der jeweiligen Region bis hin zu Interventi-
onskräften zur Bekämpfung der Terrormiliz „Islami-
scher Staat“ (IS) auf der Tagesordnung. Allerdings
ist eine umfassende gegen Europa gerichtete mili-
tärische Bedrohung durch eine außereuropäische
-
tes strategisches Ziel muss die Abgrenzung Europas
POLITISCHE UND MILITRÄSTRATEGI-
SCHE TRENDENTWICKLUNGEN IN DEN
REGIONEN
UKRAINE
Die innenpolitische Situation der Ukraine wird auch
im Jahr 2016 in erster Linie durch ein von Korrup-
tion geschwächtes und destabilisiertes Wirtschafts-
und Finanzsystem geprägt sein. Bei einer weiteren
maßgeblichen Verschlechterung der sozialen Situa-
tion der Bevölkerung ist auch mit größeren gewalt-
samen Protesten, zu rechnen. Die Unzufriedenheit
der Bevölkerung mit der Regierungspolitik und die
allgemeine Kriegsmüdigkeit kommen nicht zuletzt
in der – zur gesellschaftspolitischen Aufbruchsstim-
-
henden – Ablehnung der bestehenden politischen
Parteien und der Regierung wie des Präsidenten
zum Ausdruck. Die Umfragen deuten generell auf
eine Legitimationskrise des politischen Systems hin.
Die Fortsetzung des im Herbst des Jahres 2015
-
den konnte. Hingegen wurde die Stabilität der euro-
päischen Nachbarschaft zum Faktor mit der höchsten
der damit einhergehenden Flüchtlingswelle geschul-
det ist. Zentral bleibt für Österreich weiterhin die
politische Entwicklung der EU, weil die EU nach wie
vor der bestimmende Handlungsrahmen für Öster-
reichs Sicherheit ist und die EU die höchste Hebel-
kraft im sicherheitspolitischen Umfeld Österreichs
aufweist. Zunehmende Bedeutung hat auch der Fak-
tor Regionale Stabilität in Europa, der auch die innere
Lage europäischer Staaten umfasst, gewonnen. Die
genannten Faktoren bilden damit auch den Kern des
Trendszenarios 2016 und haben – abgesehen von den
innerösterreichischen Faktoren wie z B. die außen-
die öffentliche Haushaltsentwicklung – auf Sicht die
größte Relevanz für die Weiterentwicklung der öster-
reichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
18 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
im Südosten der Ukraine scheint aus heutiger Sicht
wahrscheinlich zu sein. Durch das „Einfrieren“ des
-
nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Der Versuch
Mitteln zu lösen, bildet für Moskau die „rote Linie“
Fall würden sich die ohnehin angespannten Bezie-
hungen zwischen dem Westen und der Russischen
Föderation rapide abkühlen, mit nicht absehbaren
Folgen für die gesamte europäische Sicherheit.
Für die Kiewer Führung scheint die Billigung des
-
des – angesichts der bedrohlichen Wirtschafts- und
Soziallage – mittlerweile unumgänglich zu sein. Auf
diese Weise würden Kapazitäten freigesetzt, um
die dringenden Reformen (nicht zuletzt eine Ver-
fassungsreform) umzusetzen und die eingeleiteten
-
nationalistischer Kräfte fortzuführen. Das fragile
-
hen Kiews in der Frage der gesellschaftlichen Kon-
solidierung ab. Eine wichtige Voraussetzung stellt
-
schaft tief verwurzelten ideologischen Spannungen
-
tung mit der NATO und der EU offenen – Zent-
ral- und Westukraine einerseits und der Russland-
zahlreicher innerer Probleme scheint aber aus der-
zeitiger Sicht angesichts der bestehenden strukturel-
-
kante Auswirkungen auf das fragile politische Sys-
tem vorprogrammiert.
WESTBALKAN
Die derzeitige Entwicklung am Westbalkan ent-
spricht weiterhin dem Szenario eines „stabilitäts-
gefährdenden Stillstands“, insbesondere was die
stagnierende Annäherung an die EU und die erfor-
derliche Weiterentwicklung von Wirtschaft, Rechts-
staatlichkeit und politischer Stabilität betrifft. Das
aktuell größte Risiko resultiert aus einer Nichtbewäl-
tigung der Flüchtlingskrise, was dazu führen könnte,
dass Flüchtlinge massenweise in den Westbalkan-
staaten stranden und so das schwache wirtschaft-
Räumlich begrenzte gewaltsame Auseinandersetzun-
gen sind am Westbalkan wegen weiter bestehender
politischer und ökonomischer Instabilitäten sowie
-
bruch neuer Balkankriege großen Ausmaßes ist unter
der Voraussetzung einer fortgesetzten EU-Konso-
lidierungspolitik gegenüber der Region in absehba-
rer Zeit unwahrscheinlich. Eine Schwächung der EU
als respektierter Akteur mit proaktivem Engagement
könnte Antagonismen am Westbalkan jedoch gefähr-
lich verschärfen. Wegen noch bestehender Instabi-
litäten bleibt die Präsenz von EUFOR ALTHEA in
Bosnien und Herzegowina und KFOR im Kosovo
als Sicherheitsnetz notwendig. Eine verstärkte Auf-
merksamkeit ist den islamistischen Tendenzen zu
widmen.
ISLAMISCHE REPUBLIK IRAN
Die Plausibilität nimmt zu, dass der Iran mittelfris-
tig (sechs bis zwei Monate) an den Rand einer erns-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 19
ten innenpolitischen Krise kommen könnte, weil
Präsident Hassan Rohanis Reformen Widerstand
extremistischer Kreise entgegenschlägt. Nach jet-
zigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass
es ihm gelingen wird, diese Krise zu bewältigen.
Dabei verbraucht er jedoch seine politische Energie
Schließlich ist derzeit nicht abzusehen, wie die politi-
schen Eliten des Landes mit dem allfälligen Ableben
der Urgesteine der Revolution – Ali Khamenei und
Das Szenario eines verschärften Verteilungskampfes
ist dabei durchaus möglich, blickt man auf die chao-
tischen knapp vierzig Jahre der Islamischen Republik
zurück, dann erwiesen sich die revolutionären Eli-
ten nicht nur als lernfähig, sondern auch als durch-
aus in der Lage, mit dramatischen Situation und Kri-
sen umzugehen.
In außenpolitischer Hinsicht kann der Iran die Situ-
ation im Irak weitgehend unter Kontrolle behalten,
steckt gleichzeitig jedoch in Syrien fest. Das Eska-
lationspotential mit Saudi-Arabien bleibt unver-
mindert hoch, aber unter der strategischen Eska-
lationsschwelle. Eine direkte saudisch-iranische
Konfrontation kann jedoch als Worst Case nicht
gänzlich ausgeschlossen werden.
DER MITTLERE OSTEN
Die gesamte Region des Mittleren Ostens ist von einer
höchst instabilen sicherheitspolitischen und wirt-
von einer undurchschaubaren Vermischung staatli-
cher und nichtstaatlicher Akteure geprägt. Von beson-
derer Bedeutung sind die Machtdiffusion zwischen
den Staaten und der Aufstieg nichtstaatlicher Akteure.
Aufgrund der divergierenden Interessen der wesent-
lichen Akteure USA, Russland, Saudi-Arabien, Iran,
Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Türkei und
-
kapazitäten der UNO ist kurz- und mittelfristig gese-
hen keine Befriedung der Region absehbar. Der isra-
Mittelpunkt der regionalen Politik stand, wird durch
die umgebenden Ereignisse in Syrien und Irak über-
Staaten der Region wütet, verhindert den Fokus auf
wirtschaftliche und politische Herausforderungen wie
die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Korruptionsbekämp-
fung, politische Partizipation oder Sicherheitssektor-
reformen. Die wirtschaftliche Not führt zu verstärkter
Perspektivenlosigkeit, insbesondere unter der jungen
-
rungen weiterhin Nährboden zur Rekrutierung.
In vielerlei Hinsicht durchlebt die Region ein verlore-
nes Jahrzehnt ohne Fortschritte bei der Beseitigung
dennoch ist ein totaler Zusammenbruch der Staaten
auf der arabischen Halbinsel nicht absehbar.
Trotz der Instabilitäten in dieser Region haben
diese Faktoren geringe und allenfalls nur räumlich
begrenzte Auswirkungen auf Europa. Zu den Bedro-
hungen für Europa zählen in diesem Kontext Ter-
rorattentate, die von Einzeltätern durchgeführt und
von Terrorgruppen zumindest ideologisch unterstützt
werden, sowie verstärkte Flüchtlingsströme, insbeson-
dere aus Syrien, dem Irak, Palästina und Ägypten. Mit
Prozess eingeleitet, an dessen Ende im günstigen Fall
mittelfristig ein Ende der Kampfhandlungen stehen
könnte. Kurzfristig kann mit einer Eskalation im Syri-
enkrieg gerechnet werden.
20 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
TÜRKEI
Die Türkei entwickelt sich zu einem Schlüsselstaat
für die europäische Sicherheit mit tendenziell proble-
matischer Ausrichtung. So entwickelt sich die innere
Verfassung des Landes in einer zunehmend zur EU
inkompatiblen Weise. Auch die Polarisierungspolitik
-
-
bilität in der Türkei allerdings würde die Sicherheit
in Südosteuropa und in der Schwarzmeerregion dra-
matisch schwächen und die negativen Auswirkun-
-
in der Diaspora in Europa fortsetzen, und die Tür-
kei könnte in der Flüchtlingspolitik nicht nur die
Kooperation mit der EU einschränken, sondern auch
selbst zum vermehrten Auslöser neuer Migrations-
ströme in die EU werden. Europa ist gefordert, eine
Balance zwischen Kooperation und Abhängigkeit zu
NORDAFRIKA
-
lungen über eine einheitliche Regierung in Libyen
werden räumlich begrenzte Auseinandersetzungen
das Bild prägen. Diese haben aber vorerst nicht das
Potential, die gesamte Region zu destabilisieren. Für
die anderen Staaten Nordafrikas sind für den Beob-
-
litischen Veränderungen zu erwarten. Ägypten und
Tunesien werden mit terroristischen Bedrohungen
und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft kon-
frontiert bleiben. Eine fundamentale Veränderung
der Sicherheitssituation könnte im Falle eines massi-
ven Ausweichens von „IS“-Kämpfern in den Nord-
afrikanischen Raum erfolgen.
TRENDSTABILIÄT UND
UNSICHERHEITEN
Der aktuelle Trend in Bezug auf die Stabilität euro-
päischer Nachbarregionen scheint trotz erhebli-
cher Unsicherheiten relativ stabil zu sein, wenngleich
Tendenzen in Richtung starke Beeinträchtigung
mit europaweiter Ausweitung vorhanden sind. Dies
zur EU, sondern eher in Form der Kumulierung ver-
schiedener Faktoren wie etwa der Flüchtlingskrise
und des islamistischen Terrorismus, die v.a. die poli-
tische Stabilität der EU und einzelner Mitglieds-
staaten vor eine ernste Herausforderung stellt. Die
-
ine, im Nahen und Mittleren Osten und in Nord-
afrika wie auch die Stagnation der Entwicklung auf
dem Westbalkan sowie die problematische Entwick-
lung in der Türkei scheinen derzeit noch beherrsch-
bar. Zumal auch die Auswirkungen auf die zu den
Krisenregionen unmittelbar angrenzenden EU-Staa-
ten noch beschränkt sind. Allerdings bestehen für
die EU erhebliche Risiken, insbesondere durch ein
Ausweichen des in Syrien und im Irak bekämpften
islamistischen Terrorismus nach Nordafrika. Failed-
State-Szenarien in Nordafrika würden das Terror-
-
küste und in der Sahelzone erheblich steigern, wobei
insbesondere die Lage in Libyen prekär bleibt.
2.1.2 Die Rolle Russlands in
Europa
GENERELLE
TRENDBESCHREIBUNG
Der bereits seit Jahren anhaltende Trend eines
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 21
der EU und Russland setzt sich weiter fort. Die Ent-
fremdung der letzten Jahre hat mit der Ukrainekrise
-
tionen Russlands sind klar auf eine Absicherung der
-
hend auf eine Verhinderung der weiteren Ausbrei-
tung von EU und NATO ausgerichtet. Russland
vollzieht in eigener Wahrnehmung somit eine reak-
tive Defensivstrategie. Damit verbunden ist aber
auch die Ambition Russlands nach einer stärkeren
eigenständigen Rolle in den internationalen Organi-
sationen und in globalen Ordnungsfragen.
POLITISCHE UND MILITÄRSTRATEGI-
SCHE ENTWICKLUNGEN
Vor dem Hintergrund der Konfrontation mit dem
Westen wird das innenpolitische Klima Russlands
zunehmend autoritärer. Dies wird die Widersprü-
che mit Europa verstärken. Der Eintritt in einen
neuen Zyklus geokultureller Konfrontation mit
einer an den östlichen Rand Europas verscho-
benen kulturellen „Bruchlinie“ erscheint immer
wahrscheinlicher.
Die Sanktionen stellen selbst im Falle der Auf-
hebung bzw. erheblichen Lockerung zweifels-
ohne eine tiefe Zäsur in den Beziehungen zwi-
schen Russland und Europa dar. Das Fortführen
-
ten „strategischen Partnerschaft“ der vergange-
nen zwei Dekaden ist aus heutiger Sicht schwer
vorstellbar, weswegen es eines neuen Beziehungs-
modells bedarf. Zu lösen gilt es auch die im Hinter-
grund stehende Schlüsselfrage, inwieweit es Europa
gelingt, sich von US-amerikanischen geoökonomi-
schen und strategischen Interessen zu emanzipie-
ren. Da dies auch in absehbarer Zeit nicht in euro-
päischem Sinne beantwortet werden dürfte, ist eine
Prolongierung innereuropäischer Widersprüche
in Bezug auf den Umgang mit Russland die wahr-
scheinliche Konsequenz.
Dennoch ist eine pragmatisch-beschränkte Partner-
schaft mit dem Westen u. a. zum Zwecke der Moder-
nisierung der Wirtschaft durch Technologieimport
vorstellbar und nach Aufhebung der gegenseitigen
Sanktionen wahrscheinlich.
Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Russ-
lands entspricht dieser generellen politischen Ambi-
tion. Die russischen Streitkräfte werden im Zuge
der jüngsten Reformen in Richtung kleinerer, im
-
rer Einheiten umstrukturiert, um sich an die neuen
Bedrohungen anpassen zu können. Die Reformen
erfolgen unter besonderer Berücksichtigung der Ein-
sätze während des Bürgerkrieges in Tadschikistan
(Anfang der 1990er Jahre), der beiden Militärein-
sätze in Tschetschenien (Mitte und Ende der 1990er
bzw. Anfang der 2000er Jahre) sowie des Fünftage-
Jahr 2009 beschlossenen „Sicherheitsstrategie 2020“
steht die Welt vor einer neuen Ära des internatio-
nalen Ringens um Rohstoffe. Die russische Füh-
russischen Nachbarschaft, v. a. im Nahen Osten,
in der Arktis, Barentssee, im kaspischen Raum und
in Zentralasien. Das rohstoffreiche Russland sieht
sich als besonders begehrte und deshalb bedrohte
Ressourcenquelle.
Lichte des russischen Syrieneinsatzes, des Vorgehens
gegen den sogenannten „IS“ und der terroristischen
Bedrohung Europas außerordentlich hoch. Beson-
22 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ders problematisch erweist sich hierbei der Nordkau-
kasus als „inneres Ausland“. In diesem Zusammen-
hang können sich die EU bzw. einzelne EU-Staaten
als wichtige Verbündete erweisen. Auch die wichtigs-
ten gegenwärtigen Tendenzen der russischen Außen-
im Südosten der Ukraine, Stabilität von Südkauka-
sus und Zentralasien – zielen auf eine Verbesserung
der Beziehung zum Westen ab. Die Stabilisierung
des Verhältnisses zum Westen wird jedoch nicht
in einem einseitigen Entgegenkommen gegenüber
Washington und Brüssel bestehen. Viel mehr wird
Moskau weiter auf die Anerkennung der Legitimität
russischer Interessen drängen. Als Idealoption sieht
Russland eine Beteiligung am internationalen „Kon-
der USA, der EU und Chinas.
TRENDSTABILITÄT BZW UNSICHERHEIT
Der für den aktuellen Trend hochrelevante Fortbe-
stand der Stabilität Russlands erscheint mittelfris-
tig gegeben zu sein, wobei im Falle der Fortführung
der Sanktionspolitik die Wirtschaft ab dem Jahr 2017
unter massiven Druck geraten dürfte. Im Worst Case
könnten – wenngleich aus heutiger Sicht unwahr-
scheinlich – Zerfallserscheinungen der Russischen
Föderation erwartet werden. Für das Eintreten dieser
Entwicklung wäre jedoch ein rascher Fall der gegen-
wärtigen Kremlführung vorausgesetzt. Die Wahr-
scheinlichkeit für eine solche Entwicklung unter
dem Druck der Wirtschaftskrise – im Wege einer
von bestimmten Elitegruppen geleiteten Palastre-
volte oder einer nach ukrainischem Vorbild ablaufen-
den „Volksrevolution“ – ist jedenfalls bis zu den Prä-
sidentschaftswahlen 2018 bzw. 2024 als sehr gering
zu betrachten.
Auch eine andere denkbare Entwicklung entbehrt
eines gegenüber dem Westen konfrontativen umfas-
-
kalen Wechsel in der militärstrategischen Ambition
sprechen fundamentale politische wirtschaftliche
-
ausforderung des Westens keine relevanten strategi-
schen Vorteile lukrieren und müsste den Militärap-
parat über die bestehenden Planungen hinaus massiv
weiterentwickeln. Schon die bisherigen Planungen
sind aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung
nicht mehr einzuhalten. Die russische Wirtschaft
müsste etwa bei einer weiteren Verschärfung der
Konfrontation mit dem Westen mit einem wesent-
lich schärferen Sanktionsregime rechnen. Die nega-
tiven Tendenzen der russischen Wirtschaft würden
sich dadurch erheblich verstärken und das gesamte
Wirtschafts- und Sozialsystem an den Rand eines
Totalkollapses bringen, mit nicht absehbaren Fol-
gen für das politische System und die innere Stabili-
tät des Landes.
2.1.3 Globale machtpolitische
Entwicklungen
TRENDBESCHREIBUNG
Die Ambitionen Russlands wie auch anderer BRICS-
Staaten sowie die außen- und sicherheitspolitische
zur Ausbalancierung der chinesischen Machtansprü-
che weisen in Richtung eines globalen Systems, das
von einer konfrontativen Multipolarität gekennzeich-
net ist.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 23
TRENDSTABILITÄT BZW UNSICHERHEIT
Es gibt wenige Anzeichen, dass es globalstrategisch
2016 zu einer Trendumkehr zurück zu mehr Koope-
ration, effektivem Multilateralismus und wiederbe-
Trend zu weiterer globaler Fragmentierung und zur
lungen und Ordnungsfähigkeit mit einhergehender
ten. Wesentliche entwicklungsbestimmende Vorent-
scheidungen werden in diesem Zusammenhang der
Ausgang der Verhandlungen über die Transatlanti-
sche Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP),
die Ergebnisse der Weltklimakonferenz (Paris), die
Umsetzung des Nuklearabkommens mit dem Iran,
die globale Weltwirtschaftsentwicklung sowie die
Entwicklung der weltpolitisch bedeutsamen Span-
nungen im Ostchinesischen Meer zwischen dem
Westen und Russland einerseits und zwischen China
und Japan anderseits sein. Die westliche sicher-
heitspolitische Handlungsfähigkeit wird v. a. von
der wachsenden Ermüdung der US-amerikanischen
Bevölkerung im Willen zu globaler sicherheitspoli-
tischer Ordnungs- und Verantwortungsübernahme
und vom einsetzenden Wahlkampf um das Amt im
Weißen Haus mitbestimmt sein.
TRENDBESCHREIBUNG
Aufgrund der mangelnden Kon-
sationen wie auch der divergierenden Interessen der
großen Mächte ist mit einer Zunahme der Intensität
sowohl staatliche wie mit steigender Tendenz auch
nichtstaatliche Akteure involviert sind. Von besonde-
rer Bedeutung ist dabei die Diffusion von Macht von
Staaten zu nichtstaatlichen Akteuren bis hin zu Ein-
zelpersonen. Heute verfügen nichtstaatliche Akteure
und „Superempowered Individuals“ über Potentiale,
die bislang Staaten vorbehalten waren, wobei gerade
deren Verhalten sich der Vorhersehbarkeit weitge-
hend entzieht und jederzeit „strategische Schocker-
eignisse“ auslösen kann.
Auf geopolitischer Ebene ist festzustellen, dass ange-
sichts fehlender gemeinsamer Ordnungsvorstellun-
gen der großen Mächte USA, Russland, China und
EU sowie der fragilen globalen wirtschaftlichen
nach dem Wiener Kongress äußerst unsicher ist und
oder im Nahen Osten zu weiteren massiven Verwer-
fungen führen können, denen die EU mangels ver-
fügbarer kollektiver sicherheitspolitischer und mili-
tärischer Handlungsfähigkeit weitgehend passiv
gegenüber stünde.
Die Effektivität internationaler Organisationen und
Regime bleibt eingeschränkt, da deren Akzeptanz
aufgrund der zunehmenden Rivalität der Weltord-
nungsvorstellungen einzelner Mächte nur auf jene
Bereiche beschränkt ist, wo gemeinsame Interessen
Auf Ebene der Vereinten Nationen setzt sich der
Trend zu anspruchsvolleren, risikoreicheren Frie-
denseinsätzen und zur Implementierung robuste-
rer Mandate fort. Truppenstellende Nationen sind
daher zunehmend gefordert, den Vereinten Nationen
24 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
für diese neuen Szenarien militärische Einheiten mit
verbessertem Schutz, höherer Mobilität und moder-
ner technologischer Ausrüstung zur Verfügung zu
stellen.
2.1.5 Die Rolle der NATO
Aktuell ist eine Veränderung der
strategischen Rolle der NATO
festzustellen. Lag in den letzten
zwei Jahrzehnten der Fokus auf Out-of-Area-Kri-
senmanagementeinsätzen unter teilweise drasti-
scher Reduzierung der Bedeutung des Artikels
5, steht eben diese Bündnisverteidigung nun im
der Agenda.
und vor dem Hintergrund der innenpolitischen Ent-
wicklungen der USA kann nicht als sicher angenom-
men werden, dass die NATO die militärische Sicher-
heit in der europäischen Nachbarschaft garantiert.
Es werden zwar Artikel-5-Aufgaben im Lichte der
Ukrainekrise zumindest auf der politischen Agenda
wieder stärker in den Vordergrund treten, eine nach-
haltige Stärkung von Verteidigungsanstrengungen
in den Bereichen Streitkräfteentwicklung, Disloka-
tion und Übungen ist aber vorerst nicht abzusehen.
Bislang war die NATO vor allem im südlichen Kri-
senbogen weitgehend absent. Dies könnte sich 2016
durch die Übernahme einer Unterstützungsmission
für die irakische Regierung im Kampf gegen den
„IS“ ändern. So wird die NATO auch 2016 zwischen
managementeinsätze und einer Rückwendung zur
Territorialverteidigung schwanken sowie versuchen,
dem Trend zur weiteren Reduzierung der nationa-
len Verteidigungsbudgets entgegenzusteuern. Das
Spannungsverhältnis konkurrierender Sicherheits-
bedürfnisse und Bedrohungsperzeptionen zwischen
2016 in Warschau bestimmen. Darüber hinaus sind
forcierte Bestrebungen seitens der Allianz erkenn-
bar, über das Thema „hybride Bedrohungen“ ver-
gewinnen.
2.1.6 EU-Entwicklung
TRENDBESCHREIBUNG
Den dargestellten globalen und
eurostrategischen Herausforderungen steht eine
Union gegenüber, die auf Sicht gesamthaft keine wei-
teren substantiellen Integrationsschritte vornehmen,
sondern eher danach trachten wird, den aktuellen
Integrationsbestand zu erhalten. Eine internationale
Marginalisierung der EU mit der Konsequenz dras-
fähigkeit des relevanten Umfelds kristallisiert sich
immer mehr heraus.
Auf Sicht scheint die Stabilität der relevanten EU-
Mitgliedsstaaten gegeben, sodass vorerst mit keinen
disruptiven Ereignissen in der EU selbst zu rechnen
ist. Es gibt in einigen EU-Staaten zwar erhebliche
Probleme in den Bereichen Wirtschaftsentwicklung,
Arbeitslosigkeit, politischer Extremismus, Rechts-
staatlichkeit, Umgang mit Flüchtlingen, Migration
und Integration sowie soziale Stabilität, aber insge-
samt können Wille und Leistungsfähigkeit Europas
derzeit noch so eingeschätzt werden, dass die aktuel-
len Herausforderungen zu bewältigen sind.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 25
TRENDSTABILITÄT UND
UNSICHERHEITEN
Von zentraler Bedeutung für die EU bleiben die
Überwindung der Folgen der Wirtschafts- und
Finanzkrise im Euroraum und zusätzlich die Bewäl-
tigung der Flüchtlingskrise. Zunehmend in den
Fokus gerät dabei die Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands mit seiner bislang dominierenden Rolle als
politische und wirtschaftliche Macht. Bislang konnte
Deutschland gravierende Desintegrationsschritte
der EU verhindern und in außenpolitischen Krisen
wie jener um die Ukraine die Führung übernehmen.
Indikatoren zeigen allerdings an, dass es infolge der
multiplen Herausforderungen für die deutsche Poli-
tik zu einer Schwächung des politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Systems Deutschlands kom-
men könnte. Hierin besteht auf Sicht das wohl größte
Risiko für Europa und damit auch für Österreich.
Eine derartige Entwicklung würde die politische,
wirtschaftliche und Führungskrise der EU drama-
tisch verschärfen.
Die bereits eingetretene Spaltung entlang der politi-
schen und auch ökonomischen Interessen der Mit-
gliedsstaaten dürfte zunehmen, was nicht nur zu
erheblichen Bruchlinien in Europa führen dürfte,
sondern auch massive Divergenzen im Umgang mit
externen Herausforderungen hervorbringen wird.
Denkbar ist allerdings, dass sich ein derzeit noch
schwacher Trend zu einer verstärkten Zusammen-
arbeit zwischen einzelnen EU-Mitgliedsstaaten mit
ähnlicher Interessens- und Wirtschaftslage in varia-
bler Zusammensetzung verstärken könnte. Offen ist
allerdings, ob sich daraus eine Kerngruppen-Forma-
tion entwickeln kann, die auch eine Vertiefung im
Bereich der Verteidigung anstrebt.
Eine weitere Ursache für eine Trendänderung könnte
ein sich allfällig abzeichnender Ausstieg des Verei-
nigten Königreichs aus der EU sein.
Auch in Bezug auf die innere Stabilität relevanter
EU-Mitgliedsstaaten müssen erhebliche Unsicher-
heiten im Auge behalten werden. Extremereignisse
wie ein zweiter Finanzkollaps, Terroranschläge, die
Nichtbewältigung der Migrationsfrage in Kombina-
tion mit politischem Extremismus, verstärkte Spill-
Over-Effekte der Krisen in der Ukraine sowie ins-
besondere aus der MENA-Region könnten rasch zu
einer substanziellen Lageverschlechterung führen.
2.1.7 Leistungsspektrum und
Ausrichtung der GSVP, EU-
Streitkräfteintegration und
Kooperationen
TRENDBESCHREIBUNG
Die EU kann ihr sicherheits- und verteidigungs-
politisches Potential weiterhin nicht vollumfäng-
wird im unteren bis mittleren Krisenmanagement
liegen, wobei das Militär im Rahmen des breit ange-
legten Krisenmanagementansatzes der EU auch wei-
terhin nur eine eingeschränkte Rolle zu übernehmen
hat. Obwohl die Ambition einer autonomen Vertei-
digung der EU auch weiterhin nicht auf der Agenda
steht, sind einzelne Ansätze bei den strategischen
Fähigkeiten, bei Hauptquartieren und in der Rüstung
in Richtung autonomer militärischer Fähigkeiten
erkennbar. Der Trend bei Krisenmanagementeinsät-
bis mittlere zivil-militärische Operationen maximal
26 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
mittlerer Intensität bei zunehmender Bedeutung von
Unterstützungsmissionen für die Bereiche Wieder-
-
-
TRENDSTABILITÄT UND
UNSICHERHEITEN
Entwicklung rückt das Thema „Verteidigung“ wie-
der stärker in den Fokus europäischer Politik.
Die Frage ist nun, ob mit der erstmaligen Aktivie-
rung der „Beistandsklausel“ am 17. November 2015
durch Frankreich eine Trendwende eingetreten
ist. Die politische Motivation Frankreichs für die-
sen Schritt war es zunächst, eine breite Solidarität
und Unterstützung einzuholen. Die konkreten Bei-
träge werden bilateral unter Berücksichtigung der
Fähigkeiten und Interessen der Mitgliedsstaaten aus-
verhandelt. Neben direkter Unterstützung für den
Kampf gegen den „IS“ in Syrien und im Irak stehen
„Entlastungsbeiträge“ für das französische Engage-
ment in Afrika und in der Levante im Mittelpunkt
der Überlegung. Damit soll einerseits ein politi-
sches Signal an die Bürger in Frankreich und der EU
abgegeben werden, dass der Kampf gegen den „IS“
eine europäische Aufgabe ist und nicht primär eine
der NATO und dass Frankreich dabei nicht alleine
-
siert werden. Ob daraus schon eine Trendwende hin
zu einer nun eigenständigen Verteidigung Europas
abgeleitet werden kann, ist offen. Zudem besteht ein
erhebliches Risiko, dass eine folgenlose Aktivierung
der Beistandsklausel zu einem weiteren Vertrauens-
verlust in die EU führen könnte.
Der Trend zur Etablierung vielfältiger Kooperati-
onsprojekte wird vor allem aufgrund national limi-
tierter Ressourcen weitergehen. Allerdings wird es
bei den relevanten EU Mitgliedsstaaten keinen Ver-
zicht auf Kernfähigkeiten geben. Sie werden ihre
eigenständige nationale Handlungsfähigkeit erhalten
wollen, was insgesamt im europäischen Kontext den
Fortbestand strategischer Inkohärenz prolongiert.
Tatsächlich sind die gemeinsamen europäischen
Es werden nur etwa 15 Prozent der verfügbaren
Investitionsgelder in Form gemeinsamer europäi-
scher Projekte ausgegeben. In der Praxis dominie-
ren Kooperationsvorhaben, die aufgrund nationaler
limitierter Ressourcen und nationaler Interessens-
lagen angestoßen werden. Eine arbeitsteilige Vor-
gangsweise und ein Verzicht auf Kernfähigkei-
ten hat angesichts strategischer Inkohärenzen noch
nicht Platz gegriffen. Kooperationsbereitschaft ist
daher weiterhin eng an die Erhaltung möglichst
umfassender nationaler Handlungsfähigkeit gebun-
Staaten und weniger auf Ebene der EU-28 statt.
Also keine Europa-Armee sondern Bildung von
regionalen (z.B. Nordische Kooperation oder Vise-
-
port oder Cyber) Fähigkeitsclustern. Damit kön-
nen jedoch gesamteuropäische Fähigkeitslücken bei
strategischen Systemen wie z.B. Aufklärung oder
Drohnen nicht gänzlich geschlossen werden. Die
eingeschränkte eigenständige militärische Hand-
lungsfähigkeit der EU prolongiert auch die Abhän-
gigkeit von den USA. Am erfolgversprechendsten
bleiben Kooperationen zwischen EU-Staaten mit
ähnlicher sicherheitspolitischer Interessenslage und
vergleichbaren Militärkulturen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 27
TRENDBESCHREIBUNG
integrierte Streitkräfte statt, selbst der Einsatz von
EU-Battlegroups zeichnet sich nicht ab. Übungen
und Ausbildung werden weiter in eingeschränktem
Rahmen und unter Rückgriff auf NATO-Standards
Trotz einstimmiger politischer Einsatzentscheidun-
gen ist die Aufbietung der erforderlichen Kräfte
weiterhin nur mit großem Aufwand möglich. Staa-
ten, die in den Einsatz gehen und die damit verbun-
bislang keinen Einsatz einer EU-Battlegroup gege-
ben hat. Trotz begrüßenswerter Ansätze in Rich-
tung systematischer gemeinsamer Streitkräfte-
planung sind auch weiterhin keine verbindlichen
gesamteuropäischen Planungsvorgaben zu erwar-
ten. Der Qualitätssprung von freiwilliger Koope-
ration zu gelenkter Integration bleibt daher im
Bereich der Verteidigung aus. Im Vordergrund wer-
den auch weiterhin „Pooling und Sharing“-Koope-
rationen zwischen gleichgesinnten Staaten und der
Ausbau regionaler zweckorientierter Kooperations-
formate stehen.
cher Einsa
g der er
t groß
n Ein
Bereich der Vertei
rhin „Pool
hgesinn
ntierte
Das Trendszenario 2016 weist im Vergleich zum
Trendszenario 2015 bei drei der hochrelevanten Fak-
sich der Trend der
und der
der EU. Hingegen zeigen die Indikatoren des Faktors
3. ZUSAMMENFASSUNG: Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage der EU
und Österreichs im Jahr 2016
Rolle Russland in Europa, dass eine weitere Steige-
rung des konfrontativen Verhältnisses zwischen Russ-
land und den EU wenig plausibel ist. Zunehmende
Aufmerksamkeit sollte auch der Faktor Beeinträchti-
gung der Stabilität in Europa genießen, dies vor allem
wegen der Migrationsströme, den Folgen der Wirt-
Gegenwartsraum
Erwartungsraum
LEISTUNGS-
FÄHIGE GSVP
IM DIENSTE
DER UN
2012
DESINTEGRATION
DER EU ERNEUERTE
TRANSATLANTISCHE
PARTNERSCHAFT
REGIONALE
MACHT EU IN
EINER MULTI-
POLAREN WELT
KERNEUROPA
IN EINEM
KONFLIKTIVEN
UMFELD
ZIVILMACHT
EUROPA
WELTORDNUNG
KONFRONTATIVKOOPERATIV
USA EUROPAS
HEGEMON
DARSTELLUNG DER SICHERHEITSPOLITISCHEN UMFELDSZENARIEN
AUS DER SICHT VON 2011
MARGINALISIERUNG
DER EU
EU HANDLUNGSFÄHIG
EU EINGESCHRÄNKT HANDLUNGSFÄHIG
päischen Nachbarschaft mit weitreichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit und die Resilienz
der EU und ihrer Mitgliedsstaaten – insbesondere durch Migration und Terrorismus. Aus den anhalten-
den zentrifugalen Kräften innerhalb der EU resultieren nach außen eine eingeschränkte Gestaltungsfä-
higkeit und eine schwindende Solidarität bei der Bewältigung von Herausforderungen im Inneren. Trotz
europaweiter Stabilisierung der Verteidigungsbudgets ist die EU auch weiterhin nicht in der Lage, ei-
genständig größere Operationen zur Wahrung vitaler Sicherheitsinteressen durchzuführen.
TREND-
SZENARIO
2015
TREND-
SZENARIO
2016
?
?
28 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
schafts- und Finanzkrise sowie der damit einherge-
henden zunehmenden sozialen und politischen Polari-
sierung innerhalb der EU.
Zudem werden vor dem Hintergrund anhaltender
Konjunkturschwäche und eines erwartbaren nur mini-
-
len Ressourcen für die dringend notwendigen Stabi-
lisierungsmaßnahmen an der südlichen und östlichen
Peripherie der EU limitiert sein.
Somit steht die EU in noch dramatischerer Weise als
2015 vor dem Scheideweg, ob sie den aktuellen und
über die Migrationskrise noch verstärkten Trend in
Richtung Renationalisierung überwinden und auch im
Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik die
Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten hin zu einem
leistungsfähigen Kern auf den Weg bringen kann.
Die Bewertung der Anschläge von Paris am 13.
November 2015 sowie die „Aktivierung“ der EU-Bei-
-
selfaktor oder gar dem ganzen Szenario eine andere
Richtung gibt, fällt zurückhaltend aus. Das Ausmaß
der Anschläge – allenfalls auch noch folgende – liegt
-
konventionelle Kampfmittel zum Einsatz kommen
und keine Massenvernichtungswaffen. Die zentrale
Herausforderung liegt daher eher darin, die politische
und soziale Stabilität in den aktuellen und mögli-
chen weiteren Anschlagsländern aufrechtzuerhal-
ten wie auch darin, ein Mindestmaß an europäischer
dem EU-Vertrag, wenn sie über die Symbolik nicht
hinausgeht und keinerlei Impulse für Verteidigungsan-
strengungen setzt, die diesen Namen auch verdienen.
Das aus den dargestellten plausiblen Entwicklun-
gen der Schlüsselfaktoren abgeleitete Trendszena-
rio 2016 liegt somit noch in der generellen Richtung
-
trächtigen globalen Weltordnung“, wobei die sicher-
heitspolitische Funktions(un)fähigkeit der EU zum
entscheidenden Unsicherheitsfaktor wird. Mit einem
Trendbruch dergestalt, dass die EU an einer leistungs-
scheitert, müssten andere Zukunftsszenarien in den
Erwartungsraum miteingebunden werden und zur
werden. Diese wären davon gekennzeichnet, dass in
-
chenden negativen Folgen für die politische, wirt-
schaftliche und soziale Resilienz der EU. Im besten
Falle könnte die EU in diesem Fall mit einer erneuer-
ten atlantischen Allianz ihren Bedeutungsverlust par-
tiell kompensieren, was allerdings nur um den Preis
gesteigerter Abhängigkeiten erfolgen würde.
Vor dem Hintergrund dieses Trenszenarios 2016 erge-
ben sich für die österreichische Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik in den unterschiedlichen Dimensio-
nen folgende Handlungsstränge:
• Stärkung der Resilienz,
• Weiterentwicklung der Verteidigungsplanungen,
•
Kooperationen sowie das
• Erfordernis von vermehrten und robusteren Bei-
trägen zur Umfeldstabilisierung.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 29
STÄRKUNG DER RESILIENZ ÖSTERREICHS
Angesichts der multiplen Krisen, mit denen die EU
und ihre Mitgliedsstaaten konfrontiert sind, stellt
sich immer mehr die Frage nach der Resilienz einzel-
-
enz kann ganz allgemein verstanden werden als die
Fähigkeit, mit– vorhergesehen bzw. unvorhergesehen
– Ereignissen umgehen zu können. Diese Fähigkeit
ist in einem sich grundlegend und dynamisch wan-
delnden Sicherheitsumfeld für einen Staat, seine Leis-
tungsfähigkeit und damit langfristig auch für seine
Legitimation gegenüber den Bürgerinnen und Bür-
gern von entscheidender Bedeutung. Die Resilienz
setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Robust-
heit als Fähigkeit, erwartete Ereignisse zu bewältigen,
und Agilität als Lern- und Entwicklungsfähigkeit im
Umgang mit unerwarteten Ereignissen.
Resilienz geht somit auch einher mit der Strategiefä-
higkeit von Staaten, also mit der Fähigkeit, Herausfor-
derungen, Risiken und Bedrohungen so früh als mög-
lich zu erkennen sowie hinsichtlich ihrer Relevanz für
den eigenen Staat zu analysieren, zeitgerecht kohä-
rente und wo erforderlich gesamtstaatliche Strategie-
optionen für die Staatsführung zu entwickeln und
nach einer politischen Entscheidung deren Umset-
zung zu begleiten. Der Umgang mit den Krisen der
letzten Jahre, mit denen Österreich konfrontiert war,
legt den Schluss nahe, dass hier ein gesamtstaatliches
-
rung in der ÖSS und in den letzten Regierungspro-
grammen konnten bislang keine adäquaten leistungs-
fähigen Strukturen zur strategischen Vorausschau und
Entwicklung von gesamtstaatlichen Handlungsopti-
onen im Rahmen eines gesamtstaatlichen Lagezent-
rums geschaffen werden. Österreich mangelt es somit
– und das ist auf Sicht eines der essentiellsten Sicher-
wesentlichen Voraussetzungen seiner Strategiefähig-
keit. Zu den prioritären sicherheitspolitischen Aufga-
benstellungen 2016 zählt somit die Einrichtung eines
gesamtstaatlichen Lagezentrums.
WEITERENTWICKLUNG DER
VERTEIDGUNGSPLANUNGEN
Die aktuellen Entwicklungen in Osteuropa, im Nahen
Osten, in Nordafrika aber auch in Europa erfordern
keine grundlegenden Veränderungen in der strategi-
schen Ausrichtung. Vielmehr wird die Richtigkeit und
Notwendigkeit der konsequenten Ausrichtung auf die
einsatzwahrscheinlichen Aufgaben, wie sie im Struk-
turpaket „ÖBH 2018“ ausgeplant wurden, grundsätz-
lich bestätigt.
So ist weiterhin von keinem gesteigerten konventio-
nellen militärischen Risiko für Österreich auszugehen.
Aktualisiert hat sich die Annahme, dass in naher
Zukunft Einsätze des ÖBH zur Landesverteidigung
für die Abwehr asymmetrischer Angriffe notwendig
werden können.
Insbesondere nach den Anschlägen von Paris ste-
hen der Schutz der Bevölkerung, ihrer Lebensgrund-
lagen und die Sicherung der Funktionsfähigkeit des
Staates im Vordergrund. Zur Aufrechterhaltung der
Resilienz sind die Fähigkeiten des ÖBH konsequent
weiterzuentwickeln. Dies umfasst insbesondere die
Bereiche Führungsfähigkeit, Aufklärung, Mobilität zu
Land und in der Luft sowie die Spezialeinsatzkräfte.
Der raschen Reaktionsfähigkeit und der personellen
30 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Durchhaltefähigkeit auch über einen längeren Zeit-
raum kommt eine gestiegene Bedeutung zu.
-
paweiten Entwicklung zu folgen, wieder in Streitkräfte
zu investieren und damit die Einsatzbereitschaft zu erhö-
hen und an die neuen Herausforderungen anzupassen.
FESTHALTEN AM AUSBAU DER GSVP UND
INTENSIVIERUNG VON KOOPERATIONEN
Wegen schwieriger allgemeiner Rahmenbedingungen in
-
-
men. Daher ist es aus österreichischer Sicht umso wichti-
ger, dass die aktuellen Handlungsstränge – insbesondere
die laufenden Krisenmanagementeinsätze, die Erstel-
lung einer neuen Europäischen Sicherheitsstrategie und
die Unterstützungsleistungen für Frankreich in Folge der
Aktivierung der Beistandsklausel in Richtung einer effek-
tiven und ambitionierten europäischen Verteidigungspo-
litik – erfolgreich weitergeführt werden. Österreich muss
sich im Sinne der eigenen Interessenslage weiterhin in
angemessener Form einbringen. Das erfordert v. a. die
Fortsetzung der militärischen Krisenmanagement-Bei-
träge auf hohem Niveau und den Ausbau der Kooperati-
onen mit gleichgesinnten EU-Staaten sowie einen sicht-
baren Solidarbeitrag gegenüber Frankreich. Im Rahmen
der Erarbeitung der neuen Europäischen Sicherheitsstra-
tegie wird insbesondere auf die Bedeutung der Verteidi-
gungsdimension, auf eine kohärente gemeinsame Bedro-
hungseinschätzung und auf konzeptive Vorgaben für
-
wirken sein. Das strategische Kooperationsportfolio des
ÖBH wäre mit Vorrang zu implementieren.
ERFORDERNIS VON VERMEHRTEN UND
ROBUSTEREN BEITRÄGEN DES ÖBH ZUR
UMFELDSTABILISIERUNG
-
zen wird sich weiter in Richtung erhöhter militärischer
Leistungsfähigkeit verändern. Diese Tendenz hat der
Dies resultiert insbesondere aus den umfassenderen
Mandaten, die zunehmend auch den Schutz der Zivil-
bevölkerung gegenüber bewaffneten Milizen und Ter-
roristen beinhalten und aus den steigenden asymme-
Relevanz sind dabei die Einsätze im Nahen Osten, in
Nordafrika und in Subsahel-Afrika. Militärisch bedeu-
tet dies, dass internationale Einsätze robuster und
anspruchsvoller werden, was u. a. erhöhte Anforde-
rungen an Truppenschutz, Mobilität und Aufklärungs-
fähigkeit zur Folge hat.
Nachbarschaft erfordern einen vermehrten Stabilisie-
rungsbedarf. Es wäre daher zu prüfen, inwieweit sich
das ÖBH im Rahmen eines gesamtstaatlichen zivil-
militärischen Ansatzes mit zusätzlichen Kräften und
Mitteln an UN-mandatieren Friedensmissionen betei-
ligen soll und den Forderungen zunehmend robuster
und anspruchsvollerer Missionen verbessert gerecht
werden kann.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 31
GLOBALES UMFELD 2016
Die sicherheitspolitische Situation in Europa ist durch
neue Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen be-
stimmt. Diese sind komplexer, stärker miteinander ver-
netzt und weniger vorhersehbar als bisher. Sie betreffen
die innere und äußere Sicherheit. Im Zeitalter der
Globalisierung können dabei regionale Ereignisse globa-
le Auswirkungen haben.
(Vgl. Österreichische Sicherheitsstrategie, S. 4)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 33
GLOBALE SICHERHEITS-
TRENDS 2016
Richard Weitz
Die Legitimation und die Effektivität von internatio-
nalen Institutionen – von globalen wie den Verein-
ten Nationen bis zu regionalen wie der NATO und
der EU – werden auch weiterhin durch das Ausmaß
und die Intensität von globalen Krisen bedroht. So-
wohl für Russland als auch für China im Rahmen
seiner maritimen Streitigkeiten oder für die Terror-
miliz „Islamischer Staat“ mit ihrer Mischung aus ter-
roristischen, aufrührerischen und konventionellen
Taktiken, bleibt die Anwendung hybrider asymmetri-
scher Methoden der Kriegsführung populär. Fortge-
Europa
Europa wird 2016 seinen Fokus wahrscheinlich auf die
Flüchtlingskrise legen. Laut Prognose der VN sollen in
den nächsten zwei Jahren über 1,4 Millionen Migrantin-
nen und Migranten Europa erreichen. Die Aussichten,
setzte Cyber-Angriffe werden insbesondere wegen
schwieriger verlässlicher Zuordnungen Anlass zu
Spannungen zwischen den globalen Mächten
führen.
34 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
-
über Moskau, insbesondere da die NATO-Führung im
wenn nicht gar einheitlich – der Meinung ist, dass sich
Russland und die NATO in Konkurrenz zueinander
-
der gibt. Infolgedessen ordnet die NATO ihre in Eu-
-
dernisierung ihrer Nuklearkräfte und Nukleardoktrin.
Russland wird eine autoritäre und revisionistische
Macht unter strikter Kontrolle von Wladimir Putin
-
on in der Ukraine und in Syrien könnte die Kooperati-
on zwischen Russland und dem Westen bei vielen
Themen, vom islamistischen Terrorismus und regiona-
-
tik gegenüber China, weiter behindern. Der Absturz
des russischen Rubels und die Schwächung der russi-
schen Wirtschaft wird Moskaus Aktivitäten in Zu-
mehr Selbstsicherheit, zu Einschränkungen oder zu ei-
ner Kombination von beidem führen wird, ist unklar.
Der Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen hängt
größtenteils davon ab, wie lang es benötigt, das unkla-
re Minsk II-Abkommen umzusetzen. Prinzipiell dürf-
ten die Sanktionen wegen der Annexion der Krim
noch mehrere Jahre aufrecht bleiben.
Naher und Mittlerer Osten
-
den auch 2016 mit nur geringer Aussicht auf eine Lö-
sung fortbestehen. Die angespannten Beziehungen
zwischen dem Iran und Saudi-Arabien haben sich ver-
schlechtert, seit beide Parteien die jeweils gegneri-
schen Kräfte in den Bürgerkriegen im Jemen und in
Einkommens- und Vermögensungleichheit – abgemil-
dert werden, sind gering. Dadurch ergeben sich Auswir-
kungen auf die europäische Sicherheit in den Bereichen
• Ökonomische Aufwendungen zur Unterstützung
der Flüchtlinge,
• Anstieg des islamischen Radikalismus,
•
und
•
wie darauf zu reagieren sei.
Langfristig wird die alternde Bevölkerung des Konti-
Kurzfristig besteht jedoch die Wahrscheinlichkeit höhe-
rer Arbeitslosenraten. Arbeitskräfte in unterschiedlichen
-
könnten das allgemeine Lohnniveau drücken.
Die Zunahme des islamischen Radikalismus inmitten des
Exodus von Hunderttausenden Flüchtlingen aus islami-
schen Ländern bereitet Sorgen. Die Lösung der Wirt-
schaftskrise stellt eine weitere Herausforderung dar, die
Sparmaßnahmen könnten aufgrund der Flüchtlingskrise
untergraben werden.
Um die Herausforderungen des Jahres 2016 zu bewälti-
gen, insbesondere die Flüchtlingskrise, braucht die EU
auch eine verstärkte Kooperation mit den Balkanstaaten
(Serbien und Mazedonien) wie auch mit der Türkei.
Russland
Der Krieg in der Ukraine, in dem Moskau die Krim be-
setzte, führte zu einer Aushöhlung der doktrinären
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 35
Syrien unterstützt haben. Präsident Hassan Rohanis
Hoffnung auf eine Entspannung mit der saudischen
Regierung wird sich angesichts der aggressiven anti-
iranische Stimmung in Riad wahrscheinlich nicht er-
füllen. Unterdessen werden sich die russisch-irani-
schen Beziehungen durch die Zusammenarbeit im Fall
Syriens vertiefen. Der Wahlsieg Benjamin Netanyahus
wird einen weiteren Fortschritt in den israelisch-paläs-
tinensischen Friedensgesprächen erschweren.
Ostasien
Die Annäherungen zwischen Russland und China
werden enger, obwohl die Schwäche der russischen
und chinesischen Wirtschaft ihr Potential begrenzt.
Pekings aggressive Haltung im Südchinesischen Meer
hat jenes Wohlwollen beeinträchtigt, das sich Peking
in den letzten Jahrzehnten von seinen maritimen
Nachbarn und den Vereinigten Staaten erworben hat.
Pekings Cyber-Spionage hat sowohl die USA als auch
ausländische Unternehmen, die traditionellerweise die
globale Einbeziehung Chinas unterstützt haben, verär-
gert. Die betroffenen Staaten haben bereits reagiert
und ihre militärischen Verbindungen untereinander
und mit Washington gestärkt. Im nächsten Jahr wird
insbesondere Japan seine Rolle für die Sicherheit Asi-
ens entsprechend seinem Potential ausbauen.
Afrika
Die größte Bedrohung innerhalb Afrikas geht von ext-
-
ter sind Boko Haram (hauptsächlich in Nigeria und
Kamerun) und Al-Shabaab (vorwiegend in Kenia und
Somalia). Während Boko Haram dem „Islamischen
Staat“ die Treue geschworen hat, bleibt Al-Shabaab lo-
yal gegenüber Al-Kaida. Beide werden jedoch ähnliche
Taktiken einschließlich Angriffe auf belebte Busstatio-
nen, heilige Stätten und Märkte anwenden.
Afrika leidet unter sehr schwachen Institutionen, sehr
schwachen demokratischen Regierungen und geringen
öffentlichen Investitionen, was zu Verwundbarkeit ge-
genüber gewalttätigen Akteuren, Pandemien und an-
deren Destabilisierungen führt.
Vereinigte Staaten von Amerika
Die US-Präsidentschaftswahlen könnten wegen ihres
Effekts auf die US-Außenpolitik (mögliche Beendi-
gung der schwachen US-Führungsrolle in verschiede-
nen Regionen) gravierende Auswirkungen haben. Dies
könnte die Verhandlungen zum internationalen Han-
den Zustand des Dollars und andere kritische globale
Themen betreffen. Nachdem Präsident Barack Obama
seine Wählerschaft nicht mehr besänftigen muss und
ein positives Vermächtnis hinterlassen möchte, könnte
er sich mutig in verschiedene Richtungen betätigen.
36 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Europas Fokus wird 2016 die Flüchtlingskrise
bleiben.
• Kurzfristig könnten durch die Migration nach Euro-
pa die Löhne aufgrund des Angebots an billigen Ar-
beitskräften sinken, langfristig wird die alternde
Bevölkerung wirtschaftlich unterstützt.
• Mehrheitsmeinung in der NATO-Führung ist, dass
Russland und die NATO in Konkurrenz zueinander
stehen und die Möglichkeiten der Kooperation be-
grenzt sind.
•
2016 weiter anhalten, mit geringer Aussicht auf
Lösung.
• Die Russland-China-Achse wird sich leicht stärken,
obwohl das schwache Wachstum in beiden Wirt-
schaften das Potential begrenzt.
• Die größte Sicherheitsbedrohung in Afrika geht von
islamistischen Extremistengruppen wie Boko Ha-
ram und Al-Shabaab aus.
KEY NOTES
• Europe’s focus in 2016 will remain on the refugee
crisis.
• In the short term, wages might fall due to the gro-
wing availability of cheap labour; in the long term,
the continent’s aging population will be helped
economically.
• The view of most NATO leaders is that Russia and
NATO are in a competitive relationship in which co-
operation is limited.
•
through 2016, with little prospect of resolution.
• The Russia-China axis will tighten slightly, although
weakening growth in both economies will limit its
potential.
• The greatest security threat in Africa comes
from Islamic extremist groups: Boko Haram and
Al-Shabaab.
NK
oku
nten
rund
angfris
unterst
hrung ist, dass
in o
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ap lab
ng po
ly.
The view of
gskrise
ch Euro-
en Ar-
e
KEY NOTE
• Europe’
crisis
• In t
w
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 37
GLOBALE MACHT-
POLITISCHE
ENTWICKLUNGEN 2016
Nicolas Stockhammer
Geotektonische Bruchliniendynamik
Massive geotektonische Plattenverschiebungen hat-
ten das Aufreißen alter Bruchlinien zur Folge, was weit
Globale Machtpolitik im Jahr 2016 ist als Konse-
quenz gleichsam tektonischer Kräfteverschiebun-
gen im geopolitischen Machtgefüge zu verstehen.
geprägt sein, die aus der multipolaren Neuordnung
von Machtpotentialen und damit verbundenen Aus-
strahlungen resultierten. Europa kann sich durch
entschlossenes Agieren einen Platz im Quartett der
Großmächte sichern – oder in die geopolitische Be-
deutungslosigkeit zurückfallen.
38 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
reichende ordnungspolitische Konsequenzen insbe-
sondere für das kommende Jahr nach sich zieht. Das
machtpolitische Vakuum im Anschluss an den „Uni-
polar moment“ (Krauthammer) hat sukzessive zu einer
hochgradigen Instabilität an den Rändern und zu einer
-
zeit grassierenden Wettbewerb um die globale Domi-
Machtpositionen und unterschiedlichen Ressour-
cen. Allen voran werfen die um Machtkonsolidierung
bemühten Vereinigten Staaten und auch ein aufstre-
-
schale. Dennoch sind die postimperialen Ambitionen
Russlands nicht gering zu schätzen, und ebenso ist EU-
Europa, zumindest von seinen grundsätzlichen Disposi-
tionen her, immer als ein potentiell bestimmender Fak-
tor auf dem weltpolitischen Schachbrett zu sehen.
Das Jahr 2016 wird mit hoher Wahrscheinlichkeit von
in einer Neugewichtung der Machtpotentiale äußern
wird. Vorwiegend steht zu erwarten, dass das Verhältnis
zwischen den maßgeblichen Machtakteuren von mani-
fester Konkurrenz geprägt sein wird und zudem hieraus
-
ride „Proxywars“ in der instabilen Peripherie ausgetra-
gen werden. Als Stakeholder sind in diesem Kontext die
Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, Israel und nicht zuletzt
Ägypten bzw. die Ukraine als geostrategisch relevante
„Spots of interest“ zu nennen.
Die künstlich gezogenen Sykes-Picot-Linien etwa haben
sich gerade in Syrien als unzureichend, unbeständig
und fragil erwiesen, ebenso ist das ukrainische „Heart-
land“ (Mackinder), dessen Osten als eine Art russisches
Faustpfand im Zuge der geopolitischen Neuordnung
nach dem Zerfall der Sowjetunion zu begreifen ist, wei-
terhin hochgradig instabil. Hierbei spielen teils latente,
teils offenkundige Einkreisungsobsessionen (in China
und Russland) im Widerspiel mit Niedergangsängsten
(in den USA und Europa) eine Rolle. Brüche vollzie-
hen sich zudem auf einer psychologischen Ebene, wobei
ein Auseinanderdriften simultan alten und neuen Kon-
lässt und auch eine fortschreitende sicherheitspolitische
Fragmentierung beschleunigt. Vorherrschendes geostra-
tegisches Prinzip wird 2016 sehr wahrscheinlich eine
globale Interdependenz bleiben, in deren Lichte sich
multivektorielle Machtprojektionen entwickeln werden.
Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen im
Herbst 2016 dürften eine graduelle Verlangsamung im
Wettbewerb um eine globale machtpolitische Vorherr-
schaft nach sich ziehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit
-
halten und weiterhin Disengagement an der europäi-
schen Peripherie praktizieren. Die USA werden ganz
generell allem Anschein nach ihr Committment in Räu-
men (d. h. insb. in Krisenregionen) zurückschrauben,
wo sich keine unmittelbaren ökonomischen US-Inte-
ressen bzw. politische Spin-Offs oder Kollateralambi-
der Ökonomie („Moneyball America“– vgl. Bremmer)
verheißt eine Außenpolitik unter dem konsequenten
Europa kann sich im politischen Schlüsseljahr 2016
angesichts „bedrängender Herausforderungen“ (Mig-
rations- und Finanzkrise, transnationaler Terrorismus),
wie Herfried Münkler in seinem Beitrag treffend fest-
stellt, den „geopolitischen Tatsachen“ stellen – oder
sich vollends aus der ihm gebührenden, ordnungspoli-
tischen souveränen Selbstbestimmung herausnehmen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 39
Letzteres hätte weit reichende negative Konsequenzen
für den Weiterbestand der EU als Institution.
Institutionell wird 2016 vor allem die OSZE unter deut-
spielen. Die NATO dürfte weiterhin versuchen, ihr Pro-
der Auseinandersetzung mit Russland zu schärfen.
Geoökonomik
Natürliche (tellurische) Ressourcen sind ein knappes
-
-
positionen begriffen werden muss. Der Besitz von Res-
sourcen kann wesentliche kompetitive Vorteile mit sich
bringen, gerade was die Herausbildung von Schlüssel-
technologien betrifft. Es steht daher für 2016 auch wei-
terhin zu befürchten, dass die global rohstoffreichsten
Regionen immer heißer umkämpft sein werden. Ebenso
Patente oder Ideen) der Faktor „Humanressource“ auch
in Hinblick auf dessen Verfügbarkeit mitzudenken, der
zusehends eine nicht zu unterschätzende sicherheitspo-
litische Rolle zu spielen scheint. Im Kampf um die glo-
bale Vorherrschaft ist der Kontrolle von Strömen (etwa
von Kapital oder Daten) ebenso wie der Verfügungs-
macht über den Weltraum enorme Bedeutung beizu-
messen. Als geoökonomisch essenziell ist zudem der
weitere Verlauf der Verhandlungen rund um das Trans-
atlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zu betrach-
ten, dessen erfolgreicher Abschluss nachhaltige geopoli-
tische Veränderungen nach sich ziehen würde.
Auch 2016 stagniert die Weltwirtschaft wahrschein-
lich, regional jeweils unter anderen Vorzeichen, im Kri-
senmodus. Selbst dort, wo Wachstum indiziert wird,
etwa in China, ist mit strukturellen Problemen (Finanz-
marktkrise) zu kämpfen. Für das Jahr 2016 ist daher
eine weitere geoökonomische Zuspitzung zu erwar-
ten, mit ebenso weit reichenden Auswirkungen auf das
Geokultur
Die größte geokulturelle Herausforderung im kommen-
den Jahr wird höchstwahrscheinlich die europäische
Migrationskrise bleiben, die womöglich noch eine weit
reichende Ausstrahlung auf weitere Räume und Poli-
tikbereiche erlangen wird. Nicht nur wird es gemein-
schaftlicher Anstrengungen bedürfen, den geballten
Flüchtlingszustrom zu kontrollieren bzw. aufzuteilen,
auch wird die Integration der Asylwerber Finanzetats
von EU-Mitgliedsstaaten belasten und das soziokultu-
alten globalen Machtzentren kann eventuell durch kon-
trollierte Zuwanderung teilweise ausgeglichen werden.
Im geokulturellen Bereich „Religion und Ideologien“ ist
2016 mit einem weiteren Aufkeimen religiöser Differen-
zen wie etwa dem innerislamischen Antagonismus (Iran
vs. Saudi-Arabien) ebenso wie mit einer Hinwendung
zu neuen ideologischen Narrativen zu rechnen, die geo-
politisch prägend sein werden. Was Medialität und Pub-
lizität betrifft, wird der Kampf um die Aufmerksamkeit
machtpolitischer Deutungshoheit haben.
Konklusion
Insgesamt wird 2016 machtpolitisch weiterhin unter
den Auspizien einer Neuausrichtung der Weltordnung
stehen. Dauerhafte Machtansprüche bedürfen zu einer
nachhaltigen Realisierung freilich einer weit reichenden
Legitimierung, die nur längerfristig zu begründen ist.
40 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Das Jahr 2016 wird von einer multipolaren Mächte-
konkurrenz geprägt sein, die sich in einer Neujus-
tierung bzw. Rebalancierung der jeweiligen Macht-
potentiale äußern wird.
• Die USA werden auch 2016 ihre Außen- und Si-
cherheitspolitik unter dem Primat der Ökonomie
und geleitet von einschlägigen Nutzenerwägungen
betreiben.
• 2016 wird angesichts der großen Herausforderun-
gen wahrscheinlich ein politisches Schlüsseljahr
für die EU sein.
• Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Stagnation
der Weltwirtschaft ist für das Jahr 2016 eine weite-
re geoökonomische Zuspitzung zu erwarten.
• Die größte geokulturelle Herausforderung im kom-
menden Jahr wird höchstwahrscheinlich die euro-
päische Migrationskrise bleiben.
Darum ist auch kurzfristig mit hybriden Ausdrucksfor-
men einer wertebasierten Politik und einer überwiegend
interessengeleiteten Realpolitik in den Internationalen
Beziehungen zu rechnen. In der Zwischenzeit gilt es für
die als globale Ordnungsmächte in Frage kommenden
Akteure, insbesondere für ein selbstbewusstes Europa,
sich übergreifenden politischen Herausforderungen zu
stellen, Krisen zu managen und sich neuen, unabänder-
kommenden Jahr werden jedenfalls, so ist zu erwarten,
grundlegende Akzente hierfür gesetzt.
KEY NOTES
• 2016 will be characterized by a multi-polar compe-
tition of powers that will manifest itself by an ad-
justment or rebalancing of the respective power
potentials.
• US foreign and security policy will continue to be
dictated by the primacy of the economy and guided
• Considering the great challenges, 2016 is likely to
become a political key year for the EU.
• Against the background of a persistent stagnation
of the world economy, a further geo-economic in-
• The European migration crisis will most likely re-
main the biggest geo-cultural challenge in the up-
coming year.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 41
Wachsende Russland-China Kooperation
Die Krise in den russischen Beziehungen zum Westen
zeigt, dass Moskau bereit ist, seine wirtschaftlichen Inte-
ressen und seine Zusammenarbeit im Bereich der inter-
nationalen Sicherheit (zumindest temporär) für politi-
sche, geopolitische und ideologische Ziele zu opfern.
Russland ist zunehmend fester entschlossen, jegliche
es im Nahen Osten, in der Ukraine oder anderswo ent-
Die wachsende Zusammenarbeit mit China stärkt Mos-
kaus Vertrauen in der Konfrontation mit dem Westen.
Die durch die USA verhängten Sanktionen gegen Putins
Russland haben dieses zu einem „Pivot“ in Richtung
GLOBALE ENTWICKLUNGEN
2016
Mathew Burrows
Der Nahe Osten wird die größte Ursache für globale
-
sehbarer Zukunft wahrscheinlich noch weiter aus-
breiten wird. Die meisten Bürgerkriege dauern
sind viel gefährlicher als die meisten Bürgerkriege,
da sie das Potential haben, die gesamte Region zu
erfassen und die globalen Mächte gegeneinander
auszuspielen. Das jüngste Eingreifen Russlands in
Syrien garantiert, dass Baschar al-Assad nicht so
-
len Versuchen zur diplomatischen Lösung des
42 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Osten gedrängt – insbesondere in Richtung China, das
wiederum seinen eigenen eurasischen „Pivot“ in Rich-
tung Westen vollzogen hat. Russlands langfristige Ener-
giezukunft liegt in Asien. Anstatt eines Rivalen gewinnt
China einen wertvollen Partner zur Stabilisierung und
Modernisierung Eurasiens, in dem China zunehmend
seine wirtschaftliche Zukunft und nicht mehr sein Hin-
terland sieht. Zusammen streben Moskau und Peking,
entsprechend der Vision Mackinders, nach der Verwirk-
lichung eines Eurasischen Kernlandes.
Kein frühes Ende der Migrationskrise
Sowohl für die Flüchtlingskrise, die ihre Wurzeln in den
für die anhaltende Instabilität auf dem Balkan wird es
keine kurzfristigen Lösungen geben. Die Anzahl der
Vertriebenen steigt mit der zunehmenden Intensität der
Tag vertrieben, diese Zahl stieg jetzt auf 42.000 oder
mehr Personen pro Tag. Langfristig könnte die zuneh-
und der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ein Segen
für Europa sein. Kurzfristig werden die EU-Diskussi-
onen zur Verteilung der rasch steigenden Last zu einer
Verschärfung der innereuropäischen Spannungen zwi-
schen Ost und West sowie Süd und Nord führen.
Vor dem Hintergrund derart großer Migrationsströme
wie die Türkei, Jordanien, Marokko und Algerien erhö-
Europa reduzieren. Tatsächlich sind jedoch auch diese
Staaten übermäßig belastet. Wachsende Spannungen
zwischen Türken und Kurden könnten Kurden dazu
drängen, die Türkei zu verlassen, und somit zusätzliches
Flüchtlingsleid am Balkan und in Europa hervorrufen.
Der einzige Lichtblick in der Ausweitung des Nah-
-
sche Lösung angestoßen werden könnte. Die Europäer
könnten durch die Initiierung eines Friedensprozesses
politische Führungsqualität demonstrieren – wie dies
Fall war. Mitte 2016 könnte Russland nach Möglichkei-
hierfür würden die steigenden Kosten, die sich verstär-
kende Rezession sowie der wachsende Wunsch nach
Aufhebung der EU-Sanktionen sein. Vor dem Hinter-
grund der Beschäftigung mit der nächsten Präsident-
schaftswahl dürfte es für die USA jedoch kaum mög-
widmen.
Getrübte Aussichten für die
Weltwirtschaft
Eine harte ökonomische Landung in China – deren
Wahrscheinlichkeit trotz der gegenwärtigen Verlangsa-
mung unter 50 % liegt – würde die Aussichten für die
Drittwelt-Staaten, die wesentlich von der Dynamik der
chinesischen Wirtschaft abhängen, weiter trüben. Eine
globale Rezession kann unter diesen Umständen nicht
ausgeschlossen werden. In einem derartigen Szenario
würden die weltweiten Energiepreise auf ein historisches
Tief fallen und die Energieproduzenten im Nahen Osten
und in Russland weiter unter Druck geraten. Somit
wären Saudi-Arabien und Russland weniger in der Lage,
Durch ein mittel- bis langfristig dramatisch geringe-
res Wachstum könnte Chinas Präsident Xi dazu veran-
lasst werden, groß angelegte ökonomische Reformen
umzusetzen. Dies könnte Chinas langfristige wirtschaft-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 43
liche Perspektiven drastisch verbessern und die Wahr-
scheinlichkeit, dass China in der Falle mittlerer Einkom-
men stecken bleibt, verringern. Durch ein dramatisch
geringeres Wachstum könnte aber das Risiko eines poli-
Aggression gegen seine asiatischen maritimen Nachbarn
steigen.
Beschäftigte USA im Jahr 2016
Während es noch zu früh ist, vorherzusagen, wer die
US-Präsidentschaftswahlen gewinnt, gibt es die verbrei-
tete Meinung, dass die USA unter Obamas Führung zu
schwach in der Welt auftraten. Die meisten Kandida-
ten versprechen mehr Härte, insbesondere gegenüber
Russland und China. Ich befürchte, dass der neue Prä-
sident – sei er Demokrat oder Republikaner – übertrie-
ben aggressiv sein könnte und die US-Verbündeten in
Europa und Asien dazu zwingen könnte, sich zwischen
den USA oder Moskau und Peking zu entscheiden.
Am wichtigsten für die USA bleibt jedoch die Wirt-
schaft. Trotz geringerer Arbeitslosenrate ist die
Erwerbsquote, gerade bei älteren Männern, rapide
gesunken. Die mittleren Einkommen stagnieren weiter.
Wie andere entwickelte Volkswirtschaften altern auch
die USA, womit sich ein geringerer Anteil der Bevölke-
der Teil des nationalen Budgets für Leistungsansprü-
che verwendet wird, bleibt weniger für Verteidigung
und zivile Programme. Eine nationale Ausnahmesitu-
ation – wie nach 9/11 – könnte zu einer Erhöhung der
Verteidigungsausgaben führen. Ohne eine derartige
große Bedrohung werden die USA die budgetären Kon-
sequenzen jeder kostspieligen Militäroperation abwä-
gen müssen – trotz der aggressiven Töne während des
Wahlkampfes.
KERNPUNKTE
•
sehbarer Zukunft wahrscheinlich noch ausweiten.
• Die wachsende Zusammenarbeit mit China gibt Moskau mehr Vertrauen, den Westen zu konfrontieren.
•
• Das größte Thema für die USA wird die Wirtschaft bleiben. Die USA werden zunehmend die budgetären Konse-
quenzen größerer Militäroperation abwägen müssen.
KEY NOTES
•
foreseeable future.
•
• There will be no quick solution to the refugee-crisis which has its root-causes in the Middle East and in Africa.
• The economy is going to remain the biggest issue for the US. There will be an increasing need to weigh the
budgetary consequences of larger military operations.
44 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
WELTORDNUNG 2016
Die neue Unordnung der Welt und die Konsequenzen für
Europa
Ulrich Menzel
Die Welt wird unregierbarer. Dieser seit Jahren zu
konstatierende Trend ist 2015 manifest geworden.
Die Stichworte lauten: Ukrainekrieg, Griechenland-
krise, Krieg und Staatszerfall im Irak und in Syrien,
Scheitern der militärischen Interventionen, Ausbrei-
tung terroristischer Organisationen, die Staatlichkeit
Schleusung als neues Geschäftsfeld des organisier-
ten Verbrechens, Restauration des sowjetischen
und Krise der EU.
Ein Problem verdrängt das andere, ohne dass nur eines
gelöst ist. Es ist sicher, dass diese Themen im Jahre 2016
weiter auf der Agenda stehen, mit der Konsequenz, dass
die bestehenden Institutionen überfordert und die USA
nicht mehr bereit sind, allein die Lasten zu tragen. Ob-
wohl Europa mehr Verantwortung übernehmen muss,
wird sich der Trend zur Selbsthilfe statt des Vertrauens
in die EU verstärken und Deutschland in die ungewollte
Rolle des Eurohegemons drängen.
Ursachen der neuen Unregierbarkeit
Während der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwin-
det zugleich die Fähigkeit, diesen Bedarf zu bedienen.
Verantwortlich für das düstere Szenario wachsender Un-
regierbarkeit sind langfristige Trends, die keinen linea-
ren, sondern einen exponentiellen Verlauf nehmen, bis
Kipppunkte erreicht werden, an denen die ökologischen,
sozialen, wirtschaftlichen, politischen und administrati-
ven Systeme kollabieren.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 45
Wesentliche Ursache für die neue Unregierbarkeit ist pa-
radoxerweise, dass „Entwicklung“ in großen Teilen der
-
ländern unvermindert fortschreitet. Daraus resultieren
werdende Ressourcen und neue Formen des Kolonialis-
mus wie z.B. Landgrabbing.
Russland verfolgt spätestens seit Beginn der zweiten
Präsidentschaft Wladimir Putins eine revisionistische
Politik der Rückgewinnung ehemaligen sowjetischen
-
-
zeln hatten: das alte Schisma des Islam zwischen Sunni-
-
und quer durch Subsahara-Afrika verläuft, der Zerfall
vieler postkolonialer Staaten, die vielfach nur auf dem
Papier bzw. in der Hauptstadt bestanden haben, und die
Transformation des Terrorismus zum quasistaatlichen
Akteur.
Konsequenzen für Europa – Krisen und Mi-
gration und Rüstungswettlauf
Eine Befriedung des Krisengürtels an der europäischen
Peripherie ist für 2016 nicht zu erwarten. Eher werden
die bislang noch stabilen Inseln innerhalb des Krisen-
gürtels destabilisiert und sich die Krisenregion nach
Subsahara-Afrika und auf die armen Teile der Arabi-
schen Halbinsel ausweiten. Jemen, Somalia, Eritrea,
Südsudan werden zum Fokus einer weiteren Krisenregi-
on mit neuen Fluchtbewegungen. Europa wird, weil die
USA zögern, China passiv bleibt und Russland zündelt,
gezwungen sein, in weitaus stärkerem Maße als bisher
im eigenen Interesse für Sicherheit und Stabilität an sei-
ner Peripherie zu sorgen, wie eine große Macht zu han-
deln. Sonst ist die in 2016 eher zunehmende Fluchtbe-
wegung nicht mehr handhabbar. Die Zeiten des
Flucht wird immer durch Push- und Pull-Faktoren be-
ihre Heimat verlassen. Letztere sind ausschlaggebend,
welche Zielgebiete Migranten anstreben. Auch 2016 wer-
den die Länder der EU von Flucht und Migration nicht
-
dergruppen unterscheiden: Die Länder Nordwesteuro-
pas, die zu den bevorzugten Zielen zählen; die Transit-
länder auf dem Balkan; die Erstaufnahmeländer
-
nen Länder, weil sie fernab liegen wie Irland oder Finn-
land oder keine Attraktivität als Ziele bieten wie Polen
oder das Baltikum. Nicht nur aufgrund der unterschied-
lichen Betroffenheit, auch aufgrund der unterschiedli-
chen Attraktivität macht eine Quotenregelung wenig
Sinn, da sie von den Flüchtlingen unterlaufen wird. Si-
cher ist, dass nach der dämpfenden Winterpause im
Frühjahr 2016 die Migration wieder ansteigt, weil alle
Push- und Pull-Faktoren weiter bestehen.
Die Strategie, die Ursachen der Migration zu bekämp-
fen, ist nur im Prinzip richtig und kann nur langfristig
Wirkung zeigen. Deshalb muss Europa kurzfristig re-
agieren. Wenn man die Pushfaktoren nicht oder nur sehr
Faktoren an. Eine wirksame gesamteuropäische Strate-
gie ist aufgrund der heterogenen Betroffenheit wenig
wahrscheinlich, zumal das Projekt EU aufgrund diverser
anderer Faktoren insgesamt in die Krise geraten ist.
46 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Kurzfristig denkbar sind zwei andere Szenarien. Entwe-
der kehrt Europa zum nationalen Selbsthilfeprinzip zu-
rück oder es kommt zu einer Lösung, bei der Deutsch-
land als ungewollter und ungeliebter „Eurohegemon“
voranschreitet. In der benevolenten Variante heißt das,
dass Deutschland den größten Teil der Kosten trägt. In
der malevolenten Variante konzentriert es sich auf die
tät durch Reduzierung der Sozialleistungen, beschleu-
nigt die Asylverfahren und intensiviert die Rückfüh-
rung. Dies setzt die Nachbarn unter Druck, ähnlich zu
verfahren mit Kaskadenwirkung bis in die Türkei, Liby-
en, Marokko und Subsahara-Afrika. Auch so steht die
EU zur Disposition, weil nicht nur die Freizügigkeit im
Schengenraum verschwindet. Eine Variante ist, dass sich
und Österreich – auf ein gemeinsames Vorgehen ver-
ständigen und eine kerneuropäische Lastenteilung vor-
nehmen. Welches der Szenarien verfolgt wird, hängt
nicht zuletzt von den kommenden Wahlen ab.
Neben der Migrationsfrage werden alle ungelösten Prob-
leme in den Hintergrund treten – mit einer Ausnahme:
Falls Russland seine revisionistische Politik fortsetzt, in-
dem es die Kooperation mit dem Iran verstärkt, weiter
in der Ukraine, in Weißrussland, im Kaukasus und wo-
möglich im Baltikum interveniert, wird das den Rüs-
tungswettlauf wieder anheizen. Dem werden sich auch
neutrale Länder wie Österreich nicht entziehen können.
KERNPUNKTE
• Die Welt wird unregierbarer. Während der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwindet zugleich die Fähigkeit,
diesen Bedarf zu bedienen.
•
• Falls Russland diese revisionistische Politik fortsetzt, wird das den Rüstungswettlauf wieder anheizen.
• Eine Befriedung des Krisengürtels an der europäischen Peripherie ist für 2016 nicht zu erwarten. Eher werden
die bislang noch stabilen Inseln innerhalb des Krisengürtels destabilisiert und sich die Krisenregion ausweiten.
• Die Strategie, die Ursachen der Migration nach Europa zu bekämpfen, ist nur im Prinzip richtig und kann nur
langfristig Wirkung zeigen. Deshalb muss Europa kurzfristig reagieren.
KEY NOTES
• The world is becoming more ungovernable. While the demand for a world order grows, capacities to satisfy that
request are fading.
•
• If Russia continues this revisionist policy it will refuel the arms race.
• Binging peace to the crisis belt around the European periphery is unlikely in 2016. Crisis regions will expand
and the still stable “islands” within the crisis belt are going to be destabilized.
• The strategy to tackle the root causes of migration to Europe is right in principle, but can only be effective in
the long term. Therefore, Europe must react in the short term.
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and for a world orde
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 47
Europa in europäischer Verantwortung
Die Sicherheit in Europa wird die USA auch 2016
relative Stabilität, Russland versucht sich eher in ande-
GEOPOLITISCHE
AUSRICHTUNG DER USA 2016
Henning Riecke
Das Wahljahr 2016 schafft eine besondere Dyna-
mik für die US-Außenpolitik. Zum einen fällt es dem
scheidenden Präsidenten Barack Obama schwerer,
-
den. Zum anderen kann ein Präsident ohne die Am-
bition auf Wiederwahl politische Impulse setzen,
ohne auf Umfragewerte zu achten. Obama wird in
seinen letzten Monaten im Amt versuchen, sein Ver-
mächtnis abzurunden. Außenpolitik wird auf der
Agenda stehen, nicht nur, weil die Präsidentschafts-
kandidaten sich im Wahlkampf von Obama abgren-
zen wollen. Auch im Wahljahr 2016 zwingen laufen-
Handeln.
48 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
NATO zeigen, dass sie ihre neuen Schwerpunkte bei
Abschreckung und Verteidigung mit echten Fähigkei-
-
ten ein Interesse daran haben, die Verteidigungsfähig-
mit triumphalem Bombast zu begleiten. Auch Russland
-
nen den Zusammenhalt der NATO zu testen.
In den neuen militärischen Strukturen wie der Very
High Readiness Joint Task Force (VJTF) sind aus-
schließlich europäische Streitkräfte eingebunden. Aller-
dings hat die NATO ohne US-Logistik und Aufklä-
rung wenig Abschreckungspotential zu bieten – von
den nuklearen Streitkräften ganz zu schweigen. In War-
schau muss also auch Amerika zeigen, dass es noch zu
-
Amerikanische Vermittlung im Nahen
Osten
In der Krisenregion Syrien und Irak ist amerikanische
Führung und Vermittlung gefragt, um die zerstrittenen
Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien hinter einem
politischen Übergang in Syrien zu vereinen. Obama,
so die Kritiker, hat Russland erlaubt, sich in die Rolle
einer Ordnungsmacht zu drängen. Jetzt baut es eigene
Koalitionen mit dem Iran und den Schiiten im Irak auf,
gegen die USA, und will an Diktator Baschar al-Assad
festhalten. Die von allen geteilte Feindschaft gegen die
Terrormiliz „Islamischer Staat“ genügt für eine lose
erleichtert sie kaum.
Erste Treffen einer Kontaktgruppe der regionalen
Mächte unter amerikanischer Führung lassen auf einen
eine Neuordnung in Syrien hoffen. Die USA müssen
wohl oder übel akzeptieren, dass auch Assad beteiligt
ist, und dass es dabei um seinen Abgang geht. Diesen
Prozess gilt es für Obama am Leben zu erhalten, auch
und gerade, weil er anläuft, während der Bürgerkrieg
Nahen und Mittleren Osten zurückfahren und ande-
und auch für das Transitland Österreich bedeutet dies,
dass die Hauptursache für die europäische Flüchtlings-
Für die internationale Stabilität hängt viel vom Ver-
hältnis der USA zu China ab. Obama hat das Ver-
hältnis zur chinesischen Regierung zu seinem Haupt-
anliegen gemacht und in zahlreichen Kontakten ein
Vertrauensverhältnis aufgebaut. Doch der Macht-
kampf beginnt bereits, zunächst über Wirtschaftsinsti-
anlaufen und den Freihandel der USA mit ihren Part-
nern anschieben – ohne China. Unter Pekings Führung
wird die Asiatische Investitionsbank ihre Arbeit auf-
nehmen – ohne die USA und Japan, aber mit europäi-
Macht, will eigene Interessen und die der amerikani-
schen Verbündeten in der Region verteidigen, das Recht
auf freie Durchfahrt durch die von China beanspruch-
mitspielen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 49
Der amerikanische Ansatz, durch Multilateralisie-
schaffen, der eine Eskalation verhindert, muss seine
Leistungsfähigkeit 2016 beweisen: Japan hat im kom-
Schwerpunkte setzen. Auf dem ASEAN Regional
Forum in Laos Ende Juli kommen alle Spieler an einen
Tisch. Sollte China mit dem Aufschütten neuer Inseln
und dem Aufbau von militärischen Fähigkeiten fortfah-
ren, um seinen Anspruch zu unterstützen, und sollte es
vielleicht sogar militärisch aggressiver auf umstrittene
Inseln ausgreifen, ist amerikanisches Handeln gefragt,
um regionale Bündnisse zu stützen. Wird Obama seine
Amtszeit mit einer Niederlage gegen China beenden
wollen? Europa ist kaum darauf vorbereitet, in einer
solchen Auseinandersetzung Position zu beziehen:
Durch politische Standhaftigkeit, Druck auf China,
aber auch durch die Übernahme größerer militärischer
Verantwortung für die eigene Sicherheit müsste Europa
seinen amerikanischen Verbündeten unterstützen.
In diesen Regionen ist der Erhalt ihrer Weltmachtpo-
sition für die USA eine Triebfeder ihrer Außenpolitik.
Verbindung stehen. Russlands plötzliche Zurückhal-
tung in der Ukraine kann als Vorbereitung der Offen-
sive in Syrien verstanden werden. Russlands Isolation
in Europa lässt es nach Osten sehen, was in Asien neue
Koalitionen möglich macht (Japan war nicht glücklich
Mittleren Osten und Europa tut, wird vor allem von
den asiatischen Verbündeten und China aufmerksam
KERNPUNKTE
• Der NATO-Gipfel in Warschau wird zeigen ob die
USA noch zu Europa stehen.
• Im Nahen und Mittleren Osten will die USA ihre Rol-
le als Garantiemacht zurückfahren.
•
Raum möchten die USA ihre Weltmachtposition
erhalten.
KEY NOTES
• The NATO-summit in Warsaw will show whether the
US still stands by Europe’s side.
• The US wants to reduce its role as guarantee pow-
er in the Near East.
•
US wants to keep its position as global superpower.
50 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
RUSSLANDS STRATEGISCHE
AUSRICHTUNG 2016
Ein geopolitischer Ausblick
Joris Van Bladel
Serge Schmemann, ein Gewinner des Pulitzer-Prei-
ses, hat kürzlich die Weltsicht des Kremls wie folgt
beschrieben: Russen vergleichen ihre eigene macht-
politische Position in der Welt mit jener der USA und
fordern daher die gleiche Anerkennung für ihre poli-
tische Position und ihren Machtanspruch. Wird ih-
nen diese Anerkennung verweigert, reagieren sie
ausgesprochen verärgert.
Russlands primäre strategische Ambition 2016 ist es,
die westlich dominierte Weltordnung herauszufordern.
Diese Ambition darf aber nicht nur als die persönli-
che Obsession des amtierenden russischen Präsidenten
Wladimir Putin verstanden werden. Vielmehr ist diese
strategische Ambition ein Resultat einer tief verwurzel-
ten Überzeugung des außenpolitischen Establishments,
wenn nicht sogar innerhalb der russischen Bevölke-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 51
rung. Auch der Co-Architekt des Endes des Kalten
-
täuschung zum Ausdruck gebracht, als er meinte: „Die
Amerikaner haben ihren Weg aus den Augen verloren.
Jeglicher Versuch eine einseitige, monopolare Weltord-
nung schaffen zu wollen, muss als vollständiger Non-
sens bezeichnet werden“.
die militärische Superiorität der Vereinigten Staa-
ten von Amerika an, sie kennt aber auch deren stra-
tegische Schwächen, die im Westen hinsichtlich der
eigenen Absichten und Ziel vorherrschen. Russlands
Absicht besteht nun darin, die strategischen Schwächen
des Westens anzusprechen, um zum einen den Über-
raschungseffekt zu nutzen und zum anderen die Spiel-
regeln der internationalen Politik zu verändern. Vor
wollen, spiegelt sich in der Diskussion über die hyb-
ride Kriegsführung in den westlichen Expertenkrei-
sen wieder.
Russland und der Westen
Westen wird vor allem im Baltischen Meer und in der
Schwarzmeerregion deutlich. Zunehmende militäri-
sche Aktivitäten sind in beiden Regionen zu beobach-
ten, inklusive
• einer deutlich gesteigerten militärischen Übungs-
Komplexität der Übungen,
• der Einrichtung einer Anti-access/Area-denied-
Zone (A2/AD) im Oblast Kaliningrad sowie auf
der Krim,
• der Installation von Iskander-M-Raketen in die-
sen Regionen; diese taktischen Raketensysteme
mit einer Reichweite von 500 km sind in der Lage,
NATO-Länder, wie Polen, die Baltischen Staaten,
Rumänien, die Türkei, aber auch Schweden und
Moldawien zu bedrohen, und
• einer Stationierung von strategischen Langstre-
ckenbombern vom Typ Tupolew Tu-95 und Tu-
22M3 auf der Halbinsel Krim; die Stationierung
von Langstreckenbombern mit der Fähigkeit zur
nuklearen Bestückung zeigt, dass Russlands die
Bereitschaft und Fähigkeit zur Eskalation maxi-
maler Intensität hat.
Dieser geopolitische Trend geht auf das Jahr 2008
zurück. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass die mili-
-
kant zugenommen haben. Sie werden von einer neuen
strategischen Vision sowie von einem ambitionierten
effektiven Modernisierungsprogramm in den russi-
schen Streitkräften begleitet.
Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen wer-
den, dass die diplomatischen wie auch militärischen
Friktionen zwischen Russland und Europa 2016 weiter
bestehen werden. Direkte militärische Konfrontationen
sind jedoch kaum zu erwarten, obwohl menschliches
Versagen in diesem Kontext nicht ausgeschlossen wer-
den darf. Die Situation in der Ukraine wird nach dem
bekannten Muster weiter gestaltet, etwa durch sporadi-
sche Scharmützel entlang der Demarkationslinie in der
Ostukraine. Die generelle Politik des „Durchwursch-
telns“ wird sich auch 2016 nicht ändern.
Russland und die südliche Peripherie
Seit etwa einem Jahr besteht innerhalb der sicher-
heitspolitischen Expertenkreise Russlands der Kon-
52 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
sens, wonach die Lage im Nahen und Mittleren Osten
deutlich kritischer eingestuft werden muss als jene
in Europa. Diese Einschätzung ist vor allem durch
die allgemeine Wahrnehmung, dass die Situation im
Nahen und Mittleren Osten außer Kontrolle zu geraten
droht, geprägt
Russland hat in geopolitischer Hinsicht seine Bemü-
deutlich gesteigert. Daher hat Moskau seine Anstren-
gungen verstärkt, um die Beziehungen mit westlichen
zu verbessern. Russlands strategischer Fokus auf die
südliche Peripherie manifestiert sich im militärischen
Engagement in Syrien, das im Oktober 2015 begann.
Das übergeordnete Ziel Russlands in Syrien ist der
Schutz der eigenen Interessen. Im Konkreten will Mos-
kau ein Russland-freundliches, säkulares Regime in
Damaskus stützen, u. a. um die russische Militärinf-
rastruktur nicht zu verlieren. Ferner soll Russland vor
möglichen terroristischen Anschlägen der IS geschützt
Mittleren Osten vermindert werden. Um diese Ziele zu
erreichen, hat Russland
• eine Anti-access/Area-denied-Zone (A2/AD) A2/
AD) in Syrien eingerichtet,
• die militärische Koalition mit dem Iran und der
geführten Koalition mit der Türkei und Saudi-
Arabien zu relativieren,
• gute Beziehungen zu den US-Verbündeten Irak,
Jordanien und Israel aufgebaut und
• überzeugend demonstriert, dass die Technologielü-
cke gegenüber dem Westen kleiner wird.
Die russischen Aktivitäten im östlichen Mittelmeer
werden:
• Der Absturz von Flug 9268 über der Wüste
der Sinai-Halbinsel, zu dem sich IS-Terroristen
bekannt haben, könnte russische Vergeltungs-
schläge provozieren. Die militärische und sicher-
heitspolitische Kooperation mit Ägypten dürfte
weiter gestärkt werden.
• Der unerwartete deutliche Wahlerfolg der AKP in
der Türkei ermöglicht die Etablierung eines präsi-
dialen Systems unter Präsident Recep Tayyip Erdo-
gan. Eine Revitalisierung der Beziehungen zum
Kreml wird auch davon abhängen, wie kurzfristige
Rückschläge verarbeitet werden können.
• Seit einigen Monaten sind verstärkt russische
Aktivitäten in Libyen feststellbar. Ob diese Akti-
vitäten auf ein weiteres militärisches Eingrei-
fen hindeuten, wird sich in Laufe des Jahres 2016
herausstellen.
Aufgrund dieser sicherheitspolitischen Entwicklungen
ist davon auszugehen, dass Russland 2016 seinen Fokus
auf das östliche Mittelmeer, auf die Levante sowie auf
den Nahen und Mittleren Osten legen wird. Im Kon-
kreten bedeutet dies, dass Russland seine militärische
Kampagne in Syrien in enger Abstimmung mit dem
Iran und der Hisbollah weiterführen wird. Militärische
Operationen in Ägypten und Libyen sind nicht auszu-
schließen. Darüber hinaus sind engere diplomatische
und wirtschaftliche Kontakte mit der Türkei erwartbar.
-
hungen gegenüber Saudi-Arabien und dem Oman ver-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 53
Eastern Pivot
Russlands wirtschaftliche und militärische Bezie-
hungen mit China wurden 2015 deutlich intensi-
viert. Dennoch folgt Russlands Eastern Pivot einem
rein pragmatischen Ansatz, der im Licht der sich ver-
schlechternden Beziehungen zum Westen betrachtet
werden muss. Es gibt zahlreiche Indikatoren, die auf
ein fragiles Verhältnis bei der russisch-chinesischen
Annäherung hindeuten. China könnte seinen strate-
im Südchinesischen Meer mit den USA jedoch erneut
revidieren. Aber auch die relativ schlechte Wirt-
schaftslage in Russland und China sowie die Rivali-
täten Moskaus mit Beijing über die unterschiedlichen
Interessen im Fernen Osten und in Zentralasien könn-
ten eine weitere Annäherung erschweren. 2016 könn-
ten die Beziehungen zwischen Russland und China an
Dynamik verlieren, und zwar trotz gegenteiliger poli-
tischer Beteuerungen beider Länder.
Die nördliche Dimension
-
kommen in der arktischen Region hat Russland seine
Doktrin für die Seestreitkräfte im Juli 2015 adaptiert
Im Jahr 2015 hat Russland die Verstärkung seiner
militärischen Präsenz in der Region angekündigt.
Diese verstärkte militärische Präsenz umfasst perma-
nente militärische Einrichtungen sowie eine verstärkte
-
land seine diplomatischen Anstrengungen bei den
Vereinten Nationen (UN Commission on the Limits
of the Continental Shelf) hinsichtlich der Forderung
eines exklusiven Kontrollanspruchs über rund 1,2
Mio. km2 des arktischen Festlandsockels inklusive des
Nordpols verstärkt. Russland hofft, diesen Anspruch
2016 erfolgreich durchsetzen zu können.
Russland wird 2016 seine diplomatischen und mili-
tärischen Anstrengungen fortführen, um seinen
Anspruch auf die arktische Region durchsetzen zu
können. Die westlichen Sanktionen gegen Russland
schränken die technologischen Möglichkeiten zur
Erschließung von Ölvorkommen ein.
Schlussfolgerungen
Russland wird seine diplomatischen und militärischen
Aktivitäten weiter intensivieren, um seine global-stra-
tegischen Ambitionen zu untermauern. Die russischen
Anstrengungen werden sich 2016 jedoch auf seine süd-
liche Peripherie konzentrieren.
Russland versuchen, die Handlungsfreiheit Europas
weiter zu begrenzen. Für Europa ist es daher von zent-
raler Bedeutung, einen realistischen strategischen Poli-
tikansatz zu entwickeln. Das bedeutet, dass Europa
eine klare strategische politische Vision formulieren
muss. Diese Vision muss mit einer glaubwürdigen mili-
tärischen Kapazität unterlegt sein. Strategisches Den-
ken bedeutet nicht notwendigerweise, dass Konfron-
tationen vorprogrammiert sind. Es hat sich sogar
gezeigt, dass in einer strategischen Konfrontation ein
kooperativer Ansatz die mehr versprechende, ratio-
nale Option für die beteiligten Akteure ist. Daher ist
ein strategischer Dialog erforderlich, in dem alle Betei-
ligten auch ein suboptimales Ergebnis akzeptieren
können. Vor dem Hintergrund der oben beschriebe-
nen strategischen Ambitionen Russlands wird sich im
Zeitraum 2020 bis 2025 das Window of opportunity
für einen strategischen Dialog zwischen Ost und West
54 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Russland wird seine diplomatischen und militärischen Aktivitäten intensivieren, um seine globelen strategischen
Ambitionen zu untermauern.
• Der zentrale Fokus Russlands wird 2016 dennoch auf seiner südlichen Peripherie liegen.
• Neben den militärischen Anstrengungen in Syrien können weitere Aktionen in Ägypten und in Libyen nicht ausge-
schlossen werden.
• Vor dem Hintergrund der neuen politischen Konstellation in der Türkei wird Russlands diplomatische Wirksamkeit
auch von den europäischen Reaktionen hinsichtlich der politischen Situation in Ankara abhängig sein.
• Europa wird verstärkt mit der Forderung nach einer realistischen und strategischen Politik konfrontiert sein. Euro-
pa muss mit Russland noch vor dem Zeitraum 2020-2025 in einen strategischen Dialog treten.
• Russland wird in diesem Zeitraum entweder Europa dominieren oder an seiner eigenen strategischen Überdeh-
nung zerbrechen.
• Beide Szenarien stellen eine Gefahr für die Prosperität am europäischen Kontinent dar. Sie verweisen auf eine
unsichere Zukunft für Europa.
KEY NOTES
• Russia‘s diplomatic and military activities will continue to intensify in order to buttress Russia’s global strategic
ambitions.
• However, Russia’s efforts will be mainly focused on the Southern periphery.
• Beside continued military efforts in Syria, military actions in Egypt and Libya are not excluded.
• Given the new political constellation in Turkey, Russia’s diplomatic effectiveness will depend on Europe’s respon-
se to the political situation in Ankara.
• Europe has to adopt a realistic strategic mindset and to engage into a strategic dialogue with Russia. The oppor-
tunity for such a strategic dialogue will close in 2020-2025.
• In this timeframe – ceteris paribus – Russia will either dominate the European theater or it will collapse due to
the effects of overstretch.
• Both scenarios endanger the prosperity of the continent and predict a uncertain future.
schließen. In diesem Zeitraum gibt es dann zwei Mög-
lichkeiten: entweder dominiert Russland auch Europa
oder das Land zerbricht an seiner strategischen Über-
dehnung. Beide Möglichkeiten verhindern eine prospe-
rierende Zukunft auf dem europäischen Kontinent.
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 55
CHINA UND DIE
WELTORDNUNG 2016
Sven Bernhard Gareis
Mit ihrem 2016 in Kraft tretenden 13. Fünfjahres-
plan setzt sich die chinesische Führung ambitionier-
te Ziele: Sie will die Wirtschaft weiter liberalisieren
und das Land in den Kreis der wohlhabenden Natio-
nen führen. 12.000 US-Dollar soll der durchschnitt-
liche Chinese dann verdienen, rund Zwei-Drittel
mehr als 2015. Pünktlich zu ihrem 100. Geburtstag
im Jahre 2021 will die Kommunistische Partei so ih-
ren Herrschaftsanspruch als erfolgreiche Führerin
von Staat und Gesellschaft untermauern. Angewie-
sen ist die Volksrepublik dabei auf die enge Koope-
ration mit der sie umgebenden Welt – sie wird daher
-
re Entwicklung des Landes notwendige Wirtschafts-
kraft beeinträchtigen.
56 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Wirtschaftliche Entwicklung
Um den Wohlstandszielen des Fünfjahresplanes ent-
sprechen zu können, muss Chinas Wirtschaft um
jährlich 6,5 Prozent wachsen, deutlich langsamer als
in den zurückliegenden Dekaden, aber noch immer
bemerkenswert im Vergleich zu den etablierten Indus-
trienationen. Hierzu muss sich China von der „Werk-
bank der Welt“ hin zu einer innovativen, selbst
entwickelte Produkte insbesondere im Dienstleis-
tungsbereich anbietenden Volkswirtschaft wandeln,
die zudem insgesamt nachhaltiger, umweltfreundli-
cher und stärker an der Binnennachfrage orientiert ist
als das gegenwärtige Modell. Hierbei bleibt China wei-
-
tung mit den Abnehmerländern seiner Produkte, vor
allem aber mit den Lieferanten von Hochtechnologie,
Energie und Ressourcen angewiesen. Diese Einsicht
wird Chinas auswärtige Politik auch 2016 und darü-
ber hinaus leiten. Ein stabiles regionales und globales
Umfeld, in dem China Projekte wie die Neue Seiden-
straße durch Eurasien voranbringen kann, bleibt daher
das vorrangige Interesse der Volksrepublik.
Territorialdispute
Den engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Trotz
liefert sich China eine Reihe von Territorialdisputen,
die durchaus das Potential für eine militärische Eska-
lation in sich tragen. Mit Japan streitet China um die
Senkaku/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer, mit
Vietnam um die im Südchinesischen Meer gelegenen
Paracel- und Spratly-Inseln. Um letztere Inselgruppe
liegt die Volksrepublik auch mit den Philippinen, Bru-
nei und Malaysia im Streit. Die Ansprüche Chinas
auf fast die gesamte Südchinesische See rufen zudem
die USA auf den Plan, die sich um die freie Schiff-
barkeit in diesen für die Weltwirtschaft so wichti-
Jahren durch die robuste Vertretung seiner Ansprü-
che für große Irritation in der Region gesorgt hat, sind
für 2016 verbindlichere Töne zu erwarten. Angesichts
der von allen Seiten entschlossen vorgetragenen For-
derungen in Verbindung mit in der gesamten Region
grassierenden nationalistischen Positionen sind Kon-
2016 allenfalls Fortschritte bei einem multilateralen
-
tensweisen einzelner Anrainer weniger wahrscheinlich
werden könnten.
Internationales Krisenmanagement
Auf der globalen Ebene wird China weiterhin ein
-
setzung von Ordnungsvorstellungen geht. Als „ver-
zunehmend deutlich in das internationale Krisen-
management etwa in Syrien – mit Blick auf die Ter-
rormiliz „Islamischer Staat“ oder das millionenfache
Flüchtlingselend – einzubringen haben. Indifferenz
kann sich China schon seit geraumer Zeit nicht mehr
leisten. Die Krisen der Welt werden 2016 entschlos-
sene, von allen großen Mächten getragene Maßnah-
men erfordern. China wird sich dem nicht entziehen
können.
Militärisches Potential
Chinas Militär durchläuft seit mehr als einem Jahr-
zehnt grundlegende Prozesse der Reform und Moder-
nisierung. Mit rund 140 Mrd. Dollar verfügt die mehr
als zwei Millionen Soldaten umfassende Volksbefrei-
ungsarmee über das zweitgrößte Militärbudget der
Welt. Auch 2016 wird dieses wieder um einen zwei-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 57
stelligen Prozentsatz erhöht werden. Trotz erkennba-
rer technologischer Fortschritte insbesondere bei der
Marine, der Luftwaffe sowie der Strategischen Rake-
tentruppe bleiben die chinesischen Streitkräfte insge-
samt aber weit hinter westlichen bzw. westlich orien-
tierten Armeen (etwa Japans oder Taiwans) zurück,
wenn es um die Befähigung zu moderner Kriegsfüh-
rung geht. Als Mittel zur weit reichenden und dauer-
haften Machtprojektion sind die chinesischen Streit-
kräfte weder 2016 noch in der mittleren Sicht geeignet.
Bedient werden könnten allenfalls regionale Szenarien
wie Taiwan oder die Inseldispute, wobei sich auch hier
-
keit der chinesischen Streitkräfte zeigen würden.
China-Taiwan-Beziehungen
Mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
in Taiwan kommt wohl bereits im Januar 2016 eine
besondere Herausforderung auf die Volkrepublik zu.
Wahrscheinlich ist ein Sieg der Demokratischen Fort-
dem Festland kritisch gegenübersteht. Die China-Tai-
wan-Beziehungen, die aufgrund der Involvierung der
USA und der engen Einbindung Taiwans in die Welt-
wirtschaft durchaus globale Bedeutung haben, dürften
in der Folge schwieriger werden. Aber auch eine prä-
sumtive Präsidentin Tsai Ing-Wen wird an einem sta-
bilen Verhältnis interessiert bleiben – und das Fest-
land wird graduelle Veränderungen zur Politik des
-
heit hinnehmen, dass die Zeit für die Volksrepublik
arbeitet.
Verhältnis USA-China
Das Machtspiel zwischen China und den USA wird
gerne als die wichtigste, zumindest als die potentiell
folgenreichste Beziehung im 21. Jahrhundert beschrie-
ben. Tatsächlich sind beide Mächte einander in tie-
fem Misstrauen bezüglich ihrer jeweiligen Ambitio-
nen zugetan – trotz einer beispiellosen ökonomischen
-
tem schwächere Spieler in dieser Konstellation wird
China auch 2016 immer wieder rhetorische und sym-
aber immer wieder vor Konfrontationen mit den USA
zurückscheuen.
Beziehungen EU-China
Auch wenn angesichts der verlangsamten Wirtschafts-
entwicklung in der Volksrepublik die Zuwächse im
bilateralen Handel (2014: 467 Mrd. Euro, davon
Österreich mit fast 11 Mrd. Euro) etwas bescheide-
ner ausfallen dürften als in den zurückliegenden Jah-
ren, bleiben die Europäische Union und China auf das
Engste vernetzte Handelspartner. In seinen Beziehun-
gen zur EU setzt China seit Jahren verstärkt auf bila-
terale Beziehungen zu einzelnen Mitgliedsstaaten und
lockt mit wirtschafts- und handelspolitischen Vortei-
größere wie Deutschland oder das Vereinigte König-
reich sollten dabei aber immer berücksichtigen, dass
-
tische und ökonomische Selbstbehauptung sowie die
Berücksichtigung von Werten etwa im Bereich der
Menschenrechte oder der Rechtsstaatlichkeit nicht ein-
-
pas gelingen können. Eine europäische China-Politik
bleibt auch 2016 wünschenswert, dürfte aber ange-
sichts der gegenwärtigen Verwerfungen innerhalb der
EU kaum erreichbar sein.
58 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Wenngleich sich Chinas ökonomisches Wachs-
tum etwas abgeschwächt hat, bleibt das Land auch
in 2016 und darüber hinaus ein Kraftzentrum der
Weltwirtschaft.
• China bleibt an einem stabilen regionalen und globa-
len Umfeld interessiert, in dem es seine wirtschaft-
lichen und politischen Interessen zielstrebig verfol-
gen kann.
• Trotz wiederkehrenden Säbelrasselns in der Süd-
und Ostchinesischen See wird China gewaltsa-
me Eskalationen zu vermeiden trachten – auch mit
Blick auf seine weiterhin begrenzten militärischen
Fähigkeiten.
• Hinsichtlich einer Rolle als globale Ordnungsmacht
bleibt China weiter zurückhaltend, dürfte aber sein
verstärken.
• Nach einem möglichen Erfolg der Demokratischen
Fortschrittspartei bei den taiwanischen Präsident-
schafts- und Parlamentswahlen im Januar 2016
werden die China-Taiwan-Beziehungen schwieriger,
bleiben aber stabil.
NKT
sich
gesc
über
tabilen
m es se
elstrebig verfol-
Wachs-
Land auch
m der
oba-
KEY NOTES
• Although China‘s economic growth has slightly wea-
kened, in 2016 and beyond the country will remain a
power centre of the global economy.
• China remains interested in a stable regional and
global environment where it can determinedly pur-
sue its economic and political interests.
• Despite recurring sabre-rattling in the South and
the East China Sea, China will avoid violent esca-
lations - also with regard to its still limited military
capabilities.
• With regard to a role as a global power, China re-
le in international crisis management.
• After a potential success of the Democratic Progres-
sive Party during the Taiwanese presidential and
parliamentary elections in January 2016, the rela-
tions between China and Taiwan will become more
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 59
EUROPAS STRATEGISCHE
AMBITIONEN 2016
Herfried Münkler
Die großen Herausforderungen der Europäischen
Union im Jahr 2016 dürften eher von außen als von
innen kommen. An die Stelle der Schuldenkrise in
den südeuropäischen Staaten, namentlich in Grie-
chenland, sind bereits im Verlauf des Jahres 2015
sicherheitspolitische Herausforderungen an der eu-
Bürgerkrieg in Syrien, getreten, und in Verbindung
damit die Flüchtlingsströme, die einzudämmen die
zentrale strategische Aufgabe des Jahres 2016 sein
wird.
Europas Fähigkeit zur strategischen
Ambition
Entgegen der Faustregel, dass politische Verbände
durch Herausforderungen von außen zusammenge-
schweißt werden, können die Flüchtlingsströme im Fal-
le der EU dazu führen, dass die zuletzt deutlich ange-
wachsenen Zentrifugalkräfte innerhalb der EU
weiterhin zunehmen werden. Das kontinuierliche An-
wachsen der Zentrifugalkräfte muss als Warnsignal ver-
standen werden: Die institutionelle Ordnung der EU
60 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
bedarf dringend einer grundlegenden Reform, um den
perspektivisch zunehmenden Herausforderungen ge-
wachsen zu sein. An dieser Frage wird sich auf mittlere
Sicht entscheiden, ob Europa zu strategischen Ambitio-
nen überhaupt noch in der Lage sein wird.
Europas Herausforderungen im Jahr 2016
Zwei große sicherheitspolitische Herausforderungen
werden die Europäer im Jahr 2016 beschäftigen: die In-
stabilität des postimperialen Raumes vom Westbalkan
bis zum Kaukasus mit der Ostukraine als virulentem
Orient mit dem syrischen Bürgerkrieg als dem Zentral-
verwandelt worden ist und dass das im Jahr 2016 so
bleibt, aber sowohl im Kaukasus als auch auf dem mitt-
leren und östlichen Balkan könnten dafür die alten und
aufbrechen. Von strategischer Relevanz für die EU ist
dabei vor allem der mittlere Balkan, weil an dessen Pa-
in Aussicht gestellte Beitritt einiger Staaten des mittle-
ren Balkans wird vorerst nicht möglich sein, aber die
Aufrechterhaltung dieser Aussicht ist der Anker der in-
dieses Problems neue Typen der EU-Mitgliedschaft ent-
worfen werden, die geringere Beitrittsvoraussetzungen
mit begrenzten Partizipationsrechten verbinden.
Mehr Realpolitik
Sehr viel drängender ist die Herausforderung der EU
durch den Nahen Osten und das damit verbundene Er-
fordernis zur Eindämmung der Flüchtlingsströme. Die
bisherige wertegebundene Außenpolitik der EU wird
durch eine sehr viel stärker realpolitisch ausgerichtete
Politik abgelöst werden, d.h. die Kontakte zum Iran, zu
Saudi-Arabien und Ägypten werden intensiviert wer-
-
lung in Syrien zu bekommen. Erst wenn diese Politik
scheitern oder ihr kein messbarer Erfolg beschieden
sein sollte, kann es dazu kommen, dass die Europäer
über ein direktes Eingreifen in den syrischen Bürger-
krieg nachdenken, das freilich nur in enger Abstim-
mung mit den USA, nach eingehenden Beratungen mit
Russland und unter Einbeziehung zumindest des Irans
und Saudi-Arabiens. Eine Schlüsselposition wird dabei
in jedem Fall der Türkei zukommen, ohne die und ge-
gen die keine Stabilisierung des nördlichen Vorderen
Orients zu erreichen ist. Da Ägypten bezüglich dessen
südlichen Teils eine ähnliche Rolle spielt, wird die EU
auch um eine Verbesserung der Beziehungen zu Ägyp-
ten bemüht sein. Das alles kann dazu führen, dass die
zuletzt restriktiver gewordene Waffenexportpolitik der
Europäer gegenüber diesen Ländern wieder deutlich ge-
lockert wird.
Mehr Geopolitik
Die bereits in 2015 erkennbar gewordene Kehre von ei-
ner an Werten orientierten Außen- und Sicherheitspoli-
-
teten Politik wird sich 2016 fortsetzen, und sie wird sich
vor allem im Umgang mit der Türkei konkretisieren.
Damit rächt sich die Distanz, die von einigen EU-Staa-
ten bzw. politischen Parteien in der EU gegenüber dem
-
rierende Distanz wird die Europäer auf mittlere Sicht
Politik wird sich freilich nicht deklarativ, sondern weit-
gehend stillschweigend vollziehen, und der Hauptan-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 61
trieb dabei wird sein, dass sich die EU eine Vernachläs-
nicht länger leisten kann. Damit verändert sich auch das
Design der strategischen Ambitionen: Sie werden kurz-
fristiger und handfester.
Pragmatischere Politik
Neben der Kostenfrage wird bei dieser Veränderung
auch das zunehmende Disengagement der USA gegen-
über der europäischen Sicherheit eine zentrale Rolle
spielen. Die strategischen Ambitionen der EU werden
infolge dessen sehr viel stärker durch aktuell bedrän-
gende Herausforderungen und weniger durch länger-
fristige Ordnungsperspektiven bestimmt sein. Das Er-
fordernis zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms ist
der Katalysator dieser Veränderung. Die Voraussetzung
für eine strategisch ambitionierte Flüchtlingspolitik der
EU ist freilich, dass der aktuelle Dissens überwunden
oder doch zumindest eingedämmt wird.
KERNPUNKTE
• Im Jahr 2016 wird Europa durch die Instabilität des postimperialen Raumes vom Westbalkan bis zum Kaukasus
• Angesichts der Flüchtlingsströme könnten die zuletzt deutlich angewachsenen Zentrifugalkräfte innerhalb der EU
auch im Jahr 2016 weiterhin zunehmen.
•
kasus und am Balkan wieder aufbrechen.
• Die bisherige wertegebundene Außenpolitik der EU wird durch eine sehr viel stärker geopolitisch und pragma-
tisch ausgerichtete Realpolitik abgelöst oder doch zumindest überlagert werden.
• Dies wird sich zentral in der Politik gegenüber der Türkei konkretisieren, ohne die und gegen die keine Stabilisie-
rung des nördlichen Vorderen Orients zu erreichen ist.
KEY NOTES
• In 2016, Europe is challenged by the instability of the post-imperial region that stretches from the West Balkans
•
further increase in 2016.
•
Balkans.
• The EU’s hitherto value-based foreign policy will be (at least partly) replaced by a realpolitik that is much more
geopolitical and pragmatic.
• This will essentially materialise with regard to the policy vis-à-vis Turkey, without or against which the northern
Middle East cannot be stabilised.
62 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Zinswende in den USA als Risiko für
Schwellenländer
Falls nicht schon Ende 2015, wird die Zentralbank
der USA ihren Leitzins 2016 anheben. Dies erhöht
den Anreiz, Kapital in den USA zu investieren, und
setzt so die Aufwertung des US-Dollars fort. Für die
GLOBALE FINANZMÄRKTE
2016
Zunehmende Votalität und Blasenbildung
Thieß Petersen
Trotz der zu erwartenden Zinswende in den USA
wird die weltweit zur Verfügung stehende Liquidität
2016 weiter ansteigen. Große Teile dieser liquiden
Mittel werden für den Kauf von Vermögenswerten
verwendet. Damit nehmen sowohl die Volatilität an
den Vermögensmärkten als auch die Gefahr eines
Platzens von Spekulations- und Kreditblasen zu.
Schwellenländer ergeben sich daraus zwei Herausfor-
derungen. Zum einen kann es zu einem Kapitalab-
-
rung von Investitionen erschwert. Zum anderen haben
sich die Schwellenländer in den letzten Jahren häu-
-
lar – verschuldet. Die Dollaraufwertung hat daher zur
Folge, dass die Schwellenländer mehr Devisen auf-
wenden müssen, um ihren Schuldendienst begleichen
zu können. Angesichts des nachlassenden Rohstoff-
booms wird dies jedoch für die rohstoffexportieren-
den Schwellenländer immer schwieriger. Damit steigt
-
ben müssen. Dies betrifft neben der staatlichen Ver-
schuldung auch die Kredite der Unternehmen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 63
Abwertungswettläufe nicht
ausgeschlossen
Das Wirtschaftswachstum der Schwellen- und Ent-
wicklungsländer wird sich 2016 weiter abkühlen. Der
Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft
hin zu einem stärker konsum- und dienstleistungs-
orientierten Wachstumsmodell führt dazu, dass Chi-
nas Wirtschaft in den kommenden Jahren nur noch
um fünf bis sechs, bestenfalls um 6,5 Prozent pro Jahr
wachsen wird. Zwischen 1991 und 2014 lag die jährli-
che Wachstumsrate im Durchschnitt bei zehn Prozent.
Das geringere chinesische Wirtschaftswachstum dros-
selt die Nachfrage nach Rohstoffen.
Für die rohstoffexportierenden Länder bedeutet dies
nicht nur ein geringeres Exportvolumen, sondern
zusätzlich auch fallende Rohstoffpreise. Damit sind
Einbrüche bei den Exporterlösen verbunden, die das
Wachstum abbremsen. Um dieser negativen Wirt-
schaftsentwicklung entgegenzuwirken, werden viele
Schwellen- und Entwicklungsländer 2016 eine expan-
-
rungen dieser Länder abgewertet. Die damit einher-
gehende Verbesserung ihrer Exportchancen kann im
Rest der Welt ebenfalls geldpolitische Maßnahmen
zur Abwertung der eigenen Währungen nach sich zie-
hen, was einen globalen Abwertungswettlauf auslösen
könnte.
Spekulations- und Kreditblasen werden
größer
Trotz der Leitzinserhöhung in den USA wird die welt-
-
len- und Entwicklungsländern führt die expansive
heimischen Währung zu hohen, zum Teil sogar zwei-
-
in die Vermögensmärkte und bewirken dort Preis-
Spekulationsblasen weiter an. Wann und wo es dazu
kommt, lässt sich jedoch nicht vorhersagen, denn
Finanzmarktentscheidungen sind von zahlreichen
-
tische Unterschätzung von Risiken oder die Überzeu-
gung, schlauer als der Markt zu sein).
führen zudem zu einem weiteren Anstieg der Ver-
schuldung von Staaten, Unternehmen und privaten
Haushalten. Parallel zu den Blasen an den Vermögens-
märkten bauen sich somit Kreditblasen auf. Sofern
eine Spekulationsblase platzen sollte, würde dies – so
wie bei der US-Immobilienblase und der Lehman-
Pleite 2008 – auch zu einem Platzen der Kreditblase
führen.
in Kombination mit einer globalen Überliquidität
dazu, dass die Volatilität an Aktien-, Devisen-, Wert-
papier- und Edelmetallmärkten weltweit zunehmen
wird.
Auswirkungen auf Europa und Österreich
Die bisher geschilderten Entwicklungen sind allesamt
globaler Natur und betreffen somit auch Europa bzw.
Österreich. Mit Blick auf die Eurozone gibt es ein sta-
bilisierendes und ein destabilisierendes Element. Der
Umstand, dass die Euro-Zone über eine gemeinsame
64 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Währung verfügt, wirkt stabilisierend, weil Abwer-
tungswettläufe zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten
unmöglich sind. Zudem macht das große Marktvolu-
KERNPUNKTE
•
weitere Aufwertung des US-Dollars nach sich ziehen.
•
wirken und die Kreditaufnahme erschweren.
• Sinkende Erlöse aus Rohstoffexporten dämpfen das Wirtschaftswachstum in den Schwellen- und Entwick-
lungsländern. Wegen der erschwerten Kreditaufnahme werden diese Länder zur Konjunkturankurbelung eine
expansive Geldpolitik betreiben.
• Die expansive Geldpolitik der Schwellen- und Entwicklungsländer wertet deren Währungen ab und könnte da-
mit einen globalen Abwertungswettlauf auslösen.
• Die weltweite Ausdehnung der Geldmengen erhöht die globale Überliquidität weiter und steigert damit das Ri-
siko des Entstehens und Platzens von Spekulationsblasen.
• Die seit Jahren steigende Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten wird sich 2016
fortsetzen. Damit wächst die Gefahr des Bankrotts einzelner Wirtschaftsakteure.
men den Euro weniger anfällig für spekulative Wäh-
rungsattacken. Destabilisierend wirkt hingegen die
KEY NOTES
• The rise in the key interest rate in the US that has been expected for 2015 will take place not later than 2016.
Further appreciation of the US-Dollar will be the consequence.
•
borrowing.
• Declining revenues from commodity exports diminish economic growth in emerging and developing coun-
economy.
• The expansionary monetary policy of the emerging and developing countries devalues their currencies and
could thus cause a global race for devaluation.
• The global expansion of the money supply further increases the global excess of liquidity and thus increases
the risk of the emergence and bursting of speculative bubbles.
• The years of increasing debt of states, companies, and private households will continue in 2016. This increa-
ses the risk of bankruptcy of individual economic actors.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 65
Weitere Verlangsamung der globalen
Konjunkturdynamik im Jahr 2015
Die Dämpfung der weltwirtschaftlichen Dynamik, die
seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 zu beob-
GLOBALE
WIRTSCHAFTS- UND
KONJUNKTURENTWICKLUNG
2016
Ulrich Schuh
Nach dem sehr gedämpften Wachstum des Jahres
2015 wird die Weltwirtschaft auch im Jahr 2016 nur
mäßig expandieren. Im Euroraum und in Japan
bleibt die konjunkturelle Dynamik verhalten und
mittlerweile hat sich auch in China das Wirtschafts-
wachstum merkbar verlangsamt. Lediglich die USA
weisen eine robuste Konjunkturentwicklung auf. Die
Risikofaktoren für die Konjunkturentwicklung haben
sich insbesondere in den Schwellenländern spürbar
erhöht. Zudem bestehen weiterhin beträchtliche
Konjunkturrisiken durch Finanzmarktinstabilität und
Energiepreisentwicklung.
66 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
achten war, hat sich im Jahr 2015 fortgesetzt. Nach
wie vor können die anhaltenden globalen makroöko-
nomischen Ungleichgewichte nicht überwunden wer-
den. Die Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoin-
landsprodukts liegt in den großen Wirtschaftsräumen
USA, Euroraum und Japan auf „unhaltbar“ hohen
Niveaus. Im Jahr 2015 kam es zudem zu einem mar-
kanten Rückgang der Energie- und Rohstoffpreise, die
Industriestaaten geführt haben. Die Entwicklung der
Verbraucherpreise hat zwar die Kaufkraft in den roh-
den Rohstoff und Energie exportierenden Ländern.
Insgesamt wird sich das Wachstum der Weltwirtschaft
– gemäß aktueller Prognose des Internationalen Wäh-
rungsfonds – im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um
etwa ¼ Prozentpunkt auf 3,1 % weiter verlangsamen.
Moderater Aufschwung wird für 2016
prognostiziert
Die aktuellen Prognosen für die globale Konjunktur-
entwicklung des Jahres 2016 (Europäische Kommis-
-
nationaler Währungsfonds) gehen von einer lediglich
moderaten globalen Wachstumsbeschleunigung aus.
In den stabilisiert sich die Inlandsnachfrage zuse-
hends. Die günstige Arbeitsmarktentwicklung unter-
stützt die Ausweitung des privaten Konsums, der
-
wicklung der relativen Energiekosten. Dieser stimu-
lierenden Entwicklung wirkt das schwache globale
Wirtschaftsumfeld entgegen, zudem hat sich das mit-
-
Im Jahr 2015 hat die vormalige „Lokomotive“ des
weltwirtschaftlichen Wachstums, China, deutlich an
Fahrt verloren. Turbulenzen auf den Aktien- und
Immobilienmärkten haben die Abschwächung des
Wirtschaftswachstums eingeleitet. Es wird gegenwär-
tig davon ausgegangen, dass die chinesische Wirtschaft
nunmehr auf einen gemäßigteren, aber nachhaltigen
Wachstumspfad einschwenken wird. Die Absenkung
der Wachstumsaussichten Chinas impliziert generell
eine Abschwächung des globalen Wachstumspotentials.
Unter den Schwellenländern weist Indien derzeit eine
vergleichsweise robuste Konjunkturentwicklung auf,
die insbesondere von der Inlandsnachfrage getragen
wird.
wurden vom Einbruch der Ener-
gie- und Rohstoffpreise massiv getroffen und tauchten
im Jahr 2015 in eine tiefe Rezession. Russland leidet
sowohl unter den Folgen der Sanktionen im Zusam-
menhang mit der Ukrainekrise als auch unter dem
spürbaren Rückgang der Energiepreise, die zu einer
substanziellen Minderung der Exporterlöse führen.
Insbesondere der kräftige Rückgang des Erdölpreises
stellt für die russische Wirtschaft eine Bedrohung dar,
weil die Energieexporte die Haupteinnahmequelle der
Außenwirtschaft darstellen. Auch im Jahr 2016 wird
Russland einen Rückgang der realen Wirtschaftsleis-
tung hinnehmen müssen. In Brasilien leidet die Volks-
wirtschaft unter einer chronischen Verschleppung not-
wendiger Strukturreformen, die den privaten Konsum
und die Investitionsbereitschaft hemmt. Im Jahr 2016
sollte sich die brasilianische Wirtschaft auf niedrigem
Niveau stabilisieren.
Japan verfolgt derzeit einen betont aggressiven wirt-
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 67
-
tung der Währung an internationaler Wettbewerbsfä-
higkeit zu gewinnen. Dennoch wird sich die Wachs-
tumsrate des realen BIP nur moderat von 0,6 % im
Jahr 2015 auf etwa 1 % im Jahr 2016 beschleunigen.
In der Europäischen Union verläuft der
Aufschwung nur langsam
Die mäßige Wachstumsperformance der Weltwirt-
schaft ist in beträchtlichem Umfang der anhaltenden
Konjunkturschwäche der Mitgliedsstaaten der Euro-
päischen Union
Euroraum von der Entwicklung der Rohstoff- und
Energiepreise und einer spürbaren Abwertung der
Italien die unmittelbaren Folgen der Schuldenkrise
überwinden und sind in einen moderaten Wachstums-
kurs eingeschwenkt. Der Euroraum wird daher im Jahr
2015 eine moderate Beschleunigung des Wirtschafts-
wachstums auf 1,5 % erzielen. Dieses Wachstum sollte
auch im Jahr 2016 erreicht werden können.
Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsstaaten
ist allerdings nach wie vor weit von der notwendi-
gen Konsolidierung der Staatshaushalte entfernt, was
das Vertrauen der Wirtschaftsakteure untergräbt. Da
erhebliche wirtschaftliche Ungleichgewichte inner-
halb der Europäischen Union bestehen, können mak-
roökonomische Politiken nur ungenügend gegensteu-
ern. Dank erfolgter Strukturreformen wird ein leichter
Rückgang der Arbeitslosenquote erreicht werden kön-
nen, allerdings bleibt das Niveau der Arbeitslosigkeit
auf schmerzhaft hohem Niveau. Die Phase sinkender
Verbraucherpreise wird gegen Ende des Jahres 2015
auslaufen, bereits im Jahr 2016 sollte sich wieder eine
allerdings ein Anstieg der Zinssätze auf Staatsanlei-
hen verbunden sein, der die Staatshaushalte zusätz-
lich belasten würde. Es zeichnet sich ab, dass die ange-
strebten Ziele der Haushaltskonsolidierung für das
Jahr 2016 in einer Mehrzahl von Mitgliedsstaaten des
Euroraums verfehlt werden. Dies könnte das Vertrauen
von Konsumenten und Investoren weiter beeinträch-
tigen und zu einer Verfestigung der konjunkturellen
Schwäche beitragen.
Das Wachstumstempo des Welthandels
hat sich nachhaltig verlangsamt
Das Expansionstempo des Welthandels hat sich seit
der Finanzkrise merklich verlangsamt. Das Verhältnis
von Handelsvolumen zu regionaler Wertschöpfung hat
sich verringert. Dies spiegelt eine verstärkte Orientie-
rung der Weltwirtschaft auf die jeweilige regionale Bin-
-
balisierung, die Mitte der 1970er Jahre begonnen hatte,
dürfte somit zu Ende gegangen sein. Insbesondere
für exportorientierte Staaten stellt diese Entwicklung
eine Herausforderung dar. Im Rahmen der Verhand-
lung eines Transatlantischen Freihandelsabkommens
(TTIP) versuchen EU, EFTA, EU-Beitrittskandidaten,
USA und NAFTA bestehende Handelsbarrieren abzu-
bauen und den Warenaustausch innerhalb dieser Regi-
onen zu intensivieren. Ein Abschluss der Verhandlun-
gen ist jedoch in absehbarer Zeit nicht in Aussicht.
Die Konjunkturrisiken haben gegenüber
dem Vorjahr weiter zugenommen
Die negativen Konjunkturrisiken für die Weltwirt-
schaft haben im Jahr 2015 weiter zugenommen. Die
Sorgen über Ungleichgewichte auf den Kapitalmärkten
davon ausgegangen, dass die chinesische Regierung
eine Stabilisierung der nationalen Aktien- und Immo-
68 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich im Jahr
2016 nur moderat gegenüber dem Vorjahr erholen.
• Die Schwellenländer leiden unter dem Verfall der
Rohstoff- und Energiepreise.
• Die Wirtschaft Chinas wird von Turbulenzen auf den
Finanzmärkten beeinträchtigt und stellt mittlerweile
einen bedeutenden globalen Risikofaktor dar.
• Die Europäische Union hat die strukturelle Staats-
schuldenkrise nicht überwunden, dadurch bleibt das
Wachstum mittelfristig gedämpft.
• Die Finanzmärkte bleiben weiterhin labil, eine Er-
höhung des Leitzinses in den USA könnten Kapital-
markt- und Währungsturbulenzen auslösen.
• Insgesamt haben die Konjunkturrisiken gegenüber
dem Vorjahr weiter zugenommen.
bilienmärkte bewerkstelligt, sodass lediglich mäßige
Konsequenzen für die wirtschaftliche Dynamik fol-
jedoch zweifellos gestiegen, und dies hätte unmittel-
bare Folgewirkungen für die globale wirtschaftliche
Entwicklung.
Bei der Entwicklung in China ist zu beachten, dass die
Verwundbarkeit der Volkswirtschaften im Falle einer
neuerlichen Finanzkrise auf globaler Ebene deut-
lich zugenommen hat. Die hohen Verschuldungsquo-
ten der öffentlichen Haushalte schränken die Hand-
lungsfähigkeit nationaler Regierungen ein, ebenso ist
der Handlungsspielraum der Notenbanken mittler-
weile stark eingeengt. Im Unterschied zum Jahr 2008
sind gegenwärtig auch alle Schwellenländer auf den
Finanzmärkten unmittelbar bedroht. Wie die Sor-
gen über die Entwicklung in China zeigen, könnten
diese sogar selbst eine Finanzkrise auslösen. Die Fol-
gen einer tiefen Finanzkrise wären vor diesem Hinter-
grund vermutlich weitaus gravierender und dauerhaf-
ter als nach der Lehman-Brothers-Insolvenz.
politik in den USA dar. Sollten die Konjunktur und in
der Folge die Verbraucherpreise kräftiger als erwartet
anspringen, wäre die Zentralbank der USA genötigt,
die Zinssätze anzuheben. Im Verbund mit den prog-
nostizierten anhaltend niedrigen Energie- und Roh-
stoffpreisen könnte dies zu massiven Verschiebungen
der globalen Kapitalströme führen, die insbesondere
in rohstoffexportierenden Schwellenländern schwer-
wiegende Kapitalmarkt- und Währungsturbulenzen
auslösen könnten. Niedrige Rohstoffpreise verringern
Wachstums- und Ertragsaussichten in rohstoffexpor-
tierenden Schwellenländern. Investoren und Anle-
ger könnten daher Kapital aus diesen Staaten abziehen,
was die Konjunkturschwäche dort verschärfen und die
betreffenden Währungen unter Druck setzen könnte.
KEY NOTES
• Global economic growth will only moderately recover
in 2016 compared with last year.
• Emerging countries suffer from the decline of com-
modity and energy prices.
•
risk factor.
• The European Union has not yet overcome the struc-
tural sovereign debt crisis, which means that growth
will remain low in the medium term.
• Financial markets remain fragile, increases in base
rates in the US could trigger capital market and cur-
rency turmoil.
• Overall, the economic risks have increased further
compared with the previous year.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 69
Megaregionale Handelsabkommen
Megaregionale Handelsabkommen wie die Transatlanti-
sche Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwi-
schen den Vereinigten Staaten und der Europäischen
oder die Regional Economic Comprehensive Partner-
ship (RECP), an der sich mehr als 20 asiatische Ländern
beteiligen, werden zunehmend von Bedeutung sein.
GEOPOLITISCHE BEDEUTUNG
VON FREIHANDELSABKOMMEN
2016
Daniel S. Hamilton
Österreich und seine Partner in der Europäischen
Union setzen sich weiter ein für eine Liberalisierung
globaler Märkte, vor allem durch die sogenannte
Doha-Runde multilateraler Verhandlungen der World
Trade Organization (WTO). Seit Jahren stocken nun
diese globalen Verhandlungen. Viel größere Dyna-
mik steckt in sogenannten präferenziellen Handels-
abkommen. Solche Handelsabkommen erfassen
schon über 50 Prozent des globalen Handels.
70 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Im Jahre 2016 wird vor allem die TPP die Welthan-
-
zierungsdebatten in den TPP-Mitgliedsstaaten werden
sich höchstwahrscheinlich bis zum Sommer 2016 hin-
ausdehnen. Ein Drittel des gesamten Welthandels und
37 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts ent-
fallen auf die zwölf TPP-Mitgliedsstaaten USA, Aus-
tralien, Neuseeland, Kanada, Mexico, Peru, Chile,
Singapur, Brunei, Vietnam, Malaysien und Japan.
TPP-Partner gewähren einander umfassenden Markt-
zugang einschließlich der Dienstleistungsmärkte. Ein-
bezogen werden zahlreiche Querschnittsthemen wie
regulatorische Zusammenarbeit, Regelungen zum
Schutz geistigen Eigentums, zum digitalen Handel
oder zum Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umwelt-
schutz. Das Abkommen ist auch offen für neue Ent-
wicklungen („fortlaufende Überprüfung“) und den
Beitritt weiterer Staaten der Region. Es gibt Schätzun-
gen, dass die TPP bis 2025 einen Mehrwert von 295
Milliarden US-Dollar für ihre Mitgliedsstaaten schaf-
fen könnte. Die TPP untermauert die „Pivot to Asia“-
Politik der US-Regierung unter Präsident Obama und
stellt sowohl eine Blaupause für andere große regio-
nale Abkommen als auch eine Plattform für eine Wie-
derbelebung der derzeit ruhenden WTO-Welthandels-
gespräche dar.
TTIP, die andere wichtige megaregionale Verhand-
lung, wird aller Voraussicht nach nicht bis zum Ende
der Obama-Regierung im Januar 2017 ausverhan-
delt sein. Nach elf Verhandlungsrunden bis Novem-
ber 2015 stehen die zwei Partner in manchen Fragen
noch weit auseinander. 2016 wird die US-amerikani-
sche Innenpolitik, sowohl mit der Zustimmung des
US-Kongress zur TPP als auch mit der US-Präsident-
schaftswahl beschäftigt sein. Führen die TTIP-Ver-
handlungen bis Ende 2016 doch zu einem Ergeb-
nis, würde die Zustimmung des US-Kongresses, des
Europäischen Parlaments und der Parlamente der 28
EU-Mitgliedsstaaten weit über 2016 hinaus benötigen.
Das Freihandelsabkommen TTIP wird in kaum einem
anderen Land mit so großer Skepsis betrachtet wie in
Österreich, obwohl bis zu 140.000 Österreicher ihre
Arbeitsplätze entweder US-amerikanischen Firmen in
Österreich, österreichischen Exporteuren in die USA
oder deren Zulieferern und Vertreibern verdanken.
Österreichs Interesse am gesunden transatlantischen
österreichischer Firmen in die weltweiten Zulieferket-
ten betrachtet. Nun ist Österreich gerade dabei, sei-
nen hart erarbeiteten Anteil am US-amerikanischen
Markt zu verlieren. 16 Prozent der österreichischen
Exporte außerhalb der EU gehen in die USA. Vor
zehn Jahren waren es noch 24 Prozent. Dies ist eine
-
schen Freihandelsabkommen TPP werden österreichi-
sche Firmen für ihren Anteil am US-amerikanischen
Markt künftig noch härter arbeiten müssen. Ohne ein
transatlantisches Pendant werden Österreich und die
anderen europäischen Länder einem höheren Kon-
sein.
Geo- und sicherheitspolitische Bedeu-
tung der Freihandelsabkommen
TTIP hätte eine weitreichende geopolitische Bedeu-
tung. Für eine Welt diffuserer Macht und zuneh-
mender Konkurrenz versuchen die EU und die USA,
durch TTIP neu zu positionieren. Daher ist TTIP auf
dreifacher Weise bedeutsam für die europäische und
die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik:
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 71
Erstens, TTIP untermauert das geostrategische Fun-
dament der transatlantischen Partnerschaft. Eine
prosperierende Wirtschaft ermöglicht außen- und
sicherheitspolitischen Spielraum. TTIP ist aber keine
„Wirtschafts-NATO“, da sie gegen niemanden gerich-
tet ist, sie ist auch kein Bündnis zwischen einer über-
legenen Macht und kleineren Alliierten, sondern sie
ist eine Partnerschaft zwischen zwei gleichgewichti-
gen Wirtschaftsmächten. TTIP verankert wohl die
transatlantische Wirtschaft, ist aber weder Ersatz
noch Ergänzung eines militärischen Bündnisses.
Zweitens, TTIP, TPP und ähnliche Freihandelsab-
kommen sind wichtig im Umgang mit aufstrebenden
Mächten. Sie sind Hebel, um solche Mächte zu beein-
-
ren. TPP stellt z. B. eine Balance zu Chinas Rolle
China einzudämmen oder auszuschließen, sondern
vielmehr um China Anreize zu geben, sich höheren
Standards anzunähern und sich dadurch auf Koope-
ration statt auf Konfrontation auszurichten. TTIP
und TPP forcieren auch ein Umdenken der brasilia-
nischen Außen- und Handelspolitik in Richtung grö-
ßere Offenheit.
TTIP hat wichtige Implikationen für osteuropäische
Staaten und vor allem für Russland. Die Möglichkeit,
-
atlantischen Markts zu sein, könnte die Menschen
in Ukraine und in anderen osteuropäischen Staaten
ermuntern, schwierige Reformen zu unterstützen.
TTIP ist auch eine große Herauforderung für Versu-
che des Kremls, die Beziehungen der Europäer unter-
einander und zu den USA zu stören. Stärkere Verbin-
dungen zwischen wettbewerbsfähigen Demokratien,
deren Bürger noch höhere Lebensstandards genie-
ßen, fordern das eindimensionale ressourcenorien-
tierte russische Wirtschaftsmodell stark heraus. TTIP
würde unter anderem US-Energieexporte in die EU
ermöglichen und die Energieabhängigkeit der EU von
Russland reduzieren. Daher setzt der Kreml „aktive
Maßnahmen“ gegen TTIP in Osteuropa und inner-
halb der EU.
Drittens, TTIP ist ein Instrument um sicherzustel-
-
system einer vernetzten Welt bleiben. Je besser trans-
atlantische Netzwerke miteinander verbunden sind,
desto wahrscheinlicher ist es, dass andere sich daran
beteiligen. Je schwächer diese Netzwerke sind, desto
wahrscheinlicher werden andere Mächte die offene
internationale Ordnung herausfordern. Die EU und
die USA gehören weltweit zu den wenigen Regionen,
Umwelt und Konsumentenschutz in Freihandelsab-
kommen berücksichtigt werden. Sie verfügen über
die beiden ausgereiftesten Regulierungssysteme. Ein
-
zipien und Sicherheiten zu gewährleisten, nicht nur
gegenseitig, sondern auch im Handel mit anderen,
wäre ein starkes Zeugnis gemeinsamer Werte und ein
mächtiges Instrument, diese Standards weltweit vor-
anzutreiben. Ohne eine derartige Vereinbarung wür-
dass ihre hart erkämpften Standards ausgehöhlt wer-
den. Diese Normen reichen auch weit über das wirt-
-
zipien internationaler Ordnung wie des Respekts der
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit oder der aus-
auch ein Sicherheitsverlust für Österreich und seine
EU-Partner.
72 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Präferenzielle Handelsabkommen erfassen über 50
Prozent des globalen Handels und haben weitrei-
chende geopolitische Bedeutung.
• 2016 wird die TPP sowohl handelspolitische als
auch geopolitische „Wellen“ schlagen: als Wachs-
tumsschub für ihre Mitgliedsstaaten, Hebel gegen-
über China und Druck auf die TTIP-Verhandlungen.
• TTIP wird aller Voraussicht nach nicht bis Ende der
Amtszeit von US-Präsident Obama im Januar 2017
fertig ausverhandelt sein.
• TTIP untermauert das geostrategische Fundament
der transatlantischen Partnerschaft.
• TTIP, TTP und andere Freihandelsabkommen sind
mit und nicht gegen den Western zu agieren.
• Diese Abkommen sind Instrumente um sicherzustel-
len, dass westliche Grundsätze das „zentrale Be-
triebssystem“ einer vernetzten Welt bleiben.
KEY NOTES
• Preferential trade agreements comprehend over 50
percent of global trade and have far-reaching geopo-
litical importance.
• In 2016, the TPP will cause a stir from a geo-politi-
cal as well as a trade-political perspective: growth
spurt for its member states, leverage against China
and pressure on the TTIP negotiations.
• TTIP will most likely not be ready until the end of the
Obama administration in January 2017.
• TTIP underpins the geostrategic foundation for the
transatlantic partnership.
• TTIP, TTP and other free trade agreements are
cordance and not against the West.
• These agreements are instruments to ensure that
western principles remain the central operating sys-
tem of a networked world.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 73
Besonders deutlich wird dies im Zinkmarkt, der 2016
bis Ende 2016 aufgrund zahlreicher Minenschließun-
gen mit einem Rückgang der weltweiten Zinkproduk-
tion um 15 Prozent zu rechnen. Neue Projekte sind
aktuell nur bei kleinen Bergbauunternehmen in Pla-
nung, die aber zunehmend mit Finanzierungspro-
blemen zu kämpfen haben. China steht derzeit für
ein Drittel der weltweiten Produktion. Bei weiterhin
STRATEGISCHE
ROHSTOFFE 2016
Die größten Risikotrends
Miriam Kraus
Abgesehen von generellen Versorgungsrisiken in vie-
len Rohstoffmärkten ausgehend von einer oftmals
starken Konzentration auf nur wenige Produzenten
sind für 2016 zwei große Risikotrends für mindes-
tens sechs strategische Metalle auszumachen. Zum
einen steigt die Nachfrage zur Herstellung von Bat-
terien und Energiespeicherlösungen, zum anderen
besteht eine große Gefahr für die Versorgungslage
durch die stark gesunkenen Rohstoffpreise, daraus
resultierende Minenschließungen und den Verzicht
auf Investitionen in neue Projekte.
74 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
gedrücktem Preisniveau besteht allerdings mittelfristig
das Risiko für eine stärkere Konzentration der welt-
weiten Produktion auf China. Ebenfalls kann sich eine
zunehmende Angebotskonzentration auf China für
das strategische Metall Indium ergeben. Dieses wird
als Nebenprodukt bei der Zinkförderung gewonnen.
Mit einem zunehmenden Rückgang der Produktion
außerhalb Chinas sowie enorm hohen Lagerbeständen
in China kann das Land seine Vormachtstellung im
Markt weiter ausbauen.
Kupferförderung
Von Kürzungen bei der Förderung sind überdies die
strategischen Metalle Kobalt und Molybdän betrof-
fen. Beide werden als Nebenprodukte von Kupfer pro-
duziert. Aufgrund des niedrigen Kupferpreises sind
die Bergbaukonzerne auch in diesem Markt gezwun-
gen, die Produktion zurückzufahren. So wird allein
der Bergbaukonzern Freeport McMoran seine Molyb-
dän-Förderung um zehn Millionen Pfund – das ent-
spricht zwei Prozent des weltweiten Angebots – kür-
zen. Zudem ist jetzt schon ein deutlicher Rückgang
der Investitionen in die Kupferförderung abzusehen,
was auf Sicht der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre
auch das Molybdän-Angebot deutlich unter Druck
bringen kann.
Risiko einer Kobalt-Verknappung
Bei Kobalt zeichnet sich bereits ab 2016 der Beginn
-
core fährt aus Kostengründen seine Kupferförderung
massiv zurück. Dabei wird auch das weltweite Kobalt-
Angebot um fünf Prozent eingeschränkt werden.
-
core weitere Produktionskürzungen vornehmen, was
wiederum Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von
weltweiten Kobalt-Angebots. Dabei ist zu bedenken,
dass die weltweite Kobalt-Nachfrage bereits um über
zehn Prozent pro Jahr wächst. Der treibende Faktor
ist dabei die Nutzung des Metalls in Batterien, haupt-
sächlich in der Autoindustrie. In diesem Zusammen-
hang könnte der VW-Abgasskandal zu einer verstärk-
ten Nachfrage nach elektrischen Antrieben führen
und damit die Kobalt-Nachfrage zusätzlich antreiben.
Die Kombination dieser Faktoren wird zu einer deutli-
chen Verknappung im Kobalt-Markt führen.
Mehr Speicherlösungen steigern
Nachfrage nach Lithium, Graphit und
Vanadium
Vom Boom der Speicherlösungen ausgehend ist ab
Tesla Motors mit einer massiv steigenden Nachfrage
nach Lithium zu rechnen. Bei voller Auslastung liegt
der Verbrauch dieser einen Fabrik bei 8000 Tonnen
Lithium pro Jahr, was über 20 Prozent der aktuellen
Jahresproduktion entspricht. In China plant Warren
-
brik. Aller Voraussicht nach wird der Nachfragetrend
nach verbesserten Batterie- und Energiespeicherlösun-
gen sich weiter fortsetzen und damit auch die Verfüg-
und Vanadium tangieren. Bei allen drei Rohstoffen
besteht derzeit keine Ressourcenknappheit, doch die
Konzentration der Förderung auf nur wenige Länder
birgt Risiken. So wird Lithium hauptsächlich in Chile,
Argentinien und China abgebaut, Vanadium in Süd-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 75
KERNPUNKTE
• China kann sein Monopol im Indium-Markt
ausbauen.
• Die Molybdän-Förderung sinkt.
• Wegen des niedrigen Kupferpreises sinkt bei stei-
gender Nachfrage auch die Kobalt-Förderung.
• Bei Lithium, Graphit und Vanadium gibt es steigen-
de Nachfrage und hohe Länderkonzentration in der
Förderung.
• Wenn es China gelingt, dem illegalen Bergbau Ein-
halt zu gebieten, wäre zeitweise mit einer akuten
Wolfram-Verknappung zu rechnen.
wichtig ist, kann ab 2016 ein knapperes Angebot zur
Verfügung stehen, wenn Chinas Restrukturierung des
bots im Inland verarbeitet wird.
Wolfram: Versorgungsrisiken gestiegen
schen Metalls Wolfram mit teilweise weit über 80 Pro-
zent Marktanteil ist China. Sollte es der chinesischen
Regierung gelingen, dem illegalen Wolfram-Bergbau
Einhalt zu gebieten, was nach WTO-Entscheid erklär-
tes Ziel ist, wäre zeitweise mit einer akuten Verknap-
pung im Markt zu rechnen. Österreich ist mit über 35
Prozent der weltweit größte Exporteur von verarbeite-
tem Wolframkarbid.
Angebotsrückgang bei Edelgasen
Bei den Edelgasen Helium und Neon besteht bereits
ein eingeschränktes Angebot, nachdem die US-Heli-
umvorräte stark abgesunken sind und der Ukraine-
produzieren über 40 Prozent des weltweiten Helium-
Angebots, über 70 Prozent des weltweit verfügba-
ren Neons kommt aus Osteuropa. Ebenso dürfte der
Xenon-Markt auch 2016 aufgrund der das Angebot
übersteigenden Nachfrage aus der Beleuchtungsindus-
Insgesamt markiert 2016 voraussichtlich nur den
Beginn von weiteren Phasen der Angebotseinschrän-
kung in verschiedenen Rohstoffmärkten, weswegen
eine fortgesetzte Beobachtung der Risikotrends emp-
fohlen wird.
KEY NOTES
• China can expand its monopoly in the Indium
market.
• Molybdenum production is decreasing.
• Even though demand increases, Cobalt production
decreases due to the low Copper price.
• The demand for, as well as the number of coun-
tries producing Lithium, Graphite and Vanadium is
increasing.
• If China succeeds in stopping illegal mining, tem-
porary but acute shortages of Tungsten can be
expected.
76 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KONFLIKTHERDE
DER WELT 2016
Michael Brzoska
Krieges ausgegangen war, scheint aufgebraucht zu
sein. Die Weltmacht USA wird wieder offen heraus-
gefordert, von Putins Russland wie von Netanjahus
Israel und den extremistischen Islamisten des soge-
nannten „Islamischen Staats“ (IS). Trotz einiger
beeindruckender Erfolge nachholender wirtschaftli-
cher Entwicklung sehen sich viele Menschen, vor al-
lem im Nahen Osten und in Afrika, von den Vorteilen
der Globalisierung ausgeschlossen. Autoritäre Re-
gime haben sich in vielen Regionen als stabiler er-
wiesen, als in den frühen 1990er Jahren erwartet
worden war.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 77
Lokale, regionale und globale Trends und Prozesse
-
mischer und machen Prognosen schwieriger. Trotz-
die auch 2016 virulent bleiben werden.
Dazu gehört an erster Stelle der Bürgerkrieg in Syrien.
Eine Lösung ist nicht abzusehen, selbst ein Waffen-
stillstand scheint gegenwärtig nicht erreichbar. Dabei
sind große Teile der Bevölkerung kriegsmüde, was
sich nicht zuletzt in hohen Flüchtlingszahlen nie-
der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran ebenso
-
-
und Russland verstrickt sind, über den Irak, Syrien
und den Jemen hinaus ist vorhanden, mit dem Liba-
-
cherweise auch Ägypten und Saudi-Arabien als neue
Mittleren Osten könnte 2016 auch ein weiterer Krieg
zwischen Israel und den Palästinensern gehören. Die
Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der
kurdischen PKK kann eskalieren und möglicherweise
die Türkei darin bestärken, sich militärisch in den
syrischen Bürgerkrieg einzumischen.
Bewaffnete Auseinandersetzungen mit
Bezug zu Europa
Militärische Erfolge der verschiedenen gegen den
Schwächung der Organisation führen, aber mögli-
cherweise auch den Effekt haben, dass dem IS ideo-
aber auch in Zentralasien Zulauf erhalten. Auch
könnten spektakuläre terroristische Anschläge in
Russland, den USA und Westeuropa versucht werden.
Etwas besser sieht die Situation in der Ukraine aus,
nicht ausschließen. Viel hängt vom russischen Inte-
resse an einem Unruheherd an der Peripherie von
NATO und EU ab. Aber auch ein aggressiveres Vor-
gehen der Regierung in Kiew oder anderer pro-westli-
-
nen zwischen NATO und Russland könnten einem
um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aser-
baidschan. Sollten sich Russland und der Westen auf
unterschiedliche Seiten stellen, könnte dies zu einer
weiteren Verschlechterung des Ost-West-Verhältnisses
in Europa führen.
Afrika und Asien
-
rer Zeit entschärft worden, so in Somalia, in der Zen-
tralafrikanischen Republik und in der Demokrati-
schen Republik Kongo, aber die Lage bleibt weiterhin
sehr fragil. Wie schwierig erfolgreiche Friedenskon-
solidierung ist, zeigt aktuell der Fall des Südsudans.
2016 könnte Burundi einem weiteren offen ausgetra-
gen Bürgerkrieg zum Opfer fallen.
Auch 2016 wird Afghanistan ein Krisenherd mit regi-
-
rung ausländischer Streitkräfte ebenso wie wegen der
möglichen Ausstrahlung auf die Nachbarstaaten Paki-
stan, Tadschikistan und Usbekistan. Die internen
78 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KEY NOTES
•
East.
• Military successes against ISIS in Syria and Iraq could be accompanied by strengthening Islamist groups in other
regions.
•
•
Burundi.
•
could contribute to a deterioration of the prospects for an easing of East-West relations in Europe.
• Afghanistan itself will remain a hot spot, with an impact on Pakistan and Central Asia.
Probleme der Atommacht Pakistan erzeugen zusätzli-
Demgegenüber dürfte die Lage in Ost- und Nord-
die Inseln im Südchinesischen Meer, bleiben zwar,
aber die Abschwächung des wirtschaftlichen Wachs-
KERNPUNKTE
• Ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien ist nicht wahrscheinlich. Es droht eine Ausweitung des schiitisch-sunniti-
• Militärische Erfolge gegen den „IS“ in Syrien und im Irak könnten mit einer Stärkung islamistischer Gruppen in
anderen Regionen einhergehen.
•
•
Burundi gegenüber.
•
Armenien und Aserbaidschan wieder zu einer Verschlechterung der Aussichten für eine Entspannung des Ost-
West-Verhältnisses in Europa beitragen.
• Afghanistan selber wird ein Krisenherd bleiben, mit Ausstrahlung auf Pakistan und Zentralasien.
tums in China und der Wahlkampf in den USA dürf-
ten eher zu einer Dämpfung denn zu einer Intensivie-
rung der Auseinandersetzungen führen. Jederzeit für
Überraschungen, insbesondere der friedensgefährden-
den Art, kann allerdings das nordkoreanische Regime
sorgen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 79
geprägt bleiben. Erstens, werden die militärischen
Auseinandersetzungen in Syrien und mit der Terror-
miliz „Islamischer Staat“ fortgeführt – inklusive eines
verstärkten französischen Engagements nach den Ter-
roranschlägen von Paris. Das Eingreifen Russlands
hat die Lage des Assad-Regimes stabilisiert, kann
-
zeitig ist die Obama-Administration zunehmend ent-
schlossen, militärische Unterstützung zu leisten, wäh-
rend die US-Präsidentschaftswahlen den Diskurs einer
Außenpolitik der Stärke vorantreiben. Der in der Wie-
ner Konferenz angestoßene Prozess einer regionalen
Einigung wird 2016 höchstwahrscheinlich nicht zum
Abschluss kommen.
INTERNATIONALE KONFLIKTE
UND GESELLSCHAFTLICHE
SICHERHEIT 2016
Raphael Bossong
Die Gewährleistung gesellschaftlicher Sicherheit
kann als Aufrechterhaltung zentraler Systeme – bei-
spielsweise der Gesundheitsversorgung, aber auch
von Werten wie Identität und Solidarität – in Krisen
verstanden werden. Die entsprechenden Herausfor-
derungen durch Flüchtlingsströme und – davon un-
abhängige – terroristische Anschläge, die durch in-
unverändert stark sein. Zum einen können die au-
ßenpolitische Rolle Russlands und Entwicklungen in
anderen wird die Europäische Union nur beschränk-
te Fortschritte hinsichtlich effektiver Antworten er-
zielen, während mehrere Mitgliedsstaaten ver-
schärfte Belastungsgrenzen erleben werden.
Schließlich bleibt umstritten, ob es geteilte europäi-
sche Wahrnehmungen gesellschaftlicher Sicherheit
geben kann.
80 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Insgesamt bleiben ein weiterer Zerfall der regiona-
ler Ordnung und Fluchtbewegungen im Nahen Osten
möglich bis wahrscheinlich, ohne dass europäische
-
ten. Die Auswirkungen auf die europäische gesell-
schaftliche Sicherheit bleiben stark negativ. Die EU
-
elle Unterstützung der Türkei voran, um eine Puffer-
zone zu schaffen. Die Umsetzung wird jedoch stark
unter den Erwartungen bleiben. Insbesondere die
Rückführung von Migrantinnen und Migranten wird
kaum an Fahrt gewinnen, wenn die Türkei gegebe-
nenfalls wieder selbst Asylsuchende durch politische
die weitere Flüchtlingsströme in zentralen Aufnah-
mestaaten Europas wie Deutschland, Österreich und
Schweden erzeugen. Dies gilt insbesondere für Erit-
rea und Afghanistan. In Libyen werden innerstaatliche
Kämpfe fortgeführt, was die irreguläre Transitmig-
ration aus Afrika nach Europa unterstützt. Schließ-
lich muss die Entwicklung der Ukraine berücksichtigt
werden, wo bisher intern sehr hohe Flüchtlings-
zahlen absorbiert wurden. In Anbetracht der ange-
spannten wirtschaftlichen Situation sowie der immer
noch umstrittenen Umsetzung des Minsker Abkom-
mens könnte es aber 2016 auch aus dieser Richtung
zu neuen Bewegungen nach Osteuropa kommen. Ins-
gesamt überwiegt jedoch das Potential einer „kalten
Stabilisierung“.
-
land sowie der Errichtung von weiteren Zäunen in
der Region öffentlich befürchtet wurden, bleiben
sehr unwahrscheinlich. 2016 wird vielmehr eine ver-
schärfte Ablehnung und Rückführung von Asylbe-
werbern aus jenen Ländern zur Anwendung kommen.
Nach Ausräumung verbleibender Koordinationspro-
bleme in Europa kann dies die Krisenwahrnehmung
etwas abmildern.
Innere Dynamiken gesellschaftlicher
Sicherheit
Der wichtigste Effekt auf gesellschaftliche Sicherheit
ist die politische Polarisierung von Identitätsfragen.
Wahlen anstehen, wird das Wachstum rechtspopulis-
tischer Parteien in den meisten europäischen Staaten
vorübergehend abgefangen werden können. Dies gilt
insbesondere für Deutschland und Österreich. Frank-
reich ist hier jedoch im Nachgang der terroristischen
Anschläge in Paris und der ohnehin starken Rolle des
-
schärfen mehrere osteuropäische Staaten zusätzlich
den rechts-populistischen Diskurs, sodass eine sub-
stanzielle Erneuerung europäischer Solidarität zur
„Lastenteilung“ nicht zu erwarten ist.
Neben scharfen parteipolitischen Auseinandersetzun-
gen wird es in mehreren Staaten zu Demonstrationen
-
derfeindlichem Hintergrund – bis hin zu rechtster-
roristischen Angriffen – kommen. Auseinanderset-
zungen zwischen in Europa ansässigen Menschen mit
wahrscheinlich, werden jedoch in der Masse begrenzt
bleiben. Aus statistischer Sicht werden auch die allge-
meinen Auswirkungen auf Kriminalität und Innere
Sicherheit durch die Sicherheitsbehörden beherrsch-
durch dramatische Einzelereignisse wie Anschläge
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 81
KEY NOTES
•
• Despite European efforts to use the country as a buffer zone, Turkey will be an increasingly unpredictable factor.
•
• EU burden-sharing will not make major advances, but the situation in Balkans will remain under control.
• National polarisation and right-wing populism will increase further, leading to further violent demonstrations and
xenophobic attacks across Europe.
•
They will remain limited in physical damage, but deeply affect perceptions of societal security.
• The structural crisis of societal security in terms of social service provision (health, education, housing) gathers
available in 2016.
oder Ausschreitungen, die aus subjektiver Sicht die
gesellschaftliche Sicherheit stark beinträchtigen. Dies
gilt auch für Österreich und Deutschland.
Eine strukturelle Krise der gesellschaftlichen Sicher-
heit entwickelt sich vor allem im Bildungs- und
wesen. Dies zeigt sich in Schweden, das entsprechende
Leistungen für Flüchtlinge bereits stark einschränkt.
Entsprechende Entwicklungen sind in Deutschland
und Österreich abzusehen, auch wenn 2016 noch hin-
werden. Verschärfte Engpässe wird es in den Berei-
die nur bedingt durch unterstützende Leistungen des
Militärs aufgefangen werden können.
KERNPUNKTE
•
• Trotz europäischer Anstrengungen, die Türkei als Pufferzone zu nützen wird das Land zu einem großen
Unsicherheitsfaktor.
• Andere Krisen und gescheiterte Staaten werden weiterhin für eine hohe Zahl von Flüchtlingen nach Europa
sorgen.
• In Bezug auf die Solidarität der EU-Staaten wird es keine maßgeblichen Fortschritte geben, dennoch bleibt die
Situation auf dem Balkan unter Kontrolle.
• Nationale Polarisierungen und der Rechtspopulismus werden weiter ansteigen und in Europa zu weiteren ge-
walttätigen Demonstrationen und xenophoben Attacken führen
• Gewalttätige Zusammenstöße zwischen Diaspora-Gruppen oder auch terroristische Angriffe in Verbindung mit
greifende Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung haben.
• Eine strukturelle Krise der gesellschaftlichen Sicherheit entwickelt sich vor allem im Bildungs- und Gesund-
heitssystem sowie im Wohnungs- und Sozialwesen von Empfängerstaaten wie Deutschland, Österreich und
82 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Der IS im Irak und in Syrien
Im Sommer 2014 eroberte die Terrorgruppe IS weite
Teile des Nord- und Westirak und des Ostens und
Nordens Syriens. Erst Luftangriffe einer von den
USA angeführten internationalen Koalition brach-
ten den Vormarsch weitgehend zum Stoppen. Im Jahr
2015 gelang es dem IS trotzdem, seine Kontrolle über
das eroberte Territorium zu konsolidieren und einige
-
tierte er von den im September 2015 einsetzenden rus-
sischen Luftangriffen in Syrien, die nur selten den IS
trafen, sondern konkurrierende Rebellengruppen der
TERRORMILIZ
„ISLAMISCHER STAAT“ 2016
Guido Steinberg
Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wird im Irak
und in Syrien auch 2016 nicht entscheidend ge-
schlagen werden, und die Anschläge der mit ihm
verbündeten „Ableger“ in der arabischen Welt und
wahrscheinlich auch in der Türkei werden fortdau-
ern. Mit den Attentaten von Paris am 13. November
2015 hat die Organisation auch den bewaffneten
Kampf in der westlichen Welt eröffnet, indem sie
zum ersten Mal gezielt Anschläge in Frankreich
plante, organisierte und ausführte. 2016 könnten
weitere große Anschläge in Europa folgen, aber es
werden auch Einzeltäter im Namen des IS aktiv
werden.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 83
Freien Syrischen Armee und islamistischer Bündnisse.
2015 wurde immer deutlicher, dass für eine erfolgrei-
che Eindämmung und anschließende Zerschlagung
des IS Bodentruppen notwendig sein würden. Da die
USA und ihre Verbündeten nicht bereit waren, diese
zu entsenden, waren sie auf Verbündete vor Ort ange-
wiesen. Doch fanden sich im Irak wie in Syrien nur
die Kurden – im Irak die Kurdische Regionalregie-
rung unter Führung von Präsident Masud Barzani und
in Syrien die Partei der Demokratischen Union, der
lokale Ableger der türkischen Arbeiterpartei Kurdi-
stans (PKK). Beide erwiesen sich in kurdisch besie-
delten Regionen als schlagkräftige Verbündete, doch
eigneten sie sich kaum für den Einsatz in den von IS
-
programme für andere Rebellen nur begrenzte Erfolge
zeitigen, wird sich die Situation auch 2016 nicht
grundlegend ändern. Der IS kann zwar unter stärke-
ren Druck geraten, doch wird er weiter vom Staats-
zerfall in Syrien und der mangelnden Einigkeit sei-
Akteur im Irak und in Syrien halten.
IS international
Der IS ist zwar eine von Irakern dominierte Organi-
sation, und die Mehrzahl der Kämpfer sind Iraker und
Syrer. Doch wirkte sich bereits 2015 aus, dass sich ihm
viele ausländische Kämpfer anschlossen – die meis-
ten aus Saudi-Arabien, Tunesien, Marokko, der Türkei
über besonders starke Logistiknetzwerke. Nachdem
die türkische Regierung ihre Zusammenarbeit mit den
USA gegen den IS intensivierte, entschied dieser sich
Mitte 2015, durch gezielte Anschläge türkischer IS-
Dies gelang, und im Juli kündigte die türkische Regie-
rung sogar die seit 2013 laufenden Friedensverhand-
lungen mit der PKK auf. Es kann auch 2016 ähnliche
Anschläge in der Türkei geben, möglicherweise noch
zahlreicher und auf alternative Ziele.
Ab 2014 baute der IS jenseits des Iraks und Syriens
sowie der unmittelbaren Nachbarländer ein Netzwerk
von IS-Ablegern auf, die 2015 in Ägypten, Libyen,
Saudi-Arabien und im Jemen erstarkten und zahlrei-
che Anschläge verübten. Wie in der Türkei versuch-
es in den genannten Staaten zu zahlreichen Anschlä-
gen des IS kommen, religiöse Minderheiten, Auslän-
der und staatliche Stellen werden betroffen sein. Ob
noch einmal ein so spektakuläres Attentat wie das des
IS-Ablegers auf dem Sinai auf ein russisches Passagier-
nicht sagen. Der IS wird aber versuchen, neue Verbün-
in Nigeria oder die Islamische Bewegung von Usbe-
kistan, deren Bindung bisher noch sehr schwach ist,
enger an sich zu binden.
Der IS in Europa
Bis November 2015 hatten Anschläge in der westli-
chen Welt für den IS keine Priorität. Die Organisation
wollte, dass Muslime nach Syrien reisen, um dort zum
Aufbau des „Islamischen Staates“ beizutragen. Doch
sie forderte diejenigen Muslime, die in den Staaten der
Anti-IS-Koalition leben und denen es nicht gelingt,
nach Syrien zu reisen, auf, in ihren Heimatländern
Anschläge zu verüben. Tatsächlich führten IS-Anhän-
ger eine Serie von kleineren Anschlägen in Europa,
Kanada und Australien durch. Es handelte sich um
84 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Der IS wird sich auch 2016 als quasistaatlicher Ak-
teur im Irak und in Syrien halten.
• Türkische IS-Kämpfer haben den bewaffneten
Kampf schon 2015 in ihr Heimatland getragen und
2016 könnten sie ihre Kampagne fortsetzen.
• Das Netzwerk der mit dem IS verbündeten Ableger,
die 2015 in Ägypten, Libyen, Saudi-Arabien und im
Jemen erstarkten, wird 2016 zahlreiche Anschläge
verüben – auf religiöse und ethnische Minderhei-
ten, Ausländer und staatliche Stellen wie vor allem
auf Armee und Polizei.
• Ob die Anschläge von Paris vom November 2015
einen größeren Strategiewechsel einleiten, bleibt
noch ungewiss. Mit weiteren Attentaten in Frank-
reich, Belgien und anderen europäischen Ländern
ist aber zu rechnen. Darüber hinaus werden Einzel-
täter auch 2016 im Namen des IS Anschläge in der
westlichen Welt verüben.
Einzeltäter, die teils aus Syrien zurückkehrten, in den
meisten Fällen aber keine Verbindung zu der Organi-
sation hatten. Erst mit den Attentaten von Paris gab
der IS diese Zurückhaltung auf und es ist zu erwarten,
dass die Organisation aufgrund des steigenden militä-
rischen Drucks in Syrien und im Irak versuchen wird,
Rache zu üben.
Wenn europäische Staaten auch 2016 zum Ziel wer-
den, dann wahrscheinlich die mit großen Kontin-
genten im Irak und Syrien und vielen Rückkehrern
von dort. Dies betrifft in absoluten Zahlen vor allem
auch Länder wie Belgien, Dänemark und Österreich.
Die rund 250 Kämpfer, die seit 2012 aus Österreich
nach Syrien gezogen sind und sich dort dem IS und
innere Sicherheit des Landes erweisen.
KEY NOTES
• In 2016, ISIS will continue its role as a quasi-state
actor in Iraq and Syria.
•
struggle to their homeland in 2015, in 2016 they
could continue in this endeavour.
• The network of branches allied to ISIS which in
2015 gained strength in Egypt, Libya, Saudi Arabia
and Yemen will in 2016 commit numerous attacks
on religious and ethnic minorities, foreigners, and
governmental organisations, especially the armed
and police forces.
• Whether the Paris attacks of November 2015 will
initiate a major change in strategy is still uncertain.
However, further attacks in France, Belgium and
other European countries must be expected. In ad-
dition, individuals will conduct attacks in the wes-
tern world in the name of ISIS.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 85
Hybride Bedrohungen
„Hybride Bedrohungen“ als militärischer Terminus
zwischen Israel und der Iran-unterstützten Hisbollah
während des zweiten Libanonkrieges von 2006.
Hybride Bedrohungen im Rahmen asymmetrischer
unkonventionellen und konventionellen Mitteln der
Kriegsführung, deren Taktiken und Methodik. Hybride
Bedrohungen außerhalb des Kontexts von konventio-
-
-
denen Akteuren bewusst provoziert und ausgenutzt
werden können. Hybride Bedrohungen sind das Resul-
HYBRIDE BEDROHUNGEN
2016
Sascha Dov Bachmann
Die Flüchtlingskrise in Westeuropa, islamistischer
Terrorismus im Ausland und zunehmend auch im in-
nereuropäischen Kontext, Organisierte Kriminalität,
Menschenschmuggel und Cyberangriffe bzw. Cyber-
kriminalität sind Beispiele für Hybride Bedrohungen,
die oft mehrere Zuständigkeiten nationalstaatlicher
Sicherheitsorgane betreffen und diese überfordern.
Die Antwort wäre ein westeuropäischer Grundkon-
sens zu regionaler Zusammenarbeit aller betroffe-
nen Sicherheitsorgane, um diesen Hybriden Bedro-
hungen durch einen allumfassenden
Sicherheitsansatz zu begegnen. Ein derartiger An-
satz setzt jedoch neben einem politischen Konsens
auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingun-
gen voraus – eine Herausforderung die es zu meis-
tern gilt.
86 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
und eines neuem Handlungsspektrums. Hybride Bedro-
hungen stellen neue Herausforderungen an Politik und
Rechtsstaatlichkeit.
NATO und Hybride Bedrohungen
Bereits im Jahre 2010 erkannte die NATO Hybride
Bedrohungen als neues Sicherheitsrisiko an und ent-
warf ein neues NATO Bi-Strategic Command Caps-
tone Concept, das Hybride Bedrohung als Bedrohungen
konventionelle als auch unkonventionelle Kampfwei-
sen verbindet, um seine Ziele zu erreichen. In den fol-
genden zwei Jahren erarbeitete die NATO einen spezi-
Risiken außerhalb konventioneller Kriegsbedrohun-
gen ausweist: Nukleare Proliferation, Terrorismus,
Cyberkriminalität und Cyberkrieg, Organisierte Kri-
minalität und ihre Rolle im Drogen-, Waffen und Men-
schenschmuggel, Migration, ethnische und religiöse
-
dass solche Bedrohungen auf eine konkrete Bedro-
hung des Bündnisses hinauslaufen können oder dass die
NATO aufgrund ihrer Kapazitäten durch die Vereinten
Nationen autorisiert werden könnte, einzugreifen. Auf-
grund dieser Erkenntnis arbeitete NATO an einem ver-
um diesen Risiken begegnen zu können. Dieser Ansatz
sah vor, staatliche und nichtstaatliche Akteure in eine
übergreifende Abwehrstrategie einzubinden, die politi-
sche, diplomatische, ökonomische, militärische, techni-
sche und wissenschaftliche Initiativen kombiniert.
Trotz intensiver Arbeit an diesem Ansatz im Rahmen
eines „Countering Hybrid Threats“-Experiments im
Jahre 2011 musste die NATO wegen mangelnder Unter-
stützung durch ihre Mitglieder die Projektarbeit im
Jahre 2012 einstellen. Angesichts der russischen Aggres-
sion in der Ukraine seit 2014 stellt sich die Frage, ob
die Einstellung dieses Projekts nicht verfrüht war. Die
NATO hat seit 2014 die Arbeit an dem Projekt Hyb-
ride Kriegsführung mit dem Ziel aufgenommen, fest-
zustellen, ob diese Form der Kriegsführung eine Neu-
(als Neukategorie zu den Full Spectrum Operations).
Ob die Anwendung Hybrider Kriegsführung durch
Russland vor dem Hintergrund seiner osteuropäischen
Hegemonialambitionen zu einer Rückkehr des „Kalten
Krieges“ führen wird, bleibt abzuwarten.
Hybride Bedrohungen heute
Österreich und Westeuropa sehen sich einer Vielzahl
von Hybriden Bedrohungen gegenüber. Cyberspionage
durch Staatsakteure für wirtschaftliche und geheim-
dienstliche Ziele, Cyberhacking durch individuelle und
organisierte Akteure, Organisierte Kriminalität, die im
Rauschgift-, Waffen- und Menschenschmuggel tätig ist
oder Terroranschläge durch Islamisten sind nur einige
Bedrohungsszenarien, denen wir gegenwärtig ausge-
setzt sind. Dazu kommen weitere Bedrohungsszenarien,
-
hen: von Piraterie, die den Welthandel bedroht, bis hin
zu der Massenmigration, der Westeuropa heute ausge-
setzt ist.
-
ride Bedrohung: Strategisch konstruiert und einge-
setzt hat sie das Potential, europäische Identität und
Sicherheit zu unterminieren. Migrationsgestützte Nöti-
gung wurde bereits vom gestürzten libyschen Dikta-
europäischer Wirtschaftsanktionen im Jahre 2004 zu
erzwingen. Ob der türkische Präsident Recep Tayyip
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 87
KERNPUNKTE
• Hybride Bedrohungen werden andauern und die Sicherheit in Westeuropa weiter verschlechtern.
• Die Fokussierung der NATO auf Russland als Hauptgegner im Rahmen Hybrider Kriegsführung erschwert die Kon-
zeption einer Verteidigungsstrategie für Hybride Bedrohungen außerhalb des militärischen Kernspektrums in Hin-
blick auf islamistischen Terrorismus und Massenmigration.
• Massenmigration hat das Potential zu einer Hybriden Bedrohung, die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteu-
ren ausgenutzt wird und den islamistischen Terrorismus zu einer realen Hybridbedrohung werden lassen.
• Hybride Bedrohungen stellen neue Herausforderungen an Politik und Rechtsstaatlichkeit dar und erfordern eine
neue sicherheitspolitische Strategiekonzeption für die EU im Allgemeinen und Österreich im Besonderen.
der von der Europäischen Union zu erhalten, kann dis-
kutiert werden. Die Entscheidung von Deutschlands
Bundeskanzlerin Merkel, sich über geltendes Europa-
recht (Schengen und Dublin) hinwegzusetzen, als sie
beschloss, Syrern generell Asylstatus zu erteilen, hat zu
einer Spaltung innerhalb der Europäischen Union und
zu diplomatischen Verstimmungen in den betroffenen
EU-Staaten geführt. Massenmigration hat das Potential
als geostrategische Waffe eingesetzt zu werden: Staat-
liche und nichtstaatliche Akteure schlagen direktes
staatlicher und supranationaler Zuständigkeit (Schen-
gen) ist eine notwendige Bedingung staatlicher Souve-
ränität: Eine Vernachlässigung dieses internationalen
Rechtsgrundsatzes führt zu einer Aushöhlung natio-
Terroranschläge von Paris im November 2015 ver-
rationspolitik mitverursachten Vernachlässigung bzw.
schutz haben absolute Priorität, um Terroristen in ihrer
Bewegungsfreiheit einzuschränken. Ohne entspre-
satz der Personenfreizügigkeit dauerhaft ausgehöhlt.
Hybride Bedrohungen werden in der Zukunft zuneh-
men und die Sicherheit in Westeuropa und damit auch
Österreich weiter gefährden. Das Unterlassen, an einem
auf interstaatlicher Ebene zu arbeiten, ist verfehlt und
wird die Bedrohungslage für die EU und Österreich
noch verschlechtern, wie die terroristischen Anschläge
dieses Jahres in Frankreich verdeutlichen.
KEY NOTES
• Hybrid threats will continue and will negatively impact the security situation in Western Europe.
•
strategy against hybrid threats outside the military core spectrum with regard to Islamist terrorism and mass
migration.
• Mass migration has the potential to become a hybrid threat exploited by state and non-state actors in order to
make Islamist terrorism a real hybrid threat.
• Hybrid threats pose new challenges to politics and the rule of law. They require a new security strategy concept
for the EU in general and Austria in particular.
GLOBALE SICHERHEITS-
ARCHITEKTUR 2016
„So lange wesentliche internationale Institutionen und
Organisationen wie VN, EU, OSZE und NATO ihre Hand-
lungsfähigkeit bewahren, sind die erwartbaren Risiko-
szenarien beherrschbar. Dazu sind aber vermehrte po-
litische und operative Beitragsleistungen durch die
jeweiligen Mitgliedsstaaten erforderlich. Eine allfällige
Verringerung der Handlungsfähigkeit oder ihr teilwei-
ser Verlust würde die strategische Situation Öster-
reichs und der EU nachhaltig verändern.“
(Teilstrategie Verteidigungspolitik, S.13)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 89
Riskantes Engagement
2016 wird für die UNO wahrscheinlich wieder ein
VEREINTE NATIONEN 2016
Richard Gowan
Die operative und politische Glaubwürdigkeit der
Vereinten Nationen wird auf eine harte Probe ge-
stellt werden. Die Krisen im Nahen Osten und in Af-
rika bringen für die humanitären Organisationen,
Friedenstruppen und Vermittler der Vereinten Natio-
nen große Belastungen mit sich. Das Ansehen der
UNO hat unter den Spannungen zwischen dem Wes-
ten und Russland im Sicherheitsrat bezüglich Syri-
ens und der Ukraine gelitten. Humanitäre Organisa-
erheblichen Druck geraten. Spannungen im UN-Si-
cherheitsrat und die Wahl eines neuen Generalse-
kretärs werden die Agenda der Vereinten Nationen
beherrschen.
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einigen
jener schwachen Staaten wieder ausbrechen, wo UN-
Friedenstruppen stationiert sind, z.B. im Südsudan,
in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik. Es
besteht ein erhebliches Risiko, dass umstrittene Wah-
-
tätigkeiten führen und die dortigen Friedenstruppen auf
die Probe stellen könnten.
Es könnte auch notwendig werden, UN-Friedenstrup-
pen in fragilen Staaten des Nahen Ostens und Nordaf-
rikas – wie etwa in Libyen, im Jemen und möglicher-
weise sogar in Syrien – zu stationieren. An solchen
ausgesetzt. Die USA haben unlängst die europäischen
Länder aufgefordert, UNO-Einsätze mit Truppen zu
verstärken. Im Jahr 2016 wird die Obama-Administ-
ration den diesbezüglichen Druck auf EU-Mitglieder
aufrechterhalten.
90 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Humanitäre Krisen
Die humanitäre Krise im Nahen Osten wird fortbe-
stehen, wobei die Organisationen der UNO mögli-
sie benötigen, um insbesondere eine größere Anzahl
syrischer Flüchtlinge zu versorgen. Die Schwäche des
humanitären Systems im Nahen Osten könnte zu einer
weiteren Erhöhung der Flüchtlingszahlen in Richtung
Europa führen. Die europäischen Regierungen könnten
angesichts innenpolitischen Drucks gezwungen sein,
-
für langfristige Entwicklungshilfeprojekte vorgesehen
sind – dramatisch zu erhöhen. Der humanitäre Welt-
wird die allgemeine Aufmerksamkeit verstärkt auf den
Druck richten, der derzeit auf den UN-Hilfsorganisati-
onen lastet.
Politik der großen Mächte
Die Mitglieder des Sicherheitsrats werden erneut aufge-
fordert werden, im Nahen Osten wirksamer zusammen-
könnten schließlich mit Russland einen Kompromiss
betreffend die Zukunft Syriens schließen, um die Lage
um die Ukraine, werden aber auch weiterhin zu Span-
nungen in den Diskussionen der UN führen.
Den USA wird es darum gehen sicherzustellen, dass
die Differenzen mit Russland nicht die Umsetzung des
Iran-Abkommens stören. Es könnten sich Fragen im
Zusammenhang mit der Erfüllung dieses Abkommens
durch den Iran ergeben, womit sich theoretisch der
Sicherheitsrat zu befassen haben könnte. Alle Parteien
werden jedoch versuchen, eine solche Situation zu ver-
meiden. Die westlichen Staaten werden wahrscheinlich
nach Möglichkeiten suchen, auf das Nuklearabkommen
aufbauend mit dem Iran auch über andere Fragen ins
Es gibt auch einige Anzeichen, dass China eine konzi-
liantere Haltung einnehmen könnte, falls Moskau seine
konfrontative Haltung dem Westen gegenüber beibehal-
ten sollte. Beijing hat der UNO unlängst größere Zusa-
könnte innerhalb der UNO eine größere Führungsrolle
einnehmen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die
Vertreter Chinas ihre Zusammenarbeit mit ihren russi-
schen Kollegen gänzlich abbrechen.
UN-Sicherheitsrat
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es im Hinblick
auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates oder die von
Frankreich unterstützten Vorschläge betreffend eine
die ständigen Mitglieder zu irgendwelchen Fortschrit-
ten kommt.
Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates wer-
den die UNO auffordern, bei der Prävention und
Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus eine grö-
ßere Rolle zu spielen; dies stellt einen der seltenen Fälle
UNO stehen allerdings auch weiterhin nur begrenzte
größere Rolle zu spielen.
Ein neuer UN-Generalsekretär
Energie wird Ende 2016 durch die Wahl eines Nach-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 91
braucht werden. Ein starkes Argument spricht dafür,
dass nunmehr Osteuropa bei der Besetzung dieser Spit-
zenfunktion an der Reihe ist, wobei Moskau hart darum
kämpfen wird, dass ein prorussischer Politiker aus die-
ser Region gewählt wird. Dies kann zu weiteren Aus-
einandersetzungen mit dem Westen führen. Die USA
haben angedeutet, dass sie einen weiblichen Kandida-
ten bevorzugen würden. Es könnte notwendig werden,
auch außerhalb Osteuropas auf die Suche nach einer
Führungspersönlichkeit zu gehen, die für alle ständigen
Mitglieder des UN-Sicherheitsrates akzeptabel ist.
Die Notwendigkeit eines Kompromisses könnte dazu
Ban Ki-moon nicht unähnlich – eher eine vorsichtige,
bürokratische Figur als eine inspirierende Führungsper-
sönlichkeit sein wird.
Globale Herausforderungen
Außerdem werden UNO-Debatten zu Entwicklungs-
politik und Klimawandel im nächsten Jahr weniger
intensiv ausfallen als in diesem, nachdem das Abkom-
men über nachhaltige Entwicklungsziele und das Pari-
ser Klimaschutzabkommen abgeschlossen worden sind.
Die Experten werden sich darauf konzentrieren, mit der
Umsetzung dieser Abkommen zu beginnen, ohne dass
dies die gleiche politische und mediale Aufmerksam-
versammlung zur globalen Drogenproblematik im April
gescheiterte Drogenpolitik zu revidieren.
US-Innenpolitik
Es besteht das Risiko, dass die UNO in den US-Präsi-
dentschaftswahlkampf hineingezogen werden könnte,
wenn republikanische Kandidaten die Demokraten
wegen ihrer multilateralen Positionen angreifen, wobei
das Iran-Abkommen der Hauptkritikpunkt wäre. Dies
könnte insbesondere in Europa Befürchtungen nähren,
dass die nächste US-Regierung der UNO eher im Stil
nen könnte.
ie Suche nach einer
u gehen,
icherhe
digke
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ratis
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e Figur als eine inspirierende Führungsper-
n wird.
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O-Debatten zu Entwicklungs-
im nächsten Jahr weniger
wenn republikanische Kandidaten
wegen ihrer multilateralen Posit
das Iran-Abkommen der Haup
könnte insbesondere in Eur
dass die nächste US-Regie
nen könnte.
KERNPUNKTE
• 2016 steht der UNO ein schweres Jahr bevor.
• UN-Friedenstruppen werden in Afrika wahrscheinlich
mit erheblicher Gewalt begegnen, wobei es notwen-
dig werden könnte, weitere und hochriskante Frie-
denseinsätze im Nahen Osten zu starten.
• Humanitäre Organisationen werden wegen des
ten und kaum in der Lage sein, mit neuen Krisen
umzugehen.
• In New York werden große Spannungen im UN-Si-
cherheitsrat und die Wahl eines neuen UN-General-
sekretärs die politische Agenda beherrschen.
KEY NOTES
• The UN face a tough year in 2016.
•
lence in Africa, and it may also be necessary to de-
ploy new, high-risk peace operations to the Midd-
le East.
• Humanitarian organisations will be under considera-
le to handle new crises.
• In New York, big tensions in the Security Council and
the election of a new Secretary-General will domina-
te the political agenda.
92 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
OSZE 2016
Ein Jahr mit Herausforderungen
Lamberto Zannier
Deutschland wird 2016 den Vorsitz der OSZE von Serbien übernehmen. Die Krise in der und um die Ukrai-
ne wird weiterhin die Agenda bestimmen, und auch andere wichtige Entwicklungen benötigen das kontinu-
ierliche Engagement der OSZE. Viel steht auf dem Spiel, und die Erwartungen an die OSZE sind hoch.
Ukraine
-
matisch geschärft und ihre Bedeutung als jene Organi-
sation bestätigt, die am besten die Kluft zwischen Ost
und West überbrücken und kooperative Lösungen in
Krisenzeiten ermöglichen kann.
Die Beiträge zur Stabilisierung der Ukraine und das
Bemühen um eine nachhaltige politische Lösung im
-
ten Jahr bilden. Die OSZE wird sich weiterhin in der
Arbeit der trilateralen Kontaktgruppe engagieren und
die Umsetzung der Minsker Abkommen unterstützen.
Die Sonderbeobachtermission in der Ukraine wird wei-
terhin dabei helfen, die Spannungen zu deeskalieren
und Anstrengungen zur Stabilisierung des Waffenstill-
standsabkommens zu unterstützen. Die Mission stärkt
zunehmend ihre technischen Fähigkeiten, um die Ein-
-
zieren. Die Sonderbeobachtermission wird den Dialog
und vertrauensbildende Maßnahmen auf lokaler Ebene
unterstützen und Anstrengungen zur Lösung der vielen
humanitären Herausforderungen unternehmen.
Nur durch die Schaffung eines dauerhaften Waffenstill-
standes, begleitet von einem dynamischen und nach-
haltigen politischen Prozess, können wir aus der Phase
des Krisenmanagements in die Phase der Post-Kon-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 93
erzielen. Obwohl die Aussichten auf die Erreichung die-
ser umfassenden Einigung im Jahr 2016 aus derzeiti-
ger Perspektive unsicher erscheinen, sollten alle unsere
Anstrengungen darauf ausgerichtet sein, dieses Ziel zu
erreichen.
Kooperation
Andere wichtige Fragestellungen werden unsere Auf-
merksamkeit und unser Engagement benötigen. Die
OSZE wird ihre Vermittlungsbemühungen zur Lösung
noch intensivieren. Dies betrifft die Arbeit an einer
OSZE-Minsk-Arbeitsgruppe, den Einigungsprozess in
Unsere Missionen in Südosteuropa, Zentralasien und im
Südkaukasus werden fortgesetzt, um die Sicherheitshe-
rausforderungen mittels konkreter Projekte vor Ort zu
bewältigen. Darunter werden Aktivitäten in den Berei-
chen Rüstungskontrolle, militärische Transparenz,
Bekämpfung des Terrorismus und gewalttätigen Extre-
mismus, gute Regierungsführung, ökonomische Refor-
Bekämpfung des Menschenhandels, Schutz von Min-
derheiten, Medienfreiheit, Menschenrechte, Toleranz
und Nicht-Diskriminierung gesetzt.
Stärkung der Kapazitäten im Kreislauf
Die OSZE wird aller Voraussicht nach eine struktu-
rierte konzeptive Diskussion zur Stärkung ihrer Kapa-
Der deutsche Vorsitz im Jahr 2016 hat dies schon als
der Planung und Durchführung der Sonderbeobachter-
mission in der Ukraine bilden eine solide Basis für eine
derartige Diskussion. Darüber hinaus gibt es eine wach-
sende Debatte zur Stärkung unserer Missionen und
des Konzeptes der zivilen „Friedensmissionen“, das im
Rahmen eines informellen Treffens der Ministerinnen
-
ralversammlung diskutiert wurde.
Konsolidierung der europäischen
Sicherheit
Wenn auch viele Beobachter von den Entwicklungen
in der Ukraine überrascht worden sind, waren doch
seit vielen Jahren Anzeichen für eine fundamentale
Krise des europäischen Sicherheitssystems evident. Die
zunehmende Kluft zwischen Ost und West, auseinan-
der driftende Vorstellungen und Prioritäten der Sicher-
heitsvorsorge und eine Abnahme des Vertrauens behin-
dern die Kooperation in verschiedenen Bereichen seit
geraumer Zeit.
Der Helsinki+40-Prozess, der Ende 2012 gestartet wor-
den war, um die Zukunft der Sicherheitsagenda im
-
ren, wurde aufgrund der Ukrainekrise aufgehalten und
verzögert. Dennoch gibt es unter den Mitgliedsstaaten
ein großes Interesse, diesen strategischen Dialog über
das Jahr 2015 hinweg fortzuführen. Es ist dies auch ein
notwendiger Schritt, um gegenseitiges Vertrauen wieder
herzustellen.
Neue und innovative Ideen könnten durch das Panel
bedeutender Vertreter der europäischen Security Com-
das seinen Abschlussbericht vor dem OSZE-Ministerrat
94 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
in Belgrad im Dezember 2015 veröffentlichen wird. Das
Panel unterbreitete bereits eine Anzahl von praktischen
Empfehlungen im Zwischenbericht zu den Erfahrun-
gen des Engagements der OSZE in der Ukraine.
Ausweitung der Partnerschaften
Die OSZE steht vor einer Anzahl von komplexen und
umfassenden Herausforderungen, die oftmals mit der
Sicherheit in einer angrenzenden Region oder der glo-
balen Sicherheit verknüpft sind. Diese neuen Entwick-
lungen verlangen eine breite und umfassende Strate-
gie, und die OSZE ist bereit, hier ihren Beitrag mit
ihren eigenen Prozessen und Richtlinien zu leisten. Das
wachsende Risiko transnationaler Bedrohungen wie
des gewalttätigen Extremismus, der Radikalisierung
und des Terrorismus, sowie der Herausforderungen, die
mit der Migrations- und Flüchtlingskrise verbunden
sind, erfordern erneuerte Anstrengungen der OSZE,
ihre Beziehungen und Kooperationen mit ihren medi-
terranen und asiatischen Partnern zu stärken. Im Rah-
men des Artikels VIII der VN-Charta wird die OSZE
auch weiterhin die Zusammenarbeit mit den VN und
anderen regionalen und internationalen Organisationen
ausbauen, um sinnvolle und nützliche Synergien und
Ergänzungen zu schaffen und auf die Erfahrungen und
den Mehrwert dieser Organisation aufzubauen.mit
u leiste
den Mehrwert dieser
KERNPUNKTE
• Die Stabilisierung der Ukraine und das Bemühen um
eine nachhaltige politische Lösung im Ukrainekon-
• Die OSZE wird ihre Vermittlungsbemühungen zur
möglich, noch intensivieren.
• Eine strukturierte konzeptuelle Diskussion zur Stär-
kung der Missionen und Fähigkeiten der OSZE im ge-
punkte des deutschen Vorsitzes im Jahr 2016.
• Die OSZE wird weiterhin eine Plattform für den stra-
tegischen Dialog zur Konsolidierung der Europäi-
schen Sicherheit bieten.
• Transnationale Bedrohungen und Herausforderun-
gen, die mit der Migrations- und Flüchtlingskrise ver-
bunden sind, erfordern erneuerte Anstrengungen
der OSZE, ihre Beziehungen und Kooperationen mit
ihren mediterranen und asiatischen Partnern sowie
mit den VN und anderen regionalen und internatio-
nalen Organisationen auszubauen.
KEY NOTES
•
key priority.
• The OSCE will remain engaged in mediation efforts
• A structured conceptual debate on strengthening
the OSCE Field Operations and OSCE capacities ac-
for 2016 German Chairmanship.
• The OSCE will continue to provide a platform for
a strategic dialogue on reconsolidating European
security.
• Transnational threats and growing challenges linked
to the migration and refugee crisis will require rene-
wed efforts to strengthen the OSCE’s cooperation
with its Mediterranean and Asian partners as well
as with the UN and other international and regional
organizations.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 95
AFRIKANISCHE
UNION 2016
Martin Pabst
Die Afrikanische Union (AU) leidet an zentralen Han-
dicaps, die auch 2016 fortbestehen werden. Die ro-
-
den bringt undemokratische Staatsführerinnen und
Staatsführer in das höchste Amt, wie 2015 für ein
Jahr den autokratischen 91jährigen simbabwischen
Präsidenten Robert Mugabe. Hingegen sind die
Kompetenzen der Kommission zu schwach ausgebil-
Das Statut des 2004 etablierten African Court of
Human and Peoples’ Rights (AfCHPR) in Arusha
(Tansania) wurde erst von der Hälfte der Mitglieds-
det. Die Legitimität des Panafrikanischen Parla-
ments leidet darunter, dass die Mitglieder nicht di-
rekt gewählt werden.
96 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
kaum Aktivitäten entfaltet. Zudem ist seine Zukunft
offen: Der AfCHPR soll mit dem African Court of
Justice zu einem African Court of Justice and Human
Rights verschmolzen werden, doch konnte der African
Court of Justice trotz jahrelanger Anläufe noch nicht
etabliert werden. In Ermangelung eines glaubwürdi-
gen afrikaweiten Menschenrechtsgerichtshofs setzt
die AU fallweise Ad-hoc-Sondergerichtshöfe ein, wie
2015 für den Südsudan beschlossen. Problematisch ist,
dass die AU ihre Mitgliedsstaaten auffordert, nicht mit
Haag zu kooperieren, dessen Statut viele von ihnen
unterzeichnet haben – so auch die Republik Südafrika.
gesuchte sudanesische Staatspräsident Omar al-Bashir
und die südafrikanische Regierung deckte seine vor-
zeitige Ausreise, nachdem eine Nichtregierungsorga-
Eine Verbesserung des Verhältnisses von AU und
Das Budget der AU ist weiterhin zu rund 70 Pro-
-
-
zierung durch die AU-Mitgliedsstaaten sicherzustellen.
Die nun beschlossene Suche nach alternativen Finanz-
quellen – wie z.B. Abgaben auf Flüge, Hotelübernach-
tungen oder SMS-Versand – wird die Lücken nicht
hinreichend schließen können.
towards Africa’s Agenda 2063“ gestellt. Doch die hete-
rogene AU tut sich schwer, Schlüsselbereiche zu iden-
zu setzen.
Aufgaben für das kommende Jahr
Die 2014 ausgebrochene Ebola-Epidemie in Westaf-
rika illustrierte exemplarisch, dass die AU bei Krisen
-
tionspläne verfügt. Mit Unterstützung des U.S. Cen-
ter for Disease Control and Prevention wird nun ein
African Centre for Disease Control and Prevention
(ACDC) mit fünf regionalen Subzentren etabliert.
Hochrangige Besucher gaben 2015 der AU die Ehre
ihres Besuches. So sprach Barack Obama am 28. Juli
als erster US-Präsident vor der AU in Addis Abeba,
und am 20. Oktober wurde die EU-Außenbeauf-
tragte Federica Mogherini dort empfangen. Vor dem
der Staatenorganisation dienen solche Besuche als
agieren.
Ein wichtiges Ziel der AU ist die Etablierung einer
panafrikanischen Freihandelszone. Die Versammlung
beauftragte im Juni 2015 das Continental Free Trade
Area-Negotiating Forum (CFTA-NF), die Verhand-
lungen bis spätestens 2017 abzuschließen. Eingedenk
früherer Erfahrungen wird dieser Termin aber mög-
licherweise nicht realisiert werden können. Die regi-
onalen Entwicklungsunterschiede sind immens, und
die Infrastruktur ist unzureichend ausgebaut.
Die African Standby Force
Frieden und Sicherheit bleibt ein erstrangiges Thema
zunehmend terroristische Bedrohungen hinzu. Trotz
Erfolgen bei der Eindämmung – wie z.B. in Nordni-
geria – werden sie auch 2016 anhalten. Insbesondere
in Nordafrika (Ägypten, Libyen, Tunesien) ist eine
Zunahme wahrscheinlich. Bei der AU steht die Ent-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 97
wicklung von Strategien und Instrumenten zur Ter-
rorismusbekämpfung noch am Anfang.
Flaggschiff der AU-Aktivitäten im Bereich Frieden
und Sicherheit ist die de facto friedenserzwingende
African Union Mission in Somalia (AMISOM). Äthi-
opien, Burundi, Dschibuti, Kenia und Uganda stel-
len dazu ca. 22.000 Soldaten. Es gelang, das von der
und die Kontrolle über strategisch wichtige Straßen
herzustellen. Doch muss die AMISOM zunehmend
verlustreiche Rückschläge hinnehmen, da die al-Sha-
baab von konventioneller zu terroristischer Kriegs-
führung übergegangen ist. Dieser Trend wird auch
2016 anhalten.
Das ehrgeizige, eigentlich bereits für 2010 termi-
nierte Vorhaben einer 25.000 Mann starken stehen-
den African Standby Force (ASF) ist insbesondere
-
ten worden. Von 19. Oktober bis 5. November 2015
übten erstmals Soldaten aller fünf Regionalbrigaden
gemeinsam in Südafrika (Übung AMANI AFRICA
II). Ziel war es insbesondere, die Rapid Deployment
Capability (RDC) mit einer Verlegbarkeit binnen 14
Tagen zu testen. Angestrebt wird, im Januar 2016
die „volle Einsatzbereitschaft“ der ASF zu erklären.
Doch wird dieses Ziel nicht vollständig erreichbar
sein. Insbesondere die Force Multinational d’Afrique
Centrale (FOMAC) und die North African Regional
-
sätzlich fehlen logistische, strategische und Planungs-
kapazitäten. Zivile Komponenten sind gegenüber
den militärischen im Rückstand; sie kamen bislang in
Missionen auch kaum zum Einsatz.
Als Übergangslösung hatte die AU 2013 die Aufstel-
lung einer African Capacity for Immediate Response
to Crises (ACIRC) beschlossen. Im Unterschied zur
ASF handelt es sich um freiwillige Teilnehmerstaa-
ten, und diese müssen die Krisenreaktionsstreit-
Algerien, Angola, Niger, Senegal, Südafrika, Sudan,
Tansania, Tschad und Uganda, bis Jahresende 2014
kamen Ägypten, Benin, Burkina Faso, Kamerun
und Ruanda hinzu. Angekündigt war die Erklärung
der vollen Einsatzbereitschaft zum Oktober 2015,
wobei sich Südafrika besonders engagiert. Doch auch
bei der ACIRC gibt es Engpässe, so verfügen die
meisten Teilnehmerstaaten nicht über strategische
Lufttransportfähigkeiten.
Die sich anbahnende Doppelung ASF-RDC und
ACIRC wird bereinigt werden müssen. Analys-
ten zweifeln zudem, ob das Modell stehender Kon-
tingente die optimale Lösung darstellt. Die meis-
Modellen (Coalition of the Willing, Lead Nation,
Verhandlungen mit Truppenstellern).
-
den die Kontinentalorganisation AU und die Regi-
onalorganisationen unverzichtbare Partner der EU
bleiben: Denn nur mit ihrer Hilfe können wichtige
Ziele erreicht werden: erstens regionale Integration,
Schaffung größerer Märkte und transkontinentaler
Infrastrukturausbau, zweitens sicherheitspolitische
Stabilisierung mit Unterstützung und Ownership
afrikanischer Streitkräfte, drittens Migrationssteu-
erung und Migrationsbegrenzung. Auf dem EU-
Afrika-Migrationsgipfel in La Valetta (Malta) im
November 2015 einigten sich Europäer und Afri-
kaner auf einen Aktionsplan, der u. a. die folgenden
Punkte umfasst: Etablierung regionaler Entwick-
lungs- und Schutzprogramme in Nordafrika und am
98 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Strukturelle Hindernisse der AU werden auch 2016
fortbestehen, so die Abhängigkeit von externen
Gebern.
• Beschlossen wurde die Errichtung einer kontinen-
talen Freihandelszone mit dem eher nicht realisti-
schen Abschlussdatum 2017.
• Angestrebt wird die „vollständige Einsatzbereit-
schaft“ der African Standby Force zum Januar
2016, was aber nur eingeschränkt der Fall sein
wird.
Horn von Afrika, Kampf gegen Menschenschmugg-
ler, Abkommen zur Rückübernahme illegaler Mig-
rantinnen und Migranten durch ihre Heimatstaaten,
Erleichterung der legalen Migration in die EU sowie
Einrichtung eines mindestens 1,8 Mrd. Euro starken
EU-Treuhandfonds für Armutsbekämpfung, Arbeits-
TE
ernisse
hängigk
rd. Euro starken
utsbekäm
ch 2016
en
KEY NOTES
• The AU’s structural handicaps will continue in
2016, so will the dependence on external donors.
• A decision on the establishment of a continental
free trade zone has been made. Its intended imple-
mentation until 2017 is rather unrealistic.
• Full operational readiness of the African Stand-by
Force is planned for January 2016; in reality, howe-
ver, it will be limited.
platzschaffung, verbesserte Ausbildungsmöglichkei-
dere in der Sahelzone, in der Tschadsee-Region, am
Horn von Afrika und in Nordafrika. Die Maßnah-
men sollen bis Ende 2016 umgesetzt werden.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 99
NATO 2016
Jamie Patrick Shea
Die Ukraine und die Krisen im Nahen Osten und in
Nordafrika (MENA-Region) werden die NATO auch
2016 weiter beschäftigen. Anhaltende russische
Störungen in der Ostukraine und in anderen ehema-
ligen Sowjet-Staaten wie Georgien oder der Repub-
lik Moldau sind das wahrscheinlichste Szenario im
Osten. Als Konsequenz ist daher beim Gipfel in War-
schau im Juli 2016 ein Beschluss über die Verstär-
kung der Präsenz in Osteuropa zu erwarten. In der
MENA-Region wird die NATO versuchen, ihre Part-
nerschaften zu revitalisieren und engere Beziehun-
gen mit regionalen Organisationen eingehen. Durch
eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU soll den
Herausforderungen sowohl im Osten als auch im Sü-
den begegnet werden.
„Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist es, sie zu
gestalten.“ So ein berühmtes Zitat von Mark Twain. Mit
Blick auf 2016 würden sich die 28 NATO-Mitglieder
bestimmt wünschen, die Fähigkeit zu besitzen, das
kommende Jahr so zu gestalten, dass die Probleme im
Osten und Süden verschwinden und Europa in jenes
günstige Sicherheitsumfeld zurückkehrt, das es vor der
russischen Annexion der Krim im März 2014 genossen
hat. Aber, da weder die Alliierten noch die Vereinigten
Staaten derartiges bewerkstelligen können, muss sich
die Allianz mit einer europäischen Nachbarschaft be-
schäftigen, in der auch mit weiteren Verschlechterungen
und Überraschungen – gerechnet werden muss.
100 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Strategie gegenüber dem Osten
Es ist sehr zu hoffen, dass das Waffenstillstandsabkom-
men in der Ostukraine hält und dass das Minsk II-Ab-
kommen in den ersten Monaten des Jahres 2016 voll-
ständig implementiert wird. Dies würde zu international
überwachten lokalen Wahlen in Donezk und Lugansk
und zum Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie
führen. Die Ukraine würde darüber hinaus die Kontrol-
-
sche Truppen würden abgezogen werden. Falls dies
passiert, könnten die NATO und Russland versuchen,
einen neuen modus vivendi miteinander auszuarbeiten
und die gegenwärtig sich aufschaukelnde Dynamik der
Übungen am Land, zur See und in der Luft zurückzu-
fahren, die beide Seiten seit der Annexion der Krim vo-
rangetrieben haben. Dies wiederum könnte eine Verein-
barung über Transparenz und vertrauensbildende
-
kündigung von Übungen oder in Form von Inspektio-
nen zur Folge haben und zur Deeskalation der militäri-
schen Spannungen beitragen.
Klarerweise würden diese Maßnahmen weder unmittel-
bar die Frage der Krim lösen, noch würde dies zu einer
Versöhnung Russlands mit dem Westen führen. Beide
Seiten würden einander weiterhin entfremdet und miss-
trauisch begegnen. Dennoch könnte dies für die NATO
die Rückkehr zum politischen Dialog mit Russland und
zu mehr Kooperation in Fragen außerhalb Europas –
etwa Syrien, „Islamischer Staat“, maritime Sicherheit
und Umsetzung des Atom-Abkommens mit dem Iran –
vereinfachen, wenn auch nicht bis hin zu einer Partner-
schaft im NATO-Russland-Rat.
Dies ist ohne Zweifel ein optimistisches Szenario.
Wahrscheinlicher sind aber anhaltende russische Stö-
rungen in der Ostukraine und in anderen ehemaligen
Russland wird die Modernisierung seines Militärs unge-
achtet seiner ökonomischen Probleme fortführen und
Krim und in Kaliningrad zu stationieren. Ebenso wird
Russlands feindliche Rhetorik nicht abnehmen. Voraus-
sichtlich werden sich daher die NATO-Staaten beim
über den Readiness Action Plan der NATO hinauszu-
gehen und ihre Präsenz in Osteuropa erhöhen. Dabei
werden nicht nur Verstärkungen und die Bereitschaft
rasch verfügbare Kräfte geprüft, sondern auch die Stati-
-
sätzlichen Kräften in der Tiefe zur Vorbereitung für
eskaliert. Der Luftabwehr und dem Ausbau der mariti-
men Mittel im Hohen Norden, in der baltischen See
und im Schwarzmeer wird mehr Bedeutung zukommen.
Die kurzfristigen Maßnahmen wie die Übungen im
kleineren Rahmen, welche die NATO nach der Annexi-
on der Krim startete, um die Solidarität und Entschlos-
senheit zu demonstrieren, werden Übungen größeren
Umfangs ähnlich der Übungsreihe „Trident Juncture“
im Herbst 2015 weichen und sich zu einem militäri-
schen Dispositiv entwickeln, das die Botschaft vermit-
teln soll, dass die NATO Russland als Bedrohung be-
trachtet, die es langfristig abzuschrecken gilt.
Hybride Bedrohung
Falls die Feindseligkeiten zwischen NATO und Russ-
land anhalten, werden die Bedenken der Alliierten be-
züglich möglicher Szenarien „hybrider Kriegsführung“
wachsen, mit denen Russland versuchen könnte, die po-
litische und soziale Kohäsion der Allianz durch Cyber-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 101
exklusive Wirtschaftsverträge, die Instrumentalisierung
von ethnischen Minderheiten und pro-russischen sozia-
-
chebeamten zu unterminieren. 2016 wird die NATO
eine Strategie gegen hybride Kriegsführung annehmen.
Frühwarnindikatoren, die der Allianz helfen, vor allem
im Bereich Cyber und zivile Notfallsplanung ihre Resi-
lienz zu verbessern, und die Intensivierung des Austau-
sches von nachrichtendienstlichen Informationen sein.
Kooperation mit der Europäischen Union
Ein wesentlicher Teil wird die Ausweitung der Koope-
ration mit der Europäischen Union sein, deren Interes-
könnten wir die erste gemeinsame NATO-EU-Übung
erleben, mit der die Krisenreaktion harmonisiert und
die Frühwarnsysteme verknüpft werden, z.B. indem die
für Informations- und Kommunikationssicherheit zu-
ständige NATO Computer Incidence Response Capabi-
lity enger an die Computer Emergency Response Capa-
bility (CERC) der EU angebunden wird. Diese
Kooperation im Bereich der hybriden Kriegsführung
könnte zu guter Letzt dazu führen, die Beziehung zwi-
schen NATO und einer EU zu verbessern, die für eini-
ge Zeit Mühe hatte, echte Kooperationen in Bereichen
wie Ausbildung und Übungen, Forschung, Kapazitäten-
aufbau und politische Beratung in Krisenzeiten einzu-
richten. Man sollte darauf achten, welche Aussagen die
Hohe Repräsentantin Federica Mogherini im Rahmen
der Überprüfung der EU-Sicherheitsstrategie zur zu-
künftigen Kooperation mit der NATO und zu einem
Die NATO und die EU sitzen angesichts der Heraus-
forderung des europäischen Integrationsprozesses
durch Russland und der Bedrohung des europäischen
Lebensstils und Wohlstands durch die Terrororganisati-
on „Islamischer Staat“ (IS) und anderer Jihadisten im
selben Boot. Daher erscheint es unvermeidlich, dass
sich NATO und EU früher oder später annähern wer-
Strategie gegenüber dem Süden
Eine kohärentere westliche Strategie gegenüber dem Sü-
den wäre eine der Konsequenzen einer verstärkten Ko-
operation von NATO und EU. Eine solche würde an-
gesichts des unaufhörlichen Migrationsstroms von
Afrika, Syrien und dem Nahen Osten nach Europa und
darüber hinaus dringend benötigt. Es ist klar, dass die
derzeitigen Programme zum Kapazitätenaufbau im Be-
reich Verteidigung für die Partnerländer nicht ausrei-
chend sind. Die NATO hat solche Programme nur mit
Jordanien und dem Irak, sie verfügt nach der Operation
in Libyen 2011 über keine Präsenz in Nordafrika mehr.
Der Mittelmeer-Dialog der NATO und die Istanbuler
Kooperationsinitiative bedürfen einer Revitalisierung,
und die Allianz benötigt engere Beziehungen mit auf-
strebenden regionalen Organisationen wie der Afrikani-
-
operationsrat – und nicht zuletzt mit den Vereinten
Nationen, die drei Viertel ihrer 115.000 Personen star-
ken Friedenstruppe in afrikanische Länder entsendet
hat.
Für viele der südlichen NATO-Staaten sind die Bedro-
hungen aus dem Süden sehr real und nahe, während sie
Putins Russland eher als virtuelle Bedrohungen anse-
hen, die – anders als Foreign Fighters und Rückkehrer
NATO zu überschreiten oder Angriffe auf NATO-Ter-
ritorium zu riskieren. Diese südlichen NATO-Staaten
102 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
werden 2016 auf einen Readiness Action Plan (RAP)
für den Süden drängen. Sie werden sich nicht damit zu-
frieden geben, dass alle Mittel dafür gebunden werden,
einfordern, dass die Very High Readiness Joint Task
Force, die abgestuften Reaktionspläne und das Netz-
werk an Hauptquartieren in gleichem Maße für das Kri-
senmanagement im Süden wie für die Kollektive Vertei-
digung an anderen Plätzen einsetzbar sind. Der Erfolg
NATO diese konkurrierenden Bedürfnisse der südli-
chen mit jener der nördlichen Mitgliedsstaaten in Ein-
klang bringt.
Für das Jahr 2016 gilt es auch zu fragen, welche Rolle
die NATO an der Seite der EU bei der Kontrolle des
Migrationsstromes über das Mittelmeer, bei der Abhal-
tung von Schmugglerbooten oder vielleicht auch durch
wird – falls der VN-Sicherheitsrat solches zulässt. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass die NATO die gegenwärtige
Active Endeavour Operation im Mittelmeer von einer
Artikel 5 Operation in eine Stabilisierungsoperation
entlang der Linien der Ocean Shield Anti-Piraterie-Mis-
-
leichtert das Zusammenwirken mit der EU.
Chancen einer Koalition gegen die Terror-
organisation „Islamischer Staat“
Angesichts der Zweifel über die Effektivität der aktuel-
len Anti-IS-Strategie sowie der Feststellung, dass es
sehr viel Zeit und harte Arbeit benötigen wird, um den
„IS“ zu zerstören, sollte man nicht überrascht sein,
wenn sich die USA und andere prominente Mitglieder
der Anti-IS-Koalition an die NATO mit der Anfrage
nach Unterstützung und Koordination wenden. Immer-
hin geschah dies auch in Afghanistan und in Libyen. Da
Russland seine militärischen Kräfte in Syrien weniger
dazu einsetzt, den „IS“ zu bekämpfen, sondern eher
dazu, um Baschar al-Assad zu retten, bräuchte der Ein-
satz der NATO einiges an Koordination mit Russland.
Wäre dies ein Weg, um Russland zurück in die europäi-
sche Sicherheitskooperation zu bringen und den alten
NATO-Russland-Dialog auf militärischer Ebene wie-
derzubeleben? Ein Weg, der auch die Spannungen be-
züglich der Ukraine abbauen könnte? Da Montenegro
mit hoher Wahrscheinlichkeit 2016 eingeladen wird, das
jüngste NATO-Mitglied zu werden, verbliebe Russland
mit Blick auf die Allianz noch vieles, um sich zu be-
schweren. Syrien und die Anti-IS-Kampagne könnten
beiden Seiten eine offene Tür bieten, falls sie dies wün-
„kann/könnte möglicherweise eintreten“ fallen, aber es
wäre das interessanteste im Jahr 2016 und jenes mit den
größten langfristigen Konsequenzen
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 103
KERNPUNKTE
• Die sicherheitspolitische Herausforderungen im Süden und Osten spalten die NATO.
• Die Implementierung des Minsk II-Abkommen könnte die Lage in Ukraine deeskalieren.
• Auf eine Stationierung von russischen Raketensystemen auf der Krim und in Kaliningrad würde die NATO mit
verstärkter Präsenz in Osteuropa reagieren.
• 2016 wird die NATO eine Strategie gegen hybride Kriegsführung annehmen.
• Eine verstärkte NATO-EU-Kooperation könnte zu einer kohärenten westlichen Strategie gegenüber der MENA-
Region führen.
• Bei Eintritt der NATO in den Kampf gegen den „IS“ könnte der NATO-Russland-Dialog auf militärischer Ebene
revitalisiert werden.
KEY NOTES
• The challenges in the South and East are divisive for NATO.
• Implementation of the Minsk II agreement could deescalate the situation in Ukraine.
• NATO would react to a deployment of Russian missile systems to Crimea and Kaliningrad by increasing its pre-
sence in East Europe.
• In 2016, NATO will adopt a strategy on hybrid warfare.
• An enhanced NATO-EU-cooperation could lead to a coherent western strategy for the MENA region.
•
revitalized.
104 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Kollektive Verteidigung, Krisenbewältigung und
kooperative Sicherheit bleiben die Kernaufgaben der
NATO. Auch das war eines der wesentlichen Ergeb-
nisse von Wales. Die 28 Staats- und Regierungschefs
haben dort der Allianz den Weg gewiesen und den seit
1949 geltenden Anspruch unterstrichen, zu jedem Zeit-
punkt jedweder Bedrohung der Sicherheit des nordat-
lantischen Bündnisses begegnen zu können.
NATO IM EINSATZ 2016
Josef D. Blotz und Marco Taedcke
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise hat die NATO
im September 2014 auf ihrem Gipfel in Wales einen
Kurs festgelegt, mit dem das Bündnis für aktuelle
und kommende Herausforderungen besser aufge-
stellt sein wird. Diese Initiative zeigt bereits erste
greifbare Erfolge. Der nächste Gipfel in Warschau im
Juli 2016 wird eine Zwischenbilanz ziehen und wei-
tere Weichenstellungen vornehmen.
Readiness Action Plan
Die Mitgliedsstaaten des Nordatlantischen Bündnisses
haben auf die Erschütterung des Sicherheitsgefüges Euro-
pas durch Russlands völkerrechtswidrige Annexion der
Krim und seine Rolle in der Ostukraine richtungswei-
sende Antworten gefunden. Rasch und sichtbar wurde
den Mitgliedern im Osten der Allianz durch unmittelbare,
konkrete Maßnahmen die Solidarität des gesamten Bünd-
nisses demonstriert. Diese Maßnahmen, u. a. die verstärkte
Sicherung des Luftraums über den baltischen Staaten,
die Intensivierung des Übungsbetriebs sowie eine deut-
lich erhöhte Präsenz der ständigen maritimen Einsatzver-
bände der NATO in der Ostsee und im Schwarzen Meer
werden in 2016 fortgeführt. Auch Eventualfallplanungen
zur besseren Reaktion auf potentielle Krisen gehören zum
Maßnahmenpaket.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 105
Über diese und weitere Rückversicherungsmaßnah-
men hinaus geht es der NATO im Readiness Action Plan
(RAP) um langfristige Anpassungen und Weiterentwick-
lungen. So wird die Reaktionsfähigkeit der Allianz durch
die Schaffung der Very High Readiness Joint Task Force
(VJTF) verbessert. Hierfür liefern die Erfahrungen mit
dem Interim VJTF Testbed aus 2015 wertvolle Impulse.
Das VJTF-Konzept, Teil einer verbesserten NATO Res-
ponse Force, sieht den raschen Einsatz von Heeres-, Luft-
waffen-, Marine- und Spezialkräften innerhalb weniger
Tage vor, um auf Herausforderungen an der gesamten
-
ente Aufnahme dieser Kräfte zu gewährleisten, werden in
einigen Mitgliedsstaaten NATO Force Integration Units
aufgestellt.
NATO-Einsätze
Außer in der Umsetzung des RAP manifestiert sich die
Wahrnehmung der Kernaufgaben weiterhin und beson-
ders sichtbar in den NATO-Einsätzen.
In Afghanistan hat nach Beendigung der ISAF-Mis-
sion die Dekade der Transformation begonnen. Für den
mit Abstand größten und wichtigsten Einsatz der Alli-
anz, die Operation „Resolute Support“ (RS), wird sich die
Unterstützung des afghanischen Sicherheitssektors auf
die Ebene nationaler Institutionen wie Ministerien fokus-
sieren. Zudem wird der Übergang in eine an die afghani-
-
ler Führung gestaltet. Die afghanischen Sicherheitskräfte
hatten im ersten Jahr nach Übernahme der Sicherheits-
verantwortung intensive und verlustreiche Kämpfe zu
bestehen. Ihre Entwicklung weist trotz vereinzelter Rück-
gilt das Hauptaugenmerk der anhaltenden Unterstützung
durch die NATO und ihre Partnernationen. Die Dauer
von RS hängt von der Entwicklung des afghanischen
Sicherheitssektors ab. Flexibilität seitens der Truppenstel-
ler ist geboten.
Wie in Afghanistan so beteiligt sich Österreich auch im
Kosovo an einem NATO-Einsatz. Die Sicherheitslage
dort hat sich deutlich verbessert. In der Folge konnte die
Allianz ihren „Kosovo Force“ (KFOR)-Einsatz in Rich-
Der weitere Fortschritt hängt maßgeblich von politischen
Entwicklungen ab, insbesondere von der Implementierung
der Belgrad-Pristina-Übereinkunft. KFOR wird auch 2016
einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung dieses Prozes-
ses leisten.
Der Einsatz der NATO am Horn von Afrika, die Opera-
tion „Ocean Shield“ (OOS), leistet seit Jahren einen wich-
tigen Beitrag zu den internationalen Bemühungen zur
Bekämpfung der Piraterie und zur Fähigkeitsentwick-
lung regionaler Regierungen. Die Mission trägt Früchte:
Region sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings geht
von den somalischen Piraten weiterhin eine Bedrohung
für die Schifffahrt aus. Daher wird OOS 2016 fortgesetzt.
Seit ihrem Beginn im Jahre 2002 hat sich die Antiterror-
Operation „Active Endeavour“ (OAE) im Mittelmeer
ständig weiterentwickelt. Wenn die Zusammenarbeit mit
militärischen und zivilen Stellen der Mittelmeeranrainer
fortgesetzt und intensiviert werden kann, wird die NATO
mittelfristig eine überwiegend koordinierende Rolle wahr-
nehmen. Mittelfristig wird es darum gehen, die Erfolge
von OOS und OAE zukunftssicher zu machen. Die
Umsetzung der Erkenntnisse aus beiden Einsätzen für den
Aufbau und die Aufrechterhaltung von Maritime Situatio-
nal Awareness spielt dabei eine Schlüsselrolle.
106 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Partner und Kooperation
In den Einsätzen der NATO spielen Partner seit lan-
gem eine substanzielle Rolle, die weit mehr ist als eine
quantitative Entlastung der Alliierten. Das Wissen und
die Erfahrung, die von Partnern eingebracht werden,
reich leistet zu dieser Entwicklung seit vielen Jahren
einen wichtigen und geschätzten Beitrag. Diesen Weg
gilt es auch in den kommenden Jahren in vertrauensvol-
lem Umgang und mit kontinuierlich verbesserter Inter-
operabilität gemeinsam zu gehen. Die „Interoperability
KERNPUNKTE
• Die NATO hat auf die Erschütterung des Sicherheits-
gefüges Europas durch Russlands völkerrechtswidri-
ge Annexion der Krim und seine Rolle in der Ostukra-
ine richtungsweisende Antworten gefunden.
• Die Wahrnehmung der Kernaufgaben der NATO ma-
nifestiert sich auch in ihren Einsätzen.
• Bei „Resolute Support“ in Afghanistan geht es um
die Unterstützung der nationalen Institutionen.
• Die „Kosovo Force“ wird auch 2016 einen wichtigen
Beitrag zur Implementierung der Belgrad-Pristina-
Übereinkunft leisten.
• Fortschritte bei der Maritime Situational Awareness
sichern den Erfolg der maritimen Einsätze.
• In den Einsätzen der NATO spielen Partner seit lan-
gem eine substanzielle Rolle, die weit mehr ist als
eine quantitative Entlastung der Alliierten.
• Österreich leistet als NATO-Partner seit vielen Jah-
ren einen wichtigen und geschätzten Beitrag.
weit mehr ist als eine
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de Antworten gefunden.
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en Einsätzen.
Afghanistan geht es um
alen Institutionen.
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Belgrad-Pristina-
al Awareness
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seit
Platform“ bietet hierzu ein geeignetes Format. Einige
Partner haben darüber hinaus die Möglichkeit ergriffen,
die Zusammenarbeit durch das Enhanced Opportuni-
ties Program zu intensivieren.
In der Kooperation mit Internationalen Organisatio-
Kooperation zwischen NATO und EU wird durch die
jeweiligen Mitgliedsstaaten festgelegt. Hierbei ergeben
sich auch für Österreich gute Möglichkeiten der konst-
KEY NOTES
• NATO took landmark decisions in answer to
Russia’s illegal annexation of Crimea and its role in
Eastern Ukraine, both of which negatively impacted
European security architecture.
• NATO’s accomplishment of core tasks manifests
itself in its operations.
• The “Resolute Support” mission in Afghanistan
aims to support national institutions.
• In 2016 the “Kosovo Force” will continue to play
an important role in the implementation of the
Belgrade-Pristina-Accord.
• Progress concerning Maritime Situational Awa-
reness will ensure the success of maritime
operations.
• Partners play a substantial role within NATO opera-
tions, far beyond being mere quantitative relief for
the Allies.
• As a NATO partner of many years standing, Austria
is an important and much appreciated contributor.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 107
NUKLEARE NATO-POLITIK
2016
Karl-Heinz Kamp
In den letzten zwei Jahrzehnten waren Kernwaffen
bestenfalls eine Randerscheinung europäischer Si-
cherheitspolitik. Das hat sich durch Moskaus Ag-
gression grundlegend geändert. Eine Debatte über
nukleare Abschreckung wird Ende 2016 einsetzen –
allerdings wird es nicht zu einer nuklearen „Nach-
rüstung“ auf Seiten der NATO kommen.
Zurück in der „Artikel-5-Welt“
Das Jahr 2014 hat die sicherheitspolitische Lage in Europa
fundamental verändert. Russlands Annexion der Krim
und seine demonstrative Abwendung von der Idee einer
Partnerschaft mit dem „Westen“ erfordern eine Neuaus-
richtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspoli-
108 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
tik. Die NATO steht vor der Herausforderung, einerseits
gegenüber Moskau Abschreckung und Verteidigungs-
bereitschaft zu demonstrieren, andererseits die Situation
nicht unnötig zu eskalieren.
Im Bereich der konventionellen Streitkräfte gelang das bis-
lang überraschend gut. Die Allianz einigte sich auf ein
breites Spektrum von Maßnahmen zur Verbesserung ihrer
militärischen Verteidigungsfähigkeit. Bei den Nuklear-
waffen tut sich die NATO naturgemäß schwer, hat doch
die Russland-Krise die unterschiedlichen Positionen im
Bündnis noch verschärft. Erst 2012 hatte man sich unter
Schmerzen auf ein Abschreckungskonzept mit dem Titel
„Deterrence and Defense Posture Review“ (DDPR) geei-
nigt und die Frage nach den in Europa stationierten ame-
rikanischen Atomwaffen unter den Tisch gekehrt.
Heute wünscht sich gerade Osteuropa eine harte nuk-
leare Antwort, nicht zuletzt weil Russland seit mehre-
ren Jahren in seinen Manövern Kernwaffeneinsätze etwa
gegen Polen simuliert. Demgegenüber versuchen Länder
mit einer nuklearkritischen Öffentlichkeit wie Deutsch-
land oder die Niederlande Fragen der nuklearen Abschre-
ckung weitmöglich zu umgehen. Die USA sind gespalten:
Bis 2015 brauchte Washington die Unterstützung Mos-
kaus für ein Nuklearabkommen mit dem Iran. Auch hat
die Obama-Administration signalisiert, dass sie vor dem
keine Nukleardebatte im Bündnis wünscht, um die Chan-
cen der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen nicht
zu schmälern.
Nukleare Wahrscheinlichkeiten
-
lage ist für 2016 und danach mit einer Reihe von nuklear-
relevanten Entwicklungen zu rechnen:
Obgleich Atomwaffen als Machtwährung in den inter-
nationalen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krie-
ges erheblich an Wert verloren haben, wird Russland wei-
ter seine Kernwaffen in den Vordergrund stellen. Sie
sind für Moskau – neben ihrer Funktion als Kompensa-
tion für fehlende konventionelle Stärke – ein Mittel, um
-
len. Auch sind sie letztes verbliebenes Zeichen russischer
Weltgeltung.
Damit kommt den amerikanischen Nuklearwaffen (und
-
nuklearen NATO-Mitglieder und deren europäische Part-
ner wie Österreich oder Schweden müssen sich der Regeln
und Dilemmata nuklearer Abschreckung erinnern. Aller-
dings hat man es, anders als im Kalten Krieg, nicht mit
einer hochgerüsteten Sowjetunion zu tun, sondern mit
einem konventionell der NATO unterlegenen Russland,
-
greifen könnte.
sich nicht mit Hilfe nuklearer Rüstungskontrolle einhegen
-
den seit jeher einer Begrenzung seiner so genannten sub-
strategischen Kernwaffen in Europa widersetzt. Es kann
sein, dass sich diese Haltung in den kommenden Mona-
in der Ukraine dürften die osteuropäischen NATO-Mit-
glieder nukleare Vereinbarungen mit Russland ebenfalls
ablehnen.
Angesichts der grundlegend veränderten Weltlage ist eine
Diskussion über die Rolle und Ausgestaltung des Nuklear-
potentials der NATO zwingend. Das derzeit gültige Stra-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 109
tegiedokument, die DDPR, fußt auf Voraussetzungen, die
heute nicht mehr gelten – wie etwa die Partnerschaft mit
Russland. Dennoch lehnen es wichtige NATO-Mitglieder
schau zu erörtern. Damit dürfte eine Nukleardebatte in der
NATO erst nach dem Treffen der Staats- und Regierungs-
chefs oder nach den amerikanischen Präsidentschaftswah-
len einsetzen.
Ungeachtet der amerikanischen Vorwürfe, Russland
würde den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittel-
streckensysteme (INF-Abkommen) verletzen, gilt es als
weitgehend ausgeschlossen, dass die NATO mit einer Sta-
tionierung neuer Atomwaffen oder nuklearer Trägersys-
teme reagiert – auch wenn der britische Außenminister
Philip Hammond die Verlegung amerikanischer nuklea-
Stattdessen könnten mehr nukleare Übungen, eine Erhö-
hung der nuklearen Reaktionsfähigkeit oder auch Flüge
zen als Symbole nuklearer Ab-schreckung debattiert
werden.
Letztlich dürfte der in der NATO seit Jahren laufende Pro-
zess einer Delegitimierung von Kernwaffen nun gestoppt
sein. Zwar werden die USA und andere Bündnispartner
nicht explizit von dem 2008 von Präsident Barack Obama
verkündeten Ziel einer atomwaffenfreien Welt abgehen.
In der Praxis wird diese Vision aber kaum noch verfolgt
werden.
KEY NOTES
• Russia has mutated from an alleged partner of
NATO to its opponent.
• NATO’s nuclear concept has therefore lost its
foundation.
• NATO members and their partner countries have to
re-experience the principles and requirements of
nuclear deterrence.
• This does not require new nuclear weapons in the
West.
• Instead, the nuclear core question of how to deter
whom and when should once again be debated in
the alliance.
KERNPUNKTE
• Russland ist vom vermeintlichen Partner zum Geg-
ner der NATO mutiert.
• Das Nuklearkonzept der NATO hat damit seine
Grundlage verloren.
• Die Prinzipien und Erfordernisse der nuklearen Ab-
schreckung müssen von den NATO-Mitgliedern und
deren Partnerstaaten wieder neu gelernt werden.
• Das erfordert keine neuen Nuklearwaffen auf west-
licher Seite.
• Stattdessen muss die nukleare Kernfrage, wie man
wen und womit abschreckt, wieder im Bündnis de-
battiert werden.
sipol_jvs2016
RISIKO- UND KONFLIKTBILD
FÜR EUROPA 2016
„Der neutrale EU-Mitgliedsstaat Österreich ist von sta-
bilen demokratischen Staaten umgeben. Zugleich
liegt Österreich Krisenregionen an den Rändern Euro-
Eine unmittelbare konventionelle militärische Bedro-
hung des österreichischen Staatsgebietes ist zumin-
dest mittelfristig nicht absehbar. Zu berücksichtigen
sind aber ein konventionelles Restrisiko sowie aktuelle
und mögliche künftige bewaffnete Auseinandersetzun-
gen mit militärischen Mitteln im Umfeld der EU. Solche
derungen für die EU und Österreich sowie ihre politi-
im europäischen Umfeld vermehrt mit hybriden Metho-
den ausgetragen werden.“
(Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 7)
112 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Ausgangsbedingungen
Eine im Auftrag des Europäischen Parlaments und des
Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
2015 erschienene vergleichende Studie führt die Ergeb-
-
chenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal über
die Folgen der Finanzkrise und der Austeritätspolitiken
zusammen und analysiert deren Auswirkungen auf die
Ländern kam es zur Reduktion von Lehrern an den Schu-
SOZIALE SICHERHEIT UND
GESELLSCHAFTLICHE
STABILITÄT IN EUROPA 2016
Martin Schenk
Dieser Beitrag nimmt die maßgeblichen Indikatoren sozialer Sicherheit in den Blick und stellt sie in den
Kontext der sozioökonomischen Entwicklungen in Europa. Basierend auf den Forschungsergebnissen zu Le-
bensqualität, Public Health und sozialen Lebenslagen werden die Trends für Österreich 2016 entworfen.
-
chenland wurden Schulen nicht mehr beheizt und Schul-
standorte geschlossen. In Spanien sparte man bei der
-
-
dersterblichkeit stieg an, die Wartezeiten für Operationen
sind explodiert, auch in Spanien, Irland und Zypern. Mit
der Finanzkrise erhöhte sich die Suizidrate wieder euro-
paweit, besonders die von den sozialen Folgen der Krise
betroffenen Länder verzeichnen einen Anstieg.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 113
Statusstress, Gewalt, soziale Ghettos
Die Life Quality-, Public Health- und epidemio-
logische Forschung hat eine Reihe von Wirkungs-
zusammenhängen aufgezeigt. Je größer die Unter-
schiede zwischen arm und reich, desto schlechter die
Lebensqualität von Kindern (UNICEF). Kommt es
zu einer sozialen Polarisierung, folgen mehr chroni-
sche Krankheiten und eine geringere Lebenserwar-
tung, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Sta-
tus-Stress, weniger Vertrauen, mehr Schulabbrecher,
Resilienz: Psychosoziale Ressourcen
-
ter entwickeln sich die psychosozialen Ressourcen. Es
ausgeschlossen zu sein. Es gibt weniger Partizipation,
„Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschafts-
kraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusam-
menhalt und schafft politische Instabilität – aber sie
ist nicht unausweichlich“ (OECD).
Österreich: Haushaltseinkommen stabil
Für Österreichs fällt auf, dass die Haushalteinkom-
men insgesamt in den letzten Jahren stabil blieben.
Auch die Einkommensarmut blieb konstant (Statis-
tik Austria). Ohne Sozialleistungen wären auch mitt-
lere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegs-
gefährdet. Sozialstaatliche Leistungen wirken als
automatische Stabilisatoren: Während Industriepro-
duktionen, Exporte und Investitionen in Folge der
Finanzkrise stark gesunken sind, ist einzig der Kon-
sum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise
sogar gestiegen.
Faktoren
Die Entwicklung sozialer Sicherung und gesellschaftli-
cher Stabilität wird von mehreren Faktoren geleitet: Wo
wird investiert, wo wird im Budget gekürzt? Wie stark
steigt die Arbeitslosigkeit? Welche konjunkturelle Ent-
wicklung zeichnet sich ab? Wieviel leistbarer Wohnraum
steht zur Verfügung? Welche Anstrengungen sozialer
Integration gelingen in der Schule? Wie wird der demo-
graphischen Entwicklung begegnet?
Konsequenzen für Österreich
Die neuen sozialen Risiken – „New Social Risks“ – liegen
quer zu den klassischen Risiken sozialstaatlicher Siche-
rungssysteme: neue Selbständige, prekäre Beschäftigung,
Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen. Die schwache Kon-
junktur, ein hohes Arbeitskräfteangebot und geringe
Erwartungen wie Investitionen werden den Druck am
Arbeitsmarkt verstärken.
Prekäre Beschäftigung wird zunehmen. Schon jetzt leben
an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten,
in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht,
um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern.
-
biographien sind hier die Stichworte. Ein niedriges
Erwerbseinkommen schlägt sich auch in nicht-existenzsi-
chernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit
und in der Pension nieder.
114 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Soziale Aufstiegschancen werden blockiert. Die soziale
Herkunft entscheidet in Österreich überaus stark den wei-
teren Bildungsweg. Reformen, die stärkere sozial integra-
tive Akzente in der Schule setzen, werden möglicherweise
veranlasst, sind aber nicht sofort 2016 wirksam.
Es kann dazu kommen, dass zu geringe Investitionen in
gen alleine lassen und Potentiale im Dienstleistungssek-
tor brach liegen. Das verschärft die demographischen
gendwo im Sozialsystem gibt es so hohe Selbstbehalte,
nirgendwo wird so rigoros auf das eigene Vermögen und
gebedürftigkeit. Die sozialen Dienstleistungen wie Kin-
EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im
Es kann zu einem weiteren Anstieg psychischer Erkran-
kungen kommen. Die Krankenstandstage wegen psychi-
scher Erkrankungen sind in Österreich um über 70 % seit
1990 gestiegen. Von allen in Österreich verschriebenen
Psychopharmaka machen Antidepressiva mittlerweile fast
die Hälfte aus. Die Kosten für Psychopharmaka haben
sich bei den Krankenkassen seit 1995 verdoppelt. Von
denjenigen, die Antidepressiva beziehen, gehören Arbeits-
ialsystem
o wird
sich
jenigen
KEY NOTES
•
school dropouts, fuller prisons, more violence, and more social ghettos.
• Social Services act as stabilizers.
•
household consumption has remained stable.
• A weak economy, a large labour supply, and low expectations of investments will increase the pressure on the la-
bour market.
• Catchphrases such as I-Incorporated or Generation Internship, as well as biographies of social relegation indicate
precarious working conditions.
• Social services such as child care or nursing are below the EU average in Austria.
• The numbers of work days lost due to mental disorders have sharply increased in Austria.
KERNPUNKTE
• Kommt es zu einer sozialen Polarisierung, folgen eine geringere Lebenserwartung, mehr Status-Stress, weniger
Vertrauen, mehr Schulabbrecher, vollere Gefängnisse, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos.
• Sozialstaatliche Leistungen wirken als automatische Stabilisatoren.
• Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist ein-
zig der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben.
• Die schwache Konjunktur, ein hohes Arbeitskräfteangebot und geringe Erwartungen wie Investitionen werden
den Druck am Arbeitsmarkt verstärken.
• Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien weisen auf prekäre Arbeitsverhältnisse hin.
•
• Die Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen sind in Österreich stark gestiegen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 115
KRISEN UND KONFLIKTE IM
EUROPÄISCHEN UMFELD
2016
Walter Feichtinger
Mit den Umbrüchen im arabischen Raum 2011, der
Annexion der Krim durch Russland und folgenden
gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Ostukra-
ine 2014 sowie dem Festsetzen der Terrororganisa-
tion „Islamischer Staat“ (IS) haben sich die Rahmen-
bedingungen für die Sicherheit Europas sukzessive
verschlechtert. Es ist ein großer Krisenbogen aus
der sich von Osteuropa über den Süd-Kaukasus,
den Mittleren Osten und Nordafrika bis in die Sahel-
zone erstreckt. Terroranschläge und Drohungen ge-
gen den Westen sind ein starker Indikator für diese
Entwicklung, Flüchtlingsströme Richtung Europa
Osteuropa und Südkaukasus
Das mühsame Ringen um Stabilität und Ausgleich in der Uk-
raine wird sich auch 2016 äußerst schwierig gestalten. Der
Normalisierungsprozess kommt nur mühsam voran, aller-
dings sind die Kampfhandlungen seit September 2015 ausge-
setzt, und der mit großer Verspätung erfolgte Rückzug der
schweren Waffensysteme auf beiden Seiten wirkt ermutigend.
Das sollte aber nicht den Blick auf andere ungelöste
gelten: Moldawien und die abtrünnige Provinz Transni-
strien, Berg-Karabach als schwelendes Problem zwi-
schen Armenien und Aserbeidschan sowie die erhebli-
Folge der militärischen Auseinandersetzung 2008.
-
stanten Perspektivenlosigkeit weiterhin äußerst kon-
-
Als problematisch könnte sich dabei die Überlagerung
zwischen Russland und Europa bzw. den USA
erweisen.
-
ruhigt, die weitere Entwicklung hängt maßgeblich vom
Verhalten Russlands ab. Der derzeit fragile Zustand
könnte 2016 halten, aber auch rasch kippen. Europa
und damit auch Österreich sind in Folge der Sanktionen
derzeit primär wirtschaftlich betroffen. Allerdings wür-
de jede neuerliche Eskalation in der Ukraine zu einer
116 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Verschärfung der Sanktionen und zum verstärkten Auf-
bau militärischer Abwehrkapazitäten gegenüber Russland
führen. Damit ginge vermutlich auch eine dauerhafte Sta-
tionierung von NATO-Truppen in Osteuropa einher. Eine
weitere Destabilisierung der Ukraine geriete zu deren in-
nenpolitischer Zerreißprobe, die vor allem die EU poli-
tisch, sicherheitspolitisch, energiepolitisch und wirtschaft-
lich vor ungeahnte Herausforderungen stellen würde.
Mittlerer Osten und Nordafrika
Die Umbrüche im arabischen Raum haben zu einer Desta-
bleiben a) der seit Mitte 2014 ausgetragene bewaffnete
libyschen Regierung in Tobruk und der international nicht
der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien sowie c) der Krieg im
Irak und in Syrien gegen den IS. Kritisch deshalb, weil es
sich in Syrien immer offener um einen Stellvertreterkrieg
der Regionalmächte handelt, der nur durch einen Mini-
malkonsens aller Akteure zu einer Verhandlungslösung
führen kann. Verschärfend wirken die extreme Internatio-
nalisierung des Bürgerkriegs in Syrien durch das Eingrei-
fen Russlands und der USA mit ihren Verbündeten sowie
der Türkei-interne „Krieg“ gegen die Arbeiterpartei Kur-
distans (PKK). Das Jahr 2016 könnte einen Höhepunkt in
all diesen Auseinandersetzungen bringen, wobei sich an
der militärischen Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak
zunehmend auch europäische Staaten beteiligen werden.
Neben Vermittlungsversuchen ist daher auch von einer
-
fen ist.
-
strom aus dem Kriegsgebiet und nach Europa verstär-
ken, europäische Staaten entlang der Balkanroute und
in weiterer Folge Österreich und Deutschland werden
daher unverändert gefordert sein. Außerdem wird die
EU einen wesentlichen Beitrag zur Linderung der hu-
manitären Katastrophe und zur Flüchtlingsbetreuung
etwa in der Türkei und im Libanon zu leisten haben.
Je länger der Ansturm anhält, desto mehr werden die
bilateralen Beziehungen zwischen einigen Westbalkan-
staaten strapaziert – das kann eine bessere Zusammen-
arbeit, aber auch nachhaltige Spannungen bringen. Der
kritische Prüfstein innerhalb der EU wird sein, ob eine
zufriedenstellende Verteilung der Flüchtlinge gelingt
oder ob dies zu einer ernsthaften Spaltung führt. Be-
sonders Deutschland, Schweden und Österreich stehen
zusätzlich vor zwei zentralen Herausforderungen: der
Integration der enormen Zahl an Aufnahmewerbern
-
feindlicher Strömungen. Die gesellschaftliche Wider-
standskraft und der Erhalt des sozialen Friedens werden
dabei immer bedeutender werden.
Zusätzlich ist Europa ins Visier der Dschihadisten gera-
ten. Der Appell des selbsternannten Kalifen Abu Bakr
al Baghdadi, den Kampf „zu Hause“ zu führen, wird
vermutlich von einzelnen selbstradikalisierten Personen
wie auch von größeren Terrorzellen als Auftrag für
möglichst Aufsehen erregende Anschläge verstanden.
Die Terrorgefahr ist daher deutlich gestiegen und erfor-
dert eine verbesserte Zusammenarbeit in allen sicher-
heitsrelevanten Bereichen.
Erweiterte Sahelzone als
Die Überschwappeffekte der Umbrüche im arabischen
Raum Richtung Sahel mit den Zentren Mali und Zent-
ralafrikanische Republik werden anhalten. Machtkon-
-
nalem Terrorismus, z.B. bei den Staaten um den
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 117
KERNPUNKTE
• Die Situation in Osteuropa erfordert eine eigenstän-
dige EU-Positionierung auf Basis europäischer Inte-
ressen und eine Neuordnung des Verhältnisses zu
Russland.
• Die Herausforderungen entlang der Balkanroute be-
legen, dass eine rasche Integration dieser Staaten
in die EU unverzichtbar ist.
• Die erwartbare Gewalteskalation in Syrien und im
Irak wird zu einem Anhalten der Fluchtbewegungen
führen und die Terrorgefahr in Europa erhöhen.
• Die Situation in Libyen erfordert ein verstärktes En-
gagement der internationalen Gemeinschaft, um zu
einer Verhandlungslösung zu kommen, das Entste-
hen eines „Zweiten Islamischen Staates“ zu verhin-
dern und dem Migrationsproblem vor Ort begegnen
zu können.
• Die erweiterte Sahelzone bedarf einer nachhaltigen
Konsolidierung, die ein internationales und europäi-
sches Engagement erfordert.
• Die EU wird angesichts der aktuellen Problemlagen
als Zusammenarbeitsrahmen weiterhin an Bedeu-
tung gewinnen.
Tschad-See. Infolge der funktionalen Schwäche dieser
Staaten wird internationale Unterstützung bei der Stabi-
lisierung und beim Aufbau eigener Kapazitäten auch
mittelfristig vonnöten sein. Angesichts der steigenden
Terrorismusgefahr, einer Verfestigung der transnationa-
len Organisierten Kriminalität und der Bedrohungen
für die Bevölkerung kann dabei von einem zwingend
erforderlichen Stabilitätstransfer gesprochen werden.
Der Westen – Europa und die USA – hat sich neben Li-
byen auch verstärkt den Herausforderungen in der Sa-
helzone zu stellen, wo eine Eindämmung des IS, die
Bekämpfung der transnationalen organisierten Krimi-
nalität sowie eine Stärkung afrikanischer Kapazitäten
im Vordergrund stehen. Die EU wird daher ihre Frie-
denseinsätze in der Region – in Abstimmung mit den
VN-Missionen – weiter ausbauen, um Rückfälle zu ver-
meiden. Europäische Staaten wie Österreich können
sich nach eigenem Ermessen an diesen EU- und VN-
Einsätzen auch mittel- und langfristig beteiligen, um
stabile Verhältnisse und wirtschaftliche Entwicklung zu
ermöglichen und damit auch dem Migrationsdruck
entgegenzuwirken.
KEY NOTES
• The situation in Eastern Europe requires an inde-
pendent EU position on the basis of European inte-
rests, as well as a realignment of the relationship
with Russia.
• The challenges along the Balkans route prove that
a fast integration of these states into the EU is
essential.
• The (to be expected) escalation of violence in Sy-
ria and Iraq means that the refugee movements will
continue and that the danger of terrorism in Europe
will increase.
• The situation in Libya requires increased commit-
ment of the international community to achieve a
negotiated settlement, to stop the development of a
Second Islamic State, and to confront the migration
problem in situation.
• The larger Sahel Zone requires a sustained conso-
lidation; this requires international and European
commitment.
• Given the current problems, the EU will gain in im-
portance as a frame of cooperation.
118 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die Attentate des Jahres 2015 in Frankreich erin-
nerten Europa erneut schmerzlich daran, dass ter-
roristische Netzwerke auf dem Kontinent aktiv sind.
[Anmerkung der Redaktion: der Beitrag wurde vor
den Anschlägen des 13. November 2015 verfasst.]
Diese Anschläge haben klar gemacht, dass Europas
Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus noch
nicht voll wirksam sind und vergleichbare Anschläge
für 2016 zu erwarten sind. Sie werden vermutlich eine
TERRORISMUS
IN EUROPA 2016
Louise Shelley
In Europa herrscht sowohl auf nationaler als auch
auf EU-Ebene ein starres System der Kriminalitäts-
und Terrorismusbekämpfung, dem keine effektive
Strategie zugrunde liegt. Mangelnde Finanzierung
und Integration der Terrorismusbekämpfung werden
2016 eine größere Zahl potentieller Terroristen in
die Lage versetzen, in Europa Anschläge zu ver-
üben, wobei das Problem durch die Rückkehr von
Kämpfern nach Europa verschärft wird.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 119
begrenzte Anzahl von Opfern fordern, an öffentli-
-
cherweise mit Sprengstoff ausgeführt werden. In der
Vergangenheit waren etwa Schulen, Züge und Super-
märkte das Ziel von Anschlägen, und sie werden das
auch in Zukunft sein.
Die kriminelle Vorgeschichte der künfti-
gen Terroristen
Die Terroristen des Jahres 2016 werden wie ihre
Vorgänger des Jahres 2015 einzeln oder in klein-
en Netzwerken operieren und eine kleinkriminelle
Vorgeschichte aufweisen. Sie werden aber durch die
Ritzen des Sicherheitsapparats fallen, da die Europäis-
und kriminellen Netzwerken einschließlich des Dark
Web nachzuspüren; Letzteres ist immer mehr der
Ort von Kriminalität. Europa muss umdenken und
die Bekämpfung des Terrorismus verstärkt auf diese
Phänomene und ihre Wechselbeziehungen abstellen.
Wie werden diese Terroristen ihre Tätig-
Zu lange hat sich Europa auf die Finanzierung des
Terrorismus durch Drogen konzentriert. Damit hat es
-
händlern wie jenem, der den Anschlag auf den Tha-
lys-Zug von Paris nach Amsterdam im August 2015
verübt hat, beschäftigt. Vergangene und künftige Ter-
roristen sind aber eher in kleinkriminellen Handel mit
Waren wie etwa Fälschungen, Handys, Zigaretten,
Lebensmitteln und Textilien verstrickt. So handelte
etwa einer der Kouachi-Brüder, die den Anschlag
auf Charlie Hebdo im Jänner 2015 verübt haben,
mit gefälschten Turnschuhen und geschmuggelten
Zigaretten. Dergleichen wird wohl auch die Einnahm-
equelle künftiger Terroristen in Europa sein.
Was ist gegen die Finanzierung des Ter-
rorismus in Europa zu unternehmen?
Erk-
enntnisse aus der Wirtschaft haben zum Verständnis
beigetragen. Nike warnte die französische Regierung,
dass einer der Kouachi-Brüder gefälschte Turnschu-
he verkaufte und Zahlungen nach China überwies.
Nachdem US-Behörden Informationen von Firmen
erfolgreich genutzt haben, sollte solche Zusamme-
narbeit auch in Europa in breiterem Maße dazu die-
nen, die Finanzierung von Terrorismus zu verhindern.
Abgesehen von Firmendaten können öffentlich-pri-
-
er Analyseteams ermöglichen, die Trends und Muster
-
ungen zum Schwarzhandel – aufdecken. Interpol ist
damit befasst, aber auf europäischer Ebene könnte –
unter Wahrung der Rechte des Einzelnen – durchaus
mehr geschehen.
Die milden
Strafen für Schwarzhandel mit Konsumgütern haben
diese zu einem wichtigen Wachstumsgebiet für die
Finanzierung von Terrorismus gemacht, und zwar
sowohl global als auch in Europa, wo viele dieser
Waren hoch besteuert werden. Die Europäer sollten
Den Schwarzhandel gibt es im
Internet seit vielen Jahren. Laut Europol hat es in den
letzen Jahren ein enormes Wachstum des Dark Web
gegeben, in das der Zugang über die Plattform „Tor“
120 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Europa wird 2016 höchstwahrscheinlich vermehrt
Ziel kleinerer terroristischer Anschläge sein.
• Die Bekämpfung von transnationaler Kriminalität
und Terrorismus wäre zu integrieren.
•
lem Schwarzhandel als Finanzierungsquelle des Ter-
rorismus nachspüren.
• Illegale Netzwerke, insbesondere das Dark Web und
die Geheimwährungen, sind stärker zu überwachen.
• Terrorismusbekämpfung ist eine Aufgabe nicht nur
für Regierungen und internationale Organisationen,
sondern auch für Firmen und Bürger.
und spezielle Portale möglich ist, durch die man in
eine Welt gelangt, in der zumeist Illegales verkauft
sind, die diesen illegalen Handel erleichtern. Deshalb
muss sich die EU mehr mit dem Dark Web und seinen
des Terrorismus zu bekämpfen.
Bei der Bekämp-
fung des Terrorismus müssen die ihn unterstützenden
den. Dies kann durch die Ausforschung der illegalen
Netzwerke und der Hauptunterstützer sowohl krim-
ineller als auch terroristischer Aktivitäten geschehen.
portspezialisten. Es können auch Firmen innerhalb
der EU sein, die Basischemikalien für Drogen, Fil-
ter für gefälschte Zigaretten und Banker, die bei der
KEY NOTES
• In 2016, Europe will most likely become the target of
small-scale terrorist attacks.
•
should be integrated.
•
• Illicit networks, especially the Dark Web and its
cryptocurrencies, should be kept under enhanced
surveillance.
• Countering terrorism is not only the task of govern-
ments and international bodies, but also of corpora-
tions and citizens.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 121
FLUCHT UND MIGRATION
NACH EUROPA 2016
EUROPAS SCHICKSAL ENTSCHEIDET SICH AN DER
FLÜCHTLINGSKRISE
Ángel GurrÍa
In den vergangenen Monaten ist auf nationaler und
europäischer Ebene viel geschehen, um die Flücht-
lingskrise in Europa zu bewältigen. Es muss aber
noch weit mehr passieren, denn die Zahl der Men-
Diese Krise ist eine der größten Herausforderungen
für die EU seit der Gründung der Europäischen Wirt-
schaftsgemeinschaft 1957. Sie hat das Potential,
Grundpfeiler der EU ins Wanken zu bringen, darun-
ter die außenpolitische Agenda. Die europäischen
Staats- und Regierungschefs müssen sich schnell
auf eine koordinierte und konsequente Strategie ei-
Die schlimmste Flüchtlingskrise seit
Jahrzehnten
Die aktuelle Flüchtlingskrise ist beispiellos, ihre
menschlichen Kosten sind verheerend und inakzepta-
bel. Schon die Zahlen für das Jahr 2015 zeichnen ein
nigen – eine Strategie für ein wirtschaftlich, sozial
und politisch starkes Europa. Andernfalls riskieren
wir, das europäische Projekt und unsere globale
Führungsposition zu schwächen.
122 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
düsteres Bild: Über eine Million Migrantinnen und
Migranten sind in Europa registriert, die Hälfte von
ihnen hat Flüchtlingsstatus. In den ersten acht Mona-
ten bildeten Asylsuchende aus Syrien mit 18 Prozent die
südlichen Afrika und Südasien kamen viele Menschen.
Einige europäische Länder sind besonders exponiert.
Sie bilden das Haupteingangstor zur EU – wie Kroa-
zugtes Ziel, wie etwa Deutschland, Österreich und
Schweden. In anderen EU-Ländern ist die Krise bisher
noch kaum zu spüren. Diese Unterschiede haben eine
päischer Ebene bisher verhindert. Dazu kommt, dass
sowohl Migranten als auch Schleuser ihre Netzwerke
und Strategien permanent ändern.
Europa hat Mittel und Erfahrung genug,
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben europä-
ische Länder unerwartete Wanderungswellen erlebt.
In den 1970er Jahren kamen die Boat-People aus Viet-
maligen Jugoslawien und Anfang des 21. Jhd. jene aus
dem Irak und aus Afghanistan. In ihrem Umfang, wenn
die aktuelle Krise an die Rückwanderung französi-
scher oder portugiesischer Kolonistinnen und Kolonis-
ten in den 1960er und -70er Jahren oder an die Ankunft
von gut drei Millionen ethnischen Deutschen in den
späten 1980er und frühen 1990er Jahren. In allen Fäl-
len schafften es die Länder nicht nur, die unmittelba-
ren Herausforderungen zu bewältigen, sondern sie pro-
Einwanderern.
Mit Blick auf die Zahl der Asylsuchenden, ihre
Zusammensetzung und die Bedingungen, unter denen
sie nach Europa gekommen sind, ist die Aufgabe, vor
der wir heute stehen, gewaltig. Allerdings sind die
europäischen Institutionen und Koordinationsmecha-
nismen inzwischen wesentlich ausgefeilter. Das glei-
che gilt für die Integrationspolitik und -infrastruktur.
Im Rahmen der jüngsten Krise hat die Politik Wege
gefunden, auf dem Meer Menschenleben zu retten,
Notunterstützung für Flüchtlinge und Asylsuchende
und das EU-System zur Verteilung der Ankommen-
den zu verbessern. Dieser Weg muss weiter beschrit-
ten werden – in einigen Fällen noch konsequenter
als bisher. Ergänzend dazu brauchen wir Maßnah-
men, die sich auf mittel- und langfristige Herausfor-
derungen konzentrieren, zum Beispiel darauf, die
Integration der Migrantinnen und Migranten und
ihrer Kinder zu unterstützen, künftige Entwicklun-
gen besser abzuschätzen und entsprechende Maßnah-
men parat zu haben, die Zusammenarbeit mit Her-
kunfts- und Transitländern zu verstärken und nicht
zuletzt das Vertrauen im Hinblick auf Migration wie-
der aufzubauen.
Der europäische Kontinent braucht eine
integrierte Migrationspolitik
Kein europäisches Land kann die humanitäre Krise
alleine bewältigen, und auch Europa kann nicht
alleine handeln. Eine globale Lösung ist nötig. Nur
mithilfe internationaler Zusammenarbeit kann die
ungeregelte Wanderung eingedämmt werden. Wir
müssen Informationen austauschen, unseren Kampf
gegen Schleusernetzwerke koordinieren, Rückführun-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 123
KERNPUNKTE
• Die humanitären Kosten der aktuellen Flüchtlingskrise sind inakzeptabel.
• Die unterschiedliche Ausgangslage europäischer Länder hat eine koordinierte politische Antwort auf die Krise bis-
her verhindert.
•
• Die Krise kann nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden.
• Europas Ansatz muss es sein, Krisen zu vermeiden, und erst in zweiter Linie, sie zu lösen.
gen organisieren und Informationskampagnen entwi-
ckeln. Darüber hinaus müssen wir an legalen Einwan-
derungsmöglichkeiten arbeiten.
Die OECD verfolgt Wanderungsströme seit mehr als
rationsausblick“ erschienen. Vor kurzem hat sie mit
Unterstützung der Europäischen Kommission ein Set
von Indikatoren veröffentlicht, das erstmalig misst,
wie gut Einwanderer integriert sind. Diese Indikato-
ren werden auch in Zukunft ein wertvolles Instrument
darstellen.
Die aktuelle Krise begründet sich nicht nur durch die
nen gibt es Krisenherde. Schon heute gehören Mig-
rationsfragen zum Kern eines mehrdimensionalen
Zugangs zu internationaler Kooperation, vor allem in
Bezug auf Sicherheitsaspekte. Ohne Zweifel wird diese
Dimension in den kommenden Jahren und Jahrzehn-
ten noch an Bedeutung gewinnen. Wir brauchen in
Europa einen neuen außenpolitischen Ansatz, um die
Flüchtlingskrise zu bewältigen. Dieser Ansatz muss
weniger passiv, umfassender und regionaler sein. Und
er sollte sich in erster Linie darauf konzentrieren, Kri-
sen zu vermeiden – und erst dann, sie zu lösen.
Es ist allerhöchste Zeit, über Strategien nachzuden-
ken! Europa war auf die aktuelle Situation nicht vor-
bereitet und ringt noch immer mit ihr. Mittel- und
langfristig wird es um drei Dinge gehen: Integration,
Integration und noch mal Integration! Wenn wir es
klug anstellen, können wir die Krise wie in der Ver-
gangenheit zum Positiven wenden, aber wir dürfen
keine Zeit verlieren.
KEY NOTES
• The humanitarian costs of the current refugee crisis are unacceptable.
• European States‘ different starting points and different positions have so far prevented a coordinated policy
response.
•
• The crisis can only be solved through international cooperation.
• Europe‘s approach should be to prevent crises from happening and only secondarily to solve them.
ger passiv, umfassender u
er a
gsla
nale
u verm
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langfristig wird es um drei Dinge gehen: Integration,
Integration und noch mal Integration! Wenn wir es
klug anstellen, können wir die Krise wie in der Ver-
gangenheit zum Positiven wenden, aber wir dürfen
keine Zeit verlieren.
124 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die seit fünf Jahren andauernde Krise in Syrien belas-
tet die vorhandenen Kapazitäten des Libanon, Jordani-
-
MIGRATIONSPERSPEKTIVE
2016
Peter Van der Auweraert
Die innerafrikanische Migration wird zahlenmäßig
auch künftig höher liegen, als die aus dem Nahen
und Mittleren Osten in Richtung Europa. Im letzten
Jahr ging ein erheblicher Anteil der Flüchtlings- und
Migrationsströme über die Mittelmeerroute nach
Europa. Zwischen Jänner und November 2015 ka-
men über 900.000 Flüchtlinge bzw. Migrantinnen
und Migranten in Griechenland, Italien, Malta und
Spanien an. Die Migrationströme setzen sich derzeit
aus über 20 verschiedenen Nationen zusammen.
Die meisten Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Mig-
ranten kommen, geordnet nach Herkunftsländern
aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Albanien und aus
dem Irak in Griechenland an. Staatsbürger aus Erit-
rea, Nigeria, Somalia, Sudan, Syrien, Gambia und
Bangladesch landen in dieser Reihenfolge in Italien.
Die Indikatoren sprechen für eine Fortsetzung die-
ses Trends.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 125
nen Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, weit über ihre
Möglichkeiten hinaus. Weitere über sieben Millionen
-
in Libyen, im Jemen, im Irak und in Nordost-Nigeria,
anhaltende schwerwiegende Menschenrechtsverletzun-
gen, Armut und Umweltschädigungen die Migration
nach Europa vorantreiben. Ähnliche Faktoren sind
auch in einigen Ländern Süd- und Osteuropas fest-
stellbar. Für ihre gemeinsamen Planungen arbeiten die
Internationale Organisation für Migration (IOM) und
das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) auf
Basis der Annahme, dass 2016 zusätzlich eine Million
Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten nach
Europa kommen werden.
Herausforderungen im
Migrationsmanagement
Die Migrationsströme haben unterschiedliche Auswir-
kungen auf Europa und hängen in erster Linie davon
Italien haben bei weitem die meisten aufgenommen),
ein Transit-Land (Mazedonien, Serbien, Kroatien und
teilweise Österreich) oder ob es ein Zielland (Deutsch-
land, Schweden und seit kurzem auch Finnland) ist.
Zu den Herausforderungen im Migrationsmanagement
zählen eine Überlastung der anfänglichen Aufnahme-
und eines Überwachungsmechanismus, unzureichender
Schutz speziell für unbegleitete Kinder, Druck bei der
Schaffung von Aufnahme- und Unterbringungseinrich-
tungen oder unzureichende Kapazitäten bei den zustän-
digen Behörden bei der zahlenmäßigen Bewältigung
der Ankommenden. Die Regierungen sind dabei, erheb-
liche Anstrengungen zur Bewältigung dieser Herausfor-
derungen zu unternehmen. Dies wird auch 2016 so blei-
ben, falls der Strom der Ankommenden anhält.
Europäische Solidarität im Stresstest
Die Europäische Kommission konnte zusätzliche Mit-
aber sobald es um die Aufnahme von Flüchtlingen bzw.
Migrantinnen und Migranten geht, dürfte die euro-
päische Solidargemeinschaft auch 2016 weiter unter
Druck stehen. Die Umsetzung der Entscheidung des
Europäischen Rates Justiz und Inneres für die Vertei-
lung von 160.000 Flüchtlingen bzw. Migrantinnen und
EU-Mitgliedsstaaten startete 2015 sehr zögerlich und
dürfte auch 2016 schwierig bleiben. Die Herausforde-
rung besteht in der geringen Anzahl der Angebote zur
Übernahme seitens der EU-Mitgliedsstaaten – trotz
der zwingend vorgeschriebenen Regelung und der vor-
handenen Präferenz der Flüchtlinge bzw. Migrantin-
nen und Migranten für einige bestimmte Zielländer wie
Deutschland oder Schweden.
In Folge der Anschläge von Paris und Brüssel im Jahr
2015 könnten es zu einer Verschlechterung der Stim-
mung gegen Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Mig-
ranten quer durch Europa kommen. Für politische Ent-
scheidungsträger dürfte es schwieriger werden, ihre
Überlegungen zu legaler Migration nach Europa umzu-
setzen. Nicht richtig gehandhabt könnte es zu stärkeren
Spannungen zwischen Neuzuwanderern sowie einigen
Teilen der Aufnahmestaaten mit den staatlichen Behör-
den kommen. Diese kämpfen ohnehin schon damit,
ihre eher zurückhaltenden, heimischen Bevölkerungen
davon zu überzeugen, dass es sich bei Migration um
ein positives und für Europa notwendiges Phänomen
handelt. Trotzdem gibt es eine außerordentlich bemer-
kenswerte Solidarität von Bürgern, Akteuren der Zivil-
gesellschaft und vielen einzelnen Familien für die Neu-
ankömmlinge. Dies dürfte auch 2016 eine – wenn auch
wenig beachtete – Realität bleiben.
126 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die Migration über die Mittelmeerroute nach Europa
wird auch 2016 anhalten.
• Migrationsmanagement ist eine Herausforderung,
die durch eine steigende Anzahl von Flüchtlingen
bzw. Migrantinnen und Migranten verstärkt wird.
• Die Europäische Solidarität bleibt unter Zugzwang,
bestehende Arrangements müssen vielleicht über-
arbeitet werden.
• Die Stimmung gegen Flüchtlinge bzw. Migrantinnen
und Migranten könnte sich verschlechtern, die pri-
vate Solidarität dürfte aber stark bleiben.
• Die Integration von Zuwanderern dürfte mehr im Fo-
kus der Zielländer liegen.
Integration
Der Fokus liegt derzeit noch auf der Bewältigung der
Flüchtlingsströme und hat daher die Debatte über
eine mittel- und langfristige Integration der Zuwande-
rer in den Hintergrund gedrängt. Das dürfte sich 2016
ändern. Sobald Asylweber eine Arbeitserlaubnis oder
Zugang zu Ausbildungsmaßnahmen bekommen, wer-
den die Arbeitsämter beginnen, sich mit einer geeigne-
ten Bereitstellung von Serviceleistungen und Zugang
am Arbeitsmarkt zu beschäftigen.
KEY NOTES
•
pe will continue.
• Migration management challenges will persist and
may deepen if numbers rise.
• European solidarity will remain under pressure and
existing arrangements may need to be revised.
• Anti-immigrant and refugee sentiments may increa-
se, but private solidarity is likely to remain high.
• Integration of newcomers is likely to become more
of a focus in countries of destination.
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KEY NOTES
•
pe will continue.
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may deepen
• European
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• Anti-
se
•
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 127
Der „Youth Bulge“ und die Folgen
Im Jahr 2002 legte das United Nations Development
Program (UNDP) den ersten regionalen Bericht zur
menschlichen Entwicklung vor. Die Autoren verwie-
sen in den vier Arab Human Development Reports auf
die demographischen Entwicklungen. Seit 1985 hatte
sich die Bevölkerung in den 18 arabischen Staaten der
FLÜCHTINGSSTRÖME UND
POTENTIALE 2016
Karin Kneissl
Die Babyboomer der arabischen Welt sind die Jahr-
gänge der später 1980er Jahre. Sie gingen gegen
die Langzeitherrscher vor fünf Jahren auf die Stra-
ßen, begann die Revolten und zogen in der Folge in
Durchschnittsalter in der Region Middle East and
North Africa (MENA) bewegt sich zwischen 18 und
25 Jahren. 100 Millionen Arbeitsplätze müssten
laut einer Weltbankstudie bis 2030 geschaffen wer-
den, um diese geburtenstarken Jahrgänge aufzu-
nehmen. Auch die arabischen Golfstaaten sind mit
dieser Herausforderung konfrontiert. Infolge eines
niedrigen Erdöl-Preisniveaus lässt sich das Wohl-
fahrtssystem der Petromonarchien nur bedingt auf-
rechterhalten. Die Migration aus der Region wird, ob
infolge von Krieg und Vertreibung oder aus wirt-
schaftlichen Gründen, anhalten und anwachsen.
128 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
MENA-Region verdoppelt. Der Ausbruch der arabi-
schen Revolten im Jänner 2011 lässt sich u.a. demo-
graphisch erklären, denn die Jugendarbeitslosigkeit
erreichte in vielen Staaten trotz prinzipiell guter Wirt-
schaftsdaten Rekordhöhen. Doch die Jahrzehnte der
politischen Stagnation endeten im Chaos.
Infolge der militärischen Interventionen, so v.a. des
Irakkriegs 2003 und der „humanitären Intervention“
in Libyen 2011 sowie des Kriegs Saudi-Arabiens im
Jemen, zerfallen staatliche Strukturen. Die vielen Stell-
vertreterkriege spiegeln oftmals die regionalen Rivali-
täten etwa zwischen dem Iran und Saudi-Arabien bzw.
zwischen der Türkei und Israel wider. Der Iran wird als
-
tend machen, was wiederum die selbsterklärten Schutz-
mächte der Sunniten auf den Plan ruft. Sunnitischer
Extremismus wird neben der Al-Qaida, die von der jün-
Al-Nusra und weitere Terrororganisationen hervorbrin-
-
riert zusehends in eine Auseinandersetzung zwischen
Kampf um den Tempelberg, den beide Religionsgrup-
pen für sich reklamieren, ist das politische und religi-
öse Epizentrum dieser territorialen Ansprüche. Die
-
ter, dies gilt für palästinensische Attentäter ebenso wie
Täter unter den nationalreligiösen Siedlern. Religiös
-
kert sich territorial, wie im Fall der Terrormiliz „Islami-
scher Staat“ (IS).
Expansion des IS und seiner
Subunternehmer
Das im Juli 2014 proklamierte Kalifat des IS wird nicht
an Attraktivität für ausländische Dschihadisten ver-
lieren, die zukünftig nicht nur in Syrien und im Irak
kämpfen werden, sondern zunehmend auch in Libyen
und auf dem Sinai. Ihren wesentlichen militärischen
-
schen Armee, zum anderen in sunnitischen Stämmen,
die im Vakuum zerfallener Strukturen wieder an Bedeu-
tung gewinnen. In Ägypten kommen die in den Unter-
grund abgewanderten Muslimbrüder als neues Rückgrat
hinzu. Die Flüchtlingsbewegungen werden daher auch
aus diesen Regionen zunehmen.
Der Kampf gegen den IS wird eventuell in Syrien
gewisse Erfolge erzielen, zumal die russisch-chinesisch-
iranische Kooperation zu einer Eindämmung, viel-
leicht sogar zu einer Verdrängung des IS führen könnte.
China will jeglichen Staatenzerfall hintanhalten, da dies
das ambitionierte Projekt der Seidenstraße beschädigen
würde.
eindringen. Dies gilt insbesondere für die arabische
Halbinsel, wo eine Schwächung der saudischen Regie-
rung zu einem Aufstieg solcher Kräfte führen könnte.
Der saudische Krieg im Jemen könnte eine innersaudi-
sche Krise lostreten, je länger diese Invasion andauert.
Ist Stabilisierung in Syrien, im Irak und
Libyen möglich?
Die Bemühungen der UNO werden fortgeführt wer-
den, wesentlich für eine Umsetzung der Befriedungs-
wesentlichen Drahtzieher sein. Über regionale Waffen-
stillstände werden die diplomatischen Initiativen 2016
kaum hinausgehen. Eine umfassende Stabilisierung
-
che im Irak erfolgen, da beide Länder – was die Lage
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 129
der Kurden und die Machtteilung zwischen den Eth-
nien betrifft – vor ähnlichen Herausforderungen ste-
hen. Anstatt der Türkei freie Hand zu lassen, muss
Die Türkei könnte zudem zum neuen Kriegsgebiet wer-
den, falls die AKP-Führung ihren aktuellen Kurs der
Repression fortführt. Der IS ist bereits Teil der Türkei.
Was Libyen betrifft, haben trotz beharrlicher UN-Ver-
mittlung und algerischer Diplomatie bislang nicht alle
ten hat besonderes Interesse, den Zerfall und die Radi-
kalisierung zu stoppen, da vermehrt Radikale eindrin-
gen. Ein verstärktes militärisches Engagement durch
Kairo ist nicht auszuschließen.
Der Nahe Osten ist Europa verdammt
nahe
Wie nahe Europa diese Schicksalsregion ist, wird ange-
sichts der Menschenmengen, die sich zu Fuß auf den
Weg machen, vielerorts spürbar. Unilaterale und bila-
terale Lösungen werden angesichts der Dringlich-
keit anstelle gemeinsamer EU-Linie umgesetzt werden.
gehören – nicht nur an den Außengrenzen, sondern
auch zwischen den EU-Staaten. Die Europäer tragen
wird Europa die Folgen spüren.
KERNPUNKTE
• Die Demographie in den arabischen MENA-Staaten hat entscheidenden Anteil an den Entwicklungen seit 2011.
• Der IS wird kaum an Attraktivität verlieren.
•
• Die EU riskiert am Nahen Osten zu zerbrechen.
KEY NOTES
• Demographics of the Arab MENA countries have had a decisive impact on developments since 2011.
• ISIS will not lose any of its attraction.
•
• The EU risks collapse over the Middle East.
130 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
TRANSNATIONALE
ORGANISIERTE
KRIMINALITÄT 2016
Maximilian Edelbacher
Österreich und Europa waren im Jahr 2015 mit den
neuen Wanderbewegungen, mit religiöser Radikali-
sierung, mit Formen des internationalen Terroris-
mus und mit grenzüberschreitender Organisierter
Kriminalität konfrontiert. Dieser Trend wird sich
auch 2016 global fortsetzen. Die Symbiose von Ter-
rorismus und Organisierter Kriminalität stellt
schlechthin die Gefährdung demokratischer Gesell-
schaften dar. Ganz gleich, ob Terrorismus in Süd-
amerika oder in Asien analysiert wird, die Finanzie-
rung terroristischer Aktionen mittels Drogenhandels
oder Menschenhandels sind typische Verhaltens-
weisen. Interessanter Weise spielen ethnische Dif-
ferenzen dabei keine Rolle. Fakt ist, wenn es ums
Geld geht, versteht man sich im „kriminellen Milieu“
bestens, da gibt es keine Vorbehalte hinsichtlich
ethnischer oder religiöser Unterschiede.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 131
Organisierte Kriminalität: Wirtschaftliche
Orientierung, Korruption statt Gewalt
In den 1990er Jahren entstanden die ersten „Joint Ven-
tures“ über den Knotenpunkt Wien zwischen den rus-
Antinori schreibt in „Financial Crimes: A Threat to
-
-
dingt erforderlich ist. In der Regel genügt es, die not-
ist es, das illegal erworbene Vermögen in den legalen
der Lage, unser Wirtschaftssystem jederzeit zu desta-
bilisieren. Korruption kann als der Nährboden für die
Entwicklung von Terrorismus, Organisierter und Wirt-
schafts-Kriminalität angesehen werden. Für die öster-
reichischen Verfolgungsbehörden wird es auch 2016
-
gen, das Einfrieren und die Beschlagnahme illegaler
Mittel zu erwirken.
-
tabler Menschenhandel
Die Prognose der zu erwartenden Weltbevölkerung
für 2050 lautet, dass etwa 12 Milliarden Menschen auf
unserem Planeten leben werden. Davon werden wahr-
scheinlich zwei Drittel bis drei Viertel eher in Armut
leben. In einer Zeit des Anwachsens der Kluft zwi-
schen Reich und Arm, des steigenden Bevölkerungs-
wachstums, der zunehmenden Naturkatastrophen und
der daraus resultierenden Wanderbewegungen, stellt
für Terroristen und Organisierte Kriminelle dar. Schon
Drogenhandel, Waffenhandel, Handel mit Kunstgütern
oder gestohlenen Kraftfahrzeugen generiert. Nur mehr
Finanzkriminalität und Wirtschaftskriminalität sind
der UNO (UNODC) beheimatet. Jedes Jahr werden die
Dimensionen der weltweiten Organisierten Krimina-
lität, des Drogenhandels und der Korruption verlaut-
bart. Zuletzt bezifferte Juri Fedotov, Chef des UNODC
in Wien, diese Dimension mit etwa zweitausend Mil-
liarden US-Dollar. Ähnliche Dimensionen werden für
die weltweite Korruption angenommen. Aufgrund der
Migrations- und Flüchtlingsbewegungen könnten die
Einnahmen im Bereich des Schlepperwesens im Jahr
2016 im Vergleich zu anderen Aktivitäten der Organi-
sierten Kriminalität wesentlich steigen.
Entwicklung von Cyber-Crime
unkontrollierbar
Wir leben seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts
im sogenannten „Informationszeitalter“. Die Techno-
logien der Information haben sich derart gewandelt
und vervielfältigt, dass wir über „Big Data“ und umfas-
sendste Information auf allen Ebenen in jedem Win-
kel unserer Welt verfügen. Das Internet hat uns enorme
Möglichkeiten der Kommunikation und Information
Terroristen davon. Die Kriminalitätsbelastung durch
Cyber-Crime stieg allein in Österreich in den letzten
fünf Jahren um mehrere hundert Prozent. Die weitere
Entwicklung ist einfach unkontrollierbar. Die quanti-
tativen und qualitativen Bedrohungen, die von Cyber-
Crime und Cyber-War ausgehen, zählen auch 2016 zu
den größten Herausforderungen der Zukunft. Öster-
reich und Europa werden da nicht verschont, trotz
132 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die Symbiose von Terrorismus und Organisierter Kri-
minalität ist die größte Gefahr.
• Korruption stellt die Basis für Terrorismus und Orga-
nisierte Kriminalität dar.
• Organisierte Kriminalität konzentriert sich auf wirt-
schaftliche Orientierung.
• Die neuen Wanderbewegungen sind ein Nährboden
für die Schlepperei.
• Die Entwicklung in den Bereichen Cyber-Crime und
Cyber-War ist schwer kontrollierbar.
gezielter Abwehrmaßnahmen, die seitens des Bundes-
ministeriums für Landesverteidigung und Sport und
des Bundesministeriums für Inneres gemeinsam gesetzt
werden.
Zukunftsperspektive
Die allgemeinen Rahmenbedingungen bieten eine Basis
für das Anwachsen jeder Form des abweichenden Ver-
haltens der Menschheit. Die Organisierte Kriminali-
tät wird sich noch stärker wirtschaftlich orientieren,
sen bleibt eine sichere Einnahmequelle. Was den Terro-
ersetzt, mit Ausnahme extremistischer Radikaler etwa
der Terrormiliz „Islamischer Staat“ oder von al-Qaida.
Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich führt
weiterhin zu Wanderbewegungen, Terror und Organi-
sierter Kriminalität. Die neuen Technologien werden
schonungslos von Kriminellen und Terroristen genützt
werden. Es ist zu erwarten, dass im Jahr 2016 Armut,
Korruption und Flüchtlingskrise die Herausforderun-
gen für Europa und Österreich bleiben werden: Terror,
Organisierte Kriminalität und Schlepperei werden uns
weiter bedrohen.
KEY NOTES
• The greatest danger comes from a symbiotic relati-
onship between terrorism and organized crime.
• Corruption is the basis of terrorism and organized
crime.
• At present, organized crime is oriented on econo-
mic gain.
• Recent migration movements are a breeding ground
• Developments in the areas of cyber crime and cyber
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 133
CYBERSICHERHEIT UND
CYBERBEDROHUNGEN IN
DER EU 2016
Miroslav Mareš
Im Jahr 2016 werden sich in der Europäischen Uni-
on die gegenwärtigen Trends –Cyberangriffe der Ter-
rormiliz „Islamischer Staat“ (IS), Chinas und Russ-
lands – auf dem Gebiet der Cybersicherheit
fortsetzen. Zudem wird Cybersicherheit in der EU
eng mit anderen globalen Sicherheitsproblemen wie
der Krise im Nahen und Mittleren Osten, der Ukrai-
ne-Krise und der Migrationskrise einhergehen. Akti-
vitäten bzw. Störaktionen von Protest-Hackern sind
im Rahmen der aktuellen Diskussionen über die
Normen der Netz-Neutralität und über das Transat-
lantische Handels- und Investitionsabkommen
(TTIP) zu erwarten. Traditionelle Bedrohungen wie
die Spionage-Aktivitäten der chinesischen staatli-
chen Cyber-Einheiten, die Cyber-Spionage-Versuche
des nordkoreanischen Regimes und die kriminellen
Attacken werden sich auch 2016 fortsetzen. Die EU
hat täglich mit rund 50 großen Angriffen und mit
weiteren hunderten kleineren Cyberdelikten zu rech-
nen. Die Einschätzung des Gesamtschadens liegt
bei ca. 450 Mio. Euro
134 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
EU-Staaten) ausgerichtet. In Russland und z. T. auch
in post-sowjetischen Regionen haben cyberkriminelle
dort aus gezielt die IT-Bankensysteme der EU. Dies
wird sich auch im Jahr 2016 fortsetzen.
Hacktivismus und politische Debatten in
der EU
Hacking-Aktivitäten werden im Zuge der Migrations-
krise zunehmen, das können Angriffe nicht-staatlicher
Akteure auf Migrationsgegner bzw. gegenseitige Atta-
cken innerhalb des Migrationsspektrums sein. Weiters
können sich die Angriffe gegen staatliche Institutio-
nen richten. Der Hacktivismus kann auch die Diskus-
sion über die neuen EU-Normen zur Netzneutrali-
tät belasten. Dasselbe gilt für die Tätigkeit im Bezug
auf Proteste gegen TTIP. Hier ist es möglich, dass das
Anonymous-Netzwerk wieder verstärkt aktiv wird.
Politisch rechte Hacker könnten ihre Aktionen gegen
die EU-Kommission bzw. Internetprovider richten,
die derzeit über die schnellere Löschung von frem-
denfeindlichen und rassistischen Beiträgen in sozialen
Netzwerken verhandeln.
Cyber-Sicherheitspolitik
Die europäischen Staaten werden die Cyber-Verteidi-
gung auf der nationalen sowie internationalen Ebene
weiter verstärken und neue bilaterale Verträge auf die-
sem Feld sind zu erwarten. Im Rahmen des interna-
tionalen Cyber-Rechts werden Diskussionen über die
wichtig, den potentiellen Missbrauch des Internets der
-
sicherheit im längeren Zeithorizont besteht.
Der Islamische Staat und die
Cyber-Umma
-
suchen, den Cyberraum für ihre eigene Propaganda
zu nutzen, sondern auch gezielte Cybersabotage- und
Cyberspionage-Attacken gegen die IT-Systeme in der
EU durchführen. Das gilt auch für den IS, der in ver-
schiedene Teile der Welt – einschließlich des virtuellen
Bereiches – expandiert. Der IS wird auch versuchen,
z. B. der IS Berlin. Hacktivistische Aktionen wer-
den mit vielen autonom handelnden Anhängern des
IS realisiert werden, wie z. B. der sog. Moroccan Wolf.
Cyberattacken könnten auch US-Militärstützpunkte
in den EU-Staaten bedrohen, vor allem jene, in denen
Cyberbedrohungen aus Russland
Die Cyber-Bedrohungen, die von russischem Territo-
rium ausgehen, hängen von der Intensität der Span-
nungen zwischen Russland und den westlichen Staa-
ten ab. Militär- und Wirtschaftsspionage werden von
staatlichen Cyber-Spezialeinheiten geführt. Cyber-
milizen, die sich aus regimetreuen Personen rekru-
tieren, werden für propagandistische und hacktivisti-
sche Zwecke verwendet. Diese Milizen sind auch eng
vernetzt mit Anhängern des russischen Regimes in
den EU-Staaten. Ein wichtiges Instrument der russi-
schen Propaganda bleibt weiter das prorussische Inter-
net-Trolling in den EU Staaten, meistens im Sinne
der Propaganda des Putin-Regimes und der Ideen
auch die neugestaltete Volksrepublik Donezk gegrün-
det. Diese sind meistens auf die ukrainische Bevölke-
rung (einschließlich der ukrainischen Diaspora in den
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 135
KERNPUNKTE
• Der IS wird Propaganda, Spionage und Sabotage im
Cyberraum in der EU durchführen.
• Russische Cyber-Milizen werden aktiv eurasianisti-
sche Interessen vertreten.
• Chinesische Wirtschafts- und Militärspio-
nage bleibt eine konstante Bedrohung der
EU-Sicherheitsinteressen.
• Die Diskussion über die Migrations-Krise wird mit
Cyber-Angriffen nicht toleranter Teilnehmer verbun-
den sein.
• Die Europäische Union wird die neuen Normen zur
Netzneutralität annehmen, was zum begrenzten
Protest-Hacktivismus führen kann; ähnliches be-
trifft TTIP.
• Es droht Missbrauch des Internets der Dinge für kri-
minelle sowie politische Ziele.
KEY NOTES
• ISIS will carry out propaganda, espionage, and sabo-
tage in EU cyber space.
• Russian cyber militias will actively represent Eurasi-
an interests.
• Chinese economic and military espionage remains a
constant threat to the EU‘s security interests.
• The debate on the migration crisis will be accom-
panied by cyber attacks executed by intolerant
participants.
• The European Union will adopt the new standards
of net neutrality, which can lead to hacktivism pro-
tests; this also applies to TTIP.
• The misuse of the internet for criminal and political
objectives poses a severe threat.
136 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die anhaltende Industrialisierung der Biotechnolo-
gie, die globale Verbreitung wissenschaftlichen Wis-
sens über das Internet, multinationale Forschungs-
zusammenarbeit, die Vermischung von Biologie und
Chemie sowie die Informationswissenschaft führten
zu einer neuen Ära des Dual-Use-Managements in den
Biowissenschaften.
BIOTECHNOLOGIE 2016
Anne L. Clunan
Die Forschung an Grippeviren, um deren Funktion zu
verstehen, und die Technologie zur gezielten Genverän-
derung (CRISPR) stoßen wegen dem damit verbunde-
nen positiven und negativen Potential auf gesteigertes
Interesse in der Sicherheits-Community. Vor diesem
Hintergrund werden diese Themen auf der Agenda der
8. Review-Konferenz der Biologie-Waffen-Konvention
(BWC) stehen. Um die Dual-Use-Biotechnologie unter
Kontrolle zu halten, muss das bestehende Waffenkont-
-
schen Wissenschaftern und Industrie sowie durch nati-
onale und internationale Umweltschutz-, Gesundheits-,
Sicherheits- und Wirtschaftsregime ergänzt werden.
Zwei Vorstöße sind für diesen Wandel bezeichnend:
Research) im Bereich Virologie und eine neue Techno-
Diese Ansätze zeigen klar, mit welchen Schwierigkeiten
die Überwachung und Regulierung der Dual-Use-Risi-
koforschung (Dual-Use Research of Concern – DURC)
in den sich rasch entwickelnden Lebenswissenschaften
konfrontiert ist.
Funktionsgewinnforschung bei Viren kann im Rah-
men der Waffenkontrollregime behandelt werden, zeigt
aber klar die Schwierigkeiten von verordneten und von
unten aufbauenden Regulierungen in einem globa-
-
änderung erfordert eine Ergänzung der Waffenkont-
rolle durch Regulierungen im Bereich Handel, Umwelt,
-
den unverbindlichen Leitlinien.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 137
Funktionsgewinnforschung bei Grippe
Durch die Funktionsgewinnforschung soll ein biologi-
sches Mittel mit zusätzlichen Aufgabenbereichen ange-
reichert werden. Im Jahr 2011 haben zwei Virologen
durch ihre Forschungen im Bereich der H5N1-Vogel-
grippe eine anhaltende Kontroverse ausgelöst. Wäh-
rend die Übertragung früherer H5N1-Vogelgrippe nur
durch direkten Kontakt zwischen Vögeln und Menschen
erfolgte, haben die Forscher in ihren Publikationen 2012
detailliert beschrieben, wie sie den Virus dahingehend
verändert haben, dass dieser ansteckender ist, tödli-
cher wirkt und das erste Mal zwischen Säugetieren über
die Luft übertragen werden kann. Die niederländische
Regierung sah die einzige Möglichkeit zur Verhinderung
der Publikation darin, dass sie die durch den Forscher
beantragte Ausfuhrgenehmigung ablehnte.
Ein 2012 vereinbartes wissenschaftliches Stillhalteab-
kommen bezüglich Funktionsgewinnforschung endete
2013 damit, dass neue Publikationen, die sich mit ande-
Empfehlungen zu einem verantwortungsvollen Umgang
mit der Funktionsgewinnforschung kamen 2013 von der
Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaf-
ten und 2014 vom Deutschen Ethikrat. Die Deutsche
Akademie der Naturwissenschaften verlangt, dass das
Führen der von ihr entwickelten Biosicherheits-Verein-
barungen (Code of Conduct) an den Universitäten ange-
nommen wird.
Die Niederlande nutzen weiterhin die Exportkontroll-
mechanismen, um Publikationen im Bereich Funktions-
gewinnforschung/Dual-Use-Risikoforschung zu regeln.
Das Vereinigte Königreich nähert sich der Funktions-
gewinnforschung im Rahmen seiner allgemeinen Strate-
gie zur Dual-Use-Risikoforschung. Die USA verhängten
2014 ein Moratorium zur Finanzierung der Funkti-
SERS und beauftragten den nationalen wissenschaftli-
chen Beratungsausschuss für Biosicherheit (NSABB),
die Risiken und Vorteile der Funktionsgewinnforschung
festzulegen. Die USA werden diesen Bericht und voraus-
sichtlich ihre Strategie zur Funktionsgewinnforschung
im Jahr 2016 veröffentlichen.
Der 2015er Bericht des Europäischen Rats der Aka-
demien für Wissenschaftsberatung zur Funktionsge-
-
mulierung der Strategie der EU-Kommission zur
Funktionsgewinnforschung bilden. Der Bericht konzen-
triert sich im Wesentlichen auf Fragen der Biosicherheit
und befasst sich mit den Belangen der Sicherheit von
Biotechnologie nur bezüglich eines absichtlichen Miss-
brauchs. Er lehnt eine nach dem Muster des nationa-
len wissenschaftlichen Beratungsausschusses für Biosi-
cherheit (NSABB) der USA konzipierten Institution auf
EU-Ebene ab und plädiert für einen mehrschichtigen
Zugang zu Sicherheit in der Biotechnologie:
•
EU-Kommission zur Normierung im Bereich Biosi-
cherheit und Biosicherung,
• nationale Verhaltensnormen, Regulierungen und
Selbstregulierungen unter den Wissenschaftern und
Forschungsinstitutionen zur Durchführung und
Publikation im Bereich Dual-Use-Risikoforschung,
• nationale Vorgehensweise zur Einzelfall-Festlegung
von Risiken bei der Durchführung und Publikation
im Bereich Dual-Use-Risikoforschung,
• EU-Richtlinie für angewandte Forschung und Eva-
luierung einschließlich Beherrschung der Biosiche-
rung sowie
• Ergänzung der Dual-Use-Exportkontrollbestim-
mungen, damit die Ergebnisse der Dual-Use-Risi-
koforschung publiziert werden können.
138 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Auf multilateraler Ebene wurde 2014 und 2015 die
Funktionsgewinnforschung durch die USA, das Ver-
einigte Königreich und die Niederlande am Rande der
Treffen zur Biologie- und Toxinwaffen-Konvention the-
matisiert. Dabei wurde besonders die Thematik der
Auslösung von Pandemien durch Laborunfälle behan-
delt. Die Funktionsgewinnforschung steht auch auf der
Agenda der 8. Review-Konferenz der Biologie-Waffen-
Konvention. Funktionsgewinnforschung dürfte auch
die Ergebnisse der Review-Konferenz hinsichtlich For-
schungsaufsicht und hinsichtlich des Typs wissenschaft-
licher Beratungsfunktionen für die Biologie-Waffen-
Konvention bestimmen.
Technologie zur gezielten Genveränderung
-
Wissenschafter, die genetische Sequenz, die an zukünf-
-
gegeben wird, zu verändern. Dies hätte das Potential,
Seuchen auszurotten, Nahrungssicherheit durch Schäd-
-
Dies hat aber auch das Potential, eine Spezies auszurot-
ten oder die Biosphäre zu verändern. Es können neue
chemische und biologische Stoffe hergestellt und die
insofern neu, als dass sie leicht anzuwenden ist und die
anfallenden Kosten radikal reduziert. Derzeit tobt ein
scharfer Urheberrechtsstreit bezüglich dieser Technolo-
gie, sie ist aber weltweit lizenzfrei für wissenschaftliche
Labore zugänglich und wird für kommerzielle Anwen-
dungen übernommen. Die Debatten über Ethik und
Sicherheit bzw. sichere Verwahrung von genveränderten
Stoffen ist noch am Anfang; Wissenschafter haben eine
Diskussion über die Notwendigkeit eines Verhaltensko-
dex und über ein Verbot der Arbeit mit menschlichen
Stammzellen und Keimbahnen begonnen.
-
änderung erst im Ansatz zu erfassen. Somit gab es bis-
Entwicklung neuer Regulierungen. Derzeit gibt es
keine internationalen Regelungen, die den Umgang mit
genveränderten Organismen im Labor und anderen
geschlossenen oder halb-geschlossenen Anlagen regeln.
und den USA bei den Regeln zur Biotechnologie scheint
eine neue vertragliche Harmonisierung von Standards
schwierig zu erreichen. Es gibt keinen Konsens darüber,
wessen geistiges Eigentum CRISPR ist, wodurch Regu-
lierungen der Lizenzierungen derzeit nicht umsetzbar
sind.
Viele Instrumente der Regelung der Biosicherheit auf
-
setzgebung und Behörden und nicht in den traditionel-
len Waffenkontrollregimen. Nationale Umweltschutz-
bestimmungen und Beurteilungen über Auswirkungen
des Anbaues genveränderter Objekte anwendbar sein.
chemische, toxische oder biologische Objekte unter
(BWC), der Chemiewaffenkonvention (CWC) und des
Cartagena Protokolls über Biosicherheit fallen. CRISPR
wird 2016 auf der Biowaffenüberprüfungskonferenz
überprüft.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 139
KERNPUNKTE
• Die Globalisierung der Biotechnologieforschung erfordert ein neues Denken hinsichtlich der Regelungen zur
Dual-Use-Forschung.
• Sicherheit von Biotechnologie und Sicherheit der Biotechnologie verlangen einen doppelten Ansatz zu vollstän-
digen, sicheren und geschützten Regelungen der Bioforschung und Kommerzialisierung: 1) Schichtung der verti-
kalen Mechanismen von subnationalen weichen Gesetzen zu nationalen und internationalen harmonisierten Re-
gelungen und 2) Überlappung horizontaler Regime der Waffenkontrolle, des Umweltschutzes, des Schutzes der
• Rasante Fortschritte in der Biotechnologie erfordern, dass die Biowaffenkonvention auf der Überprüfungskonfe-
renz im Jahr 2016 einen wissenschaftlichen Beratungsausschuss gründet.
• Traditionelle Waffenkontrollregime können mit Ergänzungen in den Angelegenheiten der Biotechnologiefelder wei-
ter gelten.
• Sicherheit und Schutz im Biobereich erfordern fortgesetzte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftern, Firmen,
öffentlicher Hand und zwischen nationalen Regierungen.
• Bewusstseinsbildung und transnationale Forschung müssen vorangetrieben werden, damit Politiker, Forscher
und die Entwicklung im Handel nicht bloß den Nutzen neuer Biotechnologie, sondern auch deren negatives
Potential verstehen.
KEY NOTES
• Globalization of biotech research requires new thinking on how to manage the regulations of Dual-Use research.
• Biosecurity and biosafety increasingly require a two-pronged approach to ensure seamless, safe and secure ma-
nagement of biological research and commercialization: 1) layering vertical mechanisms, from subnational soft
law to national and international harmonized regulations; 2) overlapping horizontal regimes, of arms control, envi-
• Rapid biotechnological advancement requires that the BWC create a science advisory board at its 2016 Review
Conference.
• Traditional arms control approaches can continue and be attended to cover some biotechnologies of concern.
•
among national governments.
• Awareness-raising and transnational research must continue, so that policy makers, researchers and commercial
140 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Entwicklung von Autonomen
Waffensystemen
Britisch Aerospace (BAE) Systems hat 2015 ein
Demonstrationsexemplar des autonomen (unbemann-
-
-
man testete Starts und Landungen des autonomen
AUTONOME (UNBEMANNTE)
WAFFENSYSTEME 2016
Noel Sharkey
Der internationale Vertrag über Autonome Waffen-
systeme (AWS) bedarf 2016 einer dringenden Über-
arbeitung. Der AWS entspricht nicht mehr dem Inter-
nationalen Humanitären Recht, die
Waffenüberprüfungen sind problematisch. Eine Pro-
liferation von AWS würde größte globale Sicherheits-
probleme verursachen. Darüber hinaus handelt es
sich bei AWS um moralisch bedenkliche Systeme.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 141
Flugzeugträgern. DARPA, eine Behörde des US-Ver-
teidigungsministeriums, verwendet beträchtliche Mittel
für die Entwicklung autonomer Waffensysteme an Land
-
Samsung Techwin aus Südkorea hat den autonomen
Russlands Izhevsk Radio Plant hat das MRK, ein klei-
nes autonomes panzerähnliches Fahrzeug zur Bewa-
chung von Raketeninstallationen entwickelt. Andere
Projekte in Russland im Zusammenhang mit auto-
nomen Panzern umfassen die Automatisierung des
modernsten T-14 Armata-Kampfpanzers. In Indien
produziert die Firma DRDO ihr Vorzeigeprodukt das
Autonomous Unmanned Research Aircraft (AURA) im
Tarnkappendesign mit Selbstverteidigungskapazitäten.
Ohne besondere Einschränkungen werden im Jahr 2016
die Entwicklung und die Testung von autonomen Waf-
fensystemen fortgesetzt werden. Zu einem Einsatz in
Probleme mit Autonomen
Waffensystemen
Im Zusammenhang mit AWS gibt es vier
Hauptprobleme:
Erstens kann derzeit nicht garantiert werden, dass
Autonome Waffensysteme, außer in sehr eingeschränk-
tem Ausmaß, in Übereinstimmung mit den Menschen-
rechten eingesetzt werden können. Für absehbare Zeit
werden Maschinen auch nicht völlig in der Lage sein zu
unterscheiden, verhältnismäßig zu handeln oder vor-
sichtig zu sein. Außerdem erscheint jegliche Verantwor-
tungsübernahme für Kriegsverbrechen unsicher.
Zweitens ist es moralisch fragwürdig und gegen die
Menschenwürde, wenn die Entscheidung zu töten an
Maschinen delegiert wird.
Drittens könnten die zukünftigen Entwicklungen von
Autonomen Waffensystemen zu einem Wettrüsten und
zur Massenproliferation mit vielschichtigen Problemen
für die globale Sicherheit führen.
Viertens würden sich Überprüfungen von AWS hin-
sichtlich der Einhaltung der internationalen Men-
schenrechte extrem schwierig gestalten. Diese Systeme
können nicht formal getestet werden, eine empiri-
sche Überprüfung kann nicht alle denkbaren Einsatz-
umstände abdecken, viele können nicht einmal anti-
zipiert werden. Weniger als 20 Staaten haben formale
Überprüfungsmechanismen für AWS, noch weni-
ger verfügen über die dazu erforderlichen technischen
Kapazitäten.
Internationale Politik
Die Versammlung über bestimmte konventionelle Waf-
fen (Certain Conventional Weapons – CCW) hat seit
November 2013 über die Möglichkeit eines internati-
onalen AWS-Vertrages beraten. In dieser Zeit haben
62 Staaten und fünf Staatengruppe ihre Bedenken zu
Autonomen Waffensystemen geäußert. Bei bisher zwei
informellen Expertentreffen 2014 und 2015 wurde von
der CCW die AWS-Technologie diskutiert.
Im Hinblick auf das weitere Vorgehen im Jahr 2016 gab
-
ber 2015 Stellungnahmen von 32 Staaten und fünf Staa-
142 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
tengruppen. Im November 2015 hat sich die CCW auf
ein Mandat für ein weiteres Expertentreffen im April
2016 geeinigt. Der Bericht zu diesem Treffen wird im
November 2016 diskutiert, gefolgt von der Entschei-
dung, wie das Thema auf die Agenda der CCW-Über-
prüfungskonferenz im Dezember gesetzt werden kann.
Nationale Politiken der
EU-Mitgliedsstaaten
Für alle EU-Staaten einschließlich Österreich besteht
die dringende Notwendigkeit, eine nationale Politik zu
AWS zu entwickeln. Nur zwei Staaten haben bisher ihre
Politikmaßnahmen vorgeschlagen. Das US-Verteidi-
gungsministerium hat 2012 eine Richtlinie herausgege-
ben, in der versichert wird, dass bei AWS immer geeig-
nete Menschen entscheiden werden. Dies gilt jedoch
nur für die Beschaffung und nicht für Entwicklung und
Testung. Die britische Regierung hat bekannt gegeben,
dass die Einbindung eines Menschen in den Entschei-
dungsprozess für AWS immer sichergestellt ist und dass
stützt wird. Keiner der beiden Staaten hat näher ausge-
führt, was er unter menschlicher Kontrolle oder Ent-
scheidung versteht.
sammlung im Oktober 2015 zu einem internationa-
len Verbot von AWS auf. Andere Staaten wollen einen
Bann diskutieren und einige, einschließlich Österreich,
Regierungsexperten verlangt. Es wäre sehr hilfreich,
wenn Österreich eine eigene AWS-Politik entwickeln
würde.
KERNPUNKTE
• Beim Vertrag über Autonome Waffensysteme müssen 2016 Fortschritte erzielt werden.
• Bei Autonomen Waffensystemen kann die Einhaltung der Internationalen Menschrechte nicht garantiert werden.
• Autonome Waffensysteme sind moralisch fragwürdig.
• Die Proliferation von Autonomen Waffensystemen kann zu irreparablen Schäden bei der globalen Sicherheit
führen.
• Es besteht die dringende Notwendigkeit zur Entwicklung nationaler Politiken für Autonome Waffensysteme. Dies
gilt für Österreich ebenso wie für alle EU-Staaten.
KEY NOTES
• Urgent need in 2016 is to move forward on an international treaty on AWS.
• AWS cannot be guaranteed to comply with IHL.
• AWS are morally questionable.
• Proliferation of AWS would cause irreparable damage to global security.
• There is pressing need for national policies on AWS including Austria and EU states in general.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 143
Nuklear
Die Programme für Nuklearwaffen und ballistische
Raketen der Demokratischen Volksrepublik Koreas,
Indiens, Israels und Pakistans werden im Jahr 2016 wei-
ter entwickelt werden. In drei dieser Staaten, anders als
in Israel, werden sich die Anzahl und die Fähigkeiten
von Nuklearwaffen, ballistischen Raketen und Marsch-
-
tem Uran und gespaltenem Plutonium weiter erhöhen.
Die weiter bestehende Existenz von etwa 16.000 nuk-
learen Sprengköpfen, ca. 1345 Tonnen waffenfähigem
WEITERVERBREITUNG VON
MASSENVERNICHTUNGS-
WAFFEN 2016
Tariq Rauf
Die Bedenken zur Verbreitung von – nuklearen, bio-
logischen und chemischen – Massenvernichtungs-
waffen werden weiterhin auf regionaler und globaler
Ebene bestehen bleiben. Die größte Bedrohung
geht dabei vom Nahen und Mittleren Osten, von
Nordost- und Südasien aus. Die Verwendung von
weiter anhalten und womöglich noch ansteigen.
Sorgen hinsichtlich des Missbrauchs bzw. der
schädlichen Anwendung fortschrittlicher Forschung
zu biologischen Wirkstoffen werden bestehen
bleiben.
144 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Uran und etwa 180 Tonnen gespaltenem Plutonium in
neun Staaten mit Nuklearwaffen wird eine der größ-
ten Herausforderungen für die Nichtverbreitung, die
Abrüstung, den Schutz und die Sicherheit von Nukle-
arwaffen sein. Staaten mit Nuklearwaffen werden auch
weiterhin der durch Österreich geführten humanitären
Initiative zu den Folgen des Einsatzes und zum Verbot
von Nuklearwaffen entgegenstehen.
Während der Iran zugestimmt hat, die Kapazität zur
Urananreichung im Rahmen des Joint Comprehen-
sive Plan of Action zu beschränken, wird er seine For-
-
fugen und ballistische Raketen ausbauen.
Die Demokratische Volksrepublik Korea könnte einige
zusätzliche Tests für ballistische Langstreckenrake-
ten (KN-08, Unha-3, Musudan) und einen oder meh-
rere Atomwaffentests durchführen, insbesondere dann,
wenn der politisch-militärische Druck seitens der USA,
Südkoreas und Japans anhält.
Die anhaltenden Spannungen zwischen der Russischen
Föderation und den Vereinigten Staaten bezüglich der
Reduktion von Nuklearwaffen und der Einhaltung des
1987 abgeschlossenen Washingtoner Vertrags zum Ver-
bot der Herstellung und Lagerung von Kurz- und Mit-
telstrecken-Raketen könnten dazu führen, dass eine der
Parteien den Vertrag aufkündigt. Dies könnte die Rus-
sische Föderation dazu bringen, die Anzahl ihrer nicht-
strategischen Nuklearwaffen in den westlichen Mili-
tärbezirken zu erhöhen, und die USA in der Folge zu
-
ten phasenweisen Raketenabwehr in Westeuropa zu
Stationierungen und zur Abstützung auf taktische Nuk-
learwaffen zu zwingen.
Zwischenfälle wie der Schmuggel von nuklearem und
radioaktivem Material, das aus dem Raum der ehema-
ligen Sowjetunion stammt, könnten weiter geschehen.
Ebenso muss mit der illegalen und unregulierten Veräu-
ßerung von radioaktiven Quellen gerechnet werden.
Japans zunehmender Bestand an gespaltenem Pluto-
nium, obwohl unter IAEA-Schutzmaßnahmen, könnte
die Ansichten zur Nicht-Verbreitung und Abrüstung in
Südkorea und China verändern.
Chemisch
Die Verwendung toxischer industrieller Chemika-
lien wie Chlorgas oder Senfgas, die verbotene Anwen-
dung von Chemiewaffen in der regulären und irregulä-
ren Kriegsführung von staatlichen und nichtstaatlichen
Akteuren wie Syrien, den syrischen Rebellen oder der
Terrormiliz „Islamischer Staat“ – wird es weiterhin
geben, sollte der Bürgerkrieg in Syrien nicht bald been-
det werden.
Rund zehn Prozent des global deklarierten Bestandes
von etwa 75.525 Tonnen chemischer Kampfstoffe in
der Russischen Föderation und in den Vereinigten Staa-
-
tion für das Verbot von Chemiewaffen zerstört werden.
Ein Prozess der um Jahre dem Zeitplan hinterher ist.
Biologisch
Die Dual-Use-Verwendung von Biotechnologie wird
auch weiterhin eine Herausforderung hinsichtlich der
Entdeckung von geheimen Programmen darstellen.
Der Mangel an adäquater Vorbereitung der öffentlichen
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 145
Ein Problembereich des biologischen Terrorismus ist
die Erforschung und Technik der Funktionsfähigkeit
serkrankungen mit Potential zur Auslösung von Pan-
demien. Mögliche Mutationen, die aus der veränder-
oder neuen genetischen Mustern resultieren, könnten
das Potential für Missbrauch haben.
erung und 4-D Druck haben das Potential zum vorsätz-
lichen Missbrauch durch staatliche oder nichtstaatliche
Akteure bzw. Einzelpersonen.
Forscher und Wissenschafter mit unlauteren Absich-
ten zur Herstellung von gefährlichen Bakterien, Viren
und Toxinen könnten sich Zugang zu Forschungsein-
richtungen mit einem hohen Niveau an Bio-Sicherheit
verschaffen.
KERNPUNKTE
• Die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen besteht weiter.
•
auszugehen.
• Materialien und Komponenten für Nuklear- und Chemiewaffen werden weiter produziert werden.
• Einschlägige Zwischenfälle und das Risiko des Schmuggels von nuklearem und radioaktivem Material müssen
weiterhin ernst genommen werden.
• Neue Risiken und Herausforderungen könnten aus der sich weiterentwickelnden Biotechnologie entstehen.
• Internationale Verträge sowie andere rechtliche oder freiwillige Dokumente und Maßnahmen im Bereich Massen-
vernichtungswaffen werden weiterhin bezüglich ihrer Einhaltung, Effektivität, adäquaten Ressourcen und univer-
sellen Gültigkeit herausgefordert werden.
KEY NOTES
• The danger of a proliferation of weapons of mass destruction will continue.
•
• The production of materials and components for nuclear and chemical weapons will continue.
•
• New risks and challenges may evolve from emerging biotechnology.
• International treaties and other legal or voluntary documents and measures concerning the proliferation of wea-
pons of mass destruction will continue to be challenged with regard to compliance, effectiveness, adequate re-
sources, and universality.
146 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Importabhängigkeit Europas und
Österreichs
Der Energiemix Europas besteht zu 17 % aus festen,
nicht erneuerbaren Energieträgern wie z.B. Braun- und
Steinkohle, zu 33 % aus Erdöl und Erdölprodukten, zu
23 % aus Erdgas, zu 14 % aus Kernenergie sowie zu
13 % aus erneuerbaren Energieträgern und Abfallver-
wertung. Die Situation Österreichs unterscheidet sich
auch 2016 vor allem in zwei Punkten: Einerseits besteht
und Ölimporten, andererseits ist der Anteil erneuerbarer
Energieträger aus lokalen Ressourcen mit ca. 28 % des
2016 wird die Nachfrage nach Erdöl aufgrund der weiter-
hin weltweit nur schwach wachsenden Wirtschaft gering
bleiben, das Produktionsüberangebot hingegen wird wei-
terhin bestehen, sodass lediglich ein leichter Anstieg des
ENERGIESICHERHEIT
EUROPAS 2016
Julia Grill und Harald Raupenstrauch
Eine gesicherte Energieversorgung ist für die Zu-
kunft Europas von entscheidender Bedeutung. Die
europäische Wirtschaftskraft beruht nicht nur auf
der kontinuierlichen Belieferung mit Öl und Gas,
-
völkerung ist direkt mit einer uneingeschränkten
Versorgung von Energie verbunden, da sämtliche
Bereiche des alltäglichen Lebens wie z.B. die Nah-
rungsmittelverteilung, Kommunikation oder Mobili-
tät von der Funktionstüchtigkeit der Energienetze
abhängen. Während für sicherheitstechnische Fra-
gestellungen im Allgemeinen maximal zulässige Aus-
fallswahrscheinlichkeiten angenommen werden dür-
fen, gilt dies für die Energieversorgung nicht.
Sicherheit in diesem Bereich bieten daher nur Maß-
nahmen, die sowohl unmittelbar wirksam sind als
auch darüber hinaus langfristige Stabilität
gewähren.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 147
Rohölpreises zu erwarten ist. Obwohl die allgemein nied-
rigen Energierohstoffpreise Investitionen in erneuer-
bare Energieträger erschweren, ist 2016 aufgrund der
gesetzlich verbindlichen Klimaziele, die einen EU-wei-
ten Anteil der erneuerbaren Energieträger von 20 % des
-
terer Ausbau von Windparks, Photovoltaikanlagen etc.
absehbar.
Barentsee, dem europäischen Nordmeer sowie in der
-
und Norwegen, liegen die größten Erdölvorkommen
-
britannien, Braunkohle überwiegend in Deutschland
gefördert. Diese Lagerstätten reichen allerdings bei wei-
tem nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken.
Europa wird daher auch 2016 stark auf Importe fossiler
Energieträger aus dem Ausland angewiesen sein. Im Jahr
2013 wurden rund zwei Drittel des gesamten Energie-
bedarfs durch Importe gedeckt, wobei dieser Anteil bis
-
rant ist in Bezug auf Erdöl, Erdgas und Kohle weiterhin
Russland. Darüber hinaus bezieht Europa Kohle unter
anderem aus den USA, Kolumbien und Südafrika sowie
Erdöl aus Libyen, Saudi-Arabien und dem Iran. Erdgas
wird auch von Katar und Algerien geliefert. Meist wird in
den Energiebilanzen die Abhängigkeit Europas von Uran
als Energieträger außer Acht gelassen. Auch hier liefert
Russland ca. 20 % des Bedarfs, außerdem beziehen wir
Uran aus Australien, Kanada, Nigeria und Kasachstan.
-
wiegend auf dem Seeweg und werden vom Hafen Rotter-
Europa und Nord Stream versorgen Europa mit Erdgas
aus dem russischen Raum. Weder werden geplante oder
Nabucco und South Stream, die vor allem eine Versor-
gung der südeuropäischen Länder mit Erdgas gewähr-
leisten sollen, 2016 vorangetrieben noch sind neue Alter-
nativen zu diesen Projekten bekannt.
Beitrag der erneuerbaren Energieträger
zur Versorgungssicherheit
Der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern kann
daher entscheidend zur Erhöhung der Versorgungssi-
cherheit beitragen, da deren Ressourcen auch innereuro-
päisch zur Verfügung stehen. Kritisch zu betrachten ist
hierbei der Bedarf an Rohstoffen für die Technologiebe-
reitstellung, da hier wiederum große Abhängigkeiten von
einzelnen Lieferanten bestehen. Für das in Windkraft-
anlagen verbaute Seltene-Erden-Element Dysprosium
sowie für Indium in Dünnschicht-Photovoltaik-Zellen ist
bislang China die einzige relevante Fördernation. Aller-
dings bestehen für diese Technologien auch unkritische
Alternativen, die 2016 bzw. in weiterer Zukunft verstärkt
zum Einsatz kommen könnten. Bis zum Jahr 2050 plant
die EU einen Deckungsgrad von ca. 50 % des Ener-
giebedarfs aus erneuerbaren Quellen, wofür vor allem
kommen sollen. Dies birgt den Vorteil der gesteigerten
-
tems gegenüber Ausfallsszenarien im Vergleich zur aktu-
ellen Situation hoch bleibt. Oftmals wird daher eine ver-
mehrte Dezentralität von Erzeugungsanlagen gefordert,
um die Sicherheit in der Energieversorgung zu gewähr-
leisten, allerdings muss in diesem Fall das sicherheits-
technische Augenmerk auf dem Netzausbau und der
Netzstabilität liegen.
148 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die Abhängigkeit Europas von ausländischen Ener-
gieproduzenten bleibt auch 2016 bestehen.
• Der Ausbau erneuerbarer Energieträger trägt in der
EU entscheidend zur Versorgungssicherheit bei.
• Maßnahmen zur Energieversorgungssicherheit müs-
sen unmittelbar wirksam sein und gleichzeitig lang-
fristige Ziele verfolgen.
• Innereuropäisch muss der Ausbau der Infrastruktur
tandorte auch 2016 weiter vorangetrieben werden.
• Ein geschlossenes Auftreten in der externen Ener-
giepolitik Europas trägt entscheidend zur Versor-
gungssicherheit bei.
Politische Maßnahmen: Sicherung der
Energierohstoffversorgung
Angesichts seines Ressourcenreichtums wird Russland
auch 2016 der zentrale Energiepartner der EU bleiben.
dukts aufgrund des Energieaußenhandels mit Europa
erwirtschaftet, orientieren sich Produzenten wie z.B.
Bau- und Risikobeteiligung von Förderungs- und Trans-
sowie der politisch angespannten Situation seit Beginn
der Ukraine-Krise 2014 zunehmend an der steigenden
Nachfrage aus China und dem eurasischen Raum. Dieser
wechselseitigen Vertrauenskrise muss außenpolitisch so
bald wie möglich begegnet werden.
Durch aktuelle Entwicklungen in Syrien ist ein Näher-
rücken Europas und Russlands zu bemerken. Diese
Impulse können genutzt werden, um die Versorgungs-
sicherheit mit russischem Erdgas weiter zu stabilisieren.
Auch wenn insgesamt das Risiko eines technischen Aus-
falls der Energielieferungen für 2016 als gering zu bewer-
ten ist, gibt es bislang zu den Nadelöhren des Hafens
werten Alternativen. Für den Schutz dieser Einrichtun-
gen gilt daher oberste Priorität.
Die Europäische Kommission hat in ihrer Strategie für
eine sichere europäische Energieversorgung eine Diver-
Erhöhung der einheimischen Energieproduktion, eine
verbesserte Koordinierung der nationalen Energiepoli-
tiken sowie ein geschlossenes Auftreten in der externen
Energiepolitik vorgeschlagen. Diese Maßnahmen müs-
sen neben der Weiterentwicklung von Energietechnolo-
gien, dem Bau fehlender Infrastrukturverbindungen und
verfolgt werden.
KEY NOTES
• In 2016 Europe‘s dependence on foreign energy
producers will remain unchanged.
• The expansion of renewable energy sources within
supply.
• Measures to secure the energy supply must be ef-
fective immediately while pursuing long-term goals.
• Within Europe, the expansion of infrastructure to gu-
sites must continue in 2016.
• A united position on Europe’s external energy policy
is a decisive contribution to the security of supply.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 149
ENTWICKLUNGS-
PERSPEKTIVEN AM
WESTBALKAN 2016
Das Wechselspiel von politischen Fortschritten ei-
nerseits und intraregionalen Antagonismen anderer-
seits wird sich am Westbalkan 2016 voraussichtlich
-
bewältigung kommt die internationale Flüchtlings-
problematik als neue Herausforderung hinzu. Die
EU-Integrationspolitik, aber auch die Präsenz der
Friedenstruppen EUFOR und KFOR bilden weiterhin
einen wichtigen Rahmen für die
Friedenskonsolidierung.
150 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Allgemeine Trends
Auch das Jahr 2016 wird für den Westbalkan im Kon-
Herausforderung charakterisiert werden, noch beste-
hende instabile Verhältnisse zu überwinden und sich
dem Zustand eines konsolidierten Friedens anzunä-
hern. Eine zentrale Rolle wird in diesem Zusammen-
hang auch weiterhin die EU-Integrationspolitik gegen-
über den Westbalkanländern spielen. Das gemeinsame
Interesse, mittel- bis langfristig Mitglieder der EU
zu werden, fördert politische Normalisierungspro-
zesse in der Region. Substanzielle Fortschritte bei der
interethnischen Aussöhnung werden wahrscheinlich
auch 2016 nur schwer zu erzielen sein. Durch Politi-
ker gesteuertes interethnisches Misstrauen, die ökono-
misch schwierige Lage, staatliche Dysfunktionalitäten
und offene Statusfragen sowie autoritäre Tenden-
zen können nach wie vor zu nationalistischen Rück-
schlägen am Westbalkan führen und religiösen Ext-
remismus hervorrufen. Wirtschaftlichen Prognosen
zufolge werden die Westbalkanländer 2016 ein gerin-
ges bis mittleres Wirtschaftswachstum in der Band-
breite 0,9 bis 3,5 Prozent verzeichnen. Nach mehrjäh-
riger Rezession wird dieses prognostizierte Wachstum
aber nicht ausreichen, um die hohe Arbeitslosigkeit
verringern.
Flüchtlingskrise
Bei der Bewältigung der internationalen Flüchtlings-
krise und Migrationsströme sind die Westbalkanländer
maßgeblich von der Durchsetzung einer koordinierten
Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU abhängig.
Ein weiterer unkontrollierter Zustrom von Hundert-
tausenden Flüchtlingen, Migrantinnen und Migran-
ten aus dem Nahen Osten und Zentralasien, die 2015
den Westbalkan hauptsächlich als Transitregion Rich-
tung Deutschland benutzt haben, würde die Länder
der Region hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und
ökonomischen Aufnahmekapazität überfordern. Eine
-
dern – wie sie sich schon 2015 zwischen Kroatien und
Serbien wegen der Flüchtlingsproblematik abgezeich-
net haben – wäre eine der negativen Folgen.
EU-Integrationspolitik und geopolitische
Für die politische Konsolidierung des Westbalkans
bleibt eine proaktive Integrationspolitik der EU – die
auch von Österreich unterstützt wird – entscheidend.
Ein Nachlassen in diesem Bereich hätte die verstärkte
-
-
ckelt sich in wesentlichen Bereichen konträr zur regio-
nalen Konsolidierungspolitik der EU.
Islamismus und Prävention
Islamistische Bewegungen werden unter südslawi-
schen Muslimen und muslimischen Albanern auch
weiterhin Zulauf erhalten, innerhalb der islamischen
Mehrere hundert radikalisierte Jugendliche und junge
Erwachsene vom Westbalkan haben sich seit 2013 der
Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Mittleren
Osten angeschlossen. Als Reaktion darauf haben die
ende „Foreign Fighters“ beschlossen. Die Verbesser-
ung der ökonomischen Perspektiven, eine präventive
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 151
Jugendarbeit durch moderate islamische Repräsen-
tanten, erkennbare Erfolge im Prozess der intereth-
nischen Aussöhnung und die Verbesserung der staat-
lichen Funktionalität – insbesondere in Bosnien und
Herzegowina – wären wichtige Schritte, um die Mobi-
Autoritäre Tendenzen
Am gesamten Westbalkan sind unter Spitzenpolitikern
politisch-autoritäre Tendenzen feststellbar. Dies stellt
eine demokratiepolitisch bedenkliche Entwicklung
dar, der die EU im Rahmen ihrer Konditionalitätspoli-
tik 2016 verstärktes Augenmerk widmen sollte.
EUFOR und KFOR
Im sicherheitspolitischen Bereich wird die Präsenz der
Friedenstruppen EUFOR in Bosnien und Herzego-
wina und der KFOR im Kosovo auch 2016 eine wich-
tige stabilisierende Rolle spielen. Beide von Österreich
maßgeblich unterstützten Friedensoperationen sind als
„Sicherheitsnetz“ nach wie vor notwendig, da die poli-
tische Führung des bosnisch-herzegowinischen Staats-
teils Republika Srpska eine nationalistische und sepa-
ratistische Politik verfolgt und im Kosovo noch keine
Anzeichen für eine nachhaltige Aussöhnung von ser-
bischer Minderheit und albanischer Mehrheit feststell-
bar sind.
Trends in einzelnen Westbalkanländern
Das nunmehrige EU-Mitglied Kroatien fungiert als
„Rollenmodell“ für die anderen Westbalkanländer und
sollte deshalb eine demokratische Vorbildfunktion
erfüllen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
führten 2015 zu einer starken Polarisierung zwischen
den politischen Blöcken und zur Verstärkung des Nati-
onalismus in Kroatien, mit negativen Begleiterschei-
nungen für die nachbarschaftlichen Beziehungen. Da
2016 die neuen politischen Parameter feststehen soll-
ten, ist mit einem Schwenk hin zu einer vergleichs-
weise konstruktiveren Innen- und Außenpolitik zu
rechnen.
In werden positive Trends in
Form von EU-unterstützten Wirtschaftsreformen
durch die nationalistische Politik des Präsidenten des
Staatsteils Republika Srpska konterkariert. Es ist damit
zu rechnen, dass sich dieses Politikmuster auch 2016
fortsetzen wird.
Die friedenspolitischen Ambitionen der Regierungen
in und im Kosovo werden 2016 von der EU vor
allem daran gemessen werden, ob auf der einen Seite
Belgrad die Integration der Kosovo-Serben in das
politische und rechtliche System des Kosovo unter-
stützen und auf der anderen Seite die kosovarische
Regierung die Implementierung des bereits vereinbar-
Wegen der sehr unterschiedlichen Interpretation der
diesbezüglichen Abkommen in Belgrad und Prishtina/
Priština sind 2016 daraus entstehende politische Kon-
Kosovo-albanischen Protestbewegung Vetëvendosje
sehr wahrscheinlich.
In Montenegro
zwischen dem montenegrinischen Ministerpräsiden-
EU, sondern auch zur NATO-Mitgliedschaft führen
will, und einem extremistischen Teil der serbisch-nati-
onalistischen Opposition verschärfen. Den Anstoß für
weitere gewaltsame Demonstrationen könnte die Kon-
152 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
troverse um den angestrebten NATO-Beitritt geben.
Vermittlungsinitiativen zur Verhinderung einer wei-
wären – auch von Seiten der EU – sinnvoll.
Mazedonien wird 2016 mit der Unsicherheit konfron-
tiert sein, ob ein vom EU-Nachbarschaftskommissar
Johannes Hahn vermitteltes politisches Abkommen
KERNPUNKTE
• Interethnisches Misstrauen, die schwierige ökono-
mische Lage, staatliche Dysfunktionalitäten, offe-
ne Statusfragen und autoritäre Tendenzen können
auch 2016 zu nationalistischen Rückschlägen am
Westbalkan führen und/oder religiösen Extremis-
mus hervorrufen.
• Ohne eine besser koordinierte Migrations- und
Flüchtlingspolitik der EU werden die Westbalkan-
staaten hinsichtlich ihrer Aufnahmekapazität über-
diesem Kontext verstärken.
•
Balkan-Muslimen zwar eine kleine Minderheit; prä-
ventive Maßnahmen sind jedoch notwendig.
• Die Fortsetzung der EU-Integrationspolitik bleibt der
Kernfaktor für Fortschritte im Rahmen der regiona-
len Konsolidierung.
• Angesichts der noch bestehenden politischen und
sicherheitspolitischen Fragilität wird die Präsenz der
Friedenstruppen EUFOR und KFOR auch 2016 als
„Sicherheitsnetz“ notwendig sein.
KEY NOTES
• In 2016, inter-ethnic distrust, a challenging econo-
mic situation, state dysfunctions, unsolved questi-
ons of status, and authoritarian tendencies could
lead to nationalist setbacks in the Western Balkans
and/or cause religious extremism.
• There is a need for a more coordinated migration
and refugee policy by the EU otherwise the Western
Balkans risking to be overstrained in terms of their
sify in this context.
•
small minority among Balkan Muslims, preventive
measures are necessary.
• The continuation of the EU’s integration policy re-
mains the key factor for the progress of a regional
consolidation.
• Given the remaining political and security fragility,
the presence of EUFOR and KFOR peacekeepers as
a „safety net“ will still be necessary in 2016.
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KEY NOTES
• In 2016, inter-ethnic distrust,
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• There is a need fo
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zur Entschärfung der innenpolitischen Krise tatsäch-
lich umgesetzt werden kann. Es sieht die Abhaltung
neuer Parlamentswahlen im April 2016 vor. Substan-
zielle Initiativen der EU zur Beendigung der griechi-
schen Blockadepolitik gegenüber Mazedonien wären
zwar wünschenswert, sind aber 2016 wahrscheinlich
nicht zu erwarten.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 153
In der heutigen Zeit wird es immer schwieriger, kon-
krete Vorhersagen zu treffen. Wir leben in einer
BOSNIEN UND HERZEGOWINA
2016
2016 und in den folgenden Jahren werden Kriege,
-
ren Vergangenheit, aber auch jene lang vergangener
Zeiten, die Ereignisse und Entwicklungen in Bosnien
-
tik wird auch weiterhin durch Manipulation und ein-
seitige Interpretation der Geschichte versuchen, die
Gegenwart und Zukunft in ihrem Interesse zu
verändern.
154 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
interdependenten, sich rasch entwickelnden Welt, in
der verstärkte Verschränkungen auf verschiedensten
Ebenen der internationalen Beziehungen sowie der
in den Bereichen Informationstechnologie und Cyber
alle Bereiche des menschlichen Miteinander beein-
diese Entwicklungen von Relevanz.
Fortschritte in Richtung NATO und EU
Die zukünftige Entwicklung BiHs in Richtung einer
NATO Mitgliedschaft könnte zu negativen Reak-
tionen aus Belgrad – in Verbindung mit Interessen
Russlands – führen. Was den Weg BiHs in Richtung
EU betrifft, erscheint es zurzeit wahrscheinlich, dass
diese Anstrengungen von Belgrad unterstützt wer-
den. Demgegenüber wird Zagreb beide Anstrengun-
gen, in Richtung EU und NATO, unterstützen. Auf
jeden Fall wird BiH alles versuchen, den Member-
ship Action Plan (MAP) voll umzusetzen, um weitere
Schritte in Richtung NATO zu unternehmen und
gleichzeitig alles daransetzen, mit Beginn des nächs-
ten Jahres EU-Beitrittskandidat zu werden.
Regionale Kooperation
BiH wird auch weiterhin stark von seinen Nachbarn-
staaten in der Region, allen voran Kroatien und Ser-
Staaten eine positive Wahrnehmung in der EU, sei es
als Mitgliedsstaat (Kroatien) oder als Mitgliedswer-
ber (Serbien). Langfristig werden beide versuchen,
Ansprüche an Teile des Territorium BiHs, unter
Anwendung transparenter sowie versteckter Prakti-
ken, aufrecht zu erhalten. Die Integration Montene-
gros in die NATO ist für den Westbalkan im Allge-
meinen und für BiH im Besonderen sehr relevant.
Russland und Serbien werden versuchen, den Beitritt
Montenegros zur Allianz zu verhindern, was Turbu-
lenzen für die gesamte Region mit sich bringen wird.
Politische Situation
Der Krieg in BiH von 1992 bis 1995 endete nicht mit
einem klaren Sieg einer Partei auf dem Schlachtfeld.
-
teure, jene Ziele, die nicht auf kriegerische Weise zu
erreichen waren, auf politischer Ebene umzusetzen.
Einige politische Akteure könnten unter Umstän-
den den Hohen Repräsentanten für BiH zum Ein-
satz der Bonn Powers drängen, sollte gegen die staat-
liche Stabilität oder das Wohlergehen des gesamten
Staates verstoßen werden. Verschiedene politische
Eliten des Landes werden sich weiterhin einige Teil-
bereiche des Dayton-Abkommens bedienen, sofern
dies der Umsetzung der politischen Ziele förderlich
-
mens ignorieren, wenn sie politischen Zielen nicht
entsprechen.
Mit Blick auf die notwendigen verfassungsrecht-
Kompromissen vorherrschen. Die Führer der ver-
einander wechselseitig beschuldigen; die Bosniaken
-
den sezessionistischer Bestrebungen und die Kroa-
ten für die Idee, eine dritte ethnische Entität grün-
den zu wollen. Politische Konfrontation wird auch
in naher Zukunft in verschiedensten Bereichen und
auf nahezu allen Ebenen vorherrschend bleiben. Die
Streitigkeiten innerhalb der in der Republika Srpska
(RS) herrschenden Koalition unter Milorad Dodik
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 155
werden den politischen Druck auf die Vertreter der
RS auf gesamtstaatlicher Ebene (Mladen Ivanic und
Mladen Bosic) weiter erhöhen. Dodik und seine Par-
und Streitigkeiten zu schüren, um eine Normalisie-
rung der Situation und der Politik zu vermeiden. Das
Interesse der Öffentlichkeit wäre anderenfalls auf die
schlechte soziale Situation, eine Reihe von Korrup-
tionsfällen innerhalb der RS und die Verantwortung
der Entscheidungsträger für die schlechte politische
Situation innerhalb der RS gelenkt. Demgegenüber
wird die Situation in der bosnisch-kroatischen Föde-
ration, trotz verschiedener politischer Meinungsver-
schiedenheiten und Animositäten innerhalb der Koa-
lition, ruhig bleiben.
Wirtschaftliche Situation
Die Wirtschaft des Landes wird sich in 2016 leicht
Bereich der Föderation wird die erst gewählte Koa-
lition danach trachten, reformstark aufzutreten und
zu versuchen, die Kooperation der Wirtschaft mit
den staatlichen Behörden und den Universitäten zu
verbessern.
Korruption und Organisierte Kriminalität
Angesichts unzureichender Mittel zur Umsetzung,
organisatorischer Mängel und der weit verbreitenden
Korruption wird die Erfolgsbilanz der staatlichen
Stellen auch im Jahr 2016 schlecht bleiben. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass Kriminelle auch im nächs-
ten Jahr untereinander besser kooperieren werden als
die staatlichen Strafvollzugsbehörden.
Globale und lokale Sicherheitsgefahren
Terrorismus, Extremismus, illegale Migration, der
Schmuggel von Menschen, Drogen und Waffen sowie
sonstige Ausprägungen der Organisierten Krimina-
lität stellen die Sicherheitsherausforderungen und
Sicherheitsapparat des Landes fordern. Der Extremis-
mus in BiH muss im historischen und globalen Kon-
text verstanden werden. Nachdem sie unter anderen
Extremisten lange gelitten haben, werden einige Ext-
remisten unter den Moslems in BiH versuchen, ihre
Verbindungen mit den regionalen und globalen Netz-
werken radikaler Moslems aufrechtzuerhalten. Dieser
Umstand ist auch für Österreich relevant, da einige
in Wien und mit anderen einschlägigen Zentren in
Österreich bestehen.
Migration
Es ist unwahrscheinlich, dass die Welle von Flücht-
lingen sowie Migrantinnen und Migranten aus dem
Nahen und Mittleren Osten, die im laufenden Jahr
nach Westeuropa geströmt sind, die Situation in
-
ten, dass die Entwicklungen im Nahen und Mittleren
Osten Auswirkungen auf die politische, ökonomi-
sche, kulturelle, demographische und sicherheitspo-
litische Situation am Westbalkan und noch viel mehr
auf jene Europas haben werden.
Selbstverständlich existiert eine Vielzahl weiterer
einzelner oder komplexer Herausforderungen und
unvorhergesehen die Stabilität des Staates gefährden
und sind somit sowohl für das Sicherheitssystem aber
auch für jeden Staatsbürger von Relevanz.
156 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Falls jene EU-Staaten, die an die Staaten des Westbalkans grenzen, ihre Grenzen schließen sollten, und der
Strom der Migrantinnen und Migranten nach BiH geleitet werden sollte, wird dies komplexe politische, sicher-
heitstechnische, wirtschaftliche und andere Konsequenzen haben.
• Junge, oft gut gebildete Bürger BiHs werden weiterhin ihr Land verlassen, um anderswo ein besseres Lebensum-
feld zu suchen. Gleichermaßen wird es aber noch mehr Druck auf die politische Führung des Landes bedürfen,
bevor reformstarke Entwicklungen umgesetzt werden.
• Der Terrorismus in BiH mit seinen historischen und globalen Beziehungen wird auch weiterhin eine massive Her-
ausforderung für den Staat und die gesamte Region bleiben.
• Es gibt Indikatoren einer weiteren Fortführung des Stabilisierungs- und Assoziierungspfades. Dennoch ist es mög-
lich, dass Behinderungen und Unterbrechungen die Entwicklung verlangsamen.
•
von Seiten Russlands und einiger serbischer Radikaler negativ wahrgenommen werden wird.
KEY NOTES
• If EU countries, bordering Western Balkans, close their borders, migrants from Middle East may come to BiH,
which will have much more complex political, security, economic and other consequences.
• Young people from BiH, mostly well educated, continue to leave their home country, seeking better job and life en-
vironment, which will pose more serious demands before BiH leadership to provide lasting capacities of the state
institutions to cope with the growing demands of reforms and integrations.
• Terrorism in BiH, with its historic and global links will preserve a grave challenge to the state itself and the whole
region.
• There exist indicators suggesting the presence of continuous SAA implementation, but possible interruptions and
road blocs may still cause delays.
•
ceptance from Russia and some Serbian radicals.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 157
Opposition gegen die Regierung radikali-
siert sich
Der Druck der Opposition auf die Regierung ist seit
den letzten Wahlen und der Bildung der neuen Regie-
rung enorm angewachsen. Die Kritik der Opposition
richtete sich im Verlauf des Jahres 2015 vor allem gegen
die mit Serbien getroffenen Vereinbarungen – beschlos-
sen im Vorfeld der Westbalkankonferenz in Wien im
-
mals während des Jahres kam es zu teils gewalttäti-
gen Protesten auf den Straßen von Prishtina. Im Herbst
setzte die von Vetevendosje rund um Albin Kurti und
die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von
Ramush Haradinaj angeführte Opposition auf die Blo-
ckade der Arbeit des Parlaments und zwar diesmal mit
KOSOVO 2016
Die Ende des Jahres 2014 gewählte neue Regierung
im Kosovo unter Premierminister Isa Mustafa, die
sich zum ersten Mal aus einer großen Koalition zwi-
schen der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK)
und der Demokratische Partei des Kosovo (PDK) bil-
dete, hatte einen schwierigen Beginn. Die Kritik der
Opposition und der Bevölkerung an der Bildung der
bislang von der Anzahl der Minister und Stellvertre-
ter her größten Regierung im Kosovo war von Be-
ginn an groß. Die erste große Herausforderung war
die Anfang des Jahres 2015 eingesetzte Massen-
der anhaltend schlechten sozioökonomischen Situa-
tion im Kosovo ist davon auszugehen, dass der Mig-
rationsdruck im Jahr 2016 konstant hoch bleiben
wird. Im kosovarischen Fall wird es mittel- bis lang-
fristig notwendig sein, reguläre Migrationskanäle
oder neue Migrationsstrategien seitens der EU zu
implementieren, um die irreguläre Migration in lega-
le Bahnen zu lenken, von denen sowohl der Kosovo
keiner Entspannung kommen, ist eine weitere –
nicht zuletzt auch islamische – Radikalisierung der
kosovarischen Jugend wahrscheinlich.
158 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Tränengasattacken. Es ist im Jahr 2016 mit Sicherheit
davon auszugehen, dass die Proteste fortgesetzt werden.
Auch gewalttätige Ausschreitungen im Zuge von Stra-
ßenprotesten, die die Opposition weiterhin als ein wich-
tiges Druckmittel gegen die Regierung einsetzen wird,
sind eher wahrscheinlich. Durch die angespannte poli-
tische Lage ist auch aus österreichischer Sicht besondere
Wachsamkeit angebracht.
Weitere innenpolitische Turbulen-
zen durch das Sondertribunal für
Kriegsverbrechen
Im August 2015 stimmte das kosovarische Parlament
unter starker Kritik der Opposition der Errichtung
eines Kriegsverbrechertribunals zur Aufarbeitung von
Kriegsverbrechen der Kosovarischen Befreiungsar-
mee (UCK) zwischen 1998 und 1999 zu. Die auf star-
ken Druck der internationalen Staatengemeinschaft
zustande gekommene Entscheidung könnte für manche
politische Führungspersönlichkeiten wie Hashim Thaci
im Jahr 2016 gefährlich werden. Das Tribunal wird
im Verlauf der Jahres 2016 mit ersten Untersuchungen
beginnen und kann vermutlich einiges an innenpoliti-
schen Turbulenzen mit sich bringen.
Angespannte Lage zwischen Belgrad und
Prishtina
Das im August 2015 vereinbarte Abkommen mit Ser-
bien wurde bei der Westbalkan-Konferenz in Wien als
großer Erfolg und Durchbruch gefeiert. Zusammen mit
der Unterzeichnung der Erklärung, wonach die Staa-
ten der Region sich zur Lösung bilateraler Streitigkeiten
-
ten, konnte man nach der Wiener Konferenz positiv
gestimmt sein. Im Herbst 2015 setzte man in Prisht-
ina die Implementierung des Brüsseler Beschlusses über
einseitig aus und delegierte diese Frage an den Verfas-
sungsgerichtshof des Kosovo, der um die Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit der Vereinbarung gebeten wurde.
Belgrad beschuldigte Prishtina umgehend, Vereinba-
rungen zu brechen. Auf der anderen Seite nutzte Bel-
grad alle diplomatischen Mittel, um den Beitritt des
Kosovo zur UNESCO zu verhindern, was Belgrad auch
gelang.
Die Beziehungen haben sich also verschlechtert und im
Jahr 2016 wird ein neuerliches starkes Engagement der
EU notwendig sein, um wieder Bewegung in die Ver-
handlungen zwischen Belgrad und Prishtina zu brin-
gen. Es kann durchaus sein, dass die derzeitige Eiszeit
Frühjahr 2016 Wahlen nicht ausgeschlossen) im ersten
Halbjahr 2016 fortgesetzt wird. Die bislang getroffe-
nen Kompromisse dürfen aber nachhaltig nicht gefähr-
det werden, sodass man davon ausgehen kann, dass
im Jahr 2016 einen starken Druck auf die beiden Sei-
ten ausüben wird, um mehr Kompromissbereitschaft zu
zeigen und konkrete Implementierungsschritte zu set-
zen. Hier könnte auch Österreich in Vorbereitung auf
-
zu deblockieren.
Kosovo und die EU
Der Kosovo konnte im Jahr 2015 mit der Unterzeich-
nung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom-
mens (SAA) einen großen formalen Erfolg verbuchen.
In der Frage der Visa-Liberalisierung kam man nicht
weiter. Angesichts der derzeitigen Flüchtlings- und
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 159
Migrationskrise und der Debatten über die Zukunft
von Schengen wird es im Jahr 2016 nicht leicht sein,
eine Visa-Liberalisierung zu erreichen. Der Kosovo
Entschlossenheit zu Reformen durch die Implemen-
tierung der Bestimmungen des SAA zu beweisen. Die
Voraussetzungen dafür sind angesichts der innenpo-
litischen Spannungen und strukturellen Probleme der
kosovarischen Staatlichkeit nicht optimal.
Ein wichtiger Bereich, in dem Fortschritte auf dem wei-
teren Weg Richtung EU-Integration notwendig sind, ist
jener der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo.
Die EU mit ihrer Rechtsstaatlichkeitskommission
EULEX, deren Mandat bis Juni 2016 ausgelegt ist, ist
in der Vergangenheit immer wieder im Kreuzfeuer der
Kritik gewesen. Im Jahr 2016 wird vermutlich die Ver-
längerung und mögliche Anpassung des Mandats gese-
hen werden. Die EULEX muss im Jahr 2016 alles daran
setzen, die Makel der Vergangenheit abzulegen und mit
guter und konsequenter Arbeit einen positiven Beitrag
zur Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo zu
leisten.
Konsequenzen für Europa, die EU und
Österreich
Eine Verschlechterung der innenpolitischen und sozio-
ökonomischen Situation im Kosovo im Jahr 2016
könnte sich negativ auf die Region und damit auch auf
die Bemühungen der EU um Stabilisierung des West-
balkans auswirken. Druck der EU auf Belgrad und
Prishtina – mit einem Mitwirken Österreichs – wird
notwendig sein, um wieder ein positives Klima im Dia-
log zu schaffen. Nach Möglichkeit sollte die EU, und
hier können vor allem Österreich und Deutschland eine
zentrale Rolle spielen, an der Entwicklung und Imple-
mentierung der legalen Migrationswege für den Kosovo
und die Region arbeiten, um den Migrationsdruck zu
lindern und der Radikalisierung entgegenzuwirken.
Zugleich bleibt es von essentieller Bedeutung, dass man
die volle Funktionalität der im Kosovo tätigen internati-
onalen Institutionen gewährleistet. Hier ist aus österrei-
chischer Sicht insbesondere wichtig, weiterhin eine der
zentralen Stützen der KFOR und damit auch der Stabi-
lität des Kosovo zu bleiben.
KERNPUNKTE
• Die sozioökonmische Lage im Kosovo bleibt ange-
spannt, neue Investionen und legale Migrationswe-
ge sind dringend notwendig.
• Innenpolitisch herrscht die Gefahr einer fortge-
setzten Blockade des Landes und gewalttätiger
Ausschreitungen.
• Der Dialog zwischen Belgrad und Prishtina ist ge-
fährdet, die EU muss ihr gesamtes Gewicht für die
Deblockade und die Implementierung der Vereinba-
rungen einsetzen.
• Der Kosovo muss durch interne Reformen bewei-
sen, dass ernsthaft an der EU-Perspektive gearbei-
tet wird.
KEY NOTES
• The socio-economic situation in Kosovo remains
tense, new investments as well as legal ways of mig-
rating to the EU are urgently needed
• As far as domestic policy is concerned, there is the
risk of a continued blockade of reforms as well as vi-
olent clashes.
• The dialogue between Belgrade and Pristina is at
order to free the process and guarantee the imple-
mentation of the agreements.
• Kosovo must prove that it is working hard on an EU
perspective through internal reforms.
160 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
MAZEDONIEN 2016
Dane Taleski
Eine „technische“ Mehrparteienregierung mit einem
ab Jänner 2016 neuen Premierminister von der In-
ternen Mazedonischen Revolutionären Organisation
– Demokratische Partei für die Nationale Einheit
Mazedoniens (VMRO-DMMNE) wird im April 2016
Wahlen durchführen. Das ist der wichtigste Punkt
des „Przhino-Abkommens“, das von der EU mit dem
Ziel initiiert wurde, die politische Krise des Jahres
2015 zu überwinden. Nichtsdestotrotz wird eine
hohe Polarisierung der politischen Parteien die
Handlungsfähigkeit der Regierung minimieren, und
dies könnte schon zu Jahresbeginn 2016 zu einer
institutionellen Pattsituation führen.
Prekäre Stabilität
Im Rahmen des „Przhino-Abkommens“ wurde ein spe-
zieller Staatsanwalt installiert, der Strafverfahren wegen
politischer Korruption und Machtmissbrauch auch ge-
gen hochrangige Vertreter der Regierungsparteien ein-
leiten soll, so wie es die angeblich veröffentlichten Ton-
bandaufnahmen 2015 nahe legen. Dies könnte das
-
sen, obwohl die Regierungspartei in den Meinungsum-
fragen vom November 2015 voran lag. Es ist wahr-
scheinlich, dass die Regierungspartei im Wahlkampf ihr
Klientelnetzwerk nützen und sich nationalistischer Rhe-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 161
torik bedienen wird. Obwohl die Sozialistischdemokra-
tische Union Mazedoniens (SDSM) als stärkste Opposi-
tionspartei ihre politische und moralische
-
noch Schwierigkeiten bei der Mobilisierung ihrer poten-
tiellen Wählerschaft. Auf der anderen Seite fordern
neue aufstrebende albanische Parteien die bereits exis-
tierenden heraus. Ein schärferer Wettbewerb um Stim-
men im „albanischen Lager“ wird auch die Bedeutung
des ethnischen Faktors erhöhen.
auch zwischen den albanischen Parteien, könnten even-
tuell auftreten. Wenn die gegenwärtige Regierungspar-
tei gewinnt, dann kann zwar die Stabilität im Land auf-
rechterhalten werden, aber die Demokratie würde
weiter Schaden nehmen. Die Opposition hat im Falle
von nicht fairen und freien Wahlen bereits ihren Protest
angekündigt. Andererseits könnte die Demokratie wie-
der gestärkt werden, falls die Opposition gewinnt. Je-
denfalls würde im Falle eines Sieges der Opposition die
VMRO-DPMNE protestieren, um ihre Spitzenvertreter
vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen.
Die Stabilität der neuen Koalitionsregierung, die ab Mai
oder Juni 2016 regiert könnte auf die Parlamentsmehr-
heit angewiesen sein. Die größten Herausforderungen
dürften durch die Politik aber erst in der zweiten Jah-
reshälfte 2016 in Angriff genommen werden. Diese sind
a) hohe Arbeitslosigkeit, steigende Armut und soziale
Ungleichheit, die zu sozialen Unruhen führen könnten,
b) steigende Staatsschulden, die eventuell die Finanzsta-
bilität beeinträchtigen könnten, c) institutionelle Refor-
men und ein möglicher Ausbruch von politischen
der die EU- und NATO-Integration blockiert und die
ethnische Spaltung vertiefen könnte.
Flüchtlinge
Im Jahr 2016 könnte Mazedonien sein Flüchtlingsma-
nagement und den Flüchtlingstransit erfolgreich fort-
führen. Jedoch werden die nationalen Behörden ihre
Kapazitäten zum Zwecke der Registrierung der Flücht-
und der besseren Koordinierung von Maßnahmen zwi-
-
onsaustausches mit EU-Partnern erhöhen. Das Land
wird auch Unterstützung bei der Unterbringung und
Administrierung von Flüchtlingen brauchen.
Herausforderungen und Sicherheitsbedenken ergeben
sich, wenn Flüchtlinge aufgehalten oder man ihnen
den Transit verweigern würde. Dies geschah zum Bei-
spiel im Verlauf des Jahres 2015, als Flüchtlingen der
Transit verspätet oder gänzlich verwehrt wurde. Die
denen es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Im
Jahr 2016 könnte die Lage in ähnlichen Situationen wie-
dass Mazedonien 2.000 Flüchtlinge aufnimmt, während
der Direktor des Zentrums für Krisenmanagement
schätzte, dass das Land Kapazitäten für 30.000 Flücht-
Bleiben in Mazedonien gezwungen werden, wodurch es
zu Zusammenstößen mit Angehörigen der Sicherheits-
organe kommen würde. Mit einer hohen Arbeitslosen-
rate und Armut hat Mazedonien nicht ein schwaches
Integrationspotential sowie begrenzte Kapazitäten, die
Flüchtlinge unterzubringen. Dies könnte zu einer hu-
manitären Krise führen. Jene Flüchtlinge, die im Land
-
nellen Handlungen genötigt oder, um sich mit dem
Notwendigsten zu versorgen, selbst kriminell werden.
Einige Flüchtlinge könnten sich auch radikalen Islamis-
162 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Eine Mehrparteienregierung wird im April 2016 Wah-
len organisieren.
• Sollte die nächste Regierung die essenziellen Her-
ausforderungen nicht bewältigen können, dürfte es
in der zweiten Jahreshälfte 2016 zu politischer In-
stabilität kommen.
• Die gewalttätige Zurückweisung von Flüchtlingen
würde weitere Gewalt, eine humanitäre Krise und/
oder eine verstärkte religiöse Spaltung bewirken.
• Zum Erhalt der Stabilität braucht es die Unterstüt-
zung der Europäischen Union.
ten anschließen. Dennoch ist eine terroristische Bedro-
hung eher unwahrscheinlich. Vielmehr können religiöse
Unterschiede gekoppelt mit Xenophobie und ethnisch-
nationalistischem Extremismus verstärkt werden. Dies
würde sich nachteilig auf die interethnische Beziehung
und Stabilität auswirken.
Konsequenzen für die Politik
Ein politisch instabiles Mazedonien entlang der West-
balkanroute inmitten der Flüchtlingskrise würde zu
massiven Sicherheitsbedenken führen. Ein internationa-
les Engagement wäre für den Erhalt der politischen Sta-
bilität notwendig. Es wird erwartet, dass EU-Kommis-
sar Johannes Hahn eine führende Rolle übernimmt. Die
wichtigsten Aufgaben 2016 bestehen in der Sicherstel-
lung freier und fairer Wahlen und dass das Wahlergeb-
nis von allen Parteien anerkannt wird. Nur so kann es
zu einer stabilen Regierungskoalition kommen.
KEY NOTES
• A multiparty government will organize elections in
April 2016.
• Should the new government not be able to cope with
the essential key challenges it might come to some
instability in the second half of 2016.
• Forceful retention of refugees may cause violence,
a humanitarian crisis and/or increase a religious
divisions.
• EU assistance to preserve stability will be needed.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 163
SERBIEN 2016
Marko Savkovic
Die vorherrschende Migrationskrise kann nur gesamteuropäisch unter Einbindung der Staaten des West-
balkans gelöst werden. Serbien sollte, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, an EU High-level-Diskussionen
rund um die Lösung der Migrationskrise beteiligt werden. Innenpolitisch wird weiterhin am reformstarken
Belgrad-Pristina-Prozess festgehalten und dies mit den Mitgliedschaftsambitionen beider verknüpft wer-
den. Serbiens ambitionierte Reform des öffentlichen Sektors muss transparent mit den Notwendigkeiten
der Geber koordiniert werden. Dabei gilt es, mehr Aufmerksamkeit auf Reformen in den ineinander greifen-
den Bereichen Bildung und Jugendbeschäftigung zu legen.
Migrationskrise – Politikoptionen für
2016
Im Laufe des Jahres 2016 könnte von Serbien verlangt
werden, zehnmal so viele Migrantinnen und Migranten
wie bisher temporär unterzubringen. Die Ambitionen
Serbiens für eine EU-Mitgliedschaft könnten an seine
Bereitschaft, Teil des EU-Quotensystems zu werden
geknüpft werden. Ein diesbezügliches Scheitern könnte
dazu führen, dass der Westbalkan, vorrangig Serbien,
zu einem „Flaschenhals“ und „Konzentrationslager“
für Tausende verzweifelt in die EU strebende Migran-
wird von der serbischen Regierung erwartet, dass sie
164 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
einen Plan für die Integration von anerkannten Flücht-
lingen, die sich explizit für ihren Verbleib in Serbien
ausgesprochen haben, bekannt gibt. Darüber hinaus
muss auch ein Weg gefunden werden, jene, die nicht
im Land bleiben wollen, für eine ungewisse Zeit an der
Ausreise zu hindern.
Bedrohungen für die Sicherheit
Nachdem das aktuelle System der Asylaufnahme kaum
solche Notwendigkeiten berücksichtigt, wird die Mig-
rationskrise die Ressourcen der Regierung ernsthaft
belasten, vor allem weil sie Flüchtlinge akzeptieren
muss, die ursprünglich nicht vor hatten in Serbien zu
bleiben.
Auch gilt zu befürchten, dass Migrantinnen und Mig-
ranten zur „leichten Beute“ von Menschen- und Dro-
genschmugglern werden. Dennoch ist Serbien, solange
Bedrohung durch einen großen Terroranschlag auf sei-
nem Staatsgebiet ausgesetzt.
Die sicherheitspolitischen Akteure Serbiens werden jeg-
liche Form der politischen Instabilität im Kosovo –
verstärkt durch den Zusammenbruch des politischen
Dialogs – als ein sehr großes Sicherheitsrisiko wahrneh-
men. Vor diesem Hintergrund wird Serbien besondere
Aufmerksamkeit auf die Existenzabsicherung der serbi-
Politische Lage
Falls die EU zum Entschluss kommen sollte, Verhand-
lungen über die ersten Kapitel zu eröffnen, könnte der
Premierminister vorgezogene Neuwahlen für das Früh-
jahr 2016 ausrufen. Die „Progressiven“ (SNS) könn-
ten vor einem klaren Wahlsieg stehen, da der Parteiap-
parat bereits aktiviert und die Opposition geschwächt
ist und darüber hinaus die Medien unter Kontrolle der
Regierung stehen. Somit wäre die SNS in der Lage,
Kapital aus dem wichtigsten positiven Signal aus Brüs-
sel zu schlagen und mit einer bequemen Mehrheit bis
2020 zu regieren. Ein Wahlsieg mit einer stabilen Regie-
rung würde einerseits die Fortsetzung von Einschnitten
in der Verwaltung und andererseits die Normalisierung
der Beziehungen zum Kosovo erleichtern. Vorgezogene
Neuwahlen sollten jedoch nicht als Bestrafung oder
Disziplinierung des Koalitionspartners verstanden wer-
den, da Regierungsumbildungen auch weiterhin nach
Minoritäten legen wird, ist die serbische Regierung hin-
sichtlich ihrer Minderheitenpolitik gefordert. Dennoch
bleibt die erfolgreiche Integration der Minoritäten in die
Weiters wird die Umsetzung der Reform des öffentli-
-
mend schwieriger wird, die daraus resultierenden Fol-
gen abzuschätzen. Aufgrund der unverändert niedrigen
Kampf um die besten Köpfe verlieren wird, die ent-
weder die Verwaltung oder gleich das Land zu verlas-
sen drohen. Die Auswirkungen der Reform werden
beschränkt bleiben, vor allem da einige der Maßnah-
men bereits in verschiedenen Ministerien kontro-
vers diskutiert werden. Darüber hinaus erstrecken sich
die Reformbemühungen nicht auf die verstaatlichten
Betriebe, die einen großen Teil des aufgeblähten öffent-
lichen Sektors Serbiens darstellen. Mit allen Mitteln und
gegen jede Logik spottend werden die ersten Einspa-
-
führt werden.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 165
Wirtschaft und Arbeitsmarkt
Serbien wird weiterhin versuchen, potentielle Inves-
toren durch vergleichsweise niedrige Steuern anzu-
sprechen und neue mittlere bis große Unterneh-
mensansiedelungen durch einen Anreiz von 5000 bis
10.000.- Euro für jeden eingestellten Arbeiter zu sub-
ventionieren. Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen
wird von der politischen Opposition weiterhin in Zwei-
fel gezogen werden. Das BIP-Wachstum wird weiterhin
gering und auf ein Prozent beschränkt bleiben, was der
weiteren Umsetzung lang überfälliger Infrastrukturpro-
jekte (z.B. EU-Transportkorridor) geschuldet ist. Diese
notwendigen Investitionen werden das serbische Bud-
get weiter belasten, da es Serbien in der Vergangenheit
nicht geschafft hat, alternative Finanzierungsformen
wie Private-Public-Partnerships zu generieren.
Obwohl es für das Wachstum von großer Bedeutung
ist, wird sich das Thema der regionalen Unterentwick-
lung nicht auf der Agenda der Entscheidungsträger wie-
Die Regierung wird versuchen, ihr Arrangement mit
dem Internationalen Währungsfonds zu verlängern.
Dabei wird eine der letzten „Kronjuwelen“, die Tele-
kom Serbia, vermutlich an einen Investment-Fond und
nicht an ein Telekommunikationsunternehmen ver-
kauft. Es ist zurzeit unklar wie der Verkaufserlös inves-
tiert werden soll.
Die Arbeitslosigkeit wird weiterhin hoch bei 25 Pro-
zent bleiben, wobei die Jugendarbeitslosigkeit von 45
Prozent besonders besorgniserregend ist. Die Versuche
einer groß angelegten Re-Industrialisierung sind wenig
Erfolg versprechend. Die meisten Arbeitsplätze werden
im Dienstleistungssektor geschaffen und gehen auch
dort verloren.
Regionale Sicherheitsaspekte
Unabhängig von der kroatischen Regierungsbil-
dung wird die Migrationskrise die Beziehungen Ser-
biens zu Kroatien weiter komplizieren. Falls Kroatien
Ungarns Beispiel der Errichtung eines teilpermanen-
wird dies lediglich den Migrationsstrom über Bosnien
und Herzegowina oder Montenegro umleiten. Sollte
„unberechenbar“ werden, würde unter dieser Situation
der internationale Handel leiden und Spediteure nach
alternativen Routen suchen lassen. Dies wiederum hätte
negative Auswirkungen auf die avisierten Einkünfte der
Regierung aus Zöllen und Abgaben.
Die serbische Regierung wird sich nicht in die inne-
ren Angelegenheiten Bosnien und Herzegowinas oder
Montenegros einmischen. Sie wird versuchen, ihre
Beziehungen mit der Republika Srpska zu verbessern
und symbolische Angebote an Sarajevo zu machen.
Jüngste Entscheidungen der USA, die kroatischen
Streitkräfte mit fortschrittlicherer Waffentechnologie zu
versorgen, könnte eine Rüstungsspirale auslösen – mit
Auswirkungen auf die gesamte Region.
Außenpolitik: Beziehungen zur NATO und
(gegen) Russland
Falls es in den EU-Verhandlungen zu Kapitel 35
(Kosovo) zu keinem Kompromiss kommen sollte, wird
sich Serbien im Jahr 2016 nach und nach einer Koope-
ration mit Russland öffnen. Es gibt eine Vielzahl von
Möglichkeiten für russische staatsnahe Betriebe sich
machen, unter anderem Energieversorgung oder Erneu-
erung der serbischen Schieneninfrastruktur und der
Verteidigungssektor.
166 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Es wird keine Änderungen in Serbiens Beziehungen
mit der NATO geben. Aktivitäten und Vorhaben, die
im Individual Partnership Action Plan vorgesehen sind,
werden weiter umgesetzt, wobei sich Serbien allerdings
nicht weiter an die NATO annähern wird.
Nur wenn es zu einem völligen Versagen der EU im
Umgang mit der Migrationskrise kommen sollte, das
in einem Zerfall der EU, einer Zerstörung ihrer inter-
higkeit auf der internationalen Bühne führen würde,
ist eine strategische Annäherung Serbiens in Richtung
Russland denkbar. Ansonsten bieten Russland, wie auch
China, keinerlei Entwicklungsmodelle an, die jenem der
EU überlegen wären. Das bedeutet nicht, dass sich Ser-
bien nahtlos zu einer konsolidierten Demokratie entwi-
ckeln würde, dafür gibt es einfach zu viele anti-liberale
Faktoren – Einschränkungen im Bereich der Freiheit
der Medien, Druck auf Regulationsbehörden, fehlende
Transparenz beim Umgang mit öffentlichen Mitteln
– die durch die derzeitige Machtfülle bei einer Partei
noch verstärkt werden.
Perspektiven der Zusammenarbeit mit
Österreich
Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung ver-
sucht Serbien nach österreichischem Vorbild Politik und
in der Kooperation im Sicherheitsbereich und der Ver-
teidigung, und dies nicht nur mit Blick auf die Migra-
tionskrise. Da Österreich zwar Mitglied der EU aber
nicht in der NATO ist, könnte Serbien dieses Modell als
bündnisfreier Sicherheitsdienstleister übernehmen. Dies
könnte auch Sicherheitsbedenken in Serbiens Nachbar-
schaft mindern.
KERNPUNKTE
• Serbien sollte an EU high-level Diskussionen rund
um die Lösung der Migrationskrise beteiligt werden.
• Die EU, vertreten durch den EEAS, muss weiterhin
am reformstarken Belgrad-Pristina-Prozess festhal-
ten und dies mit den Mitgliedschaftsambitionen bei-
der verknüpfen.
• Das EU Verhandlungsformat – unabhängig von Kon-
troversen rund um das Kapitel 35 – bleibt das re-
formstärkste Instrument zur Transformation der ser-
bischen Gesellschaft. Auch in diesem Bereich spielt
die Zivilgesellschaft über ihre Plattformen und Netz-
werke eine gewichtige Rolle.
• Aufgrund der Schwäche der EU bieten sich für Russ-
land vielfältige Möglichkeiten, sich in Serbien zu en-
gagieren. Dennoch wird sich keine Alternative zur
EU-Mitgliedschaft entwickeln, da Brüssel weiterhin
Richtung und Geschwindigkeit des serbischen Trans-
formationsprozesses vorgibt.
KEY NOTES
• Serbia should be invited to participate in high-le-
vel discussions regarding EU’s answer to the mig-
rant crisis.
• EU through EEAS must insist on perpetuating the
Belgrade-Prishtina dialogue, tying it in to member-
ship aspirations of both.
• The negotiations framework – despite controversies
surrounding chapter 35 – remains the single most
ambitious agenda for transformation of Serbia’s so-
ciety. Here as well, civil society has an important
role to play through its platforms and coalitions.
• There are numerous ways for Russia to increase its
of EU’s weaknesses. This however still does not pre-
sent an alternative to membership, as Brussels
continues to dictate pace and direction of Serbia’s
transformation.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 167
RISIKEN FÜR DIE SICHERHEIT
IN DER SCHWARZMEERREGION
2016
Ivan Krastev
Im Jahr 2016 wird die Sicherheitslandschaft in der
Schwarzmeerregion weniger von zwischenstaatli-
-
schen den Staaten bestimmt sein.
Die schwache Position der EU in der
Schwarzmeerregion
Der Krieg in Syrien, der Flüchtlingszustrom in die EU
168 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
die Beziehungen zwischen der EU und ihren Nach-
barn dramatisch verändert. Zwar sind die Türkei und
der Balkan näher als je zuvor an die EU herangerückt,
aber nicht auf eine Weise, wie EU-Politiker dies noch
vor einigen Jahren erwartet hatten. Bis vor einem Jahr
glaubte die EU an ihre mit einem Beitrittsangebot ver-
-
men. Von der Flüchtlingskrise überwältigt, wurde
genommen. Der Erfolg der EU bei der Stabilisierung
der Region wird sehr stark von der Bereitschaft der
Türkei abhängen, eine steigende Anzahl von Flücht-
lingen aufzunehmen. Die EU wird gegenüber diesen
Ländern daher kaum noch in der Lage sein, ihre Poli-
tik mit Bedingungen zu verknüpfen.
Andererseits wird Russlands Bereitschaft zum Ver-
die strategischen Handlungsoptionen der EU in der
Region bestimmen. Auch hier wird die EU kaum ihre
Bedingungen vorgeben können. Kurz gesagt, die EU
wird im Jahr 2016 in der Schwarzmeerregion nicht aus
einer Position der Stärke, sondern aus einer Position
der Schwäche agieren.
Risikofaktoren für die Stabilität der
Region
Im kommenden Jahr wird die innere Instabilität der
Türkei der Hauptrisikofaktor für die Region sein. Bei
zunehmender innerer Instabilität wird es für Ankara
immer schwieriger werden, seinen eigenen Ver-
-
nem Versprechen, einen großen Teil der Flüchtlinge
aus dem Nahen Osten aufzunehmen und auf seinem
wachsender Instabilität in der Türkei ist mit einem
Anstieg terroristischer Aktivitäten in diesem Land
zu rechnen. Ferner besteht die Möglichkeit, dass die
Türkei militärisch (mit Bodentruppen) in den syri-
einem Stellvertreterkrieg zwischen Präsident Baschar
al-Assad und seinen Unterstützern auf der einen Seite
und der Anti-Assad-Koalition auf der anderen Seite
werden. In einem derartigen Szenario käme es wohl
zu einer weiteren Verschlechterung der russisch-tür-
kischen Beziehungen und zu einer Verstärkung der
Streitkräfte in der Schwarzmeerregion.
Ein weiterer Risikofaktor für die Schwarzmeerregion
geht von Russland aus, das vermutlich die militäri-
schen Verstärkungen der NATO in Polen und in den
baltischen Staaten mit ebensolchen Maßnahmen in der
Schwarzmeerregion beantworten wird.
Die Länder an der Balkanroute
Die Länder entlang der Balkanroute für Flüchtlinge
aus dem Nahen Osten sind der verwundbarste Teil in
der Region. Sollte die Türkei in der Flüchtlingskrise
nicht mit der EU kooperieren können, dann könn-
oder sogar Bulgarien sowie Albanien zu permanen-
ten Krisenzonen werden. Diese Entwicklung würde
ihre politische und wirtschaftliche Lage sowie auch
-
politisch ist mit dem Erstarken rechtsextremer und
populistischer Parteien sowie entweder einem ver-
stärkten Trend in Richtung eines autoritären Regie-
rungsstils (Vorrang von Sicherheitsmaßnahmen vor
Menschenrechten etc.) oder Staatsversagen zu rech-
nen. In beiden Fällen würden sich in diesen Ländern
die demokratischen Standards verschlechtern. Auch
die Beziehungen zwischen den Balkanstaaten würden
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 169
sich verschlechtern, wobei schließlich sogar militäri-
sche Zusammenstöße vorkommen könnten.
Deutschland und Österreich werden dem Westbal-
kan weitere Probleme verursachen, indem sie alle
Asylsuchenden aus dieser Region in ihre Heimatlän-
der zurückführen werden. Damit werden erhebli-
che logistische Herausforderungen wie die Schaffung
von Schul- und Arbeitsplätzen sowie Probleme für die
-
bunden sein.
Schließlich wird die Region für Terroranschläge der
Terrormiliz „Islamischer Staat“ und anderer radikaler
Zwecke der Wiedergewinnung des traditionellen Mos-
Ukraine
Zwar kann es auch weiterhin in der Ostukraine zu
militärischen Zusammenstößen kommen, doch ist
insgesamt mit einer russischen Politik der Deeskala-
tion zu rechnen. Aus politischen, geopolitischen und
Lage in der Ukraine angespannt bleiben. Aus Sorge,
auf der westlichen Agenda nicht mehr ganz oben zu
stehen, könnte Kiew versuchen Maßnahmen zu set-
zen, die seine Konfrontation mit Moskau verschärfen.
Der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko ist
immer weniger in der Lage, das Land unter politischer
Kontrolle zu halten. Obwohl Russland in der Ostuk-
raine höchstwahrscheinlich eine Strategie der Deeska-
lation verfolgen wird, hat es sein Ziel, Kiew in seine
geltend machen, um eine Verankerung der Ukraine in
Das in den Niederlanden von Bürgern initiierte Refe-
rendum über das Handelsabkommen zwischen der
EU und der Ukraine könnte zum Wendepunkt für
die Nachbarschaftspolitik der EU werden. Seine Ini-
tiatoren fürchten, dass das Abkommen bloß ein ers-
ter Schritt hin zu einem Beitritt der Ukraine zur EU
sein könnte. Aus Angst vor einer übermäßigen Belas-
tung der EU durch einen etwaigen Beitritt der Ukraine
zur EU soll das Handelsabkommen verhindert werden.
Sollte dies passieren, so hätte dies Auswirkungen auf
die Politik der EU gegenüber dem Osten und würde
zur Instabilität in der Region beitragen. Wir können
davon ausgehen, dass Russland alle Mittel nutzen wird,
Im Zusammenhang mit den Risiken aufgrund der
wachsenden Instabilität in der Schwarzmeerregion
ergeben sich für Österreich mehrere ernsthafte Her-
ausforderungen. So ist es mit einem zunehmenden
Risiko terroristischer Aktivitäten auf seinem Staats-
gebiet konfrontiert. Auf Österreich könnte die Forde-
rung nach einem verstärkten Engagement für mehr
Stabilität am Westbalkan zukommen. Immerhin gilt
Österreich als ein Hauptinvestor am Westbalkan.
Österreich könnte sich gezwungen sehen, seine Fähig-
keit auszubauen, rasch auf die Risiken zu reagieren, die
durch die Instabilität in seiner unmittelbaren Nachbar-
schaft angewachsen sind.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Jahr 2016
die sicherheitspolitischen Herausforderungen für die
Schwarzmeerregion ein hohes Maß an Unberechenbar-
keit besitzen werden. Hierzu gehören ein rasch abneh-
mendes gegenseitiges Vertrauen zwischen den relevan-
ten Akteuren und ein dramatischer Anstieg im Bereich
der „Soft security threats“. Das Hauptziel der EU
sollte es sein, ihre Bürger davon zu überzeugen, dass
die Situation unter Kontrolle ist.
170 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Der Krieg in Syrien, der Flüchtlingszustrom in die EU
die Beziehungen zwischen der EU und ihren Nach-
barn dramatisch verändert.
• Die EU wird im Jahr 2016 in der Schwarzmeerregion
nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus ei-
ner Position der Schwäche agieren.
• Aus politischen, geopolitischen und wirtschaftlichen
Gründen wird jedoch die allgemeine Lage in der Uk-
raine angespannt bleiben. Aus Sorge, auf der westli-
chen Agenda nicht mehr ganz oben zu stehen, könn-
te Kiew versucen Maßnahmen zu setzen, die seine
Konfrontation mit Moskau verschärfen.
• Im Jahr 2016 werden die sicherheitspolitischen He-
rausforderungen für die Schwarzmeerregion ein ho-
hes Maß an Unberechenbarkeit besitzen. Hierzu
gehören ein rasch abnehmendes gegenseitiges Ver-
trauen zwischen den relevanten Akteuren und ein
dramatischer Anstieg im Bereich der „Soft securi-
ty threats“.
KEY NOTES
•
have dramatically changed the relationship between
the EU and its neighbours.
• The EU will act in the Black See region in 2016 from
a position of weakness and not from a position of
strength.
• The general situation in Ukraine will however remain
tense for political, economic and geopolitical rea-
sons. Kiev will fear that it is not on the top of Wes-
tern agenda and could tempt to take some steps
that will increase its confrontation with Moscow.
•
the Black Sea region in 2016 will be a high level of
unpredictability, declining trust between the key ac-
tors and a dramatic increase in soft security threats.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 171
Regierungspolitik in der Krise
Die innenpolitische Lage der Ukraine wird auch im Jahr
2016 von einer weiterhin desolaten Wirtschafs- und
Finanzlage, nur langsamen Fortschritten bei Struktur-
reformen und einer weiterhin grassierenden Korrup-
tion geprägt sein. Zwar zeigt die Wirtschaft Anzeichen
UKRAINE-KONFLIKT UND
DIE ERWARTBAREN
ENTWICKLUNGEN 2016
Alexander Dubowy
Die ukrainische Politik sieht sich 2016 mit zahlrei-
chen Herausforderungen konfrontiert. Die innenpo-
litische und auch die wirtschaftliche Krise dürften
das gegenwärtige politische System in den Augen
der Bevölkerung weiter delegitimieren. Ohne exter-
ne Unterstützung sind dramatische Auswirkungen
auf das fragile politische System für das kommende
Jahr vorprogrammiert.
172 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Währung, Tiefpunkt der Rezession überschritten), so
konnten 2015 erste Achtungserfolge bei der Korrup-
einer erneuten Zuspitzung der Wirtschaftslage wird
trotz internationaler Unterstützung und günstiger Pro-
gnosen auch im Jahr 2016 nicht völlig gebannt sein. Die
spürbaren, auch der sogenannten Anti-Terror-Opera-
tion geschuldeten wirtschaftlichen Belastungen sowie
die Durchführung einschneidender Reformen zur
-
fonds trugen entscheidend zur Erhöhung der sozialen
Spannungen in der Ukraine bei. Das stetig wachsende
Protestpotential entlud sich bislang in weitgehend fried-
lichen, kleineren Bürgerprotesten. Im Falle einer weite-
ren erheblichen Verschlechterung der sozialen Situation
der Bevölkerung ist 2016 mit größeren – durchaus auch
gewaltsamen – Protesten zu rechnen. Die Unzufrieden-
heit der Ukrainer mit der Regierungspolitik und die all-
gemeine Kriegsmüdigkeit kommen nicht zuletzt in der
– zur gesellschaftspolitischen Aufbruchsstimmung des
-
nung der bestehenden politischen Parteien und der
Regierung wie des Präsidenten zum Ausdruck. Reprä-
sentative Umfragen deuten auf eine Legitimationskrise
des politischen Systems hin.
Privatisierungswelle und der Kampf der
Oligarchen
Anfang 2015 zerbrach der fragile Konsens zwischen
den führenden oligarchischen Machtgruppierungen. Es
ist anzunehmen, dass die vom IWF eingeforderte Pri-
vatisierungswelle zu verschärften Auseinandersetzun-
Zugriff auf die begrenzte Ressourcenbasis führen wird.
Im kommenden Jahr wird die ukrainische Staatsfüh-
rung sehr wahrscheinlich versuchen, durch Schwächung
einzelner Oligarchen zugunsten anderer eine Politik
des „Divide et impera“ zu verfolgen. Allerdings besteht
einzelnen rivalisierenden Oligarchengruppen verein-
nahmt zu werden.
-
ten der Ukraine scheint aus heutiger Sicht wahrschein-
lich zu sein. Dies wäre gegenwärtig – insbesondere
vor dem Hintergrund der Flüchtlings- und der Syrien-
krise – für alle Beteiligten günstig. Der Westen signali-
siert, eine Ausdehnung der Fristen für die Umsetzung
der Minsk II-Vereinbarungen und einen langsameren
Verlauf der Diskussionen über den Status der umstrit-
-
nete Auseinandersetzung zu beenden und eine innere
Konsolidierung der Ukraine – auch unter einer de facto
Ausklammerung der Krimfrage – voranzutreiben. Für
Russland ebnet dieses Szenario den Weg zur Stabilisie-
rung seiner Beziehung zu den USA und zur EU und
nährt die Hoffnung auf eine Revision der westlichen
Sanktionspolitik. Nichtsdestotrotz kann eine Eskala-
-
geschlossen werden. Ein erneuter Versuch Kiews, den
-
lich mit westlicher Unterstützung – zu lösen, würde für
Moskau die „rote Linie“ für den offenen Eintritt in den
-
hin angespannten Beziehungen zwischen dem Westen
und der Russischen Föderation rapide abkühlen – mit
nicht absehbaren Folgen für die gesamte europäische
Sicherheitsarchitektur.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 173
fortschreitenden gesellschaftlichen Konsolidierung ab.
Eine wichtige Voraussetzung stellt dabei die Minde-
zelten ideologischen Spannungen zwischen der gegen-
EU offenen Zentral- und Westukraine und der Russ-
zahlreicher innenpolitischer Probleme erscheint aber
aus derzeitiger Sicht schwierig, zumal den strukturel-
gen kaum adäquat begegnet werden kann. Ohne eine
starke, in erster Linie wirtschaftliche und sich nicht
lediglich in rhetorischen Floskeln erschöpfende externe
Unterstützung sind dramatische Auswirkungen auf
das fragile politische System für das kommende Jahr
vorprogrammiert.
KERNPUNKTE
• Die wirtschaftlichen Belastungen tragen entscheidend zur Erhöhung der sozialen Spannungen in der Ukraine
bei.
• Nur zwei Jahre nach dem Euromaidan zeigt die Stimmung in der Bevölkerung deutliche resignative Tendenzen.
Repräsentative Umfragen deuten auf eine Legitimationskrise des politischen Systems hin.
• Die Auseinandersetzungen zwischen den oligarchischen Großgruppierungenen um den Zugriff auf die begrenz-
te Ressourcenbasis werden sich 2016 intensivieren.
•
wahrscheinlich zu sein.
• Ohne starke wirtschaftliche Unterstützung sind dramatische Auswirkungen auf das fragile politische System
für das kommende Jahr vorprogrammiert.
Ausblick 2016
Für die Kiewer Führung scheint die Billigung des „Ein-
sichts der bedrohlichen Wirtschafts- und Soziallage –
mittlerweile unumgänglich zu sein. Allerdings ist die
unmittelbare Umsetzung äußerst heikel und innenpoli-
tisch explosiv, da die von Minsk-II geforderten Schritte
(Autonomiegesetzgebung/Sonderstatus des Donbass,
Amnestie) auf starke Widerstände stoßen und derzeit
nicht mehrheitsfähig sind. Ein „Einfrieren des Kon-
genden Reformen – nicht zuletzt eine Verfassungsre-
form – umzusetzen und die eingeleiteten Schritte zur
hängt dabei stark vom Vorgehen Kiews zugunsten einer
KEY NOTES
• The country’s economic problems decisively contribute to the increase of social tension within Ukraine.
• Only two years after the Euromaidan the atmosphere within the population shows strong tendencies towards
resignation. Representative surveys indicate a crisis of legitimacy concerning the political system.
•
•
• Without strong economic support, dramatic effects on the fragile political system are inevitable in the upco-
ming year.
174 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die Politik der kleinen Schritte und das
„5+2“-Verhandlungsformat
Nach 25 Jahren des Sezessionismus verbleibt Transni-
-
Lösung. Seit November 2011 werden bis heute regel-
-
mat abgehalten, obschon der Prozess einer politi-
TRANSNISTRIEN 2016
Victoria Bucataru
Die innenpolitische Situation und die angespannte
wirtschaftliche Lage in Moldau sowie die Wahlen in
Transnistrien fördern Instabilität und begünstigen
Provokationen. Dadurch könnte der Handlungsspiel-
raum zur Überwindung des Status quo reduziert
werden. Lediglich die Zustimmung zur schrittweisen
Umsetzung der Deep and Comprehensive Free
Trade Area (DCFTA) könnte die wirtschaftliche Stabi-
lität in Transnistrien 2016 gewährleisten.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 175
der sogenannte „Supreme Soviet“ – am 29. November
2015 als auch die Präsidentenwahlen in Tiraspol 2016
werden kaum ein günstiges Verhandlungsklima entste-
hen lassen.
Lösung ohne Beachtung der regionalen, europäi-
schen und euro-atlantischen Zusammenhänge geben.
Die Annexion der Krim durch die Russische Föde-
ration sowie die Unterstützung für die Volksrepub-
liken Luhansk und Donezk zeugen klar vom russi-
schen Willen, den geostrategischen Wettlauf mit dem
Westen wieder aufzunehmen. Eine Einigung im Kon-
es keinen funktionierenden Friedensprozess für die
Ukraine gibt, so lange wird Russland Transnistrien als
wichtigen „Trumpf“ in seinem geopolitischen Spiel
verwenden.
Die Region Transnistrien und die Umset-
zung des DCFTA
Ab Beginn des Jahres 2016 wird sich Moldau mit Pri-
orität auf die Umsetzung des DCFTA konzentrieren.
Dieses Thema bezieht sich direkt auf Transnistrien,
das momentan durch die „Autonomous Trade Prefe-
im Bereich des DCFTA mit der transnistrischen Ver-
waltung wird angesichts der Tatsache, dass 35 Pro-
zent des transnistrischen Exports auf den EU-Markt
ausgerichtet sind, massive ökonomische Konsequen-
zen haben: Steigerung der Arbeitslosenrate, Zusam-
menbruch lokaler Firmen, wirtschaftliche Isolation.
Die oben erwähnten negativen Entwicklungen und
die volatile russische Finanzunterstützung – 2015
-
schen Lösung suspendiert wurde. Die Verwaltung in
Tiraspol, die von Moskau unterstützt wird, verwei-
im so genannten Dritten Korb liegenden politischen
und sicherheitspolitischen Fragen. Vielmehr werden
die ersten beiden Körbe bevorzugt, die sich mit sozio-
ökonomischen und humanitären Fragen beschäftigen.
Somit werden die Tagesordnungen der Verhandlun-
gen im „1+1“-Format ebenso wie jene im „5+2“-For-
mat von technischen und organisatorischen Fragen
dominiert.
realistische Integrationspolitiken deuten auf eine Ent-
wicklung hin, die dazu geeignet wären, den Dritten
Korb der Verhandlungen im „5+2“-Format zu eröff-
nen. Darüber hinaus besitzt der Vertreter der Regie-
Mandat für direkte Verhandlung bezüglich eines poli-
tischen Kompromisses für Transnistrien.
Blockierung einer Lösung für
Transnistrien
Trotz der positiven Entwicklungen von 2015 – Wie-
derbelebung der Politik der kleinen Schritte durch die
Unterzeichnung des Zusatzprotokolls über die Aus-
dehnung des Eisenbahngütertransportes durch die
Region Transnistrien, Wiederbelebung der Treffen der
-
sicherung für motorisierte Fahrzeuge beiderseits des
„5+2“-Format – werden die Spannungen weiter anhal-
ten. Bestimmend sind die kritischen innenpolitischen
Entwicklungen wie die fortdauernden politischen Kri-
sen und die Kurzlebigkeit der Regierungen am rech-
ten Flussufer. Sowohl die Wahlen in Transnistrien –
176 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Trotz der Politik der kleinen Schritte haben sich die
Optionen für Chisinau und Tiraspol auf gefährliche
Weise verengt.
• Die schrittweise Umsetzung des DCFTA in Transnis-
trien könnte erfolgreich verhandelt werden.
• Es gibt keine Bereitschaft, am derzeitigen Status
quo etwas zu ändern und etwa den Dritten Korb zu
eröffnen, solange Russland zu keiner Übereinkunft
mit seinen euro-atlantischen Partnern hinsichtlich
seiner Rolle in der europäischen und globalen
Sicherheitsarchitektur kommt.
• Die Region Transnistrien wurde infolge der russi-
schen Aggression in der Ukraine ein Teil des rus-
sischen geopolitischen Spiels. Daher wird es
möglicherweise zu einer Intensivierung der geopoli-
tischen Konfrontation in dieser Region kommen.
5,5 Mrd. US-Dollar – können leicht zu Provokatio-
rung des DCFTA, die auch von der EU massiv gefor-
dert wird, ein Schritt in die richtige Richtung. Endgül-
tige Entscheidungen sind nicht vor der sogenannten
Präsidentenwahl in Transnistrien zu erwarten.
KEY NOTES
• Despite the small-step policy promoted by the Mol-
dovan authorities the options for compromise bet-
ween Chisinau and Tiraspol have dangerously
narrowed.
• A mutually acceptable solution for the gradual im-
plementation of the DCFTA in the Transnistrian re-
gion may be negotiated.
• There is no willingness to change the status-quo
and open the third basket dealing with political and
security issues as long as Russia doesn’t come
to an agreement with the Euro-Atlantic partners
on its role in shaping the European/global securi-
ty agenda.
• As a result of the Russian aggression in Ukrai-
ne, Transnistria became an important stake in the
the geopolitical confrontation in the region may be
observed.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 177
Größerer/regionaler Kontext
In der eurasischen Region hat Russland seine vorläu-
-
litik“ des Westens erfolgreich Einhalt geboten hat.
Russland verfügt jedoch auch weiterhin nicht über
EINGEFORENER KONFLIKT
IN GEORGIEN 2016
Giorgi Kanashvili
Weder Russland noch der Westen sind dazu bereit,
eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse in
Georgien mit Gewalt zu erzwingen, weshalb größere
Provokationen ausbleiben werden. Jegliche Revision
-
-
lich. Obwohl es zwischen Abchasien und Russland
keine offenen oder öffentlichen Konfrontationen
gibt, erscheinen wachsende Spannungen zwischen
beiden Akteuren unausweichlich. Russland wird dar-
an festhalten, sich Südossetien einzuverleiben,
wenngleich ohne rechtliche Annexion.
ausreichende Ressourcen um seinen Nachbarn die
eigenen Integrationsprojekte zu oktroyieren.
Seit Ausbruch der Ukrainekrise überdenkt der Wes-
ten seine Politik gegenüber dem Osten, ist aber nicht
bereit, entsprechende entscheidende Schritte zu set-
zen. Keine der beiden Seiten scheint genügend dar-
auf vorbereitet zu sein, den bestehenden Status quo
zu ändern. In den russisch-georgischen Beziehungen
werden daher größere Provokationen zumindest mit-
telfristig wahrscheinlich ausbleiben.
Georgischer Kontext
-
mes“ sein, der von Anfang an die Normalisierung
der georgisch-russischen Beziehungen als oberste
Priorität angesehen hat. Tatsächlich ist es dem
-
178 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
maß der Konfrontation mit Russland zu verringern
und die wirtschaftlichen, kulturellen und humanitä-
ren Beziehungen zu Russland wieder aufzunehmen,
aufzugeben.
Eine weitere vordringliche Aufgabe war die Wieder-
herstellung direkter Kontakte mit Südossetien und
Abchasien. Dabei konzentrierte man sich auf kon-
krete Projekte und darauf, politische Fragen so weit
als möglich aus den Verhandlungen auszuklammern.
Auch wenn damit kein Durchbruch erzielt wer-
den konnte, so gelang es doch, den Frieden nach-
haltig sicherzustellen sowie eine Zusammenarbeit
mit bescheidenen Ergebnissen aufrechtzuerhalten.
Obwohl dem gegenwärtigen Kurs der georgischen
Regierung wachsende Skepsis entgegenschlägt, ist
es höchst unwahrscheinlich, dass es im Wahljahr zu
einer Abkehr von dieser Politik kommt.
Abchasischer Kontext
Das wesentliche bestimmende Element für die Ent-
wicklungen in und um Abchasien bleibt auch im Jahr
2016 der sogenannte „Vertrag über das Bündnis und
die strategische Partnerschaft“. Dieser war zwar von
Russland und Abchasien gegen Ende 2014 unter-
zeichnet, tatsächlich aber Abchasien von Russland als
der EU aufgezwungen worden.
Obwohl es keine offenen oder öffentlichen Kon-
frontationen zwischen Abchasien und Russland gibt,
erscheinen dennoch wachsende Spannungen zwischen
den beiden Ländern unausweichlich. Die Hauptursa-
che der Kontroverse liegt in der Unvereinbarkeit der
Interessenlagen bezüglich der abchasischen nationalen
Zielsetzungen. Obwohl Abchasien die Unabhängigkeit
gezogen, ein Teil Russlands zu werden.
Der Vertrag, der die Zusammenarbeit zwischen Russ-
land und Abchasien in nahezu allen politischen und
gesellschaftlichen Belangen intensivieren soll, ist
daher als Versuch Russlands interpretiert worden,
die abchasische Staatlichkeit zu einer bloß symboli-
schen herabzustufen. Im Laufe des Jahres 2016 sollen
die meisten Vertragsinhalte umgesetzt werden, was
zu vermehrter Unzufriedenheit in der abchasischen
Auch wenn in jüngster Zeit leichte Änderungen im
abchasischen politischen Diskurs erkennbar waren,
lassen sowohl internationale als auch lokale Entwick-
lungen mutige politische Entscheidungen unwahr-
scheinlich erscheinen. Dennoch kann es im Jahr 2016
bei sachpolitischen Themen in begrenztem Umfang
-
gien und Abchasien kommen.
Auf abchasischer Seite könnte es zu größerer Flexi-
bilität in der Zusammenarbeit mit europäischen Län-
abzuschwächen. Deshalb sollte die EU vor dem Hin-
tergrund der jüngeren Entwicklungen ihre Politik
dem Leitprinzip „Engagement ohne Anerkennung“
– ernsthaft überdenken, und zwar insbesondere was
das „Engagement“ betrifft.
Ossetischer Kontext
-
setzungen sind die südossetischen eher irredentis-
tischer als separatistischer Natur. Letztlich möchte
Südossetien ein Teil Russlands werden. Bald nach
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 179
Abchasien unterzeichnete Südossetien im Jahr 2014
einen sogenannten „Vertrag über das Bündnis und
die Integration“ mit Russland. Während Abchasien
diesen Vertrag hauptsächlich als Bedrohung sei-
ner Souveränität betrachtet, sieht ihn Südossetien als
Zwischenschritt zu einer weiteren Integration.
Trotz Südossetiens Hoffnungen und Erwartungen
hinsichtlich einer formellen Annexion ist eine solche
einandersetzung noch lange nicht zu Ende ist. Russ-
land war mit der Instrumentalisierung von Kon-
abzugehen.
Auch wenn 2016 keine größeren Zusammenstöße der
kierungen – mit Stacheldraht und südossetischen
Hoheitszeichen – sowie Festnahmen unter dem Vor-
sche Herausforderungen bleiben.
Vor diesem Hintergrund, vor allem angesichts ver-
schlechterter Beziehungen Russlands mit dem Wes-
ten einerseits und südossetischer Anschlussbe-
strebungen andererseits, wird die Blockade der
südossetischen Frage höchstwahrscheinlich beste-
etwas werden ändern können.
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mit Stacheldraht und südo
tszeichen – sowie Festnahmen unter dem
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schlechterter Beziehungen Russlands mit dem Wes-
ten einerseits und südossetischer Anschlussbe-
strebungen andererseits, wird die Blockade der
südossetischen Frage höchstwahrscheinlich beste-
s werden ändern können.
KERNPUNKTE
• Auch wenn die Politik des „Georgischen Traums“ zu
keinem Durchbruch geführt hat, so hat sie doch –
mit bescheidenen Ergebnissen – den Frieden und
gesichert.
• Die EU sollte ihre Politik bezüglich der besetzten ge-
orgischen Gebiete – nach dem Leitprinzip „Enga-
gement ohne Anerkennung“ – ernsthaft überden-
ken, und zwar insbesondere was das „Engagement“
betrifft.
• Im Jahr 2016 kann es bei sachpolitischen Themen
in begrenztem Umfang zu einer Zusammenarbeit
zwischen Georgien und Abchasien kommen.
• Die Blockade der südossetischen Frage wird im Jahr
2016 höchstwahrscheinlich bestehen bleiben, wor-
an weder Georgien noch der Westen etwas werden
ändern können.
KEY NOTES
• Even though Georgian Dream policy has not succee-
ded in producing any breakthrough it has ensured
sustained peace and cooperation with humble out-
• In respect to new developments EU’s policy regar-
ding Georgia’s occupied territories - Engagement wit-
hout Recognition, needs serious rethinking with
special focus on the engagement component.
• Small scale and mostly issue-based Georgian-
Abkhaz cooperation may occur in 2016.
• South Ossetia is highly likely to remain in a deadlock
and beyond access for both Georgia and the West in
upcoming 2016.
180 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
an der Kontaktlinie einen neuen Höhepunkt. Erstmals
geriet auch armenisches Territorium unter Artillerie-
feuer. Dennoch ist eine Verschiebung in der regionalen
Balance der Kräfte und Interessen nicht in Sicht. Eine
Verhandlungslösung, wie sie unter OSZE-Ägide seit
1992 gesucht wird, scheitert heute in erster Linie an der
Position Bakus, die keinen Spielraum für Kompromisse
mehr offen lässt.
EINGEFRORENER KONFLIKT
UM BERGKARABACH 2016
Christoph H. Benedikter
Auch für 2016 erscheint ein Angriffskrieg Aserbaid-
schans gegen Nagorny-Karabach und Armenien we-
nig wahrscheinlich. Der wichtigste Grund dafür ist
die Position Russlands, das den Status quo wünscht
und auch in der Lage ist, ihn durchzusetzen. Die lo-
kal begrenzten Gefechte an der Kontaktlinie werden
weitergehen, sehr wahrscheinlich zumindest so hef-
tig wie 2015.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 181
Aserbaidschan – die Bürde des verlore-
nen Krieges
Bakus außenpolitische Priorität liegt seit Jahren auf der
vollständigen Revision der Ergebnisse des Karabach-
Krieges. Zu diesem Zweck wurden im letzten Jahrzehnt
beträchtliche militärische Kapazitäten aufgebaut. 2014
betrug der jährlich steigende Verteidigungsetat etwa 3,6
Mrd. US-Dollar, das sind 11,7 Prozent der Staatsausga-
ben. Dennoch wird das autoritäre Regime von Präsident
Ilham Alijew das Risiko eines Krieges nicht eingehen.
Erstens erscheint die Qualität der hochgerüsteten aser-
baidschanischen Streitkräfte zweifelhaft, und zweitens
ist von einem Eingreifen Russlands, offen oder ver-
deckt, auf Seiten Armeniens auszugehen. Überdies ist
auch der Iran an einer Stärkung Aserbaidschans nicht
interessiert, während gleichzeitig Aserbaidschans wich-
tigster Bündnispartner Türkei eine offene Konfron-
tation mit Russland und dem Iran vermeiden möchte.
Die Aufrüstung dient daher primär der Schaffung einer
Drohkulisse, die Armenien und Karabach zu einem
-
-
gen soll.
Im Rahmen von UNO und OSZE, aber auch auf bila-
teraler Ebene sucht Baku durch diplomatische Mittel
und durch Lobbying seine Ansprüche zu rechtfertigen,
wobei mit dem völkerrechtlichen Prinzip der territori-
alen Integrität argumentiert wird. Im Inland wird die
Bevölkerung mittels massiver Kriegsrhetorik auf eine
zukünftige Rückgewinnung aller Territorien einge-
schworen, was nicht zuletzt auch zur Ablenkung von
Missständen wie Repression, Korruption und absolut
Regime seine Politik in allen geschilderten Aspekten
fortsetzen, Variationen in Richtung weiterer Intensivie-
rung einzelner Facetten sind nicht auszuschließen.
Die Last des Sieges
Armenien und Karabach begegnen der Bedrohung mit
spiegelbildlichen Maßnahmen. So wurden die Streit-
kräfte im Rahmen des Möglichen aufgerüstet: 2014
auf rund 600 bis 800 Mio. Dollar, das sind bis zu 19
Prozent des de facto gemeinsamen Haushalts. Auf inter-
nationaler Ebene argumentiert die Republik Armenien
mit dem völkerrechtlichen Prinzip des Selbstbestim-
mungsrechts, das im Falle Karabachs schwerer wiege
als die territoriale Integrität Aserbaidschans. Durch sei-
nen Angriff auf Karabach 1991/92 und seine aktuelle
Haltung habe Baku den Anspruch auf die Unverletz-
als völkerrechtlich nicht anerkannter Staat auf interna-
tionaler Ebene kaum auf, ist aber paradoxerweise das
Staatswesen mit den höchsten demokratischen Stan-
dards in der Region.
Um die aserbaidschanische Drohung auszubalancie-
ren war Armenien gezwungen, sich immer stärker in
Abhängigkeit zu Russland zu begeben. Die Zusammen-
arbeit innerhalb der Organisation des Vertrags über
Kollektive Sicherheit wurde intensiviert, der Nutzungs-
bis 2044 verlängert, das Assoziationsabkommen mit der
EU nicht unterzeichnet, stattdessen ist Armenien der
Eurasischen Wirtschaftsunion beigetreten. Die arme-
nischen Eliten sind sich des schleichenden Souverä-
nitätsverlusts bitter bewusst, haben allerdings keine
Alternative.
Moskau entscheidet
Russlands Interesse liegt eindeutig in der Wahrung des
Status quo. Ein solcher zwingt Armenien – mit Kara-
bach im Schlepptau – an seine Seite und nötigt Aserbai-
182 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
dschan, nicht allzu offen gegen Russland zu agieren. Als
stärkste Regionalmacht, als Bündnispartner Armeni-
Moskau eine militärische Eskalation zu unterbinden.
mit großer Wahrscheinlichkeit „eingefroren“ bleiben.
Europa – ohnmächtiger Statist
fristig in einer dauerhaften Lösung oder Beilegung des
Energiekorridors und damit die Schaffung versorgungs-
politischen Spielraums gegenüber Russland beruht auf
stabilen Verhältnissen im Südkaukasus. Allerdings hat
die EU aktuell weder den Ansatzpunkt noch die Kapa-
Brennende Krisen mit existenzgefährdender Dimen-
sion wie die Flucht- und Einwanderungsproblematik
alle Ressourcen. Aus realistischer EU-Perspektive wird
ken) mangels Alternativen die relativ günstigere Option
darstellen.
KERNPUNKTE
•
Maßstab eines Krieges ist – auch 2016 – wenig
wahrscheinlich.
• Aserbaidschans Aufrüstung dient der Schaffung ei-
ner Drohkulisse nach außen und der Sicherung der
Repression nach innen.
• Um die aserbaidschanische Drohung auszubalan-
cieren war Armenien gezwungen, sich immer stär-
ker in Abhängigkeit zu Russland zu begeben.
•
scheinlichkeit „eingefroren“ bleiben.
• Die EU bzw. europäische Staaten haben weder den
sung wesentlich beizutragen.
KEY NOTES
•
2016 is not very likely.
• Azerbaijan’s military build-up is conceived as a th-
reat posture towards the outside world and as an
instrument of internal repression.
• To counterbalance Azerbaijan’s threat gestures, Ar-
menia had to place itself in a position of increasing
dependence on Russia.
•
lution; therefore it is very likely to remain a
•
states lack both approach and capacity.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 183
Die Türkei und der Kampf gegen den IS
Es wird angenommen, dass der IS der Schuldige hin-
ter drei verschiedenen Selbstmordanschlägen ist,
deren letzter in Ankara im Oktober 2015 mehr als
100 Todesopfer gefordert hat. Der Anschlag gilt all-
gemein als Vergeltung für die Vereinbarung, welche
die Türkei im Juli mit den USA geschlossen hat und
die Türkei zu einem vollen Mitglied der Anti-IS-Koa-
lition gemacht hat. Sie erlaubt die Nutzung türkischer
Luftwaffenstützpunkte – einschließlich Incirlik –
TÜRKEI 2016
Sinan Ülgen
Im Jahr 2016 wird sich die Türkei weiterhin einer Un-
zahl wichtiger asymmetrischer Bedrohungen gegen-
übersehen. Die wichtigste ist die Gefahr einer mögli-
chen Vergeltung durch die Terrororganisation
„Islamischer Staat“ (IS). Abgesehen von den äuße-
ren Bedrohungen muss die Türkei eine verschiede-
ne Kräfte einschließende politische Kultur heraus-
bilden, um der zunehmenden Polarisierung der
Gesellschaft entgegenzuwirken, welche die Folge
des sehr paternalistischen Regierungsstils von Prä-
184 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
durch Flugzeuge der Koalition. Auch begann die tür-
kische Luftwaffe mit direkten Angriffen auf IS-Ziele
in Syrien. Ungeachtet dieser nun aggressiveren Hal-
tung bleibt eine zentrale Schwäche der Türkei beste-
hen, die daher rührt, dass sie keine absolute Kontrolle
sicherstellen kann. Deshalb können IS-Terroristen in
die Türkei einsickern und Terrorakte begehen. Um
dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird die Tür-
Innern ihre Strategie zur Bekämpfung der Radikalisie-
rung wesentlich verbessern müssen. Zumindest einer
der Selbstmordattentäter von Ankara war türkischer
Staatsbürger aus einem türkischen Netzwerk – einem
IS-Ableger – in Adiyaman, einer Stadt im Südosten
der Türkei. Auch wurde er offenbar in syrischen IS-
-
dert passieren. Ein weiterer Selbstmordanschlag des IS
kann nicht ausgeschlossen werden.
Kreislauf der Gewalt
Ein weiterer Risikofaktor ist die Fortsetzung des
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Regierung.
Die Verhandlungen zwischen ihnen brachen zusam-
-
keit und Entwicklung (AKP) in den Wahlen vom Juni
2015 ihre parlamentarische Mehrheit verloren hatte.
Daraufhin entschied sich die Partei zu einer kompro-
missloseren Haltung gegenüber dem Kurdenproblem,
um so bei den für 1. November geplanten Neuwah-
len nationalistische Wähler zurückzugewinnen. Die
Regierung wollte einer geschwächten PKK klar sig-
nalisieren, dass diese keinesfalls von einer Verhand-
-
tungen auf einen neuerlichen Kampf gegen die Türkei
nutzen könne. Die PKK ihrerseits wollte die prokur-
dische Demokratische Partei der Völker (HDP), die
mit ihrer veränderten Rhetorik und mit größerer Hin-
wendung zu demokratischen Reformen – anstatt aus-
schließlicher Beschäftigung mit der kurdischen Frage
– in den Juni-Wahlen erstaunlich gut abgeschnitten
hatte, schwächen. Die PKK wollte ihren kurdischen
Wählern beweisen, dass sie trotz der neuen HDP ihre
führende Vertreterin bleiben wird. Die Zukunft dieses
türkischen Regierung abhängen. Eine breite Koalition
unter Einschluss der großen oppositionellen mitte-
links-stehenden Republikanischen Volkspartei (CHP)
Waffenstillstand abzielen, wiederzubeleben. Doch die
Fortsetzung der politischen Instabilität durch Neu-
Szenario ist nicht unwahrscheinlich.
Die syrische Dimension des Themas „PKK“ besteht
darin, dass die syrische Partei der Demokratischen
-
sehen wird, sowohl vom Westen als auch von Russland
als Partner im Kampf gegen den IS ausgewählt worden
-
in Ankara Bedenken hervorgerufen hat. Schließlich
-
syrien, markiert eine solche rote Linie für die Türkei.
wenn sie von den Verbündeten der Türkei im Kampf
gegen den IS unterstützt würde, zu einer türkischen
Boden und damit zu Schwierigkeiten nicht nur für
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 185
Mangels Aussicht auf ein angemessenes Leben könnte
sich eine – wenn auch insgesamt marginale – Zahl der
Flüchtlinge dem Extremismus zuwenden. Dies wird
die Türkei vor die Herausforderung einer wachsen-
den Radikalisierung der syrischen Flüchtlinge stellen,
zu rekrutieren versuchen werden. Dieses Szenario hat
eine Wahrscheinlichkeit von über 75 Prozent, sofern
nicht schneller und in größerem Umfang Maßnahmen
umgesetzt werden, die auf Basis eines umfassenden
Übereinkommens zwischen Europa und der Türkei
über die Lastenverteilung auf eine teilweise Umsied-
lung der Flüchtlinge in Europa abzielen. Eine andere
Strategie zur Minderung dieses Risikos ist die Steige-
rung der Bemühungen der Türkei selbst, die Flücht-
linge – insbesondere durch Öffnung des Arbeits-
markts – zu integrieren. Auch hier ist der Beitrag der
EU unverzichtbar.
Innere Stabilität
Der Ausgang der jüngsten türkischen Wahlen – die
Wähler haben im Zeitraum von fünf Monaten zweimal
gewählt – erlaubt wichtige Einsichten in das Wesen
der türkischen Demokratie und die Meinungen der
Bürger.
Die Juni-Wahlen galten allgemein als Referendum
-
nes Amtes zu stärken. Das Ergebnis war eindeutig.
und verlor so ihre Mehrheit, die sie, seit sie 2002 an
die Macht kam, innegehabt hatte.
Nachdem die darauffolgenden Verhandlungen keine
parlamentarische Mehrheit erbracht hatten, wählten
die Türken am 1. November erneut. Der Unterschied
den Zusammenhalt und die Einheit im Kampf gegen
den IS, sondern auch für die Aussichten einer Verein-
barung zwischen den Kurden und der Türkei führen.
Dies ist ein mögliches Szenario.
Durch das russische militärische Engagement in
Syrien ist eine direkte türkische Intervention in Syrien
zwecks Einrichtung einer Sicherheits- oder Flugver-
botszone wesentlich weniger wahrscheinlich gewor-
den. Doch die russische Militärpräsenz am Boden
und das aggressivere Verhalten syrischer und russi-
scher Flugzeuge, womit diese die türkischen Einsatz-
vorschriften auf die Probe stellen, haben das Risiko
erhöht, dass es im umstrittenen Teil des syrischen
Luftraums zu einer unbeabsichtigten militärischen
Konfrontation kommen könnte. Auch dies ist ein
mögliches Szenario.
Syrische Flüchtlinge und Radikalisierung
Von der riesigen Anzahl derzeit in der Türkei aufge-
nommener syrischer Flüchtlinge geht eine große und
zugleich langfristige sicherheitspolitische Herausfor-
-
nen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Zwar halten
sich 300.000 von ihnen in für sie errichteten Lagern
auf, doch ist der große Rest über das ganze Land ver-
teilt. Die Syrienkrise wird gewiss in der absehbaren
Zukunft andauern, sodass jedenfalls für die nächs-
ten zwölf Monate nicht erwartet werden kann, dass die
Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren. Tatsäch-
lich wird sich angesichts der weitergehenden Kämpfe
in Syrien die Anzahl syrischer Flüchtlinge in der Tür-
kei in nächster Zeit wahrscheinlich erhöhen und damit
die türkische Politik auch vor eine gewaltige sicher-
heitspolitische Herausforderung stellen.
186 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die Türkei wird sich im Jahre 2016 einer Unzahl von Bedrohungen – an erster Stelle im Kampf gegen die Ter-
rororganisation „Islamischer Staat“ – gegenübersehen.
• Um dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird die Türkei eine bessere physische Kontrolle ihrer Grenze mit
Syrien sicherstellen müssen.
• Gleichzeitig wird die Türkei ihre Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung im Innern wesentlich verbessern
müssen.
• Die türkischen Wähler wollen zwar eine starke und stabile Regierung, aber keine, die einen paternalistischen
• Die Türkei wird sich jener Herausforderung gegenübersehen, die von einer wachsenden Radikalisierung der sy-
rischen Flüchtlinge ausgeht.
KERNPUNKTE
•
on “Islamic State”.
• In order to totally mitigate this risk, Turkey will need to ensure a better physical control of its border with Syria.
•
home.
• Turkey’s voters want a strong, stable government, but not one that favors much a heavily paternalistic style.
• Turkey will face the challenge of the growing radicalization of the Syrian refugee population.
Bedr
sehe
• Um dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird d
rien sich
g wird die Türkei ihre Stra
KTE
d sich im Jahre 201
„Islamischer S
weitgehen
müss
zu den Juni-Wahlen hätte kaum größer sein können.
Dieses Mal wurde die Wahl hauptsächlich als Abstim-
mung über eine Fortsetzung der Ein-Parteien-Herr-
schaft betrachtet. Die AKP erreichte 49 Prozent und
damit eine komfortable Mehrheit.
die AKP, wie wichtig eine Mehrheit der Partei für die
politische Stabilität sei. Dem hielt die Opposition das
Argument entgegen, dass eine Koalitionsregierung der
tiefen politischen Polarisierung des Landes entgegen-
wirken und stärkere Checks and Balances etablieren
würde. Das Versprechen von Stabilität traf auf größe-
ren Widerhall.
Die wichtigste Falle, die es für die neue Regierung
im Jahr 2016 zu vermeiden gilt, ist eine Rückkehr zu
einem ausgeprägt paternalistischen Regierungsstil.
Mit ihrer großen Mehrheit im Rücken sollte die AKP
anfangen, Minderheitsmeinungen und friedlichen
Widerspruch mit größerem Wohlwollen zu betrachten,
wie es sich für ein Land gehört, das über einen Bei-
tritt zur Europäischen Union verhandelt. Die Lehre
aus den beiden Wahlen ist klar: Die türkischen Wähler
wollen eine starke und stabile Regierung, aber keine,
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 187
IRAN 2016
Reinhard Meier-Walser
Die außenpolitische Priorität der Regierung des mo-
deraten geistlichen Hassan Rohani und seines west-
lich geprägten Außenministers Mohammad Dscha-
wad Zarif gilt seit der im Juli 2015 in Wien
eines „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA)
-
ners der internationalen Gemeinschaft, der sich
konstruktiv an der Lösung der mittelöstlichen Kri-
-
men diplomatischen Öffnung des Landes wird im In-
Außenpolitische Ambitionen
Das Streben Teherans nach außenpolitischem Pres-
tige hat bereits erste Früchte getragen. Die USA gaben
neren von starken konservativen Gegenkräften
ebenso heftig bekämpft wie Präsident Rohanis Re-
lativierung des Stellenwertes islamisch-revolutionä-
rer Prinzipien zugunsten der Bekämpfung politischer
Alltagsprobleme wie der wachsenden Arbeitslosig-
keit und der sinkenden Geldwertstabilität.
188 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ihren Widerstand gegen eine Beteiligung Teherans zur
iranischen Außenminister Zarif als Verhandlungspart-
ner bei der länderübergreifenden Syrien-Konferenz
Ende Oktober 2015 in Wien. Hinter diesem Kurswech-
sel Washingtons verbirgt sich die unstrittige Erkennt-
nis, dass der Iran als wichtiger Bündnispartner des
der Zukunft des gegenwärtig im Bürgerkrieg versinken-
den Landes spielt.
Die Rolle des Iran in der europäischen
Flüchtlings- und Migrationskrise
Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlings-
krise, zu deren eminentesten Ursachen die katastropha-
len Zustände in Syrien zählen, wird Teheran angesichts
-
kus auch in den Schaltzentralen der EU und der euro-
päischen Hauptstädte im Jahr 2016 weiter an politi-
In Washington wurde mit dem erfolgreichen Abschluss
der Atomverhandlungen generell die Hoffnung verbun-
den, auf der Basis gemeinsamer Interessen, etwa gegen-
über der Terrormiliz des selbsternannten „Islamischen
Staates“ (IS) und gegenüber den Taliban in Afghanis-
tan, zu einer Form sicherheitspolitischer Kooperation
wiederum zu einer weiteren Verbesserung der Bezie-
hungen führen könnte.
Regionaler Machtfaktor
Mit Sorge wird in Washington allerdings registriert,
dass der Iran in jüngster Zeit international wesent-
lich forscher auftritt und kaum noch Zweifel an seinem
Anspruch auf regionale Vorherrschaft aufkommen lässt.
Dies löst auch bei anderen Staaten des Mittleren Ostens
Bedrohungsperzeptionen aus und führt insbesondere
sunnitischen Saudi-Arabien und seinem schiitischen
Iran die gewaltigen Einnahmen, die er durch die For-
der Sanktionen erlangt, in den Auseinandersetzungen
Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen instrumenta-
-
pen wie die Hisbollah und die Hamas im Jahr 2016 aus-
weiten wird.
Beziehungen zu den USA
-
rikanischen Hoffnungen auf diplomatisches Tauwet-
ter mit Teheran ferner durch Aussagen des Obersten
der nach dem Kompromiss von Wien einer Ausdeh-
nung der Kontakte zu Washington nicht nur eine strikte
Absage erteilte, sondern sogar betonte, dass Teheran auf
eine „Fortsetzung des Kampfes gegen Amerika“ vorbe-
reitet sein müsse. Aufgrund der auch von ihm erkann-
ten Priorität der Aufhebung der Sanktionen billigte
Khamenei jedoch den JCPOA, weswegen seine schar-
der Beschwichtigung konservativ-klerikaler Kreise ver-
standen werden können.
Dass die Wiener Atom-Vereinbarung von den konserva-
tiven Hardlinern abgelehnt wird, hängt zum einen mit
deren prinzipieller Kritik an Vereinbarungen mit dem
„Erzfeind“ Amerika, zum anderen mit der berechtig-
ten Mutmaßung zusammen, dass der außenpolitische
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 189
Erfolg der Regierung Rohani, die erwartete Aufhebung
der Sanktionen zu Beginn des Jahres 2016 und der sich
daran anschließende wirtschaftliche Aufschwung auch
innenpolitische Machtverschiebungen nach sich ziehen
werden.
Innerer Machtkampf
mit Revolutionsführer Khamenei als höchster Autori-
tät gekennzeichnet ist, tobt seit langem ein erbitterter
Machtkampf zwischen konservativen Hardlinern, Prag-
matikern und Reformern, der am 26. Februar 2016 in
eine entscheidende Phase treten wird. An diesem Tag
werden zum einen die 290 Abgeordneten des „Mad-
schles“, des iranischen Parlamentes gewählt, in dem
gegenwärtig die sich als „Prinzipalisten“ bezeichnenden
Hardliner über eine Zweidrittelmehrheit verfügen, die
Anhänger Präsident Rohanis hingegen lediglich über
etwa 25 Prozent der Sitze. Zum anderen werden am
26. Februar auch die 86 Mitglieder des Expertenrates
gewählt. Diesem Votum kommt eine besondere Bedeu-
tung deshalb zu, weil der Rat, dessen Vorsitz gegenwär-
tig der Reformbefürworter und frühere Staatspräsident
Ayatollah Ali Akbar Haschemi Rafsandschani inne-
hat, den Nachfolger von Revolutionsführer Khamenei
bestimmt, der seit 26 Jahren an der Spitze des Landes
steht und nach Angaben gut informierter Kreise ernst-
haft erkrankt ist.
Im Vorfeld der Doppelwahlen wird der Ton zuneh-
mend rauer, die Auseinandersetzung spitzt sich zu, auch
weil Präsident Rohani selbstbewusst angekündigt hat,
es werde 2016 „freie Wahlen“ ohne vorherige Zulas-
sungsbeschränkungen geben. Das war eine Kampf-
ansage an den von den Konservativen dominierten
-
lichen Zuschnitts, das in der Vergangenheit immer wie-
der unbequemen Kandidaten im Vorfeld von Wahlen
die Teilnahme verweigert hatte.
Privilegierter Ansprechpartner Österreich
Ungeachtet der Frage der Zukunft des moderaten Fort-
schrittskurses der Regierung Rohani wird Österreich
für den Iran auch weiterhin die Rolle eines privile-
gierten Ansprechpartners spielen. Iranische Diploma-
ten, die aufgrund der Jahrtausende alten Kultur ihres
Landes traditionell in langfristigen Kategorien den-
ken, haben wiederholt betont, dass Österreich ihrem
gestanden hat“. Die Favorisierung Wiens für die ent-
scheidenden Phasen der Atomverhandlungen durch die
Regierung Rohani belegt, dass die Donaumetropole in
Teheran nach wie vor als Relaisstation zur westlichen
Welt wahrgenommen wird und Wien für den Iran das
„Tor nach Europa“ darstellt. Diese zentrale Rolle Öster-
reichs im strategischen Denken der politischen Eliten
des Iran hat sich im Laufe der guten und regen Zusam-
menarbeit, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht,
nicht verändert und wird auch im Jahr 2016 beibehal-
ten werden.
Für Österreich bietet die Beendigung des Sanktions-
regimes gegen den Iran im Jahr 2016 darüber hinaus
zum einen neue Chancen für die heimische Export-
wirtschaft, zum anderen eröffnen sich realistische Per-
spektiven, um die Bezugsquellen fossiler Energieträger
breiter zu streuen und die Abhängigkeit von russischen
Erdgasimporten zu relativieren.
190 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Mit der Beilegung des Atomstreits endete die west-
liche Isolierung des Iran, der nun sogar vom „Erz-
feind“ USA als Gesprächspartner zur Lösung der mit-
für Europa wegen der Flüchtlingskrise an Bedeutung
gewinnt.
• Diesen Prestigegewinn als internationaler „Partner“
setzt der Iran allerdings durch eine riskante Politik
hegemonialer Ansprüche in der Region und durch
die Kontinuität seiner Unterstützung bewaffneter
Gruppen wie Hisbollah und Hamas aufs Spiel.
• Im Inneren des Iran spitzt sich die Auseinanderset-
zung zwischen pragmatischen Befürwortern einer
behutsamen Öffnung des Landes und konservativen
Hardlinern im Vorfeld der Parlaments- und Experten-
ratswahlen im Februar 2016 zu.
• Obwohl die Konservativen im inneriranischen Sys-
tem konkurrierender Machtzentren über größeren
matikern der in der Folge der Aufhebung der Sank-
tionen erwartete wirtschaftliche Aufschwung in die
Hände.
• Österreich bleibt für den Iran weiterhin ein privi-
legierter Partner, Wien für Teheran das „Tor nach
Europa“.
KEY NOTES
• The resolution of the nuclear dispute ended Iran’s
isolation by western countries. The country went
from being the US’ “arch-enemy” to its dialogue
Europe because of the refugee crisis.
• Iran is risking its new prestige as an international
partner by bold hegemonic claims in the region and
by its continuous support of armed groups such as
Hezbollah and Hamas.
• In the run-up to the parliamentary and Assembly of
Experts elections, the confrontation within Iran bet-
ween pragmatic advocates calling for a careful ope-
ning of the country and conservative hardliners is
worsening.
• The economic upswing that is to be expected be-
cause of the lifting of sanctions plays into the hand
of reformers and pragmatist.
• For Iran, Austria will remain a privileged partner and
Vienna “the door to Europe”.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 191
AFGHANISTAN 2016
Michael Semple
Afghanistan steht vor einer Krise, die aufgrund der
gegenwärtigen demographischen und politischen Si-
tuation sowie aus einer prekären Sicherheitslage
heraus entstanden ist. Die anhaltende Gewalt auf-
ständischer Gruppierungen sowie eine nicht nach-
haltige Sicherheitspolitik wirken sich auf potentielle
Investitionen abschreckend aus. Dadurch werden
notwendige Reformen verzögert und verfassungs-
mäßig festgelegte Fristen unterlaufen. Das erhöht
den Migrationsdruck in Richtung Europa und stärkt
die Netzwerke islamistischer Fundamentalisten.
192 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Konstitutionelle Politik
Angesichts einer ruhelosen politischen Klasse und
schwacher Institutionen wird die Regierung gezwun-
zu verbessern. Die für 2015 angesetzt gewesenen Par-
lamentswahlen sind verschoben worden. Ein Verfas-
sungskonvent ist für 2016 geplant. Für die Regierung
wird es schwer, zum einen die Parlamentswahlen ein-
zuhalten und zum anderen einen Konsens bei der Ver-
fassungsreform zu erreichen. Verliert die Regierung an
Legitimität, kommt es zu mehr Dissens zwischen ihr
und den politischen Entscheidungsträgern. In diesem
Fall könnten politische Machtspieler und opportunis-
tische Kräfte versuchen, eine Übergangsregierung zu
schaffen. Die Regierung könnte diese Herausforderun-
gen nur dann meistern, wenn sie angesichts des dro-
henden Chaos Einigkeit signalisiert. Die Regierung
könnte eventuell von einer weiteren Krise betroffen
sein, sollte der amtierende Präsident seine Aufgaben
nicht mehr erfüllen können und sollten die entschei-
denden Machthaber die Anwendung des Verfassungs-
artikels 67 blockieren, gemäß dem die Macht proviso-
risch in die Hände des Vizepräsidenten übergeht.
Afghanistan wird weiterhin von Aufständen unter
Führung des afghanischen Taliban-Regimes betrof-
fen sein. Diese nützen Pakistan als „sicheren Hafen“.
ihrer Kontrolle stehen, erweitern. Sie verhindern der
Regierung den Zutritt zu etwa einem Drittel der Dis-
trikte und machen das Reisen auf allen nationalen
Routen unsicher. Die Sicherheitslage wird sich 2016
nur unwesentlich von der im Jahr 2015 unterschei-
wenn sich die Regierungstruppen aus immer mehr
gelingt, spektakuläre Angriffe in den Städten durch-
die Al-Kaida (die den pakistanischen Staat bekämp-
fen) werden ihre Präsenz in Afghanistan weiter aus-
bauen. Der lokale Ableger der Terrormiliz „Islami-
scher Staat“ wird weiterhin präsent bleiben. Er wird
ein Zehntel der von den Taliban eingesetzten Kämpfer
kommandieren.
Die afghanischen Sicherheitskräfte werden sich mehr
auf die einheimischen Hilfskräfte, Einsätze von Spe-
-
sen müssen.
Es wird zu keinem substanziellen Fortschritt für einen
Friedensvertrag mit den Taliban kommen. Beide Sei-
ten werden unrealistische Forderungen stellen, den
jeweils anderen zur Kapitulation aufrufen aber lang-
fristig einen militärischen Sieg anstreben. Die konti-
nuierliche militärische Unterstützung der USA wird
ein wesentlicher Bestandteil der militärischen Opera-
tionen der afghanischen Regierung sein. Jedoch wird
Pakistan wegen der unsicheren Zukunft in Afghanis-
tan keine Schritte mehr gegen die Taliban auf seinem
Territorium unternehmen. Die Sorge der Afghanen
-
gen mit der pakistanischen Regierung belasten und
den grenzüberschreitenden Handel untergraben.
Wirtschaftliche Entwicklungen 2016
Die Krise wird zu einer Verschlechterung bei den
Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplät-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 193
zen führen. Zu Wachstum wird es in illegalen oder
informellen Sektoren der Wirtschaft wie etwa im
Bereich des Drogenanbaus und des Bergbaus kom-
auf soziale Investitionen drücken. Regelmäßige Ein-
im öffentlichen Bereich verstärken das Ausmaß der
gesellschaftspolitischen Krise.
Soziale und kulturelle Entwicklungen
In einigen wenigen Bereichen wie den Medien oder
der Zivilgesellschaft können Fortschritte erzielt wer-
den. Sie bleiben weiterhin unabhängig, frei und offen,
zumindest dort, wo sie nicht von den Taliban kont-
rolliert werden. Wie auch immer, die Frustration über
eine unsichere, schlechte Zukunft wird heftige Kritik
an der Regierung hervorrufen. Dies könnte sporadisch
zu Protestaktionen führen und die Unterstützung der
Idee eines radikal-islamistischen Staates fördern.
Auswirkungen auf Europa
Die gesellschaftspolitische Krise wird die illegalen
Ausreisen aus Afghanistan noch erhöhen, was zu einer
zahlenmäßigen Verdoppelung im Vergleich zu 2015
führen könnte. In den Nachbarstaaten Iran und Paki-
stan wird es zu einer Begrenzung der Aufnahmen von
Afghanen kommen. Die meisten, die Afghanistan ver-
lassen, werden versuchen, die Türkei und Europa zu
erreichen. Außerdem werden spektakuläre Anschläge
und Unruhen in den Städten die Frage aufwerfen, ob
es überhaupt zulässig ist, abgewiesene Asylsuchende
wieder nach Afghanistan zurückzuführen. Die Aus-
breitung militanter Netzwerke in Afghanistan könnte
zu einer Radikalisierung südasiatischer und afgha-
nischer Muslime in Europa beitragen und die Wahr-
scheinlichkeit erhöhen, dass Afghanistan wieder ein
Ursprung für Anschläge in Europa wird.
Positive Alternativen
Eine Alternative zur geschilderten gesellschaftspo-
litischen Krise könnte das Bemühen der Regierung,
das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen,
sein. Hierzu sind allerdings sichtbare Anti-Korrup-
tions-Maßnahmen, eine verbesserte Politik der Ernen-
nung hochrangiger Beamter, eine Einigung über eine
Wahlrechtsreform sowie eine hartnäckige Haltung
-
lich. Eine Verbesserung der staatlichen Führung und
Unterstützung der Sicherheitskräfte könnte den Ein-
-
lichte Waffenstillstandsvereinbarung hat lediglich eine
gering Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung. Mit einer
überarbeiteten Strategie für Frieden könnte die Regie-
rung jedenfalls immer noch lokale Vereinbarungen
und Waffenstillstände ermöglichen. Somit könnten
Meinungsverschiedenheiten reduziert werden und die
„Kriegsmüdigkeit“ der Taliban für eine Deeskalation
genützt werden.
Internationales Engagement in
Afghanistan
Die von der NATO geführte „Resolut Support Mis-
sion“ (RSM) zur Beratung und Unterstützung der
afghanischen Sicherheitskräfte wird auch 2016 wei-
ter bestehen. Die Taliban versuchen, mit Unterwande-
rung und terroristischen Aktivitäten eine Eskalation
-
heitskräfte werden daher 2016 unter erhöhtem Druck
stehen. Es dürfte zu einer zunehmenden Diskrepanz
zwischen dem akuten Bedarf des afghanischen Mili-
194 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
tärs (Luftunterstützung, Ausrüstung, Finanzierung
und Personal) und dem Mandat der RSM kommen.
Solange die USA sich weiterhin zu ihrem Engagement
in Afghanistan bekennen, dürften auch die NATO-
Verbündeten weiterhin die RSM unterstützen und die
afghanische Regierung die Mission auch 2016 als Sym-
bol der internationalen Hilfe im Land aufnehmen.
Finanzierung
t der RSM
terhin
nen, d
rhin
ieru
tionnalen Hilfe im Land aufnehmen.
KERNPUNKTE
• Afghanistan steht vor einer gesellschaftspolitischen Krise mit in- und externen Faktoren.
• Die Gewalt wird Ausgaben für den Sicherheitssektor unwirksam machen, Investitionen abschrecken, Reformen
verzögern und die Einhaltung verfassungsmäßiger Fristen verhindern.
• Die Krise in Afghanistan wird den Migrationsdruck auf Europa erhöhen; zudem wird die Rückführung von af-
ghanischen Migrantinnen und Migranten erschwert.
•
Terrorbedrohung in Europa vergrößern.
• Die afghanische Regierung hätte Möglichkeiten, die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft zu verringern.
KEY NOTES
• Afghanistan faces a crisis with both internal and external drivers.
• Violence will impose unsustainable security expenditure, deter investment, delay reforms and scuttle constitu-
tional deadlines.
• There will be increased migration of Afghans towards Europe and obstacles to their repatriation
• An expanded militant Islamist presence in Afghanistan will inspire radicalisation in Europe and may generate
terrorist threats against Europe.
• There are opportunities to promote better outcomes by reducing the violence.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 195
Frage der Nachfolge in Kasachstan und
Usbekistan
Kasachstan und Usbekistan werden in absehbarer Zeit
mit der kritischen Frage der Nachfolge ihrer beide Lang-
zeit-Führer konfrontiert sein. Die Präsidenten Kasachs-
ENTWICKLUNGEN IN
ZENTRALASIEN 2016
Ilya Zaslavskiy
Für Zentralasien beginnt eine Zeit verstärkten regio-
nalen Drucks. Wegen großer Schwankungen lokaler
Währungen waren alle Staaten Zentralasiens schon
2015 mit Abwertungen konfrontiert. Diese oder zu-
mindest große Währungsschwankungen wird es
auch weiter geben. Die niedrigen örtlichen Preise für
Kohlenwasserstoffe spielen eine Schlüsselrolle für
die Energie produzierenden Länder wie Kasachstan,
Turkmenistan und Usbekistan. Geldtransfers aus
dem wirtschaftlich gebeutelten Russland – insbe-
sondere nach Kirgistan, Tadschikistan und Usbekis-
von dem sich verlangsamenden Wirtschaftswachs-
tum Chinas, von der steigenden Bedrohung durch
den so genannten „Islamischen Staat“ und von den
Entwicklungen in Afghanistan betroffen. Diese Ent-
wicklungen werden sich 2016 fortsetzen.
196 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
tans Islam Karimov ist 75, Usbekistans Präsident Nursul-
tan Nasarbajew 77 Jahre alt. Keiner von beiden hat einen
Sohn, womit die Nachfolgefrage grundsätzlich durch
Absprachen zwischen den Präsidentenfamilien und eini-
gen wenigen mächtigen Clans entschieden werden wird.
In keinem der beiden Länder zeichnet sich bislang ein kla-
rer Kandidat ab. Russland nützt seine Kanäle und beein-
Falls einer der beiden Präsidenten im nächsten Jahr ster-
-
fügt der Kreml über erstklassige „Machtagenten“ in bei-
den Ländern mit jeweils engen sicherheitspolitischen
Verbindungen nach Russland, so zum Beispiel den Neffen
von Präsident Nasarbajew, Samt Abysh, der in Russland
studiert hat und leitendes Mitglied des kasachischen Aus-
schusses für Nationale Sicherheit ist.
Steigende islamistische Bedrohungen
In den zentralasiatischen Regierungen wird mit wachsen-
der Beunruhigung der Zulauf hunderter junger Staatsbür-
ger zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beobachtet.
Die Reaktionen darauf sind allerdings manchmal nicht gut
durchdacht. Tadschikistan zum Bespiel hat alle islamischen
Parteien verboten und schließt damit 2016 auch moderate
Muslime aus dem politischen Prozess aus. Turkmenistan
-
rungen sowie mit Einschränkungen beim Betrieb sozia-
ler Treffpunkte in der an Afghanistan grenzenden Region
Mary. Turkmenistan wird diese Vorgangsweise auch 2016
-
ins Spiel. Über die Organisation des Vertrages über Kol-
lektive Sicherheit will Russland 2016 sein Bestreben nach
Macht in Zentralasien umsetzen. Turkmenistan wird sich
wahrscheinlich dem russischen Druck mit indirekter Hilfe
von NATO und den USA widersetzen können. Tadschiki-
stan aber wird die in Teilbereichen größere russische Mili-
tärpräsenz im Lande akzeptieren.
Konkurrenz regionaler Wirtschaftseinheiten
Russland und China werden auch 2016 regionale ökono-
mische Konzepte und Projekte vorantreiben, insbeson-
dere die Eurasische Wirtschaftsunion und das Wirtschafts-
programm „Neue Seidenstraße“. Kasachstan wird dabei
wegen seines vor kurzem erfolgten Beitritts zur Welthan-
delsorganisation WTO und seinen Bestrebungen nach
meisten umkämpft sein. 2016 wird Astana in die Schaffung
der Infrastruktur für die EXPO 2017 investieren. Diese
soll nach der Weltausstellung zur Errichtung eines interna-
tionalen Finanzzentrums genutzt werden. Bei den Funk-
tionalitäten des neuen Finanzzentrums wird sich Kasach-
stan nach dem Vorbild Dubais richten und sich nicht von
den Entwicklungen in der Eurasischen Union, wo Russ-
land versuchen würde, die Pläne zu behindern, abhän-
gig machen. Kirgistan wird nach seinem „demokratischen
Flirt“ sehr wahrscheinlich in Richtung einer absoluten
kremlfreundlichen Autokratie abdriften. Die durchlässigen
-
ströme aus China dürften zu wachsenden Spannungen
zwischen Russland, Kasachstan und China führen.
Unsichere Zukunft großer Energieprojekte
Turkmenistan wird höchst wahrscheinlich den Bau der
die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Pipeline ist ange-
sichts der anhaltend unsicheren Lage in Afghanistan wei-
terhin offen. Es wird weitere Verhandlungsrunden zum
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 197
es jedoch wegen des niedrigen Ölpreises und der ablehnen-
den Haltung Russlands und des Irans nur zu kleinen Fort-
schritten kommen wird. China wird wahrscheinlich seine
Expansion in Zentralasien über die Transportwege entlang
der Turkmenistan-Usbekistan-Tadschikistan-Kirgistan
Linie auch 2016 vorantreiben. Dennoch wird sich die chi-
nesische Expansion nach Zentralasien wegen der schwä-
chelnden chinesischen Wirtschaft und dem Rückgang von
Energieimporten verlangsamen. Der Verkauf iranischen
Öls am freien Markt wird angesichts sinkender Ölpreise
und neuer Optionen für gemeinsame Energieprojekte zu
einem Paradigmenwechsel bei der Industrie führen.
Auswirkungen auf Europa
Europa sollte den zentralasiatischen Regierungen vor-
schlagen, sich einer vorsichtigeren Finanzpolitik zu ver-
gen wann immer möglich zu verhindern. Die NATO sollte
erkennen, dass Zentralasien ein Ausgangspunkt für neue
Spannungen mit Russland sein kann. Dies besonders des-
halb, da der „Westen“ in der Region erhebliche Verwund-
barkeiten aufweist, die vom Kreml ausgenützt werden
könnten. Die EU darf einer neuen Stationierung russischer
Truppen in der Region mit der Begründung einer Bedro-
hung durch den IS keinesfalls zustimmen. Demgegenüber
sollte die Überprüfung objektiv gesammelter Informatio-
nen über die Entwicklungen in Afghanistan gefördert und
diese mit den Ländern Zentralasiens ausgetauscht werden.
Das Engagement in der WTO und der Handel mit der EU
sollten auf allen Ebenen gefördert werden, insbesondere
im Fall Kasachstan. Die EU sollte das transkaspische Pro-
jekt neuerlich offen evaluieren und prüfen, wie stattdessen
die Kooperation mit dem Iran für die regionale Energie-
versorgung genutzt werden könnte.
KERNPUNKTE
• Zentralasien geht in Richtung steigender Instabilität
auf vielen Ebenen.
• Kasachstan und Usbekistan sehen sich mit bevor-
stehenden Nachfolgeproblemen konfrontiert.
• Russland könnte die IS-Bedrohung für die Stärkung
• Kasachstan und Kirgistan sehen sich mit vermehr-
ten Spannungen innerhalb der Eurasischen Union
und anderen Handelsallianzen konfrontiert.
• Niedrige Energiepreise und die schwächelnde Wirt-
schaft Chinas üben Druck auf den Kohlenwasser-
stoff-Sektor aus.
• Die Aufhebung der Iran-Sanktionen könnte neue
wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen.
KEY NOTES
• Central Asia enters a period of increased instability
on multiple levels.
• Kazakhstan and Uzbekistan face looming successi-
on problems.
• Russia may play up ISIS threat to re-install its regio-
• Kazakhstan and Kyrgyzstan face tensions within
EEU and other trade alliances.
• Low energy prices and the slowdown in China de-
press hydrocarbon sector.
• However, lift of Iran’s sanctions can open new eco-
nomic options.
198 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Arabische Welt im Umbruch
Entgegen Prognosen verschiedener westlicher Staaten
ist der syrische Präsident Baschar al-Assad immer noch
an der Macht, liefern die USA mittlerweile auch Waf-
fen an nicht-moderate Rebellengruppen, ist die syri-
STRATEGISCHE LAGE IM
NAHEN UND MITTLEREN
OSTEN 2016
Guido Kraus
Die Region Middle East-North Africa (MENA) erlebt –
ausgelöst durch den „Arabischen Frühling“ und das
Aufbrechen diktatorischer Regime in Form eines po-
litischen Tsunamis – einen Umbruch und eine damit
einhergehende Machtverschiebung, deren Ausgang
völlig unklar erscheint.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 199
sche Opposition inklusive der Freien Syrischen Armee
(FSA) in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht und hat
die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) überraschend
schnell militärische Erfolge – auch gegen die durch
den Westen neu aufgestellte irakische Armee – erzielt.
Eine genaue Prognose nach westlichen Denkmustern
ist daher schwierig. Parallel zu den Kampfhandlungen
werden die Krisendiplomatie und der Versuch zu einer
politischen Lösung weiterhin beschritten.
Nachdem der Sykes-Picot-Plan und somit das westli-
che/europäische Machtregime im Nachgang des Ers-
ten Weltkriegs gescheitert ist, besteht der dringende
Bedarf, die politische Landkarte des Nahen und Mitt-
leren Ostens (NMO) durch die dortigen Stakeholder
Wenn wieder eine politische Ordnung nach westli-
cher Prägung aufoktroyiert werden sollte, darf nicht
auf eine nachhaltige Beruhigung, die im NMO immer
relativ zu verstehen ist, gehofft werden.
Russisches Engagement in Syrien
Der Eintritt Russlands mit militärischen Kräften in
-
benden Alawitenenklave hat zu einer Negativdynami-
sierung und zur weiteren Verkomplizierung der Kon-
deuten aufgrund der erkennbaren Fähigkeiten nicht
angestrebt wird. Selbiges ist auch für das intensivierte
militärische Vorgehen Frankreichs nach den Terroran-
schlägen in Paris im November 2015 anzunehmen.
Somit ist keine der involvierten Parteien, ob lokal,
regional oder global, potent genug, um eine (militä-
rische) Entscheidung in absehbarer Zeit erzwingen
zu können. Daher gehen einzelne Analysten bereits
davon aus, dass es zu einem noch jahrelangen Abnüt-
zungskrieg zwischen den verschiedenen Fraktionen
kommen könnte. Das würde ein weiteres grausames
und menschenverachtendes Blutvergießen auf Kosten
der Bevölkerung bedeuten.
Gleichgewicht des Schreckens
-
-
wirkungen einer erzwungenen Lösung für die Region
äußerst schwierig abzuschätzen sind, haben die globa-
len Stakeholder kein Interesse, die Situation unmittel-
bar und nachhaltig aufzulösen. Die EU ist hingegen
durch Migrationsdruck und Terrorbedrohung direkt
betroffen, jedoch aufgrund ihrer politischen Ausrich-
tung an einer militärisch basierten Lösung nicht inter-
essiert – auch wenn Frankreich aufgrund der direkten
Betroffenheit alles unternimmt, um ein europäisches
Vorgehen zu initiieren. Die EU fand aber andererseits
auf der rein diplomatischen Ebene in der Region bis-
ausreichend, um der Region Frieden und Stabilität
zu bringen. Solange der Preis für die Machthaber in
der Region nicht hoch genug ist, wird es vorerst auch
kein Einlenken und keinen Kompromiss geben kön-
nen. Dadurch müssen die Unterstützer für die kämp-
ihre Anstrengungen zumindest auf dem selben Niveau
abzusichern.
Israel
Israel hält sich vordergründig aus dem Spiel und sieht
sich als stabilisierender Faktor im Auge des Hurrikans.
200 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
um bei allfälligen Positionsverschiebungen die poli-
tische Verschränkung speziell mit Jordanien, Ägyp-
ten und Saudi-Arabien intensivieren zu können. Nichts
Sicherheit des Landes unterschiedliche Mittel und
Maßnahmen zu ergreifen, die auch den Einsatz der
Luftstreitkräfte sowie „aktive Schläge“ außerhalb Isra-
els mit einschließen.
Um die seit mehreren Monaten sich permanent ver-
schlechternde Sicherheitslage in der West Bank und in
(Ost-)Jerusalem zu bewältigen, beabsichtigen die israe-
lischen Streitkräfte die Etablierung einer noch stärke-
ren Präsenz in Judäa und Samaria. Dazu sollen gemäß
Medienberichten ab Jänner 2016 auch vermehrt Reser-
visten einberufen werden, um den erhöhten Kräftebe-
darf zu decken. Daher ist mit einer deutlichen Dees-
kalation in der West Bank und Jerusalem vorerst nicht
der „Hudna“ (Waffenruhe) eingelassen. Die militäri-
schen Kapazitäten auf Hamas-Seite werden weiter auf-
gebaut und neue Wege der asymmetrischen Kriegsfüh-
rung ausgeklügelt.
Die politische Führung der Hamas konterkariert wei-
terhin die „Fatah-Brüder“ und ihre Vorstöße, bleibt
jedoch aufgrund der Lage in Ägypten und am Sinai
etwas isoliert und muss sich vorerst den Vorgaben
ihrer Unterstützer – vornehmlich von der arabischen
Halbinsel – beugen. Diese Inaktivität gegenüber Israel
-
-
Türkei, Saudi-Arabien und der Iran
Die sicherheitspolitische Lage in der Region dürfte die
Türkei in ihrer Brückenfunktion vor allem gegenüber
Europa und den USA sehr geschickt zur Durchsetzun-
gen ihrer eigenen Interessen in der Region sowie gegen-
stärkt es den türkischen Präsidenten innenpolitisch und
gegenüber der EU bzw. erhält er mehr Handlungsfrei-
heit in seinem Kampf gegen die Kurden.
Auch nutzen andere „Spieler“ die Situation, um ihre
Positionen abzusichern bzw. auszubauen. Die Hauptver-
antwortlichen für die regionalen Spannungen bleiben
jedoch weiterhin Saudi-Arabien und der Iran. Unklar
bleibt, wie weit das Atomabkommen und die damit ver-
bundenen Sanktionslockerungen die Lage beruhigen
können. Ebenso problematisch ist eine eindeutige Prog-
nose auf der saudischen Seite mit dem nicht mehr ganz
jungen König und dessen neuen Entscheidungsträgern.
Terrormiliz „Islamischer Staat“
Beim IS stellt sich die Frage „Cui bono?“ – wem hilft
-
scheidung und das Bestreben, dass es den IS in dieser
Ausprägung und vor allem mit dieser Machtfülle nicht
mehr geben sollte, könnte der IS – natürlich nur mit
Hilfe westlicher militärischer Unterstützung – wesent-
lich stärker eingedämmt bzw. bis auf mögliche Splitter-
zellen zerschlagen werden.
Auswirkungen auf Österreich und die EU
Die Entwicklungen aufgrund des Migrationsdrucks
sowie die Terroranschläge in Verbindung mit den
Maßnahmen zur Terrorbekämpfung in Europa haben
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 201
im Wesentlichen die Richtung und möglichen Aus-
wirkungen für Österreich und Europa für 2016 sehr
offensichtlich dargestellt. Aufgrund der rasant anstei-
genden Asylzahlen und Prognosen für 2016 sowie des
ist die Aufnahmekapazität limitiert. Daher wird vor
allem die Aufteilungsfrage die innenpolitische Frag-
mentierung der zum Teil verunsicherten Bevölkerung
und ihrer Meinung in Österreich und in der EU wei-
ter vorantreiben. Im NMO kann es zu Einschränkun-
gen für den Tourismus und das allgemeine wirtschaft-
liche Leben kommen, obgleich der Iran aufgrund der
teilweisen Aufhebung der Sanktionen sowie diplo-
-
der zu einem interessanten Wirtschaftspartner entwi-
NMO bedroht nicht nur die dortig ansässige Bevöl-
kerung, sondern auch Ausländer, vor allem westlich-
christliche. Der Migrationsdruck bleibt aufrecht und
bringt auch negative Begleiterscheinungen mit sich.
Bei einer teilweisen Schließung der aktuellen Migrati-
onsrouten bzw. beim Versuch einer Eindämmung wird
der anhaltende Flüchtlingsstrom nach Österreich und
Europa lediglich verlagert bzw. auf mehrere Neben-
routen aufgeteilt.
Eine politische Lösung würde vier Handlungsstränge
vorsetzen:
1. Sofortige Aufstockung der humanitären Hilfe vor
Ort.
2. Diplomatische Verhandlungslösung im Sinne einer
von den regionalen Stakeholdern akzeptierten
(Neu-)Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens
als grundsätzliche Vision eines „End State“ bzw.
Handlungsrahmens.
3. Massives, gemeinsam abgestimmtes militärisches
Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft
zur Eindämmung bzw. Zerschlagung des IS oder
zumindest zum Einfrieren der Kampfhandlungen.
4. Europäisch akkordierte Migrationsbewältigung in
Verbindung mit einer für alle Beteiligten annehm-
baren Bewältigung der Partikularinteressen als
Voraussetzung für eine mögliche Rückführung von
Personen in die Herkunftsländer nach Beruhigung
der Situation vor Ort.
Ausblick 2016
Vor diesem Hintergrund ließe sich eine Prognose für
2016 auf Basis der wahrscheinlichsten Konstanten
aufbauen:
• Der sunnitisch-schiitische Kampf um die Vor-
machtstellung im Nahen und Mittleren Osten
wird mit Masse mittels Stellvertreterkriegen ohne
Rücksicht auf die betroffenen Menschengruppen
unvermindert fortgesetzt.
• Die US-geführte Operation „Inherent Resolve“
wird unter Unterstützung auch nicht moderater
Rebellengruppierungen fortgeführt.
• Das aktive militärische Engagement Russlands
wirkt negativ-dynamisierend und dient nicht der
Deeskalation; witterungsbedingt kommt es im
Winter zu einer kurzfristigen Beruhigung.
• Das gilt auch für das infolge der Pariser Terror-
anschläge intensivierte militärische Vorgehen
Frankreichs.
• Die Terrormiliz IS kann aufgrund des eher rudi-
mentären Abstimmungsgrads der verschiedenen
Operationen ihre Position mit Hilfe ihrer hohen
operativen Beweglichkeit grundsätzlich halten.
202 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
• Damit ergibt sich vorerst kaum Spielraum für eine
reale, politische Lösung bzw. eine mögliche Neu-
ordnung der Machtverhältnisse im Nahen und
Mittleren Osten.
•
auch 2016 in seiner grundsätzlichen eingefrorenen
Situation bestehen, wobei die Sicherheitskräfte
für die mehr oder weniger stabile Lage entschei-
dend sind.
Somit ist für 2016 eher davon auszugehen, dass das
menschenverachtende Blutvergießen nicht gestoppt
werden kann bzw. seitens der Stakeholder dazu kein
nächste Runde“ geht. Dadurch gibt es keine Motiva-
tion der vertriebenen Bevölkerung zur Rückkehr bzw.
zum Verbleib in den Flüchtlingslagern, was den Mig-
rationsdruck auf Europa weiter aufrechterhält.
ngefrorenen
Sicherheit
er stabi
tion der ver
eib in den
uropa w
KERNPUNKTE
• Der „Arabische Frühling“ und seine Motive im Hin-
tergrund sind als Auslöser für die regionalen Um-
brüche mitverantwortlich.
• Die Umbrüche haben negative sicherheitspolitische
Auswirkungen auf die Region, Europa und die EU.
• Der Bürgerkrieg in Syrien und die militärischen Er-
te zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die 2016
eine verstärkte internationale Dimension erreichen
könnten.
•
nach der Kerry-Initiative in den Hintergrund trat,
birgt er eine enorme Sprengkraft für die Sicherheit
Israels – mit Anzeichen einer dritten Intifada.
•
die regionale Stabilität sowie für eine Verringerung
des Migrationsdruckes auf Europa von zentraler
Bedeutung.
KEY NOTES
• The Arab Spring and it‘s motives are to be seen as
triggers for regional upheavals.
• These upheavals have negative effects in terms of
the security policy oft the region as well as on Euro-
pe and the European Union.
• The civil war in Syria as well as the military success
of the terror organization Islamic State has to been
seen as a proxy war between Iran and Saudi Ara-
bia, which can reach a more international dimensi-
on in 2016.
•
slight back seat in international politics after the
“Kerry initiative”, it harbours a political explosive
force for the security of Israel by showing signs of a
third Intifada.
•
crucial for the regional stability as well as for Euro-
pe reducing the pressure for migration.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 203
Dritte Intifadah?
Seit September 2015 kommt es vermehrt zu Attacken
einzelner, scheinbar unkoordiniert agierender arabi-
scher Terroristen auf jüdische Israelis. Scheinbarer Aus-
die Nutzungsrechte des Tempelbergs in Jerusalem. In
der arabisch-palästinensischen Community setzte sich
-
-
mals zur Debatte stand. Israel und sein Premierminister
ISRAELISCH -
PALÄSTINENSISCHER
KONFLIKT 2016
Georg Plattner
Zum Jahresende 2015 hat eine Welle von individu-
ellen Terrorattacken Israel erfasst. Vor allem Jeru-
salem, aber auch andere israelische Städte sahen
sich seit Mitte September mit einer stetig steigen-
den Zahl von Einzelattacken – meist mit Messern
oder anderen Stichwaffen – arabischer Angreifer
auf jüdische Ziele, vorwiegend Zivilisten, konfron-
tiert. Diese mögliche „dritte Intifadah“, aber auch
die Sicherheitslage für Israel innerhalb des regiona-
len Chaos gibt wenig Hoffnung auf eine Transforma-
204 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Benyamin Netanyahu sind sich der Konsequenzen einer
Änderung des Status quo am Tempelberg vollkommen
bewusst. Netanyahu untersagte bereits zu Beginn der
Hamas die Angriffe als Heldentaten und rief zur Nach-
ahmung und zu einer dritten Intifadah auf.
Die Welle an Angriffen und die offensive Unterstüt-
-
gen wie die Hamas könnten den Beginn einer „dritten
Intifadah“ ankünden. Die Frustration in der palästi-
nensischen Bevölkerung ist hoch, ebenso greift antiis-
raelische Propaganda immer stärker um sich, wie der
-
sche Autonomiebehörde sollte alles in ihrer Macht ste-
hende tun, um eine weitere Eskalation zu verhindern
und mit den israelischen Sicherheitsbehörden koope-
eine Strategie gegen diese neue Form von Terrorismus
überlegen.
Für das Jahr 2016 bedeuten diese Angriffe jedenfalls
ist unklar, ob es zu einer „Intifadah“, also einem gro-
ßen und koordinierten Aufstand, kommen wird, wahr-
scheinlich scheint jedoch, dass Israel sich zu einem här-
teren Vorgehen in Jerusalem und im Westjordanland
sowie möglicherweise zu einer weiteren Operation im
-
dere Reaktion auf diese Vorfälle, die etwa soziale Ver-
besserungen für die arabischen Israelis mit sich bringen
müsste, ist angesichts der politischen Heterogenität der
Regierung Netanyahu unwahrscheinlich. Vor diesem
Hintergrund scheint auch jeglicher Fortschritt im Frie-
densprozess in weite Ferne zu rücken.
Regionale Faktoren
Auch die regionale Unsicherheit steht einer Transfor-
-
gegen. Der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak sowie
ein neu erstarkter Iran sind direkte Bedrohungen für
Israels Sicherheit. In Syrien sind vor allem jihadisti-
in einem Ziel überein: Die Befreiung Jerusalems, was
nichts anderes bedeutet als das verklausulierte Ziel der
Vernichtung des jüdischen Staates.
Während sich durch die massive russische Unterstüt-
zung das Assad-Regime teilweise zu konsolidieren
scheint, wird gleichzeitig auch die regionale syrische
Schutzmacht, die islamische Republik Iran, wieder stär-
ker. Durch das Inkrafttreten des Nuklear-Abkommens
im Dezember 2015 wird das Regime in Teheran Zugang
US-Dollar erhalten. Es scheint aus israelischer Sicht
Solange sich das Chaos im Nahen Osten fortsetzt, wird
Israel allein aus sicherheitspolitischen Überlegungen zu
keinem umfassenden Abkommen mit der palästinen-
sischen Autonomiebehörde bereit sein. Inmitten einer
sich Israel nicht erlauben, substanzielle Zugeständnisse
an einen möglichen Staat Palästina zu geben. Strategisch
wichtige Verteidigungslinien wie das Jordantal würden
in einem solchen Abkommen Palästina zugeschlagen
werden, und ohne umfassende Sicherheitsgarantien wird
der jüdische Staat diese nicht leichtfertig aufgeben.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 205
Ableitungen für Europa
Sollte 2016 eine „dritte Intifadah“ ausbrechen, und
diese Möglichkeit besteht durchaus, so fußt sie – wie
bereits die zweite – auf einer Kampagne palästinen-
sischer Brandstifter. Der EU könnte im kommenden
Jahr eine größere Rolle in einer Verhinderung einer sol-
chen Eskalation zukommen. Die USA haben ihren Kre-
dit mit Israel großteils verspielt, die EU könnte sich als
Mediator positionieren und somit an einer Deeskala-
tion mitarbeiten. In jedem Fall muss sich die EU darü-
ber im Klaren sein, dass Israel keinerlei weit reichende
Zugeständnisse machen kann und wird. Die EU könnte
jedoch auf substaatlicher Ebene – d. h. ohne umfas-
sende Lösung, mit kleinen Lösungen für einzelne Berei-
lage in Israel und Palästina entspannt.
KERNPUNKTE
• Eine neue Welle der Gewalt erfasste Israel; Auslöser
ist eine gezielte Desinformationskampagne palästi-
nensischer Brandstifter.
• Eine weitere terroristische Gewalteskalation 2016
oder gar eine „dritte Intifadah“ ist nicht auszuschlie-
ßen, doch sowohl Mahmud Abbas als auch Benya-
min Netanyahu sind sich der Folgen bewusst und
werden versuchen, dies zu verhindern.
• Ein Erstarken des Assad-Regimes und des Iran
2016 bedeutet ein Sicherheitsrisiko für Israel.
• Das sicherheitspolitische Chaos in der Region er-
laubt Israel auch 2016 keine großen Zugeständnis-
KEY NOTES
• A new wave of violence has hit Israel. A targeted
disinformation campaign by Palestinians was the
trigger.
• A further terrorist escalation of violence or even a
„third Intifada“ cannot be excluded in 2016, but
both Mahmoud Abbas and Benjamin Netanyahu are
aware of the consequences and are trying to pre-
vent this from happening.
• A strengthening of the Assad-regime and of Iran in
2016 represents a security risk for Israel.
• Due to the security chaos in the region, Israel can-
not make any major concessions in 2016.
206 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Keine politische Lösung in Sicht
2016 wird es wahrscheinlich zu keiner politischen
Lösung für Syrien kommen, da das Assad-Regime
glaubt, bei der Niederschlagung der Revolte – mit Unter-
stützung Irans und Russlands – freie Hand zu haben.
Eine Wende würde eintreten, könnten sich die Rebel-
len in den Besitz von Fliegerabwehrwaffen bringen, um
-
fen und Fassbomben zu schützen. Dazu wird es jedoch
SYRIEN 2016
Nadim Shehadi
-
ler und internationaler Rivalitäten und kann nicht
bloß im Innern – ohne äußere Beteiligung - gelöst
werden. Der Hauptfaktor ist das Nichtvorhanden-
sein einer US-amerikanischen Strategie und das da-
durch entstandene Vakuum, das sich auf Freunde
und Feinde gleichermaßen auswirkt. Einerseits ver-
folgen verschiedene Akteure in diesem Drama ver-
schiedene Ziele, andererseits erinnert die Lage im
Wesentlichen an den Irak zwischen 1991 und
2003, als Saddam Hussein von vergleichbarer inter-
-
tierte, wobei das Überleben seines Regimes dem
Irak und der Region sehr teuer zu stehen kam.
wahrscheinlich nicht kommen, da es ein US-amerikani-
sches Veto gibt, das die Unterstützung der Rebellen auf
die Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS)
beschränkt und auch jene Unterstützung beschränkt, die
der Türkei zuteilwird.
Verstärkter Radikalismus als Gefahr für
die ganze Region
Betrachtung der gesamten Region zu sehen, wozu der
-
nischen Revolutionsgarden gehören. Diese beiden radi-
kalen Organisationen erleben einen Aufschwung und
beziehen Legitimation und Macht aus dem Kampf
gegeneinander. Sie können einander nicht besiegen, aber
sie gewinnen hinzu und kontrollieren die große Masse
ihrer jeweiligen Seite: Die Radikalen des IS gewinnen zu
Lasten gemäßigter sunnitischer Kräfte, und die Radi-
kalen der Revolutionsgarde gewinnen zu Lasten gemä-
ßigter schiitischer Kräfte. Der IS wird zu einer immer
-
-
den werden auf Kosten des gemäßigten schiitischen
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 207
Zentrums von Najaf an Boden gewinnen. All dies führt
zu verstärkter Radikalisierung auf allen Seiten, deren
schädliche Auswirkungen über die Region hinaus auch
weiter östlich in Teilen Asiens und weiter westlich in
Europa zu spüren sein werden.
Die derzeitige Politik bewegt sich auf das
Worst-case-Szenario zu
Langfristig gibt es für die Region zwei Szenarien: Das
Worst-case-Szenario besteht in noch weiter gesteigertem
Radikalismus auf allen Seiten, wobei der IS die sunniti-
schiitischen. Das Best-case-Szenario besteht darin, dass
der Radikalismus zurückgeht, sodass die Region schließ-
lich frei von IS und Revolutionsgarde ist.
Wenn auch die internationale Politik nicht alle Probleme
sie doch wenigstens Druck in die richtige Richtung
erzeugen, d.h. in die Richtung einer Region, die frei von
beherrscht ist, die über Jahrhunderte – mal besser, mal
schlechter - zusammen existiert haben.
Die derzeitige US-amerikanische und westliche Poli-
tik, in scheinbarer Allianz mit den iranischen Revolu-
tionsgarden den IS mit einer militärischen Koalition
zu bekämpfen, wendet sich gegen sich selbst, indem sie
beide radikalen Organisationen stärkt und die Region
dem weiter oben beschriebenen Worst-case-Szenario
näherbringt. Schließlich werden beide, der IS und die
Revolutionsgarden siegreich sein, allerdings nicht gegen-
einander, sondern gegen ihre jeweiligen gemäßigten
Kräfte. Eine erfolgreiche Strategie müsste daher gleich-
zeitig den Revolutionsgarden und dem IS Einhalt gebie-
ten und so die gemäßigten Kräfte beider Seiten entschei-
dend stärken.
Russische und iranische Unterstützung für
das Regime
Auch die russische Intervention in Syrien und die irani-
sche Intervention im Irak und in Syrien sind nicht hilf-
reich. Russland bekämpft hauptsächlich sogenannte
gemäßigte Rebellen, die sowohl mit Assad als auch mit
dem IS verfeindet sind. Dies erinnert an Russlands Stra-
tegie in Tschetschenien in den Neunzigerjahren, als
man zunächst zuließ, dass eine Rebellengruppe über alle
anderen siegte, ehe sie vor den russischen Kräften kapi-
tulieren musste.
Vom Iran unterstützte, unter dem Kommando seiner
Revolutionsgarden stehende und mit der irakischen Zen-
tralregierung verbündete Milizen haben im Irak zahl-
verübt und sie so in die Arme des IS getrieben. Auch
unterstützt der Iran Milizen aus dem Libanon, dem Irak
und aus Afghanistan, die gemeinsam mit den Revolu-
tionsgarden auf Seiten des Regimes in Syrien kämpfen.
Auch dies trägt zur weiteren Radikalisierung bei.
Die Lage verschlechtert sich weiter
In einem US-amerikanischen Wahljahr ist eine Verän-
derung in der westlichen Politik höchst unwahrschein-
lich, sodass die Lage sich weiter verschlechtern und zur
weiteren Zerstörung Syriens sowie zu mehr Flüchtlingen
– sowohl innerhalb als auch außerhalb Syriens – füh-
ren wird. Die EU kann sich in einer derartigen Situation
bloß mit den Symptomen beschäftigen. Bestenfalls wird
sie sich mit einem kleinen Teil der stetig anwachsenden
humanitären Katastrophe an ihren Außen- und Binnen-
grenzen befassen.
Die langfristigen Folgen all dessen sind unabsehbar.
Solange das Assad-Regime und seine Verbündeten die
208 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
US-amerikanischen Politik, Rebellen nur zum Zwe-
cke der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Eine der-
artige Eskalation wäre äußerst gefährlich und ihre
Konsequenzen unabsehbar. Insbesondere wegen der
fehlenden Unterstützung der USA ist sie daher weniger
wahrscheinlich.
Wir werden also im Jahre 2016 kaum Änderungen der
US-amerikanischen und westlichen Politik und daher
eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklung erleben,
sodass die humanitären Herausforderungen für Europa
größer werden und die Lage in Syrien ungelöst bleibt.
KERNPUNKTE
•
schen Strategie und das Veto der USA gegen eine Bewaffnung der Rebellen.
• Das syrische Regime und seine Verbündeten Russland und Iran streben weiterhin eine militärische Lösung an.
• Die gegenwärtige Politik der US-geführten Koalition, im Bündnis mit den iranischen Revolutionsgarden den IS zu
bekämpfen, stärkt beide radikalen Organisationen auf Kosten gemäßigter Kräfte.
• Bei den humanitären Herausforderungen werden wir im Jahre 2016 einen exponentiellen Anstieg erleben.
• Solange das bestehende Kräfteungleichgewicht andauert, wird es keinen Anreiz zu einer politischen Lösung
geben.
• Die EU wird sich auch weiterhin in ineffektiver Weise mit den Symptomen beschäftigen, ohne sich mit dem Prob-
lem zu befassen.
• In einem US-amerikanischen Wahljahr wird es wahrscheinlich nicht zu einer Änderung der beschriebenen Lage
kommen.
Oberhand besitzen, werden sie nicht aufhören, eine
ner anzustreben. Eine politische Lösung ohne Assad
ist genauso unwahrscheinlich wie der totale Sieg des
Regime Zeit, und auch der in Wien begonnene Prozess
wird wahrscheinlich nicht zu einer nachhaltigen politi-
schen Lösung führen.
Eine weitere Möglichkeit besteht im Jahre 2016 darin,
seitig auf Seiten der syrischen Rebellen gegen das Assad-
Regime eingreifen. Dies stünde im Widerspruch zur
KEY NOTES
•
the rebels.
• Syria’s regime and its allies, Russia and Iran, still pursue a military solution.
•
mic Revolution strengthens both radical groups at the expense of moderate forces.
• Humanitarian challenges will increase exponentially in 2016.
• There is no incentive for a political solution as long as an imbalance of power persists.
• The EU will continue to ineffectively deal with the symptoms without addressing the problem.
• The situation is unlikely to change in a US election year.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 209
Das massive Eingreifen Russlands auf der Seite des
Assad-Regimes in Syrien hat auch Auswirkungen auf
den Irak. Russland hat gemeinsam mit dem Iran und
Syrien in Bagdad ein Büro für „Intelligencesharing“ ein-
gerichtet. Den irakischen Stimmen, vor allem aus Krei-
sen schiitischer Milizen, die sich eine russische Unter-
stützung im Kampf gegen den IS auch für den Irak
wünschen, setzen die USA im Spätherbst 2015 jedoch
ihrerseits ein verstärktes militärisches Engagement ent-
gegen. Es kommt nach Klagen aus der irakischen Regie-
rung über die Halbherzigkeit der USA, die es bisher
IRAK 2016
Gudrun Harrer
Im Jahr 2015 hat der Irak eine weitere große Stadt,
Ramadi, an die Terrororganisation „Islamischer
Staat“ (IS) verloren, und die angekündigte Rück-
eroberung vom 2014 gefallenen Mosul wurde nicht
einmal versucht. Allerdings gibt es zum Zeitpunkt
der Drucklegung dieser Jahresvorschau Hoffnung
auf ein verstärktes militärisches US-Engagement in
der Zukunft. Den Irak plagen aber auch noch ab-
seits vom IS multiple Probleme, die die Zukunft der
Regierung unter Haider al-Abadi in Frage stellen.
210 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
peinlich vermieden, den Eindruck einer Kooperation
und Koordination ihrer Luftangriffe mit den iranisch
geführten Schiitenmilizen am Boden zu erwecken.
Diese Bedenken sind gewiss nicht gefallen, aber der
Durchbruch beim Atomabkommen (Joint Compre-
hensive Plan of Action – JCPOA) der EU/E3+3 mit
dem Iran im Juli 2015 in Wien scheint das Dilemma zu
erleichtern, wenn denn die Implementierung des JSPOA
wirklich, wie geplant, Anfang 2016 anläuft. Auch dass
der Iran bei den „Syria Talks“ Ende Oktober 2015 in
Wien dabei war, zeigt die neuen Politik-Möglichkei-
ten – und erhöht für den Irak die Chancen, dass sich
der Krieg gegen den IS von irakischer Armee, iranisch
geführten und anderen schiitischen Milizen, sunniti-
schen Stammesmilizen und US-Luftunterstützung 2016
erfolgreicher gestaltet.
Es bleibt zu sehen, wie die Entwicklung des Kriegs in
die EU und etliche Nahost-Staaten auf die Priorität des
Kriegs gegen jihadistische Terrorgruppen einigten, gibt
es zum Zeitpunkt der Drucklegung Anzeichen einer
mittelfristigen Kampagne zur Befreiung der syrischen
IS-Hauptstadt al-Raqqa. Das würde den Irak als Rück-
zugsgebiet für den IS – und Zulaufgebiet internationaler
Jihadisten – umso wichtiger machen. Eine erhöhte Fre-
quenz von IS-Attentaten in der Hauptstadt Bagdad und
in anderen IS-Zielgebieten ist zu erwarten.
Der Aufstieg der Schiitenmilizen
2015 war auch politisch ein turbulentes Jahr für den
Irak, und es ist sicher, dass das 2016 so bleibt. Die Regie-
rung von Premier Haidar al-Abadi ist seit Sommer 2015
in akuten Schwierigkeiten. Der niedrige Ölpreis macht
dem irakischen Staatshaushalt schwer zu schaffen; die
Unzufriedenheit führte erstmals auch im Süden des Lan-
des zu regelmäßigen Demonstrationen gegen die man-
gelnden Dienstleistungen des Staates (vor allem Elektri-
zität und Wasser sind ein gravierendes Problem). Abadi
reagierte mit der abrupten Ausrufung von Reformen,
vor allem Sparmaßnahmen innerhalb des Staatsapparats,
die jedoch politische Folgen haben: So entließ Abadi
etwa die Vizepräsidenten, unter ihnen seinen Vorgän-
ger als Premier, Nuri al-Maliki, der seitdem offen gegen
Abadi agitiert. Maliki genießt starken Rückhalt bei den
schiitischen Milizen, die ihrerseits durch ihre Rolle beim
Kampf gegen den IS an Ansehen gewonnen haben –
und deren Führer in die Politik drängen. Abadi hinge-
gen hat nicht nur versäumt, politische Verbündete für
die Verfassung zu ignorieren. Eine Destabilisierung ist
die Folge, die Abadi letztlich zum Verhängnis werden
könnte. Es würde wohl eine radikalere schiitische Regie-
rung folgen, was wiederum die Sunniten weiter entfrem-
den würde.
Dem Irak laufen die Menschen davon, Tausende haben
sich den Flüchtlingstrecks nach Europa angeschlossen.
Keine Region bleibt davon verschont – so wird auch ver-
mehrt von jungen Schiiten aus dem Süden berichtet,
die im Anti-IS-Kampf im Norden eingesetzt waren und
nicht mehr einsehen, dass sie eine Bevölkerung befreien
sollen, die ihnen – als Schiiten – nicht viel mehr vertraut
als dem IS. Der Flüchtlingsstrom wird anhalten.
Politische Krise auch im kurdischen
Nordirak
Ernüchternderweise gilt die Fluchttendenz jedoch auch
für die kurdische autonome Zone im Nordirak, die ja
seit 2003 stets als positives Modell gegolten hat. Der
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 211
Streit mit Bagdad – noch immer gibt es kein nationales
Ölgesetz – und einmal mehr der niedrige Ölpreis haben
rigkeiten gebracht. Vor allem jedoch ist sie 2015 in eine
politische Krise gestürzt, die unangenehm an den kur-
zen innerkurdischen Bürgerkrieg Mitte der 1990er Jahre
dischen Demokratischen Partei (KDP) von Masud
Barzanis Mandat als Präsident der Regionalregierung
nach einer bereits 2013 vorgenommenen zweijährigen
Verlängerung im August 2015 ausgelaufen ist, konn-
ten sich die Parteien nicht einigen, wie es weiter geht:
Die KDP optierte für eine weitere Verlängerung Barza-
nis angesichts des Kriegs am Rande der Autonomiere-
dagegen beziehungsweise nur bereit, eine Verlängerung
chen Machtbeschränkung einhergeht. Barzani, der gute
Druck geraten, weil der türkisch Krieg gegen die PKK,
der regelmäßig zu türkische Verletzungen des nordiraki-
schen Territoriums führt, sich nach dem Wahlsieg Erdo-
gan noch intensivieren könnte. Es ist eher zu erwarten,
dass – auch angesichts des politischen Drucks der aus-
ländischen Partner der Kurden – ein Arrangement zwi-
schen den verschiedenen kurdischen Parteien zustande
kommt, aber das Ansehen Irakisch-Kurdistans als Hort
der politischen Stabilität ist beschädigt.
rgenommenen zweijährig
m August 2015 ausgelaufen ist, konn-
die Partei
KDP o
nis an
s
kommt,
litische
KERNPUNKTE
• Beim Kampf gegen den IS ist mit einem vermehr-
ten US-Engagement und einer besseren Koordinati-
on mit den Kräften am Boden zu rechnen.
• Der verstärkte Kampf gegen den IS in Syrien
wird den Irak als IS-Rückzugsort noch wichtiger
machen.
• Der Irak leidet massiv unter dem niedrigen Ölpreis.
• Die Regierung in Abadi hat sich durch ihren un-
geschickt aufgesetzten Reformweg in politische
Schwierigkeiten gebracht; radikalere schiitische
• Der kurdische Nordirak – seit 2003 die stabile
Musterregion des Irak – ist in eine schwere politi-
sche Krise gefallen, die sein Ansehen beschädigt.
KEY NOTES
• An increased commitment by the US as well as im-
proved coordination with forces on the ground can
•
Iraq even more important for the organization.
• Iraq suffers from the low oil-prices.
• Because of its unskilful introduction of reforms, Pri-
me Minister Abadi’s government encountered in-
dical Shiite forces.
• The Kurdish north of Iraq, since 2003 a stable mo-
del region of Iraq, has now fallen into a serious po-
litical crisis damaging its international standing.
212 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Nationale Dimensionen des Kriegs im
Jemen
Im Jemen kämpfen verschiedene Akteure in einem
Mehrfrontenkrieg gegeneinander und werden dabei von
regionalen Akteuren unterstützt. Auf der einen Seite
kämpfen die Huthis, eine Rebellengruppe aus dem Nor-
SAUDI-ARABIEN UND
JEMEN 2016
Marie-Christine Heinze
Der derzeit andauernde Krieg im Jemen hat nationa-
-
tes scheint derzeit, trotz anstehender Verhandlun-
gen, nicht in Sicht. Eine weitere Verschlechterung
der Sicherheitslage und ein Erstarken von al-Qa’ida
in the Arabian Peninsula (AQAP) sowie der Terroror-
ganisation Islamischer Staat (IS) wird daher aller Vo-
raussicht nach auch das Jahr 2016 bestimmen.
den des Landes, die 2014 eine Allianz mit dem 2012
zurückgetretenen ehemaligen Präsidenten Ali Abdallah
Salih eingegangen sind. Seit September 2014 kontrol-
lieren sie die Hauptstadt Sanaa, und in den nachfolgen-
den Monaten sind sie weiter gegen Süden vorgerückt.
Auf der anderen Seite stehen Teile der erst im Novem-
ber 2014 eingesetzte Technokraten-Regierung unter
Premierminister (und seit April 2015 auch Vizeprä-
sident) Khaled Bahah sowie Präsident Abd Rabbuh
Mansur Hadi. Sie sind im Januar 2015 nach zunehmen-
-
den sich seit März im Exil in Riad. In ihrem Bemühen
um die Wiedererlangung der Macht werden sie militä-
risch unterstützt von einer regionalen, saudisch geführ-
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 213
durch die VN-Sicherheitsratsresolution 2216. Des Wei-
teren sind folgende Akteure im Jemen zu nennen: die
Südliche Bewegung, die im Widerstand gegen den Vor-
marsch der Huthi/Salih-Allianz zu den Waffen griff
und mittelfristig die Unabhängigkeit vom Norden
anstrebt, lokale Widerstandsgruppen im Norden, die
sich gegen die Kontrolle ihrer Regionen durch Huthi/
Salih-Allianz zur Wehr setzen und von denen viele mit
der der Muslimbruderschaft nahestehenden Islah-Partei
Süden des Landes großes Kapital aus dem Sicherheits-
vakuum schlagen konnten. Mitte Juli ist es dem südli-
von der Huthi/Salih-Allianz zu befreien. Teile der Stadt
werden seitdem von AQAP bzw. dem IS kontrolliert,
ebenso wie die Hafenstadt al-Mukalla im Osten.
Regionale Dimensionen des Kriegs im
Jemen (Saudi-Arabien)
-
einen betrachtet das Königshaus die größtenteils schi-
itischen Huthis als Vasallen des regionalen Erzriva-
len Iran. Man wollte eine schiitische Machtergreifung
an der Südgrenze des Königreichs verhindern und, da
Saudi-Arabien wegen des Nuklearabkommens ein gene-
relles Erstarken des Iran in der Region befürchtet,
mit einem militärischen Sieg gegen die Huthis gleich-
zeitig den Iran in die Schranken weisen. Innenpoli-
tisch kommt hinzu, dass der neue König sich und sei-
nen jüngsten Sohn Muhammad bin Salman, den er zum
Verteidigungsminister und stellvertretenden Thronfol-
ger ernannt hat, als kompromisslose Anführer in Zei-
ten der Krise positionieren und damit seine umstrittene
Personalpolitik gegen Königshaus-interne Kritiker legi-
timieren will. Angesichts sozio-ökonomischer Probleme
in Zeiten regionaler Umbrüche will man gleichzeitig
auch das Volk hinter dem König vereinen und mögliche
Risse zwischen Königshaus und den es legitimieren-
man angesichts des Nuklearabkommens Stärke gegen-
über dem Verbündeten USA beweisen, von dessen mili-
tärischer Hilfe Saudi-Arabien bislang abhängig war.
Lösungsansätze und Ausblick
Im Oktober 2015 erklärten sich beide Seiten, d.h. die
Huthis und Salih auf der einen und Hadi und Regie-
rung auf der anderen Seite, zu neuen Verhandlungen
unter der Ägide der Vereinten Nationen bereit. Selbst
wenn diese Verhandlungen erfolgreich sind, was ange-
sichts des hohen gegenseitigen Misstrauens und der
Fragmentierung der politischen Landschaft keineswegs
sicher ist, wird die Sicherheitslage 2016 hoch prekär
bleiben. Vor allem im Süden werden sich AQAP und
der IS weiter ausbreiten, sollte es nicht gelingen, hier
zeitnah effektive Sicherheitsstrukturen aufzubauen. Es
könnte sogar zu einer (zeitweisen) Kontrolle der für die
internationale Schifffahrt wichtigen Meeresenge Bab
al Mandab durch AQAP oder den IS kommen. Hier
ist vor allem die Rolle Saudi-Arabiens und der Verein-
ten Arabischen Emirate relevant. Zwischen den beiden
Koalitionären tun sich jedoch zunehmend Risse auf,
sie scheinen auch zunehmend weniger willens, eigene
Soldaten in den Kampf zu schicken, und greifen statt-
zurück. Unklar ist, wie Saudi-Arabien, dessen erstes Ziel
der militärische Sieg über die Huthis ist, sich gegenüber
dem Süden und vor allem gegenüber den sich dort aus-
-
tionieren wird. Es steht zu befürchten, dass deren wei-
tere Ausbreitung als Puffer gegen die immer wieder in
den Süden einfallendend Huthi/Salih-Milizen – und
214 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
aufgrund begrenzter saudischer militärischer Kapazitä-
ten – toleriert wird. Darüber hinaus wird sich die huma-
nitäre Lage bei einer fortgesetzten Blockade der nördli-
chen Häfen durch Saudi-Arabien kurz- und mittelfristig
weiter dramatisch verschärfen.
Perspektive für Europa 2016
Für Europa bedeutet dies, dass in Zukunft mehr
Flüchtlinge aus dem Jemen zu erwarten sind. Der
UN-Angaben rund 2,3 Millionen Menschen, das sind
reiche weitere Jemeniten sind darüber hinaus in die
bien und Dschibuti. Es besteht die Möglichkeit, dass
sich vor allem Flüchtlinge vom Horn von Afrika, soll-
ten sie keine Rückkehrperspektive sehen, zunehmend in
Richtung Europa aufmachen. Sollte sich im kommen-
rung der humanitären Lage im Lande abzeichnen und/
oder sollten die internationalen Organisationen nicht
reichend zu versorgen, kann sich ihre Zahl deutlich
erhöhen.
Darüber hinaus kann eine Ausbreitung AQAPs und des
IS im Süden des Landes nicht nur den internationalen
Schiffsverkehr durch das Rote Meer gefährden, sondern
– angesichts der Leistungsfähigkeit des AQAP-Netz-
werks und seiner bisherigen Rolle bei terroristischen
Anschlägen in Europa (siehe Verbindungen der Charlie
Hebdo-Attentäter in den Jemen) – auch ein bedeutendes
Sicherheitsrisiko für Europa darstellen.
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werks und seiner bisherigen Rolle bei terroristische
Anschlägen in Europa (siehe Verbindungen der C
Hebdo-Attentäter in den Jemen) – auch ein bed
Sicherheitsrisiko für Europa darstellen.
KERNPUNKTE
• Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht absehbar.
• Selbst wenn es zu einem Friedensabkommen
kommt, wird sich die Sicherheitslage weiter
verschlechtern.
• Ein weiteres Erstarken von AQAP und IS ist wahr-
scheinlich, mit Auswirkungen auf die Sicherheit in
Europa.
• Eine dramatische Verschlechterung der humanitä-
ren Lage ist wahrscheinlich, sollte Saudi-Arabien
die Seeblockade nicht aufheben.
• Eine Zunahme jemenitischer Flüchtlinge nach Euro-
pa ist möglich.
KEY NOTES
• The end of hostilities cannot be foreseen.
• Even if there is a peace agreement, the security si-
tuation will continue to deteriorate.
• A further strengthening of AQAP and ISIS is likely
and has an impact on Europe’s security.
• A dramatic deterioration of the humanitarian situ-
ation is likely should Saudi Arabia not lift its naval
blockade.
• An increase in Yemeni refugees to Europe is
possible.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 215
LIBYEN 2016
Thiemo Kapffer
Eine friedliche Entwicklung Libyens ist 2016 kaum
zu erwarten. Eine Einheitsregierung wird nur wenig
agiert aus einer Position der Schwäche heraus. Eine
Machtübernahme durch das Militär wird wahr-
scheinlicher, während sowohl der „Islamische Staat“
als auch Schmugglerbanden bei der Ausweitung ih-
rer Aktivitäten kaum eingeschränkt werden können.
Europa ist derzeit nicht in der Lage, dies durch ein
direktes Eingreifen zu unterbinden.
Libyen hat sich 2015 – bedingt durch den seit Mitte 2014
anhaltenden Bürgerkrieg – zu einem Failed State ent-
-
parteien bekämpfen, sondern auch terroristische und
staatliche Verfolgung fürchten zu müssen. Insbesondere
der „Islamische Staat“ (IS) konnte das durch den Bür-
gerkrieg entstandene Machtvakuum nutzen und seine
mit der Vertreibung aus ihrer bisherigen Hochburg
Derna auch Rückschläge hinnehmen musste. Dennoch
gelang es ihr, in Sirte ein neues Machtzentrum zu etab-
lieren und die Milizen der Bürgerkriegsparteien von dort
zu vertreiben.
Schmugglerbanden und „Islamischer
Staat“ nutzen Machtvakuum
Vom gleichen Machtvakuum haben auch kriminelle
-
zu unterscheiden oder mit diesen identisch sind. Ihnen
gelang es, den traditionellen Schmuggel massiv aus-
zuweiten und angesichts der großen von Afrika durch
Libyen nach Europa strebenden Flüchtlingsströme zu
216 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
-
gentliche Kämpfe um die Kontrolle der Schmugglerrou-
ten haben dies nicht weiter beeinträchtigt.
Für 2016 muss mit einer Fortsetzung dieser Entwick-
lungen gerechnet werden, sollte es nicht gelingen, den
Bürgerkrieg zu beenden. Dies erscheint derzeit jedoch
wenig wahrscheinlich, da es auch innerhalb der Kon-
Widerstände von Hardlinern gegen eine von den Verein-
ten Nationen vorgeschlagene Regierung der Nationalen
Einheit gibt. Diese wird jedoch ohne die breite Unter-
Lage sein, die Sicherheitslage nachhaltig zu verbessern
und den IS wirksam zu bekämpfen. Die naheliegende
Überlegung, eine internationale militärische Stabilisie-
rungsmission mit Bodentruppen zur Unterstützung der
Einheitsregierung zu etablieren, wird allerdings von
einer großen Mehrheit der Libyerinnen und Libyer –
quer durch alle politischen Lager – vehement abgelehnt.
Einheitsregierung kaum
durchsetzungsfähig
Abgesehen davon hätte die Einheitsregierung auch nur
ein zeitlich befristetes Mandat, da sie so bald wie mög-
lich durch eine auf Basis der neuen Verfassung gewählte
Regierung abgelöst werden soll. Der Entwurf der Ver-
fassung muss allerdings noch durch ein Volksreferen-
dum angenommen werden, dessen (ordnungsgemäße)
Durchführung angesichts der aktuellen Sicherheitslage
äußerst zweifelhaft erscheint.
Sollte die Regierung der Nationalen Einheit scheitern
oder im schlimmsten Fall nicht zustande kommen, kann
es 2016 zu einer militärischen Machtübernahme durch
-
ral Khalifa Haftar, kommen. Dessen Soldaten haben
anerkannten Premierminister Abdullah al-Thinni am
Verlassen Libyens gehindert. In Bezug auf die Einheits-
regierung äußerte Haftar zudem, dass ihm „nicht die
Hände gebunden“ seien, sollte das international aner-
kannte Repräsentantenhaus in Tobruk „zu weit gehen“
und einer Einheitsregierung zustimmen. Haftar könnte
eine Machtübernahme außerdem mit der Rettung Liby-
ens vor dem totalen Zerfall rechtfertigen.
Als Konsequenz einer Machtübernahme des Mili-
tärs wäre 2016 auch mit politischen Spannungen in der
Region zu rechnen, da die nordafrikanischen und arabi-
schen Länder gegenüber Libyen zum Teil stark gegen-
sätzliche Positionen vertreten. Katar beispielsweise, das
dessen Machtübernahme opponieren. Ägypten und die
Vereinigten Arabischen Emirate, denen schon mehrfach
die verdeckte Unterstützung der libyschen Armee im
Kampf gegen islamistische Milizen nachgesagt wurde,
würden hingegen eine Regierung unter Haftar vermut-
lich anerkennen und unterstützen. Ägypten könnte
-
zu einer regionalen Krise ausweitet, da andere Nachbar-
staaten Libyens (insbesondere Algerien) sich in der Ver-
gangenheit bereits mehrfach deutlich gegen eine Inter-
vention von außen ausgesprochen haben.
Europa weitgehend machtlos
Vor diesem Hintergrund ist eine Füllung des Machtva-
kuums in Libyen auch 2016 nur wenig wahrscheinlich.
Vielmehr werden nach der Verbesserung des Wetters im
Frühjahr erneut große Flüchtlingsströme mit Hilfe liby-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 217
scher Menschenschmugglerbanden in Richtung Europa
aufbrechen. Die EU-Militärmission vor der Küste wird
dies ohne ein Eingreifen an Land kaum erfolgreich
unterbinden können.
Dies gilt auch in Bezug auf die weitere Expansion des
IS, die nur auf wenige Hindernisse treffen kann, solange
Europa hingegen dürfte angesichts der Zuspitzung der
Krisen in Syrien auch 2016 kaum zu einem Eingreifen in
Libyen bereit sein. Ein hierfür notweniges Mandat der
Vereinten Nationen würde zudem auch an einem Veto
Russlands im Sicherheitsrat scheitern.
KERNPUNKTE
• Durch den im Land herrschenden Bürgerkrieg hat sich Libyen immer mehr zu einem Failed State entwickelt.
• Sowohl der „Islamische Staat“ (IS) als auch Schmugglerbanden nutzen das entstandene Machtvakuum für ihre
Zwecke.
• 2016 wird sich diese Entwicklung fortsetzen, da eine geplante Regierung der Nationalen Einheit kaum in der
• Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit einer Machtübernahme durch die Libysche Nationalarmee, was zu Span-
nungen in der gesamten Region führen könnte.
• Unter diesen Voraussetzungen werden sowohl der IS als auch die Schmugglerbanden in ihren Aktivitäten auch
2016 kaum behindert werden.
• Europa muss sich daher erneut darauf einstellen, dass eine große Anzahl von Menschen versuchen wird, von
Libyen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
• Die Bereitschaft der europäischen Staaten zu einem direkten Eingreifen in Libyen ist derzeit nicht erkennbar.
KEY NOTES
• Due to the prevailing civil war, Libya has increasingly become a failed state.
• Both ISIS as well as gangs of smugglers take advantage of the power vacuum for their own purposes.
• This trend will continue in 2016, as a planned government of national unity will hardly be able to prevail
• The likelihood of a seizure of power by the Libyan National Army increases which could lead to tensions in the
region.
• A large number of people will try to cross the Mediterranean from Libya as to reach Europe.
• A willingness by European countries to directly intervene in Libya can currently not be discerned.
218 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Eine neue gesellschaftspolitische
Koalition
Die Parlamentswahlen werden signalisieren, dass der
Weg, der vom Militär nach der Absetzung des von der
Moslembruderschaft unterstützten Mohammed Morsi
im Juni 2013 vorgezeichnet worden ist, an sein formel-
ÄGYPTEN 2016
Amr Adly
Ägypten durchläuft nach vier Jahren großer politi-
scher Umwälzungen einen Prozess der politischen
Stabilisierung. Diese Stabilisierung geschieht jedoch
unter autoritären Bedingungen mit großen Rück-
schlägen auf den Gebieten der Menschenrechte
und Grundfreiheiten. Einerseits stehen dem Land
wahrscheinlich mittelfristig keine größeren sozialen
Unruhen oder eine Infragestellung der politischen
Führung bevor, andererseits kämpft seine Wirt-
schaft weiterhin gegen große Schwierigkeiten an.
Dies könnte sich negativ auf die politische Stabilität
auswirken.
les Ende gelangt ist. Angesichts der gewachsenen Macht
der Exekutive, d. h. des Präsidenten, wird das Parla-
ment vermutlich keine bedeutende Rolle spielen. Sein
Zusammentreten wird allerdings einen wichtigen Schritt
bei der Festlegung jener gesellschaftspolitischen Koali-
tion darstellen, auf der das vom Militär gestützte Regime
basieren wird. Vermutlich wird es eine sehr große
Anzahl unabhängiger Kandidaten geben, die lokale Inte-
ressen, Stammeszugehörigkeiten und Netzwerke persön-
licher Abhängigkeiten repräsentieren. Das künftige Par-
lament wird daher vermutlich in seiner Fragmentiertheit
eine sehr schwache Repräsentanz politischer Parteien
darstellen.
Es bleibt abzuwarten, ob ein solches Parlament imstande
sein wird, sich mit dem Präsidenten bei der Schaffung
wird relevant sein, wenn es darum geht, die Verfassung
des Jahres 2014 abzuändern und die Befugnisse des Präsi-
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 219
ten hat der Präsident von der Notwendigkeit einer Ver-
fassungsänderung gesprochen. Es bleibt jedoch weiterhin
unklar, ob sich diese letztlich wird umsetzen lassen.
Abseits kurzfristiger Entwicklungen bleibt die Zukunft
des politischen Islam im Wesentlichen unentschieden.
Die geschlagene Moslembruderschaft, noch immer die
größte islamistische Bewegung, wird nicht die Möglich-
keit bekommen, ins politische System zurückzukehren.
weiter radikalisiert und sich die Organisation möglicher-
weise zu einem künftigen Zeitpunkt spaltet.
Eine Wirtschaft in Schwierigkeiten
Die ägyptische Wirtschaft könnte eine Fortsetzung jener
Rezession erleben, unter der sie schon seit 2011 leidet.
Vermutlich wird sich die Devisenknappheit verschärfen,
da die Devisenvorräte wohl weiter zurückgehen werden,
nachdem sie zwischen Jänner 2011 und September 2015
von 35 Milliarden Dollar auf etwa 15 Milliarden Dollar
gesunken sind. Die Hauptfaktoren sind dabei sinkende
Ölpreise, die fortdauernde Krise in Europa, Ägyp-
tens größtem Handelspartner, sowie der Abschwung
im Fremdenverkehr. Nichts davon wird sich vermut-
lich im Jahre 2016 ändern. Niedrigere Ölpreise werden
sich negativ auf die Öleinnahmen, auf die von ägypti-
-
der sowie auf ausländische Investitionen in den Ölsektor
auswirken; dieser macht zwei Drittel der ausländischen
Direktinvestitionen in Ägypten aus. Die Regierung wird
2016 wahrscheinlich an ihrer gegenwärtigen Politik der
festhalten. Dies könnte sich negativ auf die Erholung der
betreffen, die für die Produktion des Industriesektors
sowie für den Dienstleistungssektor benötigt werden.
Die derzeitige wirtschaftliche Stagnation wird vermut-
lich andauern.
Die Regierung könnte sich für höhere Kreditaufnahmen
im Ausland entscheiden, um der beschriebenen Prob-
leme Herr zu werden und insbesondere eine Knappheit
eine Absicherungsvereinbarung mit dem Internationa-
len Währungsfonds abschließen. Hilfe könnte auch von
den Vereinigten Arabischen Emiraten und/oder Saudi-
Arabien kommen, um Ägyptens Devisenreserven auf-
zufüllen. Entscheidend wird dabei allerdings die Ent-
Rolle wird auch die Entwicklung der Ölpreise spielen,
die 2016 vermutlich nicht steigen werden.
Auswirkungen auf Europa
Europa braucht ein stabiles Ägypten. Stabilität benötigt
ein funktionierendes und repräsentatives politisches Sys-
tem sowie eine sich erholende Wirtschaft, die Einkom-
men und Arbeitsplätze schaffen kann.
Ägypten ist im Hinblick auf jede denkbare dauerhafte
Lösung in Libyen ein entscheidender Akteur. Ägypten ist
auch Mitglied der Anti-IS-Koalition und dieses Jahr gegen
die libyschen Ableger der Terrormiliz „Islamischer Staat“
(IS) militärisch vorgegangen. Am Sinai wird auch im Jahre
2016 der Krieg der ägyptischen Regierung gegen den Ter-
ror weitergehen. Der Aufstand wird sich vermutlich auf
den Sinai begrenzen lassen und kaum auf die stärker besie-
entscheidender Bedeutung wird sein, dass die EU Ägyp-
ten im Kampf gegen den Terrorismus im Sinai und in der
westlichen Wüste unterstützt. Ein stärkeres, professio-
220 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
der Zerschlagung örtlicher Terrorgruppen, noch ehe sich
diese dem größer werdenden nordafrikanischen IS-Netz-
werk anschließen, hilfreich sein. Dies kann auch dazu bei-
tragen, Ägypten in seiner Rolle bei der Bekämpfung des
Schlepperunwesens und der irregulären Migration über
das Mittelmeer zu stärken. Sobald in Libyen eine politische
Lösung gefunden ist, kann Ägypten gemeinsam mit eini-
gen europäischen Staaten die libysche Regierung bei der
Eindämmung der illegalen Migration unterstützen.
Ägypten ist auch im Hinblick auf die Konkurrenz zwi-
Levante ein nicht zu unterschätzender Faktor. Trotz sei-
Ägypten im Jahr 2016 weder im Jemen noch in Syrien
militärisch engagieren.
Bei der wirtschaftlichen Erholung Ägyptens kann sich
Europa mit Handelsbeziehungen, Unterstützungsleis-
tungen und Investitionen positiv einbringen. Frankreich
und Italien tun dies bereits. Die EU ist Ägyptens größ-
ter Handelspartner und die zweitgrößte Quelle auslän-
discher Direktinvestitionen. Die EU kann auch beim
Aufbau von Regierungskompetenz in den Bereichen
Wirtschaft und Investitionen, öffentlich-private Part-
nerschaften und Unterstützung für Klein- und Mit-
telbetriebe, welche die meisten Arbeitsplätze schaffen,
technische Unterstützung leisten. Dies muss nicht im
Widerspruch zu Europas Bekenntnis zu einer offeneren
und demokratischeren politischen Ordnung in Ägyp-
respektiert.
KERNPUNKTE
• Die Zukunft des politischen Islam bleibt im Wesent-
lichen unentschieden. Die geschlagene Moslem-
bruderschaft wird nicht die Möglichkeit bekommen,
ins politische System zurückzukehren.
• Die Regierung könnte sich für höhere Kreditaufnah-
men im Ausland entscheiden, um eine Knappheit
• Europa braucht ein stabiles Ägypten. Stabilität
benötigt ein funktionierendes und repräsentati-
ves politisches System sowie eine sich erholende
Wirtschaft.
• Ein stärkeres, professionelleres Militär wird bei der
Kontrolle der Grenzen, der Zerschlagung örtlicher
Terrorgruppen und der Bekämpfung des Schleppe-
runwesens hilfreich sein.
• Bei der wirtschaftlichen Erholung Ägyptens kann
sich Europa mit Handelsbeziehungen, Unter-
stützungsleistungen und Investitionen positiv
einbringen.
KEY NOTES
• Egypt is undergoing a process of political stabiliza-
tion after four years of intensive political turmoil.
However, stabilization is happening on authoritari-
an terms.
• The future of political Islam remains largely undeci-
ded. The battered Brotherhood will not be allowed
back into the political system.
• To avoid shortages in basic imports of fuel, the
government may opt for more external borrowing.
• Europe needs a stable Egypt. Stability requires a
functioning and representative political system, as
well as a recovering economy.
• A more capable and professional military will help
secure borders, dismantle local terror groups, and
• Europe can help in the recovery of the Egyptian
economy through trade and aid cooperation to-
gether with investments.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 221
TUNESIEN 2016
Fünf Jahre nach der Revolution
Hardy Ostry
Gut fünf Jahre nach den Umbrüchen in der Region
Nordafrika und Naher Osten hat es bislang nur Tu-
nesien geschafft, die politische Transition hin zu De-
mokratie und Rechtsstaatlichkeit relativ erfolgreich
zu gestalten. Die auch international gelobte neue
Verfassung vom Januar 2014 sowie die erfolgreich
abgehaltenen Parlaments- und Präsidentschafts-
wahlen gegen Ende desselben Jahres haben dem
Land weithin – teilweise auch übertriebene – Aner-
kennung verschafft. Der Kampf gegen den Terroris-
mus und die Herstellung von Sicherheit haben für
die Bevölkerung und die Politik Tunesiens höchste
Priorität. Dies sind jedoch keine rein nationalen Auf-
gaben, weil sie aufgrund der geopolitischen Lage
des Landes auch zutiefst mit exogenen Faktoren
verbunden sind. Europa tut gut daran, die Entwick-
lungen in der Region aufmerksam zu verfolgen und
Tunesien proaktiv zur Seite zu stehen, da die sicher-
heitspolitischen Bedrohungen Tunesiens schwerwie-
gende Folgen für den Mittelmeerraum und für Euro-
pa haben.
222 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Nicht erst die folgenschweren terroristischen Atten-
tate auf das Bardo-Museum vom März 2015, auf das
Hotel Imperial Marhaba im Juni 2015 sowie auf einen
Bus der tunesischen Präsidentengarde im November
2015 haben deutlich vor Augen geführt, dass die soge-
nannte „Ausnahme Tunesien“ nicht von allen als solche
geschätzt wird und sich das Land seit mehreren Jahren
im Kampf gegen den islamistisch-jihadistischen Terror
den „wehrhaften Staat“ ebenso in Frage stellt wie das
sich die Tunesier bei den Wahlen 2014 mehrheitlich ent-
schieden hatten.
Dysfunktionaler Sicherheitsapparat
Der unter Ben Ali primär auf Regime-Erhalt ausgerich-
tete Sicherheitsapparat (insbesondere Innenministerium
und Nationalgarde) war und ist bis heute nicht ausrei-
-
unter Führung der islamistischen Ennahda-Partei kam
es zudem zu folgenschweren Fehlentscheidungen bei
der Besetzung von Schlüsselpositionen im Sicherheits-
sondern eher von Parteizugehörigkeit geleitet waren.
Menschlich aus Perspektive der ehemaligen Opfer ver-
ständlich, politisch jedoch suizidal wurden zudem Teile
des alten Inlandsgeheimdienstes zerschlagen oder deren
Funktionalität bewusst so weit behindert, dass es kein
Zusammenspiel der jeweiligen Polizei- und Sicherheits-
dienste gab.
Die Behebung dieser Dysfunktionalität der Polizei- und
Sicherheitskräfte ist auch 2016 eine der größten
Herausforderungen, denen sich die aktuelle Regierung
ausgesetzt sieht. Dazu zählt auch die erstmalige Einbe-
rufung eines Nationalen Sicherheitsrates, der zur bes-
seren Koordinierung und Sicherstellung der Kohä-
renz der Maßnahmen Vertreter aus Armee, Polizei und
Nationalgarde zusammenbringt. Angesichts der Ter-
roranschläge von Paris im November 2015 und eines
ebensolchen, gerade noch verhinderten Szenarios in
Sousse, wird ein verbesserter Informationsaustausch der
-
dender Bedeutung sein.
IS vor der Tür
Jenseits der inneren Schwächen und Bedrohungen wer-
den vor allem die Entwicklungen in Libyen auch 2016
Der Beschluss der tunesischen Regierung, entlang der
-
tigung zu bauen, trägt der Erkenntnis Rechnung, dass
kaum zu kontrollierenden Waffen- und Drogenschmug-
gels sowie der Hehlerei wurde, sondern terroristische
-
gen können. Dabei verläuft die Abgrenzung zwischen
-
ßend, oftmals bedingen sie einander gegenseitig, da sich
Ein bedrohlicheres Szenario für 2016 kündigt sich ins-
besondere mit Blick auf die Ausbreitung der Terrormi-
liz „Islamischer Staat“ (IS) an. Hat dieser bereits die
Stadt Sirte in fester Hand, so kann es sein, dass insbe-
sondere im Zuge der Ausweitung der Kämpfe gegen
den IS in Syrien und im Irak dieser weiter versucht, im
Zuge alternativer Expansionsbestrebungen Boden in
Libyen und mitunter auch in Tunesien gut zu machen.
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 223
setzten neuen Terror-Welle und den verstärkten Luft-
schlägen Frankreichs wie Russlands ist ein solches Sze-
nario nicht ausgeschlossen. Sollte es dem IS gelingen,
die Stadt Misrata zu erobern, stellt dies eine erhebliche
Bedrohung für die Stabilität in Süd-Tunesien dar.
Rückkehrer als Sicherheitsrisiko
In unmittelbarem Zusammenhang mit den Entwick-
lungen in Syrien und im Irak steht auch 2016 die Frage
der Problematik der Rückkehr ehemaliger IS-Kämpfer.
Tunesien steht mit geschätzten mehr als 4000 Kämpfe-
rinnen und Kämpfern in der Levante an der Spitze der
Länder, die islamistisch-jihadistische Kämpferinnen (!)
und Kämpfer stellt. Nach neuesten Meldungen sollen
bereits einige Hundert von ihnen nach Libyen zurück-
gekehrt sein, um an der Seite des IS zu kämpfen. Weder
die tunesische Regierung noch die Zivilgesellschaft sind
auf dieses Phänomen der Rückkehrerinnen und Rück-
kehrer in ausreichender Weise vorbereitet. Zudem ist
nicht ausgeschlossen, eine erneute Phase politischer
Instabilität in Tunesien vorausgesetzt, dass radikale
und Kämpfer anwerben, um ihre Politik der Destabili-
sierung voranzutreiben.
Bedrohliche Sandwich-Lage
scheint mehr als symbolisch, dass die tunesische Armee
-
pierungen kämpft, deren Kämpfer sich nicht nur aus
Tunesiern, Marokkanern, sondern vor allem aus Alge-
rien rekrutieren. Bis heute kommt es immer wieder
zu Übergriffen von Terrorgruppen aus Algerien her-
aus, die in Tunesien operieren. Die algerische Armee
hat ihrerseits mehrere Tausend Soldaten an der knapp
-
chende Bewegungen einzudämmen, jedoch ist aufgrund
-
sein wird.
Vernetzte Sicherheit
Angesichts der endogenen und exogenen Bedrohungen,
denen sich Tunesien aktuell mit Blick auf die Zukunft
ausgesetzt sieht, ist entscheidend, dass die offensicht-
liche Relevanz, denen Fragen der Sicherheit und Sta-
bilität zukommen, nicht automatisch in einen Rück-
fall zu dem alten Paradigma „Sicherheit und Stabilität
vor allem“ führt, mit dem sich die ehemaligen Regime
auch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit
Europa und den USA zu eigen gemacht haben. Wenn-
gleich die Tunesier unter dem Eindruck der Atten-
tate in Paris aktuell mit rund 75 Prozent angeben, Ein-
schnitte in ihre persönlichen Freiheiten zugunsten von
Sicherheit zu akzeptieren, wäre dies weder der Situa-
tion angemessen, wie das Beispiel Ägypten zeigt, noch
der politischen Herausforderung. Neben der militäri-
schen und polizeilichen Unterstützung, die die interna-
Land gewähren, sollten sicherheitspolitische Maßnah-
men 2016 noch stärker als bislang mit entwicklungspo-
litischen Ansätzen verzahnt werden. In diesem Zusam-
menhang kann das Konzept der „Vernetzten Sicherheit“
im nationalen wie im regionalen Kontext Tunesiens,
gerade auch vor dem Hintergrund der sozialen und
wirtschaftlichen Herausforderungen, eine wichtige
Leitlinie sein.
224 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Mit zwei Augen schauen
Verständlicherweise ist die Aufmerksamkeit Europas
vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise
mit Syrien und dem Irak sowie dem IS-Terrorismus
schwerpunktmäßig auf den Mashrek und die Levante
gerichtet. Die derzeit von den Flüchtlingen präfe-
rierte Balkan-Route kann bei zunehmender Erschwer-
nis insbesondere von Menschen aus Subsahara-Afrika
durch die Sahara-Sahel-Mittelmeerroute als Alternative
räfe
mender Ers
en aus S
Mittelm
KERNPUNKTE
• Die sogenannte „Ausnahme Tunesien“ wird nicht
von allen geschätzt.
• Die Dysfunktionalität des tunesischen Sicherheits-
apparates muss behoben werden.
• Die Ausbreitung des IS ist eine reelle Gefahr für
Tunesien.
• Rückkehrende Kämpferinnen und Kämpfer des IS
sind ein unkalkulierbares Risiko.
• Tunesiens Sicherheitsvorsorge muss auch Algerien
stärker in den Blick nehmen.
• Ein Konzept vernetzter Sicherheit muss das alte Pa-
radigma der „Versicherheitlichung“ ablösen.
• Europa muss in der Flüchtlingskrise auch das westli-
che Mittelmeer in den Blick nehmen.
genutzt werden, um von Algerien, aber auch Tunesien
sowie insbesondere Libyen aus den Weg nach Europa
zu suchen. Angesichts dieser nicht fernab liegenden
Option sollte die EU nicht nur ihre Maßnahmen mit
erneut proaktiv evaluieren, sondern insbesondere ihre
Möglichkeiten gegen verstärkt einsetzende und unkon-
trollierte Migrationsströme mit den betroffenen Staa-
ten diskutieren.
KEY NOTES
• The so-called Tunisian exception is not appreciated
by everyone.
• The dysfunctionalism within the Tunisian security
structure must be corrected.
• The spread of ISIS poses a real threat to Tunisia.
• Returning ISIS combatants present an incalculab-
le risk.
• Tunisia‘s security measures must also take greater
account of Algeria.
• A concept of networked security must replace the
old paradigm of securitization.
• When considering the refugee crisis Europe also has
to take into account the Western Mediterranean.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 225
Hauptmotive
Viele Frauen schließen sich dem IS an,
weil sie ihren Wunsch nach gesellschaftlichem Status
nicht bzw. nicht im Westen hatten umsetzen können.
FRAUEN IM TERRORSYSTEM
DES „ISLAMISCHEN STAATS“
2016
Dalia Ghanem-Yazbeck
Seit Juni 2013 schließen sich westliche Frauen aus
Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Österreich
und sogar Neuseeland dem sogenannten „Islami-
schen Staat“ (IS) im Irak und in Syrien an. Ihre Zahl
wird mit Ende 2015 auf 550 geschätzt. Dieser Bei-
trag soll die Motive dieser Frauen und die Gefahr,
die von ihnen für Europa ausgeht, verständlich ma-
chen. Die Motive junger westlicher Frauen, sich dem
Jihad anzuschließen, ähneln jenen von Männern. Ihr
Verständnis erfordert einen multidimensionalen An-
satz: ihre Motive können philosophischer (Selbstsu-
che, Sehnsucht nach perfekter Gemeinschaft), psy-
chologischer, politischer oder gesellschaftlicher
Natur sein.
226 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Sie streben nach „Status“, indem sie sich dem IS als
einer von vielen gefürchteten und respektierten Jihad-
sie ihr bisher von ihnen selbst als „sinnlos“ wahrge-
nommenes Leben zu einem Leben der Hingabe an die
Errichtung des Kalifats.
Verschiedene globale
-
men der Unterdrückung der muslimischen Umma
-
-
-
tete Propaganda spielt bei der Mobilisierung junger
Frauen eine unverändert große Rolle, indem sie Zorn,
Hass und Furcht hervorruft. Die von anderen Musli-
men erlittenen Traumata werden dazu benutzt, junge
Frauen zu indoktrinieren und dazu zu bringen, sich
-
derung der Situation durch Hijra (Wanderung) und
Unterstützung der Errichtung des Kalifats zu streben.
Da
diese Frauen die Kultur und Außenpolitik des Westens
-
schaft des IS hingezogen. Sobald sie sich dem IS ange-
schlossen haben, lösen sich ihre anderen Beziehungen
-
insbesondere ihr weiblicher Teil – leistet physische,
emotionale und soziale Unterstützung und schafft so
Ver-
wandtschaftliche Beziehungen zu einer Person, die
sich bereits dem IS angeschlossen hat, können die
Disposition zum Anschluss an den IS – bis zur tat-
sächlichen Teilnahme – erhöhen (siehe die Fälle der
Halane-Zwillinge und der Freundinnen Amira Abase,
Shamima Begum und Khadiza Sultana). In einigen
Fällen reisten Frauen zusammen mit solchen Frauen,
wollten.
-
In einigen Fällen hatten westliche Frauen eine
höchst romantische Vorstellung vom Jihad und schlos-
sen sich dem IS an, um IS-Kämpfer (und damit poten-
tielle „grüne Vögel“ = Märtyrer) zu heiraten und Müt-
ter künftiger Kämpfer zu werden.
Eheliche, familiäre und freundschaftliche Bindungen
beugen auch einem etwaigen Wunsch vor, dem IS wie-
der den Rücken zu kehren. Es ist tatsächlich schwerer,
den IS wieder zu verlassen, wenn die eigene Schwes-
ter oder Freundin, der eigene Cousin oder Ehemann –
insbesondere mit Kindern – beim IS ist.
Was kann man tun?
-
den diese Frauen, als Teil der IS-Propaganda, Risi-
kopersonen in den sozialen Netzwerken zu indok-
trinieren und zu rekrutieren versuchen, indem sie
deren „Disposition“ erhöhen, andererseits könnten
einige nach Europa zurückkehren und hier Terroran-
schläge verüben. Folgende Maßnahmen sind daher
entscheidend:
-
mente in die Hand gegeben werden, die es ihnen erlau-
ben, sich vor extremistischer Propaganda zu schützen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 227
Sie sollen fähig werden, Inhalte korrekt einzuschät-
zen und insbesondere zwischen Islam einerseits und
Islamismus und Extremismus andererseits zu unter-
scheiden. Diese Argumente müssen nicht nur von
Regierungsvertreterinnen und -vertretern, sondern
auch von ehemaligen Extremistinnen und Extremis-
ten kommen, die das Vertrauen von Rückkehrenden
und Risikopersonen gewinnen können. Es soll ein
Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen des
Extremismus geschaffen werden.
Erziehungs- und Polizeipersonal sowie andere rele-
vante Personen, die einen Beitrag leisten können, müs-
sen zusammenarbeiten, um Risikopersonen zu erken-
nen und es ihnen zu ermöglichen, aus der Spirale der
Rückkehrerinnen und Rückkehrern darf nicht etwa die
Staatsbürgerschaft aberkannt werden, da dies nur der
IS-Propaganda in die Hände spielt und den IS-Kämp-
ferinnen und Kämpfern eine gute Alternative weg-
Rückkehrenden umgehen und ihnen Rehabilitation
und Reintegration anbieten und ermöglichen.
KERNPUNKTE
• Die Motive westlicher Frauen, sich dem IS anzu-
schließen, können philosophischer, psychologischer,
politischer oder gesellschaftlicher Natur sein.
• Familiäre Verbindungen und Netzwerke spielen bei
ihrer Motivation eine wichtige Rolle.
• Frauen in Jihad-Gruppen stellen eine reale Gefahr
dar. Es ist wahrscheinlich, dass IS-Frauen künftig
aufgefordert werden, aktivere (kämpfende) Aufga-
ben zu erfüllen.
• Die Politik widmet diesen Frauen keine ausreichen-
de Aufmerksamkeit.
• Die Politik muss mit Rückkehrerinnen und Rückkeh-
integration anstreben.
KEY NOTES
• The drivers for western women to join ISIS can be
philosophical, psychological, political or social.
• Family ties and peer networks also play a major role
in the mobilization process.
• Women in jihadist groups are a real threat. It is likely
that women in ISIS will be called upon to play more
active roles (combatant) in the future.
• Policymakers are not paying enough attention to
these women.
•
nees and aim for their total reintegration.
228 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Ein schwieriges Wahljahr
Für 2016 sind in etwa 20 afrikanischen Ländern Prä-
sidentschafts- bzw. Parlamentswahlen vorgesehen. In
einigen Ländern wie etwa in der Republik Seychellen
und in der Republik Cabo Verde verlaufen diese übli-
cherweise friedlich, in einigen wie in Äquatorialgui-
nea und Dschibuti waren sie bisher eine Farce und in
den meisten anderen wie in der Republik Kongo, in der
Tschad sind sie eine höchst umstrittene Veranstaltung.
Ein Vierteljahrhundert nach dem „afrikanischen Früh-
ling“ wird man bei einer Auswertung der Wahlgänge
in jenen Ländern zu dem Schluss gelangen, dass die
Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent fragil
bleibt und Wahlen für sich alleine noch keine Verbesse-
rung politischer Freiheiten und politischer Verhältnisse
überhaupt bewirken. Überdies könnten die geplanten
Wahlen in einigen Ländern wegen der verschlechterten
Sicherheitslage verschoben werden.
ENTWICKLUNGEN IN
SAHEL-AFRIKA 2016
Roland Marchal
Das Jahr 2016 wird für den Kontinent nicht viel Neu-
es bringen, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil
die chinesische Wirtschaft auch weiterhin nur lang-
sam wachsen wird. Dies hat Auswirkungen auf öl-
produzierende Länder und Schwellenländer, deren
Wachstum sich verringert. Die politischen Entwick-
lungen werden im Wesentlichen von Überlegungen
bestimmt sein, die mit Wahlen sowie mit zunehmen-
den Sorgen die Sicherheitslage betreffend zu tun
haben. Diese Sorgen rühren daher, dass es nicht ge-
lingt, die Krisen in der Sahelzone und die steigende
Popularität der Terrormiliz „Islamischer Staat“ unter
radikalen bewaffneten Islamisten südlich der Saha-
ra – insbesondere in Ost- und Zentralafrika – einzu-
dämmen. Die Europäer machen sich wegen der Kon-
trolle der Migrationsströme Sorgen und stellen
gewaltige Summen zur Verfügung, die durchaus vor
Ort Ergebnisse zeitigen werden, die allerdings in ih-
rem Umfang begrenzt und in ihrer Dauer zweifelhaft
sein werden.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 229
Drei Länder verdienen größere Aufmerksamkeit:
Niger leidet an den aus Libyen, Mali und Nigeria über-
schwappenden Krisen und dem zunehmend autoritären
Wahlen verschoben werden könnten. Dies gilt auch für
-
dend, mit dem schwer zu besiegenden Boko Haram und
einem zusammenbrechenden Libyen zu tun hat, aber
kaum mit den wachsenden Rivalitäten innerhalb sei-
das Auswahlverfahren noch nicht entschieden, wobei
die übliche Formel „Nur ein Kandidat steht zur Wahl“
sicher nicht funktionieren wird. Streitigkeiten unter den
führenden Akteuren könnten daher dazu führen, dass
die Wahlen verschoben werden.
Der Daesh kommt nach Afrika
Für die bewaffneten Islamisten stellt die Berichterstat-
tung der internationalen Medien über den Daesh (arabi-
sche Abkürzung für den „Islamischen Staat“) ein wirk-
sames Propagandainstrument dar, um neue Kämpfer
Kommando zu unterstellen. Es geht nicht um ideolo-
gische oder religiöse Debatten, sondern ausschließlich
-
liche Welt zu präsentieren, obwohl er doch in Wahr-
Nahen Ostens darstellt.
Für viele afrikanische Möchtegern-Jihadisten wird der
Daesh immer attraktiver, da ihnen der Bay‘a (Treue-
eid) zu Unterstützung in der Bevölkerung verhelfen
kann, die sie ansonsten nicht bekommen würden, sowie
-
gen Krieg zu führen. In Somalia hat dies im Jahre
2015 nicht funktioniert, aber die fortdauernde Krise
in Libyen, die Delegitimation der islamistischen Herr-
schaft im Sudan und die wiederkehrenden Spannungen
innerhalb der Schabaab-Führung in Somalia und Kenia
werden zu neuerlichen Anläufen in Ost- und Zentralaf-
rika führen.
-
sprachigen Sahelzone zwischen dem Maghreb und dem
Bereich südlich der Sahara, sondern auch an der Ost-
seite der Sahelzone. Zwar könnte im Jahr 2016 das ins-
titutionelle Patt in Libyen aufgebrochen werden, aber
der mögliche Ausweg wird eine unzureichende Lösung
darstellen und es radikalen Islamisten und Jihadisten
ermöglichen, sich im südlichen Libyen neu zu formie-
ren und vermehrt im Sudan und in Ostafrika Wurzeln
zu schlagen. Während Europa sein Hauptaugen-
zu bekommen, könnte der politische Zerfall in jenen
Ländern die Bedingungen für langfristige Instabilität
schaffen.
Weniger Wachstum aufgrund internatio-
naler Öl- und Mineralstoffpreise
Wie schon die Wirtschaftskrise von 1997/98, so wird
auch das derzeit schwache chinesische Wirtschafts-
wachstum nicht alle afrikanische Länder in gleicher
Weise betreffen. Besonders schädlich wird es sich auf
jene auswirken, die starke Wirtschaftsbeziehungen mit
China unterhalten, also jene, die Öl und Mineralstoffe
exportieren. Diese Aussichten werden von Zweifeln
hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachs-
tums in einigen Schwellenländern weiter verdüstert.
Lage der meisten Ölproduzenten auch weiterhin sehr
angespannt sein wird. In einigen Ländern – wie etwa in
Angola mit seinen geplanten Wahlen, im Tschad, in der
230 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Republik Kongo, im Sudan sowie im Südsudan, wo die
Friedensregelung äußerst fragil ist und wohl trotz star-
wird, könnten politische und soziale Krisen die Folge
sein.
Doch auch andere Länder – insbesondere im südlichen
Afrika – werden zu leiden haben, und zwar hauptsäch-
lich Südafrika, aber auch die Demokratische Republik
Kongo, Sambia und Namibia. Das vergiftete politische
Klima Südafrikas mit seinen vielfachen Korruptions-
vorwürfen auf höchster Ebene und dem autoritären
Führungsstil der herrschenden Partei des Afrikanischen
Nationalkongresses könnte erneute soziale Spannungen
auf die Seite des Afrikanischen Nationalkongresses,
sondern auf jene der Protestierenden stellen könnten.
Schlussfolgerung
Die Europäische Union wird für die Herkunftslän-
der der Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten
zen, um den Zuzug der Menschen zu begrenzen. Kurz-
fristig werden diese aber kaum erfolgreich sein, sodass
ein größeres Augenmerk auf Militär und Polizei gelegt
werden wird, um den von der Migration verursach-
ten Herausforderungen zu begegnen. Strukturelle Ant-
worten seitens der Staatengemeinschaft dulden keinen
Aufschub.
Dieser kurzfristige Ansatz wird von der öffentlichen
Meinung in Europa bestimmt und könnte dazu füh-
der Sahara unter dem Aspekt der Migration betrachtet
werden und damit möglicherweise ihr wahrer Kontext
missverstanden wird.
Im Jahre 2016 werden die Anreize zur Migration in ent-
südlich der Sahara werden kaum gelöst werden können,
da sich die Lage in Burundi, im Südsudan, in Nigeria,
Niger und anderen Ländern nicht wesentlich verbes-
sern wird. Auch das verlangsamte Wirtschaftswachstum
Übrigen vergrößert das Wirtschaftswachstum in Afrika
bestehende Ungleichheiten und ändert daher nichts
daran, dass viele ihre Hoffnungen in ein besseres Leben
außerhalb Afrikas setzen.
KERNPUNKTE
• Afrika südlich der Sahara wird wegen des niedrigen
Ölpreises ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum
erleben.
•
wachsen.
• Geldmittel der EU werden in den Herkunftsländern
der Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten
erst langfristig Erfolge zeitigen.
• Die europäische öffentliche Meinung betrachtet die
Aspekt der Migration.
KEY NOTES
• Sub-Sahara Africa faces an economic slowdown due
to low oil prices.
•
• The EU’s investment in countries generating re-
fugees and migrants will succeed only in the long
term.
• European public opinion regards Sub-Saharan con-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 231
Migration aus Westafrika
Migration aus Westafrika nach Europa wird ein Thema
bleiben. Die Transsahara-Routen werden weiterhin
genutzt werden, um Menschen aus Westafrika Richtung
nordafrikanische Küste zu bringen. Aufgrund fehlen-
der funktionierender staatlicher Strukturen wird Libyen
das primäre Zielgebiet als Ausgangspunkt für Migra-
ENTWICKLUNGEN IN
WESTAFRIKA 2016
Gerald Hainzl
Das Engagement externer Akteure in Westafrika
wird 2016 mindestens auf dem Niveau von 2015 er-
halten bleiben bzw. als Teil des Kampfes gegen den
internationalen Terrorismus verstärkt werden.
Frankreich wird mit dem neu gewählten Präsidenten
Nigerias, Muhamadu Buhari, die begonnene ge-
meinsame Politik gegen den Terrorismus sowie die
2014 mit fünf Sahel-Staaten begonnene Operation
„Barkhane“ fortsetzen. Unter dem Eindruck der An-
schläge von Paris wird Frankreich ein stärkeres En-
gagement seiner EU-Partner einfordern. Auch die
USA werden ihre Programme in Westafrika weiter
fortführen. Der Kampf gegen Boko Haram wird das
bestimmende sicherheitspolitische Thema in West-
afrika bleiben.
232 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
tion nach Europa bleiben. Das internationale und regi-
onale Umfeld könnte zu einem Anstieg von Migranten
aus Westafrika führen.
Der Kampf gegen Boko Haram in Nigeria
Die Erfolge, die die Multi-National Joint Task Force
(MNJTF) gegen Boko Haram erzielen konnte, werden
sich 2016 fortsetzen. Insgesamt werden die internationa-
len Kräfte das Operationsgebiet von Boko Haram wei-
ter einschränken können. Boko Haram wird aus diesem
und kleine Städte verringern und wieder zu terroristi-
schen Maßnahmen – Bomben- bzw. Selbst-
mordattentate – zurückkehren. Die Tendenz, aus takti-
einzusetzen, wird auch 2016 beibehalten werden. Der
Treueeid, den Boko Haram dem Kalifen der Terrormi-
liz „Islamischer Staat“ leistete, könnte zu einer stärkeren
-
kungskreis über das derzeitige Operationsgebiet um den
Die MNJTF mit Kräften aus Benin, Kamerun, dem
Tschad, Niger und Nigeria könnte zu einem Modell für
friedenserhaltende und Frieden schaffende Operationen
in (West-)Afrika werden. Betroffene afrikanische Staaten
Zukunft immer öfter in Koalitionen der Willigen zusam-
Region zu begegnen. Eine Herausforderung wird aller-
dings nach wie vor die Finanzierung bleiben.
Die nigerianische Wirtschaft, die stark vom Ölpreis
abhängig ist, könnte 2016 ordentlich ins Trudeln kom-
men, falls sich der Ölpreis nicht erholen sollte. Bereits für
2015 musste die Planungsgrundlage des Budgets nach
unten revidiert werden, für 2016 könnte ein ähnliches
Szenario drohen. Für den neuen Präsidenten Buhari wird
es damit noch einmal schwieriger werden, seine Verspre-
chen bereits in einer frühen Phase der Präsidentschaft
umzusetzen, er könnte gezwungen sein, Nigeria einen
strikten Sparkurs zu verordnen.
Nahrungsmittelmangel in Nordmali
Die Entwicklungen in Mali werden auch 2016 im Norden
und Süden des Landes unterschiedlich sein. Während die
Lage im Süden stabil bleiben wird, muss im Norden auch
weiterhin mit An- und Übergriffen auf Dörfer und inter-
nationale Organisationen gerechnet werden. Bereits im
ersten Quartal 2016 könnte Nahrungsmittelmangel für
Timbuktu die Lage weiter verschärfen.
Nach den Anschlägen von Paris dürfte Frankreich auch
in Mali sowie im gesamten Sahel mehr Engagement von
seinen EU-Partnern einfordern, nicht zuletzt um Kräfte
für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus an
anderen Schauplätzen frei zu bekommen.
Neubeginn in Burkina Faso
In Burkina Faso waren für Oktober 2015 nach einer ein-
jährigen Übergangsregierung Wahlen vorgesehen. Ein
Putsch durch die ehemalige Präsidentengarde machte
diesen Zeitplan jedoch zunichte. Unter dem Druck und
der Vermittlung mehrerer internationaler Organisation
wie UNO, EU, Afrikanischer Union und Westafrikani-
scher Wirtschaftsgemeinschaft sowie der Androhung
einer militärischen Auseinandersetzung durch die Streit-
kräfte Burkinas und die Vermittlung eines traditionellen
Herrschers konnten die Putschisten zum Rückzug bewo-
gen werden und die Wahlen mit Verspätung durchge-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 233
führt werden. Die neu gewählte politische Führung wird
2016 vor allem den innenpolitischen Konsolidierungs-
prozess vorantreiben und versuchen, einen nationalen
Aussöhnungsprozess zu beginnen.
Normalisierung nach Ebola in den Staaten
der Mano-River-Union
Bei aller Dramatik im Jahr 2014 war Ebola 2015 kaum
mehr Thema in den internationalen Sicherheitsdiskursen.
Die betroffenen Staaten der Mano-River-Union werden
versuchen, sich sozial und ökonomisch von der Ebola-
Krise zu erholen, deren Schaden von der Weltbank mit
ca. 3,3 Mrd. US-Dollar beziffert wurde. Der Handel
in Westafrika wird 2016 wieder vollkommen normali-
siert sein und das Wirtschaftswachstum wird wieder das
Niveau vor der Krise erreichen.
KERNPUNKTE
• Die Migration aus Westafrika Richtung Libyen als Basis für eine Überfahrt nach Europa könnte 2016 ansteigen.
• In Nigeria und in den Anrainerstaaten des Tschadsees wird der Kampf gegen Boko Haram das dominierende si-
cherheitspolitische Thema bleiben.
• Frankreich wird von seinen EU-Partnern mehr Engagement in Westafrika und in der Sahel-Region einfordern.
• In Burkina Faso wird das Jahr 2016 für einen innenpolitischen Konsolidierungsprozess genutzt werden.
• Das Wirtschaftsleben in den Staaten der Mano-River-Union wird sich nach Ende der Ebola-Krise normalisieren.
• Die Republik Côte d’Ivoire wird sich 2016 weiter stabilisieren und wirtschaftlich erholen.
Wirtschaftliche Erholung in der Republik
Côte d’Ivoire
Mit der erneuten Wahl von Alassane Ouattara zum Prä-
sidenten der Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste)
wird der Wirtschaftskurs und damit die wirtschaftliche
Erholung beibehalten werden. Da die Wahlen 2015 ohne
grobe Zwischenfälle und transparent abliefen, dürfte
auch das Vertrauen von Investoren zurückkehren. Wäh-
rend sich die Wirtschaft 2016 positiv entwickeln wird,
fehlt es nach wie vor an einem gesamtgesellschaftlichen
Versöhnungsprozess, der die derzeitige politische Stabili-
tät nachhaltig absichern könnte.
KEY NOTES
• Migration from West Africa towards Libya as the starting point for a crossing to Europe could increase in 2016.
•
tries of Lake Chad.
• France will ask for more commitment in West Africa and the Sahel region from its EU partners.
• In Burkina Faso, 2016 will be used for an internal political consolidation process.
• Economic life in the countries of the Mano River Union will return to normal after the Ebola crisis.
• The Republic of Côte d‘Ivoire is expected to further stabilize in 2016 and recover economically.
234 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Der Friedensvertrag öffnet eine Tür
2016 hat das Potential, zum Jahr des Durchbruchs für
Mali zu werden, indem das Land, ausgehend vom Frie-
densvertrag zwischen der Regierung und den bewaff-
Schlüsselregion wieder in Angriff nimmt und ein nati-
onales Programm zur Dezentralisierung startet. Viele
Herausforderungen werden jedoch gemeistert werden
müssen, um dieses Potential auch tatsächlich zu nutzen.
Im letzten Jahr haben sich die jihadistischen Ter-
roranschläge, die ursprünglich auf den Norden
MALI 2016
Paul Melly
Die Unterzeichnung des Friedensvertrages für Nord-
mali eröffnet dort den Weg für eine beschleunigte
Wiederherstellung der fundamentalen Dienstleistun-
gen. Dazu tragen trotz des fortdauernden jihadisti-
schen Terrors auch Maßnahmen zur regionalen De-
zentralisierung bei. Um jedoch den Vertrag
umzusetzen, wird es eines effektiveren Regierens,
der sinnvollen Nutzung internationaler Hilfe und ver-
stärkter Maßnahmen zur Versöhnung der einzelnen
Gruppen bedürfen.
-
weitet. Anschläge haben im Herzen Bamakos und in
-
Elfenbeinküste, stattgefunden. In Zentralmali, zwi-
sind die Verhältnisse besonders besorgniserregend. Im
August starben 13 Menschen, als Kämpfer vorüberge-
hend ein Hotel in Sévaré unter ihre Kontrolle brachten
und mehrere Anschläge auf lokale Regierungsvertreter
stattfanden.
Der Terror wird dennoch weitergehen
bis zur Intervention französischer und afrikanischer
Truppen Anfang 2013 Teile des Nordens unter ihrer
Kontrolle hatten. Doch die Vorkommnisse in Zentral-
mali gehen weitgehend auf den dortigen Front de Libé-
ration du Macina (FLM) zurück, dessen Motive wirt-
schaftliche Not und religiöse Ideologie sind.
Im Jahre 2016 wird die Terrorgefahr fortbestehen,
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 235
lionen Euro zur Hilfeleistung für den Norden zuge-
sagt haben, zu nachhaltigeren Kontrollmaßnahmen
entschlossen.
nördlichen Regionen von entscheidender Bedeutung
sein, um die Wunden tiefen Misstrauens zu heilen, die
haben. Das Bild wird noch komplizierter, da ökonomi-
sche Interessen in Verbindung mit dem Schmuggel von
Drogen- und Waffen quer durch die Sahara, von Men-
schen nach Europa und auch von Zigaretten, Lebens-
mitteln und Alkohol auf dem Spiel stehen. Der Streit
um die Kontrolle lukrativer Schmuggelrouten war eine
der Hauptursachen der Kämpfe, die nach Abschluss des
Friedensvertrages wieder ausgebrochen waren.
Einerseits existieren im Norden Malis die größten
Bedrohungen für die Sicherheit, andererseits ruhen die
Hoffnungen auf Frieden und Stabilität auch auf der
-
bacar Keïtas bei der Sicherstellung von Entwicklung
und öffentlichen Dienstleistungen.
Hilfszusagen – Herausforderungen für die
Regierung
Die Erfolge der Verwaltung waren in den beiden letz-
ten Jahren lückenhaft und Vorwürfen fragwürdigen
suspendierte der Internationale Währungsfonds wäh-
rend einer Überprüfung von Beschaffungsverträgen für
einige Monate seine Unterstützung. Dennoch erhielt
Mali für den Zeitraum 2015 bis 2017 Finanzzusagen im
Umfang von 3,2 Milliarden Euro, davon 360 Millionen
Euro von Frankreich. In ihrem elften Europäischen
Entwicklungsfonds hat die EU 615 Millionen Euro für
Mali bereitgestellt. Mali wird auch vom neuen EU-Treu-
obwohl die 12.680 Mann starke UN-Friedenstruppe
MINUSMA im Land stationiert ist, zirka 1000 Mann
der französischen Opération Barkhane im Norden ein-
gesetzt sind und sich der Zustand der malischen Streit-
kräfte, die zu großen Teilen von der European Union
Training Mission in Mali (EUTM) ausgebildet wurden,
gebessert hat.
Der Friedensvertrag zwischen der Regierung, der regie-
rungstreuen Miliz und den nicht-jihadistischen bewaff-
l’Azaward (CMA), die für eine Unabhängigkeit oder
weitgehende Autonomie des Nordens gekämpft hat-
ten, könnte im Laufe des Jahres 2016 zu mehr Stabili-
tät in Nordmali führen. Selbst nachdem die CMA am
20. Juni 2015 den Friedensvertrag unterzeichnet hatte,
gab es wegen Rivalitäten bezüglich der Kontrolle über
strategisch wichtige Städte im Nordosten, sporadische
Zusammenstöße mit der regierungstreuen Miliz der
Plateforme-Allianz. Bis Ende Oktober trat jedoch eine
Abkühlung ein, sodass es eine echte Chance gibt, dass
beide Seiten nunmehr ihr Hauptaugenmerk der Umset-
zung des Friedenvertrages zuwenden.
Dezentralisierung als entscheidende
Ergänzung
Das versprochene Programm der Dezentralisierung soll
allen Regionen eine größere Kontrolle über lokale Ent-
wicklungs- und Finanzierungsentscheidungen verschaf-
fen. In der Vergangenheit gab es bereits nach Rebellio-
nen des Nordens Ankündigungen derartiger Reformen,
diese wurden jedoch nicht ernsthaft umgesetzt. Ver-
-
wicklungsschritten vor Ort, und nur einige wenige Teil-
auf reale Veränderungen besser. Für den Zeitraum 2015
bis 2017 haben sich internationale Partner, die 605 Mil-
236 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
den, Demokratie und engen Beziehungen zur internati-
Ob der Prozess gegen Hauptmann Amadou Haya
Sanogo und andere Mitglieder der Militärjunta, die in
den Jahren 2012 und 2013 an der Macht war und sich –
nunmehr in Haft – dem Vorwurf schwerer Menschen-
rechtsverstöße ausgesetzt sieht, weitergeführt werden
soll, ist eine überaus sensible Frage. Prozesse könn-
ten Spannungen zwischen einzelnen Teilen des Militärs
erhöhen.
Die EU betrachtet die Sahelzone nunmehr als prioritäre
Region für ihre eigene Sicherheit und für die Bewälti-
gung von Herausforderungen wie etwa illegale Migra-
tion, Klimawandel und Drogenschmuggel. Aus europä-
ischer Sicht könnten Fortschritte in Richtung größerer
Stabilität in Mali – besonders im Norden des Landes –
dazu beitragen, die Terrorgefahr in der überaus wich-
tigen Nachbarregion Sahelzone zu reduzieren und die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, der Bewältigung
schenken.
KERNPUNKTE
• 2016 wird für die Umsetzung des Friedenvertrages für Nordmali entscheidend sein.
• Eine effektive Dezentralisierung könnte die Umsetzung des Friedensvertrages unterstützen, wird aber schwierig
zu realisieren sein.
• Jihadistische Gruppen werden auch weiterhin Anschläge verüben und nahezu im ganzen Land eine Bedrohung
darstellen.
•
steht, zu überwinden.
• Interessen im Zusammenhang mit lukrativem Schmuggel quer durch die Sahara hinweg behindern die Umsetzung
des Friedenvertrages und der Dezentralisierung.
• Das Schicksal der wegen Menschenrechtsverstößen vor Gericht stehenden ehemaligen Putschisten wird für die
Regierung zur Nervenprobe werden.
• Die Geldgeber haben große Unterstützung zugesagt, haben aber weiterhin Bedenken bezüglich der malischen
Verwaltung.
KEY NOTES
• 2016 will be a critical test year for the implementation of the Northern Mali Peace Accord.
•
• Jihadist groups will continue to stage attacks and remain a nationwide threat.
•
•
• The legal fate of former putschists charged with human rights crimes will test government nerves.
• Donors have pledged strong support, but still have governance concerns.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 237
Geoökonomisch
Auf globaler Ebene setzt sich die wirtschaftliche
Regionalisierung fort, die als Emanzipationsbewegung
von den USA gedeutet werden kann. Die USA ihrerseits
EUROPÄISCHE UNION
UND RUSSLAND 2016
Eine polemologische Vorschau
Christian Stadler
Die polemologische Vorschau auf das EU-Russland-
Verhältnis 2016 kann anhand seiner geoökonomi-
schen, geopolitischen und geokulturellen Charakte-
ristiken näher analysiert werden. Dabei ist eindeutig
festzustellen, dass bei allen politischen Indifferen-
zen zwischen der Europäischen Union und Russland
eine „Schicksalspartnerschaft“ besteht, mit der von
beiden Seiten verantwortungsvoll umgegangen wer-
den muss.
versuchen, ihre globale wirtschaftliche Vorherrschaft
mittels Freihandelsabkommen zu sichern und die syste-
misch nicht-westlichen Wirtschaftsriesen China, Indien
und via BRICS auch Russland damit auszubremsen.
Russland wird mit großer Wahrscheinlichkeit seinerseits
die wirtschaftliche Integration der seit 2015 existieren-
den Eurasischen Union weiter vorantreiben, um seine
Stellung gegenüber dem Westen, aber auch seine asiati-
schen BRICS-Partner China und Indien zu stärken.
Dass Russland dabei eine nachhaltige Abkehr von der
EU handelspolitisch, technologiepolitisch und energie-
politisch wirklich durchhalten kann, ist sehr unwahr-
scheinlich, da die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der
EU und Russland durch strukturelle Komplementarität
gekennzeichnet sind. Den wirtschaftlichen Bedürfnis-
238 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
sen wird aber durch weiterhin aufrechte westliche Sank-
tionen gegen Russland wohl auch 2016 entgegengewirkt
werden – zum Schaden sowohl Russlands als auch der
EU. Nach wie vor stellt eine Kontaktaufnahme der EU
zur Eurasischen Union eine zwar der Sache nach hoch-
vernünftige, aber dennoch 2016 eher noch wenig wahr-
scheinliche Option dar.
Für Österreich ergibt sich damit weiterhin mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit eine äußerst schwierige Situ-
ation aufgrund seiner überaus engen wirtschaftlichen
Russland. Wenn die EU insgesamt unter den Friktio-
nen in diesem Raum leidet, ist Österreich dabei doppelt
getroffen, denn seine nationale Wirtschaft, die direkt
im Raum engagiert ist, ist vollständig mit der durch
diese Krise ihrerseits gesamthaft geschwächten EU-
der EU ebenso wie bilateral gefordert, entsprechende
krisen-entschärfende Initiativen zu setzen.
Geopolitisch
-
nische Auseinandersetzung um den Aufbau zwar nicht
direkt antiamerikanischer, aber doch von den USA
unabhängiger politischer Allianzen fortsetzen. Russ-
land spielt dabei sicherlich weiterhin – aufgrund sei-
ner Position im VN-Sicherheitsrat und als eine füh-
rende Atommacht – eine sehr aktive Rolle. Es bleibt
Nachbarschaftspolitik im Falle Russlands prinzipiell für
unmittelbaren Nachbarschaft bedeutet, erscheint der
restlichen Welt als globaler Machtanspruch.
Vor diesem globalen Hintergrund werden die Bezie-
hungen einer nach wie vor massiv atlantisch orientier-
ten EU und eines auf geopolitische Autonomie von den
USA pochenden Russland weiterhin sehr gespannt blei-
ben. Ob sich eine Entspannung zwischen EU und Russ-
land einstellen kann, wird auch sehr davon abhängen,
ob es dem EU-Europa realistischerweise gelingt, eine
für die Ukraine und Russland gleichermaßen zumutbare
-
hängigen Ukraine ebenso achtet wie die berechtigten
u.a. in der klassischen Vermeidung von Interventionen
raumfremder Mächte bestehen.
Österreich kann als Teil der EU nur versuchen, einen
konstruktiven Beitrag zur Deeskalation und zur Etablie-
rung neuen Vertrauens zwischen Kiew und Moskau zu
leisten. Dieser wird 2016 mit einiger Wahrscheinlichkeit
in einem massiven militärischen Engagement Öster-
von Minsk II bestehen. Dies ist nicht nur im Interesse
Österreichs, sondern auch in dem sowohl der EU als
auch Kiews und Moskaus, eine strategische Kleeblatt-
Situation, die – auf dem europäischen Kontinent – nur
Geokulturell
Während große Teile der EU eine starke atlantische
bzw. mediterrane Orientierung aufweisen, vermag sich
die deutschsprachige Mitte Europas relativ gut mit ost-
nicht nur aus historischen, sondern auch aus kulturellen
-
lichkeit zwar weiterhin sanktionstechnisch geschlossen
gegenüber Russland auftreten, aber es werden mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit die massiv betroffenen Mit-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 239
glieder der EU-Mitte verstärkt versuchen müssen, über
geokulturelle Vertrauensbildung jene Basis zu schaffen,
Lösung der Ukraine-Krise darstellen kann.
Die eigentümliche Dialektik besteht dabei darin, dass
die sachliche Voraussetzung für eine entsprechende
EU-Aktivität eine größere geokulturelle Eigenständig-
Möglichkeit von russischem Vertrauen zur EU dar-
stellt. Wenn daher dieser geokulturelle Weg von der
EU geopolitisch überhaupt beschritten werden kann,
dann wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit den Anfang
einer neuen, wesentlich tieferen, da kulturell, politisch
und ökonomisch gleichermaßen existenziellen „Schick-
salspartnerschaft“ zwischen der EU, der Ukraine und
Russland darstellen.
Österreich als einem engagiert neutralen Staat im Her-
zen Europas kommt in diesem Zusammenhang die zen-
trale Verantwortung zu, nichts unversucht zu lassen,
trauensbilder – etwa im Rahmen der OSZE – zu ent-
schärfen. Österreich kann dabei als kluger neutraler
Staat, der als Mitglied der westlichen Wertegemein-
schaft dennoch über Jahrzehnte hinweg geokulturell
gute und vertrauensvolle Beziehung zu Russland unter-
halten konnte, für die Ukraine gangbare Wege aufzei-
wicklung im Einklang mit seinem russischen Nachbarn
zu gestalten.
KERNPUNKTE
• Geoökonomisch dürfte 2016 weiterhin von wirt-
schaftlicher Regionalisierung gekennzeichnet
bleiben.
• Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass Russland
seine handels-, technologie- und energiepolitische
Abkehr von der EU durchhalten kann.
• Geopolitisch wird sich der Trend hin zu einer von
den USA unabhängigeren europäischen Politik
fortsetzen.
• Österreich wird politisch wie militärisch eine stärke-
re Rolle bei der Umsetzung von Minsk II spielen.
• Geokulturell kann sich vor allem der deutschsprachi-
• Österreich sollte nichts unversucht zu lassen, um
Vertrauensbilder – etwa im Rahmen der OSZE – zu
entschärfen.
KEY NOTES
• In geo-economic terms, 2016 will continue to be
characterized by economic regionalisation.
• It seems unlikely that Russia can preserve its eco-
nomy-, technological- and energy political re-nuncia-
tion of the EU.
• Geopolitically, the trend of a more independent Eu-
ropean policy towards the US, will continue.
• Austria will play politically as well as militarily a
stronger role in the implementation of Minsk II.
• From a cultural perspective, mainly the German
speaking parts of Europe can identify themselves
with Eastern European sensitivities, which fosters
• Austria should spare no effort to act as a mediator
work of the OSCE - in order to defuse the Ukraine
240 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
MILITÄRSTRATEGISCHE
AMBITION RUSSLANDS 2016
Sergey Markedonov
Die militärstrategischen Ambitionen Russlands wer-
den sich 2016 auf drei sicherheitspolitische Ziele
und die Gewährleistung der Stabilität und der Si-
cherheit in der südlichen Nachbarschaft der Russi-
schen Föderation. Moskau ist bestrebt, zum gleich-
berechtigten Partner der Großmächte USA, der EU
und Chinas aufzusteigen.
Russland als gleichberechtigter Partner
Unter den Hauptrichtungen der russischen Außen-
politik für das Jahr 2016 lassen sich drei Tendenzen
hervorheben:
• die Beteiligung am und die diplomatische Lösung
•
Ukraine und
• -
heit in der südlichen Nachbarschaft der Russischen
Föderation (im Südkaukasus und in Zentralasien).
Alle drei Tendenzen zielen auf eine Verbesserung der
Beziehung zum Westen ab. Die Stabilisierung die-
ser wird jedoch nicht in einem einseitigen Entgegen-
kommen gegenüber Washington und Brüssel beste-
hen, viel mehr soll die Legitimität russischer Interessen
anerkannt werden. Als Idealoption sieht Moskau seine
-
mächte“ als gleichberechtigter Partner der USA, der EU
und möglicherweise Chinas.
Russland als Partner für eine Lösung des
In Syrien wird Russland versuchen, die eigene Militär-
präsenz in begrenzter Form – durch Luftschläge und
Militärberater – ohne Einsatz russischer Bodentruppen
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 241
Ostukraine als Gegengewicht zu Kiew
-
ressen zu erreichen. Im Jahr 2016 liegen die russischen
Interessen in der Fortführung des im Herbst heurigen
-
ine nicht als Ziele einer möglichen Annexion wie im
Fall der Krim; vielmehr sieht man diese Regionen als
schnellen Beitritt zur NATO und der EU drängenden
Zentral- und Westukraine. Die Erreichung eines Kom-
Maximalziel für das Jahr 2016.
Während sich der Westen de facto mit einer Ausdeh-
nung der Fristen für die Umsetzung der Minsk-Ver-
einbarungen einverstanden erklärt, hält Moskau das
Einfrieren aller Diskussionen über den Status der
der bewaffneten Auseinandersetzungen für zentral.
Dies würde den Weg zur Revision der Sanktionspoli-
tik gegenüber Moskau ebnen. Ein solcher Schritt würde
seinerseits dabei helfen, die Zusammenarbeit in Syrien
sowie die Lösung anderer internationaler Probleme zu
intensivieren. Als „Rote Linie“ gilt für die Russische
Föderation auch im Jahr 2016 eine militärische Lösung
der Separatistenfrage im Donbass durch die ukraini-
sche Armee unter der Mithilfe des Westens. In einem
solchen Fall könnte eine direkte Teilnahme Russlands
ausgeschlossen werden. Dies würde ein erhebliches
Risiko für die gesamte europäische Sicherheit bedeuten.
aufrechtzuerhalten. Solcherart dient die Militärgewalt
Moskau als Mittel zur Verbesserung der eigenen Posi-
tion im Verhandlungsprozess.
Nebenher sucht Moskau nach Möglichkeiten zur effek-
-
ten gegen den „gemeinsamen Feind“, den Radikalis-
lamismus in Syrien. Des Weiteren wird Russland die
aktive diplomatische Kooperation mit arabischen Staa-
ten – Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten – fortführen.
Im Erfolgsfall erreicht Moskau nicht nur die Auf-
-
tes im Nahen Osten“ (ohne russische Beteiligung soll es
nicht möglich sein, über die Zukunft Syriens wie auch
über das persönliche Schicksal von Baschar al-Assad
zu bestimmen), sondern es verbessert auch die Bezie-
hungsdynamik zu Washington und seinen Verbünde-
ten – sowohl aus den Reihen der EU als auch unter den
Ländern des Nahen Ostens.
Politisches Risiko des
Militärengagements
Allerdings könnte eine Prolongierung des militärischen
-
sischen Armee, der Mangel an Koordinierung zwi-
schen den Akteuren und die wachsenden Widersprüche
– nicht nur zwischen Russland und dem Westen, son-
dern auch zwischen dem Iran und Saudi-Arabien – zu
einem ganz anderen Ergebnis führen. In einem solchen
Fall könnten die westlichen Staaten angesichts der Ver-
wundbarkeit Russlands den politischen Druck auf Mos-
kau erhöhen. Daher wird es für die Russischen Födera-
tion von großer Bedeutung sein, die Militärpräsenz in
einen diplomatischen Erfolg zu konvertieren.
242 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Russland will sich als gleichberechtigter Partner gegenüber den westlichen Großmächten 2016 positionieren.
•
•
tigt werden.
• Die Überwindung der „Isolation“ Russlands soll mit Hilfe einzelfallbezogener militärischer und politischer Mecha-
nismen erreicht werden.
Russische Sicherheitsinteressen im Kau-
kasus und in Zentralasien
Die südkaukasischen und zentralasiatischen Regio-
nen bleiben auch im Jahr 2016 für Moskau im Fokus
der Aufmerksamkeit. In diesen Regionen erfolgt die
Umsetzung der für die Russische Föderation wichti-
gen Integrationsprojekte (Organisation des Vertrags
über kollektive Sicherheit, Eurasische Wirtschaftsunion,
Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit), die
Kasachstan, Armenien, Kirgisien, Tadschikistan und
Usbekistan einbeziehen. Dabei wird Moskau eine Auf-
(von Berg-Karabach bis Abchasien und Südossetien)
zu erreichen trachten. In Bezug auf Berg-Karabach
wird Russland zwischen Jerewan und Baku taktie-
ren, Abchasien und Südossetien gewährt Moskau eine
Sicherheitsgarantie ohne die Option eines „Krim-
Szenarios“. Die Unterstützung der politischen Regime
in Zentralasien wird im Wege militärischer und wirt-
schaftlicher Hilfsmaßnahmen intensiviert. Im Unter-
schied zu anderen Regionen des postsowjetischen
Raumes zeigt sich Moskau in Zentralasien zu einer tri-
lateralen Kooperation mit den USA und China bereit.
setzungen Russlands in diesem Teil Eurasiens gehören.
Schlussfolgerungen für 2016
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Moskau
bestrebt sein wird, die Auswirkungen der im Jahr 2014
aufgrund der Krim- und der Ukrainekrise erfolgten Iso-
lation zu überwinden. Allerdings wird dies nicht im
Wege des Nachgebens und des Schuldanerkenntnisses
erfolgen, sondern über eine aktive Suche nach einzel-
fallbezogenen militärischen und politischen Mechanis-
men abseits eines jedweden universellen Systems. Den
Ausweg aus der Isolation sieht Moskau im Aufstieg zu
einem bedeutenden Akteur der – von einer eindeutigen
US-amerikanischen Dominanz freien – internationalen
Beziehungen.
KEY NOTES
• In 2016, Russia wants to position itself as an equal partner to the Western great powers.
•
•
• Russia is trying to overcome its „isolation“ by incident-driven military and political mechanisms.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 243
WIRTSCHAFTLICHE
STABILITÄT RUSSLANDS
2016
Ruslan Grinberg
-
schaft in einer Rezessionsphase, deren Ausmaß
nach Einschätzung des Instituts für Wirtschaft der
Russischen Akademie für Wissenschaften (RAN)
3,7 % Rückgang des BIP ausmachen wird. Diese
Prognose unterscheidet sich kaum von den Erwar-
tungen der russischen Regierung.
Verlangsamung des
Wirtschaftswachstums
Die Verlangsamung der Wirtschaftsdynamik setzte in
der zweiten Jahreshälfte 2012 ein und war das Resul-
tat des Endes des Preiswachstums für Hauptexportpro-
dukte der Russischen Föderation. Diese Entwicklung
244 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
übte angesichts der Wirtschaftsstruktur entscheiden-
-
schen Wirtschaft, das Bevölkerungseinkommen und die
Verbrauchernachfrage aus. Den Höchststand erreich-
ten die Durchschnittsexportpreise im Jahr 2012, danach
ging die Tendenz zum Preisverfall über. In den Jahren
2014 und 2015 verschlechterte sich die Lage rapide. Die
Wirtschaft ging von der Stagnationsphase in die Rezes-
sionsphase über. Den Hauptgrund für die Rezession
stellte der abrupte Ölpreisverfall auf den Weltmärk-
ten (von 100 auf 50 US-Dollar pro Barrel) in Kombina-
tion mit der Einführung der gegenseitigen Sanktionen
im Zusammenhang mit der innerukrainischen Krise
dar. Zudem verschlimmerte eine zweifache Abwertung
des Rubels (von 30 auf 60 Rubel pro Dollar) die Wirt-
schaftslage der Russischen Föderation. Russland trat in
eine Wirtschaftsphase ein, die durch einen beschleunig-
ten Wirtschaftsrückgang, begleitet von einer wachsen-
2015), gekennzeichnet ist.
Die statistischen Daten für Oktober 2015 und die
Unternehmensumfragen lassen die Schlussfolgerung zu,
dass die Rezession zum Stillstand gekommen ist und die
Wirtschaft die Talsohle erreicht hat. Diese Entwicklung
erlaubt von dem prognostizierten BIP-Rückgang für
das Jahr 2015 iHv 3,7 bis 3,9 % des BIP auszugehen.
Entwicklungsprognose
für die Wirtschaft im
Jahr 2016
Im Jahr 2016 könnte sich die
russische Wirtschaft gemäß
zweier Szenarien entwickeln:
Dem ersten Szenario wurde
ein Durchschnittsjahrespreis
pro Barrel Erdöl der Marke „Urals“ von 50 Dollar für
das Jahr 2016, 52 Dollar für 2017 und 55 Dollar für
Jahr 2016 demnach 0,7 % betragen. Des Weiteren ist
nach einer schrittweisen Wiederherstellung der Inves-
titionsvolumina und der Verbrauchernachfrage mit
einem Wirtschaftswachstum von bis zu 1,9 % für das
Jahr 2017 und bis zu 2,4 % für 2018 zu rechnen.
Das zweite Szenario („Krisenszenario„ oder „konser-
geht von einem für einen längeren Zeitraum anhalten-
den niedrigeren Preis für natürliche Rohstoffe aus, in
erster Linie für Erdöl (bis zu 40 Dollar pro Barrel) und
Erdgas. In einem solchen Fall ist eine positive BIP-
Dynamik nicht vor dem Jahr 2018 zu erwarten.
Der gegenwärtige Diskussionsverlauf sowie die Stand-
punkte der wichtigsten Vertreter des Wirtschaftsblocks
Annahme, dass die Wirtschaftspolitik aktivisiert und
Maßnahmen zur Steigerung der Investitionsaktivität
-
wachstums getroffen werden. Es ist nicht davon aus-
zugehen, dass es im Laufe des Jahres 2016 tatsächlich
gelingen sollte, die notwendigen institutionellen Vor-
aussetzungen für die Durchführung einer Politik der
2012 2013 2014 2015
BIP 103,4 101,3 100,6 96,1 (-3,9%)
Investitionen ins
Grundkapital
106,8 100,8 97,3 90,01 (-9,1%)
Einzelwarenumsatz 106 104 102,7 91,5 (-8,5%)
Tabelle: Dynamik der Hauptindikatoren der russischen Wirtschaft
(Wachstum/Rückgang im Vergleich zum Vorjahr)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 245
KERNPUNKTE
• In den Jahren 2014 und 2015 ging die Wirtschaft von einer Stagnationsphase in die Rezessionsphase über.
• Der Hauptgrund für die Rezession waren der Verfall des Ölpreises, eine Rubel-Abwertung sowie die Verhän-
gung der gegenseitigen Sanktionen.
• Die Rezession erreichte im Oktober 2015 ihre Talsohle, sodass 2016 mit einem leichten positiven Wirtschafts-
wachstum (von 0,3 Prozent) gerechnet werden kann.
aktiven Unterstützung des Wirtschaftswachstums zu
schaffen. Zugleich darf aber nicht außer Acht gelas-
sen werden, dass gegenwärtig noch immer äußere und
innere Schranken für das Wirtschaftswachstum beste-
hen bleiben. Diese Schranken betreffen sowohl die
Bevölkerungseinkommens sowie der Verbrauchernach-
frage. Laut den Regierungsprognosen ist mit einem
weiteren Rückgang der Investitionen (um 1,6 %) und
des Bevölkerungseinkommens (um 0,7 %) zu rechnen.
Unklar bleibt, wie unter derartigen Bedingungen eine
Steigerung der effektiven Nachfrage und des Einzel-
handelsumsatzes (von 0,4 %) erfolgen soll. Die bei-
den letztgenannten Faktoren sollen nach Prognosen
der Regierung im Jahr 2016 das Wachstum der Indus-
trie um 0,6 % – gefolgt von einem Anstieg um 1,5 sbis
1,9 % über die nächsten zwei Jahre – stimulieren. Das
Eintreten eines solchen Szenarios erscheint als zu
optimistisch.
Ausblick 2016
Von der heutigen Warte aus erscheint ein Übergang
der Wirtschaft in die Phase einer Investitionsunterbre-
chung und Stagnation als wahrscheinlich. Diese Phase
könnte bis zu einer tatsächlichen Veränderung der
Wirtschaftspolitik und der Schaffung von Bedingun-
gen für die Implementierung einer anderen Variante
der Wirtschaftspolitik andauern. Schlussfolgernd lässt
sich festhalten, dass die Prognose der Stagnationsdy-
namik mit quartalsmäßigen Schwankungen des Wirt-
schaftswachstums im Bereich von 0,2 bis 0,3 % für das
Jahr 2016 am zutreffendsten erscheint. Das Wachstum
des BIP wird 2016 nicht höher sein, als 0,3 %.
KEY NOTES
• In 2014 and 2015 the economic situation decended from stagnation into recession.
• Main reasons for the recession were the deterioration of the oil price, a devaluation of the national currency
Rubel, and the reciprocal sanctions.
• By October 2015 the recession has reached its bottom, therefore a slight growth of the economy is accepted
by 2016 with +0,3 percent (GDP).
EUROPÄISCHE
UNION 2016
„Die sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa
sind in steigendem Maß vom Wirken Internationaler
Organisationen, insbesondere der Europäischen
Union, geprägt. Diese hat sich zu einem anerkannten
Akteur mit zunehmender Handlungsfähigkeit in den
Bereichen Justiz und Inneres sowie Außen- und Sicher-
heitspolitik entwickelt. Die EU steht exemplarisch für
politische Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.“
(Österreichische Sicherheitsstrategie, S. 5)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 247
RAHMENBEDINGUNGEN 2016
FÜR EINE GLOBALE
STRATEGIE DER EU
Alessandro Marrone und Nathalie Tocci
Umkämpfte EU-Nachbarschaft im Osten
und im Süden
Die Nachbarschaft der EU ist in den letzten Jahren
immer stärker umkämpft worden. Trotz anhaltender
Differenzen zwischen den und innerhalb der beiden –
verbundenen – Regionen östlich und südlich der Union
wird sich dieser Trend auch 2016 fortsetzen. Dies
Die Hohe Repräsentantin und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission wird 2016, dreizehn Jahre
nach der Annahme der aktuellen Europäischen Sicherheitsstrategie, eine EU-Globalstrategie präsentieren.
die Mitgliedsstaaten sowie ein breiteres außenpolitisch interessiertes Fachpublikum ein. Dieser Prozess
muss auf fünf Rahmenbedingungen aufbauen, die eine Schlüsselrolle im gegenwärtigen Sicherheitsumfeld
spielen: eine umkämpfte EU-Nachbarschaft im Osten und im Süden, ein begrenztes US-Engagement in Eu-
ropa und in der MENA-Region, die Überschneidung von Aspekten äußerer und innerer Sicherheit, eine Auf-
wertung der strategischen und diplomatischen Komponenten sowie die auslaufende Chance einer funktio-
nierenden europäischen Verteidigungskooperation.
bedeutet den Wettstreit zwischen regionalen Mächten
auch unter Einsatz militärischer Mittel und gewalttäti-
ger Aktionen durch nichtstaatliche Akteure, die offen
staatliche Autoritäten herausfordern. Weiters bedeu-
tet dies einen erhöhten Druck und Belastung der Staat-
lichkeit sowie ein wachsendes Risiko von scheiternden
oder gescheiterten Staaten ebenso wie von unregierten
-
werken genutzt werden.
248 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
dürfte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass innere und
äußere Sicherheit nicht nur verknüpft sind, sondern sich
weil eine Befassung mit einer Herausforderung außer-
Präventions- und Abmilderungsmaßnahmen tatsächlich
auch zu einer Herausforderung für die innere Sicher-
heit wird.
Größerer Erfolg durch Strategie und
Diplomatie
Die Krise in der Ukraine erinnerte stark an politische
und strategische Auswirkungen eines Handelsabkom-
mens, während das Nuklear-Abkommen mit dem Iran
gezeigt hat, was durch diplomatisches Engagement, das
Sicherheit und wirtschaftliche Dimensionen verknüpft,
erreicht werden kann. Das Risiko von negativen Konse-
quenzen, das auch 2016 von einem rein bürokratischen
und isolierten Zugang zu strategischen Fragen ausgeht,
bleibt ebenso hoch, wie ein in diesem Zusammenhang
die Implementierung von Strategie im gesamtem Spek-
trum der EU-Instrumente größer sein als in der jüngs-
ten Vergangenheit. Eine komplexere und umstrittenere
Welt erfordert eine bessere Fähigkeit, die verschiede-
nen Teile des Puzzles zusammenzufügen, um die Aus-
wirkungen europäischer Aktivitäten auf regionaler und
globaler Ebene zu verstehen, eine kohärente und reali-
sierbare Strategie zu entwickeln und Diplomatie in allen
EU Politikfeldern und Instrumenten zu koordinieren.
Letzte Chance für eine
Verteidigungskooperation
Die Ausgaben für Verteidigung in der Europäischen
Union werden 2016 leicht, aber doch real ansteigen und
den Trend der Reduktion bzw. Stagnation, der nach
Begrenztes US- Engagement in Europa
und in der MENA-Region
Die Vereinigten Staaten haben ihr Sicherheitsenga-
gement in Europa, im Nahen Osten und in Nordaf-
rika in den letzten Jahren reduziert. Dieser Trend wird
sich 2016 auch angesichts der kommenden US-Prä-
sidentschaftswahlen fortsetzen. Verbunden mit dem
umkämpften Charakter der europäischen Nachbar-
schaft wird das einen größeren Handlungsspielraum
sowohl für staatliche als auch nicht-staatliche Akteure,
die ein Interesse in regionale Dynamiken und Macht-
politik haben, öffnen. Der Schutz europäischer Interes-
politische Vorgaben, Koordination und Flexibilität für
die auswärtigen Handlungen der EU und eine effekti-
vere Orchestrierung der Stimmen der EU-Mitglieds-
staaten und EU-Institutionen.
Überschneidung von Aspekten äußerer
und innerer Sicherheit
Die Verknüpfung zwischen innerer und äußerer Sicher-
heit wurde im Laufe des letzten Jahrzehntes offensicht-
lich. Die 2015 eingetretene Neuerung – die 2016 voll
begriffen werden könnte – besteht in der Überschnei-
dung von Aspekten äußerer und inneren Sicherheit auf-
grund des massiven Zustroms von Flüchtlingen aus den
-
nagement, Asyl- und Integrationspolitik könnten bald
-
staaten an den südlichen und südöstlichen Außengren-
zen der Union, sondern als ein gemeinsames europäi-
man sich von der Illusion lösen, dass die MENA-
Region einem Teufelskreis aus Destabilisierung und
innere Sicherheit der EU überlassen werden könnte. Es
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 249
Ende des Kalten Krieges einsetzte und sich während
der letzten sechs Jahre der Finanzkrise und der Spar-
maßnahmen noch verschärfte, stoppen. Die Kürzun-
gen der europäischen Verteidigungsbudgets erfolgten
in den letzten Jahren in einer unkoordinierten Art und
Weise und führten in vielen Fällen zu „Bonsai-Kapazi-
täten“, die auf dem Papier wie volle Kapazitäten wirken,
oder durch das Fehlen strategischer Elemente nicht ein-
gesetzt werden können. Ebenso ist jetzt zu befürch-
ten, dass die Erhöhung in einer ähnlich unkoordinier-
ten Weise anhand rein nationaler Beurteilungen erfolgt.
Möglicherweise geschieht dies aber auch auf bilatera-
wahrnehmung – gleich gesinnten Staaten. Jedenfalls
werden die EU-Mitgliedsstaaten 2016 die Möglichkeit
haben, bessere Ergebnisse im Kapazitätenaufbau durch
teidigungsausgaben auf europäischer Ebene zu erzielen.
Indem sie erkennen, dass die ökonomischen und stra-
im Bereich der Verteidigungskooperation nicht mehr
leistbar sind, könnten die Mitgliedsstaaten diese letzte
Chance nutzen.
KERNPUNKTE
• Die Hohe Repräsentantin und Vizepräsidentin der
Europäischen Kommission wird 2016 eine EU-Glo-
balstrategie präsentieren. Die Ausarbeitung die-
ser Strategie bezieht die Institutionen der Union,
die Mitgliedsstaaten sowie ein breiteres Fachpub-
likum ein.
• Die Kämpfe um die Nachbarschaft im Osten
und im Süden der Union werden sich auch 2016
verstärken.
• Die Vereinigten Staaten werden ihr Sicherheitsen-
gagement in Europa, im Nahen Osten und in Nord-
afrika auch 2016 weiter reduzieren.
• Innere und äußere Sicherheit sind nicht nur mitein-
ander verknüpft, sondern überlappen sich auch zu
einem gewissen Grad.
• Die strategischen und diplomatischen Komponen-
ten der europäischen Sicherheitsvorsorge sind
sehr wichtig.
• Die letzte Chance zum Aufbau einer funktionieren-
den europäischen Verteidigungskooperation sollte
genützt werden.
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ssere Ergebnisse im Kapazitätenauf
teidigungsausgaben auf europäischer Ebene zu erzielen.
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folgt.
leistbar sind, könnten die Mitgliedsstaaten diese letzte
Chance nutzen.
KEY NOTES
• In 2016 the High Representative and Vice-Presi-
dent of the European Commission will present an
EU Global Strategy. Developing this strategy invol-
ves EU institutions, member states, and the broa-
der foreign policy community.
• The trend of EU’s neighbourhood - both in the East
and in the South - being contested will continue in
2016.
• The US will continue to reduce their commitment to
Europe and MENA.
• There is not just a link, but an overlap between ex-
ternal and internal security.
• The strategic and diplomatic components of Euro-
pean security are very important.
• The last opportunity for the creation of defence co-
operation should be used.
250 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Als Belgien im zweiten Halbjahr 2001 die EU-Ratsprä-
sidentschaft innehatte, wurden sechs von sieben gesetz-
ten Zielen für das, was damals noch die ESVP war,
erreicht. Ein Vorschlag, der damals von fast allen Mit-
EUROPÄISCHES WEISSBUCH
Sven Biscop
Viele zentrale Akteure der europäischen Verteidi-
gung scheinen davon auszugehen, dass der Global-
strategie der Europäischen Union, die im Juni 2016
angenommen werden wird, ein EU-Weißbuch zur
Verteidigung folgen wird. Ein logischer Schritt in der
Umsetzung der neuen Strategie – aber kein offen-
sichtlicher Schritt, angesichts der Geschichte der
Idee eines Europäischen Weißbuchs.
gliedsstaaten als ein Schritt zu weit wahrgenommen
wurde, war die Idee, ein Weißbuch zu produzieren. Wie
das Pferd, das durch eine Kabinettssitzung geht und
als Kamel wieder herauskommt, mündete die belgi-
sche Idee eines Weißbuches in einer wissenschaftlichen
Arbeit des EU-Instituts für Sicherheitsstudien (EUISS);
-
ziellen Weißbuch.
Die Idee eines Weißbuches wurde seither nicht mehr
weiterverfolgt. Bis im Jahr 2015 sehr überraschend der
-
stechendes Merkmal in der Diskussion um eine zukünf-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 251
-
egy soll von der Hohen Vertreterin Federica Mogherini
im Juni 2016 unter der niederländischen Präsident-
schaft vorgestellt werden. Vor allem die Niederlande,
die am 1. Jänner 2016 den EU-Vorsitz übernehmen,
haben sich bereits mit Nachdruck für ein Weißbuch ein-
gesetzt. Michel Barnier, Sonderberater für die Vertei-
digung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Jun-
cker, unterstützt die Idee eines Weißbuches ebenfalls
mit Nachdruck. Dieser Forderung haben sich einige
-
schlossen. Sie sehen in einem Weißbuch die Möglich-
Strategy eine gewisse Dynamik zu verleihen. In der Tat,
die Euphorie für ein Weißbuch scheint so groß zu sein,
dass die Hohe Vertreterin das Bedürfnis verspürte, dar-
-
tegy geben müsse, bevor Teilstrategien, wie beispiels-
weise ein Weißbuch, ausgearbeitet werden können.
Erste Vorarbeiten für ein Weißbuch könnten selbstver-
ständlich bereits während der niederländischen Präsi-
dentschaft erfolgen, sobald sich die Umrisse für die EU
-
frühte Auseinandersetzung mit einem Weißbuch gerade
jenen Akteuren in die Hände spielen, die sich für eine
-
sem Zusammenhang die Aussage vorgebracht, dass,
wenn es ohnedies ein Weißbuch geben wird, die EU
treffen müsse. Das wäre natürlich ein großer Fehler,
denn jedes Weißbuch muss in der Strategie verankert
sein. Wenn die Strategie kein entsprechendes Ambi-
tionsniveau festlegt, was sollte dann der Inhalt eines
Weißbuches sein? Vice versa, sollte es einen entspre-
Strategy ein Weißbuch folgen soll, so müsse dies auch
schon bei der Strategieentwicklung mitgedacht werden.
Das Dokument könnte eventuell ein Mandat für die
Erstellung eines Weißbuches – inklusive einer konkre-
ten Frist – beinhalten.
Es ist an der Zeit, die Ambitionen Europas
festzulegen
Die zentrale Fragen in der ersten Hälfte 2016 sollte
Europa dabei die Klärung der prioritären Verwantwort-
lichkeiten in Bezug auf die Sicherheit sein. Bewertet
man die vitalen Interessen Europas wie das Sicherheits-
umfeld, die Verknüpfung zwischen innerer und äußerer
Sicherheit sowie die Erfahrungen aus dem vergangenen
und laufenden europäischen Engagement, können vier
Prioritäten formuliert werden:
1. Führungsrolle Europas bei der Stabilisierung des
weiteren europäischen Umfeldes inklusive der
Nachbarschaftspolitik, weil kein anderer Akteur
diese Aufgabe für uns übernehmen wird. Europa
muss daher in der Lage sein, selbstständig zu han-
deln und sich – falls notwendig – auf die eigenen
Strategic Enablers verlassen können.
2. Beitrag zur gerechten und sichere Nutzung der
einer führenden Rolle Europas in den eigenen
des Cyberspace.
3. Beitrag zur kollektiven Sicherheit im Rahmen der
UN, hierfür ist eine handlungsfähige UN notwen-
dig, sollten internationale Interventionen erforder-
lich werden (z.B. wie heute in Libyen).
4. -
schutz der EU.
252 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Eine klare Absichtserklärung entlang dieser vier Pri-
oritäten gibt den europäischen Verteidigungsanstren-
gungen einen erkennbaren Sinn und würde seitens der
Verbündeten und Partner sehr begrüßt werden. Diese
Vorgehensweise würde Klarheit darüber schaffen, wel-
che Beiträge von Europa zu erwarten sind, und nicht,
welche Hilfe Europäer fordern.
Ein umfassender Blick auf Europäische
Verteidigung
Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine diesbezüg-
konkretem Anlassfall können sich die Europäer ent-
scheiden, ob sie auf die NATO zurückgreifen oder eine
Ad-hoc-Koalition bilden. Die europäischen Hauptstädte
tegy für alle Maßnahmen der EU-Außenpolitik erstellen
kann. Denn abgesehen von den Staaten selbst ist nur die
EU in der Lage, das gesamte Spektrum angefangen von
der Entwicklungshilfe und dem Handel über die Diplo-
matie bis hin zur Verteidigung abzudecken.
Aber sie haben auch zu akzeptieren, dass nicht alle mili-
tärischen Instrumente innerhalb der EU vorhanden
-
ren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass selbst andere
militärischen Optionen – einschließlich der NATO –
lediglich ein Instrument einer umfassender gedach-
bereits heute der Fall: Dass die NATO die Very High
Readiness Joint Task Force (VJTF) ins Leben gerufen
hat, ist eine direkte Konsequenz der EU-Strategie für
die Östliche Partnerschaft und die Ukraine – die Alli-
anz hätte diese Initiative andernfalls nicht getroffen.
Die Alternative, insbesondere die Verteidigungsdimen-
-
können, wäre Unsinn. Erstens, wegen des begrenzten
-
rischen Operationen, wodurch eine sehr bescheidene
Verteidigungsdimension existieren würde. Zweitens,
weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass diese Debatte in
-
ischen Verbündeten und Partner sowie EU-Mitglieds-
staaten – alleine oder außerhalb des traditionellen nord-
atlantischen Raumes – in der Lage sein sollten.
Aber die Debatte muss geführt werden, denn die oben
gelisteten vier Prioritäten müssen sich auf dem Radar-
schirm der EU und der einzelnen Sicherheitsorganisa-
tionen, in denen die Europäer engagiert sind, wieder-
eine unmittelbare Auswirkung auf die EU hatten, so
würde nun ein klares Ambitionsniveau der EU im Rah-
-
Aktualisierung der Headline Goal
Sobald das Ambitionsniveau festgelegt ist, ist es Auf-
gabe des Weißbuches, dieses in konkrete militärische
Anforderungen zu übersetzten. Diese Aufgabe kann am
-
entwicklung und Pooling und Sharing zwischen EU-
Mitgliedsstaaten unter Einbindung der Europäischen
Verteidigungsagentur und der EU-Kommission erfüllt
werden. Die Ausarbeitung eines Weißbuches würde
die Revision der seit 1999 bestehenden Helsinki Head-
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 253
tionsniveau für autonome europäische Operationen –
oder eine Ad-hoc-Koalition – fest: Zur Aufrechterhal-
tung von bis zu einem Korps von 60.000 Mann für min-
destens ein Jahr, was als eine willkürliche Zahl zu ver-
stehen ist. Vor allem vor dem Hintergrund der 1,5 Mio.
Soldatinnen und Soldaten in 28 Mitgliedsstaaten sollte
die Erfüllung der Erfordernisse aus der aktuellen sicher-
heitspolitischen Lage eigentlich kein Problem darstel-
len. Seit mehr als einem Jahrzehnt kamen zu jeder Zeit
60.000 Soldaten oder mehr unter NATO-, EU- oder
UN-Kommando zum Einsatz. Europa kann solche
Zahlen nicht alleine, sondern nur mit der Unterstützung
ten zusätzlichen Truppen ohne eine strategische Reserve
implementieren. Ein Update ist längst überfällig.
Ein strategischer Imperativ könnte ein politisches Hin-
dernis darstellen: Es wird nicht leicht sein, den EU-Mit-
gliedsstaaten die Verbindungen zwischen EU-Strategie
wicklung von Fähigkeiten und gemeinsamen Operati-
onen (die operative Ebene) sowie Pooling und Sharing
über die Europäische Verteidigungsagentur und in regi-
onalen Clustern (die Ebene der Leistungsfähigkeit) nahe
zu bringen. Es bleibt sicherlich abzuwarten, ob alle EU-
Mitgliedsstaaten von der Idee eines Weißbuches über-
zeugt sein werden. Eine Änderung der Bezeichnung
„Weißbuch“ kann helfen (der Titel „Weißbuch“ stellt
eine rote Linie in bestimmten Hauptstädten dar) und ist
bereits angedacht. Vielleicht, wenn sich herausstellt, dass
ein Konsens nicht zu erreichen ist, sollten die Befür-
worter die Idee eines Weißbuches weiterverfolgen. Vor
allem jene Mitgliedsstaaten, die bereit sind, ihre Vertei-
digungsanstrengungen weiter zu integrieren – Frank-
reich, Deutschland und die Benelux-Staaten kämen hier-
bei in Betracht.
Es sollte unter allen Umständen vermieden werden, dass
die Debatte zwischen EU und NATO in einen „Schön-
heitswettbewerb“ mündet. In der Tat, wenn ein Weiß-
buch vereinbart werden sollte, könnten die prioritären
Anforderungen, die sich daraus ergeben, anschließend
ments sein. Die Hohe Vertreterin Federica Mogherini
gegenüber ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten darauf hin-
weisen, dass sowohl autonome europäische Operationen
als auch Beiträge zur kollektiven Verteidigung ein und
dasselbe sind. Es gibt nur einen Wettbewerb, nämlich
Verteidigung zur Verfügung zu stellen.
KERNPUNKTE
• Die EU Global Strategy sollte ein klares, umfassen-
des Ambitionsniveau für Europa im Sinne eines au-
tonomen Sicherheitsakteurs festlegen, und zwar
unabhängig vom jeweiligen institutionellen Hand-
lungsrahmen (GSVP, NATO, UN oder Koalition).
• Ein Weißbuch sollte die neue Strategie in die aktu-
ellen militärischen Anforderungen umsetzen.
• Die neue Strategie könnte sowohl für die EU als
auch für die NATO ein gemeinsames Instrument für
eine Europäische Verteidigung werden.
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allem jene Mitgliedsstaaten, die bereit
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die Debatte zwischen EU und NATO in einen „Schö
heitswettbewerb“ mündet. In der Tat, wenn ein Wei
buch vereinbart werden sollte, könnten die priorit
Anforderungen, die sich daraus ergeben, ansch
ments sein. Die Hohe Vertreterin Federica
gegenüber ihren jeweiligen Mitgliedsst
weisen, dass sowohl autonome europ
als auch Beiträge zur kollektiven V
dasselbe sind. Es gibt nur einen
eidigung zur Verfügun
KEY NOTES
• The EU Global Strategy should state a clear over-
all level of ambition for Europe as an autonomous
security actor, regardless of the operational frame-
work (CSDP, NATO, UN, coalition).
• A white book should translate the new strategy into
updated military requirements.
• Rather than a weapon in the EU-NATO beauty con-
test, the strategy and the white book can be an in-
strument for both the EU and NATO to stimulate the
European defence effort.
254 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DEUTSCHLAND 2016
Patrick Keller
Die doppelte Herausforderung
Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch
Russland wird auch 2016 bestehen bleiben. Auch ist da-
von auszugehen, dass Russland die Separatisten im Os-
ten der Ukraine weiter unterstützt. Beides ist ein An-
dem Jahr 2014 in einer neuartigen sicherheitspoliti-
schen Situation, die auch 2016 weiter bestehen
wird: Die Doppelkrise im Osten und im Süden Euro-
pas – die Kriege in der Ukraine und in Syrien – und
ihre strategischen Implikationen werden auch im
kommenden Jahr die deutsche Sicherheitspolitik
bestimmen. Die beiden wichtigsten Institutionen für
die deutsche Sicherheitspolitik bleiben die NATO
und die EU; beide Organisationen werden sich ver-
stärkt mit der Doppelkrise befassen. Dieser Prozess
wird in Berlin von der Veröffentlichung eines neuen
Weißbuchs der Sicherheitspolitik und der Bundes-
wehr begleitet werden, ein Prozess, der die unbe-
Rolle als europäische Führungsmacht fortsetzt.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 255
Sicherheitsordnung, auf den Deutschland weiterhin re-
2016 wird weiteren Forderungen nach politischer und
vor allem militärischer Rückversicherung der östlichen
Alliierten Raum geben. Deutschland, das bei der Very
High Readiness Joint Task Force und dem Multinatio-
nalen Kommando Stettin schon in die Vorderhand ge-
gangen ist, wird hier weiter Führung anbieten, aber zu-
gleich darauf bestehen, dass die NATO–Russland
Parallel dazu wird der Krisenbogen in der MENA-Re-
gion nicht zur Ruhe kommen; das gilt insbesondere für
den syrischen Bürgerkrieg und die Aggression der Ter-
rormiliz „Islamischer Staat“. Wie unmittelbar dieser
Krieg Deutschland und Europa betrifft, zeigen die ak-
tuellen Flüchtlingsströme, die auch 2016 nur unwesent-
lich nachlassen werden.
Krisen – vor allem mit Blick auf die staatlichen/nicht-
die deutsche Politik vor eine ungekannte Herausforde-
rung. Dabei nimmt Deutschland eine schwierige Mitt-
lerrolle ein zwischen den Verbündeten, die sich vor al-
lem um die Lage im Osten sorgen, und jenen
Verbündeten, die vor allem den Süden im Fokus haben.
Das Weißbuch
Für den Frühsommer 2016 wird das neue Weißbuch der
Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und der Zu-
kunft der Bundeswehr erwartet. Es ist das erste Weiß-
buch seit 2006; die Erwartungen sind dementsprechend
hoch, auch weil ein Prozess der umfassenden Einbin-
dung der (Experten-)Öffentlichkeit das Jahr 2015 si-
cherheitspolitisch geprägt hat. Vermutlich wird das fer-
neuen Kernaufgabe deutscher Sicherheitspolitik erklä-
ren – mit vielfältigen Konsequenzen wie einem neuen
Cyber-Command der Bundeswehr. Im Kern wird sich
das Weißbuch an die Ausrichtung des Strategischen
Konzeptes der NATO – Bündnisverteidigung, Krisen-
management und Partnerschaften – anlehnen und zu-
mindest den Erhalt der gegenwärtigen Verteidigungs-
ausgaben von 1,2% des BIP vorgeben. Es steht zu
erwarten, dass mit dieser Publikation und vor allem
ihrem Entstehungsprozess eine Verstetigung solcher
Strategiedokumente erfolgt.
Deutschland als Führungsmacht
Deutschland bleibt, insbesondere mit Blick auf den Ein-
Führungsmacht wider Willen. Die ökonomische Stärke
des Landes wird vermutlich Bestand haben – die Bun-
desregierung prognostiziert ebenso wie die wichtigsten
Forschungsinstitute für 2016 ein Wachstum des realen
Bruttoinlandsproduktes um 1,8 % (nach 1,7 % im Jahr
2015). Diese Entwicklung kalkuliert die wahrscheinli-
chen Auswirkungen des Flüchtlingszustroms, der eben
nicht nur Kosten erzeugt, bereits ein. Zudem ist davon
auszugehen, dass die politische Stabilität Deutschlands
beständig bleibt; populistische und extreme Bewegun-
gen bleiben Randerscheinungen, gerade im Vergleich zu
anderen Staaten Europas und Führungsnationen wie
Daher werden sich auch 2016 die Blicke auf Berlin rich-
-
zahl ohnehin eine zentrale strategische Position inne-
hat. Es steht zu erwarten, dass diese Führungsrolle in
sicherheitspolitischen Krisen im Jahr 2016 eine Ver-
schärfung internationaler und nationaler Debatten be-
256 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die Doppelkrise im Osten und Süden Europas
bleibt.
• Das neue deutsche Weißbuch kommt, wird aber
keinen Masterplan der deutschen Sicherheitspoli-
tik bieten können.
• Deutschland wird sich, bei fortdauerndem Unwohl-
sein, in seiner neuen Führungsrolle einrichten.
• Die Abstimmung zwischen NATO und EU muss sich
verbessern – wobei das Bündnis Vorrang behält.
• Deutschland wird verstärkt auf Ertüchtigung von
Partnern in Krisenregionen setzen.
• Die Abstimmung zwischen NATO und EU muss sich
bessern – wobei das Bündnis Vorrang be
d verstärkt auf
RNPUNKTE
Doppelkrise im Osten und Süden Europ
e deutsche Weißbuch kommt,
sterplan der deutschen Si
nen.
rd sich, bei fortd
uen Führung
schen N
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wirkt: Kritik am Führenden ist üblich, unabhängig von
seinen Handlungen, und die deutsche Bevölkerung
steht Nutzen und Notwendigkeit solch einer Führungs-
rolle skeptischer gegenüber als die Eliten. In plötzlich
auftretenden, unvorhersehbaren Krisen (wie z.B. zuletzt
bei Ebola in Westafrika) könnte dies die deutsche
Handlungsfähigkeit schwächen. Ein Ausweg soll die
2015 haushalterisch verankerte „Ertüchtigungsinitiati-
ve“ sein, die auf Ausbildung und Ausrüstung von Part-
nern in Krisenregionen setzt und die 2016 ausgebaut
werden soll.
Konsequenzen für EU und Österreich
Sollte die skizzierte Entwicklung eintreten, wird ihre
wichtigste Folge eine stärkere Ausrichtung Europas an
deutschen Initiativen und Präferenzen sein – auch in
meinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der
Union zwar stärken und weiterentwickeln soll, dies aber
in Bezug auf die durch die NATO garantierte europäi-
sche Sicherheitsarchitektur und militärische Handlungs-
fähigkeit des Westens. Insofern bleibt abzuwarten, ob
die ebenfalls für Sommer 2016 angekündigte neue Eu-
ropäische Außen- und Sicherheitsstrategie der EU tat-
sächlich, wie vom Autor dieses Beitrags erwartet, nahe-
zu deckungsgleiche Analysen und Empfehlungen
enthalten wird wie das deutsche Weißbuch. Die größte
langfristige Unwägbarkeit in diesem Zusammenhang
bleibt das Referendum über einen britischen Ausstieg
aus der EU; sollte es zum „Brexit“ kommen, wäre dies
aus deutscher Sicht ein erheblicher Verlust, nicht zuletzt
was die sicherheitspolitische Belastbarkeit und den stra-
tegischen Horizont der Europäischen Union betrifft.
KEY NOTES
• The double crisis in East and South Europe
remains.
• There will be a new German White Paper but it
will fail to offer a master plan for German securi-
ty policy.
• Despite continuous discomfort, Germany will be-
come accustomed to its new leadership role.
• Coordination between NATO and the EU needs to
improve – in this, the Alliance must continue to
have priority.
• Germany will increasingly rely on the training of
partners in crisis regions.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 257
ROLLE DEUTSCHLANDS
IN EUROPA 2016
HARTMUT MAYER
Hier sollen drei modellhafte Szenarien für Deutschland
und Europa – einschließlich der Wahrscheinlichkeit ih-
res Eintretens in den nächsten fünf Jahren – kurz vor-
gestellt werden.
Im Jahre 2015 sieht sich die EU mehreren Krisen
gegenüber, die die erheblichen Unterschiede zwi-
schen ihren 28 Mitgliedsstaaten – und zwar sowohl
den Regierungen als auch den Wählern – offenba-
ren. Sie haben Deutschlands zentrale Position im
europäischen Projekt erneut sichtbar gemacht. Ber-
lin hat in diesen Krisen vielfach das Agieren und die
Zeitabläufe der EU bestimmt, und zwar mitunter
durchaus einseitig. Daraus ergeben sich ernste Fra-
gen bezüglich der mittelfristigen Weiterentwicklung
jener Rolle, die Deutschland im europäischen Pro-
jekt spielt.
258 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Szenario 1: Status quo (70%)
darin, dass das kurzfristige Krisenmanagement fortge-
setzt wird und Deutschland auch weiterhin eine zentra-
le Rolle zukommt. Deutschland verfolgt dabei gleichzei-
tig rigide Rhetorik und eine letztlich doch pragmatische
vermutlich weiter steigen, und die europäischen Ent-
scheidungen werden auch weiterhin von – auf durchaus
unbefriedigende Weise ad hoc und themenbezogen ge-
bildeten – Koalitionen getroffen werden. Seine Partner
wird Deutschland dabei auch weiterhin relativ unan-
hängig und themenbezogen wählen können.
Der internationale Druck wird wahrscheinlich hoch
bleiben. Die russisch-ukrainischen Entwicklungen, die
fortdauernde Instabilität im Nahen Osten sowie der Mi-
grationsdruck sowohl aus dem nördlichen Afrika als
auch von südlich der Sahara werden kurzfristig nicht in
-
che Konkurrenz wird weiter zunehmen, sodass
Deutschlands exportorientierte Industrie unter Druck
geraten könnte.
seinen „Checks and Balances“ könnte die Lage weiter
verkomplizieren. Während Krisenmanagement schnelle
Antworten erfordert, verlangsamt die korrekte Einhal-
tung politischer Abläufe naturgemäß die
Für Deutschland und die meisten übrigen EU-Staaten
wird die größte Herausforderung der nächsten Jahre da-
rin bestehen, dass Politiker der einzelnen Staaten einer-
seits mit ihren Wählern und andererseits mit dem allge-
genwärtigen populistischen Widerstand gegen das
-
gemein sind Deutschlands Regierung sowie das politi-
sche System dafür besser gerüstet als die meisten ande-
ren Mitgliedsstaaten der EU. Letzgenanntes wird sich
angesichts wachsender Antagonismen als durchaus wi-
derstandsfähig erweisen.
Szenario 2: Fragmentierung Europas
(20%)
Wenn auch das Meiste für die Fortsetzung des gegen-
wärtigen Modus Operandi auch während der nächsten
fünf Jahre spricht, so kann dennoch ein schwerer Rück-
schlag für die europäische Integration nicht gänzlich
ausgeschlossen werden.
Eine derartige Fragmentierung würde aus fundamenta-
len politischen Differenzen zwischen den Mitgliedsstaa-
ten entstehen, wobei diese Differenzen vermutlich auf
miteinander zusammenhängende Faktoren zurückzu-
der griechischen Krise und eine Vertiefung der wirt-
schaftlichen Unsicherheit in Spanien, Italien und Portu-
gal, eine Eskalation der Flüchtlingskrise, welche die EU
nicht kontrollieren kann und eine weitere russische In-
tervention im Ausland.
Die Fragmentierung wird – zumindest anfangs –
schrittweise erfolgen. Die entsprechenden Positionen
müssen eine kritische Masse erreichen, ehe es zu rele-
vanten Vorschlägen bzw. Aktionen kommt. Auch wer-
den die Bildung und Verfestigung etwaiger Blöcke in-
nerhalb der EU Zeit benötigen, ehe diese der
Ablehnung der deutschen Vision für die EU entgegen-
treten können.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 259
Szenario 3: Europäische Integration (10%)
Die bloß zehnprozentige Wahrscheinlichkeit bringt
zum Ausdruck, dass angesichts der verschiedenen Kri-
sen und Faktoren eine weitere Vertiefung der europäi-
schen Integration in Richtung politischer Union, supra-
vollentwickelten europäischen Systems der sozialen Si-
cherheit für die nächsten fünf Jahre kein wahrscheinli-
ches Szenario darstellt.
Bis 2018 ist eine Vertragsänderung, wie sie für dieses
Szenario erforderlich ist, wegen der Wahlen in Frank-
reich und Deutschland und des britischen „Brexit“-Re-
ferendums nur mit Schwierigkeiten durchführbar.
Schwere Meinungsverschiedenheiten zwischen Frank-
der Europäischen Union müssten überwunden werden.
Zwar wird es zu einigen weiteren Maßnahmen in Rich-
tung der angestrebten Bankenunion und damit zu ei-
Politik kommen, doch ist ein großer Sprung vorwärts –
im Sinne des hier Beschriebenen – höchst unwahr-
kant zurückgehen.
KERNPUNKTE
• Die jüngsten Krisen haben die erheblichen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten sowie Deutsch-
lands zentrale Position im europäischen Projekt klar sichtbar gemacht.
• Eine Fortsetzung des kurzfristigen Krisenmanagements, bei dem Deutschland die zentrale Rolle zukommt, ist
das wahrscheinlichste Szenario.
• Der internationale Druck wird hoch bleiben. Die Krisen um Russland/Ukraine, im Nahen Osten und in Afrika
werden kurzfristig wahrscheinlich nicht zu lösen sein.
• Eine schwerwiegende Fragmentierung ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Ihre Wahrscheinlichkeit würde
bei einer Eskalation der Krisen steigen.
• Noch unwahrscheinlicher ist eine weitere Vertiefung der Integration, wobei die erforderliche Vertragsänderung
wohl kaum vor 2018 in Betracht kommt.
KEY NOTES
•
the centre of the European project.
• A continuation of short-term crisis management, with Germany at the centre, is the most likely scenario.
• International pressure will remain high; crises in Russia/Ukraine, the Middle East and Africa are unlikely to be
resolved in the short-term.
• A severe fragmentation is a possibility, albeit unlikely; the likelihood would increase should crises escalate.
• A further deepening of integration is unlikelier still, with a required treaty change unlikely to be considered
until 2018.
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ei die erforderliche
260 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
FRANKREICH 2016
Peter Jankowitsch
Frankreichs Sicherheitsdispositiv
Auch nach dem Ende des Kalten Krieges hat Frank-
reich, entgegen vielen anderen europäischen Staaten,
Fragen der Landesverteidigung und der Erhaltung mili-
tärischer Bereitschaft und Einsatzfähigkeit hohe Priori-
tät eingeräumt. Das Weißbuch von 1994 bekannte sich
zu einer Fortsetzung einer auf nuklearer Abschreckung
aufgebauten autonomen Verteidigungspolitik Frank-
reichs sowie zur Bereitschaft, für die Erhaltung interna-
tionaler Stabilität und Sicherheit und zur Krisenbewälti-
Im sicherheitspolitischen Gefüge Europas kommt
Frankreich nach wie vor besonderes Gewicht zu,
was einerseits mit seiner Stellung als westeuro-
päische Nuklearmacht, andererseits mit seiner
Führungsrolle in der Europäischen Union und ihren
Organen sowie in den Vereinten Nationen als Stän-
diges Mitglied im Sicherheitsrat zusammenhängt.
gung innerhalb und außerhalb Europas auch
militärische Mittel einzusetzen.
-
politik beibehalten und auch in den folgenden Weißbü-
chern bestätigt, zuletzt 2013. In diesem letzten Weiß-
buch wird auf die verstärkte Notwendigkeit der
Modernisierung und Restrukturierung der Streitkräfte
einschließlich der Entwicklung neuer Waffensysteme
hingewiesen. Auch neue Prioritäten wie Cyberabwehr
-
nomie, wie dies auch schon früher in der französischen
Weltraumpolitik erkennbar war.
Priorisierung der Terrorbekämpfung
Angesichts des veränderten strategischen Umfelds, aber
auch der Terroranschläge in Paris möchte Präsident
François Hollande die Schlagkraft der Streitkräfte sowie
Kapazitäten im Bereich der Nachrichtendienste und der
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 261
Cyberabwehr erhöhen. Auch 2016 wird im Zeichen die-
ser Prioritäten stehen – mit Bekämpfung des Terroris-
mus an erster Stelle. Neben Maßnahmen zum verbes-
serten Schutz des eigenen Territoriums durch
Landstreitkräfte werden dazu auch weitere Luftschläge
im Rahmen der Koalition gegen die Terrormiliz „Isla-
mischer Staat“ (IS) in Syrien und im Irak gehören. Auch
das französische Engagement in Afrika dient der
Terrorismusbekämpfung.
Sowohl in Mali als auch in der Zentralafrikanischen Re-
publik war es zuerst der Einsatz der französischen
-
tionalen Operationen geschaffen hat. Frankreich gibt
damit seinem langjährigen Verständnis für die strategi-
sche Bedeutung Ausdruck, die Afrika und sensiblen Zo-
nen südlich der Sahara für internationale Stabilität und
Sicherheit – auch für die Sicherheit Europas – zukom-
men. Die Unterhaltung französischer Militärbasen in
-
punkt zu verstehen und soll Entwicklungen wie die ak-
tuellen Flüchtlingsströme über das Mittelmeer nach Eu-
ropa verhindern.
Solide Finanzierung und nationaler
Konsens
-
reich in Zukunft von einer in vielen Staaten Europas
sichtbaren Bewegung in Richtung „Abrüstung“ abhe-
ben, die dazu geführt hat, dass Verteidigungsausgaben
im europäischen Schnitt von 2,7 % der BIPs um 1990
auf lediglich 1,35% 2013 gefallen sind. Demgegenüber
bleibt der französische Verteidigungshaushalt auch 2015
mit etwas über 31 Mrd. Euro nahe an 2 % seines BIP
und dürfte auch in den kommenden Jahren nicht ge-
senkt werden.
Das zunehmend geringere Interesse der USA an Fragen
der europäischen Sicherheit wird auch weiterhin die Be-
deutung Frankreichs für die europäische Sicherheit un-
terstreichen. Unterstützt wird diese Rolle Frankreichs
von einem quer durch alle politischen Kräfte des demo-
kratischen Spektrums reichenden nationalen verteidi-
-
ner Landesverteidigungspolitik einschließlich seiner
nuklearen Dimension erfasst.
Die bisherige und künftige Rolle Frankreichs als kons-
tanter Träger und Befürworter europäischer Sicher-
heitsinteressen erscheint auch für kleinere und mittlere
Mitgliedsstaaten der EU, wie Österreich, von Nutzen.
So können der europäischen Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik Impulse, aber auch Kapazitäten zugeführt
werden, die von anderen – auch größeren – europäi-
schen Mächten kaum zu erwarten sind. Auch wenn für
-
politische Rahmengröße ist, zeigt sich in seinen Verhal-
-
ser Form europäischer Kooperation. Dies zeigt auch
seine Bereitschaft zur verteidigungspolitischen Koope-
ration mit anderen, auch kleineren EU-Mitgliedern wie
den baltischen Staaten.
Flüchtlingskrise und Kampf gegen den IS
In der europäischen Flüchtlingskrise hat Frankreich
nach anfänglicher Zurückhaltung verschiedene Initiati-
ven auf europäischer Ebene ergriffen. So hat es zusam-
men mit Deutschland im September 2015 der Europäi-
schen Kommission Vorschläge zur Bewältigung der
Krise übermittelt, in deren Mittelpunkt solidarische
Mechanismen zur Verteilung der Flüchtlinge und die
Errichtung von Aufnahme- und Registrierungszentren
in den Erstaufnahmeländern stehen. Frankreich setzt
sich auch mit Nachdruck für einen besseren Schutz der
262 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Frankreich bekennt sich zur Fortsetzung einer auf
nuklearer Abschreckung aufgebauten autonomen
Verteidigungspolitik.
• Frankreich ist weiterhin bereit, für die Erhaltung in-
ternationaler Stabilität und Sicherheit und zur Kri-
senbewältigung innerhalb und außerhalb Europas
auch militärische Mittel einzusetzen.
• 2016 wird im Zeichen der Priorisierung der Terror-
bekämpfung stehen.
• In der Flüchtlingskrise hat Frankreich — nach an-
fänglicher Zurückhaltung — verschiedene Initiati-
ven auf europäischer Ebene ergriffen.
• Frankreich wird an allen diplomatischen Bemühun-
• In der sicherheits- und verteidigungspolitischen Ko-
operation zwischen Österreich und Frankreich do-
miniert der Bereich Ausbildung.
Außengrenzen der Union, vor allem durch Schaffung
und fordert die Unterstützung von Transit- und Her-
kunftsländern. Es zielt dabei einerseits auf Nachbarlän-
der Syriens, andererseits aber auch auf Länder der Sa-
helzone wie Mali oder Niger ab. Als Eigenleistung wird
Frankreich in den beiden nächsten Jahren insgesamt
30.000 Flüchtlinge aufnehmen.
Von der französischen Außenpolitik sind zudem Initia-
tiven zu erwarten, um an den eigentlichen Wurzeln des
Problems, nämlich den Kampfhandlungen im Nahen
Osten anzusetzen. Neben militärischen Einsätzen ge-
gen den IS, gehören dazu auch weitere Schritte hin zu
reich wird – auch in seiner Eigenschaft als Ständiges
Mitglied des Sicherheitsrates der UN – an allen diplo-
matischen Bemühungen in dieser Richtung aktiv teil-
nehmen, obwohl es eine Beteiligung des syrischen Prä-
sidenten Baschar al-Assad an einer Übergangslösung
ablehnt und als bisher einziges westliches Land die nati-
onale syrische Opposition (Syrian National Council –
SNC) als legitime Vertretung des syrischen Volkes aner-
kannt hat.
Ausbildungskooperation zwischen Frank-
reich und Österreich
In der sicherheits- und verteidigungspolitischen Koope-
ration zwischen Österreich und Frankreich ist insbeson-
dere ein intensiver Austausch im Ausbildungssektor
hervorzuheben. Dies hat auch zu einer guten Zusam-
menarbeit zwischen österreichischen und französischen
Kontingenten im Rahmen internationaler Friedensmis-
sionen geführt, etwa bei der Mission UNIFIL im Liba-
non, bei der EU-Trainingsmission EUTM in Mali oder
bei der EU-Beratermission EUMAM RCA in der Zent-
ralafrikanischen Republik.
KEY NOTES
• France is committed to pursue an autonomous de-
fence policy based on nuclear deterrence.
• France is still prepared to use military means to
maintain international stability and security as well
as for crisis management in Europe and beyond.
•
terrorism.
• After an initial reluctance concerning the refugee
crisis, France has taken a number of initiatives at
the European level.
• France will participate in all diplomatic efforts to
• The focus of the security and defence cooperation
between Austria and France is on training.
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nämlich den Kampfhandlungen im Nahen
tzen. Neben militärischen Einsätzen ge-
ören dazu auch weitere Schritte hin zu
seiner Eigenschaft als Ständiges
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in dieser Richtung aktiv teil-
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•
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 263
GROSSBRITANNIEN 2016
Bastian Giegerich
Das Jahr 2016 wird von entscheidender Bedeutung
-
pa sein. Ein Austritt aus der EU ist in den Bereich
des Möglichen gerückt, eine Entwicklung, die, sollte
sie eintreten, zudem die Fortexistenz des Vereinig-
ten Königreichs in seiner jetzigen Form in Frage
stellt. Zugleich versucht die britische Regierung, ih-
ren sicherheitspolitischen Handlungsanspruch mit
einer Reihe von strategischen Grundlagendokumen-
ten neu zu fassen. Eine ernsthafte Verknüpfung der
beiden Themenfelder „Rolle in Europa“ und „sicher-
Debatte kaum statt.
Das britische Referendum als politischer
Taktgeber
Referendum zum Verbleib des Vereinigten Königrei-
ches in der Europäischen Union (EU) fokussieren.
Während die politischen Rahmenbedingungen vorge-
ben, dass dieses Referendum bis spätestens Ende 2017
durchgeführt werden muss, kann der Fall eintreten,
dass es auf die zweite Jahreshälfte 2016 vorgezogen
wird, um zu verhindern, dass diese Entscheidung zu ei-
ner Abrechnung über die bis mindestens 2018 andau-
ernden Ausgabenkürzungen der britischen Regierung
unter David Cameron verkommt. Zudem stehen 2017
sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Wahlen
auf dem Programm, eine Tatsache, die das Kalkül für
ein vorgezogenens Referendum weiter stärkt. Die hier
im original Wortlaut wiedergegebene Frage, die dem
britischen Wahlvolk zur Abstimmung vorgelegt werden
wird, lautet: „Should the United Kingdom remain a
member of the European Union, or leave the European
Union?“
Die Umfrageergebnisse zum Referendum sind nach wie
vor volatil, die Mehrheit für den Verbleib ist fragil und
auf wenige Prozentpunkte geschrumpft. Sollte sich
-
den, kann dies das Auseinanderbrechen des Königrei-
ches bedeuten, da in diesem Fall die schottische Regio-
nalregierung ihrerseits ein zweites Referendum über die
schottische Unabhängigkeit durchführen wird, das an-
ders als noch 2014 zur Unabhängigkeit führen kann. Im
Falle eines britischen Austritts (Brexit) aus der EU wird
David Cameron als Premierminister zurücktreten.
264 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Schwierige Verhandlungen um den Ver-
Premierminister Cameron, der sich für den Verbleib
-
kündigt, vor dem Referendum europäische Reform-
schritte mit seinen Partnern in der Union auszuhandeln.
Er hat die Felder, auf denen Reformen angestrebt wer-
den sollen, mit vier Schlagworten belegt: Souveränität,
Fairness, Wettbewerbsfähigkeit und Immigration. Im
Kern wird es sich darum drehen, die Vorteile der briti-
schen Mitgliedschaft in der EU zu sichern und gleich-
-
te zu vermeiden.
So weit zu diesem Zeitpunkt erkennbar, wird die Forde-
rungsliste der Briten folgende Punkte beinhalten: eine
generelle Initative zum Abbau von Bürokratie und Re-
gulierung in der EU; eine Stärkung der Rolle nationaler
Parlamente, um EU Rechtsetzung mit einem Veto bele-
gen zu können; eine Zusicherung, dass Mitglieder der
Eurozone bei weiteren Integrationsschritten nicht ge-
gen die Interessen von Nicht-Mitgliedern handeln; ver-
stärkte Bemühungen, den europäischen Binnenmarkt in
den Bereichen Service, digitale Technologien und Ener-
gie umzusetzen; eine Distanzierung von der in den eu-
ropäischen Verträgen vorgesehenen Formel von der
Schaffung „einer immer engeren Union der Völker Eu-
ropas“; Sozialleistungen für Zuwanderer aus der EU
erst, nachdem diese für vier Jahre in das britische Sys-
tem eingezahlt haben. Von dem Anspruch, dass viele
dieser Forderungen in Form von Vertragsänderungen
festgeschrieben werden müssen, hat sich Cameron hin-
gegen entfernt. Die britische Regierung wird sich mit
einem Protokoll zufriedengeben und argumentieren,
dass dieses den Anspruch erfüllt, das Verhandlungser-
gebnis rechtlich bindend festzuschreiben.
Der für den Aushandlungsprozess vorgesehene Zeit-
plan erscheint ambitioniert, und die Verhandlungen
können sich durchaus bis auf das Frühjahr 2016 erstre-
cken. Die Fixerung des britischen Forderungskatalogs,
die Cameron lange abgelehnt hat, dient vor allem der
Beschleunigung der Abstimmung unter den Mitglieds-
staaten der EU, was Cameron durch eine erneute Runde
persönlicher Besuche bei seinen Amtskollegen unter-
streichen dürfte. Da die übrigen EU-Mitglieder (und
halten wollen, kann ein Kompromiss zu den oben ge-
nannten Punkten gefunden werden. Die britische Re-
gierung ihrerseits könnte möglicherweise davon ausge-
hen, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei der
Referendumsentscheidung nicht mit den Reformdetails
auseinandersetzen werden, sondern lediglich eine briti-
sche Sonderstellung erkennen können müssen, um dem
Verbleib in der EU zuzustimmen.
Politische Nachteile für die
Pro-EU-Kampagne
auf absehbare Zeit von mehreren Faktoren geschwächt.
Erstens macht die fortgesetzte wirtschaftliche Schwä-
che des Euroraumes das rationale Argument des wirt-
schaftlichen Nutzens für das Vereinigte Königreich zu
nichte. Der Internationale Währungsfond sagt sowohl
für 2015 als auch für 2016 deutlich höhere Wachstums-
Der Eindruck, alleine möglicherweise besser dazuste-
hen, wird hierdurch verstärkt. Hinzu kommt, dass seit
der Wahl von Jeremy Corbyn zum Parteivorsitzenden
der Labour-Partei auch die Opposition nicht mehr un-
eingeschränkt proeuropäisch agiert.
Der wichtigste politische Faktor ist allerdings das The-
ma der Migration. Die europäische Flüchtlingskrise hat
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 265
KERNPUNKTE
• Das britische EU-Referendum wird die Aufmerksamkeit der politischen Klasse binden. Sollte sich das Vereinig-
te Königreich gegen den Verbleib in der EU entscheiden, ist es wahrscheinlich, dass hierauf ein erfolgreiches
Unabhängigkeitsreferendum Schottlands folgt.
• Die schwächelnde Eurozone, gepaart mit einer nicht mehr uneingeschränkt proeuropäischen Opposition in
sichtbar geschwächt.
• Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden weitere europäische Kooperations- oder gar Integ-
rationsschritte vor dem britischen Referendum auf Gegenwehr der Regierung treffen.
• Die neue nationale Sicherheitsstrategie und der darauf folgende Strategic Defence and Security Review wird
die systematische Kooperation mit Partnern in der NATO zu einem Kernprinzip erheben.
neut mit kritischem Blick betrachtet, da es dem erklär-
unterzufahren, entgegenzuwirken scheint. Dieser letzte
Punkt kann dazu führen, dass ein Referendum auch
nach einem guten Verhandlungsergebnis verloren geht.
Neue Grundlagendokumente für die si-
cherheitspolitischen Ambitionen
Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
sind weitere Kooperations- oder gar Integrationsschrit-
te vor dem Referendum unwahrscheinlich. Sie würden
die britische Regierung in dem Versuch, das Referen-
dum für den Verbleib in der EU zu entscheiden, weiter
heitsstrategie klarstellen, dass sich die internationale Si-
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it der politischen Klasse binden. Sollte sich das Vereinig-
, ist es wahrscheinlich, dass hierauf ein erfolgreiches
neingeschränkt proeuropäischen Opposition
e europäische Kooperations- od
egierung treffen.
egic Defence and Secur
rinzip erheben.
e Si-
cherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert
hat. Das Aufkommen des sogenannten „Islamischen
Staates“, der Revanchismus Russlands und die fortge-
setzte Instabilität in Nordafrika sowie im Nahen Osten
werden als Treiber genannt werden. Die westlich ge-
prägte internationale Ordnung ist unter Druck, und in-
ternationale Stabilität zu erhalten, aber gleichzeitig
Wandel zuzulassen, wird als eine der wichtigsten Her-
sich politisch darauf festgelegt, bis 2020 jedes Jahr wei-
terhin mindestens 2 Prozent des BIP für Verteidigung
aufzuwenden. Der unmittelbar auf die Sicherheitsstrate-
gie folgende Strategic Defence and Security Review
wird die systematische und von Anfang an mitgedachte
Kooperation mit Partnern in der NATO zu einem
Kernprinzip („International by Design“) erklären.
KEY NOTES
• The attention of the political class will focus on the British EU referendum. If the United Kingdom decides
against remaining within the EU a successful referendum on Scottish independence is likely.
• The weaknesses of the Eurozone, together with the opposition in Westminster not being unreservedly pro-Eu-
ropean any more, as well as the European refugee crisis, have all visibly weakened the campaign for remaining
in the EU.
•
and defence policy will increase the governments’ resistance.
• The new National Security Strategy and the subsequent Strategic Defence and Security Review will make the
systematic cooperation with NATO partners a core-principle.
266 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
FINNLAND 2016
Hiski Haukkala
Die sicherheitspolitische Landschaft Europas ist in
eine Phase schwerer Turbulenzen eingetreten. Dies
gilt insbesondere für Nordeuropa, wo die Auswirkun-
-
sultierenden verschlechterten Beziehungen zwi-
schen Russland und dem Westen vielleicht am
eindrücklichsten zu verspüren sind. Gleichzeitig
sieht sich die europäische Sicherheitslage auch wei-
teren neuen Risiken gegenüber, wie am Beispiel der
im Sommer 2015 ausgebrochenen Immigrationskri-
se ersichtlich ist. Insgesamt wird sich ganz Europa
wahrscheinlich einer längeren Periode erhöhter Risi-
ken und Herausforderungen für seine Sicherheit,
möglicher weiterer Destabilisierung und sogar mög-
-
stimmten Ausmaß sogar innerhalb Europas – ausge-
setzt sehen. All dies wird die europäische
Zusammenarbeit sowie die einzelnen Mitgliedsstaa-
ten schweren Belastungen aussetzen und 2016 zu
einem entscheidenden Jahr für die künftige Entwick-
lung machen. Trotz seiner Randlage ist Finnland von
keiner dieser Entwicklungen ausgenommen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 267
Die fortgesetzte russische Herausforde-
rung für die europäische
Sicherheitsordnung
Europa ist in seinen Beziehungen zu Russland in die
sehr schwierige Phase eines „heißen Friedens“ eingetre-
ten. Diese Phase ist höchstwahrscheinlich kein vorüber-
gehendes, sondern vielmehr ein dauerhaftes Phänomen,
-
wechseln. Dies wird die europäische Zusammenarbeit
Zusammenarbeit willkürlich nutzen kann, um be-
stimmte politische Reaktionen Europas hervorzurufen.
Finnland steht vor zwei Kernfragen: Worauf will Russ-
land mit seiner revisionistischen Agenda letztlich hin-
aus, und lassen sich – bzw. in welchem Umfang lassen
sich – die Einheit und Solidarität Europas im Umgang
mit jener Agenda aufrechterhalten?
Die fortgesetzte Immigrationskrise
Der Ausbruch der Immigrationskrise kam für die Euro-
päer – die Finnen eingeschlossen – überraschend. Trotz
seiner Lage weit weg vom Schwergewicht dieser Krise
nimmt Finnland im Jahre 2015 vermutlich etwa 30.000
bis 35.000 Immigrantinnen und Immigranten auf. Um-
gerechnet auf die Bevölkerungsgröße entspricht diese
Belastung nahezu jener Deutschlands. Für Finnland er-
geben sich daraus einige sehr schwierige Fragen: Wie-
viel Immigration kann Finnland akzeptieren, ehe die
Belastung wirtschaftlich und politisch unerträglich
welche? Wie sieht künftige gemeinsame europäische
Politik aus, wenn sie – siehe Schengen – nicht wie ver-
einbart funktioniert? Ist die EU der Herausforderung
gewachsen und kann sie Maßnahmen erarbeiten, welche
die Zuwanderung tatsächlich begrenzen und die eigent-
lichen Ursachen in der Nachbarschaft der EU in den
nicht zu bewältigen ist?
Die fortgesetzte Eurokrise
Die fortgesetzte Eurokrise ist für Finnland auch sicher-
heitspolitisch relevant. Als Nicht-NATO-Mitglied be-
trachtet Finnland die EU auch als Mittel seiner Sicher-
heitspolitik, sodass die Eurokrise Finnland vor einige
große Herausforderungen stellt. Einerseits ist es immer
noch nicht ausgeschlossen, dass die Eurozone zerfällt,
wenn dies auch weniger wahrscheinlich geworden ist.
Ein solches Szenario wäre mit höchst unkalkulierbaren
und gefährlichen Folgen für die Europäische Union
verbunden. Andererseits haben die ständigen Versuche,
-
land in eine zunehmend unangenehme Richtung ge-
drängt. Besonders beunruhigend sind die angewachse-
nen wechselseitigen Haftungen. In der Tat scheint
Finnland nur zwischen zwei Übeln wählen zu können:
Entweder stimmt es Regelungen zu, die innenpolitisch
schwer durchzubringen sind, oder es riskiert, als unzu-
verlässiger Partner die Solidarität der übrigen EU-Mit-
gliedsstaaten zu verlieren.
Entwicklungen in EU und NATO
Ob und inwieweit die Hauptakteure EU und NATO
-
den können, wird für Finnland die Kernfrage des Jah-
res 2016 sein.
Neben den schon erwähnten Themen wird die EU für
sich eine globale Strategie formulieren müssen, die ge-
eignet ist, ihr und ihren Mitgliedern greifbare Vorteile
zu bringen. Natürlich werden die Qualität und die Am-
268 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
bitionsebene dieses Dokuments für Finnland wichtig
sein. Von gleicher Bedeutung wird aber sein, dass der zu
diesem Dokument hinführende Prozess den Zusammen-
halt und die Solidarität der EU und ihrer Mitgliedsstaaten
auch im Bereich der Sicherheit erhöht. Es bleibt abzuwar-
ten, ob dieser Prozess die EU in die Lage versetzen wird,
vielen Worten auch glaubhafte Taten folgen zu lassen.
In Verteidigungsangelegenheiten steckt die EU noch in
den Anfängen, das Thema ist jedoch für Finnland von
großem Interesse. Jener Prozess, der zur Vorlage eines
Europäischen Weißbuch der Verteidigung unter nieder-
ländischer Leitung im Jahre 2017 führen soll, wird von
besonderem Interesse sein, da er die Konturen der künf-
-
beiten wird.
Die NATO arbeitet an ihrer Reaktion auf die russische
Politik, aber das Ausmaß der künftigen europäischen
Verteidigungsausgaben und damit die Frage, wie robust
jene Reaktion ausfällt, sowie das Ausmaß des künftigen
Engagements der USA in der europäischen Sicherheit
sind weiterhin höchst ungewiss. Auch die Zukunft der
NATO-Partnerschaft für den Frieden und insbesondere
die Aussichten der sogenannten Erweiterten Partner-
schaft sind von großer Relevanz.
Erwähnenswert sind auch die Nordic Defence Coopera-
tion (NORDEFCO) sowie insbesondere die bilaterale
Zusammenarbeit zwischen Finnland und Schweden. Bei-
de sind für die Erhöhung von militärischen Fähigkeiten
und Interoperabilität und damit für die Erhöhung der Si-
cherheit der teilnehmenden Länder sehr wichtig – ohne
jedoch Sicherheitsgarantien zu beinhalten. In diesem Zu-
sammenhang ist für Finnland die weitere Entwicklung
der schwedischen NATO-Debatte von besonderer
Bedeutung.
um die Spannungen zwischen Russland und dem Wes-
-
ten der europäischen Sicherheitsordnung und ihrer tra-
genden Prinzipien erfolgen. Angesichts der Tiefe und
Breite der russischen Herausforderung kommt dies der
Quadratur des Kreises gleich.
Schlussfolgerung
Wie erwähnt, ist die europäische Sicherheitslandschaft
in eine Phase fortgesetzter Turbulenzen eingetreten.
Dies trifft auch auf die Zusammenarbeit, ja die Zukunft
der Europäischen Union zu. Dies sollte in ganz Europa
-
batten in Finnland. Schon die fortgesetzte Eurokrise
-
den. Da die Migrationskrise wahrscheinlich noch lange
andauern wird, ist damit wohl auch in Finnland ein wei-
teres Potential für Enttäuschung und Skepsis gegenüber
dem europäischen Projekt gegeben. Mit der Zeit wird
sich dies auf Finnlands künftige Rolle in der EU
auswirken.
Die Politik muss diese Herausforderungen erfolgreich
bewältigen. Dazu gehören wirksame gemeinsame Ant-
worten der EU, die von ihren Mitgliedsstaaten und de-
ren Bevölkerung gleichermaßen als gerechtfertigt ange-
sehen werden. Die EU verfügt bereits über die
Mechanismen und Ressourcen, um mit den meisten die-
ser Themen erfolgreich umzugehen. Es bleibt abzuwar-
ten, ob ihr das gelingt, wobei 2016 ein entscheidendes
Jahr für ihre künftige Entwicklung sein wird. Sollte die
EU diesen Test nicht bestehen, könnte die Sicherheit, ja
die Zukunft Europas auf dem Spiel stehen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 269
KERNPUNKTE
• Die europäische Sicherheitslandschaft ist in Bewe-
gung geraten und sieht sich gleichzeitig mehreren
Herausforderungen gegenüber.
• Die Gefahr aus Russland wird in Nordeuropa –
Finnland eingeschlossen – am eindrücklichsten
verspürt.
•
ten des Südens den Norden, wie am Beispiel der
umfangreichen Auswirkungen der Immigrationskri-
se auf Finnland und besonders auf Schweden er-
sichtlich ist.
• Die Summe all dieser Entwicklungen sowie die Her-
ausforderungen innerhalb der EU werden nicht nur
die Sicherheit der einzelnen Staaten, sondern auch
die europäische Zusammenarbeit wachsenden Be-
lastungen aussetzen.
KEY NOTES
•
several different challenges simultaneously.
• When it comes to the potential threat from Russia,
it is Northern Europe - Finland included - where it is
felt most acutely.
•
of the immigration crisis on Finland and in particu-
lar on Sweden.
• All of these developments, combined with the in-
ternal challenges in the EU, will not only put incre-
asing strain on national security, but also on Euro-
pean-level co-operation.
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270 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
SCHWEDEN 2016
Traditionelle Politik unter Druck
Jacob Westberg
Das Jahr 2015 war eine Herausforderung für die rot-
grüne Minderheitsregierung und für die traditionel-
len Ansichten Schwedens als ein bündnisfreier
Staat mit einer konsensorientierten politischen
Kultur.
Das Dezember-Übereinkommen wird
zurückgenommen
Im Dezember 2014 einigte sich die Regierung mit den
oppositionellen Mitte-Rechts-Parteien (der „Allianz“)
darauf, dass der Plan von vorgezogenen Neuwahlen, die
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 271
-
folgt wird. Seit 1958 gab es in Schweden keine vorgezo-
genen Neuwahlen mehr. Im sogenannten Dezember-
Abkommen (DA) einigten sich die Regierung und die
Allianz auf ein Stillhalteabkommen in Bezug auf das
Zeitpunkt der Vereinbarung schien es, als ob die schwe-
dische Konsensfähigkeit als Merkmal der politischen
Kultur auch weiterhin Bestand haben könnte. Dies soll-
te sich jedoch rasch mit dem Parteitag der Christlich
Demokratischen Partei im Oktober 2015 ändern, als
man das DA als hinfällig bezeichnet.
Das Verteidigungsabkommen – neuer na-
tionaler und regionaler Fokus
Im April 2015 einigten sich die regierende Sozialdemo-
mit drei oppositionellen Parteien der Allianz – die Par-
tei der Moderaten, Partei der Mitte und die Christlich-
Demokratische Partei – auf ein neues Verteidigungs-
budget für den Zeitraum 2016 bis 2020. Das Budget
sieht eine Erhöhung der Ausgaben im selben Zeitraum
um rund 17 Mrd. Schwedische Kronen – im Vergleich
zur vorherigen Periode – vor. Damit hat sich die Regie-
rung auf eine erste substantielle Erhöhung des Verteidi-
gungsbudgets seit mehr als zwei Dekaden geeinigt. Im
Parlament bestätigt.
sich verschlechternde Sicherheitslage in Europa Bezug,
wobei die russische Aggression gegen die Ukraine als
Hauptfaktor gilt. Das neue Verteidigungsbudget steht
für drei qualitative Veränderungen in der schwedischen
Verteidigungspolitik: Erstens, einen neuen regionalen
-
cherheitslage in Europa ausgeht, zweitens, eine ver-
stärkte Akzentuierung der nationalen Verteidigungs-
und Planungsfähigkeit für Kriegsszenarien und drit-
tens, die Verstärkung bilateraler verteidigungspoliti-
scher Abkommen.
Das neue Verteidigungsgesetz formuliert zwei Schlüs-
selprioritäten, die auf erweiterte operationale Verteidi-
gungsfähigkeiten sowie auf die Entwicklung eines neu-
en „Total Defence“-Konzeptes abzielen. Diese
Anstrengungen inkludieren ein verstärktes Trainings-
Soldatinnen und Soldaten und für Marineangehörige
sowie Investitionen in grundlegende Ausrüstung. Das
„Total Defence“-Konzept zielt auf eine enge Zusam-
menarbeit zwischen den Streitkräften und den Regie-
rungsbehörden ab, wobei lokale politische Entschei-
dungsträger, der private Sektor und
Freiwilligenorganisationen ebenso erfasst sind, wie der
Zivilschutz oder der Schutz der kritischen Infrastruk-
tur, um im Falle eines Angriffes die schwedischen
Streitkräfte zu unterstützen.
-
oritäten für den Zeitraum 2016 bis 2020: erstens Ver-
besserung der Ausrüstung für Soldaten, der Kommuni-
kation und Munition, zweitens Wiederaufnahme von
-
serung der Fähigkeiten zur U-Bootbekämpfung.
Schwedens Politik der Bündnis- und
Allianzfreiheit
Das Verteidigungsgesetz legt besonderen Wert auf in-
ternationale Kooperation. Es wird eine starke transat-
lantische Verbindung als kritische Voraussetzung für
die Sicherheit Europas und Schwedens bei gleichzeitiger
272 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit mit den
USA angestrebt. So unterstützt bereits das „Host Nati-
on Support“-Abkommen mit der NATO Schwedens
Solidaritätspolitik. Ferner verfolgt Schweden in seiner
neuen Verteidigungspolitik die Teilnahme an NATO-
Übungen sowie an der NATO Response Force. Die
Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO) wird als
komplementäres Instrument für die Kooperation mit
der NATO gesehen, um Interoperabilität zwischen den
teilnehmenden Staaten zu verbessern. Schweden nahm
Politik auch weiter beibehalten. Das bilaterale Verteidi-
gungsabkommen mit Finnland – die am besten entwi-
ckelte Kooperation – beinhaltet auch die Ambition zur
Entwicklung gemeinsamer operativer Planungen für
alle Szenarien, einschließlich Kriegsszenarien.
Alle diese verbundenen Komponenten einer verstärkten
militärischen Kooperation unterstützen Schwedens
Ambitionen hinsichtlich seiner eigenen Bereitschaft zur
militärischen Beitragsleistung, aber auch hinsichtlich
der Unterstützung seiner Partner. Insgesamt bedeutet
dies, dass Schweden seine Politik der Nicht-Teilnahme
an militärischen Allianzen beibehalten wird, wobei sich
die praktischen Implikationen dieser Politik der militä-
rischen Kooperation von jenen des Kalten Krieges
deutlich unterscheiden. Obwohl die aktuelle Regierung
deutlich gemacht hat, dass sie keinen Antrag auf NA-
TO-Mitgliedschaft stellen wird, haben die Parteien der
Allianz ihre Unterstützung für eine NATO-Mitglied-
schaft deklariert. Sogar Umfragen verweisen auf eine
steigende Zustimmung für eine Mitgliedschaft im
Nordatlantischen Verteidigungsbündnis. In der jährli-
chen Umfrage der Swedish Civil Contingency Agency
vom Oktober/November 2014 spricht sich eine Mehr-
heit der Befragten für eine Mitgliedschaft in der NATO
(48 Prozent dafür und 35 Prozent dagegen) aus. Mit die-
ser Umfrage hatte die Agentur zum ersten Mal eine
Mehrheit für einen Beitritt zur NATO festgestellt. Auch
eine andere Umfrage, die von TNS/Sifo im Oktober
2015 durchgeführt wurde, untermauert diesen Mei-
nungstrend (41 Prozent für und 39 Prozent gegen eine
Mitgliedschaft).
Unterstützung für das internationale
Krisenmanagement
Die Neuausrichtung der schwedischen Verteidigungs-
politik exkludiert keinesfalls die Unterstützung für das
internationale militärische Krisenmanagement. Schwe-
den wird – gemäß dem Parlamentsbeschlus vom No-
vember 2015 – auch 2016 an der NATO-Mission „Re-
solute Support“ in Afghanistan und an der
Ausbildungsmission im Irak (Ausbildung der kurdi-
schen Armee) teilnehmen. Schweden wird auch 2016 in
Mali engagiert bleiben und MINUSMA weiter
unterstützen.
Die Flüchtlingskrise – erste Maßnahmen
Die Flüchtlingskrise stellt eine weitere Herausforderung
für die schwedische Konsenskultur sowie für die selbst
gewählte Rolle als „humanitäre Supermacht“ dar. Die
schwedische Migrationsbehörde hat im Oktober 2015
bekannt gegeben, dass man bereits 190.000 Asylanträge
registriert habe. Damit wurden erste Annahmen sogar
um das Doppelte übertroffen, wodurch 29 Mrd. Kro-
nen mehr an Budgetmittel erforderlich sind. Als erste
Maßnahme gegen den enormen Zustrom an Flüchtlin-
gen hat sich die Regierung mit der oppositionellen Alli-
anz auf ein Abkommen geeinigt, das Einschränkungen
bei der Erteilung permanenter Aufenthaltstitel vorsieht.
Die Regierung hat weiters Einsparungsmaßnahmen an-
gekündigt, die sich auch auf die neuen Ambitionen in
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 273
KERNPUNKTE
• Die Aufkündigung des Dezember-Abkommens von 2014 zwischen der Regierung und der Allianz im Oktober
2015 führte zu großen Unsicherheiten bezüglich der langfristigen parlamentarischen Unterstützung für die
Regierung.
• Im April 2015 wurde ein Verteidigungsabkommen einschließlich einer ersten substanziellen Erhöhung der Ver-
teidigungsausgaben nach zwei Dekaden und einer Neuausrichtung der schwedischen Verteidigungspolitik
erzielt.
• Schweden hält an einer weiteren Vertiefung der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit auf Basis bilateraler
Verteidigungsabkommen mit den EU-Mitgliedsstaaten und mit der NATO fest.
• Die Unterstützung für einen NATO-Beitritt Schwedens ist unter den politischen Parteien wie auch in der öffent-
lichen Meinung deutlich gestiegen.
• Schwedens selbst gewählter Status einer „humanitären Supermacht“ wird durch die Flüchtlingskrise
herausgefordert.
KEY NOTES
• The December Agreement between the Government and the Alliance fell in October 2015 creating greater
uncertainties regarding the long term parliamentary support for the present government.
•
balancing of Sweden’s defence policy, was reached in April 2015.
• Sweden continues to further deepen defence cooperation with member states of the EU and NATO with an
increased focus on bilateral defence agreements.
• The support for a Swedish membership in NATO has increased both among the political parties and in the
public opinion.
• Sweden’s self-proclaimed role as a ‘humanitarian superpower’ has been challenged by the refugee crisis.
der Verteidigungspolitik niederschlagen könnten. Zu-
dem haben Einsparungsmaßnahmen aufgrund des
Flüchtlingszustromes auch negative Auswirkungen auf
die öffentliche Meinung hinsichtlich Schwedens traditi-
oneller Politik der „offenen Tür“. Angesichte der sicher-
heitspolitischen Herausforderungen einer sich ver-
schlechternden Sicherheitslage in Europa verfolgt
Schweden eine Politik der engen internationalen Ko-
operation. Deutschland und Österreich werden von
Schweden bei der Suche nach einer Lösung für die
Flüchtlingskrise als natürliche Partner angesehen.
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274 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
BALTISCHE STAATEN 2016
Die Sicherheitsagenda der baltischen Staaten wird
auch 2016 von der aggressiven und subversiven
Politik Russlands dominiert. Die Migrationskrise in
der EU wird die baltischen Staaten einerseits unter
Druck setzen, andererseits wir sie aber auch eine
Chance sein, die ökonomischen Effekte negativer
-
gesamt wird sich die Wirtschaft im baltischen Raum
positiv entwickeln. Die höchste Priorität der EU-Poli-
tik der baltischen Staaten wird dem Erhalt der Soli-
darität und der Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln
angesichts eines aggressiven Russlands
zukommen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 275
Russlands „Hard Power“
Die sicherheitspolitische Agenda der baltischen Staaten
Estland, Lettland und Litauen wird im Jahr 2016 durch
Bedenken im Zusammenhang mit Russlands aggressi-
vem Verhalten gegenüber NATO und EU und dessen
Versuchen, die gegenwärtige europäische Sicherheits-
ordnung zu beseitigen, dominiert sein. Angesichts der
relativen militärischen Schwäche der baltischen Staaten,
der nicht vorhandenen ständigen militärischen Präsenz
der NATO und des sich daraus ergebenden ernstzuneh-
menden Ungleichgewichts militärischer Kapazitäten in
der Region werden die Bedrohungen durch Russlands
militärische Macht und deren nachdrücklicher Einsatz
an der Spitze der Wahrnehmungen stehen. Russland
wird in der Umgebung der baltischen Staaten weiterhin
größere und kleinere unangekündigte militärische Ma-
növer (auch in Zusammenarbeit mit Weißrussland)
durchführen und sein militärisches Potential in der En-
klave Kaliningrad und im Westlichen Militärbezirk er-
höhen. Dies beinhaltet auch die Stärkung seiner Kapa-
zitäten zur gewaltsamen Verhinderung des Zugangs in
die Ostsee. Somit könnte im Krisenfall ein Einsatz der
schnellen NATO-Eingreiftruppe zur Unterstützung der
baltischen Staaten gefährdet sein. Durch Russlands pro-
vokantes militärisches Auftreten in der Region könnte
es letztendlich wegen eines Missverständnis oder eines
Versehens zu einem Waffeneinsatz kommen.
Russlands subversive Strategien und
Aktivitäten
Russland wird seine so genannten „shaping operations“,
also Aktivitäten zur Feststellung, Verschärfung oder so-
-
ellen, sozialen, humanitären oder anderen (zum Beispiel
bei kritischer Infrastruktur oder im Cyberraum) beste-
henden Verwundbarkeiten fortsetzen. Diese sollen dann
zur Schwächung und Destabilisierung der baltischen
Staaten und, falls die interne politische Dynamik Mos-
kaus dies erfordert, als Rechtfertigung oder Unterstüt-
zung für eine Militärintervention genutzt werden. Mos-
kau wird darüber hinaus gegenüber den baltischen
Staaten unterschiedliche offene und verdeckte Maßnah-
-
sellschaft, zur Unterminierung des sozialen Zusammen-
haltes, zur Schwächung der Struktur liberaler
demokratischer Werte sowie zur Diskreditierung und
Isolation in den Augen ihrer EU- und NATO-Partner
zur Anwendung bringen. Russland wird weiter versu-
chen, einerseits in die politischen, administrativen, öko-
-
demischen Eliten bzw. Institutionen der baltischen
Staaten einzudringen sowie andererseits seine Anstren-
gungen fortzusetzen, die öffentliche Meinung zu for-
men und den Ausgang von Wahlen – z.B. der Parla-
mentswahlen in Litauen im Herbst 2016 – zu
Auswirkungen der russischen „shaping operations“ auf
die russophoben Minderheiten sein. Dies könnte 2016
schließlich dazu führen, dass Moskau die Möglichkeit
und Notwendigkeit erkennt, eine komplexe Destabili-
sierungskampagne in einem oder mehreren baltischen
Staaten durchzuführen und so die Solidarität von
NATO und EU und deren Willen zur Eindämmung
Russlands zu testen.
Herausforderung Migration
Die Massenmigration in die EU ist ein politischer und
-
ten in den baltischen Staaten, speziell durch Stärkung
-
276 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Kreml, genutzt werden könnte. Die Ankunft und An-
siedlung einer kleinen Zahl von Flüchtlingen im Rah-
men der EU-weiten Quotenregelung könnte 2016 ge-
walttätige Proteste und rassistisch motivierte Übergriffe
auslösen. Allerdings haben es die baltischen Staaten be-
reits mit einer kleinen aber ständig steigenden Zahl von
illegalen Einwanderern, hauptsächlich aus Südost- und
Südasien, welche die EU-Außengrenze mit Russland
und Weißrussland überschreiten, zu tun gehabt. 2016
wird sich deren Zahl erhöhen, speziell wenn Russland
den Balkan als bevorzugte Transitroute für Flüchtlinge
Europa und speziell nach Skandinavien ablöst. Dies
den Migrations- und Sicherheitsbehörden, bei der Sozi-
alhilfe, für die Infrastruktur und bei allgemeinen
Dienstleistungen sowie für den sozialen Zusammenhalt
in den baltischen Staaten führen.
Energiesicherheit
Migration und Ansiedlung von Flüchtlingen könnten
seitens der Wirtschaft der baltischen Staaten als Mög-
einer speziell im Falle Lettlands und Litauens hohen
-
schen Entwicklungen werden sich 2016 fortsetzen und
damit den Mangel an Facharbeitern in den baltischen
Staaten akzentuieren und die Nutzung des vollen Po-
tentials der Wirtschaftsentwicklung verhindern. Die
baltischen Staaten werden 2016 ein bescheidenes, je-
doch im Verhältnis zur übrigen Eurozone starkes und
nachhaltiges Wirtschaftswachstum aufweisen. Das vor-
hergesagte Wachstum des BIP für die drei Länder soll
bei drei Prozent liegen, die Arbeitslosenrate soll weiter
auf sechs bis acht Prozent fallen. Dennoch könnte
durch eine Rezession oder ein geringes Wachstum in
den wichtigsten Exportmärkten wie Skandinavien,
Russland oder Deutschland eine Verlangsamung des
Wachstums eintreten. Die baltischen Politiker werden
2016 der Sicherstellung der Energieversorgung weiter-
hin die größte Aufmerksamkeit widmen. Trotz großer
Fortschritte bei der Entwicklung und Einführung neu-
er Energieinfrastruktur, welche die baltischen Staaten
mit der EU und den globalen Energiemärkten verbin-
det, bleiben die baltischen Staaten gegenüber einer Ma-
nipulation der Energieversorgung als russische Maß-
ziemlich verwundbar.
EU-Solidarität als oberste Priorität
Die EU-Politik der baltischen Staaten wird im Jahr 2016
hauptsächlich darauf ausgerichtet sein, die Solidarität
innerhalb der EU und ihre Fähigkeit zu gemeinsamen
Handeln im Falle großer Krisen und Sicherheitsheraus-
forderungen zu erhalten. Ein schwer wiegender Zusam-
menbruch der Solidarität droht letztlich 2016 unter dem
Druck einer anhaltenden Flüchtlingskrise, einer mögli-
-
niens sowie einer Wiederaufnahme des Krieges in der
Ukraine oder der russischen Anstrengungen zur Unter-
minierung der unterschiedlichen EU-Politiken. Die bal-
tischen Staaten sind besonders über den Anstieg oder
die Verfestigung der EU-kritischen Einstellungen in
verschiedenen Staaten einschließlich Ungarns, der Slo-
wakei, Tschechiens und Polens besorgt. Österreichs
Haltung gegenüber den Russland-Sanktionen wird
ebenso wie seine bilateralen Beziehungen zu Russland
bei der Energieversorgung in den baltischen Hauptstäd-
ten genau beobachtet.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 277
KERNPUNKTE
• Die Sicherheitsagenda der baltischen Staaten wird 2016 von Drohungen des russischen Regimes, seiner
aggressiven Politik, sowie seiner subversiven Aktivitäten dominiert.
• Die Migrationskrise in der EU wird 2016 die baltischen Staaten unter Druck setzen, könnte aber auch
auszugleichen.
• Trotz eines nur leichten Wachstums und anhaltender Verwundbarkeit durch externe Faktoren wie einen plötz-
lichen Abschwung oder eine anhaltende Rezession in den wichtigsten Exportmärkten bzw. eine mögliche Un-
terbrechung der Energieversorgung durch Russland wird sich die positive Entwicklung des Wirtschaftswachs-
tums in den baltischen Staaten fortsetzen.
• Die höchste Priorität der EU-Politik der baltischen Staaten wird dem Erhalt der Solidarität innerhalb der EU so-
wie ihrer Entschlossenheit und Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln angesichts vielfältiger Sicherheitskrisen
und eines aggressiven Russlands zukommen.
• Wachsende Anti-EU-Stimmung, speziell in einigen mitteleuropäischen Staaten, sowie der Hang einiger EU-
Staaten zur Beschwichtigung Russlands und zur Rückkehr zum „business as usual“ in den Beziehungen zu
Einheit und der Solidarität in der Union gesehen.
KEY NOTES
• Threats posed by Russia’s regime, its aggressive policies as well as subversive activities will dominate the
security agenda of the Baltic states in 2016.
• Migration crisis in the EU will put pressure on the Baltic states in 2016 but may also be seized as an opportu-
nity to begin offsetting the economic effects of negative demographic trends.
• The Baltic states will stay on the positive trajectory of economic growth in 2016, although the growth will
remain modest and vulnerable to the external factors such as a sudden downturn or continuing recession in
major export markets or possible energy supply disruptions by Russia.
• Preserving the EU solidarity as well as its will and ability for common action in the face of multiple security cri-
ses and aggressive Russia will remain key priorities of the EU policy of the Baltic states in 2016.
• Growing anti-EU sentiments, especially in a number of Central European nations, as well as Austria’s propen-
sity for appeasing Russia and returning to “business as usual” in relations with Moscow will be seen by the
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ihrer Entschlossenheit und Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln angesichts vielfältiger Sicherheitsk
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278 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
GRIECHENLAND 2016
Die Krise geht weiter
John M. Nomikos
-
fasst Einschätzungen der Europäischen Union, des In-
ternationalen Währungsfonds und Berichte internationa-
Verbesserung. Es ist mit politischer Instabilität zu
rechnen. Die Partei „SYRIZA“ behält die Kontrolle
über das Parlament, ist aber in dieser Rolle gefähr-
det. Das jüngste Hilfsprogramm wird nur von einer
Handvoll Politikern, sogenannten „Meinungsma-
chern“ und einer Minderheit von „Europafreunden“
nicht als katastrophal eingeschätzt.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 279
ler Medien und Analysten. Die zweite richtet sich auf die
Realität im Land. Diese beiden Sichtweisen haben nichts
miteinander zu tun. Die erste Sichtweise führt zu einem
Wiederkäuen von Zahlen und dem Ruf nach Reform.
Diese Vorschau folgt Sichtweise Nummer zwei.
Politik
Zukunft des Bündnisses ist jedoch keineswegs sicher.
Hindernisse dar. Es könnte zu verbreitetem friedlichen
Widerstand gegen die verlangten Maßnahmen kommen.
-
kommen: ein weiterer Rückgang des Steueraufkommens,
-
ZA bleibt gespalten, was bis auf weiteres durch die Unei-
nigkeit der Opposition aufgewogen wird. Bemühungen,
der Korruption entgegenzutreten, bleiben im Ansatz ste-
cken. Die brutale Senkung der Familieneinkommen
-
genentwurf zu früheren Regierungen erwiesen, die weit-
hin als Kollaborateure in der Zerstörung des Landes, im
Verlust seiner Souveränität und in seiner „neuen Besat-
zung“ gesehen werden.
Politisches Patt
Keine der politischen Parteien ist zu jenen Reformen fä-
hig, die notwendig wären, um der gegenwärtigen Katas-
trophe zu begegnen und tatsächlich nationale Interessen
nachgegeben und so den Beweis für diese Beurteilung
geliefert. Nach dem Verlust seiner staatlichen Souveräni-
-
kolonie der EU.
Wirtschaft
Kapitalverkehrskontrollen haben den Inlandsmarkt er-
stickt. Zumindest während der nächsten sechs Monate
ist es unwahrscheinlich, dass sie aufgehoben werden. Im
Jahr 2016 wird das BIP um mindestens 1,3 % schrump-
fen. Die Staatsschuld wird auf 193 % des BIP klettern.
Die Steuereinnahmen werden um 2,5 Milliarden Euro
steigen. Die Inlandsnachfrage wird um mindestens 2,1
% weiter zurückgehen. Die Arbeitslosigkeit wird 25,8 %
betragen, wobei die Zahlen der Regierung die Arbeitslo-
sigkeit routinemäßig zu niedrig angeben, indem die Ein-
als arbeitslos gemeldet sind, manipuliert wird.
Auswirkungen der Austeritätspolitik
2016 werden die Verarmung und die Ausplünderung der
-
land aufgezwungene Binnenabwertung die Löhne der
griechischen Arbeiter auf 35 % unter dem EU-Durch-
schnitt gedrückt. Der jüngste Bericht der „Eurobank“
-
land weitere 5,7 Milliarden Euro (3,5 % des BIP) kosten
-
sion sieht der Bericht seine eigene Vorhersage als „mög-
licherweise optimistisch“ an.
Eurofetischismus
Die griechische Bevölkerung hält an ihrem Eurofeti-
schismus fest. Dieser geht so weit, dass alternative Ansät-
ze zur Lösung der griechischen Krise diskreditiert und
-
gesprungen ist, zementiert den Eurofetischismus weiter.
280 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Griechenlands Abstieg geht weiter.
• Rettungsprogramme und Austeritätspolitik haben
in eine Sackgasse geführt.
• 2016 werden die Sicherheitsrisiken weiter
zunehmen.
• Mit einem gefährlichen Aufstieg der neonazisti-
scher politischer Parteien muss gerechnet werden.
• Die politische Unordnung verhindert dringend not-
wendige Reformen.
• Ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel ist
unwahrscheinlich.
Außen- und Sicherheitspolitik
Die rapide Verschlechterung der Lage in der Türkei stellt
telbarer Nachbarschaft dar. Die Türkei benutzt die ille-
gale muslimische Immigration als strategisches Instru-
ment, um Europa unter Druck zu setzen, was die
wird seinen bekannten lauwarmen Ansatz zur Sicherung
Hinweis darauf, dass die griechischen Streitkräfte ir-
gendeine bedeutsame Rolle beim Kampf gegen illegale
Einwanderung spielen könnten. Die Arbeit der griechi-
schen Polizei wird von inneren Schwächen, Korruption,
Der Aufstieg der extremen Rechten
Die offen neonazistische und antisemitische Partei der
Fraktion im griechischen Parlament. Bei den Wahlen
vom 20. September 2015 errang sie mit 379.581 Stim-
men 6,99 %. Die Tatsache, dass gegen fast alle ihrer Ab-
geordneten Anklage wegen schwerer Verbrechen – ein-
schließlich Mordes – erhoben wurde, wirkte sich an der
Wahlurne kaum aus. Die Partei wird weiter wachsen, da
ne Morgenröte zur zweitstärksten Kraft aufsteigen und
die größte Oppositionspartei werden.
Konsequenzen für Europa
Maßnahmen haben eine „Ansteckung“ durch die grie-
chische Krise abgewandt. Die griechische Frage ist eine
Bombe, die jederzeit hochgehen kann. Dass der Austeri-
tätspolitik kein breiter Widerstand im Volk entgegen-
chenland sei „gezähmt“. Dem ist nicht so. Die für die
schaft Verantwortlichen haben damit dem Import von
Instabilität den Boden bereitet, wie die illegale Immigra-
tion zeigt. Europa sollte sich besinnen und seinen Blick
von den Schulden ab- und der Sicherheitslage zuwenden.
KEY NOTES
• Greece‘s descent continues.
• Bailouts and austerity policies have led to a dead
end.
• In 2016 security risks are going to increase.
• A dangerous rise of neo-Nazis is to be expected.
• Political disorder prevents urgently needed
reforms.
• Fundamental social change is unlikely.
nsatz zur Sicherung
e griechi
me Roll
spielen
i wird
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KERNPUNKTE
• Griechenlands Abstieg geht weiter.
• Rettungsprogramme und Austerität
in eine Sackgasse geführt.
• 2016 werden die Sicherheitsris
zunehmen.
• Mit einem gefährlichen Auf
scher politischer Parteie
• Die politische Unordnu
wendige Reformen.
• Ein fundamentale
unwahrscheinlic
eg der extremen Rechten
istische und antisemitische Partei der
hen Parlament. Bei den Wahlen
5 errang sie mit 379.581 Stim-
dass gegen fast alle ihrer Ab-
chwerer Verbrechen – ein-
wurde, wirkte sich an der
wird weiter wachsen, da
steigen und
KEY NOTES
• Greece‘s de
• Bailouts a
end.
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• A d
•
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 281
IRLAND 2016
Ben Tonra
Weil es keine schnellen Entscheidungen hinsichtlich des
Einsatzes von Ressourcen vornimmt, ist das Weißbuch
keine strategische Verteidigungsbewertung. Es legt viel-
mehr die Ambitionen hinsichtlich einer Balance zwischen
Land-, See- und Luftstreitkräften, angemessener maritimer
und Luftverteidigungskapazitäten sowie substanzieller Ka-
pazitäten für militärische Auslandseinsätze fest.
Mit Blick auf den internationalen Beitrag stellt das Weiß-
buch fest, dass Irland am besten zu jenen friedenserhalten-
Im Jahr 2015 veröffentlichte Irland – erst zum zwei-
ten Mal in der Geschichte des Landes – ein neues
Weißbuch zur Verteidigung. Die Bedrohungsanalyse
basiert auf der Annahme, dass das Staatgebiet kei-
nen direkten Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt
ist. Dennoch muss Irland sowohl für nationale und
internationale Anlassfälle planen, als auch seine
hart erworbene und wertvolle Reputation als Bei-
tragsleister zum internationalen Engagement für
Frieden und Sicherheit erhalten.
282 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
den Missionen beitragen kann, die im anspruchsvolleren
Spektrum angesiedelt sind; quasi als Brücke zwischen den
traditionellen Blauhelmmissionen und den intensiveren in-
teroperablen NATO-Kapazitäten. Irlands Festlegung auf
eine bündnisfreie, aber hoch entwickelte Fähigkeit eines
-
ches das Potential dazu hat, beträchtliche Anerkennung
zum einen im internationalen Bereich, zum anderen als
Beitrag zur Sicherheit der Heimat zu erfahren.
Irlands politische und wirtschaftliche
Situation
Irland erholt sich derzeit von den Auswirkungen einer bei-
spiellosen Rezession und muss, als Konsequenz der Fi-
nanzkrise von 2008 bis 2011, weiterhin die Kosten von 64
Mrd. Euro verstaatlichter Bankenkredite tragen. Die iri-
sche Wirtschaft entwickelt sich am stärksten in Europa,
und erst kürzlich hat die Europäische Kommission be-
kannt gegeben, dass das irische Wachstum im Jahr 2015
die 6 %-Marke überspringen wird. Die Auswirkung dieses
Wachstums auf die Beschäftigung ist ebenfalls bemerkens-
15,1 % im Jahr 2012 auf gegenwärtig 8,9 %. Der ursprüng-
lich bestandene Unterschied in Wachstum und Beschäfti-
gung zwischen dem Exportsektor und der Binnenwirt-
schaft scheint sich ebenfalls auszugleichen, was sich auch
in der Inlandsnachfrage und in den steigenden Steuerein-
nahmen widerspiegelt. Diese Faktoren ermöglichen eine
geringe Budgeterhöhung für 2016, ohne dabei die Vorga-
ben der EU und des Internationalen Währungsfonds aus
den Augen zu verlieren. Das nun vorliegende Budget wird
das letzte der aktuellen Regierung, bestehend aus Christde-
-
ty), sein. Aktuelle Meinungsumfragen für die im Frühjahr
-
litische Landschaft, in der die derzeit regierenden Parteien
gemeinsam mit lediglich 37 % der Stimmen rechnen kön-
-
pierungen und Parteien aus dem gesamten politischen
Spektrum zusammen. Aus heutiger Sicht ist nicht abseh-
bar, welche Regierung im Amt ist, wenn das Land den
hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit im Jahr 1916 ze-
lebrieren wird.
Eine große strategische Herausforderung für die irische
Regierung wird im Jahr 2016 die Debatte um den briti-
schen Austritt aus der EU, den sogenannten „Brexit“, dar-
-
wirkungen für Irland, vor allem aufgrund der engen
sozioökonomischen Beziehungen zwischen den beiden In-
seln. Darüber hinaus könnte es akute politische und diplo-
matische Konsequenzen für die grenzüberschreitenden
Beziehungen mit Nordirland (als Teil des Vereinigten Kö-
nigreichs) haben. In einem „Worst case scenario“ besteht
-
rollen mit deutlichen Auswirkungen sowohl auf den Frie-
densprozess in Nordirland als auch auf die grenzüber-
schreitende Sicherheit.
Migration
Die europäische Migrationskrise zeigt die besondere Be-
deutung weitreichender multilateraler Sicherheitsfragen.
Während Irland als Nicht-Schengen-Staat nicht direkt be-
troffen ist, hat es eine klare Entscheidung getroffen, Unter-
stützung zu leisten. Der Staat hat sich freiwillig bereit er-
aufzunehmen und mit maritimen Kräften (derzeit Pat-
rouillenboot „Samuel Beckett“) die europäischen Anstren-
gungen im Mittelmeer zu unterstützen. Bei diesem Einsatz
handelt es sich nicht um einen Teil der umfassenden EU-
Sicherheitsmaßnahmen, wie z.B. die multinationale militä-
rische Krisenbewältigungsoperation EU NAVFOR Med,
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 283
sondern vielmehr um einen unilateralen humanitären Bei-
maritime Beitragsleistungen normalerweise der Autorisie-
rung durch die Vereinten Nationen, wobei humanitäre
Hilfeleistungen nicht unter diese Einschränkung fallen.
Als rein humanitäre Mission, die bis dato etwa 10.000
Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat, genießt sie
breite öffentliche Unterstützung. Sie wird im Jahr 2016
fortgeführt und könnte, wenn es die Lage erfordert, sogar
ausgedehnt werden.
Afrika
Auch in Afrika leistete Irland einen entsprechenden Bei-
trag. Irlands Verbindungen nach Afrika reichen von lang-
fristiger Missionarstätigkeit und anderer kirchennaher Be-
ziehungen bis zu aktuelleren Engagements, die durch
Irlands relativ umfangreiches EZA-Programm ermöglicht
werden (mehr als 600 Mio. Euro; 0,38% des Bruttonatio-
naleinkommens). Irland hat in der Vergangenheit mit subs-
tanziellen Kontingenten zu Missionen wie EUFOR
-
onskommandanten) und Trainingsmission (EUTM) in So-
malia beigetragen. Derzeit beteiligt sich Irland sowohl an
MINURSO in Westsahara und MONUC in der Demokra-
tischen Republik Kongo als auch an der Trainingsmission
(EUTM) in Mali. Nach den Terroranschlägen von Paris
im November 2015 befürwortete die Regierung das Ansu-
chen Frankreichs, einen größeren Beitrag in Mali zu leis-
ten. Diese irischen Beiträge werden auch im Jahr 2016 ge-
leistet werden.
Eine irische Version der GSVP
-
-
aktiven UN und EU-UN-Kooperation – wird als zentraler
Baustein der irischen Ambitionen zum „Schutz unserer
souveränen Rechte und dem Entwickeln unserer souverä-
nen Interessen, in Übereinstimmung mit unseren Prinzipi-
Kontext – als „zentral für die Erreichung vieler Ziele der
kollektiven Sicherheit Irlands“ wahrgenommen. Die
-
operationen auf einer höheren strategischen Ebene teilzu-
nehmen, als dies in klassischen UN-Operationen möglich
wäre. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten, die iri-
schen Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten zu erhö-
hen. Zusätzlich gilt es zu erwähnen, dass die irische Inter-
operabilität mit den EU-Partnern durch die Mitgliedschaft
in der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) gestärkt
worden ist. Das Weißbuch unterstreicht, dass „Irland einen
starken Beitrag der EU zu den friedenserhaltenden Maß-
nahmen der UN und zum UN-Krisenmanagement unter-
stützt“ und dass „Irland weiterhin im Spektrum der ko-
operativen und kollektiven Sicherheitsformate innerhalb
der EU, der UN, der OSZE und auf bilateraler Ebene mit
anderen Staaten seinen Beitrag leisten wird.“ Unter diesen
-
fänglichen und aktiven Beitrag in allen Bereichen der
-
ten und Prinzipien leisten.
Bilaterale Möglichkeiten Österreichs mit
Irland
Die Möglichkeiten für irisch-österreichische Kooperati-
Während die sich entwickelnde Sicherheitssituation in
Europa sicherstellen wird, dass die Staaten Europas wei-
terhin ihre Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen
einem aktiven Überprüfungsregime unterwerfen wer-
284 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Irland ist kein Schengen-Land, wird sich aber 2016
weiterhin mit maritimen Kräften (Patrouillenboote)
an humanitären Einsätzen beteiligen.
• Die irischen Streitkräfte werden sich auch im Jahr
2016 an EUTM Mali beteiligen und ihr Engagement
in dieser Operation verstärken.
• Das Weißbuch kommt zum Schluss, dass Irland am
besten durch Beteiligungen an Friedensoperatio-
nen höherer Intensität seinen Beitrag leisten kann.
• 2016 bietet bemerkenswerte Möglichkeiten für
irisch-österreichische Kooperationen.
den, kann man davon ausgehen, dass Österreich und Ir-
land einen gewissen gesamtstrategischen Ansatz teilen.
Beide formulieren ihr europäisches sicherheits- und ver-
nierten nationalen Ansatz heraus. Dieser priorisiert ein
breites multilaterales Engagement, mit klarem Vorrang
für eine UN-zentrierte Sicherheitsarchitektur und einem
aktiven Engagement mit dem Ziel der Stärkung der nati-
onalen Verteidigungsfähigkeiten durch multilaterale Ko-
operation. Die Mitwirkung in Formaten wie der Euro-
päischen Verteidigungsagentur (EDA), dem
Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) oder der PfP
ermöglicht beiden Staaten die Nutzung bilateraler und
weiter gefasster multilateraler Wege der Kooperation,
ohne dabei eigene Kernambitionen oder nationale politi-
sche Ausrichtungen zu kompromittieren. Das Weißbuch
trägt der Entwicklung von bilateralen Verteidigungs-
kooperationen Rechnung und legt fest, dass „mehr bila-
terale Beziehungen mit anderen Staaten zu Irlands Si-
cherheit, Verteidigung, der internationalen
Friedenserhaltung und den Krisenmanagementeinsätzen
beitragen werden.“ Bereits bestehende bilaterale Bezie-
hungen mit Finnland, Schweden, den Niederlanden und
dem Vereinten Königreich könnten 2016 auch auf Ös-
terreich ausgedehnt werden. Das Programm einer sol-
kann den Austausch von Stabspersonal, die Entsendung
von Verteidigungsattachés, bilaterale Absichtserklärun-
gen im Bereich der Verteidigung und andere zivil-militä-
rische Verbindungen auf Ebene der Stäbe umfassen.
KEY NOTES
• Ireland is not part of the Schengen Area but will
continue with humanitarian deployments of its na-
val off-shore patrol vessels OPVs to the Mediterra-
nean in 2016.
• Irish forces are also actively engaged in the EUTM
Mali training mission and will undertake a greater
share of that operation in 2016.
• The White Paper concludes that Ireland can most
usefully contribute to higher-end peacekeeping
missions.
• The opportunities for Irish-Austrian cooperation in
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 285
ITALIEN 2016
Stefano Silvestri
Innenpolitische und internationale Faktoren bestimmen Italiens längerfristiges Sicherheitsszenario. Wirt-
schaftlich scheint sich die Lage des Landes zu verbessern, sodass es langsam die Rezession hinter sich
lässt. Das Wachstum ist jedoch niedrig, und es gibt weder eine Garantie dafür, dass es sich beschleunigt,
noch dafür, dass es überhaupt andauert. Die politische Lage spiegelt zum Teil diese Ungewissheiten wie-
der, leidet aber auch unter dem langwierigen Generationenwechsel und der tiefen Krise der traditionellen
politischen Parteien, die aufgerufen sind, sich um Konsens zu bemühen und eine neue politische Führungs-
schicht hervorzubringen. Bei den jüngsten Wahlen errangen „antipolitische“ Parteien – insbesondere die
Lega Nord und die Cinque Stelle – etwa ein Viertel der Stimmen. Ihre antieuropäische Rhetorik verstärkt die
Mehr direkte militärische Interventionen
im Jahr 2016
Angesichts der internationalen Rahmenbedingungen
am Ende des Jahres 2015 kann man sich für Italien so-
wie für Europa insgesamt nur schwerlich ein Szenario
stabiler Sicherheit vorstellen. Alle Nachbarregionen sind
in Aufruhr und ihre absehbare Entwicklung wirkt nicht
-
hararegion sowie im Nahen Osten dauern an. Die grö-
vermehrt direkt militärisch intervenieren.
Als positiv ist der erfolgreiche Abschluss des Nuklear-
die Stellvertreterkriege dauern allerdings unverändert
an.
286 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Massive Migrationsströme und die Gefahr
von Populismus und Nationalismus
Europa – und insbesondere Italien – stehen weiterhin
durch die massiven Migrations- und Flüchtlingsströme un-
ter großem Druck. Zwar hat eine Mehrheit europäischer
Regierungen einer europaweiten Politik der Solidarität zu-
gestimmt, doch können die Regierungen diese mangels ei-
nes innenpolitischen Konsenses nur sehr begrenzt umset-
zen, während Populismus und Nationalismus im
Ansteigen begriffen sind.
Der europäische Zusammenhalt
Während der europäische Zusammenhalt unter Druck ge-
raten ist, spielt Russland vermehrt seine „militärische Kar-
te“ aus. Es tut dies mit massiven Militärmanövern, direkter
Intervention in Syrien, militärischem, politischem und
wirtschaftlichem Druck auf die Ukraine sowie der Statio-
nierung neuer Waffensysteme (einschließlich den INF-Ver-
trag möglicherweise verletzender nuklearfähiger Systeme)
in seinem europäischen Teil.
Besonders betroffen ist Italien von der beunruhigenden
Lage in Libyen, den längerfristigen Aussichten für Sicher-
heit und Stabilität in Nordafrika und der fragilen Sicher-
heitslage am Balkan. Überdies erhöht die Entscheidung
der katholischen Kirche, beginnend im Dezember 2015
ein Heiliges Jahr auszurufen, die Wahrscheinlichkeit terro-
ristischer Anschläge.
Italiens Streitkräfte und
Verteidigungsbudget
Die italienischen Streitkräfte sind derzeit u. a. in Afghanis-
tan, im Irak und im Libanon stationiert. Im Jahr 2016 und
in der absehbaren Zukunft wird sich daran nichts ändern.
Ihre Stationierung macht die Politik Italiens und seine Ver-
Seltsamerweise führt die größer gewordene Verwundbar-
keit nicht zu einem merklichen Anstieg des italienischen
Verteidigungsbudgets, wenn auch Maßnahmen zur Erhö-
hung der Wirksamkeit der bestehenden Kräfte angekün-
digt, aber noch nicht umgesetzt worden sind.
In dieser Lage kommt der NATO und insbesondere den
USA eine größere Verantwortung für die italienische Si-
cherheit – und die europäische Sicherheit insgesamt – zu,
sodass eine erhebliche Verstärkung der US-amerikani-
schen Militärpräsenz in Europa erforderlich ist. Allerdings
könnte dies die politischen Beziehungen zu Russland wei-
ter belasten.
Gefühlte Unsicherheit
Weder heute noch auf absehbare Zeit ist eine unmittelbar
bevorstehende militärische Bedrohung – insbesondere Ita-
liens – feststellbar. Die brüchig werdende europäische Soli-
-
Unsicherheit. Terroranschläge auf italienischem Boden
und/ oder gegen italienische Zivilisten und Soldaten im
Ausland würden diesen Prozess beschleunigen, die Wahr-
scheinlichkeit innenpolitischer Instabilität erhöhen und
Druck setzen.
Solidarität unter Verbündeten
Aus italienischer Sicht wird die Sicherheit nicht unmittel-
bar bedroht, es schleichen sich aber wachsende Ungewiss-
heit und verringerte Solidarität unter den Verbündeten ein.
Diese Aussichten sind zutiefst beunruhigend, hat die italie-
nische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik doch seit
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 287
KERNPUNKTE
• Die massiven Migrations- und Flüchtlingsströme
dauern 2016 an.
• Die italienischen Streitkräfte sind derzeit in Afgha-
nistan, im Irak und im Libanon stationiert und wer-
den dies wahrscheinlich auch 2016 bleiben.
• Die größere Verwundbarkeit führt nicht zu ei-
nem merklichen Anstieg des italienischen
Verteidigungsbudgets.
• Das Brüchigwerden der europäischen Solida-
rität führt zu einem wachsenden Gefühl der
Unsicherheit.
• Für 2016 ist das Sicherheitsszenario nicht unmit-
telbar bedrohlich, es schleichen sich aber wach-
sende Ungewissheit und verringerte Solidarität un-
ter den Verbündeten ein.
Ende des Zweiten Weltkriegs hauptsächlich auf belastbarer
die Verbündeten Italien helfen würden, beruht.
Im schlimmsten Falle entstünde ein Teufelskreis, in dem
innere und internationale Unsicherheiten einander verstär-
ken, die Differenzen zwischen Italien und seinen Verbün-
deten verstärken, die allgemeine Fragmentierung voran-
treiben und Italiens Sicherheitslage schwächen.
All dies würde gewiss gegen den Willen der heutigen italie-
nischen Regierung und der Mehrheit der italienischen
Wähler erfolgen, könnte sich aber zwingend ergeben,
wenn die regierenden Parteien weitere herbe Verluste erlei-
den oder sich die internationale Lage weiter verschlechtern
sollte.
Kooperationen mit Österreich
Österreich und Italien kooperieren auch im militärischen
Bereich im Rahmen regionaler Kooperationsformate.
Auch im Zuge von Einsätzen unter Führung der Vereinten
Nationen (UNIFIL), der Europäischen Union (EUNAV-
FOR MED) oder der NATO (KFOR) gibt es gemeinsame
Kooperationsfelder. Bilaterale Kooperation mit Italien gibt
es mit Schwergewicht im Bereich der Ausbildung, u. a. bei
der Pilotenausbildung.
Das wichtigste regionale Kooperationsformat ist in diesem
Zusammenhang die Defence Cooperation Initiative
(DECI). Dafür sind vier Kooperationsfelder – Politisch-
Militärische Kooperation in sicherheitspolitisch relevanten
Themenbereichen, Operationen/Ausbildung, Rüstungsbe-
reich und Fähigkeitsentwicklung – vereinbart worden. Ita-
lien ist Führungsnation, weiters beteiligen sich Ungarn,
Slowenien, Österreich und Kroatien (Beobachterstatus).
2017 werden die beteiligten Länder einen aktiven Beitrag
für die EU-Battlegroups leisten. Die Aufnahme von weite-
ren Partnern in Südosteuropa könnte zur Stärkung der Si-
cherheit in der Region beitragen. Albanien hat kürzlich die
Aufnahme in die DECI beantragt.
KEY NOTES
•
es 2016.
• Italian military forces are presently engaged in Af-
ghanistan, Iraq and Lebanon, and are likely to re-
main there in 2016.
• The perception of a greater vulnerability is not
Defence budget.
• The loosening of European solidarity is fostering a
mounting perception of insecurity.
• The security scenario for 2016 is not immediate-
ly threatening but is slowly degrading to forms of
increasing uncertainty and lower solidarity among
the allies.
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288 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
TSCHECHIEN 2016
Libor Frank
GSVP
Im Hinblick auf die fortdauernde Migrationskrise wird
die Tschechische Republik auch weiterhin für strengere
und komplexere Maßnahmen eintreten, um auf Ebene
der EU illegale Migration zu verhindern bzw. zu steu-
ern. In diesem Zusammenhang gilt das besondere Au-
Kürzlich überarbeitete strategische und administra-
tive Dokumente tragen dem veränderten Sicher-
heitsumfeld Rechnung und bilden den Rahmen für
die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der
Tschechischen Republik. Die das Jahr 2016 beherr-
Ukraine und in Syrien sowie die selbstbewusste Au-
ßenpolitik Russlands, die eine Bedrohung für den
Ostteil der NATO darstellt, sein. Die tschechische
Wirtschaft wird auch weiterhin wachsen, wobei für
2016 ein überdurchschnittliches Wachstum des BIP
im Ausmaß von 2,7 Prozent erwartet wird. Die Ar-
mit 1,3 Prozent geschätzt.
genmerk der Tschechischen Republik der geplanten
Überarbeitung der europäischen Sicherheitsstrategie,
wobei eine größtmögliche Übereinstimmung dieser
Strategie mit ihren eigenen, kürzlich überarbeiteten
strategischen Dokumenten – insbesondere im Hinblick
auf Migration und die Lage im Nahen Osten und in der
Ukraine – anstrebt wird.
dass die Tschechische Republik gemeinsam mit Polen,
Ungarn und der Slowakei die EU-Battlegroup „V4“ der
Hälfte des Jahres 2016 bereithält. Von ihren 3720 Kräf-
ten werden 730 (Sanitäts- und Versorgungsmodule, Pio-
weiterhin wird sich die Tschechische Republik an der
EU- Ausbildungsmission in Mali beteiligen. Dort be-
wacht das tschechische Kontingent das Hauptquartier
und beteiligt sich auch an der Ausbildung der Armee
Malis. Dieses Engagement entspricht dem neuen außen-
politischen Konzept der Tschechischen Republik, wo-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 289
Migration
Im Jahre 2015 lehnte die Tschechische Republik – die
ein Nachbarland des Hauptziellandes der Migration ist
ab. Sie behält diese Position konsequent bei. Die Tsche-
chische Republik unterstützt primär die Anstrengungen
zur Beendigung der Krise im Nahen Osten und zur
Eindämmung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die kurdischen
Kräfte in ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen.
Im Jahr 2015 überließ die Tschechische Republik den
Kurden 500 Tonnen Munition und leichte Waffen; sie
wird diese Unterstützung auch 2016 fortsetzen.
Im Hinblick auf die Migrationskrise befürwortet die
Tschechische Republik den größtmöglichen Schutz der
-
elle und personelle Hilfestellung für die Nachbarländer
-
nen und Migranten – je nach Migrationsmotiv, Anpas-
sungsfähigkeit und Sicherheitserwägungen – unter-
schiedlich behandelt werden. Koordiniert mit anderen
Visegrád -Ländern (V4) wird die Tschechische Republik
im Jahr 2016 Ungarn mit 150 Soldaten und Polizisten,
-
insbesondere gegenüber Österreich – intensiviert, und
für eine mögliche Migrationswelle im Jahr 2016 wurden
allgemein vor allem vom Nahen Osten gesprochen,
doch sei daran erinnert, dass die Tschechische Republik
zu den wichtigsten Zielländern für Migrantinnen und
Migranten aus der Ukraine zählt und sich bereits etwa
200.000 Ukrainer in der Tschechischen Republik auf-
halten. Ihr Zustrom wird wahrscheinlich weiter
ansteigen.
Verteidigungszusammenarbeit
Auch Verteidigungsfragen und regionaler militärischer
Zusammenarbeit wird große Aufmerksamkeit gewid-
met. 2015 und 2016 ist die Tschechische Republik V4-
Vorsitzland und tritt für ein ambitioniertes Programm
für die Zusammenarbeit der V4-Länder ein, wobei ge-
meinsame Positionen der Tschechischen Republik, der
Slowakei, Ungarns und Polens innerhalb der EU und
der NATO formuliert sowie einzelne Beschaffungspro-
jekte und Projekte zu direkter militärischer Zusammen-
arbeit verfolgt werden sollen. Eine breitere regionale
Zusammenarbeit – etwa im Bereich der Zentraleuropäi-
schen Verteidigungskooperation – steht erst am Anfang
und ist noch begrenzt.
großer außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung
sein. Es ist damit zu rechnen, dass die Tschechische Re-
publik und andere europäische NATO-Mitglieder in
Übereinstimmung mit dem Beschluss von Wales vom
September 2014 aufgefordert werden, ihre Militärausga-
ben bis zum Ende des Jahrzehnts auf zwei Prozent des
BIP zu erhöhen. Im März 2015 hat die tschechische Re-
gierung allerdings die neue tschechische Sicherheitsstra-
tegie beschlossen, in der von nur 1,4 Prozent des BIP
die Rede ist. Auch wird der Beschluss, die Bereitschaft
der schnellen Eingreifkräfte der NATO zu erhöhen,
zweifellos Auswirkungen auf die Tschechische Republik
zeigen, da diese derzeit 150 Mann Spezialkräfte sowie
Hubschrauber in diesem Bereich zur Verfügung stellt.
Zusätzlich ist die Tschechische Republik bereit, CASA-
Flugzeuge, Versorgungsmodule oder das Fliegerab-
wehrsystem „RBS“ zur Verfügung zu stellen.
Neben dem schon erwähnten Beitrag zur EU-Battle-
group wird sich die Tschechische Republik an einer Rei-
290 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Im Jahr 2015 hat die Tschechische Republik ihre
strategischen Dokumente zur Außen-, Sicherheits-
und Verteidigungspolitik überarbeitet, sodass die-
se die Ausgangspunkte für 2016 bilden.
• Es ist mit einer positiven wirtschaftlichen Ent-
wicklung und überdurchschnittlichem Wirtschafts-
wachstum zu rechnen.
• Von der selbstbewussten Politik der Russischen Fö-
hen die größten Bedrohungen aus.
• Das aktuelle Thema der massenhaften Migration
nehmen. Priorität genießt für die Tschechische Re-
publik ein präventiver und selektiver Ansatz anstel-
le massenhafter unkontrollierter Aufnahme. Sie
ziell und materiell vermehrt am Schutz des Schen-
genraums beteiligen.
• Als Teil der Präsidentschaft der Visegradgruppe für
das Jahr 2016 wird sich die Tschechische Repub-
lik auch weiterhin für die militärische Zusammenar-
beit der V4-Länder sowie für die Formulierung einer
gemeinsamen Position für den bevorstehenden NA-
TO-Gipfel einsetzen.
• Während der ersten Hälfte des Jahres 2016 wird
sich die Tschechische Republik an der EU-Battle-
group „V4“ beteiligen.
• 2016 wird die Tschechische Republik ihr Verteidi-
gungsbudget sowie ihre Einsatzkapazitäten – aller-
entsprechen würde – erhöhen.
he militärischer Einsätze von NATO, EU und UN be-
teiligen. Die wichtigsten sind auch weiterhin jene in
Afghanistan (Resolute Support), Mali (EUTM) und
Ägypten (MFO).
KEY NOTES
• In 2015 the CR updated its strategic documents
on foreign, security and defence policies and these
will be the starting points for 2016.
• Positive economic development is expected along
with an above average economic growth.
•
tive policy of the Russian Federation and the con-
• A topical issue which will grow in importance in the
coming period is mass migration from the areas of
tive approach to migration to its mass and uncon-
trolled acceptance. It will progressively participate
in the protection of the Schengen area with its poli-
terial means.
• As part of the presidency of the Visegrad Group
in 2016, the CR will promote the continuing mili-
tary cooperation of the V4 countries and formula-
ting a common position for the forthcoming NATO
summit.
•
the Visegrad EU Battlegroup.
• In 2016 the CR will raise its defence budget and in-
crease its military deployment capacities, although
at a slower rate than required by its obligations to
NATO.
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überdurchschnittlichem Wirtschafts-
chnen.
ussten Politik der Russischen Fö-
hungen aus.
massenhaften Migration
die Tschechische Re-
ktiver Ansatz anstel-
Aufnahme. Sie
z des Schen-
uppe für
pub-
enar-
ner
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 291
SLOWAKEI 2016
Marian Majer
Die slowakische Außen- und Sicherheitspolitik war
2015 hauptsächlich von zwei Phänomenen ge-
Integration haben können: die griechische Schul-
den-Krise und die Migrationskrise. Während die
Diskussion zu Griechenland heute weit weniger
politisiert ist als 2011, als es zu einem Misstrau-
die Debatte rund um die Migration den gesamten
politischen und sozialen Diskurs in der Slowakei.
Dies auch aufgrund der anstehenden Parlaments-
wahlen, die für März 2016 geplant sind. Aufgrund
der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Strom von
Flüchtlingen nach Europa anhalten wird, wird sich
auch diese Diskussion auf nationaler und euro-
päischer Ebene intensivieren.
292 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Migration im Zentrum nationaler
Debatten
Auf nationaler Ebene ist die Dichotomie der Einstel-
lungen der meisten Parlamentsparteien und von Vertre-
tern der Zivilgesellschaft offensichtlich. Auf europäi-
scher Ebene hat sich die Slowakei dank einer harschen
Position der Regierung zu den Flüchtlingsquoten in
eine unangenehme Isolation manövriert. Die neue Re-
gierung muss daher die Differenzen innerhalb des Lan-
des minimieren und die entstandenen Schäden auf dem
europäischen Parkett (die politischen Beziehungen mit
-
schwächen, insbesondere da die Slowakei 2016 den EU-
Ratsvorsitz übernimmt. Ein konstruktiverer Ansatz
wäre notwendig, wenn die Slowakei nicht nur einen or-
ganisatorischen Erfolg während ihres Ratsvorsitzes er-
zielen, sondern auch die Diskussion für europäische Lö-
Sicherheitspolitik der Union adäquat unterstützen
möchte. In dieser Hinsicht könnte Präsident Andrej
Kiska eine wichtige Rolle spielen.
Europäische Sicherheitsthemen auf der
Tagesordnung
Fragen der europäischen Sicherheit werden auch im
Kontext der Ausarbeitung einer neuen globalen Strate-
gie der EU für Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert
werden. Die Hohe Repräsentantin Frederica Mogherini
wurde damit beauftragt, bis Juni 2016 ein entsprechen-
des Dokument vorzubereiten, und es wird erwartet,
dass die Mitgliedsstaaten einen Beitrag zur Diskussion
liefern. Es besteht die einmalige Möglichkeit, die Dis-
-
tegie geführt werden, mit der laufenden Diskussion zur
nationalen Sicherheitsstrategie zu verknüpfen. Ein slo-
Staaten, die zusammen mit der Tschechischen Republik,
Ungarn und Polen im ersten Halbjahr 2016 bereit gehal-
ten wird, könnte Anlass zu einer derartigen Diskussion
sein.
NATO-Gipfel in Warschau wird Aufmerk-
samkeit erregen
Die Entwicklungen in der NATO werden 2016 auch ih-
Wales 2014 einige wichtige Zusagen, jedoch gestaltet
sich der Fortschritt der Umsetzung langsamer als er-
wartet. Eine der Hauptgründe dafür ist der Versuch der
Regierung, die Balance zwischen internationalen Ver-
-
ten, was nicht immer im Einklang miteinander steht. In
anderen Worten, die Regierungspartei vermeidet es,
Themen anzusprechen, die innerhalb der eigenen Kern-
wählerschaft als unpopulär angesehen werden, wie z.B.
die slowakische Rolle in den transatlantischen Bezie-
hungen oder militärische Zusagen in internationalen
Möglichkeiten, Kommunikationswege zur Öffentlich-
keit aufzubauen, sie müssen nur angenommen werden.
Die strategischen Maßnahmen zur Anpassung der
NATO und die Politik gegenüber Russland – deren An-
– sind von strategischer Bedeutung für die Slowakei.
Informationskrieg und Energieabhängig-
keit als wichtige Aufgaben
Ein weiteres Thema, welches im slowakischen Sicher-
heitsdiskurs im Jahr 2016 präsent sein wird, ist der In-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 293
formationskrieg, der von Russland aus geführt und von
russischen Institutionen gefördert wird. Seine Intensität
der Ost-Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten (Syri-
en und Irak) vervielfacht, und es wird erwartet, dass dies
auch 2016 anhält. Darüber hinaus ist die Slowakei stark
von Energieimporten aus Russland abhängig und gegen-
über plötzlichen Veränderungen am Energiemarkt trotz
der zuletzt gebauten Verbindungen mit seinen Nachbarn,
inklusive Österreich, verwundbar. Ein slowakisches Enga-
gement in den Debatten zur Energie-Union und zu alter-
nativen Energie-Routen ist daher zu erwarten.
Politik gegenüber Russland und der
Ukraine
Die slowakische Politik gegenüber Russland wird mehr-
schichtig sein: In der NATO ist die Partnerschaft mit
Russland seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise in der
Schwebe und eine Klärung der zukünftigen Positionen in
-
kussion in der EU wird auf die Frage der wirtschaftlichen
Sanktionen fokussiert bleiben, die ursprünglich von der
slowakischen Regierung unterstützt wurden. Es gibt im
slowakischen Diskurs aber auch Stimmen für eine Rück-
nahme der Sanktionen. In der Slowakei kommt den Ent-
des laufenden Reformprozesses allgemeines Interesse zu,
jedoch wird die Debatte auf einer eher technischen Ebene
bleiben (hauptsächlich bezogen auf Entwicklungszusam-
menarbeit), sofern sich nicht ein maßgeblicher Durch-
bruch ereignet.
Wirtschaft in guter Verfassung
Die Sanktionen gegen Russland werden vor allem hin-
sichtlich ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung der
slowakischen Wirtschaft diskutiert werden. Mit einer
Schuldenquote auf annehmbarem Niveau von unter 60
%, einer leicht sinkenden Arbeitslosenrate von 11,5 %
und einer gemäßigten Steigerung des Durchschnitts-
einkommens werden sich die makroökonomischen
Kennzahlen auch weiterhin in einer guten Verfassung
zeigen. Nichtsdestotrotz könnten willkürliche Ände-
rungen in der Steuerpolitik, unerwartete öffentliche
Ausgaben oder starke externe Faktoren diesen positi-
ven Trend umkehren.
Visegrad und die regionalpolitische
Dimension
Es wird auch wichtig sein, die Entwicklungen inner-
-
ren schwierige Zeiten erleben musste, zu beobachten.
Die Slowakei hat nicht immer nur positiv zur Agenda
beigetragen, insbesondere durch die Reaktion auf die
Annexion der Krim und die Diskussionen zur Flücht-
lingsquote. Darüber hinaus hat sich die slowakische
Führung in der letzten Zeit eher destruktiv verhalten,
wenn es darum ging, nach Lösungen zu suchen und
Unterstützung für die eigenen Interessen zu
bekommen.
So könnten andere regionale Formate wie das aus der
Tschechischen Republik, Österreich und der Slowakei
bestehende Slavkov-Dreieck oder die Zentraleuropäi-
sche Verteidigungskooperation zwischen der Tsche-
chischen Republik, Österreich, Ungarn, der Slowakei
und Kroatien mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Insgesamt wird sich die slowakische Regierung diesen
Formaten in einer komplementären Zugangsweise als
in einer substitutiven nähern. Die Zusammensetzung
der neuen slowakischen Regierung wird die Aktivitä-
294 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ten in diesen Bereichen für den Rest des Jahres 2016
bestimmen. Die Ergebnisse der Wahlen im März
könnten in der außen- und sicherheitspolitischen De-
batte tatsächlich eine Wende hervorrufen.
KERNPUNKTE
• Das Thema „Migration“ wird im Zentrum der natio-
nalen Debatte bleiben.
• Der slowakische EU-Ratsvorsitz könnte dazu beitra-
gen, die Diskussion über die Europapolitik im Land
anzukurbeln.
• Der NATO-Gipfel in Warschau wird die Aufmerk-
samkeit der politischen Führung auf die Diskussion
rund um strategische Anpassung lenken.
• Die Politik gegenüber Russland wird die Debatten
über Wirtschaft, Energiepolitik und Informations-
• Die politischen Bedingungen in der Visegrad-Grup-
pe werden die Intensität der Diskussion innerhalb
KEY NOTES
• Issue of migration will stay in the centre of natio-
nal debate.
• Slovak EU Presidency could help stir the debate on
European policies in the country.
• NATO Summit in Warsaw will attract attention of
political leaders due to the debate on strategic
adaptation.
• Politics on Russia will penetrate debates on econo-
my, energy policy and information war.
•
sity of discussion within other regional formats.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 295
SLOWENIEN 2016
Petra Roter
Die innere Sicherheit wird in Slowenien vor allem
durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen gefordert,
allerdings zeigt sich die Regierung fähig, die Heraus-
forderungen zu meistern. Dank des erwartbaren
Wirtschaftswachstums wird nicht mit einem Anstieg
der Arbeitslosigkeit gerechnet. Sicherheitspolitisch
bleibt die NATO bedeutend, zugleich nimmt der Un-
mut über die Handlungsunfähigkeit der EU in der
Flüchtlingskrise zu. Während Spannungen mit Kroa-
Innere Sicherheit und Flüchtlingskrise
Derzeit ist die innere Sicherheit Sloweniens aufs Engste
mit der massiven Anzahl durchströmender Flüchtlinge
tien nicht ausgeschlossen werden können, ist davon
auszugehen, dass die sehr guten Beziehungen zu
Österreich trotz möglicher Sicherheitsbedenken we-
gen der Flüchtlingskrise weiter bestehen.
296 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
verbunden (fast 237.000 zwischen Mitte Oktober und
Mitte November). Die Regierung ist zuversichtlich, die
innere Stabilität des Landes aufrechterhalten und zur
Stabilität der Region beitragen zu können, solange Slo-
wenien Transitland bleibt. Sollte sich dies ändern und
der Migrantinnen und Migranten (Österreich, Deutsch-
land, Skandinavien) geschlossen werden, würde Slowe-
nien auf das so entstandene Sicherheitsdilemma rasch
reagieren und seinerseits den Flüchtlingen das Durch-
queren des Landes erschweren. Eine derartige Reaktion
war bereits die Errichtung eines Drahtzauns entlang
November. Slowenien vertritt die Meinung, dass die
Flüchtlinge die Balkanregion nicht destabilisieren und
-
vorrufen werden. In diesem Zusammenhang ist die Zu-
sammenarbeit aller Länder entlang der Balkanroute von
entscheidender Bedeutung.
Politische Lage
Slowenien erfreut sich politischer Stabilität. Die amtie-
rende Koalition sitzt fest im Sattel. Sie wird von der
Partei der modernen Mitte (Stranka Modernega Centra
– SMC), die kurz vor den Wahlen 2014 gegründet wur-
de, dominiert und scheint jene anfänglichen Probleme
überwunden zu haben, die zum Austausch einiger Mi-
nister geführt haben. In der Nationalversammlung
könnte es zu einigen weiteren kleineren Veränderungen
in der Zusammensetzung der Fraktionen kommen. Die
Wirtschaftsindikatoren versprechen für 2016 fortge-
setztes Wirtschaftswachstum und sind daher günstig
für die gegenwärtige Regierung. Der Zustrom von
Flüchtlingen – also die „Flüchtlingskrise“ – stellt die
Fähigkeit der Regierung, kompetent zu reagieren, auf
die Probe. Ein Sturz der Regierung wegen der Art ihres
Vorgehens in dieser Frage ist allerdings unwahrschein-
lich. Die Opposition kann sich opportunistisch verhal-
ten und eine Zeitlang abwarten, wie sich das Thema
entwickelt. Sie verliert nichts, wenn sie aktiv nichts ge-
gen die Regierungspläne unternimmt, solange diese
durchaus proaktiv ausfallen. Sie kann aber sehr viel ge-
winnen, sollte sich die Regierung dieser komplexen He-
rausforderung nicht gewachsen zeigen.
Wirtschaft
langsamer Erholung von der gewaltigen Krise des Jah-
res 2008. Es erfreut sich gegenwärtig wirtschaftlichen
Wachstums, das 2016 — hauptsächlich dank der Ex-
porte und des Inlandskonsums — vermutlich bei etwa
2 % des BIP liegen wird. 2014 lag das BIP pro Kopf bei
18.093 Euro. Der Exportsektor könnte vom Volkswa-
im Zuge der Flüchtlingskrise negativ betroffen sein.
Zwar ist der Beschäftigtenstand im Jahr 2015 um 1,6 %
gestiegen, da dies aber hauptsächlich in Form von Ein-
Beschäftigungsformen geschah, bleibt die Arbeitslosig-
keit ein Problem. Sie ist leicht gesunken und liegt bei 11
bis 12 %, woran sich 2016 kaum etwas ändern wird.
Dies gilt auch für die Jugendarbeitslosigkeit von ca.
16 %, die sich jährlich im Herbst erhöht, nachdem
Schul- und Universitätsabsolventen auf den Arbeits-
markt strömen.
Die Politik gegenüber EU und NATO
Slowenien bleibt auch weiterhin ein engagiertes NATO-
Mitglied. Die Spannungen gegenüber der EU sind aber
sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf Regierungs-
ebene angewachsen, da die Mitgliedsstaaten der EU all-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 297
gemein als vollkommen unfähig angesehen werden,
sich auf eine vernünftige gemeinsame Flüchtlingspolitik
zu verständigen. Die Absicht der EU, zum glaubwürdi-
gen außenpolitischen Akteur zu werden, gilt in Sloweni-
en nunmehr als Utopie. Slowenien wurde mit den
Flüchtlingsströmen eher unerwartet konfrontiert, nach-
weitgehend geschlossen hatte. Seit damals wartet Slowe-
nien auf eine gemeinsame Politik der EU. Da eine sol-
che noch immer ausbleibt und auch keine Solidarität ge-
übt wird, könnte in Slowenien die Enttäuschung
gegenüber der EU weiter ansteigen. Die Regierung hat
dies in Brüssel auf den höchsten politischen Ebenen
mitgeteilt.
Zentraleuropäische
Verteidigungskooperation
Beim letzten Treffen der Verteidigungsminister Öster-
reichs, Kroatiens, der Tschechischen Republik, Un-
garns, der Slowakei und Sloweniens im slowenischen
Brdo im Mai 2015 stellte der slowenische Verteidi-
gungsminister klar, dass Slowenien zwar insbesondere
beim Informations- und Meinungsaustausch regionale
Zusammenarbeit schätzt, im Bereich militärischer Fä-
higkeiten aber auch weiterhin von den Mechanismen
Afrika
Slowenien betrachtet Afrika trotz des geringen Handel-
sumfangs – kein Austausch bei Dienstleistungen und
Investitionen – als Kontinent ökonomischer Möglich-
keiten. Für Slowenien ist Afrika in den Bereichen nach-
haltiger Landwirtschaft, Holzproduktion, Energie,
Bergbau, Wassermanagement, Kommunikationstechno-
logie, Bauwesen und Fremdenverkehr interessant. Da es
aber weitgehend an einem systematischen Ansatz ge-
genüber afrikanischen Ländern und ihren Märkten
fehlt, ist ein größerer Anstieg der wirtschaftlichen Zu-
sammenarbeit unwahrscheinlich.
Regionale Aspekte
Der Zustrom von Flüchtlingen wirkte sich auf Sloweni-
ens Beziehungen zu seinen Nachbarländern – insbeson-
dere zu Kroatien – aus. Aus slowenischer Sicht legte
Kroatien am Anfang der Flüchtlingskrise im Oktober
2015 nur geringe Bereitschaft an den Tag, den Umgang
mit den Flüchtlingen – insbesondere im Hinblick auf
zeitgerechte Berichterstattung über Anzahl und Aufent-
haltsort von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Sloweni-
en, per Bahn oder Bus oder zu Fuß – zu koordinieren.
Auf eine besondere Probe wurden die bilateralen Bezie-
hungen am 21. Oktober gestellt, als Slowenien ein Vi-
deo zeigte, in dem kroatische Polizisten zu sehen sind,
wie sie Hunderten Flüchtlingen dabei helfen, illegal und
ohne vorherige Koordination mit der slowenischen Po-
-
-
arbeit aufgerufen wurde, normalisierten sich die
Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder. Wie
Hunderter von Flüchtlingen mitten in der Nacht hatte
der Vorfall wohl mit dem kroatischen Wahlkampf für
die Wahlen vom 8. November zu tun, wobei Kroatien
Die Errichtung des Drahtzauns durch Slowenien ent-
-
te diplomatische Proteste der kroatischen Seite aus, die
-
-
schen Regierung behauptet – auf slowenischem. Sobald
298 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Slowenien bietet ein Bild solider politischer Stabili-
tät, die auch 2016 andauern wird.
• Sloweniens Wirtschaftswachstum setzt sich auch
2016 fort.
• Die Flüchtlingskrise spielt bezüglich aller Aspek-
te der bilateralen und regionalen Zusammenarbeit
verschiedener Staaten eine wesentliche Rolle. Ein
falscher Umgang mit ihr könnte sich durchaus auf
andere – wirtschaftliche und politische, also auch
interne – Indikatoren auswirken.
• Aus slowenischer Sicht hat die EU ihr eigenes
Image als außenpolitischer Akteur durch ihre (Un-)
Fähigkeit im Umgang mit den Flüchtlingsströmen
massiv beschädigt.
• Die regionalen Beziehungen werden ungeachtet
möglicher vereinzelter Streitigkeiten zwischen Slo-
wenien und Kroatien im Jahre 2016 stabil bleiben.
• Die Beziehungen zu Österreich werden stabil blei-
ben, wobei derzeit ein angemessener Umgang mit
den Flüchtlingsströmen die wichtigste Herausforde-
rung darstellt.
ihre Entscheidung bekannt gibt, könnte dies zu politi-
schen Spannungen in den slowenisch-kroatischen Be-
ziehungen führen.
Was andere Nachbarländer anbelangt, so werden die ge-
genwärtige wirtschaftliche Zusammenarbeit und die
stabilen politischen Beziehungen auch im Jahre 2016
andauern, allerdings abhängig davon, wie kooperativ –
mit den Flüchtlingsströmen umgegangen wird.
Österreich
Die als hervorragend geltenden Beziehungen zwischen
den beiden Ländern werden wahrscheinlich 2016 beste-
henbleiben. Zwar sind die beiden Länder mit der
Flüchtlingskrise bislang gut umgegangen, doch wird bei
einer Vorschau auf das Jahr 2016 der wachsende Sicher-
heitsaspekt des Problems zu einem wichtigen Faktor.
Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Flücht-
lingsfrage zu einer größeren Störung der internationa-
len Beziehungen oder gar einer Destabilisierung der Re-
gion führen wird.
KEY NOTES
• Slovenia‘s political picture displays solid stability,
which will continue in 2016.
• Slovenia‘s economic growth will continue in 2016.
•
pects of bilateral and regional co-operation among
states. If mishandled, the ‘crisis’ may well have an
effect on other indicators, both economic and poli-
tical (also internally).
• From Slovenian perspective, the EU as a whole has
massively tarnished its image as a foreign policy
actor by poorly showing of its (in)ability to handle
• Regional relations will remain stable, in spite of oc-
casional disputes between Slovenia and Croatia,
which may take place in 2016, too.
• Relations with Austria will remain stable; the most
important challenge currently is a proper manage-
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 299
KROATIEN 2016
Die kroatische Sicherheitspolitik ist in drei verschie-
dene aber miteinander verbundene Konzepte einge-
bettet – die euroatlantische, die europäische und
die regionale Dimension. Die Mitgliedschaft in der
NATO, jene in der EU und die Möglichkeiten und Ver-
antwortlichkeiten, die damit verbunden sind und
auch die regionalen Entwicklungen in Südosteuropa
werden für 2016 bestimmend sein. Obschon Terro-
rismus nicht als massive Bedrohung verstanden
wird, wird die Gefahr individueller Vorkommnisse ge-
rade in einem Land, dessen Wirtschaft zu einem ho-
hen Maße vom Tourismus abhängt, mit Besorgnis
registriert. Dieser Umstand ist insofern von Bedeu-
tung, als die Schwäche der staatlichen Sicherheits-
apparate der benachbarten Westbalkanstaaten und
der kaum kontrollierte Zustrom von Migrantinnen
und Migranten aus dem Nahen Osten wichtige Fak-
-
chen Nachbarstaaten sowie deren ungelösten ethni-
schen und Statusfragen, stellen keine direkte
Bedrohung dar, bilden aber sehr wohl den Nährbo-
den für die Entwicklung weiterer Gefahren wie Orga-
nisierter Kriminalität und verschiedener Formen des
Extremismus. Aufgrund der beschränkten eigenen
nationalen Kapazitäten wird Kroatien versuchen,
diesen Herausforderungen im kooperativen Rahmen
auf regionaler, europäischer und euroatlantischer
Ebene zu begegnen.
300 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Regionale Stabilität
Die regionale Stabilität wird auch weiterhin die obers-
te strategische Priorität genießen und gleichzeitig den
Hauptgrund für Beunruhigung darstellen. Die festge-
fahrenen Integrationsperspektiven, die Schwierigkei-
ten einiger Kandidatenländer und die generelle Erwei-
terungsmüdigkeit der NATO sowie der EU im
Besonderen zeigen die beschränkten Möglichkeiten,
die Reformprozesse in der Region auf die nächste Stu-
fe zu heben. Vor allem Mazedonien und Bosnien und
Herzegowina haben im vergangenen Jahr das Potential
Herzegowina – als unmittelbarer Nachbar und
schwerfälliger Staat mit der kroatischen Volksgruppe
als Teil einer verfassungsmäßigen Entität – wird im
Fokus der regionalen kroatischen Aktivitäten bleiben.
Politische Situation
Die politische Situation im Jahr 2016 wird vor allem
von der Struktur und Stabilität der neuen Regierung
abhängen. Das Ergebnis der kürzlich in Kroatien ab-
gehaltenen Parlamentswahlen wird den Prozess der
Bildung einer Regierung erschweren. Sehr komplizier-
te Verhandlungen über das Programm und die Struk-
-
abhängig davon und angesichts der erkennbaren
Stabilität des politischen Systems werden die wichtigs-
ten Postulate der fundamentalen Politiken unverän-
dert bleiben.
Migration
Migration steht derzeit im Zentrum der nationalen
kroatischen Debatte, und das wird wahrscheinlich
auch auf absehbare Zeit so bleiben. Kroatien wird vor-
aussichtlich – unter Beachtung der humanitären As-
-
hinderten Transfers von Flüchtlingen – innerhalb des
normativen Diskurses der EU bleiben. Es wird danach
trachten, kooperative Antworten zu suchen und dabei
zu verhindern versuchen ein Flüchtlings-Hotspot zu
werden sollten.
Wirtschaft (BIP, Arbeitslosenrate)
Die Wirtschaft ist in einer Phase der leichten Erholung
aus der Rezession (BIP-Wachstum von bis zu 2 %) und
wird mit möglichen geringfügigen Schwankungen
wahrscheinlich in dieser bleiben. Der Tourismus ist
unerlässlich für die makroökonomische Stabilität, und
somit wird die öffentliche Sicherheit auch weiterhin
absolute Priorität haben. Der Anteil der Industriepro-
duktion am BIP wird eher gering bleiben, und die Ar-
beitslosenquote, insbesondere unter Jugendlichen, bie-
saisonalen Beschäftigungen im Sommer abgesehen.
EU und NATO
Kroatien wird versuchen, eine aktivere Rolle in den
Debatten über die neue globale Sicherheitsstrategie auf
EU-Ebene einzunehmen. Parallel dazu wird der natio-
nale Prozess zur Erarbeitung von zwei grundlegenden
strategischen Dokumenten, der „Nationalen Sicher-
heitsstrategie“ und der „Verteidigungsstrategie“ statt-
angemessene Kontextualisierung von nationalen
Kerndokumenten in einem weiteren europäischen
Rahmen zu schaffen.
Während bis dato die Auswirkungen der NATO-Russ-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 301
land Beziehungen noch nicht einen so massiven Ein-
-
tel- und Osteuropas, ist damit zu rechnen, dass ein
-
sondere in Serbien) und die zu erwartende NATO-Er-
2016 dies ändern werden.
-
re in verschiedenen Teilen der Welt, einschließlich Af-
rika) wird weiterhin einen hohen Stellenwert genießen.
Dies bietet Möglichkeiten zur Förderung einer breite-
Einbringung der kroatischen Erfahrungen aus dem
Krieg in der Heimat und dessen Nachwirkungen. Die
NATO-Mitgliedschaft bleibt demgegenüber das wich-
tigste Werkzeug für die Kontextualisierung der kroati-
schen Sicherheitspolitik in einem kooperativen inter-
nationalen Rahmen.
Entwicklung der kroatischen Streitkräfte
Die Entwicklung der kroatischen Streitkräfte im Jahr
2016 wird von lang anhaltenden Kürzungen der Ver-
teidigungsausgaben beeinträchtigt werden. Während
-
gie und Ausrüstung höchst unwahrscheinlich ist, wer-
den – so wie auch in den vergangenen Jahren – ver-
stärkte Anstrengungen bei der Kaderausbildung, bei
der internationalen Zusammenarbeit und bei der Stei-
gerung der Interoperabilität weiterhin einen positiven
deren Bild im In- und Ausland haben.
Perspektiven der Kooperation mit
Österreich
Kroatien und Österreich teilen die gleichen funda-
mentalen Werte und haben überlappende Interessen
am Westbalkan und darüber hinaus. Die Förderung
von Stabilität und Reformprozessen in bilateralen,
mit begrenzten Ressourcen die optimalen Lösung zur
Beitragsleistung bleiben – dies gilt insbesondere für
Kroatien. In diesem Sinne bietet auch eine neue Initia-
tive der zentraleuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, die
Central European Defence Cooperation (CEDC), wei-
tere Möglichkeiten. Die CEDC basiert auf dem Prin-
zip des „Pooling und Sharing“ von Kapazitäten sowie
auf den Anstrengungen zur Harmonisierung von rele-
Der Erfahrungsaustausch von Staaten in den entspre-
chenden Bereichen, in denen einzelne Mitglieder ver-
-
tung der Beteiligten auf internationaler Ebene
erhöhen.
302 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Der Fokus der nationalen Debatte wird auf der Migrationssituation liegen, während die wirtschaftliche Entwick-
lung weiterhin mit großer Sorge betrachtet werden wird.
•
nen bei der Umsetzung vorgenommen werden.
• Regionale Entwicklungen am Westbalkan werden für Kroatien weiterhin sehr wichtig bleiben.
• Die NATO-Mitgliedschaft wird für Kroatien und sein gegenwärtiges Sicherheitsumfeld essenziell bleiben. Das
Land wird darüber hinaus versuchen, auf bilateraler, multilateraler und GSVP-Ebene enger mit Österreich und
anderen mittel- und osteuropäischen Staaten zu kooperieren.
• Österreich wird ein enger Partner mit gemeinsamen Werten und überschneidenden Interessen bleiben. Das
Jahr 2016 könnte neue Möglichkeiten zur Kooperation im Bereich der Sicherheitspolitik und darüber hinaus
bieten.
KEY NOTES
• The migration issue will remain a focal point of national debate, but the economy is still the major concern.
• While the country will stay on track with its obligations and responsibilities at the national and international le-
• Regional developments in SEE are likely to remain very important for Croatia;
• While NATO membership will remain essential for Croatia’s security in the contemporary security environment,
the country will continue seeking for different ways of bilateral, multilateral and CSDP cooperation with CEECs
and Austria.
• Austria will remain a close partner with shared values and converging interests. 2016 may show an increasing
number of opportunities for co-operation, in security policy and beyond.
onalen Debatte wird auf der Migrationssituation liegen, während die wirtschaftliche Entwick-
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für Kroatien und sein gegenwärtiges Sicherheitsumfeld essenziell ble
hen, auf bilateraler, multilateraler und GSVP-Ebene enger mit Ö
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 303
UNGARN 2016
Tamás Csiki
Bedrohungswahrnehmung
Masse in nichtmilitärischen Bereichen, d.h. bei der wirt-
schaftlichen und sozialen Sicherheit. Politische Probleme
im Zusammenhang mit Ungarns Beziehungen zur EU, die
ökonomische Leistungsfähigkeit, die Verwendung von
EU-Strukturfonds sowie Korruption sind für die von der
Im Jahr 2016 werden in Ungarn Themen der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit dominieren. Auch
wenn das Wachstum geringer als 2015 ausfallen wird, werden die Streitkräfte modernisiert werden. Insge-
samt wird sich Ungarn mit einem geringen Engagement an der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) beteiligen. Außenpolitische Interessen werden in der Ukraine,
am Balkan sowie in der südlichen Nachbarschaft liegen. Zwar bleibt die verteidigungspolitische Kooperati-
on innerhalb der Visegrád -Gruppe (V4) dominant, doch könnte die Central European Defence Cooperation
(CEDC) an Bedeutung gewinnen.
Bevölkerung empfundene Bedrohung bestimmend. Diese
-
ne lebenden ethnischen Ungarn und des gewachsenen Mi-
grationsdrucks an der ungarischen Südgrenze indirekt
auch von den gegenwärtigen Krisen in Nachbarregionen –
wie etwa in der Ukraine oder in Syrien – bestimmt.
304 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Politische Spannungen trotz starker
Regierungsautorität
Auch im Jahr 2016 wird die tiefe Spaltung in Ungarns Poli-
tik andauern und eine konstruktive Zusammenarbeit zwi-
schen Regierung und Opposition einschränken. Die Fi-
desz-Regierung wird ihre starke Position halten, sich aber
mit wachsendem radikalem und rechtsextremem Druck
auseinanderzusetzen haben.
auf steigende EU-Skepsis und wachsenden Nationalismus
– werden sich verschiedene Themen im kontroversen poli-
-
kern aufgegriffen, könnte dies die Spaltung des Landes
weiter vertiefen. Korruption und die Unabhängigkeit der
Medien werden die sensibelsten politischen Themen sein.
Das Momentum nutzen, um 2017 größeres
Wirtschaftswachstum zu erzielen
Derzeit verlangsamt sich das ungarische BIP-Wachstum,
es wird 2016 mit real 2,5 % seine schwächste Phase erleben
(nach zirka 3 % 2015) und muss daher wieder dynamischer
werden. Unterstützt von einem generell günstigen ökono-
mischen Umfeld steht Ungarns Wirtschaft 2016 vor ge-
mischten Konjunkturaussichten und hat eine geringfügig
positive Außenhandelsbilanz, einen stabilen Wechselkurs
Forint–Euro, eine sich im Rahmen haltende Staatsschuld
von 2 % und eine abnehmende Arbeitslosigkeit (voraus-
sichtlich unter 7 %) zu erwarten. Die Vorhersagen für 2017
sind positiver, wobei strukturelle Faktoren auf eine mittel-
fristige Steigerung der PKW-Produktion, des Dienstleis-
tungssektors und der Landwirtschaft hindeuten. Dies wird
den Spielraum der Regierung vergrößern, was eine Ausga-
bensteigerung im gesamten politischen Spektrum (ein-
schließlich Sicherheit und Verteidigung) ermöglicht.
Mehr Lastenteilung innerhalb der NATO –
aber fortschreitende Modernisierung der
ungarischen Streitkräfte
-
garns Verteidigungspolitik einen Wendepunkt in seinen
aktiven Beiträgen zur Lastenteilung. Bezüglich der Erhö-
hung der Verteidigungsausgaben und einer beschleunigten
Modernisierung, hat sich die Fidesz-Regierung das Ziel ge-
setzt, die Verteidigungsausgaben ab 2015 um jährlich
0,1 % des BIP zu steigern und Impulse für eine schrittwei-
-
und damit direkt von den allgemeinen wirtschaftlichen
Aussichten abhängig. Der erste Modernisierungsschritt
sollte die lang erwartete Beschaffung von Transporthub-
schraubern sein. Im Jahr 2016 wird aber auch die 10-Jah-
res-Planung zu evaluieren sein, wobei bislang vernachläs-
sigte Punkte – wie etwa die Modernisierung oder
Beschaffung von Führungsausrüstung, gepanzerten
Mannschaftstransportfahrzeugen oder selbstfahrender Ar-
tillerie – Priorität bekommen könnten. Beiträge zum
Bündnis – die Stationierung einer Force Integration Unit
der NATO in Ungarn sowie Truppengestellung für den
Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im
Nordirak und die Very High Readiness Joint Task Force
(VJTF) – werden im Jahr 2016 fortgesetzt werden.
Zurückhaltendes Interesse an einer Wieder-
belebung der GSVP
Ungarn unterstützt zwar im Allgemeinen die neue globa-
le Sicherheitsstrategie der EU, die 2016 fertig gestellt
werden soll, wird aber vermutlich nur zurückhaltendes
Ungarns Hauptinteresse wird auch weiterhin der europä-
ischen Nachbarschaftspolitik – mit Priorität Westbalkan
und Ukraine, gefolgt vom Mittelmeerraum und von
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 305
KERNPUNKTE
•
tet, mit gleichzeitig besseren mittelfristigen
Aussichten.
• Die politische Machtbalance mit starker Regie-
rungsautorität bleibt unverändert.
• Der sicherheitsbezogene Diskurs über Herausfor-
derungen zu schwachen Bedrohungen („Soft Chal-
lenges“) bleibt geübte politische Praxis.
• Gespaltene Zusammenarbeit in der Region: diver-
gierende Wahrnehmungen betreffend den Osten,
größere Aufmerksamkeit für den Süden.
Afrika – gelten. Die EU-Battlegroup „V4“ der Visegrád-
Bereitschaft sein, doch ist es unwahrscheinlich, dass sich
Ungarns direkte Beitragsleistungen zu Einsätzen vergrö-
ßern. Auf Basis der neuen Doktrin „Öffnung nach Sü-
den“, die im Jahr 2015 als Folge der Ukraine-Krise an
die Stelle von „Öffnung nach Osten“ getreten ist, wird
Ungarns südliche Nachbarschaft ihre derzeitige Rele-
vanz für die Außen- und Handelspolitik des Landes bei-
behalten. Schwellenländern wird bei der Steigerung der
scheidende Rolle zukommen. Die Suche nach vermehr-
ten wirtschaftlichen Möglichkeiten wird aber nicht zu
größerem militärischem Engagement in Afrika führen.
Gemeinsame Truppengestellung in den mit-
teleuropäischen
Zusammenarbeitsformaten
Wegen seiner geostrategischen Lage ist Ungarn sowohl
vom Osten als auch vom Süden Herausforderungen für
seine Sicherheit ausgesetzt, wenn auch nicht notwendi-
gerweise direkt, sondern indirekt durch die mitteleuro-
päischen Zusammenarbeitsformate. Diese verfolgen mit-
unter konträre Strategien. Das Hauptformat bleibt zwar
mit Russland anzustreben, doch könnte wegen des fort-
gesetzten Drucks aus dem Süden größere Aufmerksam-
keit auch der Central European Defense Cooperation
(CEDC) und der Defense Cooperation Initiative
(DECI) – unter Einbindung Österreichs, Sloweniens,
Kroatiens und Italiens – geschenkt werden.
Nichtteilnahme an europäischer
Migrationspolitik
Als Frontstaat des Schengen-Raums wird die ungarische
Regierung auch im Angesicht europäischer Kritik dem
äußeren Migrationsdruck mit Festigkeit begegnen. Im
Migration und Flüchtlingen wird sie wahrscheinlich
nicht am EU-Quotensystem und am gemeinsamen Vor-
gehen der Union teilnehmen und stattdessen so lange
wie möglich nationalen Antworten den Vorzug geben.
Für Nachbarländer wie etwa Österreich wird dies wahr-
scheinlich zu weiteren negativen Folgen führen.
KEY NOTES
• In 2016, sluggish GDP-growth can be expected,
with an improved mid-term outlook.
• The political power balance remains unchanged
with a strong government.
• The securitization of soft challenges remains com-
mon political practice.
• Split regional cooperation: diverging perceptions of
the East and more attention given to the South.
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Für Nachbarländer wie etwa Öst
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KEY NOTES
• In 2016, slugg
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with a s
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sipol_jvs2016
EUROPÄISCHE
VERTEIDIGUNGSPOLITIK
2016
„Die neuen Sicherheitsrisiken können von Österreich
kaum mehr im nationalen Alleingang bewältigt werden.
Sie erfordern vielmehr europäische Koordination und
Kooperation. Die österreichische Verteidigungspolitik
hat ein fundamentales Interesse an einer handlungs-
fähigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik der EU und einer gleichberechtigten Mitwirkung
an ihrer weiteren Ausgestaltung.“
(Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 5)
308 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
GSVP 2016
Mehr Engagement – Mehr Leistungsfähigkeit?
Sven Biscop
-
same Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU
Male für tot erklärt, nur um, sobald die nächste Krise
und NATO verfügen über jene Instrumente und Fähig-
keiten, die für eine erfolgreiche Krisenbewältigung er-
forderlich sind.
Die Europäer engagieren sich im Rahmen der Ge-
meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
der Europäischen Union und werden dieses Engage-
ment wahrscheinlich erhöhen müssen. Aber werden
sie den politischen Willen aufbringen zu investieren
und die Fähigkeiten erwerben, die ein solches Enga-
gement erfordert?
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 309
Wieder betrachten viele Experten die Krise in der
NATO dadurch gestärkt wurde und die Mitgliedsstaa-
ten die Bedeutung von Artikel 5 wiederentdeckten.
Aber warum? Um die territoriale Integrität der Ukraine
wiederherzustellen wollen dieselben Beobachter gewiss
keinen Krieg mit Russland riskieren. Daher liegt die
Hauptaufgabe der Streitkräfte in dieser Krise – abgese-
hen von der Bereitstellung von Ausrüstung und Trai-
ning für die ukrainische Armee – darin, durch Abschre-
abzuwenden. Da diese Linie ein gemeinsames Vorgehen
der Europäer und der USA bedingt, konnte diese Rolle
somit nur von der NATO wahrgenommen werden. Ein
keinem Zeitpunkt möglich.
-
-
terstützen kontinuierlich den Kapazitätenaufbau unse-
rer Partner in Somalia, Niger und Mali, um Sicherheit
-
von Aden, retten Leben und helfen bei der Eindäm-
mung illegaler Schlepperaktivitäten im Mittelmeer.
Man könnte zu Recht fragen, ob die Europäer genug
tun, vor allem in der südlichen Nachbarschaft, um die
eigenen Interessen zu schützen und menschliches Lei-
den zu beenden. Aber das ist eine umfassende Frage
und zielt auf einen gemeinsamen politischen Willen Eu-
ropas ab, um das zu tun, was getan werden muss und
-
einte Nationen oder eine Ad-hoc-Koalition (wie zum
Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ – IS –
in Syrien und Irak). Alle diese Handlungsoptionen sind
notwendig, um sicherzustellen, dass in jedem Eventual-
fall Europäer die Möglichkeit haben, zu reagieren.
Generelle Entwicklungstendenzen für
2016
Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Jahr 2016 das euro-
päische Engagement, vor allem im Süden, verstärkt
wird. Jede Regierung der nationalen Einheit in Libyen
wird Friedenstruppen vor Ort benötigen, um ihr Fort-
garantieren. Auch wenn multinationale UN-Truppen
seitens der libyschen Führung die bevorzugte Lösung
sein wird, würde der Kern einer solchen Operation sehr
wahrscheinlich eine gut ausgestattete europäische Kraft
sein. In diesem Rahmen könnte auch auf Einladung ei-
ner Einheitsregierung die Marineoperation im Mittel-
meer in den libyschen Hoheitsgewässern wirksam
werden.
Ebenso wird jede Vereinbarung über die zukünftigen
Machtverhältnisse in Syrien zumindest eine Überwa-
chung des Abkommens durch multinationale Beobach-
ter verlangen. In Anbetracht des Umstandes, dass der
Krieg gegen den IS auch nach einem solchen Abkom-
men fortgeführt werden würde, müssten etwaige Beob-
achter zur eigenen Sicherheit schwer bewaffnet sein.
Zudem werden europäische Luftstreitkräfte auch wei-
terhin lokale Bodentruppen im Kampf gegen die IS
unterstützen.
Interne Entwicklungstendenzen 2016?
Die Aktivierung der Beistandsklausel des EU-Vertrages,
der IS-Attacken in Paris vom 13. November 2015 könn-
-
ke symbolische Aussage, dass Europa nicht nur ein ge-
meinsamer Markt, sondern auch eine politische Union
sein will, in der die Schicksale seiner Mitglieder
310 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Der vermehrte Einsatz europäischer Kräfte im Jahr
2016 ist vor allem in der südlichen Nachbarschaft
wahrscheinlich.
• Die GSVP kann eine zunehmend wichtigere Rolle
bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit und
Grenzsicherheit der EU spielen.
• Wenn keine groß angelegte neue politische Initiati-
ve ergriffen wird, sind keine großen Fortschritte bei
der Entwicklung von Fähigkeiten zu erwarten.
untrennbar miteinander verbunden sind. Militär-
operationen gegen den IS werden zwar bereits seit 2014
von EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt, das Ereignis
könnte jedoch ein wichtiger Impuls für die Zusammen-
arbeit zwischen den – militärischen und zivilen – Nach-
richtendiensten der EU-Mitgliedsstaaten sowie für die
der Sicherung der EU-Außengrenzen sein.
Mehr Fähigkeitenentwicklung 2016?
Angesichts des anhaltenden und wahrscheinlich zuneh-
menden Engagements in und um Europa gibt es einen
Bereich, in dem es überraschend wenig Dynamik gibt:
Fähigkeitenentwicklung. Wie der Direktor der Europäi-
schen Verteidigungsagentur (EDA), Jorge Domecq, auf
der EDA-Jahrestagung 2015 darlegte, werde die Agen-
tur nicht gerade mit neuen Vorschlägen für Projekte zur
Fähigkeitentwicklung überschwemmt. Einige EU-Mit-
gliedsstaaten haben den Abwärtskurs bei ihren Verteidi-
gungsausgaben gestoppt, einige erhöhen ihre Verteidi-
Verteidigungshaushalte auch 2016 stark unter Druck.
Jene EU-Mitgliedsstaaten, die investieren, fördern pri-
mär nationale Projekte, die oft in Richtung Territorial-
verteidigung ausgerichtet sind. Doch das wird die
Lücken an strategischen Fähigkeiten nicht schließen.
Bestimmte strategische Fähigkeiten sind jedoch für
einen EU-Einsatz in der Nachbarschaft erforderlich.
Kleinere Staaten müssen in diesem Zusammenhang zu-
nächst die Relevanz des Verteidigungsapparates sowie
die außenpolitische Haltung durch Teilnahme an ausge-
wählten Operationen mit wirksamen Fähigkeiten unter
Beweis stellen. Dies sowohl gegenüber der eigenen
Öffentlichkeit als auch gegenüber den anderen
Mitgliedsstaaten. Zudem sollten kleinere Staaten ein po-
sitives Exempel statuieren und im Bereich von Pooling
und Sharing Aktivitäten untereinander forcieren.
Eine Umkehr dieses Trends im Jahr 2016 wird eine
groß angelegte politische Initiative auf Seiten jener
Hauptstädte erfordern, die bereit sind, die Führung zu
übernehmen.
KEY NOTES
• European deployments will likely have to be in-
creased in 2016, especially in the southern
neighbourhood.
• CSDP may come to play an increasingly important
role in the internal and border security of the EU.
• Unless a major new political initiative is taken,
no great progress can be expected in capability
development.
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 311
UNSICHERE ZUKUNFT
DER GSVP 2016
Ronja Kempin und Nicolai von Ondarza
Angesichts der dramatischen Zunahme von Krisen
herrscht Einigkeit unter den Mitgliedsstaaten, dass
die Außen- und Sicherheitspolitik der Union gestärkt
werden muss. Die Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (GSVP) wird gleichwohl nur in
geringem Maße von diesem Reformforderungen pro-
-
ge des Verteidigungsgipfels von 2013 erzielt werden
-
gierungschefs im Juni 2015 lediglich dazu, die lau-
fenden Arbeiten zur Neufassung der EU-Strategie
für innere Sicherheit fortzusetzen. Die Hohe Vertre-
terin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
(HV) ist aufgefordert, den Prozess der strategischen
-
gie für die Außen- und Sicherheitspolitik“ zu über-
führen. Die Verteidigung der EU-Mitgliedsstaaten
wird weiterhin vorrangig von der NATO organisiert.
Interne Faktoren
Strategie unter Federführung der HV und Konsultation
von Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen und Experten
wird die interne Debatte bestimmen. Anders als die Eu-
312 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Aus österreichischer Hinsicht ist zu beachten, wie die
Diskussion über einen NATO-Beitritt in Finnland und
Schweden verläuft. Ausgehend von der Krise um die
Ukraine diskutiert die Politik in beiden Staaten eine
-
einen NATO-Beitritt beschließen, stellt sich auch für
Österreich die Frage, ob die Bündnisfreiheit noch mit
der EU-Mitgliedschaft vereinbar ist.
Externe Faktoren
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise wird die europäi-
sche Politik des Jahres 2016 bestimmen; ein Ende des
syrischen Exodus ist ebenso wenig zu erwarten wie eine
Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Situ-
ation in der Sahel-Zone und am Horn von Afrika. Wäh-
rend die EU ihr sicherheitspolitisches Engagement auf
dem afrikanischen Kontinent intensiviert (personelle
Aufstockung der Trainingsmission EUTM Mali) und
die EU-Marineoperation Sophia gegen Schleuser im
Mittelmeer fortsetzen wird, erscheint es wenig wahr-
-
cherheitspolitischen Herausforderungen in den Transit-
und Herkunftsländern des Nahen Osten zum Einsatz
kommt. Auch in Libyen, wo der Friedensprozess 2015
Mission EUBAM Libya ihr Potential nicht entfalten
können.
Besorgniserregend ist die Zunahme der politischen
Spannungen am Westlichen Balkan. Es kann nicht aus-
geschlossen werden, dass sich die Lage 2016 gewalttätig
-
und seiner engen Beziehungen zu den Staaten des West-
ropäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 liegt der
der Außenpolitik der Union und deren Verzahnung mit
der inneren Sicherheit, nicht jedoch auf der Weiterent-
-
ven zur Ausgestaltung von „Ständiger Strukturierter
Zusammenarbeit“ (SSZ) oder Beistandsklausel noch
zur Weiterentwicklung der EU-Battlegroups zu erwar-
ten. Parallel wird die Hohe Vertreterin im ersten Halb-
jahr 2016 Reformvorschläge für den Europäischen Aus-
wärtigen Dienst (EAD) vorlegen, die jedoch ebenfalls
-
EU-Außenbeziehungen abzielen dürften. Die Krisen-
managementstrukturen werden nicht angetastet.
Ein mögliches Vehikel für mehr Zusammenarbeit im
Bereich militärische Fähigkeiten könnte die Entwick-
lung eines EU-Verteidigungsweißbuchs in Ergänzung
-
schen den Mitgliedsstaaten noch umstritten ist. Mehr
Bemühungen zu militärischer Integration sind daher
vor allem auf bi- und multilateraler Ebene zu erwarten,
insbesondere zwischen den Mitgliedsstaaten mit erhöh-
ter Bedrohungsperzeption – z.B. zwischen den balti-
schen und nordische Staaten sowie Polen. Hier ist frag-
lich, ob Österreich bereit ist, trotz Bündnisfreiheit
gemeinsame Rüstungsprojekte mit EU/NATO-Staaten
einzugehen.
Ein Hemmfaktor für die weitere Entwicklung der
-
sein. Aufgrund der britischen Ablehnung einer Vertie-
fung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Be-
reich werden die EU-Partner von größeren Schritten,
etwa dem Aufbau eines EU-Hauptquartiers, absehen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 313
KERNPUNKTE
• Der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs-
politik der EU droht 2016 ein politischer wie institu-
tioneller Stillstand.
• Intern ist für Sommer 2016 die Veröffentlichung ei-
ner neuen Strategie vorgesehen. Substanzielle Im-
pulse für die GSVP sind hiervon jedoch nicht zu
erwarten.
• Extern werden die Krisen um die Ukraine, die Un-
ruhen im Nahen Osten und Nord-Afrika, vor allem
aber die Bewältigung der Flüchtlingskrise das Kri-
senmanagement der EU fordern.
• Neben der Fortsetzung der GSVP-Missionen und
Operationen werden sich die Integrationsbemühun-
gen der Mitgliedsstaaten vornehmlich auf den Be-
reich der inneren Sicherheit konzentrieren.
balkans analog zu den 1990er Jahren direkt betroffen.
walteruption in den Beitrittsstaaten gewappnet.
Schließlich werden die Folgen der Krise um die Ukrai-
ne die Debatten beherrschen. Durch die seit Ende 2015
eingehaltene Waffenruhe werden sich die EU und ihre
Mitgliedsstaaten 2016 strategisch über die Konsequen-
zen der Krise für die europäische Sicherheit und das
Verhältnis der EU zu Russland auseinandersetzen kön-
nen. Die Debatten werden indes vornehmlich im
Warschau bestimmen.
den 1990er Jahren direkt betroffen.
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KEY NOTES
• In 2016, the EU‘s Common Security and Defence
Policy will be threatened by political and institutio-
nal stalemate.
• The release of a new strategy is internally planned
for 2016. Substantial impetus for the CSDP, howe-
ver, cannot be expected.
• On an external level, crises around Ukraine, un-
rest in the Middle East and in Africa and in particu-
lar the refugee crisis will challenge the EU’s crisis
management.
• Beside the continuation of CSDP missions and ope-
rations, integration efforts of Member States will
primarily focus on internal security.
314 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
WEITERENTWICKLUNG DER
GSVP-MISSIONEN UND
OPERATIONEN 2016
Thierry Tardy
Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo-
litik der Europäischen Union (GSVP) wird im Jahr
2016 dem Trend der letzten Jahre folgen. Es deutet
wenig darauf hin, dass sich eine gravierende Verän-
derung der Anzahl, Mandate und Einschränkungen
der GSVP-Operationen und -Missionen ergeben wer-
den. Dennoch werden zwei maßgebliche Entwicklun-
gen, die neue EU-Globalstrategie und das Referen-
dum über den Verbleib Großbritanniens in der EU,
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 315
-
nen, sechs militärische und elf zivile. Diese Zahl wird
könnten dazukommen, möglicherweise in Libyen oder
der EU als Akteur im internationalen Krisenmanage-
ment wird sich dadurch nicht verändern.
GSVP am Balkan
Obwohl ihre Berechtigung von einigen EU-Mitglieds-
Beibehaltung und Fortführung der Operation EUFOR
Althea: einerseits ihre moderate Dimension kombiniert
mit dem Status der einzigen Berlin-Plus-Operation (die
der EU den Rückgriff auf NATO-Mittel erlaubt) und
andererseits die Unbeständigkeit der Region. Im Koso-
vo wird das im Juni 2016 auslaufende Mandat von EU-
LEX Kosovo, der größten zivilen EU-Mission, frühzei-
tig um zwei Jahre verlängert werden. Die Mission wird
lokale Institutionen und andere EU-Akteure übergeben
wurden. Sowohl EUFOR Althea als auch EULEX Ko-
sovo werden eine Rolle bei den Reaktionen auf die Mig-
rationskrise spielen.
GSVP in Afrika
Außerhalb Europas wird Sub-Sahara-Afrika die wich-
-
nahme der EU-Operation im Kongo (EUSEC RDC),
deren Mandat im Juni 2016 ausläuft, werden die ande-
ren sieben Operationen und Missionen (zwei in Mali,
jeweils eine in Niger, in der Zentralafrikanischen Re-
von Aden) auch im Jahr 2016 weiter geführt. Die Man-
date von EUTM Mali, EUCAP Sahel Niger und EU-
MAM RCA könnten möglicherweise verlängert und
abgeändert werden. EUMAM RCA wird am Ende des
Mandates höchstwahrscheinlich in eine Trainings- und
Beratungsmission – ähnlich EUTM Mali – umgewan-
delt werden. In allen Missionen und Operationen wird
der Aufbau von Kapazitäten eine zentrale Rolle
spielen.
Abhängig von den Ergebnissen der VN-geführten Ver-
handlungen zur Bildung einer Regierung der Nationa-
len Einheit könnte es zu einer EU-Operation in Libyen
kommen. Obwohl es Diskussionen über verschiedene
Möglichkeiten der EU zur Unterstützung der tunesi-
unwahrscheinlich.
geführte Operationen durch den Europäischen Ent-
wicklungsfond mit insgesamt 250 Millionen Euro
Die Operation im Mittelmeer und die
Flüchtlingskrise
Mit der militärischen Operation im südlichen Mittel-
Schlepper hat die EU 2015 Neuland in ihrer Krisenma-
nagement-Politik betreten. EUNAVFOR MED -
SOPHIA ist Teil der Antwort der EU auf die Migra-
-
ßere Nähe zum Bereich der Inneren Sicherheit. In der
-
turen für Freiheit, Sicherheit und Justiz wie FRONTEX
oder EUROPOL zusammenarbeiten. Eine mögliche
umfassende und zwingende Durchsetzung des Manda-
tes ist aber noch von der Zustimmung einer libyschen
Regierung und einer Resolution des VN-Sicherheitsra-
tes abhängig.
316 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Die GSVP wird 2016 ihren Trend der letzten Jahre
fortsetzen.
• Die Anstrengungen in EU und GSVP werden sich
weiter auf Sub-Sahara-Afrika konzentrieren.
•
• EUNAVFOR MED wird als Instrument der EU-Reakti-
onen auf die Flüchtlingskrise erprobt werden.
• Eine neue GSVP-Operation könnte in Libyen gestar-
tet werden.
• Die neue EU-Globalstrategie wird Auskunft über
das Wesen und das Ambitionsniveau der GSVP
geben.
• Das britische Referendum über die EU-Mitglied-
schaft des Vereinten Königreichs könnte strategi-
heitsakteur haben.
Eine neue EU-Globalstrategie
Im Juni 2015 beauftragte der Europäische Rat die Hohe
strategie bis zum Juni 2016. Diese neue Strategie wird
die derzeit gültige Europäische Sicherheitsstrategie aus
dem Jahr 2003 ersetzen. Sie soll neue, über rein sicher-
heitsorientierte Prioritäten hinausgehende Ziele festle-
scher als auch in operativer Hinsicht für die
kommenden Jahre zu einem gewissen Teil bestimmen.
Die Strategie wird wahrscheinlich weder das An-
welchen die Operationen unterliegen, seien sie politi-
Das britische Referendum
Schlussendlich werden wir im Jahr 2016 wahrscheinlich
der EU erleben. Es ist unklar, inwieweit ein Votum für
scheinlich aber nicht. Für den Fall einer Mehrheit für
internationalen Ebene verändern wird. Aufgrund des
geringen britischen Ambitionsniveaus innerhalb der
KEY NOTES
• In 2016, CSDP will continue the trend of the past
years.
• EU and CSDP efforts will focus on Sub-Saharan
Africa.
•
• EUNAVFOR MED will be tested as one instrument of
the EU reactions to the refugee crisis.
• A new CSDP operation could be started in Libya.
• The new EU global strategy will provide information
on CSDP’s nature and its level of ambition´.
• The British referendum on EU membership of the
as an actor in security matters.
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KEY NOTES
• In 2016, CSDP will continue the trend o
years.
• EU and CSDP efforts will focus on S
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•
• EUNAVFOR MED will be teste
the EU reactions to the ref
• A new CSDP operation c
• The new EU global str
on CSDP’s nature a
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an actor in
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 317
VERTEIDIGUNGS-
INDUSTRIELLE BASIS
EUROPAS 2016
Hilmar Linnenkamp
Die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie im
Jahr 2016 wird sich nur marginal von der gegenwär-
tigen Lage unterscheiden. Große Veränderungen
sind nicht zu erwarten, abgesehen von einigen weni-
gen Konsolidierungen wie dem Zusammengehen
von Kraus-Maffei-Wegmann und Nexter, das im Jahr
2016 realisiert werden kann und den Markt für ge-
schützte und gepanzerte Fahrzeuge verändern dürf-
te. Zumal die Verteidigungshaushalte nur in wenigen
Ländern spürbar erhöht werden, dürften für die wirt-
schaftlichen Aussichten der Industrie die globalen
Märkte auch 2016 mehr Bedeutung erhalten als die
nationalen Märkte und der europäische Markt. Da-
mit einher geht eine erhöhte Aufmerksamkeit für
das politische, rechtliche und moralische Problem
der Rüstungsexporte und ihre gesellschaftliche Ak-
zeptanz. In der technologischen Dimension der Eu-
ropean Defence Technological and Industrial Base
(EDTIB) verstetigen und verstärken sich die Prozes-
se, die von der Dynamik der zivilen wissenschaftli-
chen und technischen Innovationen ausgehen. Die-
se Erkenntnis leitet auch die intensivierte
Kooperation zwischen der Europäischen Verteidi-
gungsagentur (EVA) und der EU-Kommission auf
dem Gebiet der Dual-Use-Technologien. Die Avant-
garde-Rolle militärischer Spitzentechnologie wird
sich aber weiter abschwächen.
318 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Im Einzelnen stellen sich für 2016 Fragen zu Verände-
rungen bei Unternehmensstrukturen, Märkten, tech-
nologischen Trends, ökonomischen Strategien, der
Rolle der EVA, gesellschaftlichen Herausforderungen
und budgetären Trends.
Rüstungsunternehmen in der Europäi-
schen Union
Allen Versuchen der Europäischen Verteidigungsagen-
tur zum Trotz bleibt, auch 2016 und darüber hinaus
die EDTIB ein Konglomerat der nationalen Rüstungs-
industrien und nationalen Forschungswelten. Nicht
ein abgestimmtes, arbeitsteilig wirkendes System von
industrieller Produktion und Vermarktung sowie Wis-
senschaft und Technologie kennzeichnet die Lage,
sondern die je aus der Aktualität von Angebot und
Nachfrage sich ergebende Summe der nationalen Ak-
Rüstungsindustrie. Wenige große Spieler halten sich
auf dem Weltmarkt: Zu den zehn weltgrößten Rüs-
tungsproduzenten werden auch 2016 drei europäische
gehören – BAESystems, Airbus und Finmeccanica –
-
schäft erhebliche Unterschiede offenbart. Demgegen-
über sind komplexe Konsortialstrukturen in vielen
Fällen das Instrument der Wahl, wenn politisch ge-
wünschte Kooperation und nationale Arbeitsanteile
miteinander verbunden werden sollen, die Entstehung
nicht gewünscht ist.
Welche Märkte für die europäische
Rüstungsindustrie?
Auf den nationalen Märkten von Ländern mit nen-
nenswerter Rüstungsindustrie regiert die politisch be-
gründete Wahl, nur selten der Wettbewerb. Die An-
kontinuierlich gesunken; auch in den nächsten Jahren
wird sich das nicht ändern, weil die nationalen Vertei-
digungshaushalte für Neu-Investitionen wenig Raum
lassen, da sowohl die Personalkosten und die Kosten
für Kriegseinsätze als auch die Kosten des Unterhalts
der vorhandenen Ausrüstung (von kostspieliger Le-
benszeitverlängerung bis hin zu Modernisierungen)
ansteigen.
Der größere europäische Markt bietet naturgemäß
mehr Chancen als die engen nationalen Märkte. Indes
gibt es nach wie vor in der EU wenig abgestimmte
Nachfrage – nach Zeit, Quantität und Leistungsanfor-
derungen – und wenig wirkliche Konkurrenz. Der
Kirchturmblick des Juste retour und der Offset-Forde-
rungen verhindert ökonomische Lösungen. Der globa-
le Markt scheint berufen, durch ungebremste Nachfra-
gedynamik und die schiere Menge der in
Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie zu si-
chern. Das ist quantitativ und pauschal auch für 2016
zu erwarten. Auf die Struktur der EDTIB kann aber
der Weltmarkt ambivalente Wirkungen ausüben: Er
kann einerseits europäische Anbieter in hochproble-
matische Konkurrenzen („Fratricidal Competition“)
verwickeln, von Kampfpreisen über ausufernde Off-
aber zur notwendigen Angebotskonsolidierung – z.B.
in der Werftindustrie in Europa – beitragen.
Technologische Trends
Auf den Feldern von Forschung und Technik wird vie-
-
tärischen Technologie-Welt galt. Drei miteinander ver-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 319
schränkte Entwicklungen machen das deutlich. Erstens
wird der Anteil hochvernetzter Computersysteme bei
Aufklärungs-, Führungs- und Waffensystemen und
auch in der Logistik immer bedeutender. Auch der Er-
halt vorhandener Systeme (Lebenszeitverlängerung)
oder ihre Qualitätssteigerung (Modernisierung) ge-
schehen in großen Teilen durch Software-Updates.
-
bung („Software statt Steelware“) auf die schon länger
beobachtbare Tendenz hin, dass zivile Märkte für die
technischen Entwicklungen immer größere Relevanz
gewinnen, anders gesagt: Die immer noch hier und da
behauptete Avantgarde-Rolle der militärischen Techno-
logien schwindet. Spin-off mutiert zum Spin-in. Drit-
tens schließlich entsteht aus der Kombination der ge-
nannten Trends das Flaggschiff der neuen Zeit – das
-
tur der Technologiewelt zu werden, mit noch weithin
unbekannten Folgen für Ökonomie und Ethik des
Handelns auf zivilen und auch militärischen Feldern.
Ökonomische Trends und
Geschäftsstrategien
In den nationalen Rüstungsmärkten wird es bei der
Dominanz nationaler Industriepolitik bleiben. Sektora-
le Monopole – vor allem beim Schiffbau und bei ge-
-
ßere transnationale Konsolidierungen bleiben selten:
Das vorgesehene Zusammengehen von KMW und
Nexter ist die Ausnahme von der Regel. Vertikale Kon-
solidierungen, d.h. Aufkäufe von Vorprodukt-Liefe-
ranten, bleiben rar und werden den Trend zur Interna-
tionalisierung globaler Lieferketten nicht brechen. Die
Bemühungen der EU-Kommission erfüllen – jenseits
aller Beschwörungen des European Defence Equip-
ment Market (EDEM) und der Konstruktion einer
EDTIB – noch nicht den Tatbestand einer gemeinsa-
men europäischen Rüstungspolitik. Deklaratorisches
ersetzt Substanz.
Die Rolle der EVA
Die hohen Ansprüche, die der Europäische Rat an die
und seit zehn Jahren – zuletzt insbesondere 2013 – im-
mer wieder in hehren Beschlüssen bekräftigt, leiden
gleichermaßen unter der Spannung zwischen Deklara-
tion und Substanz. Viele kleine Schritte militärischer
und rüstungstechnischer Abstimmung werden auch
-
kant schärfen. Positive Dynamik kann gleichwohl aus
der intensivierten F&T (Forschung und Technologie)-
Koordination mit der Europäischen Kommission
entstehen.
Gesellschaftliche Akzeptanz von
Rüstungspolitik
von Rüstungspolitik lassen sich in den europäischen
Skeptikern des „militärisch-industriellen Komplexes“
(Eisenhower) eine Ent-Ideologisierung eingestellt, die
eine sachliche Auseinandersetzung mit Rüstungsfragen
erleichtert. Zum anderen aber hat sich die größere
Transparenz von Rüstungsexporten zu einer Heraus-
forderung gesellschaftlicher Akzeptanz von Rüstung
entwickelt: Mit restriktiver Rechtslage und Rhetorik
scheint dennoch vereinbar, dass europäische Rüstungs-
exporte in Spannungs- und Kriegsgebiete vollzogen
und repressive Regimes beliefert werden. Dabei wird,
Korruption nicht selten überschritten.
320 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Verteidigungshaushalte – Erwartungen
und Realität
Die Turbulenzen im internationalen System stellen
auch 2016 den Trend der in der vergangenen Dekade
weithin merklich reduzierten Verteidigungshaushalte
in Frage. Einige EU-Staaten machen ihre Absichten
öffentlich, ihre Verteidigungsbudgets wieder zu stär-
ken. Ähnliche politische Signale werden in der NATO
gesendet. Starke Wirkungen auf die verteidigungsin-
dustrielle Basis sind davon aber kurzfristig nicht zu er-
warten – vor allem, weil Rüstungsgüter lange Vorlauf-
zeiten für Forschung, Technologie, Erprobung,
benötigen.
KERNPUNKTE
• Die EDTIB bleibt ein Konglomerat, kein arbeitsteili-
ges kooperatives System.
• Die Hoffnung auf Europäisierung der verteidigungs-
industriellen Basis wird enttäuscht.
• Es wird keine gemeinsame Rüstungspolitik in Euro-
pa geben.
• Die Avantgarde-Rolle der militärischen Technologi-
en schwindet.
• Bei der Entwicklung der Europäischen Verteidi-
gungsagentur sind positive und negative Trends
auszumachen.
• Rüstungspolitik bleibt gesellschaftlich ambivalent.
• Die Verteidigungsbudgets werden ohne rasche Wir-
kungen leicht steigen.
KEY NOTES
• EDTIB will remain a conglomerate and not become
a collaborative, cooperative system.
• The hope for a Europeanization of the defence-in-
dustrial base will be disappointed.
• There will be no common European armament
policy.
• The avant-garde role of military technologies is
fading.
• In the development of the European Defence Agen-
cy, positive and negative trends can be discerned.
• Armament policy remains socially ambivalent.
• Defence budgets will rise slightly without any im-
mediate effects.
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öffentlich, ihre Verteidigungsbudgets wieder zu stär-
ken. Ähnliche politische Signale werden in der NATO
gesendet. Starke Wirkungen auf die verteidigungsin-
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 321
TRENDS IN DER EURO-
PÄISCHEN STREITKRÄFTE-
ENTWICKLUNG 2016
Bruno Hofbauer
Von der EU werden auch 2016 keine sicherheitspoli-
tischen Initiativen ausgehen, die zu einer militärisch
relevanten Neuorientierung führen. Statt gemein-
sam Fähigkeiten zu entwickeln werden eher bi- oder
trilaterale Programme entlang rüstungspolitischer
Interessen verfolgt werden. Insgesamt ist eine Ver-
besserung der militärischen Fähigkeiten in Europa
eher im Rahmen der NATO als in jenem der EU zu
erwarten.
Herausforderungen aus dem Süden
Ausgehend von der fortdauernden Flüchtlingskrise, die
Norden bewegt, und deren Auswirkungen auf die ge-
-
schen Defence und Security weiter zuspitzen. Der Ein-
satz von militärischen Kräften zur Bewältigung der
Flüchtlings- und Migrationsbewegungen wird seine
Auswirkungen auch auf das Militär in den unmittelbar
betroffenen Staaten haben. Dies wird durch die akut zu-
nehmende Wahrnehmung der terroristischen Bedro-
hungen noch weiter verstärkt werden. Der Trend, die
militärischen Kräfte für Subsidiäraufgaben zur Unter-
stützung der Sicherheitskräfte einzusetzen, wird man-
gels Alternativen anhalten. Die Bereitschaft der europä-
ischen Staaten jedoch, dort mit Nachdruck Taten zu
setzen, wo die Krisen der Flüchtlingsströme ihren Ur-
Interessensdurchsetzung einzusetzen, wird weiterhin
sehr beschränkt sein und eher unilateral oder in kleinen
Koalitionen erfolgen. Dieser negative Trend wird trotz
322 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
der begonnnen Operationsführung im Mittelmeer an-
halten, da die truppenstellenden europäischen Nationen
nach wie vor nicht gewillt sein werden, militärische
einzusetzen. Einerseits wird für solche Einsätze keine
Autorisierung in Form einer ausreichend robusten Man-
datierung erreicht werden können und andererseits sind
die Interessen der beteiligten Nationen nach wie vor zu
unterschiedlich.
Der Einsatz militärischer Kräfte auf dem afrikanischen
Kontinent wird nur sehr behutsam und primär unter
dem Dach der UNO erfolgen. Die EU wird sich hier
weiterhin eher im Bereich der Soft-Power und Bera-
ihre inhärenten Interessen gemeinsam aktiv und mit
militärischen Mitteln durchzusetzen. Ein Einsatz euro-
päischer Kräfte im Kampf gegen den islamistischen
Fundamentalismus und hier vordringlich gegen die Ter-
rormiliz „Islamischer Staat“ wird auch 2016 nur durch
einzelne Staaten im Rahmen der Koalition mit den
USA erfolgen. Ein Einsatz von Bodentruppen in einem
-
hen zu erwartenden Risikos äußerst unwahrscheinlich.
Nahen Osten wird jedoch davon unabhängig weiter
steigen und den Druck auf die Sicherheitskräfte erhö-
hen. Somit wird der Einsatz militärischer Kräfte zur
Verstärkung der Polizei im Inneren seine Fortsetzung
Herausforderungen aus dem Osten
Andererseits betrachten jene EU-Mitgliedsstaaten, die
nicht unmittelbar von den Migrationsströmen betroffen
-
-
rung, die durch die betroffenen Nationen bzw. an der
Außengrenze zu lösen ist. Eine Beitragsleistung ist hier
nicht oder nur in sehr bescheidenem Umfang zu erwar-
ten. Es ist zu beachten, dass es sich hier aber vor allem
auch um die neuen EU-Mitgliedsstaaten handelt, die ih-
ren Fokus nicht nach Süden, sondern nach Osten orien-
tieren. Hier wird eine massive Konfrontationssituation
Ukraine wird auch 2016 aktiv bleiben, eine umfassende
politische Lösung ist nicht zu erwarten. Die Folge wird
die Fortsetzung der Wiederbelebung der nationalen
Verteidigung sowie des Artikels 5 im Rahmen der
NATO sein, was sich auch auf die Rüstungsinvestitio-
nen vor allem jener Staaten auswirkt, die sich als neue
auch Schweden und Finnland weiter an die NATO an-
nähern, sollte sich das Verhalten Russlands im Baltikum
und Norden nicht ändern.
In Osteuropa ist auch eine weiterhin aktive Rolle der
USA zu erwarten. Jedoch ändert dies nichts an der
grundsätzlichen Neuorientierung der USA und ihrer
Streitkräfte in den asiatischen Raum. Die Verlegung
von Verbänden nach dem Rotationsprinzip in den ost-
europäischen Raum ist keinesfalls als Trendumkehr zu
werten, sondern dient eher der Beruhigung und Rück-
versicherung der in Osteuropa gelegenen Bündnispart-
ner, die eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der
NATO und vor allem den USA haben. Die europäi-
schen Verteidigungsbudgets werden auch 2016 weiter
stagnieren. In einzelnen Ländern zeichnen sich zwar
Erhöhungen ab, diese werden aber nicht so groß sein,
dass Fähigkeiten erweitert werden können, sondern
eher dazu dienen, vorhandene Fähigkeiten zu halten
und jahrelange Reduzierungen zu kompensieren. Es
wird in ausgesuchte Nischenbereiche wie Spezialein-
satzkräfte, U-Boote oder Aufklärungskapazitäten inves-
tiert und danach getrachtet werden, der nationalen Rüs-
tungsindustrie das Überleben zu ermöglichen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 323
KERNPUNKTE
• Europa wird sich im Jahr 2016 in verschiedene
Richtungen orientieren, einerseits nach Süden um
dem Flüchtlingsstrom zu begegnen, ohne jedoch
hier militärisch die notwendigen Schritte einleiten
zu können, und andererseits nach Osten, wo eher
Gedanken der Abwehrhaltung bestimmend sind.
• Insgesamt ist eine Verbesserung der militärischen
Fähigkeiten eher im Rahmen der NATO zu erwarten
als im Verbund der EU, da die Europäische Union
mit institutionellen Fragen und den Herausforde-
rungen im Bereich der inneren Sicherheit ausgelas-
tet sein wird.
• Die europäischen Verteidigungsbudgets werden
auch 2016 weiter stagnieren. Einzelne Erhöhungen
dienen dazu, vorhandene Fähigkeiten zu halten,
jahrelange Reduzierungen zu kompensieren bzw. in
ausgesuchte Nischenbereiche zu investieren.
•
Fundamentalismus nicht zu vernachlässigen.
Multiple Herausforderung der EU
Somit ist davon auszugehen, dass sich Europa im Jahr
2016 in verschiedene Richtungen orientiert – einerseits
nach Süden, um dem Flüchtlingsstrom zu begegnen,
ohne jedoch hier militärisch die notwendigen Schritte
einleiten zu können, und andererseits nach Osten, wo
ausgeräumt, aber es ist nicht zu erwarten, dass eine neue
des islamistischen Fundamentalismus in Verbindung
mit der anhaltenden Perspektivenlosigkeit weiter Teile
der Bevölkerung, politischem Stillstand, Korruption
und Arbeitslosigkeit nicht zu vernachlässigen.
Eher NATO als EU
Von der EU sind auch 2016 nicht jene sicherheitspoliti-
schen Initiativen zu erwarten, die dazu führen würden,
dass eine gesamtheitliche Neuorientierung vollzogen
wird, die sich auch auf den militärischen Bereich merk-
bar auswirken würde. Die Initiativen gemeinsam – etwa
über Pooling and Sharing oder das Framework Nation
Concept – Fähigkeiten zu entwickeln und Shortfalls zu
beseitigen sind der Ernüchterung gewichen, in deren
Folge eher bi- oder trilaterale Programme getrieben
durch rüstungspolitische Interessen verfolgt werden.
Insgesamt ist eine Verbesserung der militärischen Fä-
higkeiten eher im Rahmen der NATO zu erwarten als
im Verbund der EU, da die Europäische Union mit ins-
titutionellen Fragen und den Herausforderungen im Be-
reich der inneren Sicherheit ausgelastet sein wird.
KEY NOTES
• In 2016, Europe will orient itself in many direc-
tions; on the one hand towards the south, to meet
to initiate the necessary military steps, and, on
the other hand, towards the east, where defensive
thoughts dominate.
• On the whole, an improvement of military capabili-
ties can be expected more within the framework of
NATO than that of the EU, as the European Union
will be busy with institutional questions and chal-
• European defence budgets will continue to stagna-
te in 2016. Individual increases will serve more to
maintain present capabilities, to compensate for
decades-long reductions, or to invest in selected ni-
che areas.
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talism must not be disregarded.
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324 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
STREITKRÄFTEENTWICKLUNG
DEUTSCHLAND 2016
Christian Mölling
Die nationalen politischen Rahmenbedingungen ma-
chen neue Impulse für Verteidigung und Streitkräf-
teentwicklung sehr unwahrscheinlich. Weil sich die
Legislaturperiode in Deutschland zu Ende neigt,
sind auch weniger politische Initiativen aus dem Ver-
teidigungsressort zu erwarten. Deshalb steht die
Streitkräfteentwicklung 2016 im Lichte der Erhö-
hung der Einsatzfähigkeit und der Implementierung
des Rahmennationenkonzeptes (FNC). Der NATO-
Gipfel wird von deutscher Seite eher als Implemen-
tierungsgipfel gesehen. Die Gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) dürften
nur mäßige Unterstützung erfahren. Praktisches
verteidigungspolitisches Engagement Deutschlands
in diesem Bereich könnte über ein europäisches
Weißbuch sichergestellt werden. Jenseits von Afgha-
nistan wird Deutschland bei Einsätzen Wert auf eu-
ropäische Partner legen und weiterhin Trainingsmis-
sionen bevorzugen. Als Konsequenz für Europa, EU
und Österreich sucht Deutschland aktiver, aber
auch selektiver Partner.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 325
Das Rahmennationenkonzept wird 2016 zentrales Inst-
rument der Fähigkeitsentwicklung. Die Implementie-
rung des FNC wird 2016 im Mittelpunkt der Fähigkeits-
planung und der politischen Aufmerksamkeit des
Ministeriums stehen. Deutschland wird auf dem
aber nicht voll funktionsfähig sein, sondern wahr-
scheinlich zunächst nicht mehr als eine Absichtserklä-
rung sein. Zudem will Deutschland auch über diese
Zeit hinaus seine Suche nach geeigneten Partnern syste-
matisieren. Im Zentrum werden dabei die Nachhaltig-
keit und die Relevanz dessen stehen, was die Partner in
einen FNC-Cluster einbringen können.
Eine wesentliche Veränderung der Kommandostruktur
wird 2016 dadurch entstehen, dass erste Elemente des
neuen Cyber-Kommandos aufgebaut sein werden. Es
wird jedoch wahrscheinlich noch nicht im Normalbe-
trieb einsatzbereit sein.
NATO-Gipfel
Hier herrscht bislang Ratlosigkeit mit Blick auf die
Agenda jenseits der zu verkündenden Implementierun-
gen des Readiness Action Plan und der Very High Rea-
diness Joint Task Force (VJTF) sowie Sorge vor der
aufkommenden Abschreckungsdebatte und den damit
verbundenen Nuklearfragen. Auch wenn Deutschland
„Vollzug“ bei der Implementierung der VJTF melden
wird, werden sicher die Probleme bei der Einhaltung
der Zeitlinien für die Verlegung der Einheiten nicht ge-
Deutschland mehren, die für eine permanente Statio-
nierung von Truppen im Baltikum sind, dürfte
Deutschland diesem Vorschlag Polens und anderer die-
ses Jahr nicht zustimmen.
Politischen Rahmenbedingungen
Nach der Sommerpause 2016 werden sich die politi-
schen Leitungen der Ministerien langsam auf den Wahl-
kampf einstellen. Sie bereiten die Leistungsbilanz vor
und werden keine neuen Projekte beginnen. Vorm
Wähler präsentable Ergebnisse sind gefragt. Neue Im-
pulse kann es nur noch wenige geben. Diese kommen
sicher nicht aus dem Außenministerium oder Kanzler-
amt. Verteidigung wird insgesamt keine hohe Priorität
in der Regierungsarbeit und im Wahlkampf haben. Ver-
änderungen dieser Priorisierung wird es nur aufgrund
neuer oder wieder angeheizter Krisen geben.
Verteidigung
Der Verteidigungshaushalt wird 2016 steigen. Es könn-
te sein, dass die Verteidigungsministerin versucht, 2016
eine weitere Etatsteigerung durch das Parlament zu
bringen, da es ein besonderes politisches Möglichkeits-
fenster durch das Wohlwollen der Abgeordneten gibt.
Dieses Fenster kann sich nach der Wahl 2017 wieder
schließen. Vom 2016 zu veröffentlichenden Weißbuch
werden keine greifbaren Impulse für die Streitkräfte-
entwicklung ausgehen. Dieses wird die „Artikel 5“-Auf-
gaben höher gewichten und kann einen Schwerpunkt
auf Europa setzen.
Streitkräfteentwicklung
Das Bundesministerium der Verteidigung setzt die Ab-
kehr vom Konzept „Breite vor Tiefe“ fort. Es scheint
jedoch unmöglich, dass die Kampfbrigaden 2016 be-
reits wieder 100% ihrer Ausstattung haben werden.
326 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
GASP/GSVP
Die Arbeiten an der Neufassung der Sicherheitsstrate-
keine besondere Bedeutung für die Streitkräfteentwick-
einen Beitrag zur Konkretisierung der Verteidigungs-
union leisten oder sehen wollen, die sie unterstützt.
Zwei Impulse können aus Berlin erfolgen: Ein europäi-
sches Weißbuch zur Verteidigung und entweder darin
oder möglicherweise als deutscher Vorschlag zur Um-
setzung der neu gefassten Sicherheitsstrategie die Ein-
bringung des Rahmennationenkonzepts in die EU/
Einsätze
Bei UN-Friedensmissionen kann es sein, dass Deutsch-
land weiterhin nur verhaltenes Engagement zeigt. Es
wird sich eher daran orientieren, wo man Partnern wie
Niederlande oder Frankreich unterstützen und Sicht-
barkeit herstellen kann, als darum, einen besonders gro-
ßen oder fähigen Beitrag zu UN-Kampftruppen zu
stellen.
Allgemein ist der Wille groß, entlang der „Enhance und
Enable“-Initiative zu verfahren und nur geringe Zahlen
von Soldaten als Ausbilder in den Einsatz zu bringen.
Hierfür gibt es sogar ein eigenes Budget, über das Au-
ßenamt und Verteidigungsministerium gemeinsam ver-
fügen. Ein stärkeres Engagement im Irak ist wahr-
scheinlicher als ein Engagement in Ländern auf dem
afrikanischen Kontinent. Afghanistan kann mit Blick
gleich bleibendes Kontingent ist wahrscheinlich, eine
Erhöhung eher unwahrscheinlich.
Der Fokus deutscher Sicherheitspolitik in Afrika wird
wahrscheinlich auf der innenpolitischen Seite liegen,
also darauf, Polizei und Sicherheitskräfte befähigen.
Streitkräfte kommen vor allem als Berater in Frage. Die
Ausnahme wäre der wahrscheinliche Einsatz der Bun-
deswehr im Zusammenhang mit der UN-Mission
MINUSMA. Doch auch hier bleibt es sicher bei den be-
kannten roten Linien: keine Kampfverbände. Dennoch
-
schutzkomponente und vielleicht sogar ein robustes
Mandat erhalten. Dies kann aber nicht als ein systemati-
scher Einstieg Deutschlands in eine größere Rolle beim
militärischen Krisenmanagement in Afrika gesehen
werden.
Konsequenz für Europa, die EU und
Österreich
Deutschland sucht Partner für die Umsetzung des Rah-
mennationenkonzeptes systematisch Partner. Es ver-
sucht dabei selektiver zu werden. Damit könnte sich
möglicherweise für Österreich die Tür zur Verteidi-
gungskooperation mit Deutschland schließen, wenn
man keine beidseits attraktiven Kooperationsbereiche
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 327
KERNPUNKTE
• Die politischen Rahmenbedingungen machen neue
Projekte für Verteidigung und Streitkräfteentwick-
lung sehr unwahrscheinlich.
• Es wird mehr Ressourcen aber wenig politische Im-
pulse für die Verteidigung geben.
• Die Streitkräfteentwicklung wird 2016 von der Er-
höhung der Einsatzfähigkeit und der Implementie-
rung des Rahmennationenkonzeptes bestimmt.
• Das größte internationale Einzelereignis wird der
NATO-Gipfel.
• GASP und GSVP dürften nur mäßige Unterstützung
erfahren; praktisches Engagement Deutschlands
könnte über ein europäisches Weißbuch sicherge-
stellt werden.
• Jenseits von Afghanistan wird Deutschland bei Ein-
sätzen wert auf europäische Partner legen und wei-
terhin Trainingsmissionen bevorzugen.
• Als Konsequenz für Europa, EU und Österreich
sucht Deutschland aktiver, aber auch selektiver
Partner.
KEY NOTES
• The political framework conditions make new de-
fence projects and armed forces developments
highly unlikely.
• There will be more resources for defence but less
political impetus.
• Armed forces development in 2016 will be deter-
mined by the increase in operational capabilities
and the implementation of the Framework Nations
Concept.
• The biggest international event will be the
NATO-Summit.
• CFSP and CSDP might only receive moderate sup-
port, Germany’s commitment could be ensured
through a European White Paper.
• Beyond Afghanistan, Germany will prefer to work
with European partners in military operations and
continue to focus on training missions.
• With regard to the Framework Nations Concept,
Germany is searching for partners more actively
but also more selectively.
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328 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
STREITKRÄFTEENTWICKLUNG
FRANKREICH 2016
Jérôme Pellistrandi
Frankreich begann im Jahr 2012, damals in einem
budgetär sehr prekären Umfeld, mit der Ausarbei-
tung des neuen Weißbuches zur Verteidigung und
nationalen Sicherheit, in dem die französische Posi-
tion zur globalen Lage wie auch die strategischen
Weiterentwicklungen ausgeführt sind. Noch wäh-
rend der Arbeiten am Weißbuch wurde im Jänner
2013 mit der Operation Serval die Intervention in
Mali begonnen, um den Vormarsch der Jihadisten
augenblicklich zu stoppen. Dieser bedeutende Ein-
-
aktionsfähigen militärischen Werkzeugs vor Augen
geführt, aber auch gezeigt, in welchen Bereichen die
französischen Streitkräfte an ihre Grenzen stoßen
und wie wichtig es ist, permanent Anpassungen vor-
zunehmen. Auch 2016 werden die französischen
Streitkräfte ihr Engagement weiterentwickeln und
im Zuge eines Transformationsprozesses den aktu-
ellen wie auch zukünftigen Bedrohungen anpassen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 329
Der Publikation des Weißbuches im April 2013 folgte
militärischen Planung 2014-2019 (Loi de programma-
tion militaire (LPM) 2014-2019), das zusätzlich zu den
Kürzungen des vorherigen LPM u. a. weitere Perso-
nalkürzung von 25.000 Posten vorsah und neue Re-
strukturierungen bzw. die Streichung gewisser Instan-
zen und Einheiten veranlasste.
Militärisches Einsatzspektrum in den
Kernbereichen erhalten
-
schen den großen Achsen der französischen Streitkräf-
testruktur zu wahren, mit dem Ziel, die gesamte Palet-
te des militärischen Einsatzspektrums rund um die
Kernaufgaben – das sind nukleare Abwehr, Schutz
und Intervention – zu erhalten. Die Verschlechterung
des strategischen Kontextes seit 2013 und insbesonde-
re die terroristischen Angriffe seit dem Jänner 2015 in
Paris haben die politische Ausgangssituation durch ei-
nen erhöhten Bedarf verändert. Dadurch werden im
Notfall verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz
der französischen Bevölkerung und folglich eine Auf-
stockung der Streitkräftekapazitäten, insbesondere in
Bezug auf Personalstärke, erforderlich.
In nur wenigen Tagen wurden fast 10.500 Soldatinnen
und Soldaten im gesamten Staatsgebiet aufgeboten,
um den Schutz verschiedenster sensibler Bereiche zu
gewährleisten; 7.000 Einsatzkräfte sind weiterhin stän-
dig zugeteilt. Die Regierung hat im Zuge der Aktuali-
sierung des LPM 2014-2019 im ersten Halbjahr 2015
die Bedrohungsentwicklung dahingehend berücksich-
tigt, dass die von den Einsätzen seit 2013 gelernten
und hierdurch aufgezeigten Lücken in Bezug auf Ka-
pazitäten gefüllt werden sollen.
Erhöhung der budgetären Mittel
Das aktualisierte LPM unterstützt den Transformati-
onsprozess und verstärkt die budgetären Mittel durch
eine Erhöhung um 3,8 Mrd. auf insgesamt 162,41 Mrd.
Euro für die Periode 2015 bis 2019. Als Investitions-
schwerpunkte gelten weiterhin der Schutz des Staats-
gebiets, die Ausrüstung, die Einsatzaktivitäten der
Streitkräfte wie auch Aufklärung und Cyber Defense.
Der Rückgang der Truppenstärke wird durch die Er-
haltung von 18.750 Posten gemindert. Schlussendlich
werden im Zeitraum 2014 bis 2019 etwa 15.000 Ar-
beitsplätze eingespart werden.
Tatsächlich wird das Budget 2016 32 Mrd. statt den im
ursprünglichen LPM geplanten € 31,3 Mrd. Euro be-
tragen. Der Anteil für Ausrüstung wird ebenfalls an-
gehoben werden und somit fast 17 Mrd. anstatt der
16,7 Mrd. Euro im Jahr 2015 erreichen. Somit kann
das Bewaffnungsprogramm fortgeführt und gleichzei-
tig die Einsatzfähigkeit gefestigt werden, das unab-
Mittel verfügen. Diese Anstrengungen sind essenziell,
135 FR, VAB, gepanzerte Radfahrzeuge…) ins Sto-
cken geraten ist. Auch stellen die Erfordernisse in den
Einsatzgebieten, besonders in Afrika, eine beträchtli-
che logistische Herausforderung dar. Der Einsatz des
dieser Hinsicht ein wichtiger qualitativer Fortschritt
für die strategische Planung. Die Luftwaffe verfügt
bereits über sieben Maschinen.
2016 werden sich die Investitionen auch auf die perso-
nellen Ressourcen auswirken. So hat der strategische
Umbruch dieses Jahr zu einer Revision der Truppen-
stärke geführt, was speziell den Landstreitkräften
330 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
mehr Kräfte brachte. Ziel bleibt, die einsatzfähigen
Landstreitkräfte von 66.000 auf 77.000 Mann zu ver-
stärken. Des Weiteren werden– neben der Aufklärung
– auch mit Cyber Security und der diesbezüglichen
Leistungsverbesserung der nationalen Kapazitäten
Schwerpunkte gesetzt.
Starker politischer Wille für internationa-
les Krisenmanagement
Diese Entscheidungen – erschwert durch budgetäre
Einschränkungen – zeigen einen starken politischen
Willen der französischen Regierung, sich für die Ver-
teidigung der Interessen Frankreichs einzusetzen und
auch zum Krisenmanagement unter UNO-Mandat
beizutragen. Derzeit beteiligt sich Frankreich an meh-
reren größeren Operationen, besonders in Subsahara-
Afrika und dem Mittleren Osten. Die Operation Bark-
Zone vor den aus dem Norden kommenden Jihadisten
zu schützen, und hat eine Stabilisierung in Mali er-
möglicht. Das Ziel der Operation Sangaris in der Zen-
tralafrikanischen Republik ist, einen Staat, dessen Re-
gierung trotz jahrelanger militärischer und ziviler
Hilfe äußerst fragil ist, zu stabilisieren. Hierbei ist zu
betonen, dass sich diese Einsätze in einem multinatio-
-
tens der Europäischen Union und afrikanischer Part-
nerländer abspielen. Im Mittleren Osten verfolgt die
seit einem Jahr aktive Operation Chammal das Ziel,
der Ausbreitung der Terrormiliz „Islamischer Staat“
(IS) entgegenzuwirken. Anfang September wurde der
Aktionsraum der französischen Flugzeuge erweitert,
durch den IS kontrolliert werden.
Frankreich ist durch seinen Beitrag zur Luftraumüber-
wachung der baltischen Staaten auch an den Absiche-
rungsmaßnahmen der NATO in Osteuropa beteiligt.
Es steht außer Zweifel, dass die französischen Streit-
kräfte auch weiterhin ihr Engagement beibehalten
werden, und dies auch im Zuge eines Transformati-
onsprozesses, der ihnen erlaubt, sich den aktuellen wie
-
zeitig gilt es, ein möglichst vollständiges Spektrum an
militärischen Kapazitäten in enger Zusammenarbeit
mit unseren NATO- und EU-Partnern zu erhalten.
Rolle der Streitkräfte im Inneren
Die französischen Streitkräfte können sowohl für Auf-
gaben im Inneren als auch für Operationen im Aus-
land eingesetzt werden. Es gibt keine speziell trainier-
ten Einheiten, die sich ausschließlich dem Schutz des
französischen Territoriums widmen. Die Truppen sind
so trainiert, dass sie gleichzeitig in verschiedenen Mis-
sionen eingesetzt werden können. Alle Einheiten sind
in der Lage, sowohl im Inneren als auch im Ausland
zum Einsatz zu kommen. Die jährlichen Planungen
werden vom Streitkräftekommando auf diese beiden
möglichen Einsatzspektren ausgerichtet.
Lehren aus den Einsatzerfahrungen
Nach den Terrorattacken in Paris konnten wichtige
Erfahrungen aus den Einsätzen gelernt werden. Mobi-
le Truppen sind effektiver als statische. Der Schutz
von Häusern und Bevölkerungsgruppen ist keine
leichte Aufgabe. Der Kontakt zur lokalen Bevölkerung
ist sehr wichtig. Die Soldatinnen und Soldaten müssen
für diesen Einsatz besonders geschult werden. Das in-
kludiert auch Selbstverteidigung, Einsatzregeln, den
Soldatinnen und Soldaten keine „Hilfspersonen“ von
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 331
KERNPUNKTE
• Das Budget 2016 wird 32 Mrd. anstatt den ursprünglich geplanten 31,3 Mrd. Euro betragen.
• Der Schutz des Staatsgebiets, die Ausrüstung, die Einsatzaktivitäten der Streitkräfte wie auch Aufklärung und
Cyber Defense haben weiterhin Priorität.
• Frankreich will ein möglichst vollständiges Spektrum an militärischen Kapazitäten in enger Zusammenarbeit
mit unseren NATO- und EU-Partnern erhalten.
• Der Schutz von Zivilisten, Bevölkerungsgruppen und Bauwerken und bleibt eine große Herausforderung.
Polizeikräften. Auf höchster Ebene der französischen
Verwaltung läuft derzeit eine Debatte um eine Reform
der Einsatzregeln bei den Streitkräften. Dieses Projekt
wird von der Regierung in einigen Wochen der Öf-
fentlichkeit präsentiert.
KEY NOTES
• The 2016 defence budget will be increased from € 31.3 billion to € 32 billion.
• National defence, equipment, operations of the armed forces, military intelligence, and cyber defence will have
priority.
• France wants to maintain as full a spectrum of military capacities as possible in close cooperation with NATO
and EU partners.
• The protection of civilians, communities, and buildings is not an easy task
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332 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
REGIONALE VERTEIDIGUNGS-
KOOPERATIONEN 2016
mit besonderer Berücksichtigung der Central European
Defence Cooperation
Rastislav Báchora
Vor dem Hintergrund aktueller Krisen werden vertei-
digungspolitische Formate auch 2016 daran zu
messen sein, in wie weit sie als Instrument gegen
reale sicherheitspolitische Herausforderungen für
die einzelnen Staaten von Nutzen sein werden. Die
Entwicklungen in der Central European Defence Co-
operation (CEDC – bestehend aus Tschechien, der
Slowakei, Ungarn, Österreich, Slowenien und Kroati-
en), in der Österreich im Januar 2016 die jährliche
Präsidentschaft übernimmt, werden insbesondere
Dynamiken bis 2016
Im Allgemeinen hatten 2015 die Beziehungen zwi-
schen dem Westen und Russland wesentliche Auswir-
von den Vertiefungstendenzen in der Visegrad-Grup-
pe (V4 – bestehend aus Polen, Tschechien, der Slo-
-
deutung wird auch den sicherheitspolitischen
Entwicklungen in und um Europa beizumessen sein.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 333
-
hender regionaler Verteidigungskooperationen.
Während die Relevanz des Weimarer Dreiecks (beste-
hend aus Frankreich, Deutschland und Polen) stag-
nierte, erfuhren die Nordic Defence Cooperation
(NORDEFCO – bestehend aus Island, Norwegen,
Dänemark, Schweden und Finnland) und die Koope-
ration der baltischen Staaten (B3 – bestehend aus Est-
land, Lettland und Litauen) eine Vertiefung ihrer mili-
tärischen Zusammenarbeit als direkte Reaktion auf die
russische Außenpolitik. Entgegen den Anzeichen zu
Jahresbeginn 2015 wurde auch die verteidigungspoliti-
sche Kooperation der V4-Staaten weiter vertieft und
ausgebaut. Dies geschah jedoch nicht aufgrund von
wahrgenommenen Bedrohungen, sondern primär auf-
grund von Interessen der Verteidigungsressorts, rüs-
tungspolitischer Überlegungen sowie eines gewissen
Anpassungsdrucks gegenüber der NATO. Basierend
auf der Tatsache, dass Tschechien, die Slowakei und
Ungarn sowohl in der CEDC als auch in der V4 aktiv
sind, werden die Entwicklungen im V4-Format ent-
scheidend für die Dynamik und den Verlauf der öster-
reichischen CEDC-Präsidentschaft 2016 sein.
V4 und CEDC
Die anti-russische Haltung Polens führte zu Jahresbe-
ginn 2015 zu offenen Meinungsverschiedenheiten in-
Tschechien und die Slowakei (außen)politisch eine An-
nährung an Österreich und begründeten das von War-
schau mit viel Misstrauen beobachtete informelle Aus-
terlitz-Format (Regierungschefs dieser Staaten trafen
sich 2015 dreimal). Trotz dieser Dynamik in der ersten
Jahreshälfte 2015, ist die militärische Kooperation der
-
schaft (Juli 2014 bis Juni 2015) ausgebaut worden und
wird von der tschechischen Vorsitzführung bis Juni
2016 fortgeführt.
Im April 2015 wurde eine Ausbildungs- und Übungs-
strategie für V4-Streitkräfte angenommen, mit der un-
ter anderem die NATO’s Connected Forces Initiave in
den nächsten Jahren gestärkt werden soll. Bei einer ge-
meinsamen Erklärung der V4-Verteidigungsminister
wurde die Bedeutung der militärischen Zusammenar-
beit vor allem für die NATO hervorgehoben. Somit
zeigt sich, dass die NATO in den Konzepten der ver-
teidigungspolitischen Kooperation der V4-Staaten ei-
nen höheren Stellenwert als die EU einnimmt. Dieser
Trend dürfte sich, trotz einer gemeinsamen V4-EU-
Battlegroup im Jahr 2016, weiter verstärken. Dagegen
verfolgt die CEDC, deren Vertiefungsgrad unter dem
Vorsitz Kroatiens 2015 auf einem moderaten Niveau
bestehen blieb, einen anderen Ansatz. Beim Treffen
der CEDC-Verteidigungsminister im Mai 2015 wurde
beschlossen, Absprachen im Vorfeld von Entscheidun-
gen auf EU-Ebene sowie eine Vertiefung der Zusam-
menarbeit auf Basis von bereits beschlossen Leucht-
turmprojekten durchzuführen.
Unabhängig vom verteidigungspolitischen Vertie-
fungsgrad der V4 und der CEDC besteht der wesentli-
che Unterschied darin, dass die militärische Koppera-
Kontext zwischen Polen, Tschechien, der Slowakei
und Ungarn eingebettet ist. Während es zum Beispiel
zu keinem weiteren Treffen auf Ebene der Minister
anderer Ressorts der CEDC-Staat kam und 2016 sol-
che auch nicht vorgesehen sind, trafen einander neben
den V4-Verteidigungsministern auch Mitglieder parla-
mentarischer Ausschüsse, die Staatspräsidenten, Pre-
mierminister und Minister unterschiedlicher Ressorts.
Alleine die Außenminister trafen einander im Jahr
334 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
2015 bis November insgesamt sechsmal. Die Spannun-
gen hinsichtlich der Haltung gegenüber Russland wur-
den durch gemeinsame Interessen in der Energiepoli-
tik, Heranführung des Westbalkans an die EU und
zuletzt in der Migrations- und Flüchtlingspolitik kom-
pensiert. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass sich
2016 mögliche Spannungen zwischen der neuen polni-
schen Regierung und den anderen V4-Staaten auf den
verteidigungspolitischen Bereich auswirken werden.
Mittelfristig ist das jedoch nicht auszuschließen.
Entwicklungen 2016
Die NORDEFCO, die Benelux-Kooperation sowie die
B3-Zusammenarbeit werden im Allgemeinen ihre Ver-
tiefungstendenz im Jahr 2016 fortsetzen, wobei kon-
zeptuelle Anpassungen an die geänderte Bedrohungs-
lage erfolgen könnten. Zumindest in der
NORDEFCO und im Benelux-Format wird Russland
nicht mehr der wichtigste Treiber der Vertiefung sein.
Militärische Maßnahmen gegen terroristische Bedro-
hungen und ein mögliches Schwergewicht künftiger
Einsätze in Afrika könnten bei der Ausrichtung der
Kooperationsformate berücksichtigt werden. Die
NORDEFCO, die vielen regionalen Kooperationen
als Vorbild dient, beabsichtigt im Jahr 2016, die Inter-
operabilität zwischen den Streitkräften zu verbessern.
Mittelfristig könnten auch Maßnahmen im Kontext
der Migrations- und Flüchtlingskrise für die verteidi-
gungspolische Kooperation relevant werden. Wie weit
-
tärkooperationen künftig berücksichtigt wird, bleibt
abzuwarten. Einen ersten Vorstoß machte bereits die
-
kräfte an der ungarischen Schengen-Außengrenze im
Rahmen einer Krisenmanagementübung zur Verstär-
-
übertritte zu verhindern, eingesetzt wurden. Somit
wurde ein weiterer Kooperationsbereich in der vertei-
digungspolitischen Zusammenarbeit der V4-Staaten
erfasst, der 2016 erweitert werden könnte.
Jahreshälfte erstmals eine EU-Battlegroup unter pol-
nischer Führung stellen wird. Dies wird in der öster-
reichischen CEDC-Präsidentschaft deshalb zu berück-
sichtigen sein, weil sich Tschechien, die Slowakei und
EU-Battlegroup wird Personal, Ressourcen und politi-
sche Aufmerksamkeit binden. Hinsichtlich der weite-
-
sammenwirken im atlantischen Kontext wird der
-
pulse für regionale Kooperationen bringen. Polen wird
höchstwahrscheinlich bestrebt sein, künftig eine stär-
-
wirken, wobei die V4-Militärkooperation als ein prak-
tisches Modell in den Mittelpunkt rücken könnte.
Ableitungen für die CEDC
Um die CEDC als regionale Kooperation 2016 wäh-
rend der österreichischen Präsidentschaft sichtbarer zu
machen, dürfte sie nicht als Konkurrenz zur V4 auf-
treten, sondern sie müsste als genuine zentraleuropäi-
sche Initiative in breiterem regionalen Ansatz mit ge-
meinsamen
Interessen – z. B. am Westbalkan – betrachtet werden.
Beim CEDC-Verteidigungsministertreffen im Mai
2016 könnten die Partner daran interessiert sein, die
Abgrenzung zur V4-Kooperation zu thematisieren.
Wahrscheinlich wird die Frage gestellt werden, wie ge-
meinsam gegen Bedrohungen vorgegangen werden
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 335
KERNPUNKTE
• Die Außenpolitik Russlands wird als Treiber für regionale Kooperationen in Europa an Relevanz einbüßen und
die Bedeutung von terroristischen Bedrohungen, Schutz der Außengrenzen sowie von möglichen Einsätzen in
der südlichen Nachbarschaft der EU könnte steigen.
•
• Für die österreichische CEDC-Präsidentschaft ab Januar 2016 werden Prozesse innerhalb der V4 zu berück-
sichtigen sein.
• Auf der politischen Ebene sollte das CEDC-Verteidigungsministertreffen im Mai 2016 genutzt werden, um Ab-
grenzungen gegenüber der V4 zu tätigen und die europäische Dimension der Kooperation zu präzisieren.
kann. Das Interesse Österreichs, die CEDC als ein si-
cherheits- und verteidigungspolitisches Abstimmungs-
etablieren, könnte weiter vorangetrieben werden, wo-
bei von Slowenien und Kroatien größere Unterstüt-
zung erwartet werden könnte. Jedenfalls wird für die
weiteren Entwicklungs- und Kooperationsprozesse
der CEDC die österreichische Präsidentschaft aus-
schlaggebend sein.
KEY NOTES
• Russia’s foreign policy will loose relevance as a driver of regional cooperations in Europe; terror threats, border
protection, as well as possible operations to the south of the EU could increase in importance.
•
• The Austrian CEDC Presidency (from January 2016) will have to consider processes within the V4 group.
•
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ik Russlands wird als Treiber für regionale Kooperationen in Europa an Relevanz einbüßen und
on terroristischen Bedrohungen, Schutz der Außengrenzen sowie von möglichen Einsätzen in
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ÖSTERREICHISCHE
SICHERHEITSVORSORGE
2016
„In Österreich ist die Verteidigungspolitik Teil der natio-
nalen »Umfassenden Sicherheitsvorsorge«. Das Öster-
reichische Bundesheer (ÖBH) ist die bewaffnete Macht
der Republik Österreich. Es ist Ausdruck des Willens
und der Fähigkeit der Republik Österreich zur Verteidi-
gung seiner Verfassung und Werteordnung.“
(Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 5)
338 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
POLITISCHE
RAHMENBEDINGUNGEN
DER ÖSTERREICHISCHEN
SICHERHEITSVORSORGE 2016
Über Österreichs Sicherheit wird in Syrien entschieden
Alexandra Föderl-Schmid
In Deutschland hieß es jahrelang, über die Sicherheit
im Lande werde am Hindukusch entschieden. Mit die-
sem Argument wurde das Engagement deutscher Bun-
deswehrsoldaten in Afghanistan innenpolitisch begrün-
Die Lage in Nahost, in Afghanistan und im
Irak bestimmt die Herausforderungen für
die österreichische Sicherheitspolitik. Das
Schwierige an der Situation: Keiner der Fak-
det. Dieses Argument lässt sich abgewandelt auch auf
Österreich übertragen: Über Österreichs Sicherheit
wird in Syrien entschieden. Wobei das Wort „auch“
noch hinzugefügt werden muss. Denn die instabile Si-
tuation in Afghanistan und die Terroranschläge im Irak
sowie das Agieren des so genannten Islamischen Staats
(IS) sind neben dem Bürgerkrieg in Syrien Hauptgrün-
de für das Anschwellen des Flüchtlingsstroms. Dazu
kommt die Situation in den Flüchtlingslagern in den
Nachbarländern Syriens, im Libanon und in der Türkei.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 339
Vakuum in Washington
Dass sich Russland seit dem Herbst 2015 wieder militä-
risch in Syrien engagiert, hat dort zu einer weiteren Zu-
spitzung der Lage geführt. Im Jahr 2016 sind in den
USA die Präsidentschaftswahlen, und Moskau könnte
die Zeit des Wahlkampfes und damit relativen politi-
schen Stillstands in Washington nützen, um im Nahen
Osten an Terrain zu gewinnen und den noch amtieren-
den Präsidenten Barack Obama unter Druck zu setzen.
Denn es ist nicht zu erwarten, dass Obama noch weit-
reichende sicherheitspolitische Entscheidungen trifft,
sollte er nicht durch einen Terroranschlag oder ähnli-
che unvorhersehbare Ereignisse dazu gezwungen
werden.
Wegen der prekären Sicherheitslage, die sich an der Er-
stürmung der Stadt Kunduz durch die Taliban Ende
September 2015 am deutlichsten zeigte, hat Obama be-
noch am Hindukusch stationierten rund 10.000 US-
Armeekräfte schon 2016 abzuziehen. Erst im Jahr 2017
soll der Abzug schrittweise weitergehen, aber auch
dann sollen mehr als 5000 Armeeangehörige in Mili-
tärbasen bei Kabul, Bagram, Jalalabad und Kandahar
verbleiben.
Drang in die Mitte Europas
Wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt, wird für
Österreichs Entscheidungen im sicherheitspolitischen
-
ghanistan. Denn Österreich ist vom Andrang der
Flüchtlinge direkt betroffen. Wie die Ereignisse ab
dem Frühsommer 2015 gezeigt haben, können sich
rasch Massen von Menschen in Bewegung setzen, die
in die Mitte Europas drängen.
diesen Wanderungsbewegungen betroffen, da die meis-
ten Flüchtlinge nach Deutschland wollen. An diesem
Wunschziel wird sich auch 2016 nichts ändern.
Die sich im September zuspitzenden Ereignisse mit
-
lingsströmen haben gezeigt, dass Österreich von Ent-
scheidungen in anderen Ländern abhängig ist. Der Bau
von Zäunen und die oft nur temporäre Schließung von
-
tuation hierzulande. Das zeigte sich einerseits im Os-
machte, aber auch Richtung Westen, wo Deutschland
Dauer des Flüchtlingsstroms zu regulieren versuchte.
Absicherung der grünen Grenze
Das Bundesheer wurde aufgrund politischer Entschei-
dungen mehrere Wochen nach Beginn des starken
Flüchtlingsandrangs in die Versorgung der Menschen
eingebunden. Darüber hinaus wurde, obwohl dies Ver-
-
Commenda sagte in einem Standard-Interview: „Das
dichtzumachen ist aus meiner Sicht unmöglich.“ Die
Schlepper fänden „neue Wege, wenn Flüchtlinge nicht
mehr wie derzeit per Bahn oder entlang der Straßen
kommen können“.
Wie man das Schlepperwesen eindämmen kann, wenn
eingetretene Fluchtpfade verlassen werden, wird eine
der Herausforderungen im Jahr 2016 sein. Die Flücht-
lingsströme werden sich auch nicht mehr vorwiegend
340 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Es ist nicht zu erwarten, dass US-Präsident Obama
2016 noch weitreichende sicherheitspolitische Ent-
scheidungen trifft.
• Die russische Führung könnte das Vakuum in Wa-
shington ausnützen.
• Wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt, wird
für Österreichs Entscheidungen im sicherheitspo-
litischen Bereich noch wichtiger sein als das Ge-
schehen in Afghanistan.
• Das Flüchtlingsproblem hat gezeigt, dass Öster-
reich von Entscheidungen in anderen Ländern ab-
hängig ist.
• Die Sicherung der EU-Außengrenze und die Einrich-
tung von so genannten „Hotspots“ wird 2016 Prio-
rität haben.
• Österreich wird Personal für die Hotspots und
die Sicherung der EU-Außengrenzen bereitstellen
müssen.
hier vor allem auf den Übergang in Nickelsdorf – kon-
schützt werden müssen.
Herausforderung für die EU
Auch für die Europäische Union ist die Bewältigung
des Flüchtlingszustroms eine Bewährungsprobe. Die
Sicherung der EU-Außengrenze und die Einrichtung
von so genannten „Hotspots“ zur besseren Aufnahme
und Versorgung von Ankommenden wurden zwar zur
Priorität erklärt. Aber die konkreten Schritte bei der
Umsetzung werden 2016 im Frühjahr auf die EU-Län-
der zukommen. Das bedeutet auch für Österreich die
administrativen Hilfestellung zur Erfassung der
Flüchtlinge.
Abhängig vom weiteren Verlauf der Kampfhandlungen
in Syrien könnte auf Österreich auch die Entsendung
von Expertinnen und Experten in die Region zukom-
men. Dass sich Österreich an einer militärischen Akti-
on in Syrien ohne UN-Mandat beteiligt, ist auszu-
schließen. Aber in einer Post-Kriegssituation haben
lung geleistet. Diese Herausforderung ist jedoch pers-
pektivisch in noch weiterer Ferne. Argumentativ könn-
ten dann Anleihen an der innenpolitischen Begründung
in Deutschland genommen werden.
KEY NOTES
• No far-reaching security policy decisions can be ex-
pected from US President Barack Obama.
• Russian leadership could exploit the political vacu-
um in Washington.
• The further development of the situation in Syria
will be even more important for Austria‘s decisions
ning in Afghanistan.
• The refugee problem has shown that Austria is de-
pendent on decisions taken in other countries.
• Securing EU‘s external border and the establish-
ment of so-called „hotspots“ will have priority in
2016.
• Austria will have to provide personnel for the hot-
spots and to secure the EU‘s external borders.
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KEY NOTES
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 341
AUSSEN- UND SICHERHEITS-
POLITISCHE AMBITION
ÖSTERREICHS 2016
Karin Fichtinger-Grohe
Östliche Nachbarschaft
-
forderungen haben nicht nur regionale Auswirkungen.
Für Europa stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man
bereit und fähig ist, die eigenen Werte und die demokra-
Das Umfeld der Europäischen Union und somit auch Österreichs unterliegt einem tiefgehenden Wandel. Die
aktuellen Krisen in der Nachbarschaft der EU haben bereits zu einer veränderten Wahrnehmung von au-
ßen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und ersten politischen Reaktionen geführt. Die EU und
Österreich müssen auf die Entwicklungen in ihrer Umgebung engagiert einwirken. Im Interesse der EU ist
-
cherheit, Migration, Klimawandel, Terrorismus – ganz allgemein, an einem stabilen Umfeld – zu arbeiten.
fordert mit seinem Dominanzanspruch und seinem völ-
kerrechtswidrigen Vorgehen die westliche Staatenge-
-
her ein funktionierender Multilateralismus und die EU
-
cherheit. Für Österreich bedeutet dies, auch unter Be-
rücksichtigung des 2017 bevorstehenden OSZE-Vorsit-
342 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
zes, sich weiter an Vermittlungsbemühungen zu
beteiligen und personell zur EU Advisory Mission und
der OSCE Special Monitoring Mission in der Ukraine
beizutragen.
Südliche Nachbarschaft
Aus heutiger Sicht zeichnen sich keine raschen Lösungen
den Krieg wurden die Karten neu gemischt: Als erste
-
en kann der im Oktober 2015 in Wien begonnene politi-
sche Dialog, der Russland, den Iran und andere internati-
onale Akteure miteinbezieht, gewertet werden.
Die Türkei, der Libanon und Jordanien, die Millionen
von Flüchtlingen aufgenommen haben, müssen aus ös-
terreichischer Sicht stärker unterstützt werden, um zu-
mindest kurzfristig die Flüchtlingskrise zu entspannen.
Die Herausforderung durch steigende Flüchtlingszahlen
erfordert von der EU und ihren Mitgliedsstaaten – in
Verbund mit anderen internationalen Organisationen –
verstärkte Anstrengungen, koordiniert und gemeinsam
in allen Politikbereichen vorzugehen. Ein Scheitern an
und Sicherheitspolitik gefährden. Österreich setzt sich
daher für den verstärkten Schutz der EU-Außengrenze
-
ein, um eine europäische Lösung zu erwirken. Als Zei-
chen dieses Engagements ist die kommende österreichi-
sche Beteiligung an der Operation EUNAVFOR MED
Sophia im Mittelmeer zu werten, die im engen Zusam-
menhang mit den Entwicklungen in Libyen steht. Die
EU muss mit den ihr zur Verfügung stehenden Instru-
menten ihr Möglichstes tun, um die Bildung einer liby-
schen Einheitsregierung zu unterstützen.
Der Westbalkan bleibt auch weiterhin einer der Schwer-
punkte der österreichischen Außenpolitik, was auch
durch die zahlenmäßig größten Kontingente der Entsen-
dungen zu den Operationen EUFOR ALTHEA in Bos-
nien und Herzegowina und KFOR im Kosovo unterstri-
chen wird.
Obwohl die EU als Nachbar der aktuellen Krisenregio-
nen unmittelbar betroffen ist, spielt sie bei der Suche
nach Lösungen im Vergleich zu den USA oder Russland
eine untergeordnete Rolle, was darauf zurückzuführen
ist, dass sie selbst in Krisen mit unmittelbaren Auswir-
kungen auf ihre Mitgliedsstaaten keine gemeinsame Posi-
Da’esh“ 2016 weiter.
Afrika
Eine fortgesetzte Unterstützung durch das Krisenmana-
gement der EU und der UNO beim Aufbau kollektiver
Sicherheitsstrukturen sowie die Förderung von Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit werden zur Stabilisierung
einzelner Staaten notwendig sein. Herausforderungen
bleiben etwa Länder mit großen Ressourcen, von denen
ihre Bürger keinen Nutzen haben, Staaten wie Mali oder
die Zentralafrikanische Republik, die von bewaffneten
weiterhin mit der Beteiligung an Krisenoperationen en-
gagieren wird, oder das verbreitete Auftreten von mili-
Weitere Krisenherde
Österreich auch im kommenden Jahr an der NATO-ge-
führten Mission „Resolute Support“ teilnimmt, werden
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 343
KERNPUNKTE
• Europa muss sich längerfristig auf eine instabile Nachbarschaft einstellen.
• Es ist Aufgabe der EU, den Krisen in ihrer mittel- und unmittelbaren Nachbarschaft aktiv zu begegnen.
• Die EU, als Verfechterin des rechtsstaatlichen Prinzips, benötigt für ihr Handeln ein funktionierendes multilate-
rales System.
• Die Verzahnung von interner und externer Sicherheit nimmt zu.
• Die Solidarität Österreichs bei der Bewältigung der internen und externen Krisen ist als Mitglied der VN, der EU
und der OSZE sowie als Partner der NATO auf lange Sicht gefordert.
KEY NOTES
• In the long term, Europe has to adjust itself to an unstable neighbourhood.
• It is the EU’s task actively to respond to the crises in its immediate neighbourhood.
• As an advocate of the rule of law, the EU requires a functioning multilateral system for its actions.
• The connection between internal and external security is increasing.
• As a member of the UN, the EU, the OSCE, and as a partner of NATO, Austria‘s solidarity in dealing with internal
and external crises will be required for a long time.
tung und -eindämmung sowie Sicherheitssektorreform
erforderlich machen. Letztlich sollte dies zur Stabilisie-
rung und Demokratisierung der betroffenen Länder
führen.
Globale Strategie
heitsstrategie der EU muss die Ambitionen der EU – den
sich abzeichnenden strategischen Trends entsprechend –
sein, dass die EU imstande ist, in ihrer Nachbarschaft ge-
meinsam mit Partnern wie z. B. der OSZE oder – im Fal-
le einer militärisch anspruchsvollen Aufgabe – der
NATO ihre Interessen durchzusetzen.
Österreich
Österreich kann sich in seiner Rolle als außen- und si-
cherheitspolitischer Akteur diesen Prozessen nicht ent-
ziehen und muss im Inneren klare Antworten auf die da-
mit verbundenen drängenden Probleme geben sowie
international politische Entscheidungsprozesse mitgestal-
ten. Um als internationaler Akteur glaubwürdig zu sein
und selbst Solidarität einfordern zu können, ist es weiter-
hin notwendig, einen österreichischen Beitrag im Rah-
men des internationalen Krisenmanagements zu leisten.
Es ist absehbar, dass aufgrund der internationalen Lage
das österreichische zivile und militärische Engagement,
derzeit vorwiegend am Westbalkan, durch andere Einsät-
Führung der NATO in den angesprochenen Krisenregi-
onen erweitert werden wird.
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• Die EU, als Verfechterin des rechtsstaatlichen Prinzips, benötigt für ihr Handeln ein funktionierendes multilat
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derzeit vorwiegend am Westbalkan, durch an
Führung der NATO in den angesproch
onen erweitert werden wird.
344 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ÖSTERREICHS PROFIL IN
DER GSVP 2016
Markus Weidinger
-
reich als EU-, aber Nicht-NATO-Mitglied von hoher
Bedeutung, da diese den Rahmen für das sicherheitspo-
litische Engagement vorgibt sowie Mitgestaltungsmög-
lichkeiten zulässt. Österreich steht aufgrund seiner ver-
fassungsrechtlichen Vorgaben für einen breiten
auf Verteidigung kritisch gegenüber. Zugleich zeichnet
Vor dem Hintergrund eines verschlechterten Sicher-
heitsumfeldes in der Nachbarschaft der Europäi-
schen Union entwickelt sich der Bereich Sicherheit
und Verteidigung über die Gemeinsame Sicherheits-
und Verteidigungspolitik der Union (GSVP) hinaus
mit Auswirkungen auf die Positionierung Österreichs
innerhalb der GSVP.
-
-
-
samtstärke: 4385 mit Stand Oktober 2015) zu den
größten Truppenstellern, die Teilnahme an zivilen Mis-
sionen hingegen ist mit 0,8 Prozent von insgesamt 2794
Experten unterdurchschnittlich. Zudem fehlen Öster-
reich als starkem Befürworter des Comprehensive Ap-
proach und eines Präventionsfokus das damit korres-
pondierende EZA-Finanzvolumen.
Wie andere EU-Mitgliedsstaaten steht Österreich zwei
-
sion gegenüber: erstens der geänderten geopolitische
Lage und der damit einhergehenden Forderung zahlrei-
cher EU-Mitgliedsstaaten nach Reorientierung der
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 345
nehmenden Verzahnung von innerer und äußerer Si-
cherheit, wie man an der Flüchtlings- und Migrations-
frage – der größten Herausforderung der EU auf
absehbare Zeit – sehen kann, die einen umfassenden Si-
cherheitsansatz benötigt.
Entwicklung des EU-Krisenmanagements
in Richtung Ausbildung und
Kapazitätenaufbau
Entsprechend den außenpolitischen Prioritäten Öster-
Engagements auf dem Westbalkan. An der EU-Battle-
groups beteiligt sich Österreich regelmäßig, das nächste
Engagement in Subsaharaafrika hat auch eine zuneh-
mende Beteiligung Österreichs an Missionen in dieser
Region (EUSEC RDC in der Demokratischen Republik
Kongo, EUTM MALI in Mali, EUMAM RCA in der
Zentralafrikanischen Republik) zufolge. Die zunehmen-
-
tung verknüpft mit Kapazitätenaufbau in Drittstaaten
hat Österreich durch Teilnahme an entsprechenden
Missionen grundsätzlich mitvollzogen. Die neueste
Entwicklung ist der – stärker als bisher eigeninteressen-
Flüchtlingskrise durch die Einrichtung der Operation
EUNAVFOR MED Sophia im Mittelmeer zur Be-
kämpfung des Schlepperwesens, an der Österreich 2016
teilnehmen wird. Diese drei Entwicklungen werden
sich auch 2016 fortsetzen.
Im Zuge der Aktivierung der Beistandsklausel (Art. 42
(7) EU-Vertrag) durch Frankreich hat Österreich wie
alle übrigen EU-Mitgliedsstaaten Frankreich seine volle
grundsätzliche Unterstützung zugesichert. Nachdem
Frankreich in diesem Zusammenhang konkret primär
um bilaterale Unterstützung entweder gegen die Terror-
miliz „Islamischer Staat“ oder zur Entlastung in ande-
ren Einsatzräumen, in denen Frankreich stark engagiert
ist, ersucht hat, sind über ein starkes Zeichen der Soli-
darität hinaus die konkreten Auswirkungen für die
-
Strukturen des Europäischen Auswärtigen Dienstes
seines persönlichen Stabes) acht Mitarbeitern (Stand:
Oktober 2015), ausschließlich sekundierten nationalen
Experten, erheblich schwächer vertreten sein.
Von der GSVP im engeren Sinn zu einem
die GSVP-Grenzen überschreitenden An-
satz im Bereich Sicherheit und
Verteidigung
Der Europäische Rat zu Sicherheit und Verteidigung im
Dezember 2013 leitete einen Prozess mit zahlreichen
2016 umzusetzenden Auftragserteilungen ein. Dieser
und ergänzen: die Intensivierung der Fähigkeitenent-
wicklung und die Stärkung der europäischen Verteidi-
gungsindustrie, bei denen Kommission und europäi-
sche Verteidigungsagentur eine wichtige Rolle spielen.
Intensivierung der
Fähigkeitenentwicklung
Um in Zeiten angespannter Verteidigungsbudgets bei
zugleich stark steigenden Entwicklungskosten für mili-
tärische Fähigkeiten und zunehmenden Herausforde-
rungen eine glaubwürdige Landesverteidigung weiter-
hin gewährleisten zu können, hat Österreich an einer
346 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Österreich steht für einen breiten
Sicherheitsansatz.
• Österreich gehört zu den größten Truppenstellern
bei militärischen GSVP-Operationen.
• Drei Trends bestimmen das EU-Krisenmanage-
ment: Engagement in Subsaharaafrika, Ausbildung
und Kapazitätenaufbau sowie Bekämpfung des
Schlepperwesens.
• Die Arbeitsstränge Intensivierung der Fähigkeiten-
entwicklung und Stärkung der europäischen Ver-
teidigungsindustrie unterstützen und ergänzen die
GSVP im engeren Sinn.
gemeinsamen und koordinierten europäischen militäri-
schen sowie an verbesserter ziviler Fähigkeitenentwick-
lung fundamentales Interesse, wobei 2016 die Frage von
Kooperationsanreizen ein wichtiges Thema sein wird.
Stärkung der europäischen
Verteidigungsindustrie
Die Fragmentierung des europäischen Verteidigungs-
markts gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der europäi-
schen Verteidigungsindustrie und damit die strategische
Autonomie Europas, weshalb eine Konsolidierung
kommen wird – und zwar entweder koordiniert oder,
falls sich EU-Mitgliedsstaaten nicht auf einen gemeinsa-
men Ansatz einigen können, durch den Markt selbst.
Dieser Konsolidierungsprozess birgt für Österreichs
Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie, die überwie-
gend aus KMU besteht, stark im Dual-Use-Bereich an-
gesiedelt ist und spezialisierte Nischen besetzt, Chancen
und Risiken. So ist für Österreich 2016 die Umsetzung
der Auftragserteilungen zu gleichberechtigtem Zugang
zu grenzüberschreitenden Märkten sowie zur vorberei-
benen Forschung von besonderer Wichtigkeit.
Bilanz
Zusammenfassend erscheint Österreich im Kernbereich
ment derzeit einen durch die geopolitischen Herausfor-
derungen getriebenen Veränderungsprozess, in dessen
Rahmen es für Österreich wichtig ist, neben der erfor-
tung sicherzustellen. Zugleich ist es 2016 für Österreich
angesichts der skizzierten Entwicklungen erforderlich,
sich den gegenwärtigen Herausforderungen in allen Ar-
beitssträngen des Bereichs Sicherheit und Verteidigung
zu stellen, um – etwa durch die nun wieder stärker ge-
forderte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit – von
einzelnen Weiterentwicklungen nicht abgekoppelt und
damit von deren Ausgestaltung ausgeschlossen zu
werden.
KEY NOTES
• Austria has a broad approach to security issues.
• Austria is one of the largest troop contributors to
CSDP military operations.
•
mitment to sub-Sahara Africa, training and capacity
•
and the strengthening of the European defence in-
dustry support and complement CSDP.
en
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dustry support and complement
Österreichs
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sich den gegenwärtigen Herausforderungen in allen Ar-
beitssträngen des Bereichs Sicherheit und Verteidigung
zu stellen, um – etwa durch die nun wieder stärker ge-
forderte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit – v
einzelnen Weiterentwicklungen nicht abgekoppelt
damit von deren Ausgestaltung ausgeschlossen z
werden.
KEY NOTES
Austria has a broad approach to se
Austria is one of the largest troo
SDP military operations.
nt to sub-Sahara Af
gthen
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 347
ÖSTERREICH UND DIE
VEREINTEN NATIONEN 2016
Jan Kickert und Philipp Charwath
Steigende Relevanz der Vereinten Natio-
nen …
Das Interesse an den VN als multilaterale Plattform
wird 2016 weiter zunehmen. Die VN sind heute trotz
VN-Sicherheitsrats (VN-SR), wie beispielsweise in der
Syrienfrage, so relevant wie nie zuvor. Das enorme
Die Relevanz der Vereinten Nationen wird auch
2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine
Lösung der größten internationalen Krisen absehbar
wäre. Syrien, Terrorismus und Migration werden wei-
terhin im Mittelpunkt stehen. Die Umwälzung des
traditionellen VN-Peacekeepings hin zu robusten
Kampfeinsätzen wird sich fortsetzen. Österreich
muss darauf achten, seine Position in den VN durch
gezielte Fortsetzung langjähriger Prioritäten zu wah-
ren und zu stärken.
Ausmaß der globalen Herausforderungen und die Ein-
sicht auch der Supermacht USA, dass kein Land diese
Herausforderungen alleine meistern kann, zwingen die
Mitgliedsstaaten zur Suche nach multilateralen Lösun-
gen. Allerdings haben die Krisen der letzten Jahre das
gebracht. Eine Erneuerung des Bekenntnisses der Mit-
gliedsstaaten zu den VN und tief greifende strukturelle
Veränderungen innerhalb des VN-Systems sind daher
unabdingbar.
… bei zunehmender Polarisierung
Die in den letzten Jahren zu beobachtende Polarisie-
rung wird weiter zunehmen. Russland tritt sowohl in-
ner- als auch außerhalb der VN zunehmend dominanter
auf. Auch China wird seine Interessen vermehrt selbst-
sicher durchzusetzen versuchen. Entwicklungs- und
Schwellenländer treten ebenfalls immer selbstbewusster
348 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
auf. Als „westlich“ wahrgenommenen Themen und An-
liegen – wie z.B. Menschenrechte, Rule of Law oder zu-
nehmend auch die Demokratie per se – wird weiterhin
ein rauer Wind entgegen wehen.
Kooperation, Blockade und (keine) Re-
form im Sicherheitsrat
Die Mitglieder des VN-SR werden auch künftig bei vie-
len Fragen zusammenarbeiten – insbesondere bei regio-
-
rien) wird es aber nur dann zu Fortschritten statt Blo-
ckaden kommen, wenn die Interessen aller ständigen
SR-Mitglieder sowie von Regionalmächten bedient wer-
den können. Die Dynamik im SR wird sich mit den
fünf neuen nicht-ständigen Mitgliedern nicht wesent-
lich verändern – mit Ausnahme vielleicht der span-
nungsgeladenen Beziehung zwischen der Ukraine und
Russland. Forderungen nach einer Reform des VN-SR
werden weiterhin laut werden, es wird dem aber wohl
nicht in Form einer umfassenden Reform Rechnung ge-
tragen werden. Schrittweise Verbesserungen der Ar-
beitsmethoden und die Einbindung aller VN-Mitglieds-
staaten, wie dies von Österreich und anderen Staaten
gefordert wird, könnten unmittelbar die größten prakti-
schen Fortschritte bringen.
Krisenherde ohne Lösung in Sicht …
Eine Vielzahl an Krisenherden, insbesondere in der
Nachbarschaft Europas, wird weiterhin die gesamte
Aufmerksamkeit der VN und ihrer Mitgliedsstaaten er-
fordern. Syrien, Libyen, der Irak, die Terrororganisation
„Islamischer Staat“ und der Jemen werden auch 2016
im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die VN werden
ihre Bemühungen um die Schaffung politischer Platt-
formen fortsetzen, dabei aber vom Kräftespiel der
-
pern könnte sich ein Fenster für eine Lösung des Kon-
Sofern es 2016 Impulse für eine Lösung des Nahost-
-
ment der USA abhängig sein.
… feuern die größte Flüchtlings- und Mig-
rationswelle seit dem Zweiten Weltkrieg
an
Eine Rückkehr der zwölf Millionen intern vertriebenen
möglich sein. Die Nachbarländer Syriens und die huma-
nitären Organisationen werden weiterhin mit enormen
Flüchtlingszahlen zu kämpfen haben. Auch der Migrati-
onsdruck in Richtung Europa aus dem Nahen Osten
und Afrika wird unvermindert anhalten.
Dort mitwirken, wo man sich (relativ) ei-
nig ist – Reform des Peacekeepings
Die laufende umfassende Reform des VN-Peace-
vor Ende seiner Amtszeit aktiv weiter verfolgt werden.
-
dungslage als in der Vergangenheit und pro-aktiven
Mandaten zum Schutz von Zivilisten wird zum Stan-
dard. Lateinamerikanische und europäische Staaten
kehren ins Peacekeeping zurück. China wird seine Be-
teiligung massiv ausbauen. Staaten, die nicht bereit sind,
hier mitzuziehen, werden sukzessive aus dem Peace-
keeping gedrängt werden und müssen einen entspre-
chenden Imageverlust hinnehmen. Die Entscheidung
zur Beteiligung an der VN-Mission in Mali wird diesem
Umstand für Österreich entgegenwirken.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 349
KERNPUNKTE
• Die Relevanz der Vereinten Nationen wird auch
2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine
Lösung der größten internationalen Krisen abseh-
bar wäre. Syrien, Terrorismus und Migration wer-
den weiterhin im Mittelpunkt stehen.
• Die Umwälzung des traditionellen VN-Peace-
keepings hin zu robusten Kampfeinsätzen wird sich
fortsetzen.
• Österreich muss darauf achten, seine Position in
den VN durch gezielte Fortsetzung langjähriger Pri-
oritäten zu wahren und zu stärken.
Agenda 2030 als weltweite Orientie-
rungsmarke für nachhaltige Entwicklung
Was die Staatengemeinschaft erreichen kann, wenn sie
an einem Strang zieht, zeigt die Annahme der Agenda
2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen und
169 Unterzielen. Anders als die Millenniumsentwick-
lungsziele richten sich die Entwicklungsziele an alle
Staaten und stellen eine wegweisende Skizze für eine
Trendumkehr in Richtung Nachhaltigkeit dar. Die Fra-
ge der Umsetzung der Agenda 2030 wird die Staaten so-
wohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene
beschäftigen.
Herausforderungen für Österreich
Im sich intensivierenden Wettkampf zwischen den VN-
Mitgliedsstaaten (VN-MS) und Regionen muss Öster-
reich darauf achten, sich nicht auf den Lorbeeren der
Vergangenheit auszuruhen und den Anschluss an ande-
re, aktivere MS nicht zu versäumen. Dies betrifft das
Peacekeeping, das Teil des österreichischen Selbstver-
zum multilateralen System oder die stark gestiegene
Konkurrenz für den Amtssitz Wien. Österreich muss
weiter nachschärfen. Das starke Engagement im Abrüs-
tungsbereich, insbesondere die glaubwürdige Priorisie-
rung der nuklearen Abrüstung, wird Österreich auch
2016 unter den VN-MS viel Sympathie bringen und ist
ein Alleinstellungsmerkmal – bei gleichzeitiger Irritati-
on mancher Freunde.
Eine Frau an der Spitze der UNO?
den. Die Osteuropäische Regionalgruppe, die noch nie
die eine Frau an der Spitze der Organisation fordern. So
könnte es leicht sein, dass es ab 2017 (zumindest) ein
Novum an der Spitze der VN gibt. Der Auswahlprozess
der Auswahl soll erstmals transparenter und unter stär-
gen. Letztlich führt aber weiter kein Weg an der not-
wendigen Einigkeit der Ständigen Sicherheitsrats-
mitglieder vorbei.
KEY NOTES
• The United Nations’ relevance will continue to in-
crease in 2016 without necessarily providing solu-
tions to the biggest international crises. The focus
will remain on Syria, terrorism and migration.
• The transformation of traditional UN-peacekeeping
towards robust combat operations will continue.
• Austria has to be careful about preserving and
strengthening its position in the UN by setting clear
long-time priorities.
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2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine
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350 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ÖSTERREICH UND DIE
OSZE 2016
Christian Strohal
Hintergrund
Die aktive Mitwirkung Österreichs in der OSZE ent-
spricht in besonderer Weise den Schwerpunktsetzun-
Vor dem Hintergrund der schwersten sicherheitspo-
litischen Krise in Europa seit Jahrzehnten tritt Öster-
reich am 1. Jänner 2016 in die Vorsitztroika der Or-
ganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (OSZE) ein, um ein Jahr später von Deutsch-
land den Vorsitz zu übernehmen. In der Ukraine-Kri-
se hat sich die OSZE als vorrangiges Instrument für
Krisenmanagement bewährt. Inwieweit das mit der
Krise zutiefst erschütterte Vertrauen wieder aufge-
baut werden kann, wird die übergeordnete Heraus-
forderung für die Vorsitze darstellen.
gen in der österreichischen Außen- und Sicherheitspo-
litik. Die OSZE als größte regionale
Sicherheitsorganisation nimmt einen umfassenden Si-
cherheitsbegriff zum Ausgangspunkt, der den einzel-
nen Menschen in das Zentrum stellt und Rechtsstaat-
lichkeit und Menschenrechte ebenso wie
wirtschaftliche und umweltbezogene Kriterien zusätz-
lich zu politisch-militärischen Faktoren berücksichtigt.
Österreich hat daher auch seit Beginn der Arbeiten im
Rahmen des OSZE-Vorläufers Konferenz für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in den
-
sätze, Prinzipien und Leitdokumente ebenso mitge-
wirkt wie an der politischen und institutionellen Aus-
gestaltung. Aufgrund dieses nationalen Engagements
für die Zusammenarbeit in Europa wurden auch der
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 351
diplomatische Apparat um die Hauptorgane Ständiger
Rat und Forum für Sicherheitszusammenarbeit (FSK)
sowie das Sekretariat in Wien angesiedelt. Wesentlich
bleiben vor allem in operationeller Hinsicht die Institu-
tionen und Feldmissionen der Organisation, in denen
mehr als drei Viertel des Personals von insgesamt etwa
3000 Personen tätig sind. Mit diesem sukzessive erwei-
terten Instrumentarium ist es gelungen, die Organisati-
on zu einem ganz wesentlichen Faktor in der Sicher-
heitspolitik Europas zu machen und die
Transformations- und Reformprozesse nach dem Ende
des Kalten Krieges zu unterstützen.
Die Ukraine-Krise und die Folgen
umfassenden Sicherheitsgemeinschaft zutiefst erschüt-
tert. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim
und der Destabilisierung der Ostukraine wurden auch
die grundlegenden Prinzipien der Organisation verletzt
-
tion ihr einzigartiges Instrumentarium zum operativen
Krisenmanagement unter Beweis gestellt. Neben den
laufenden Diskussionen in den genannten Organen
konnte vor allem mit militärischen Inspektionen und
der raschen Entsendung verschiedener Missionen in
der Anfangsphase der Krise zu einer gewissen Deeska-
lation beigetragen werden. Entscheidend war sodann
die darauf folgende Entsendung der dzt. größten Feld-
mission, der Special Monitoring Mission mit ihren fast
1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter ca.
20 aus Österreich. Damit konnte eine Stabilisierung er-
reicht und im Zusammenwirken mit der Trilateralen
Kontaktgruppe des OSZE-Vorsitzes (derzeit unter Lei-
tung des österreichischen Diplomaten Martin Sajdik)
auch in den politischen Verhandlungen eine entspre-
chende gegenseitige Unterstützung sichergestellt
werden.
Die Ukraine-Krise hat aber auch gravierende Auswir-
kungen auf eine Reihe anderer Arbeiten der Organisa-
in anderen Teilen der OSZE-Region betrifft, von Zent-
ralasien über den Kaukasus und Moldau/Transnistrien
-
hin und droht zum Teil, tendenziell an Ausmaß und
-
missionen der OSZE sind hier ebenso gefordert wie
-
schen Verhandlungsprozesse, die bisher zumeist nur
konnten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden,
dass bewaffnete Auseinandersetzungen zu weiterer De-
stabilisierung führen könnten.
Andere sicherheitspolitische
Herausforderungen
-
ren Bewältigung nur mittels intensiver gemeinsamer
Anstrengungen gelingen kann. Die OSZE hat ihre Ak-
tivitäten daher auch laufend an diese neuen Herausfor-
derungen angepasst. Schwerpunkte sind die Bekämp-
fung von Terrorismus, Radikalisierung und
Diskriminierung, Menschenhandel und organisiertem
Verbrechen sowie von Wahlbetrug und Einschränkun-
gen der Medienfreiheit. Weitere Aufgabenfelder sind
die Stärkung der nationalen Kapazitäten für Krisen-
vorsorge sowie transnationale Problemstellungen wie
die Suche nach einer effektiven Antwort auf die aktuel-
len Migrationsströme und die Bedeutung einer verbes-
-
aus, v. a. im Mittelmeerraum.
352 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Dazu kommt die Notwendigkeit, im militärischen Bereich
sicherheits- und vertrauensbildende Maßnahmen zu mo-
und asymmetrischen militärischen Bedrohungen und be-
waffneten Auseinandersetzungen haben das auf die kon-
ventionellen Bedrohungsformen zugeschnittene OSZE-
gebracht. Vor allem gilt es, das zuletzt 2011 angepasste
Wiener Dokument als Instrument der Vertrauens- und Si-
cherheitsbildung wieder an die aktuellen militärischen Re-
alitäten anzupassen. Neben der Stärkung des Mechanis-
mus zur Risikoreduzierung bedarf es einer quantitativen
und qualitativen Verbesserung der Transparenzmaßnah-
men. Zielsetzung sollte eine verbesserte Vorhersagbarkeit
und Berechenbarkeit von militärischen Ereignissen sein.
Das für Februar 2016 in Wien festgesetzte hochrangige
OSZE-Staaten zur Diskussion der nationalen Militärdokt-
rinen stellt nach fünf Jahren wieder eine besondere Mög-
lichkeit dar, wichtige Impulse für verbesserte Vertrauens-
bildung im militärischen Bereich zu geben und den
militärischen Dialog unter allen OSZE Staaten wieder auf-
zunehmen und zu intensivieren.
Die Rolle des Vorsitzes
ein Jahr gewählten OSZE-Vorsitz besondere Bedeutung
zu; gemeinsam mit der Troika aus Vorgänger und Nachfol-
ger im Vorsitz werden nicht nur die zahlreichen Verhand-
lungsstränge geführt, sondern auch inhaltliche Vorgaben
in die dafür notwendigen Konsensbeschlüsse umgesetzt
und der jährliche Ministerrat vorbereitet und organisiert.
Außerdem dient dem Vorsitz eine Reihe von Sonderbeauf-
-
sche und thematische Problemstellungen.
Nach der Schweiz 2014 und Serbien 2015 wird der Vor-
sitz im Jahr 2016 von Deutschland und 2017 von Öster-
reich übernommen. Bereits im Jahr 2016 nimmt Öster-
reich als Mitglied der Troika an allen politischen und
diplomatischen Bemühungen des Vorsitzes teil und
führt selbst den Vorsitz im Budgetausschuss der Orga-
nisation und in der Kontaktgruppe mit den mediterra-
nen Partnern.
Schwerpunktsetzungen
Die Schwerpunkte des jeweiligen Vorsitzes ergeben sich
zunächst aus der aktuellen Sicherheitssituation in der
OSZE-Region und den Prioritäten der 57 Teilnehmer-
-
fristige Entwicklungen auf den Ergebnissen vorherge-
gangener Vorsitze aufzubauen und bestimmte Themen
weiter zu verstärken.
Aus österreichischer Sicht stellen sich dafür grundsätz-
lich mehrere aktuelle Herausforderungen. Vorrangig ist
es mehr denn je notwendig, das verlorene Vertrauen
wiederherzustellen und die Einhaltung der von allen
-
bessern. Dazu wird es erforderlich sein, die politischen
und diplomatischen Möglichkeiten besser zu nützen
und vor allem die Institutionen und Feldmissionen der
Organisation zu stärken. Für diese Zielsetzungen sind
Maßnahmen in allen Arbeitsbereichen notwendig:
• Wiederherstellung der werte- und normenbasierten
Zusammenarbeit aller OSZE-Staaten zur wir-
kungsvollen Bekämpfung neuer Herausforderun-
gen wie vor allem transnationaler Bedrohungen,
• Abstimmung und Koordinierung der diesbezügli-
chen Anstrengungen mit entsprechenden Aktivitä-
ten in den Vereinten Nationen und anderen regio-
nalen Foren,
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 353
• Förderung und Unterstützung der grundsätzlichen
Diskussion der konventionellen regionalen Rüs-
tungskontrolle und Anpassung des Wiener Doku-
ments zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden
Maßnahmen an militärische Realitäten,
• Stärkung der OSZE und ihrer Feldmissionen im
Bereich gute Regierungsführung, Umweltschutz
sowie Korruptionsbekämpfung,
• Verstärkung der wirtschaftlichen und umweltbezo-
genen Konnektivität unter den OSZE-Staaten und
• Stärkung konkreter Aktivitäten zur Förderung von
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und
Menschenrechten,
• Stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in alle
Aktivitäten der Organisation,
• Stärkung der Implementierungskontrolle in allen
Bereichen,
• gezielte Befassung mit Fragen der Migration und
allen damit zusammenhängenden sicherheitspoli-
tisch relevanten Phänomenen,
• intensiverer Fokus auf die Kapazitäten der Organi-
• Intensivierung der Einbindung der OSZE-Partner-
staaten und internationaler Organisationen zu
Kernthemen der OSZE.
Insgesamt gilt es, das Engagement aller 57 Mitglieder
für die Organisation zu stärken, um die gemeinsame
Verantwortung für die umfassende Sicherheit in der ge-
samten Region wiederherzustellen.
KERNPUNKTE
• Seit der Ukraine-Krise erlebt die OSZE eine Renaissance als vorrangiges Instrument für Krisenmanagement.
• Dieses wieder gewonnene gestärkte Verständnis wird auch 2016 fortgesetzt.
• Die neuen hybriden und asymmetrischen militärischen Bedrohungen machen es notwendig, sicherheits- und
vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zu modernisieren und zu stärken.
• Nach der Schweiz 2014 und Serbien 2015 wird der Vorsitz im Jahr 2016 von Deutschland und 2017 von Öster-
reich übernommen.
• Um das verloren gegangene Vertrauen wieder zu stärken, sollten die politischen und diplomatischen Möglich-
keiten besser genützt und die Institutionen und Feldmissionen der OSZE 2016 gestärkt werden.
KEY NOTES
• Since the Ukraine crisis the OSCE has experienced a renaissance as the principal instrument of crisis
management.
• This renewed appreciation will continue in 2016.
• The new hybrid and asymmetric military threats make it necessary to strengthen and modernise security and
• After Switzerland 2014 and Serbia 2016 the presidency will be taken by Germany, and, in 2017, by Austria.
• To renew lost trust, the diplomatic and political possibilities should be better used, and OSCE institutions and
missions strengthened in 2016.
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354 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ÖSTERREICH UND DIE
NATO 2016
Jürgen Meindl
Österreich beteiligt sich an verschiedenen Operationen
mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates, die von der
NATO geführt werden. Dieses Engagement setzt die
Die österreichischen Beziehungen zur Nordatlantik-
Organisation (NATO) werden vor allem im Rahmen
der Partnerschaft für den Frieden (PfP) gestaltet, an
der Österreich seit 20 Jahren teilnimmt. Wie andere
neutrale und bündnisfreie Staaten (Finnland, Irland,
Schweden, Schweiz) hat Österreich nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs seine Zusammenarbeit mit
der NATO verstärkt. Neben der PfP (Teilnahme seit
1995) ist Österreich seit 1997 auch Mitglied im Eu-
ro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC).
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 355
jahrzehntelange österreichische Tradition fort, zu frie-
denserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen
beizutragen. Seit dem ersten Einsatz unter UNO-Flag-
ge im Kongo 1960 war Österreich an zahlreichen
UNO-Einsätzen beteiligt, wie z.B. in Zypern (seit
-
gowina (1996 bis heute), im Kosovo (1999 bis heute)
oder Afghanistan (2002 bis heute).
Umsetzung der Gipfelbeschlüsse von
Wales
Das Jahr 2016 wird für die NATO im Zeichen des War-
am 8./9. Juli stehen. Dabei wird es vor allem darum ge-
-
zwischen umgesetzt worden sind, die eine grundlegen-
de Anpassung der NATO an das geänderte
sicherheitspolitische Umfeld der letzten Jahre einleiten.
zunehmende Orientierung der Allianz zum internatio-
nalen Krisenmanagement zu beobachten war, rückt be-
sonders seit den Ereignissen in der Ukraine die traditio-
nelle Aufgabe der kollektiven Verteidigung nach Art. 5
des NATO-Vertrages wieder stärker in den Vorder-
grund. Die Herausforderungen in diesem Zusammen-
hang werden der Wiederaufbau der klassischen Vertei-
digungskapazitäten und das gleichzeitige Bewahren der
Krisenlösungskapazitäten sein. Trotz des 2014 in Wales
vorgegebenen langfristigen Ziels der Mitgliedsstaaten,
zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung aufzuwenden,
dürfte sich diese Aufgabe angesichts der allgemeinen
Austeritätspolitiken äußerst schwierig gestalten.
Hochdruck an der Umsetzung des Readiness Action
Plans (RAP) gearbeitet, mit dem in Wales die schnellere
Einsatzbereitschaft der NATO beschlossen wurde.
Sichtbarstes Element des RAP ist die Schaffung einer
Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), einer
5000 Mann starken Truppe, die bei Bedarf in nur zwei
Tagen einsatzbereit sein soll. Diese Kräfte sollen jedoch
nicht permanent in den neuen Mitgliedsstaaten statio-
niert werden, um eine Verletzung der NATO-Russland-
Akte aus 1997 zu vermeiden. Zur Umsetzung des RAP
wurden sechs NATO Force Integration Units (NFIU)
geschaffen, die mit einer Belegschaft von je 40 Perso-
nen erforderlichenfalls den raschen Einsatz von
NATO-Truppen in den östlichen Mitgliedsstaaten der
Allianz unterstützen sollen. Diese neuen Einrichtun-
gen, die im September 2015 in Litauen, Bulgarien, Est-
land, Lettland, Polen und Rumänien eröffnet bzw. für
Ungarn und die Slowakei beim Verteidigungsminister-
rat am 8. Oktober 2015 beschlossen wurden, sollen bis
Mitte 2016 voll funktionsfähig sein.
Herausforderungen im Süden
sich die NATO auch in ihrem Süden Bedrohungen ge-
genüber, auf die die südlichen Alliierten nachdrücklich
hinweisen. 2016 wird die NATO ihre Planungen auch
für diese Regionen intensivieren müssen. Die bereits
begonnene Partnerschaft mit Libyen vor allem im Be-
reich des Aufbaus von Verteidigungskapazitäten, die
-
stellt werden musste, könnte im Falle der Schaffung ei-
ner Regierung der Nationalen Einheit fortgesetzt
werden.
Die derzeit aber weitaus drängenderen Fragen sind die
eines möglichen Engagements in Syrien und der weite-
ren Vorgehensweise in Afghanistan. Das jüngste militä-
rische Eingreifen der Russischen Föderation in Syrien
356 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
auf Seiten des Assad-Regimes hat auch in der Allianz
eine Diskussion über ihre Positionierung in diesem
die massiven Flüchtlings- und Migrationsströme
ausgelöst.
Afghanistan
Die jüngste Eroberung der afghanischen Stadt Kunduz
durch eine geringe Anzahl von Taliban-Kämpfern und
die damit verbundene Frage der Nachhaltigkeit der
NATO-Bemühungen im Rahmen der Resolute Support
Mission (RSM) dürfte die Bereitschaft für ein derarti-
ges Engagement unter den Mitgliedsstaaten nicht erhö-
hen. Es darf – nicht zuletzt aufgrund der Ankündigung
der Verlängerung der US Präsenz in Afghanistan durch
US-Präsident Barack Obama im Oktober 2015 – be-
zweifelt werden, dass der geplante Übergang der RSM
in die schlankere Ausbildungsmission „Enhanced
Enduring Partnership“ bereits in den nächsten Monaten
Neue Bedrohungen
Nicht nur geopolitisch, sondern auch thematisch sieht
sich die NATO neuen Herausforderungen gegenüber.
NATO derzeit eine Strategie der Reaktion auf hybride
Kriegsführung. In diesem Bereich kooperiert sie eng
mit der EU, die ebenfalls Planungen zu dieser Thematik
entwickelt. Weiter intensiviert werden sollen auch die
NATO-Vorbereitungen im Bereich Cyber-Verteidigung.
Österreich ist hier unter den PfP-Partnern führend und
beteiligt sich an entsprechenden Übungen im Rahmen
des Cooperative Cyber Defence Centre of Exellence.
Inhaltlich wird sich Österreich – u. a. gemeinsam mit
Norwegen – vor allem im Bereich „Protection of Civili-
ans“ (PoC) engagieren und auch mit weiteren Partnern
versuchen, dieses Thema verstärkt in die Kooperation
mit der NATO einzubringen.
Straffung und Stärkung von
Partnerschaften
Derzeit läuft in der NATO ein Diskussionsprozess über
die künftige Zusammenarbeit mit den Partnern. Im
Laufe der letzten Jahre ist die Zahl und Art der Partner-
schaften der NATO mit NichtMitgliedsstaaten (und
auch internationalen Organisationen) stetig gewachsen.
Die von manchen als unübersichtlich bezeichnete Fülle
verschiedener Formate steht durchaus in einem gewis-
sen Spannungsverhältnis zur Wahrnehmung der Nütz-
So arbeite die NATO derzeit an einem „Longterm Ap-
proach“, der die Straffung und Fokussierung der Part-
nerschaften zum Ziel hat. Bereits in der Vorbereitung
-
formate eine entscheidende Neuerung durch die Schaf-
fung der Interoperabilitätsplattformen sowie der En-
hanced Opportunities Partnership, die die
Interoperabilität und geostrategische Bedeutung der
Partner fokussiert.
Angesichts der Neuerungen des Jahres 2014 und der ak-
tuellen Diskussionen gilt es, bestehende Formate wie je-
nes der WEP-5 (Western European Partners: Finnland,
Irland, Österreich, Schweden und Schweiz; mit Malta
WEP-6), an dem neutrale und allianzfreie Staaten teil-
nehmen, zu stärken. Damit sollten auch Tendenzen der
Erodierung dieses Formats, die sich nach der Aufnah-
me von Finnland und Schweden in die Enhanced Op-
portunityPartnership (EOP) abzeichneten, eingedämmt
werden.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 357
KERNPUNKTE
• Am NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 wird
die laufende grundlegende Anpassung der NATO
an das geänderte sicherheitspolitische Umfeld
überprüft.
• Die Planungen der NATO gegenüber Bedrohungen
aus dem Süden werden intensiviert.
• Die österreichischen Beziehungen zur NATO werden
vor allem im Rahmen der NATO-Partnerschaft für
den Frieden gestaltet. Daneben ist Österreich auch
Mitglied im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat.
• Die NATO möchte und wird ihre Partnerschaftsfor-
mate straffen und stärken.
• Die Beteiligung an UN-mandadierten NATO-Einsät-
zen setzt die jahrzehntelange österreichische Tra-
dition fort, zu friedenserhaltenden Operationen der
Vereinten Nationen beizutragen.
• Inhaltlich wird sich Österreich vor allem im Bereich
„Protection of Civilians“ engagieren.
• Als geschätzter Partner sollte Österreich gemein-
sam mit den neutralen und allianzfreien Partnern
überlegen, wie die Kooperation mit der NATO in Zu-
kunft aussehen könnte.
Die gemeinsamen Einsätze mit Partnerländern u. a. in
Afghanistan wie auch die von Oktober bis November
datinnen und Soldaten, 140 Flugzeuge, 60 Schiffe,
9 Partnerländer inkl. Österreich) zeigen jedoch, dass die
Partnerschaften auch der NATO zum Nutzen gerei-
chen. Auch hier kommt das traditionell hohe Niveau
der Interoperabilität der Partner zum Tragen; sei es da-
durch, dass angesichts der Vielzahl der Bedrohungen
jede Unterstützung hilfreich ist, oder aber auch, weil auf
Kenntnisse der Partnerländer zurückgegriffen wird,
über die die NATO nicht verfügt.
Als Nichtmitglied, aber von der Allianz geschätzter
Partner sollte Österreich daher seinerseits sowohl in-
nenpolitisch wie auch gemeinsam mit den allianzfreien
Partnern überlegen, wie die Kooperation mit der
NATO in Zukunft aussehen könnte und mögliche Be-
KEY NOTES
• The NATO summit in Warsaw in July 2016 will re-
view the ongoing adaptation of NATO to a changing
security environment.
• NATO will intensify its planning against threats from
the south.
• Austrian relations with NATO are shaped within the
framework of the NATO Partnership for Peace. In
addition, Austria is a member of the Euro-Atlantic
Partnership Council.
• NATO wants to and will streamline and strengthen
its partnership formats.
• Participation in UN-mandated NATO operations
continues Austria’s decades-long tradition of con-
tributing to UN-peacekeeping operations.
• Content-wise Austria will mainly engage in the „Pro-
tection of Civilians“.
• As a valued partner Austria should consider - to-
gether with other neutral and non-aligned partners
- what cooperation with NATO might look like in the
future.
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• The NATO summit in Warsaw in July 2016
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security environment.
• NATO will intensify its planning agai
the south.
• Austrian relations with NATO ar
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ende grundlegende Anpassung der NATO
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358 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
FINANZSICHERHEIT IN
ÖSTERREICH 2016
Margit Schratzenstaller
Neben dem nach wie vor schwierigen makroökonomi-
schen Umfeld sorgen einige spezielle Faktoren dafür,
dass die Budgetpolitik auch 2016 – so wie schon in den
letzten Jahren – auf anhaltend schwierige Ausgangsbe-
dingungen trifft. So wird insbesondere der Bundes-
haushalt auch in den nächsten Jahren mit Belastungen
durch die weitere Abwicklung der (teilweise) notver-
staatlichten Banken konfrontiert sein, vor allem durch
die Abwicklungsgesellschaft für die Hypo Alpe Adria.
Allerdings wird aus heutiger Sicht die laufende Budget-
belastung in den kommenden Jahren deutlich geringer
Auch 2016 steht die Finanzpolitik vor großen Her-
ausforderungen. Mäßige Wachstumsaussichten
und eine historisch hohe Arbeitslosigkeit belasten
die öffentlichen Haushalte und erfordern ein Gegen-
umfangreichen Senkung der Lohn- und Einkommen-
steuer sicherzustellen, um den angestrebten Bud-
getpfad nicht zu gefährden.
sein als im Zeitraum 2009 bis 2014. Wurde 2014 das
5,4 Mrd. € erhöht, wird für 2015 mit knapp 2,1 Mrd. €
und für 2016 mit 0,7 Mrd. € gerechnet.
Zusätzlicher Finanzierungsbedarf
wie Bildung/Schule, Universitäten, Kinderbetreuung
sowie Forschung und Entwicklung zusätzlicher Finan-
zierungsbedarf. Zusätzlich zu den bereits seit einigen
Jahren gewährten Offensivmitteln für Universitäten
und Fachhochschulen, vorschulische Kinderbetreu-
ungseinrichtungen und den Ausbau der schulischen
Nachmittagsbetreuung sowie den Wohnbau werden ab
2016 zusätzliche Mittel für Universitäten und Fach-
hochschulen, den Ausbau des Breitbandnetzes, eine Be-
schäftigungsinitiative für ältere Arbeitnehmer sowie
Kurzarbeit bereitgestellt. Auch die Mittel für innere Si-
cherheit und Landesverteidigung werden aufgestockt.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 359
Im Rahmen eines Sicherheitspaketes werden für die in-
nere Sicherheit zwischen 2015 und 2018 jährlich zusätz-
lich 72 Mio. € ausgegeben. 2015 werden weitere Zusatz-
ausgaben in Höhe von 70 Mio. € für
sicherheitspolizeiliche Maßnahmen gewährt. Für die
Landesverteidigung werden von 2016 bis 2019 insge-
-
ten verausgabt.
Zukunftsinvestitionen
Zur Konjunkturstützung und um der stark steigenden
Arbeitslosigkeit gegenzusteuern, wurden Ende Oktober
2015 im Rahmen eines Arbeitsmarkt- und Wachstums-
gipfels einige weitere Maßnahmen vereinbart: Als erster
Schritt einer stufenweise Senkung der Lohnnebenkos-
ten für die Unternehmen im Umfang von 1 Mrd. € bis
2018 werden 2016 die Beiträge der Unternehmen zum
Insolvenzentgeltfonds gesenkt. Die Mittel für Arbeits-
marktpolitik, die mit dem Bundesvoranschlag 2016 um
250 Mio. € erhöht wurden, werden um weitere
50 Mio. € aufgestockt. Allerdings sind weitere Spielräu-
me für eine Ausweitung der für Zukunftsinvestitionen
-
ge des aktuellen Ausgabenpfades sowie der gesetzten
steuerlichen Anreize eine Erreichung der für 2020 an-
gestrebten Forschungsquote von 3,76 % des BIP un-
wahrscheinlich. Auch das Ziel, bis 2020 2 % des BIP
für den tertiären Bildungsbereich auszugeben, kann auf
der Basis der aktuellen Ausgabenplanungen kaum er-
Bildungsbereichs bleibt 2016 bestehen.
Von der im Frühjahr 2015 beschlossene Steuerreform
2015/16 werden leicht positive Impulse für Konjunktur-
und Beschäftigungsentwicklung ausgehen. Unsicherhei-
-
rung. Ambitioniert erscheinen insbesondere die
erwarteten Einnahmen aus der Bekämpfung von Steu-
erhinterziehung und Sozialbetrug mit insgesamt
1.965 Mio. €. Zudem steht eine Konkretisierung der
erwarteten Einsparungen von Bund und Ländern in
Höhe von 1,1 Mrd. € noch aus.
Mehrausgaben für Flüchtlinge
Schwierig zu prognostizieren sind die Mehrausgaben für
Flüchtlinge. Für 2016 werden auf Bundesebene Mehr-
ausgaben von etwa 500 Mio. € erwartet, die sich aus
sowie für Integrationsmaßnahmen von 75 Mio. € zu-
-
Mindestsicherung und Flüchtlingsunterbringung, die
innerösterreichischem Stabilitätspakt angerechnet wer-
den, zugestanden. Die mittelfristige Budgetbelastung
wird auch davon abhängen, wie erfolgreich die Zuwan-
derer in das (Aus-) Bildungssystem sowie in den Ar-
beitsmarkt integriert werden können. In diesem Zusam-
menhang ist darauf hinzuweisen, dass die Aufstockung
der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, die in
den letzten Jahren de facto stagnieren, an Dringlichkeit
gewonnen hat.
Staatsschulden
Schließlich birgt auch die weitere Zinsentwicklung für
die (Re-)Finanzierung der Staatsschuld eine gewisse
Unsicherheit. Diese dürfte jedoch aufgrund des hohen
auch in den letzten Jahren ständig steigenden Restlauf-
zeit des gesamten Schuldenportfolios, des hohen Fix-
360 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Mäßige Wachstumsaussichten und eine historisch hohe Arbeitslosigkeit belasten 2016 die öffentlichen
Haushalte.
•
• Die Schuldenquote sinkt nach ihrem Höchststand von über 86% 2016 erstmals wieder.
• Wichtige Zukunftsbereiche wie Bildung, Forschung, Universitäten und Kinderbetreuung erfordern zusätzliche
Mittel.
•
Bankenhilfen und Flüchtlinge.
zinsanteils sowie des zurückgehenden Neuverschul-
dungsbedarfs zumindest mittelfristig begrenzt sein.
Vor dem Hintergrund der genannten Budgetrisiken er-
scheinen die Verschuldungsziele für 2016 als ambitio-
grenzung soll laut Bundesvoranschlag 2016 auf 1,4 %
des BIP sinken. Nach der Bereinigung um konjunktu-
ein nahezu ausgeglichener Haushalt erreicht werden.
Die Schuldenquote, die mit über 86 % des BIP 2015 ei-
nen historischen Höchststand erreichen wird, soll 2016
auf 85,1 % des BIP zurückgeführt werden.
Reformbedarf
Jedenfalls sind im öffentlichen Sektor weitere struktu-
relle Reformmaßnahmen erforderlich, um budgetäre
Spielräume für die erforderliche Ausweitung der Zu-
kunftsinvestitionen und perspektivisch auch für eine
Rückführung der auch nach der Steuerreform über-
durchschnittlich hohen Abgabenhöhe zu schaffen. Dies
betrifft insbesondere die überfällige Föderalismusre-
form. Aber auch eine umfassende Reform des Förder-
systems ist überfällig. Ebenso sind weitere konkrete
sundheitsreform erforderlich. Schließlich sollte auch das
seit längerem angekündigte Pensionsmonitoring umge-
setzt werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen
zur Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters tat-
sächlich ihre geplanten Wirkungen entfalten.
KEY NOTES
•
•
• After its peak at over 86%, the debt ratio will, in 2016, decline again.
• Important future-oriented areas such as education, research, universities, and child care will require additio-
nal funds.
•
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schnittlich hohen Abgabenhöhe
betrifft insbesondere die überfällige Föderalis
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seit längerem angekündigte Pensionsmonitoring umge-
setzt werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen
zur Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters tat-
sächlich ihre geplanten Wirkungen entfalten.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 361
TERRORISMUSABWEHR IN
ÖSTERREICH 2016
Peter Gridling
Rechtsextremismus und rechtsextremis-
tischer Terrorismus
Der Rechtsextremismus in Österreich stellt gegenwärtig
-
lungsfähigkeit des Staates bzw. der Verfassung dar. Für
die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit sind ein-
-
wie Einzelaktivisten jedoch – temporär und anlassbezo-
gen – als Risiko zu bewerten.
Der Beitrag behandelt drei staatsschutzrelevante
Phänomenbereiche: Rechtsextremismus, Links-
extremismus und islamistischer Extremismus so-
wie die daraus resultierenden terroristischen Ge-
fährdungslagen, die in der Terrorismusbekämp-
fung im Focus stehen. Sowohl der
Rechtsextremismus als auch der Linksextremis-
mus in Österreich stellen keine ernsthafte Gefahr
für die Funktions- und Handlungsfähigkeit des
Staates dar. Indikatoren für terroristische An-
schläge durch Akteure aus diesen Szenen sind
aktuell nicht evident. Hingegen kann im Bereich
des islamistischen Extremismus kurz- bis mittel-
fristig mit anhaltenden Radikalisierungs- und Rek-
rutierungsaktivitäten gerechnet werden, die sich
in einem weiteren Ansteigen des Gewaltpotentials
und in der Bereitschaft der betroffenen Akteure
bzw. Bürgerkriegsgebieten teilzunehmen.
362 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
-
gen nach Europa bzw. Österreich haben in der rechts-
extremistischen Szene zu einer erkennbaren Flücht-
lings- und Asylfeindlichkeit geführt, die auch ein
erhöhtes Aggressionspotential erkennen lassen.
Jedoch sind Indikatoren für die Planung von terroristi-
schen Anschlägen, beispielsweise gegen Asylwerberun-
terkünfte, oder den Aufbau von terroristischen Struktu-
ren in der rechtsextremen österreichischen Szene
aktuell nicht evident. Allfällige Ansätze und Trends
rechtsterroristischer Natur im europäischen Umfeld
könnten aber Aus- und Rückwirkungen auf die österrei-
chische Rechtsextremistenszene haben.
Linksextremismus und linksextremisti-
scher Terrorismus
Der Linksextremismus stellt gegenwärtig keine ernst-
-
keit des Staates bzw. der Verfassung dar. Für die öffent-
liche Ruhe, Ordnung und Sicherheit sind Teilbereiche
des linksextremen Spektrums jedoch – temporär und
anlassbezogen – als Risiko zu bewerten.
Indikatoren für die Planung von terroristischen An-
schlägen oder den Aufbau von terroristischen Struktu-
ren sind in der linksextremen österreichischen Szene
nicht evident und zumindest kurzfristig auch nicht zu
erwarten.
Islamistischer Extremismus und jihadisti-
scher Terrorismus
in Österreich geht vom islamistischen Extremismus
und Terrorismus aus, wobei in diesem Bereich mehrere
Faktoren wirken:
• Zunehmend internationalisierte Strategien von Ter-
rororganisationen, wie beispielsweise der Terrormi-
liz „Islamischer Staat“ bewirken ein Ansteigen des
• -
sche Länder betreffen oder dort ausgetragen wer-
den, wie derzeit etwa in Syrien und im Irak – sowie
einnimmt, sind wiederkehrende Impulse für die
transnationale jihadistische Bewegung, die sich un-
ter anderem in der zunehmenden Radikalisierung
und Rekrutierung betroffener Menschen
niederschlägt.
• Junge Muslime, aber auch Konvertiten sind oft von
der islamistischen Radikalisierung betroffen. Häu-
-
wie charismatische radikale „Prediger“ bzw. ideolo-
gische Anführer entscheidend. Mit dieser
der Konstituierung von abgeschotteten Milieus.
Milieus, die primär ideologisch oder religiös ge-
-
sellschaft abschotten, können ein fruchtbares Ter-
rain für Radikalisierung bilden, da davon
ausgegangen werden kann, dass innerhalb dieser
mit der Mehrheitsgesellschaft vorhanden sind, die
dienen.
• Österreicher in den Reihen der Terrormiliz „Isla-
mischer Staat“ beteiligten sich 2015 mehrfach an
Propagandaaktivitäten, und im Nachgang zu An-
schlägen wurde zur Begehung gleichgelagerter
Straftaten aufgerufen.
• Bis November 2015 wurden den österreichischen
Behörden über 250 Fälle von sogenannten Jihadis-
ten (Foreign Terrorist Fighters) bekannt.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 363
KERNPUNKTE
• Infolge der Migrationslage können in der rechtsext-
remistisch orientierten Szene Flüchtlings- und Asyl-
feindlichkeit zunehmen.
• Primär ideologisch oder religiös geprägte abge-
schottete Milieus können als fruchtbarer „Nährbo-
den“ für eine potentielle Radikalisierung mit extre-
mistischem Gedankengut dienen.
• Kurz- bis mittelfristig kann die Bereitschaft zur Be-
gehung von Gewalttaten ansteigen.
• Das Internet bzw. Social Media werden mit sehr ho-
her Wahrscheinlichkeit weiterhin durch terroristi-
sche Gruppierungen genutzt werden.
Kurz- bis mittelfristig kann mit anhaltenden Radikali-
sierungs- und Rekrutierungsaktivitäten sowie – bei ei-
ner Verschärfung dieser Bestrebungen – mit einem wei-
werden. Diese schlägt sich in der Absicht bzw. in dem
Ziel nieder, sich einer Ausbildung für eine Kampfbetei-
ligung am sogenannten Jihad zu unterziehen. In diesem
Zusammenhang waren in den vergangenen Jahren ver-
mehrte Reisebewegungen aus Österreich in Richtung
biet, im Focus der Sicherheitsbehörden stehen.
Für die Terrorismusbekämpfung sind auch Aktivitäten
islamistischer Akteure im Internet von Interesse – allen
voran die einschlägige Online-Propagandatätigkeit. Mit
schen Strömung, die mitunter zwar nicht direkt dem ji-
hadistischen – d.h. terroristischen – Spektrum zugeord-
net werden, wesentlich zu Radikalisierung beitragen,
indem sie Sympathien für jihadistische Ideologien er-
kennen lassen. Diese Akteure haben durchaus das Po-
rungen zu fungieren. Die islamistischen Szenen sind
meist durch persönliche und ideologische Verbindun-
gen transnational vernetzt.
Insgesamt wird der Trend zur Nutzung des Internets
für islamistische Propaganda, zur Indoktrination, Rek-
rutierung und Finanzierung sowie zur Legitimation,
terhin (junge) Muslime, aber auch Konvertiten als Ziel-
gruppe der islamistischen Extremisten radikalisiert wer-
den; potentiell könnten diese Radikalisierten letztlich
den Aufrufen zur Teilnahme am sogenannten Jihad –
im Sinne der islamistischen Terroristen – in den diver-
Aufenthaltsländern folgen.
KEY NOTES
• As a result of the migration situation, hostilities
against refugees and asylum seekers may increase
in the right-wing extremist scene.
• Ideologically or religiously charged, closed environ-
ments can serve as a „breeding ground“ for radica-
lization and extremism.
• In the short to medium term, the willingness to
commit acts of violence might increase.
• There is a very high probability of terrorist groups
using the internet and social media.
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tlich zu Radikalisierung beitragen,
den Aufrufen zur Teilnahme am sogenannten
im Sinne der islamistischen Terroristen – in
Aufenthaltsländern folgen.
KEY NOTES
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364 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
MIGRATIONSPOLITIK IN
ÖSTERREICH 2016
Peter Webinger
Derzeit wird Europa von einer noch nie dagewesenen transkontinentalen, weitgehend ungesteuerten und
gleichzeitig kaum steuerbaren Zuwanderungswelle erfasst. Bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen, die
diesem Massenexodus zugrunde liegen, wird sich diese Entwicklung im Jahr 2016 wohl auch in ähnlichen
Quantitäten fortsetzen. Den Ursachen dieser Migration kann nur mit gesamteuropäischen bzw. globalen
Impulsen Rechnung getragen werden – durch umfassende sicherheitspolitische Interventionen bzw. holisti-
sche Hilfs- und Entwicklungsmaßnahmen. Für Menschen, die sich schon in Bewegung gesetzt haben, be-
darf es anderer Lösungen als für jene Personen, die noch vor Ort sind.
Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht,
um Europa herum 20 Millionen. Zudem würden 40
Prozent der erwachsenen Bevölkerung des ärmsten
Viertels aller Staaten gerne dauerhaft migrieren, hätten
sie die Möglichkeit dazu. Bei all diesen großen Zahlen
sollte immer im Bewusstsein bleiben, dass dahinter
Menschen mit Schicksalen und Hoffnungen stehen.
-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 365
len Angaben zwölf Millionen auf der Flucht. Davon al-
Nach Jahren des Abwartens und des Erkennens der tek-
tonischen Verschiebungen der Sicherheitslage wächst
die Perspektivenlosigkeit. Dass sich Menschen in gro-
ßen Quantitäten gleichzeitig in Bewegung setzen, be-
darf aber in der Regel auslösender Momente. Kürzun-
gen des World Food Programms haben bereits eine
Reduktion der zur Verfügung gestellten Lebensmittel
danach, ihren Kindern eine Ausbildung und eine besse-
re Zukunft zu ermöglichen, erkennen aber gleichzeitig,
dass ihre Kinder seit Jahren an keinem geregelten
Schulunterricht mehr teilnehmen können. Dazu gesel-
len sich ermunternde Signale durch potentielle Aufnah-
mestaaten. In Summe machen es diese Faktoren wahr-
scheinlich, und es ist in einer empathischen
Annäherung nur allzu verständlich, dass sich Menschen
Vor allem dann, wenn die Psychologie der Massen ein-
setzt und sich Menschen verstärkt in eine Richtung
bewegen.
Die meisten Flüchtlinge versuchen in Länder zu gelan-
-
den und in denen sie sich Asyl, Arbeit und eine Zukunft
erhoffen. Informationen verbreiten sich über soziale
Netzwerke in einer Art globalem Stille-Post-Spiel. In-
formationen gehen dabei verloren oder werden verzerrt.
Die begleitend transportierten Bilder sprechen zudem
eine klare Sprache: Noch nie war die Chance, nach Eu-
ropa zu gelangen und dort bleiben zu können, so hoch
wie in diesen Tagen, da der bürgerliche Rechtsstaat auf
diese Massenphänomene kaum probate Antworten pa-
Migrationsbewegungen sind kaum
vorherzusehen
Bei all diesen Erkenntnissen ist es dennoch nur sehr
eingeschränkt möglich, Zeitpunkt und Umfang von Mi-
grationsbewegungen zu antizipieren. Unter den derzeit
gegebenen Rahmenbedingungen, die auf das System
Migration wirken, ist es wahrscheinlich, dass der hohe
Migrationsdruck auf Europa anhalten wird. Derzeit ist
dieser Druck nur auf wenige Staaten der EU verteilt: Im
1. Halbjahr 2015 wurden in nur 10 Mitgliedsstaaten 93
Prozent der Asylanträge gestellt. Diese Antithese zur
europäischen Solidarität lässt eine gerechtere Verteilung
innerhalb der Europäischen Union geboten erscheinen.
Die Asylanträge für Österreich im Jahr 2015 sind ein
gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, eine genaue Zahl
vorauszusehen. Wurden im Jahr 2014 rund 28.000 Asyl-
anträge in Österreich gestellt, was einer Steigerung von
60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprach, ging
man zu Jahresbeginn 2015 von zu erwarteten 40.000
Asylanträgen aus. Tatsächlich wird bei gleich bleiben-
dem Verlauf 2015 mit 80.000 bis 85.000 Asylanträgen
und 2016 mit mehr als 100.000 Anträgen zu rechnen
sein. Dies sind Trendannahmen, eine genaue Prognose
ist naturgemäß nicht möglich. Fluchtbewegungen hän-
gen von nicht vorhersehbaren Faktoren in den Her-
-
sit- und Zielländern ab und unterliegen somit einer
starken Volatilität.
Paradigmenwechsel in der
Migrationspolitik
Auf politisch-rechtlicher Ebene muss es in den kom-
menden Jahren zu einem Paradigmenwechsel kommen:
Es wird für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedli-
cher Lösungsansätze bedürfen. Abgestimmte Lösungen
366 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen wird
der transkontinentale Migrationsdruck auf Europa
im Jahr 2016 in ähnlicher Quantität anhalten.
• 2016 wird in Österreich mit mehr als 100.000 An-
trägen zu rechnen sein.
• Das zentrale Ziel eines modernen Sozialstaates
muss der Erhalt des sozialen Friedens sein. Mig-
ration per se gefährdet dieses Ziel nicht, aber sie
kann Auswirkungen auf dieses Ziel haben.
• Ohne konkrete migrationspolitische Antworten wer-
den die Polarisierung und Entsolidarisierung in der
Gesellschaft zunehmen.
für Menschen, die schon in Bewegung sind und bereits
tausende Kilometer „in den Beinen“ haben, und andere
Ansätze für jene, die noch vor Ort in den Krisenregio-
nen sind. Es wird zu einem verstärkten Schutz der Au-
ßengrenzen bei gleichzeitiger Schaffung legaler und si-
cherer Zuwanderungsalternativen für schutzsuchende
Menschen kommen, um die Notwendigkeit lebensge-
fährlicher Überfahrten zu reduzieren. Weiters wird die
Implementierung von Hotspots an den EU-Außengren-
zen zur besseren Registrierung, Verteilung auf EU-Mit-
gliedsstaaten und Rückführung – falls eine Schutzge-
währung unwahrscheinlich ist – erforderlich sein. Das
Stellen von Asylanträgen in den Herkunftsregionen so-
wie humanitäre Zentren in Nachbarländern von Kri-
sengebieten werden noch intensiver diskutiert werden
müssen.
Migrationspolitik wird innerhalb der jeweiligen europä-
Approach brauchen. Dabei werden alle zentralen Ak-
teure permanent zu hinterfragen haben, wie ihr
Druck auf die Nationalstaaten wachsen, ihre staatliche
Souveränität durchzusetzen. Das zentrale Ziel eines
modernen Sozialstaates muss der Erhalt des sozialen
Friedens sein. Migration per se gefährdet dieses Ziel
nicht, aber sie kann Auswirkungen auf dieses Ziel ha-
ben. Zuwanderung strahlt in unterschiedlichste Berei-
che wie Arbeitsmarkt, Wirtschaft, demographische Zu-
aus. Es werden Antworten auf die Frage nach der Leis-
tungsfähigkeit dieser Systeme in einem sich ändernden
Umfeld eingefordert werden – auch mit Blick auf die
Budgetkomponente. Der Migrationsdiskurs wird inten-
siver, aber auch offener und faktenbasierter geführt
über Individualfälle wird aber weiterhin oft in einem
Zerrbild und daher in scheinbaren Lösungen münden.
Ohne konkrete Antworten und Taten werden die Pola-
nehmen, und den politischen Zentrifugalkräften wird
weiterer Zulauf beschert sein.
KEY NOTES
• Should framework conditions stay the same, trans-
continental migration pressure on Europe will per-
sist in 2016.
• In 2016, more then 100,000 asylum applications
can be expected in Austria.
• The major goal of a modern welfare state should be
the preservation of social peace. Migration per se
does not jeopardize this objective, but it can have
an impact.
• Without concrete migration policy responses, pola-
rization and the lack of solidarity within society will
increase.
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druck auf Europa
anhalten.
100.000 An-
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Dabei werden alle zentralen Ak-
nterfragen haben, wie ihr
nehmen, und den politischen Zentr
weiterer Zulauf beschert sein.
KEY NOTES
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 367
SICHERHEIT DURCH
INTEGRATION IN
ÖSTERREICH 2016
Alexander Schahbasi
Viele allgemeine integrationspolitische Herausforderun-
gen sind zwar primär keine Sicherheitsthemen, können
aber in Summe zu gesellschaftlichen Spannungen und
der Prozess der Integration durch Maßnahmen unter-
stützt, aber nicht vollständig gesteuert werden kann. In-
-
beitsmarkt und im Bildungssystem sowie durch soziale
Interaktion statt. Integrationspolitik kann hierzu durch
-
potential im Hinblick auf gesellschaftliche Spannun-
gen. Ob und wie sich Situationen ergeben, in denen
es zur Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit
kommt, kann nicht vorhergesagt werden. Mittelfris-
tig kommt es vor allem darauf an, wie umfassend
-
gen, damit Potentiale genutzt werden können. Die
fehlende Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum
wird dabei die größte Herausforderung werden.
368 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
nungsverfahren und Beratung den passenden Rahmen
schaffen. Die gegenwärtigen Integrationsherausforde-
rungen fokussieren sich primär auf die derzeit in Öster-
reich aufhältigen Flüchtlinge.
Wohnraum
Anerkannte Flüchtlinge werden in den kommenden
Jahren auf den privaten Wohnungsmarkt drängen, wo-
-
nung einer mittelgroßen österreichischen Stadt bedarf.
Angesichts der geringen Verfügbarkeit von leistbarem
Wohnraum in städtischen Ballungszentren und der lan-
gen Vorlaufzeiten im Wohnbau wird die Wohnungssu-
che für anerkannte Flüchtlingen eine große Herausfor-
derung, nicht zuletzt für jene ohne Beruf bzw.
ausreichendes Einkommen und Sprachkenntnisse. Der
Wettbewerb um günstigen Wohnraum wird zunehmen.
Arbeitsmarkt
Das geringe Wirtschaftswachstum, die angespannte
Lage am Arbeitsmarkt und die steigende Zahl an Asyl-
berechtigten sind denkbar ungünstige Rahmenbedin-
gungen zur Integration in den Arbeitsmarkt. Während
-
cher Barrieren und Vorbehalten bei Unternehmen nur
schwer eine Stelle bekommen werden, wird es selbst für
-
kenntnisse und fehlender Anerkennungen in den ersten
Jahren schwer sein, eine ausbildungsadäquate Arbeit zu
-
-
hintergrund treffen. Die starke Reglementierung und
erschweren den Integrationsprozess, wobei gerade eine
ausbleibende Integration in diesem Bereich die entspre-
und langfristig besteht jedoch – bei entsprechenden Be-
gleitmaßnahmen in Form von Deutschkursen und
dass die derzeitige Zuwanderung der demographischen
Alterung entgegenwirkt und der Fachkräftemangel in
vielen Bereichen abgefedert werden kann.
Systemische Kosten
Eine genaue Abschätzung, wie viel der Zuzug von
Flüchtlingen dem Staat kurzfristig kosten wird bzw.
langfristig bringen könnte, ist schwierig. In den Berei-
-
ist 2016 jedenfalls mit steigenden Kosten zu rechnen.
Auch im Sicherheitsbereich (Polizei, Verfassungsschutz,
-
cenbedarf entstehen. Die Finanzplanung des Bundes
(und der Länder) für die kommenden Jahre bedarf dies-
bezüglich einer Neukalkulation. Die Befassung mit ak-
tuellen Migrationsthemen und den damit einhergehen-
den wahlpolitischen Überlegungen könnte dazu führen,
dass größere Reformen in anderen Bereichen hintange-
stellt werden – die Einsparungsgewinne könnten jedoch
die oben angeführten Aufwendungen bei weitem
überschreiten.
Öffentliche Sicherheit
Während Integrationserfolg ganz allgemein anhand von
Bildungsstand, Erwerbstätigen- und Arbeitslosenquote,
Einkommen und Armut gemessen werden kann, sind
im Sicherheitsbereich vor allem die Kategorien soziale
Spannungen, Unruhen, Kriminalität und Terrorismus
von Relevanz. Im internationalen Vergleich kann man
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 369
KERNPUNKTE
• Integration kann durch Maßnahmen unterstützt,
aber nicht vollständig gesteuert werden.
• Die Wohnungssuche wird für anerkannte Flüchtlin-
ge eine große Herausforderung darstellen.
• Tendenziell besteht in den kommenden Jahren ein
schaftliche Spannungen.
• Die gegenwärtigen Herausforderungen bedürfen
eines erhöhten Einsatzes aller staatlichen, wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Akteure.
feststellen, dass die Skepsis gegenüber Zuwanderern zu-
tungen korreliert. In Bezug auf die gegenwärtigen Mig-
rationsbewegungen scheint die Bevölkerung gespalten
– zwischen Hilfsbereitschaft und Ablehnung. Die Ver-
unsicherung generiert sich primär aus kultureller Dis-
tanz, Verlust- und Abstiegsängsten. Ob (und wie) sich
derschlägt, kann nicht vorausgesagt werden, ist aber
ebenso wie gewaltsame Auseinandersetzungen zwi-
schen Migrantengruppen nicht auszuschließen.
Der Integrationsprozess ist aus sicherheitspolitischer
Sicht vor allem im Hinblick auf den großen Anteil an
männlichen Jugendlichen von Bedeutung, da bei diesen
im Falle des Scheiterns des Prozesses ein erhöhtes Po-
dikalisierung und Rekrutierung im Bereich des islamis-
tischen Extremismus ist ebenfalls ein Szenario, das
einer verstärkten Beobachtung durch die Sicherheitsbe-
hörden bedürfen wird. Ein Terroranschlag im Land
würde die Akzeptanz aller Integrationsbemühungen in
weiten Teilen der Bevölkerung schlagartig weit zurück-
werfen. Ob und wie zugänglich Einzelne für religiösen
Extremismus sind, wird sich zeigen, jedenfalls hängt
dies stark vom individuellen Integrationserfolg der ers-
ten Jahre nach der Einwanderung ab.
Insgesamt ist festzuhalten, dass die gegenwärtigen Her-
ausforderungen nicht systemgefährdend sind, aber eines
erhöhten Einsatzes aller staatlichen, wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Akteure bedürfen, um den Integ-
rationsprozess zu unterstützen und allfällige sicher-
heitsrelevante Entwicklungen zu erkennen und zu
unterbinden.
KEY NOTES
• Some measures can support integration but can-
not steer it completely.
• Finding accommodation will be a major challenge
for refugees.
•
in the coming years.
• The current challenges require an increased com-
mitment of all governmental, economic and soci-
al actors.
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heiterns des Prozesses ein erhöhtes Po-
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und gesellschaftlichen Akteure bedürfen, um d
rationsprozess zu unterstützen und allfällige
heitsrelevante Entwicklungen zu erkennen
unterbinden.
KEY NOTES
• Some measu
not steer it
• Finding a
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370 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
SOZIALE SICHERHEIT UND
GESELLSCHAFTLICHE
KOHÄSION IN ÖSTERREICH
2016
Christian Klopf
Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum
– Schwierige Rahmenbedingungen
Österreich konnte über einen langen Zeitraum seit Be-
ginn der Wirtschafts- und Finanzkrise eine im Euro-
pavergleich relativ günstige Arbeitsmarktsituation vor-
weisen. Seit Ende 2014 und im Jahresverlauf 2015 kam
es zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit:
Aktuelle Wirtschaftsprognosen gehen von einer et-
was besseren Konjunkturlage 2016 aus, zusätzlich
werden die wirtschaftsfördernden Effekte der Steu-
erreform wirksam, die sich in der Folge auch positiv
auf den Arbeitsmarkt auswirken. Insgesamt werden
von dieser Entlastung– gemeinsam mit einem Ar-
beitsmarktpaket – bis zu 60.000 zusätzliche Ar-
beitsplätze erwartet. Die einkommensbezogene Ar-
mutsgefährdung wird 2016 voraussichtlich
weitgehend konstant bleiben, wohingegen die Zahl
der erheblich deprivierten Personen, die sich be-
stimmte Güter und Dienstleistungen nicht leisten
können, weiterhin zurückgehen könnte. Eine Bünde-
lung der Integrationsbemühungen von Bund, Län-
dern, Gemeinden, NGOs und der Zivilgesellschaft
kann in Hinblick auf die herausfordernde Flücht-
lingssituation vor allem mittelfristig zu Integrations-
erfolgen führen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 371
Inklusive Jobsuchende in Schulungsmaßnahmen über-
schritt im Oktober 2015 die Zahl der Arbeitssuchen-
Im Jahr 2011 lag diese Zahl noch bei knapp 300.000.
Im EU-Vergleich liegt Österreich im September 2015
mit einer Eurostat-Arbeitslosenquote von 5,7 %, das
ist immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt
von 9,3 %, gemeinsam mit Estland an fünfter Stelle.
Ein zentraler Hintergrund dieser Entwicklungen ist
die bereits seit 2012 schwächelnde Konjunktur in Ös-
terreich. Für das Jahr 2016 wird zwar von den führen-
den Wirtschaftsforschungsinstituten WIFO und IHS
ein etwas höheres reales Wachstum des BIP prognosti-
ziert, eine spürbare Entlastung der angespannten Ar-
beitsmarktlage ist jedoch – trotz steigender Beschäfti-
gung – eher unwahrscheinlich. Zum einen wäre
hierfür ein längerfristiges reales BIP-Wachstum von
etwa 2 % vonnöten, zum anderen steigt auch das Ar-
beitskräfteangebot – durch höhere Frauenerwerbsbe-
teiligung, den politisch intendierten Anstieg des tat-
sächlichen Pensionsantrittsalters und ausländische
Arbeitskräfte.
Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur
und Beschäftigung
Vor dem Hintergrund dieser ungünstigen Rahmenbe-
dingungen hat die Bundesregierung ein Maßnahmen-
paket beschlossen, das konjunktur- und arbeitsmarkt-
fördernd wirkt: Ein Kernelement besteht aus einer
Wohnbauoffensive, die ab 1. Jänner 2016 startet, wo-
mit etwa 20.000 Arbeitsplätze gesichert und leistbarer
Wohnraum für rund 68.000 Menschen geschaffen
werden. Mit diesem Paket soll der soziale Zusammen-
halt in Österreich sowohl durch mehr Beschäftigung
als auch durch die bessere Verfügbarkeit von leistba-
rem Wohnraum gestärkt werden.
Neben dieser Offensive wird darüber hinaus ab 2016 die
lohnsteuersenkende Komponente der Steuerreform die
Kaufkraft der Österreicher – und damit auch die Kon-
sumnachfrage – stärken, aber auch bestimmte Lohnne-
benkosten der Unternehmen werden gesenkt: Die Regie-
rung prognostiziert, dass insbesondere die Entlastung
der Unternehmen bis zu 14.000 Arbeitsplätze hervor-
bringen wird.
Einkommens- und Arbeitszeitverteilung
Diese Maßnahmen der Bundesregierung werden jedoch
nur geringe umverteilende Effekte erzielen. Letzte ver-
fügbare Daten zeigen, dass die Summe der Einkommen
im obersten Einkommensfünftel fast so hoch ist wie die
Summe der Einkommen der übrigen achtzig Prozent der
ungleichen Verteilung zu sehen: Die Teilzeitquote ist ins-
gesamt seit dem Jahr 2008 um über vier Prozentpunkte
auf zuletzt etwa 28 % gestiegen. Während Frauen eine
Teilzeitquote von knapp 47 % aufweisen, ist jene der
Männer mit rund 11 % deutlich niedriger.
Armut, soziale Ausgrenzung und
Mindestsicherung
Österreich ist eines der wenigen Länder innerhalb der
-
ziale Ausgrenzung“: Seit dem Jahr 2008 – vor Eintritt
der Wirtschafts- und Finanzkrise – kam es zu einem
Rückgang dieser EU-Zielgruppe für Armutsbekämp-
fung um 1,4 Prozentpunkte auf zuletzt 19,2 %. Diese
Zielgruppe besteht aus folgenden drei Teilgruppen: Per-
372 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Nach steigender Arbeitslosigkeit 2014/15 ist keine
wesentliche Entspannung für 2016 zu erwarten.
• Ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung soll ab
2016 Arbeitsplätze sichern und leistbaren Wohn-
raum schaffen.
• Strukturellen Änderungen für eine gerechtere Ein-
kommensverteilung sind nicht absehbar.
• Der Trend Richtung Teilzeitbeschäftigung wird vor-
aussichtlich anhalten.
• Im Bereich Armut und soziale Ausgrenzung ist eine
konstante Entwicklung wahrscheinlich.
• Die Bedeutung der Bedarfsorientierten Mindestsi-
cherung wird steigen.
sonen, die ein zu geringes Einkommen erzielen (Ar-
mutsgefährdete), Menschen, die sich bestimmte grundle-
gende Ausgaben nicht leisten können (erheblich
Deprivierte) sowie Personen in Haushalten mit sehr ge-
der weiterhin schwierigen Arbeitsmarktlage auch 2016
nicht substanziell kleiner werden, wenngleich hier auch
Änderungen bei der Verteilung der Arbeit eine Rolle
spielen. Der lohnsteuersenkende Effekt bei der Steuerre-
form könnte sich eventuell auf die Kaufkraft einer Teil-
gruppe der erheblich deprivierten Bevölkerung in Öster-
reich positiv auswirken und einen weiteren Rückgang bei
dieser Problemlage bewirken. Die Einkommensarmut
wird jedoch voraussichtlich auch 2016 einen konstanten
Verlauf nehmen.
Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wird voraus-
sichtlich auch im nächsten Jahr eine steigende Bedeu-
tung erfahren. Die armutsabfedernden Effekte der min-
destsichernden Leistungen werden auch 2016
gemeinsam mit den automatischen Stabilisatoren der Ar-
beitslosenversicherungsleistungen die soziale Sicherheit
und gesellschaftliche Kohäsion in Österreich stützen.
Konsequenzen für Österreich und die EU
Die Ausgestaltung der integrationswirksamen Maß-
nahmen im Umgang mit der aktuellen Flüchtlingssitu-
ation wird die Entwicklungen in Bezug auf den sozia-
len Zusammenhalt im Jahr 2016 wesentlich
on sowohl innerhalb Österreichs als auch zwischen
Österreich, der EU-Ebene und den EU-Mitgliedsstaa-
ten ist hierfür entscheidend. Die soziale und arbeits-
ne wesentlich günstigeren Rahmenbedingungen
bieten.
Trotz des günstigeren Konjunktur-Ausblicks muss
auch im Jahr 2016 mit einer angespannten Arbeits-
marktlage gerechnet werden. In der Folge sind bei der
Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung
keine substanziellen Erfolge zu erwarten.
u geringes Einkommen erzielen (Ar-
ährdete), Menschen, die sich bestimmte grundle-
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Änderungen bei der Verteilung der Arbeit eine Rolle
spielen. Der lohnsteuersenkende Effekt bei der Steuerre-
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KEY NOTES
• Following the 2014/15 rise in unemployment, no
change can be expected for 2016.
• Measures taken by the government are to safegu-
ard jobs and to create affordable housing.
• Structural changes for a more equal distribution of
incomes are not foreseeable.
• The trend towards part-time employment will
continue.
•
verty and social exclusion.
• The importance of the needs-based minimum be-
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 373
GESUNDHEIT UND
SICHERHEIT IN
ÖSTERREICH 2016
Michael Kunze
Flüchtlingsproblematik
Die anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl ein
internationales Thema bleiben. Dabei wird es auch zu
gesundheitlich relevanten neuen Fragestellungen kom-
Mittel-und langfristig sind die wirtschaftliche Ent-
-
-
sundheitswesens. Für 2016 ist nicht mit
wesentlichen Änderungen des Status quo in diesen
Bereichen zu rechnen. Die folgenden Themen wer-
den die nächste Zukunft bestimmen: Flüchtlingspro-
Coronaviren, weiters Resistenzen,
nahrungsassoziierte Infektionen und Klimawandel.
Natur- und andere Katastrophen können weitere He-
rausforderungen bedeuten.
374 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
men. Es geht hier nicht nur um die Einschleppung von
in Europa nicht oder nur selten auftretenden Krankhei-
ten, sondern vor allem auch um die Tatsache, dass Men-
schen auf engem Raum konzentriert, immer Anlass für
endemische und epidemische Entwicklungen sein
können.
weiteren pandemischen Entwicklung kommen. Diese
(Mutation) der Erreger bedingt. Zu bedenken sind so-
wohl das bekannte H5N1, das unter anderem in Ägyp-
ten zirkuliert, als auch das H7N9 („neue Vogelgrippe“),
aber auch wiederum das H1N1 („Schweinegrippe“).
Potential.
Pandemie
Eine Pandemie wäre eine ganz besondere Herausforde-
rung für Österreich, u.a. weil es zurzeit keine geeignete
rasche Impfstoffproduktion mehr im Land gibt. Auch
die Produktion antiviraler Substanzen müsste innerhalb
kurzer Zeit wieder erhöht werden.
Die terroristische Auslösung einer Pandemie erscheint
eher unwahrscheinlich, und zwar wegen der Komplexi-
tät der virologischen Situation und der damit gegebenen-
falls notwendigen fachlichen Expertise und
Labor-Ausstattung.
Die vorliegende Pandemie-Planung wäre mit überschau-
barem Aufwand zu aktualisieren, und an die zu erwar-
tenden Szenarien anzupassen; dies gilt für die EU in ih-
Ergänzend müssen auch Übungen und Planspiele vorge-
sehen werden.
Terroranschläge
Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenherde
könnte es zu Terroranschlägen mit biologischen und
chemischen Agenzien kommen. Auch ist eine Andro-
hung derartiger Angriffe schon geeignet, Unruhe in der
Bevölkerung sehr nachhaltig auszulösen. In diesem Zu-
sammenhang ist nicht nur auf bekannten Erreger wie
Anthrax oder Ebola zu verweisen, sondern etwa auch
auf Monkey Pox (Affenpocken).
die Verbreitung einer möglichen panikauslösenden Be-
drohung. In der jüngsten Vergangenheit wurde von die-
-
-
ren Personen.
-
heitswesen vorstellbar, ist dieses doch z.B. durch die Ab-
hängigkeit von der Energieversorgung durchaus
vulnerabel.
Ebola, MERS-Coronavirus
Die Einschleppung von Ebola wird sich zu keinem we-
sentlichen Problem entwickeln, weil sich die epidemiolo-
gische Situation in Westafrika weiter positiv entwickelt
und das medizinische System gut vorbereitet ist. Diese
Feststellung gilt auch für die MERS-Coronavirus-Infek-
tion; es gab und wird auch eingeschleppte Fälle geben,
aber keine quantitativ wesentliche Ausbreitung.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 375
KERNPUNKTE
• Die anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl
ein internationales Thema bleiben. Dabei wird es
auch zu gesundheitlich relevanten neuen Frage-
stellungen kommen.
•
einer weiteren pandemischen Entwicklung kom-
men. Eine Pandemie wäre eine ganz besondere He-
rausforderung für Österreich.
• Die Einschleppung von Ebola wird sich zu keinem
wesentlichen Problem entwickeln.
• Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenher-
de könnte es auch zu Terroranschlägen mit biolo-
gischen und chemischen Agenzien kommen. Auch
mit einer Androhung derartiger Angriffe muss man
rechnen.
• Cyberattacken sind möglicherweise auch im Ge-
sundheitswesen vorstellbar.
Die historische Erfahrung lässt aber den Schluss zu,
dass in jedem Jahr auch neue bisher weitgehend unbe-
kannte Infektionen auftreten können. Das hoch entwi-
maßnahmen einzuleiten.
Resistenzentwicklung, nahrungsassozi-
ierte Infektionen, Klimawandel
Während und nach 2016 werden die Themen Resistenz-
entwicklung von Keimen (vor allem auch im Kranken-
haus) und nahrungsassozierte Infektionen ein Thema
bleiben. Ebenso der viel diskutierte Klimawandel, der
ben kann.
Natur- und andere Katastrophen
Natur- und andere Katastrophen können eintreten, eine
Prognose ist im Detail nicht zu treffen.
KEY NOTES
• The refugee problem is likely to remain an interna-
tional issue. It will also bring up new health-related
questions.
•
lopments are possible. A pandemic would be a very
peculiar challenge for Austria.
• Ebola will not become a major problem.
• Given the geopolitical hotspots, terrorist attacks in-
volving biological and chemical agents are possib-
le. Such threats are to be expected.
• Cyber attacks on healthcare are also possible.
twicklung, nahrungsass
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Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenher-
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ERNPUNKTE
ie anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl
internationales Thema bleiben. Dabei wird es
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376 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ENERGIESICHERHEIT IN
ÖSTERREICH 2016
Walter Boltz
Versorgungssicherheit im Bereich Gas
und auch Österreich die Vulnerabilität der Erdgasver-
sorgung sowie die Abhängigkeit von russischem Erdgas
zuletzt deutlich vor Augen geführt. Um die Versor-
gungssicherheit im Erdgasbereich für heimische End-
verbraucher auch im Fall einer allfälligen Lieferunter-
daher in regelmäßigen zeitlichen Abständen umfangrei-
che nationale und europäische Risikountersuchungen
Die österreichische Elektrizitäts- und Erdgaswirt-
schaft ist durch ein traditionell gut ausgeprägtes Si-
cherheitsbewusstsein gekennzeichnet. Exogene so-
wie systemimmanente Entwicklungen wie z.B. die
Ukraine-Krise oder der vermehrte Einsatz von „intel-
ligenter“ Informations- und Kommunikationstechnik
(IKT) zur Steuerung und Regelung von komplexen
energiewirtschaftlichen Prozessen führen jedoch zu
neuen Bedrohungslagen und erfordern die Anpas-
sung und Aktualisierung von bewährten
Sicherheitsmaßnahmen.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 377
statt, bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ri-
siken bewertet und Handlungsmaßnahmen erarbeitet
werden.
Bei der aktuell gültigen Risikoabschätzung aus dem
Jahr 2014 wurden insgesamt 39 Risikoelemente wie z.B.
-
und unter Einbeziehung von Experten die Eintritts-
wahrscheinlichkeit von Liefer- und Infrastrukturein-
schränkungen bzw. -ausfällen bewertet. Als Ergebnis
dieser Risikoanalyse zeigte sich, dass nur bei 5,2 Pro-
zent der angenommenen Störungsszenarien mit einer
maßgeblichen Einschränkung der heimischen Erdgas-
versorgung zu rechnen ist. Allfällige Auswirkungen
können aber durch das gezielte Ergreifen von marktba-
sierten oder energielenkungstechnischen Maßnahmen
wie z.B. dem verstärkten Erdgasimport über andere
-
-
frastruktur trotzdem in der Lage ist, zu 235 Prozent
-
samtnachfrage nach Erdgas an einem Tag mit einer au-
ßerordentlich hohen Nachfrage benötigt wird.
IKT-Bedrohung für Betreiber kritischer
Infrastruktur im Strom- und Gasbereich
Unternehmen der Elektrizitäts- und Erdgasversor-
gung sehen sich in Folge ihrer strategischen Bedeu-
tung für das Funktionieren einer Volkswirtschaft
verstärkt intentionalen Angriffen auf ihre Informa-
tions- und Kommunikationstechnik (IKT) ausge-
setzt. Vor allem die fortschreitende Vernetzung, Di-
gitalisierung und Automatisierung von industriellen
Kontroll- und Steuerungssystemen (SCADA-Syste-
men) machen eine systematische Erhebung und Be-
Elektrizitäts- und Erdgasversorgung in regelmäßigen
zeitlichen Abständen notwendig.
-
men, den sicherheitsrelevanten Bundesministerien, dem
Kuratorium Sicheres Österreich (KSÖ) sowie dem ös-
terreichischen Bundeskanzleramt hat die Energie-Con-
trol (E-Control) als zuständige Regulierungsbehörde in
strukturierten und auf internationalen Standards beru-
henden Analyse- und Bewertungsprozessen aus diesem
-
gungssicherheit detailliert beleuchtet. Dabei wurden
insgesamt 73 Einzelrisiken im Elektrizitätsbereich und
61 Einzelrisiken im Erdgasbereich mit dem Potential ei-
-
In weiterer Folge wurden detaillierte Maßnahmenpläne
zur Risikominimierung und -vorbeugung mit konkre-
Mindestsicherheitsstandards ausgearbeitet und verein-
bart. So wird ab 2016 zum Beispiel ein brancheneigenes
Energie-CERT (Computer Emergency Response Team)
die verstärkte Vernetzung und den Informationsaus-
tausch zwischen den Branchenunternehmen ermögli-
-
cherheitsübungen werden zudem zur weiteren
Sensibilisierung und Ausbildung von Sicherheitsbe-
wusstsein in der Branche beitragen. Mit Spannung wird
auch der bevorstehende Beschluss der europäischen
Netz- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS-RL)
und deren Umsetzung auf nationaler Ebene erwartet.
Insbesondere für Betreiber kritischer Infrastruktur im
Energiebereich ergeben sich dadurch wesentliche neue
378 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Nationale und europäische Risikountersuchungen bescheinigen der heimischen Elektrizitäts- und Erdgaswirt-
schaft eine hohe Versorgungssicherheit und eine gut ausgebaute Energieinfrastruktur.
• Exogene sowie systemimmanente Entwicklungen wie z.B. die Ukraine-Krise oder die zunehmende Automatisie-
rung und Digitalisierung von kritischen Kontroll- und Steuerungsprozessen führen zu neuen Bedrohungslagen
für die österreichische Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft.
• Der Anstieg an intentionalen Cyber-Attacken auf Betreiber kritischer Infrastruktur erfordert eine systemati-
chendeckende Elektrizitäts- und Erdgasversorgung.
• In einem strukturierten Public-Private-Partnership-Projekt der heimischen Energiewirtschaft wurden im Jahr
2015 systemrelevante IKT-Risiken detailliert beleuchtet und konkrete Handlungsmaßnahmen zur Steigerung
der Versorgungssicherheit entwickelt.
• Mit 2016 unterstützt ein brancheneigenes Energie-CERT (Computer Emergency Response Team) den Informa-
tionsaustausch zwischen den Branchenunternehmen und dem öffentlichen Sektor.
KEY NOTES
•
degree of supply security and a well-developed infrastructure.
• External and systematic developments, e.g. the Ukraine crisis or increasing automation and digitalization of
critical control and steering mechanisms, produce new threats for the Austrian electricity and gas industry.
• The increase in international cyber-attacks on operators of critical infrastructure requires the systematic and
regular inquiry into and the assessment of the risks to IT technology required for the comprehensive provision
of electricity and gas.
• In 2015, a PPP project by the domestic energy industry took a closer look at systematic IT-related risks, and
developed concrete measures to increase supply security.
• By 2016, an Energy Computer Emergency Response Team (Energy-CERT) will support the exchange of informa-
tion between industry and the public sector.
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öffentlichen Sektor.
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 379
RISIKOPOTENTIAL VON
NATUR- UND TECHNISCHEN
KATASTROPHEN IN
ÖSTERREICH 2016
Robert Stocker
Extremwetterereignisse, insbesondere Hitze und
Stark-Niederschläge, Versorgungsausfälle und Pan-
demien bergen für Österreich das größte Risiko-
potential; die jährliche statistische Eintrittswahr-
scheinlichkeit liegt unter 1.
Moderne Katastrophen-Vorsorge umfasst Haus-
haltsautonomie für drei bis sieben Tage. Das Katast-
rophenwesen in seiner Gesamtheit und der Schutz
vor derartigen Schadenseintritten stellt in Öster-
reich eine Querschnittsmaterie dar.
Rechtliche Rahmenbedingungen,
Kooperation und Koordination
Katastrophenschutz ist Aufgabe der Länder;
wesentliche Akteure dabei sind neben den zuständigen
Behörden auch (freiwillige) Organisationen im
operativen Rettungs- und Katastrophenschutzwesen,
nämlich Rettungsorganisationen und Feuerwehren.
-
380 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
-
fahren, Luftfahrt, Schutz vor nuklearen, chemischen
-
bauung dar. All diese Verantwortlichkeiten und Er-
fahrungen sind in ein gesamtstaatliches gemeinsames
und koordiniertes Agieren einzubetten.
Seit Mai 2003 obliegt die Koordination dieses Staatli-
chen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements
(SKKM) ebenso wie die internationale Katastro-
phenhilfe dem Bundesministerium für Inneres.
Nationale Risikoanalyse
-
tung von Naturkatastrophen und von Menschen ver-
ursachten Katastrophen“ der Europäische Union, Rat
Justiz und Inneres aus 2009 hat die Europäische
Kommission im Jahr 2010 die Mitgliedsstaaten aufge-
fordert, nationale Risikoanalysen durchzuführen.
Im Rahmen des SKKM wurde eine umfangreichere
Status quo „Risikonanalyse“ erstellt, die auf nationa-
erkannten und antizipierten Risiken darstellt.
Die Risikoanalyse umfasst dabei „Natural and man
made disaster“. Für diesen Beitrag bleiben die von
Menschen vorsätzlich herbeigeführten und sich in
Österreich realisierenden oder auf Österreich auswir-
keine Aussage zur Beherrschbarkeit der Risiken
getroffen.
Konkrete Risiken
-
menten wird nicht in jährlichen Zyklen beurteilt; viel-
mehr stellen eine derartige Analyse, die Betrachtung
-
tegien oder die Herausforderungen einer Anpassung
einen mehrjährigen Prozess dar; die Beurteilung des
Risikopotentials für ein bestimmtes Jahr ist daher in
einem größeren mehrjährigen Kontext zu sehen.
Bereich der Naturereignisse Extremwetterlagen (Star-
kregen, Hitze, Kälte, Hagel), Hochwässer und Lawi-
nen, im Bereich von technischen Ereignissen Ver-
kehrs- und Industrieunfälle sowie
Versorgungsausfälle und im Bereich von grenzüber-
schreitenden Ereignissen insbesondere Pandemien für
Österreich das größte Risikopotential dar.
Hierbei wurde einerseits auf in Österreich in der Ver-
gangenheit bereits realisierte Ereignisse Bezug ge-
nommen, hier wiederum auf die Zahl der Todesopfer
und die Schadenssummen im öffentlichen Bereich/an
öffentlichen Einrichtungen, andererseits wurden anti-
zipierte künftige Entwicklungen mit einbezogen.
Hinsichtlich möglicher technischer Ereignisse zeich-
net sich das Jahr 2016 durch keine Besonderheiten
aus, sodass das Risikopotential gegenüber den vergan-
genen Jahren als unverändert bezeichnet werden
kann. Der gesellschaftliche Trend zum urbanen Le-
ben und der Bevölkerungskonzentration in Ballungs-
gebieten erhöht versorgungstechnische Abhängigkei-
ten; der Ausfallsicherheit und den Redundanzen
kommt daher im urbanen Bereich erhöhte Bedeutung
zu.
-
fahren hat die Weltgemeinschaft am Beispiel Ebola –
als eine von vielen infektiösen Krankheiten – er-
kannt, dass gemeinsames, rasches und vorzeitiges
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 381
Agieren von entscheidender Bedeutung ist. Ange-
sichts der Zunahme bzw. des Fortdauerns von Kri-
angesichts des Umstandes, dass in diesen Regionen
und angesichts der bestehenden verkehrs- und kom-
munikationstechnischen Möglichkeiten unserer Zeit
Rahmen der Migration, aber auch im weiteren Sinn
im Rahmen des Tourismus weiterhin ein Risiko auf
erhöhtem Niveau dar.
Hinsichtlich der klassischen Naturgefahren kann sich
Österreich als ein in der Bewältigung von Hochwäs-
sern oder Lawinenschutz erfahrenes Land bezeich-
nen, das sich auch in der Prävention auf hohem Ni-
Die Ereignisse der vergangenen Jahre wie Hochwäs-
vermehrte lokale Unwetterstürmen, Hitzeperioden –
zeigen tendenziell eine Häufung von
Extremwetterereignissen.
Langanhaltende Hitzewellen mit einhergehenden
Trockenperioden sind statistisch jene Ereignisse, bei
denen direkt und indirekt die meisten Menschen,
etwa bereits geschwächte Personen oder Personen,
die die körperliche Hitzebelastung unterschätzen, zu
Schaden und zu Tode kommen. Diese Ereignisse ber-
gen im Bereich der Naturkatastrophen das für Öster-
reich aus momentaner Sicht größte Katastrophen-
potential, auch wenn sie in der Öffentlichkeit
weniger deutlich wahrgenommen werden.
Jedes dieser Risiken wird sich irgendwo in Österreich
im kleinräumigen Bereich oder mit einer einzelnen
subjektiven Betroffenheit realisieren – ohne dass wir
bezeichnen.
Die Eintrittswahrscheinlichkeit jeder einzelnen die-
ser Risiken als überregionale Katastrophe hingegen
-
gangenen Jahre und Jahrzehnte als relativ gering zu
beurteilen; mit Ausnahme von regionalen Hochwäs-
sern und Lawinenunglücken mit Todesopfern ist de-
bezogen mit unter 50 % zu beurteilen; im 10-jährigen
Zyklus hingegen muss eine derartige Vorhersage mit
bedeutender Wahrscheinlichkeit > 75 % ausgewiesen
werden.
Schadensausmaß von Katastrophen
In Österreich existiert derzeit noch keine Stelle, bei
der das Schadensausmaß von Katastrophen standar-
disiert und ganzheitlich erfasst wird. Lediglich beim
„Jahrhundert-Hochwasser“ im Jahr 2002 wurde
durch die Zusammenarbeit von Ministerien, Län-
kritischer Infrastrukturen das Schadensausmaß er-
fasst und mit ca. 2,8 Mrd. Euro beziffert. In dem Be-
trag wurden die Schäden an privaten Haushalten und
Wirtschaftsbetrieben nicht berücksichtigt. Das
Hochwasser im Jahr 2013 war vom Wettercharakter
und den Auswirkungen dem Ereignis von 2002 sehr
ähnlich. Die ermittelte Schadenssumme lag diesmal
bei rund 870 Mio. Euro exklusive Schäden an priva-
ten Haushalten und Wirtschaftsbetrieben, wobei an-
zumerken ist, dass nach dem Hochwasser 2002 von
der öffentlichen Hand in etwa zwei Mrd. Euro in den
Hochwasserschutz investiert worden waren.
382 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Gemäß der österreichischen Risikoanalyse stellen Extremwetterlagen, Hochwässer, Lawinen, Verkehrs- und In-
dustrieunfälle, Versorgungsausfälle und Pandemien für Österreich das größte Risikopotential dar.
• Die genannten Risiken werden sich irgendwo in Österreich im kleinräumigen Bereich realisieren und nur im Ein-
zelfall als überregionale Katastrophe in Erscheinung treten.
• Das Schadensausmaß einer Katastrophe wird in den wenigsten Fällen ganzheitlich erfasst.
• Der Eigenvorsorge kommt besondere Bedeutung zu; jeder Haushalt und jeder Gewerbebetrieb sollte für sich
autonom in der Lage sein, die Eigenversorgung für drei Tage bis eine Woche sicherstellen zu können.
Eigenvorsorge
Der Eigenvorsorge kommt angesichts dieser Szenarien
scher Versorgungsausfälle – besondere Bedeutung zu.
autonom in der Lage sein, die Eigenversorgung für drei
Tage bis eine Woche sicherstellen zu können: ausrei-
chende Wasservorräte, lagerfähige Nahrungsmittel,
Heizmaterial, Medikation, Treibstoff/Energie für nöti-
ge Transportbewegungen, autonome Kommunikations-
und Empfangsmöglichkeiten, allenfalls nötiger Energie-
vorrat zur Erhaltung wichtiger Systeme und auch
Tiernahrung. Eine derartige Vorsorge entspricht dem
modernen Ansatz im Zivil- und Bevölkerungsschutz.
KEY NOTES
•
dents, power outages, as well as pandemics represent the highest risk potentials for Austria.
• These risks will mostly occur on a small scale somewhere in Austria, national disasters might only occur in sin-
gle cases.
• The full extent of damage caused by a disaster is not holistically recorded only in few cases.
• Individual provision is of particular importance; every household and every business enterprise should be able
•
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r outages, as well as pandemics represent the highest risk potentials for Austr
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schen Risikoanalyse stellen Extremwetterlagen, Hochwäss
ngsausfälle und Pandemien für Österreich das größte R
rden sich irgendwo in Österreich im kleinräumigen
astrophe in Erscheinung treten.
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dere Bedeutung zu; jeder Haushalt un
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 383
RISIKOPOTENTIAL UND
RESILIENZ KRITISCHER
INFRASTRUKTUR IN
ÖSTERREICH 2016
Alexander Pschikal
Strategisch wichtige Infrastrukturen bilden das
Rückgrat einer Gesellschaft und Volkswirtschaft.
Bevölkerung und Wirtschaft benützen selbstver-
ständlich dieses breite Angebot, ohne an Sicherheit
und Resilienz zu denken. Neben den klassischen Ri-
sikopotentialen wie Naturkatastrophen oder sicher-
heitspolizeiliche Gefährdungen werden „strukturelle
Risiken“, die in der Form der Organisation eines Un-
ternehmens, in Cyberbedrohungen und in multiplen
Bedeutung von Infrastrukturen für eine
moderne Gesellschaft
-
Abhängigkeiten zwischen den Infrastrukturen
müssen.
384 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
-
sive Nutzung unterschiedlichster Infrastrukturen mög-
lich ist – Entwicklungstendenz weiter steigend. Zu den
strategisch wichtigen Infrastrukturen zählen nicht nur
die klassischen Verkehrsdienstleistungen, Informa-
tions- und Kommunikationsangebote, die Lebensmit-
tel- und Trinkwasserversorgung, die Abfall- und Ab-
wasserentsorgung und die Energiebereitstellung. Auch
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und die
-
gen sind unabdingbar für die Bevölkerung, genauso
wie der Handel, der gesamte „industrielle Kern“ einer
Volkswirtschaft und der öffentliche Sektor. Überdies
sind neben der Abhängigkeit von inländischen Infra-
strukturen auch jene von ausländischen Infrastruktu-
ren mit zu bedenken, da zirka die Hälfte des österrei-
chischen BIP exportiert und auch importiert wird.
World Economic Forums lag Österreich bei der Quali-
tät im Bereich der Infrastrukturen Straße, Bahn, Flug,
Transportinfrastruktur und Elektrizität insgesamt vor
Deutschland, den USA oder UK. Alleine die Schweiz
war hier voran.
Strategische Ziele: Sicherheit und
Resilienz
Sicherheit wird technisch, sicherheitspolizeilich oder
hingegen die Fähigkeit eines Systems, durch entspre-
chende Anpassung, Flexibilität, Robustheit, Redundan-
zen, Selbstregenerations- bzw. Selbstorganisationsfä-
higkeit auch unter Störungen stabil zu bleiben, die
Stabilität wieder rasch herzustellen oder sich dadurch
sogar weiterzuentwickeln.
Risikopotential – Faktor Mensch
mangelndes Bewusstsein sind meist noch immer die
-
oder immaterielle Sicherheit von Unternehmen und
-
len Handlungen wie (Wirtschafts-)Spionage, Organi-
sierter Kriminalität und Terror bedrohen eine kontinu-
ierliche Leistungserstellung.
Risikopotential – Natur-, Umwelt- und
Technologiegefahren
Diese Risiken sind als klassisch zu bezeichnen und um-
fassen auch humane und veterinäre Epidemien. Nicht
zu vergessen sind die Auswirkungen des Klimawan-
neue Herausforderung, da die Abhängigkeit von der
IKT ständig wächst und gleichzeitig deren Komplexi-
tät, Vernetzung und Mobilität weitere Risiken produ-
ziert. Immer kürzere Innovationszyklen und eine welt-
weite Standardisierung verschärfen die Problemlage.
Risikopotential – Interne
Unternehmensorganisation
Ein Hauptrisiko ist die interne „Organisation“ von Un-
ternehmen. Einseitige Lieferanten- oder Kundenab-
hängigkeiten, hohe Konzentration der Leistungserstel-
lungsprozesse, Outsourcing von Kernaufgaben,
ausgereizte Logistikketten bis hin zu „unerwünschten“
Beteiligungen von arabischen oder asiatischen Staats-
-
seits durchgeführte Liberalisierung hat zu einem Ab-
bau von bisher vertrauten Sicherheiten geführt.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 385
Risikopotential – Interdependenzen
durch mannigfaltige Interdependenzen. Abhängigkei-
ten, Wechselwirkungen und Dominoeffekte potenzie-
-
sellschaft und Wirtschaft überproportional.
Mangelnde Resilienz europäischer
Stromversorgung
Die Folgen eines Blackouts sind für die meisten Men-
schen kaum vorstellbar. Fast alle täglichen Verrichtun-
von der Stromversorgung ab. Durch die bislang hohe
Versorgungssicherheit bestand scheinbar keine Not-
wendigkeit sich mit diesen Abhängigkeiten auseinan-
der zu setzen. Die Resilienz der europäischen Strom-
versorgung wurde durch massive organisatorische und
technische Veränderungen geschwächt: Die Liberali-
sierung des Strommarktes hat die Konkurrenz der
Energieanbieter untereinander verschärft, weshalb Re-
dundanzen und Reserven in den letzten beiden Jahr-
zehnten kontinuierlich abgebaut wurden.
Darüber hinaus hat der Ausbau der erneuerbaren
Energien wie Solar- und Windstrom und deren Förde-
rung technisch und wirtschaftlich das Umfeld massiv
Einspringen für diese höchst volatilen, aber sauberen
Energien überaus notwendig wären, werden wegen des
Kostendrucks stillgelegt, und Übertragungsleitungen
fehlen, um den ökologischen Strom zu transportieren.
Darüber hinaus wird die Stromversorgung über Smart
-
tes Netz) von Seiten der Informationstechnologie in
Zukunft noch leichter angreifbar.
Folgen für Österreich
Die volkswirtschaftlichen Schäden eines österreich-
weiten Blackouts wurden in Studien abgeschätzt und
belaufen sich auf bis zu einer Milliarde Euro pro Tag.
Wann also ist mit einem Blackout zu rechnen? Nimmt
man die Anzahl der Eingriffe und die damit entste-
henden Kosten für Redispatching (Aktivierung zu-
sätzlicher Kraftwerkskapazitäten in Regionen hohen
Stromverbrauches) und Intradaystops (Aussetzen des
Intraday-Handels) oder Negativstrompreise als Bench-
marks für die Stabilität des Systems, muss man fest-
stellen, dass diese Notmaßnahmen binnen zwei Jahren
zum netzbetrieblichen Alltagsgeschäft wurden. Diese
Notmaßnahmen selbst sind aber gefährdet, weil sys-
temrelevante Kraftwerke in Zukunft nicht verfügbar
sind. In den nationalen Risikomatrizen ist aktuell ein
Blackout europaweit ein Hauptrisiko. Da weder der
Einzelne, noch Unternehmen und der Staat resilient
organisiert sind, sind die Auswirkungen eines Black-
outs unabsehbar.
Gewährleistung der infrastrukturellen
Resilienz
Infrastrukturalterung ist ein unaufhaltbarer Prozess,
der nur durch ständige Instandhaltungsmaßnahmen
oder entsprechendem Upgrading und Neuinvestitio-
nen verlangsamt werden kann. Private Investoren sind
bei den klassischen Infrastrukturinvestitionen wegen
der niedrigen Verzinsung und den langen Laufzeiten
sehr zurückhaltend, weshalb die öffentliche Hand und
ausgegliederte Unternehmen trotz Budgetrestriktionen
auch 2016 und weiterhin die größten Infrastrukturer-
halter sein werden.
386 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Schutz und Sicherung von kritischen Infrastruk-
turen werden auch 2016 steigende Bedeutung
haben.
• Resilienz soll wesentliche Grundfunktionen des So-
zial- und Wirtschaftssystem aufrechterhalten.
• Resilienz bedeutet deutlich mehr als passi-
ver Schutz um Störungen abzufangen oder
auszuschließen.
• Cybersicherheit ist einerseits durch strafbare
Handlungen, andererseits durch mangelhafte Orga-
nisation strukturell gefährdet.
• Mit einem Ausfall der Stromversorgung ist 2016 je-
derzeit zu rechnen, die Gesellschaft ist auf ein sol-
ches Ereignis nicht vorbereitet.
• Österreich sollte auch 2016 ein starkes Bewusst-
sein für solide Infrastrukturen als Basis einer er-
folgreichen Wirtschaft und stabilen Gesellschaft
haben.
• Der Beitrag der Landesverteidigung hat auch 2016
beim Thema „Schutz kritischer Infrastrukturen“
den Schwerpunkt „Assistenzleistung“.
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und
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l we
chaft
t deu
gen ab
h strafbare
en Infrastruk-
Bedeutung
en des So-
en.
KEY NOTES
• The protection and security of critical infrastructure
will continue to increase in importance in 2016.
• Resilience is to maintain the essential functions of
the social and economic system.
• Resilience clearly means more than the passi-
ve protection in order to intercept or exclude
interferences.
• Cyber security is structurally threatened by crimi-
nal acts on the one hand and a lack of organizati-
on on the other.
• A power supply failure in 2016 can be expected at
any time; an event society is not prepared for.
• In 2016, Austria should be aware that solid infra-
structures are a basis for a successful economy
and stable society.
• In 2016, the contribution of national defence to the
protection of critical infrastructure will again focus
on military assistance.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 387
CYBERSICHERHEIT UND
CYBERABWEHR IN
ÖSTERREICH 2016
Wolfgang Rosenkranz und Wolfgang Gattringer
Die zur Bearbeitung dieser Herausforderungen notwen-
digen Ressourcen werden durch konkurrierende Bedro-
hungen wie die europäische Wirtschaftskrise oder die
Flüchtlingsproblematik reduziert bzw. gar nicht zur
Verfügung gestellt (Budgetvorgaben, Knappheit an Ex-
-
vilgesellschaft 2016 mit neuen IT-Herausforderungen in
immer höherem Tempo konfrontiert.
Neben jeder neuen Nutzungsmöglichkeit des Inter-
nets entsteht derzeit eine ebenso neue Miss-
brauchsmöglichkeit, die auch aktiv ausgenutzt wird.
Auf gesamtstaatlicher Ebene stellt aber schon der
einfachste Informationsaustausch eine Herausfor-
derung dar, und deshalb wird 2016 zum entschei-
denden Jahr einer europäischen Antwort auf die Be-
drohungen des Cyberraums.
388 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Internet überall und permanent
Die durchgängige Vernetzung wird auch 2016 durch
das „Internet of Things“ massiv verstärkt; dieses schafft
-
chen für Cyberattacken.
Insbesondere die bereits durchgeführten Hacks von Au-
tomobilen zeigen, dass ganze Industriezweige derzeit
nicht darauf vorbereitet sind, ihre Systeme vor Cyberan-
griffen zu schützen, und dies auch nicht rasch genug än-
dern können. Die holprigen Versuche mancher Auto-
hersteller, die Firmware der Fahrzeuge durch die
Anwender selbst aktualisieren zu lassen, haben dies
mehr als deutlich gezeigt. 2016 werden damit Fragen
der sicheren Aktualisierung von Firmware, der sicheren
-
zes der von ihnen generierten Daten zu einem der
Hauptthemen der Cybersecurity-Diskussion werden.
Unternehmen unter Erfolgsdruck
Die Einbindung mobiler Endgeräte in Unternehmens-
netzwerke verlagert den Schwerpunkt von traditionel-
len Ansätzen mit einem Fokus auf Perimetersicherheit
hin zum kontinuierlichen Monitoring der Netzwerke,
Stellt dies für größere Unternehmen bereits eine Her-
ausforderung dar, so sind kleine und mittlere Unterneh-
men umso mehr unter Druck, Maßnahmen zu ergrei-
fen. Die Auslagerung der Verantwortung für den
Schutz vor Angriffen und die Wiederherstellung nach
einem Angriff ist für viele – vor allem kleine – Unter-
nehmen im nächsten Jahr die einzige Möglichkeit, sich
auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren zu können.
Damit verschärfen sich aber auch die Probleme durch
die Verlagerung von Daten in Drittstaaten und die da-
mit verbundenen Datenschutzfragen für Staat und Un-
Anbieter und deren Mitarbeiter verstärkt zum Ziel von
Cyberangriffen werden.
Bei größeren Unternehmen ist es durch staatliche und
private Aufklärungsmaßnahmen in den letzten Jahren
gelungen, das Bewusstsein für notwendige Maßnahmen
tragen – die nun wiederum Ergebnisse fordert. Immer
-
genspieler und ein Mangel an Experten erschwert den
Automatisierte Systeme zur Erkennung von Angriffen
2016 zu einem der wichtigsten Werkzeuge der Unter-
nehmens-IT werden.
Eine europäische Chance
Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass der
Informationsaustausch zwischen allen Akteuren auf ge-
samtstaatlicher Ebene noch immer in den Kinderschu-
hen steckt. Mit 2016 besteht durch den Beschluss der
EU-Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit
nationalen Implementierung die Notwendigkeit, natio-
nale Cyber-Sicherheitsgesetze zu schaffen. Die dabei
von EU-Seite vorgeschriebenen Maßnahmen (insbeson-
-
ler Ebene Staat und Wirtschaft enger zusammenzubrin-
gen – oder bereits aufgebautes Vertrauen zu schädigen.
Österreich nutzt den seit 2011 in Fragen der Cybersi-
cherheit eingeführten öffentlich-privaten Dialog, um
das nationale Cyber-Sicherheitsgesetz zu erarbeiten.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 389
KERNPUNKTE
• Die durch das „Internet of Things“ beschleunigte
Vernetzung deckt Unterlassungssünden bei der si-
cheren Entwicklung und dem sicheren Betrieb von
autonomen Systemen schonungslos auf.
• Unternehmen wissen um die Unerlässlichkeit der
Cybersecurity. Gleichzeitig stellen sie aber auch
fest, dass sie sich alleine kaum ausreichend schüt-
zen können; kollaborative Lösungen gewinnen an
Bedeutung.
•
formationssicherheit national umzusetzen, führt
2016 zur Nagelprobe für die Belastbarkeit der öf-
fentlich-privaten Sicherheitszusammenarbeit.
• Staatliche Maßnahmen werden durch mangeln-
de Ressourcen nicht ausreichend wirksam sein
und müssen daher durch private Initiativen ergänzt
werden.
Dieser Dialog soll 2016 konkrete Antworten auf nach
wie vor offene Fragestellungen z.B. zum Informations-
austausch, zur operativen Koordinierung im Ereignis-
fall und zur präventiven Unterrichtung über mögliche
sicherheitsgefährdende Entwicklungen im Cyberraum
werden.
Security Center (CSCI) im Bundesministerium für In-
neres und das Cyber Defence Zentrum (CDZ) im Bun-
desministerium für Landesverteidigung und Sport we-
sentliche Koordinierungsrollen übernehmen und die
Erstellung eines staatlichen Cyber-Lagebildes ermögli-
chen sollen. Ihr Aufbau wird 2016 fortgesetzt, aber vor-
aussichtlich nicht abgeschlossen werden. Außerdem ist
zu erwarten, dass beide nicht über ausreichend Ressour-
cen verfügen werden. Umso wichtiger ist daher, dass
von privater Seite ergänzende Schritte gesetzt werden,
z.B. durch die Energiebranche, die 2016 ein Energy-Cy-
ber Emergency Response Team gründen wird. Zusam-
mengenommen und auf Basis des Cybersicherheitsge-
gesamtstaatlichen Antwort auf Cyberherausforderungen
gelegt werden.
KEY NOTES
• The accelerated networking by the „Internet of
Things“ mercilessly uncovers sins of omission
made during the safe development and operation
of autonomous systems.
• Companies are aware of the indispensability of cy-
ber security. But at the same time they realize that
on their own. Collaborative solutions become more
important.
• In 2016, the obligation to implement the EU’s Di-
rective on network and information security on a
national level will become a litmus test for the resi-
lience of public-private security cooperation.
• Government measures are not going to be effecti-
ve enough due to a lack of resources and therefore
must be complemented by private initiatives.
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390 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
MEDIEN UND SICHERHEITS-
POLITIK IN ÖSTERREICH 2016
Wilhelm Theuretsbacher
Afghanistan
Obwohl im Zeitraum von Jänner bis September 2015
Asylantragsteller aus Afghanistan mit 12.687 Anträgen
sie in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine margina-
le Rolle. Österreich stellt in Afghanistan nur ein kleines
Kontingent, außerdem hat der jahrzehntelange Bürger-
krieg fast alle sozialen Verbindungen zerstört. Die Krise
in Afghanistan hat daher in der öffentlichen Diskussion
eine geringe emotionale Komponente und wird auch
weiterhin in der Berichterstattung nur geringe Beach-
Syrer, Afghanen und Iraker stellen derzeit das Gros
der Flucht- und Migrationswelle in Österreich. Den-
noch steht nur der syrische Bürgerkrieg im Fokus
der medialen Berichterstattung. Das wird auch im
Jahr 2016 so bleiben. Es wird eine echte Herausfor-
derung werden, das derzeit geplante Engagement
des Österreichischen Bundesheeres in Afrika medi-
al zu vermitteln. Außerdem ist damit zu rechnen,
dass sich – bedingt durch die internationalen Her-
ausforderungen und die gleichzeitig steigende Ter-
rorgefahr – die Diskussion um die budgetäre Situa-
tion des Österreichischen Bundesheeres verstärken
wird.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 391
Ukraine
Bezüglich der Krise in der Ukraine wird in den Medien
weiterhin die europapolitische Dimension im Vorder-
grund stehen. Sie hat wegen nationaler Betroffenheit,
wie beispielsweise den Folgen der Wirtschaftssanktio-
nen, einen höheren emotionalen Stellenwert als Afgha-
nistan. Die Medien werden vom Bundesministerium für
Landesverteidigung und Sport (BMLVS) weiterhin stra-
tegische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine er-
warten. Sollte es zu einem aktiven Stabilisierungsbeitrag
des Bundesheeres in der Ukraine kommen, ist mit ei-
nem stark steigenden Interesse der Medien zu rechnen.
Afrika
Zum Tschad-Einsatz EUFOR/TCHAD/RCA erschie-
nen in den Jahren 2007 bis 2009 in österreichischen
Medien 2.828 Beiträge mit weitgehend negativem Un-
terton. Zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung
Ablehnung waren allgemeines Desinteresse an Afrika,
die in Österreich weit verbreitete EU-Skepsis sowie eine
-
essen. Auch die damals schon von vielen als unzurei-
-
gungshaushaltes spielte eine wesentliche Rolle.
Obwohl EURFOR/TCHAD/RCA unzweifelhaft einen
außenpolitischen, militärischen und humanitären Er-
folg darstellte, gab es zum Thema Afrika medial kein
Umdenken. Das belegen Polemiken im März 2015, die
sich gegen die Entsendung von vier Experten zur EU-
Beratermission EUMAM/RCA richteten. Diese Pole-
miken waren teilweise wortident mit jenen, die sich vor-
her gegen den Tschad-Einsatz gerichtet hatten.
am 21. Jänner 2015 in Den Haag, dass vom Österreichi-
schen Bundesheer gemeinsam mit den europäischen
Partnern ein verstärktes Afrika-Engagement in enger
Kooperation mit den UN und der OSCE erforderlich
sei. Die Vermittlung der Notwendigkeit eines nunmehr
verstärkten Engagements in Afrika kann nicht alleine
die Aufgabe des BMLVS sein. Wohl aber wird es not-
wendig sein, die militärische Komponente für die Be-
wältigung der Flüchtlingsströme aus Sicht des Bundes-
heeres aufzuzeigen. Erschwerend bei dieser Aufgabe
kann sich wiederum die Diskussion um die dramatische
Budgetlage des Bundesheeres auswirken.
Mittlerer Osten
Die stärkste emotionale Komponente in der Berichter-
stattung weist der Bürgerkrieg in Syrien auf. Das liegt
nicht nur daran, dass Syrer im ersten Halbjahr 2015 mit
darstellen. Österreich und Syrien verbinden vielfältige
40 Jahre dauernde Engagement von österreichischen
Soldaten im Rahmen von UNDOF/AUSBATT trägt zu
erhöhter Aufmerksamkeit bei. Darüber hinaus greift der
-
tion „Islamischer Staat“ und der zahlreichen Bürger-
kriegsmilizen auf Europa über. Die Krisen- und Kriegs-
berichterstattung stößt aber in Syrien wegen des hohen
Die aus der nationalen Betroffenheit resultierende er-
höhte Nachfrage des Publikums nach glaubwürdigen
Informationen aus dem Kriegsgebiet kann nur ungenü-
gend befriedigt werden. Daraus resultiert ein weiterhin
hoher Bedarf an zeitnahen und aktuellen Analysen aus
dem BMLVS, und das eröffnet die Möglichkeit, das
Bundesheer als einen wichtigen Teil vernetzter Außen-
und Sicherheitspolitik zu präsentieren.
392 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
•
kunftsland gering bleiben.
• Die Medien erwarten vom BMLVS weiterhin strategische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine. Im Falle
eines aktiven Stabilisierungsbeitrags des Bundesheeres in der Ukraine ist mit einem stark steigenden Interes-
se der Medien zu rechnen.
• Bezüglich Afrika wird es notwendig sein, aus Sicht des Bundesheeres die militärische Komponente für die Be-
wältigung der Flüchtlingsströme aufzuzeigen.
• Die sehr eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten in Syrien und in Teilen des Iraks werden zu ei-
nem hohen Bedarf an zeitnahen und aktuellen Analysen aus dem BMLVS führen. Das eröffnet die Möglichkeit,
das Bundesheer als einen wichtigen Teil vernetzter Außen- und Sicherheitspolitik zu präsentieren.
• Die Notwendigkeit, der Bevölkerung die Wichtigkeit eines verstärkten Engagements in Afrika zu erklären, wird
ebenso zu einer innenpolitischen Diskussion um die dramatische Budgetlage des Bundesheeres führen. Eine
Expansion der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Regionen des Westbalkans wird diese Argumentation
Islamischer Staat
Unübersehbar sind Versuche der Terrororganisation
„Islamischer Staat“, in einigen Regionen des Westbal-
kans militärisch Fuß zu fassen und hier eine zweite, eu-
ropäische Front zu eröffnen. Sollte das gelingen, wird
der Islamische Staat in den Fokus der medialen Bericht-
erstattung treten. Diese Entwicklung kann die Rolle
und die Fähigkeiten des Bundesheeres bei der Terrorab-
wehr in Inland auf die Agenda bringen. Dann könnten
– wie im Fall Afrikas – die budgetären Einschränkun-
gen des Bundesheeres ebenfalls zum innenpolitischen
batte könnte wiederbelebt werden. Erste Versuche in
diese Richtung gab es bereits.
KEY NOTES
•
main limited.
• What the media expect from the Austrian MoD are strategic analyses concerning the events in Ukraine. Should
the Austrian Armed Forces actively contribute to a stabilisation of Ukraine, increasing media interest can be
expected.
•
of refugees.
• There is a demand by journalists for prompt and up-to-date analyses of Syria by the Austrian MoD. This will
give the Austrian Armed Forces the opportunity to present themselves as an important part of a networked for-
eign and security policy.
• An enhanced international commitment of the Austrian Armed Forces will lead to domestic policy discussions
on the dramatic budget situation of the Armed Forces and might revive debates on compulsory military service.
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e Richtung gab es bereits.
re strategic analyses concerning the events in Ukraine
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eiterhin strategische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine. Im Falle
es Bundesheeres in der Ukraine ist mit einem stark steigenden Interes-
s Sicht des Bundesheeres die militärische Komponente für die B
für Journalisten in Syrien und in Teilen des Iraks werden
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Außen- und Sicherheitspolitik zu präsentieren.
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matische Budgetlage des Bundesheer
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 393
SORGEN UND ERWARTUNGEN
DER ÖSTERREICHISCHEN
BEVÖLKERUNG IM LICHTE
DER FLÜCHTLINGSTHEMATIK
2016
Alexander Reichmann
Spätestens seit dem zweiten Halbjahr 2015 waren
die Fluchtbewegungen aus dem Bürgerkriegsgebiet
Syrien und anderer Krisenregionen das bestimmen-
de (sicherheits)politische Thema – sowohl im Inland
als auch auf europäischer Ebene.
In Österreich hatte die Thematik einen bedeutsa-
-
reich und Wien, tangierte aber bereits auch die
Wahl in der Steiermark und im Burgenland. Auf EU-
Ebene führte dieses Thema, bedingt durch die Un-
willigkeit der Mitgliedsstaaten sich auf eine gemein-
same Vorgehensweise zur Bewältigung des
Flüchtlingsandrang zu einigen, die Union in eine veri-
table, wenn nicht existenzbedrohende Krise.
Da anzunehmen ist, dass die „Flüchtlingskrise“ und de-
ren Bewältigung auch im Jahr 2016 ein bestimmender
Aspekt der politischen Diskussion sein wird, sollen in
gebotener Kürze relevante Befunde aus der Sicht der
SORA-Meinungsforschung dargestellt und in weiterer
Folge auf mögliche Implikationen für die Sicherheitspo-
litik eingegangen werden.
Menschen auf der Flucht: Zuversicht,
Sorge und Verärgerung innerhalb der
Bevölkerung
Themenrelevante Studienergebnisse von SORA besa-
gen, dass sich rund die Hälfte der österreichischen Be-
völkerung angesichts der Flüchtlingsbewegungen be-
394 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
sorgt zeigt, etwa jeder Dritte begegnet dem Thema mit
Zuversicht, etwa zwei von zehn Österreicherinnen und
Österreichern zeigen sich verärgert. Diese themenspezi-
-
neswegs als für sich stehend zu betrachten, vielmehr
stehen diese mit den Konnotationen zu anderen gesell-
schaftlichen Entwicklungen und der Selbstpositionie-
-
gerem Zusammenhang. Konkret: Wer vermehrt Sorge
bzw. Verärgerung über die gesellschaftliche Entwick-
lung (Wirtschaft, Arbeitsplätze, sozialer Zusammen-
halt, Kriminalität etc.) zeigt, tut dies auch hinsichtlich
der Flüchtlingsthematik. Und in weiterer Folge: Wer
glaubt, dass er nicht den gerechten Anteil am gesell-
schaftlichen Wohlstand erhält, der tendiert generell zu
einer pessimistischen Zukunftsbild. Somit gehen Zu-
kunftsoptimismus mit optimistischerer Einstellung,
Zukunftspessimismus mit pessimistischerer Einstellung
auch zur Flüchtlingsthematik einher.
Schlechtes Zeugnis für die Politik, gute
Bewertung der Arbeit von Bundesheer
und Blaulichtorganisationen
Die Arbeit des Bundesheeres und anderer im Rahmen
der Koordination des Flüchtlingsandranges und der
Erstbetreuung von Menschen auf der Flucht involvier-
ten Blaulichtorganisationen – Polizei und Rotes Kreuz
– wird innerhalb der österreichischen Bevölkerung
überaus positiv bewertet. Die Bewertung der Politik
steht dieser diametral entgegen: Die österreichischen
Bürgerinnen und Bürger stehen der bislang geleisteten
Arbeit von Bundesregierung und EU deutlich kritischer
gegenüber. Hier scheint die österreichische Bevölke-
rung Führungs- und Lösungskompetenz auf beiden
Ebenen zu vermissen.
Gemeinsame Linie der Bundesregierung
notwendig
Um ebendiese Führungs- und Lösungskompetenz ver-
mitteln zu können, ist es unerlässlich, dass sich die ös-
terreichische Bundesregierung in grundlegenden Punk-
ten zu einer gemeinsamen Linie auf nationaler und
europäischer Ebene durchringt, die als Leitfaden für
ein gemeinsames Vorgehens in der Flüchtlingsthematik
für die Bevölkerung erkennbar wird.
Lösungsansätze auf europäischer Ebene
gefragt
Es mag zwar angesichts der unzähligen Appelle in der
medialen Öffentlichkeit, Willensbekunden sowie ergeb-
nisarmen Sitzungen und Konferenzen auf EU-instituti-
oneller Ebene müßig erscheinen, nichtsdestotrotz sei
angemerkt:
Die Bewältigung der Flüchtlingskrise stellt die größte
der diese im schlechtesten Fall scheitern, aus der sie
-
te Verteilungsschlüssel von Asylwerbern innerhalb der
EU, verstärkte Mittel u. a. für die Verbesserung der teils
desaströsen Lage der Menschen in den Flüchtlingsla-
zur Bekämpfung der Ursachen von Flüchtlingsströmen
aus den Bürgerkriegsgebieten schaffen jene Vorausset-
zungen, die den Bevölkerungen der EU-Mitgliedsstaa-
-
lingskrise“ zu bewältigen ist.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 395
KERNPUNKTE
• Hinsichtlich der Flüchtlingsthematik vermisst die
österreichische Bevölkerung Führungs- und Lö-
sungskompetenz seitens der Bundesregierung.
• Die stärkere Sichtbarmachung von Führungs- und
Lösungskompetenz ist eine Grundvoraussetzung
für den Abbau von Ängsten in der Bevölkerung.
• Gemeinsame Lösungsansätze auf europäischer
Ebene zeigen den Bevölkerungen der EU-Staa-
ten einen glaubhaften Weg zur Bewältigung der
„Flüchtlingskrise“.
• Anhand solcher Lösungsansätze könnte das Ver-
trauen in die EU gestärkt werden.
• Die Kommunikation ihres Nutzens und des Allein-
stellungsmerkmals des Österreichischen Bundes-
heeres sichert den internationalen Einsätzen den
bestmöglichen Rückhalt in der Bevölkerung.
Handlungsfähigkeit zeigen heißt Vertrau-
en in die EU stärken
Eine derartige Demonstration von Handlungsfähigkeit
zept gegen die anhaltend hohe EU-Verdrossenheit in
nicht, ist weiterhin mit schwindendem Vertrauen in das
Projekt eines gemeinsamen Europas zu rechnen.
Internationale Einsätze des Bundeshee-
res: Die Bevölkerung rechtzeitig ins Boot
holen
Im Lichte der oben angesprochenen Konzepte werden
sich für das österreichische Bundesheer wohl Fragen
nach konkreten Beteiligungen im europäischen bzw. in-
ternationalen Kontext stellen. Hierbei gilt es stets zu
berücksichtigen, worauf bei der Kommunikation über
derartige Einsätze geachtet werden sollte, um den best-
möglichen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung erzielen
zu können. Dazu gehören u. a. die Entwicklung einer
tragfähigen Rahmenerzählung, die den Nutzen des En-
gagements für die österreichische Bevölkerung sowie
die betroffenen Menschen im Krisengebiet klar dar-
stellt, die Ausarbeitung glaubwürdiger und emotionaler
Botschaften für jeden der Beweggründe sowie die Ver-
deutlichung eines etwaigen Alleinstellungsmerkmales
des Österreichischen Bundesheeres innerhalb des jewei-
ligen Engagements – sprich: Was kann das Bundesheer
in diesem beitragen, was andere nicht können, was
macht das Bundesheer hier einzigartig?
Im Rahmen dieser Kommunikation muss stets auch
dem Faktor Angst Rechnung getragen werden – etwa
der Angst in der Bevölkerung, dass Österreich durch
ein weiter gehendes militärisches Engagement auf euro-
päischer bzw. internationaler Ebene verstärkt in das Vi-
sier der Terrormiliz „Islamischer Staat“ geraten könnte.
KEY NOTES
• With regard to the refugee issue, the Austrian po-
ship competence on the side of the federal
government.
•
petence is a prerequisite for a reduction of fears
within the population.
• Finding common solutions on the European level
is a credible way of showing Europeans that the
“refugee crisis” can be solved.
• On the basis of such solutions trust in the EU
could be strengthened.
• Communicating the use and the unique characte-
ristics of the Austrian Armed Forces will ensure
the population’s maximum support for the inter-
national operations.
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der Bundesregierung.
ung von Führungs- und
Grundvoraussetzung
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der oben angesprochenen Konzepte werden
österreichische Bundesheer wohl Fragen
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ontext stellen. Hierbei gilt es stets zu
orauf bei der Kommunikation über
dem Faktor Angst Rechnung getragen werden
der Angst in der Bevölkerung, dass Österrei
ein weiter gehendes militärisches Engagem
päischer bzw. internationaler Ebene ver
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KEY NOTES
• With regard to the refuge
ship competence on
government.
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•
DAS ÖSTERREICHISCHE
BUNDESHEER 2016
Abgeleitet aus den in der Österreichischen Sicher-
grundlegende verteidigungspolitische Zielsetzungen:
1. Gewährleistung der staatlichen Souveränität und
Integrität, 2. Beitragsleistung zum Schutz der verfas-
sungsmäßigen Einrichtungen, der kritischen Infra-
struktur und der Bevölkerung, 3. Leistung eines militä-
rischen Solidarbeitrages zum sicherheitspolitischen
Handeln der EU, 4. Förderung von Frieden, Humanität
und internationaler Sicherheit und 5. Beitragsleistung
zum gesamtstaatlichen Sicherheitsmanagement im
Rahmen der Umfassenden Sicherheitsvorsorge.
(Vgl. Teilstrategie Verteidigungspolitik S. 9f)
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 397
STREITKRÄFTEENTWICKLUNG
IN ÖSTERREICH 2016
Philipp Eder
2016 ist das zweite Jahr des Überganges von der
Streitkräftestruktur des Österreichischen Bundes-
heeres 2010 (ÖBH 2010) zum neuen Österreichi-
schen Bundesheer (ÖBH 2018). Gleichzeitig wird die
Grundlagenplanung zur weiteren Streitkräfteent-
wicklung über das ÖBH 2018 hinaus (Arbeitsbegriff:
ÖBH der Zukunft – ÖBHdZ), die bereits im Jahr
2015 eingeleitet wurde, 2016 fortgesetzt.
Ausgangspunkt der weiteren
Streitkräfteentwicklung
„Militärstrategische Konzept 2015“ (MSK 2015) wurde
von den verteidigungspolitischen Vorgaben (v.a. der
Teilstrategie Verteidigungspolitik ) abgeleitet. Die ge-
troffenen Entscheidungen zur Strukturanpassung des
398 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
ÖBH 2010 zum ÖBH 2018 wurden als Ausgangspunkt
berücksichtigt. Sein Planungshorizont reicht mit einer
mittelfristigen Perspektive bis zu zehn Jahre in die Zu-
kunft. Im Zentrum des MSK 2015 steht eine konse-
quente Ausrichtung des ÖBH auf die Abwehr nicht
konventioneller bzw. hybrider Angriffe auf Österreich
inklusive Maßnahmen zur Cyberverteidigung. Dies er-
fordert unter anderem die Sicherstellung von strategi-
scher Antizipation und Krisenfrüherkennung sowie der
Beitragsleistung zur gesamtstaatlichen Lagebeurteilung
und Risikoanalyse. Das ÖBH soll über alle benötigten
Fähigkeiten verfügen, um als strategische Reserve der
Republik fungieren zu können. Das Schwergewicht des
fortgesetzten internationalen Engagements liegt auf
Stabilisierungseinsätzen mittlerer Intensität auf Ebene
einer infanteristischen Bataillonskampfgruppe, inklusi-
ve Beiträge für höhere Führungsebenen und auch tech-
nologisch hochwertiger Unterstützungselemente. Zu-
sätzlich soll ein zeitlich begrenzter Beitrag zu robusten
Auslandseinsätzen – vor allem mit Logistiktruppen
oder Infanterie bzw. Spezialeinsatzkräften – möglich
sein. Das MSK 2015 ist, speziell mit den Inhalten seines
Abschnitts „Ausblick“, auch Ausgangspunkt der weite-
ren Streitkräfteentwicklung zum ÖBHdZ. Dort wird
erstmals auch ein neuer Streitkräfteentwicklungsprozess
beschrieben und im Rahmen des Konzepts angeordnet.
Der Streitkräfteentwicklungsprozess
-
rigen Prozessen im Bundesministerium für Landesver-
teidigung und Sport (BMLVS) begonnen, diese zu ei-
nem gesamtheitlichen Streitkräfteentwicklungsprozess
zusammenzufassen und weiterzuentwickeln. Er wird
2016 erstmals zur Anwendung kommen. Der Prozess
hat nicht zum Ziel, das ganze ÖBH periodisch umzu-
strukturieren oder völlig neu aufzustellen. Vielmehr soll
er ermöglich, (vorhandene) Fähigkeiten des ÖBH unter
Berücksichtigung der zu erwartenden Bedrohungslage,
des zu erwartenden Fähigkeitenbedarfs und der vorge-
gebenen oder zur erwartenden Ressourcen fortlaufend
weiter zu entwickeln bzw. anzupassen.
Dementsprechend wird im Jahr 2016 der Teilprozess
-
lungsprozesses in Planungsdokumente für das ÖBHdZ
zusammengefasst. Dabei wird, abgeleitet unter anderem
aus der „Umfeldszenarienanalyse“ und dem „Streitkräf-
-
zesses, das „Bedrohungsbild ÖBH“ verfasst. Für die im
MSK 2015 angeführten einsatzwahrscheinlichen Aufga-
ben werden „Einsatzszenarien“ zum Zwecke der erfor-
derlichen Fähigkeits- und Strukturentwicklung erstellt
und beurteilt. Für jedes Einsatzszenario werden Pla-
nungsannahmen im Bereich der Umfeldbedingungen
sowie für die Bedrohungslage getroffen. Dann werden
die zu erfüllenden militärischen Einsatzaufgaben sowie
die erforderlichen Aufgabenträger mit den jeweils erfor-
derlichen Fähigkeiten abgeleitet und beurteilt und in ei-
nem detaillierten generischen „Einsatzkonzept“ darge-
stellt. Dazu wird auch in einer Erstbeurteilung
festgelegt, welche Einsatzaufgaben jedenfalls selbstän-
dig und welche auch in Kooperation mit Partnern er-
füllt werden können. Die gesamtheitliche Ableitung der
erforderlichen Fähigkeiten wird dabei in „Einsatzkon-
zepten“, wie „Militärische Landesverteidigung“, „Frie-
denssicherung“, „Evakuierung“ oder „Humanitäre Hil-
fe und Katastrophenhilfe im Rahmen des
internationalen Krisen- und Katastrophenmanage-
ments“ durchgeführt. Das so beurteilte Fähigkeiten-
Soll bildet gemeinsam mit den Strukturierungsprinzipi-
Durchhaltefähigkeit und den Bereitschaftsstufen die
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 399
KERNPUNKTE
• Die Einnahme der neuen Streitkräftestruktur (ÖBH
2018) wird 2016 planmäßig fortgesetzt.
• 2016 ist das Jahr des Teilprozes-
ses Grundlagenplanung des neuen
Streitkräfteentwicklungsprozesses.
• Im Zentrum dieses Prozesses steht eine konse-
quente Ausrichtung des ÖBH auf die Abwehr nicht
konventioneller bzw. hybrider Angriffe auf Öster-
reich inklusive Maßnahmen zur Cyberverteidigung
sowie fortgesetztes internationales Engagement
auf hohem Niveau.
• Eines der Ziele dieses Prozesses ist, der nächsten
Bundesregierung Fachexpertise des Generalsta-
bes zur weiteren Streitkräfteentwicklung anbieten
zu können.
in den Teilprozessen „Bereitstellung“ und „allgemeine
Einsatzvorbereitung“ bzw. das Führen und Einsetzen
der Streitkräfte selbst.
Ausblick
Dem BMLVS wurden Ende 2014 durch die Bundesre-
gierung zusätzliche einmalige Budgetmittel in der Höhe
von 616 Mio. EUR zur Deckung des dringend notwen-
digen Investitionsbedarfs zugesagt. Davon sind 350
Rest der Summe als Finanzierungszusage ab 2020 fest-
gelegt. Diese Mittel werden für notwendige Investitio-
nen bei den Luftstreitkräften, zur Verbesserung der
Mobilität und des Schutzes der Truppe, zur Umsetzung
KEY NOTES
• In 2016 the Austrian Armed Forces will proceed
take up their new structure (ÖBH 2018) according
to plan.
• The component process basics planning of the new
armed forces development process will be conduc-
ted in 2016.
• A consequent orientation of the Austrian Armed
Forces on defence of non-conventional and hyb-
rid attacks on Austria including measures in terms
of cyber defence as well as continued international
commitment at a high stage stands in the centre of
this process.
• This process intends to enable the general staff to
provide an expert opinion for the next government
concerning the further development of the Armed
Forces.
der Wehrdienstreform sowie zur Stärkung der Miliz
eingesetzt. Aufgrund der bereits festgelegten Verwen-
dung dieses Sonderinvestitionspaketes zur Umsetzung
der Strukturanpassung ÖBH 2018 sind nennenswerte
freie Investitionsspielräume für das ÖBHdZ frühestens
ab dem Finanzjahr 2019 erwartbar. Da jedoch spätes-
und mit einer neuen Bundesregierung auch eine Weiter-
entwicklung (gegebenenfalls auch Änderung) der ver-
teidigungspolitischen Vorgaben möglich wäre, ist der
Zeitplan des Streitkräfteentwicklungsprozesses so auf-
gestellt, dass seine Ergebnisse in den Regierungsver-
handlungen bzw. im neuen Regierungsprogramm als
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400 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
AUSLANDSEINSÄTZE DES
BUNDESHEERES 2016
Martin Jawurek
In stringenter Fortführung der Umsetzung der Österreichischen Sicherheitsstrategie wird das Österreichi-
sche Bundesheer auch 2016 für einen kleinen Staat einen beachtlichen Beitrag zum internationalen Kri-
senmanagement leisten. Auch wenn 2015 die Zahl der dauerhaft im Ausland eingesetzten Soldatinnen und
Soldaten mit etwa 1035 knapp unter der durch die Sicherheitsstrategie vorgegebenen Zahl von 1100 lag,
Reserven bereitgehalten.
Operationen und Missionen
Bei einer reinen Betrachtung der Zahlen muss der alter-
nierende Wechsel einer Infanteriekompanie mit Ungarn
bei der EU-Mission EUFOR/ALTHEA in Bosnien und
Herzegowina berücksichtigt werden, durch den sich eine
Verringerung des Mengengerüstes ergibt. Auf die beson-
dere Bedeutung der bereitgehaltenen Reserven wird
-
den Dynamik im Bereich von neuen Beteiligungsmög-
lichkeiten bei Auslandseinsätzen (EU-„Hot Spots“/
FRONTEX, MINUSMA in Mali, EUNAVFOR/MED
Operation SOPHIE im Mittelmeer) ist mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit für das Jahr 2016 mit einem Einsatz
von durchschnittlich 1100 Soldatinnen und Soldaten zu
rechnen.
Im derzeitigen Schwergewichtsraum Balkan werden die
Kontingente bei der EU Mission EUFOR/ALTHEA
und bei KFOR im Kosovo mit geringen Veränderungen
fortgeführt. Es ist damit zu rechnen, dass Österreich
auch 2016 die Kommandantenfunktion bei
EUFOR/ALTHEA angeboten wird. Bei KFOR ist eine
Reduktion von Kräften erst mit dem Jahreswechsel auf
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 401
2017 wahrscheinlich. Das hat Auswirkungen auf die Be-
teiligung des Österreichischen Bundesheeres mit Infan-
-
mente, bei denen Österreich auch jetzt bereits mit einer
Kompanie vertreten ist, an Bedeutung gewinnen.
Im Bereich der UNIFIL im Libanon wird das Kontin-
-
fes der Force innerhalb der Obergrenze des bestehenden
Ministerratsbeschlusses angepasst. Durch den Abschluss
eine verbesserte Unterkunftssituation abzeichnen.
Im Zusammenhang mit der derzeitigen und sich auch
weiter fortsetzenden Migrationsproblematik ist mit ei-
nem vermehrten Engagement des Bundesheeres bei
Einsätzen in Afrika zu rechnen. Nur durch Stabilisie-
rung der Lage vor Ort können die Fluchtbewegungen
Richtung Europa wesentlich reduziert und ausreichende
humanitäre Hilfe angeboten werden.
Das Österreichische Bundesheer wird sich, nach dem
seit Oktober 2015 ein Mandat des UN-Sicherheitsrates
vorliegt, voraussichtlich mit Stabspersonal an der EU-
NAVFOR/MED Operation SOPHIE der EU im südli-
chen zentralen Mittelmeer beteiligen. Die Beteiligung an
der EU-Mission EUMAM in der Zentralafrikanischen
Republik wird bis zum Mandatsende Mitte 2016 fortge-
setzt. Sollte die Mission verlängert oder in ihrer Aufga-
benstellung verändert werden, wird es eine Überprüfung
der Beteiligung geben.
Bei der EU-Trainingsmission in Mali (EUTM MALI)
wird der Wechsel der Beteiligung von Sanitätsunterstüt-
zung zu Ausbildung mit Februar 2016 wirksam. In wei-
terer Folge sollen auch hier bestehende Fehlstellen bis
zur Obergrenze der politischen Vorgabe von 20 Solda-
tinnen und Soldaten abgedeckt werden.
Eine besondere Herausforderung ist die Beteiligung an
der UN-Mission in Mali (MINUSMA). Hier wird vor-
erst ein kombiniertes Kontingent aus Beobachtern und
werden sich mit Masse bei der durch Niederlande ge-
-
den. Durch dieses von europäischen Staaten gestellten
Hochwertelementes werden der Mission vor allem Auf-
klärungsergebnisse zur Verfügung gestellt. In weiterer
Folge ist ein Einsatz mit Truppe, jedoch nicht vor 2017,
in Beurteilung.
Im Rahmen der internationalen hohen Sichtbarkeit und
zur Abdeckung mit Spezialisten werden verschiedenste
Kleinmissionen auch 2016 weiter fortgeführt. Neben
traditionellen Missionen wie UNTSO im Nahen Osten,
UNOWA in Westafrika, MINURSO in der Westsahara,
EUSEC in der Demokratischen Republik Kongo oder
OSZE in der Ukraine zu verweisen, die hohe Ansprü-
che an das eingesetzte Personal stellt.
Spezialisten, Battlegroups und
Reservekräfte
Im Rahmen von gesamtstaatlichen Maßnahmen zur
Unterstützung der Europäischen „Agenda on Migrati-
on“ hat das Österreichische Bundesheer eine breite Pa-
lette von Spezialisten zur Unterstützung der Tätigkeiten
im Rahmen des „Hot Spot“-Konzeptes vorerst für die
Die laufende Umwandlung der bisher regional orientier-
ten nationalen Verstärkungskräfte (mit Fokus Balkan)
in eine Militärstrategische Reserve Österreichs soll die
rasche Reaktionsfähigkeit mit mindestens einem gehär-
teten Kompanie-Äquivalent und Evakuierungskräfte
für einen größeren Reaktionsradius sicherstellen.
402 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
KERNPUNKTE
• Österreichs Beteiligung am internationalen Krisen-
management wird weiterhin auf hohem Niveau in
einem ausgewogenen Verhältnis der Beiträge zu
• Neue Missionen in und um Afrika gewinnen an
Bedeutung.
• Die Bedeutung der Miliz für die Auslandseinsätze
wird auf Grund des parallelen Bedarfes von Kräf-
ten des Bundesheeres im Inland steigen.
• Neben den konkreten Einsätzen im In- und Aus-
land haben die Einsatzvorbereitung für die und die
Bereitschaftsphase in der Battlegroup 2016-2 für
die weitere Fähigkeitsentwicklung des ÖBH hohe
Priorität.
Schwergewichtsaufgabe des Bundesheeres statt. Unmit-
telbar darauf folgt im zweiten Halbjahr 2016 die Bereit-
stellungsphase für internationale Einsätze als Krisen-
reaktionskraft der EU.
Weiters werden neben der Fortsetzung der Beteiligung
bei den Reservekräften für den Balkan (Operational Re-
serve Force – ORF) die österreichischen Battlegroup-
Rückholung und Katastrophenhilfe
Infolge der Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“
kommt den Vorbereitungen für eine mögliche Rückho-
lung von österreichischen Staatsbürgern vor allem aus
Urlaubsdestinationen eine besondere Bedeutung zu. Die
aus den konkreten Einsätzen 2011 gewonnenen Erfah-
rungen werden laufend umgesetzt und in ressortüber-
greifenden Übungen verfeinert. 2016 sind zu diesem
Zweck unter der Leitung des Bundesministeriums für
Europa, Integration und Äußeres gemeinsam mit dem
Bundesministerium für Inneres Erkundungen vor Ort
in zu mindestens zwei Staaten/Regionen geplant.
Die Anzahl der Naturkatastrophen mit massiven Aus-
wirkungen auf die Bevölkerung ist in den letzten Jahren
vor allem UN-Organisationen bereiten sich hierfür seit
Ort wirksam werden. Das Bundesheer hat mit der Kata-
strophenhilfeeinheit „Austrian Forces Disaster Relief
Unit“ ein weltweit anerkanntes Element zur Verfügung.
2016 wird sich die für die Aufstellung verantwortliche
ABC-Abwehrschule gezielt auf die erforderliche Rezer-
men der österreichischen Präsidentschaft für die
Central European Defence Cooperation im ersten
Halbjahr ist es vorgesehen, die Erfahrungen, die Öster-
reich in diesem Bereich gesammelt hat, an die Nachbar-
länder gezielt weiterzugeben.
KEY NOTES
• Austria’s participation in international crisis ma-
nagement will continue at a high level and balan-
ce the contributions to UN, EU, NATO, and OSCE
operations.
• New operations in and in the vicinity of Africa will
increase in importance.
• The importance of the active militia for internatio-
nal operations will increase, due to the concurrent
domestic need for AAF personnel.
• Apart from concrete operations both domestic
and international, preparations for the Battlegroup
2016-2 and the further development of AAF capa-
bilities have high priority.
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Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 403
INLANDSEINSÄTZE DES
BUNDESHEERES 2016
Franz Reißner
Militärische Landesverteidigung
Einsätze zur militärischen Landesverteidigung im Sinne
-
sche Kräfte eines anderen Staates in Österreich wirk-
sam werden, sind 2016 wenig wahrscheinlich.
Die Festlegung des Rechtsstatus für Einsätze gegen an-
dere von außen kommende Bedrohungen, denen nur
mit militärischen Mitteln begegnet werden kann, ob-
liegt der politischen Ebene.
Die militärische Luftraumüberwachung nach dem Mili-
tärbefugnisgesetz wird permanent wahrgenommen.
2015 wurden bis Redaktionsschluss 34 Priorität-A-Ein-
sätze (Einsätze der höchsten Dringlichkeitsstufe)
durchgeführt.
Die originäre verfassungsgesetzliche Aufgabe des
Bundesheeres ist die militärische Landesverteidi-
gung. Darüber hinaus kann es zum Schutz der ver-
fassungsmäßigen Einrichtungen, deren Handlungs-
fähigkeit und der demokratischen Freiheiten der
Einwohner sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung
und Sicherheit im Inneren herangezogen werden.
Dies und die Hilfeleistung bei Elementarereignissen
und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges
kommen nur in Form von Assistenzeinsätzen auf An-
forderung von Behörden und Organen des Bundes,
der Länder und Gemeinden zur Wirkung, sofern die-
se ihre Aufgaben nur unter Mitwirkung des Bundes-
heeres erfüllen können.
404 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz
Der Strom asylsuchender Menschen hat 2015 einen si-
cherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz des Bundeshee-
res für das Bundesministerium für Inneres erfordert.
Parallel zu diesem Einsatz unterstützt das Bundesheer
die Versorgung und den Transport der Asylsuchenden.
2016 werden diese Leistungen des Bundesheeres die
Einsätze im Inland mit hoher Wahrscheinlichkeit be-
stimmen. Die quantitative und qualitative Bereitstellung
Ressourcen im neuen Millennium, sehr komplexe wehr-
und dienstrechtliche Voraussetzungen für das Personal
im Verein mit den gleichzeitig zu bewältigenden Einsät-
zen des Bundesheeres zur Friedenssicherung im Aus-
land resultieren in einem knappen Handlungsspielraum.
Die ungewohnte Situation, Ordnungsaufgaben bei Auf-
nahme und Durchreise von Asylsuchenden gemäß der
Einsatzweisung der jeweiligen Landespolizeidirektion
wahrzunehmen, erfordern von den Soldatinnen und
Soldaten, sich in ihren Denk- und Handlungsweisen
kongruent zu jenen der Kolleginnen und Kollegen der
Polizei zu verhalten. Dies unter Abstimmung mit den
zivilen unterstützenden Kräften und unter Bedachtnah-
me auf das gesellschaftliche Umfeld. Diese Fähigkeit
zur zivil-militärischen Disziplinenkoordinierung ist ein
Charakteristikum von Streitkräften und rückt so in den
Vordergrund. Die oft höchst fordernden Situationen im
Umgang mit den Asylsuchenden in Relation zum eige-
nen Belief-System machen die Anleitung zu ethisch ein-
wandfreiem Verhalten durch truppenpsychologische
Betreuung und Leadership der Kommandantinnen und
Kommandanten zu einem kritischen Erfolgsfaktor.
Aus internationalen Einsätzen bringen Soldatinnen und
Soldaten Einsatzerfahrungen sowie ein hohes Maß an
Awareness für den erfolgreichen und korrekten Um-
gang mit krisenbelasteten anderen Kulturen mit. Das
Bundesheer unterscheidet sich darin wesentlich von an-
deren staatlichen Organisationen im Sinne eines Allein-
stellungsmerkmales. Daraus werden wertvolle Synergi-
en in diesem herausfordernden Einsatz gewonnen.
Katastropheneinsatz
Das Bundesheer ist bei der Bewältigung von Katastro-
phen infolge von Elementarereignissen und Unglücks-
fällen außergewöhnlichen Umfanges nicht „First res-
ponder“. Es kommt auf Anforderung zum Einsatz,
wenn Kräfte in großer Zahl zur Bewältigung einer Spit-
zenbelastung oder zur Sicherstellung einer Dauerleis-
tung (Durchhaltefähigkeit) erforderlich sind. Meist tritt
dies nach Abfall der quantitativen Leistungsfähigkeit
der zivilen Einsatzorganisationen infolge der erforderli-
chen Rückkehr der ehrenamtlich Tätigen in ihre Berufe
ein. Dabei kommt es vor allem auf strukturierte Kräfte
an, auf die militärische Führungsleistung zur Aufbie-
tung und Disposition von Kräften, und weniger auf be-
stimmte fachliche Qualitäten der „Helping hands“.
In qualitativer Hinsicht können Fähigkeiten des Bun-
desheeres bereits Teil der „First responder“ sein, die mit
den zivilen Kräften zum Einsatz kommen. Die Effekto-
ren, also z. B. mittlere Transporthubschrauber, schwere
militärische Brückensysteme, gewisse ABC-Abwehr-
dienste und logistische Fähigkeiten – im Verbund mit
den „Force Enablern“ wie Luftaufklärung, Fernmelde-
diensten und der militärischen Führungsstruktur – so-
wie die Fähigkeit, diese militärischen Elemente mit den
zivilen Einsatzkräften zum Zusammenwirken zu brin-
gen, sind nur im Bundesheer vorhanden. Der Doppel-
nutzen der Streitkräfte, das „Dual use“-Prinzip, ist ein
Merkmal österreichischer Sicherheitspolitik. Neben der
von Doppelstrukturen fördert dieser Ansatz insbeson-
dere die Integration des Militärs in die Zivilgesellschaft.
Das kommt dem Bundesheer auch in internationalen
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 405
KERNPUNKTE
• Einsätze zur militärischen Landesverteidigung im
2016 wenig wahrscheinlich.
• Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird auch 2016 der
Strom asylsuchender Menschen einen sicherheits-
polizeilichen Assistenzeinsatz des Bundesheeres
erfordern.
• Durch die Erfahrungen aus Internationalen Einsät-
zen bringen Soldatinnen und Soldaten des Österrei-
chischen Bundesheeres ein hohes Maß an Aware-
ness für den erfolgreichen und korrekten Umgang
mit krisenbelasteten anderen Kulturen mit.
• Der Doppelnutzen der Streitkräfte ist ein Merk-
mal österreichischer Sicherheitspolitik. Neben der
baues von Doppelstrukturen fördert dieser Ansatz
insbesondere die Integration des Militärs in die
Zivilgesellschaft.
• Wesentlicher Teil der Leistungen des Bundeshee-
res wird 2016 weiterhin in einer entsprechen-
den Vorhalteleistung zur Sicherung der strategi-
schen Handlungsreserve der Republik Österreich
bestehen.
Friedenseinsätzen zugute, da sich österreichische Solda-
tinnen und Soldaten so überdurchschnittlich gut auf die
Erfordernisse der betroffenen Zivilgesellschaft im Sin-
ne des Comprehensive Approach einstellen können.
2015 wurden bis Redaktionsschluss ca. 4800 Personen-
tage mit 50.000 Arbeitsstunden für Katastrophenhilfe
geleistet.
In Folge des Klimawandels und verschiedener vom
genden Versiegelung von Naturböden durch Bauten
sellschaft verstärkt negativ auswirken. Katastrophenein-
sätze des Bundesheeres sind, wenngleich sie quantitativ
und qualitativ nicht prognostizierbar sind, mit einer ho-
hen Eintrittswahrscheinlichkeit zu erwarten.
Ein wesentlicher Teil der Leistungen des Bundesheeres
wird 2016 weiterhin in einer entsprechenden Vorhalte-
leistung liegen, um dem Auftrag der Sicherheitsstrategie
2013, die strategische Handlungsreserve der Republik
Österreich zu bilden, gerecht werden zu können.
KEY NOTES
• Operations for the purpose of military national de-
2016.
• There is a high probability that also in 2016 the
operation of the Austrian Armed Forces.
• The experience gained in international operations
provides soldiers of the Austrian Armed Forces with
the high level of awareness required to deal with
crisis-hit cultures appropriately and successfully.
•
Austrian security policy. In addition to the cost-ef-
this approach especially encourages the integrati-
on of the armed forces in civil society.
• An important part of the services provided by the
Austrian Armed Forces in 2016 will continue to be
the safeguarding of the strategic reserve of the Re-
public of Austria.
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406 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Die aktuellen Entwicklungen und das sicherheits- und verteidigungspolitische Trendszenario der Jahresvorschau
2016 zeigen die großen Herausforderungen, vor denen die Republik Österreich und das Österreichische Bundesheer
stehen.
Der Konflikt in der Ukraine erfordert zur weiteren Deeskalation eine ambitionierte Leistung im Rahmen interna-
tionaler Organisationen. In der europäischen Nachbarschaft gibt es hybride Konflikte, die sich über Migrations-
ströme und Terrorismus auf die innere Sicherheit Österreichs und Europas auswirken. Die intensivierten Konflikte
im Nahen Osten und in Nord- und Subsahel-Afrika erfordern Maßnahmen für eine bessere Stabilisierung, auch
um die Gefahr des völligen Versagens staatlicher Strukturen zu verhindern. Diese Entwicklungen zeigen, dass die
Republik Österreich für die nationale und europäische Sicherheit ausreichende Kräfte und Mittel im Sicherheitssek-
tor bereithalten muss.
Die in der Bundesverfassung vorgegebene militärische Landesverteidigung ist für das Österreichische Bundesheer
die Basis, von der aus alle anderen Fähigkeiten der Streitkräfte aufwachsen. Unser Heer ist darüber hinaus für die
demokratische Gesellschaft jenes Rückgrat, das die zentralen Funktionen der Republik Österreich schützen soll,
wenn andere Organisationen an ihre Grenzen kommen.
Auf Grund der anhaltenden Migrationsströme und den Anforderungen des Innenministeriums zur Unterstützung
und sicherheitspolizeilichen Assistenz wird das Österreichische Bundesheer einen wesentlichen Beitrag zur Erhal-
tung der Sicherheit leisten. Medizinische Versorgung, Transport und Logistikaufgaben stehen im Vordergrund,
wofür eine hohe personelle und materielle Durchhaltefähigkeit über einen längeren Zeitraum notwendig ist.
Auch zur Prävention und Abwehr terroristischer Bedrohungen wie jener in Paris, muss das Bundesheer in der Lage
sein, einen substanziellen Beitrag zu leisten: moderne militärische Systeme im Bereich der Aufklärung und Beob-
achtung, der Kampfmittelabwehr, der ABC-Abwehr und der Logistik, aber auch best ausgerüstete und ausgebildete
Soldaten – binnen kurzer Zeit einsetzbar – werden dazu erforderlich sein.
Deswegen sind personelle und materielle Vorkehrungen zur Terrorabwehr und zum Schutz der Bevölkerung wesent-
liche Vorhaben für das kommende Jahr.
Mehr Sicherheit durch ein
leistungsfähiges Bundesheer
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 407
Zentrale Elemente der europäischen Sicherheit sind das Erfordernis zur Konfliktprävention und zur Stabilisierung
im unmittelbaren Umfeld der Europäischen Union, um negative Auswirkungen auf Europa und Österreich mög-
lichst zu verhindern. Es ist essenziell, den Krisen dort zu begegnen, wo sie entstehen. Deshalb wird sich das Öster-
reichische Bundesheer auch weiterhin anlassbezogen mit 1100 Soldatinnen und Soldaten am Internationalen Kri-
senmanagement beteiligen.
Ab 2016 wird das Bundesheer an der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA im Mittelmeer und an der UN-
Operation MINUSMA in Mali teilnehmen. Die Operation im Mittelmeer ist ein entschiedener Schritt der Europä-
ischen Union im Kampf gegen organisierte Schlepper, die Menschen illegal nach Europa bringen wollen. Die Ope-
ration in Afrika zeigt die neue robuste Art der Peacekeeping-Einsätze, die für stabile Verhältnisse in Krisenregionen
notwendig sind.
Derartige militärische Beiträge Österreichs zum europäischen Krisenmanagement sind nur mit spezialisierten,
durchhaltefähigen, robusten und zusammenarbeitsfähigen Kräften mit zeitgemäßem Truppenschutz und modernen
Einsatzmitteln möglich.
Um den hohen Anforderungen im In- und Ausland gerecht zu werden, müssen die Streitkräfte ausreichende Res-
sourcen zum Einsatz moderner zusammenarbeitsfähiger Systeme haben. Gerade jetzt brauchen wir dazu eine ver-
antwortungsvolle Politik, die eine Ausstattung des Bundesheeres mit dem dringend notwendigen Budget, Personal
und Gerät sicherstellt.
Substanzielle Einsparungen bei den Streitkräften als Rückgrat der Umfassenden Sicherheitsvorsorge sind dann ver-
hängnisvoll, wenn das Volk und die politische Führung nach Sicherheit verlangen, diese aber nicht in ausreichen-
dem Maß bekommen.
Die höhere Konfliktintensität und die sinkende Vorwarnzeit erfordern deshalb bereits jetzt ein deutlich höheres
Budget für das Bundesheer. Denn bei all diesen Anstrengungen geht es um die Sicherheit Österreichs: Es geht um
das Leben unserer Mitmenschen in Freiheit und Frieden.
GENERAL
MAG. OTHMAR COMMENDA
Chef des Generalstabes des
Österreichischen Bundesheeres
408 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Amr Adly, PhD, geboren 1982, ist externer Experte am Carnegie Middle East Center in Kairo. Sein
Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Politischen Ökonomie, der Entwicklung und der ökonomischen
Soziologie mit Fokus auf Ägypten. Er unterrichtete Politische Ökonomie an der Amerikanischen Universität
in Kairo sowie an der Stanford Universität, wo er auch am Zentrum für Demokratie, Entwicklung und
Rechtstaatlichkeit (CDDRL) als Projektleiter tätig war.
Prof. Sascha Dov Bachmann ist Associate Professor für Internationales Recht an der Universität Bournemouth
(U.K.), Assessor Jur, LL.M (Stellenbosch) und LL.D (Johannesburg). Als Oberstleutnant d.R. der Bundeswehr war er
u.a. in verschiedenen Verwendungen in Peacekeeping-Missionen (NATO/KFOR, 2002 bis 2006) tätig.
Dr. Rastislav Báchora, geboren 1978, ist seit 2015 im Büro für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für
Landesverteidigung und Sport (BMLVS) tätig. Er studierte Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und
Belgrad und ist Autor zahlreicher Fachbeiträge.
Mag. Christoph H. Benedikter, geboren 1966, ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann-
Prof. Dr. Sven Biscop, geboren 1976, ist Director of the Europe in the World Programme am Egmont – Royal
Europe in Brügge. Als Senior Research Associate hält er regelmäßig Vorlesungen an der People’s University in
Peking. 2015 war er Honorary Fellow am Europäischen Sicherheits- und Verteidigungkolleg in Brüssel.
Diplom-Pädagoge Josef D. Blotz
Planning im Internationalen Militärstab des NATO-Hauptquartiers in Brüssel. Zahlreiche Truppen-, Ministeriums-
und NATO-Verwendungen im In- und Ausland. Auslandseinsätze u. a. als Commander Regional Command North
in Afghanistan (2007) und als International Security Assistance Force (ISAF) Spokesperson in Kabul (2010/11).
Dipl.-Ing. Walter Boltz
Control Austria und seit 2010 Vice Chair of ACER‘s Regulatory Board.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 409
Dr. Raphael Bossong, geboren 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa Universität Viadrina
und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er promovierte
an der London School of Economics und wirkte in den vergangen Jahren an mehreren internationalen
Sicherheitsforschungsprojekten mit. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die innere und äußere
Sicherheitspolitik der EU, Terrorismusbekämpfung sowie Fragen des zivilen Krisen- und Katastrophenmanagements.
Prof. Dr. Michael Brzoska, geboren 1953, ist seit 2006 Wissenschaftlicher Direktor des Institutes für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH). 1994 bis 2006 war er Forschungsleiter
und stellvertretender Direktor am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC).
Victoria Bucataru, geboren 1983, ist seit 2009 Programme Director bei der Foreign Policy Association in
Moldawien. Zwischen 2005 bis 2010 hat sie als Lektorin am International Relations Department der Moldova State
University gearbeitet und war für die Koordinierung der Programme am Information and Documentation Centre der
NATO sowie am European Institute for Political Studies zuständig.
Mathew J. Burrows, PhD, geboren 1953, ist Direktor der Atlantic Council for Strategic Foresight Initiative. Zuvor
war er Berater am National Intelligence Council und Direktor des Analyses und Production Staff. Er studierte an der
Philipp Charwath, geboren 1974, ist Erstzugeteilter an der Ständigen Vertretung Österreichs bei
den Vereinten Nationen.
, MA, geboren 1964, war Verteidigungsminister und Mitglied der Partei der Demokratischen Aktion
Sarajevo gemacht.
Dr. Anne L. Clunan ist Visiting Scholar am Center for International Security and Cooperation der Stanford
University und Associate Professor der U. S. Naval Postgraduate School.
Othmar Commenda
Davor war er als Leiter des Managements ÖBH 2010 tätig.
410 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Tamás Csiki, PhD, geboren 1984, ist Research Fellow mit dem Spezialgebiet Euro-Atlantic Defense am Zentrum
für Strategic and Defense Studies in Budapest. Er war auch im Bereich Independent Analysis on International
Security für das ungarische Verteidigungsministerium tätig. Zudem ist er Lektor an der Fakultät für Internationale
und Europäische Studien an der National University of Public Service in Budapest.
Mag. Alexander Dubowy, geboren 1982, ist seit September 2014 wissenschaftlicher Projektmitarbeiter (Post–Doc)
in der Abteilung Polemologie/Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der
Universität Wien. Er ist zudem Koordinator der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS) und Mitglied der
Forschungsplattform für Osteuropa an der Universität Wien.
Mag. Dr. , geboren 1976, ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik
(oiip), Politologe an der Universität Wien, er unterrichtet bei den Masterstudienlehrgängen Balkan Studies und
Autor zahlreicher Publikationen.
Mag. Maximilian Edelbacher, geboren 1944, ist seit 2014 Stellvertretender Leiter des Wien-Büros des Academic
Council on the United Nations System (ACUNS). Seit 2008 ist er Lektor an der Universität Wien am Institut für
Soziologie sowie Sicherheitsexperte und Berater. Hochrangige Polizeilaufbahn von 1972 bis 2006. Er ist Autor
mehrerer Bücher, zuletzt: Edelbacher M/Kratcoksi P/Dobovsek B, Corruption, Fraud, Organized Crime & Shadow
Brigadier Philipp Eder, geboren 1968, ist seit April 2014 Leiter der Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium
für Landesverteidigung und Sport (BMLVS). Davor war er Leiter des Instituts für Höhere Militärische Führung der
Landesverteidigungsakademie Wien und Projektleiter des Strategischen Führungslehrgangs der Bundesregierung.
Von 2008 bis 20013 war er Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Transformation im BMLVS.
Dr. Walter Feichtinger, geboren 1956, ist seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und
verteidigungspolitischer Berater im Bundeskanzleramt. Er ist bekannt durch zahlreiche Medienauftritte als Experte
für Fragen der Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik.
Dr. Karin Fichtinger-Grohe, geboren 1967, ist Politologin, seit 1993 im Außenministerium tätig und leitet derzeit
das Referat für Sicherheitspolitik. Verwendungen an den Botschaften Belgrad, Den Haag, Bern und Dublin sowie
Leitung des Referats für bilaterale Wirtschaftsbeziehungen mit dem außereuropäischen Raum.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 411
Dr. Alexandra Föderl-Schmid, geboren 1971, ist seit 2007 Chefredakteurin und seit 2012 Co-Herausgeberin der
Tageszeitung „Der Standard“. Seit 2013 ist sie auch Chefredakteurin und Co-Herausgeberin der Onlinezeitung
„derStandard.at“. Sie war u. a. Korrespondentin in Berlin und Brüssel und hatte die Herzl-Dozentur für Journalismus
im Sommersemester 2013.
Libor Frank, PhD, geboren 1975, ist Leiter der Abteilung für Security Studies and Analyses am Zentrum für Security
and Military Strategic Studies an der Universität für Verteidigung in Brünn. Seine Forschungsschwerpunkte sind
Bedrohungsanalyse und Entwicklung des Sicherheitsumfeldes der Tschechischen Republik. Er promovierte an der
Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk Universität in Brünn.
Brigadier Mag. Dr. Johann Frank, MAS, geboren 1969, ist Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik und
Sicherheitspolitischer Direktor im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport in Wien. Davor u. a.
Verwendung im Kabinett des Bundesministers für Landesverteidigung. Seit 2014 beratendes Mitglied im Nationalen
Sicherheitsrat der Republik Österreich. Mitglied der Wissenschaftskommission und Verfasser zahlreicher
wissenschaftlicher Publikationen zur europäischen und österreichischen Sicherheitspolitik.
Prof. Dr. Sven Bernhard Gareis
Center und lehrt Internationale Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Zu seinen
Arbeitsschwerpunkten gehören die Politik Chinas sowie die internationalen Beziehungen in Ostasien. Er ist
Absolvent des internationalen Kurses an der chinesischen Nationalen Verteidigungsuniversität und war neben
zahlreichen Aufenthalten in der Region zu insgesamt sieben Einsätzen als Verteidigungsattaché der Reserve an die
deutschen Botschaften in Peking bzw. Kuala Lumpur abgeordnet.
Mag. Wolfgang Gattringer
Wien. Er war von 2003 bis 2007 Kabinettchef-Stellvertreter im Bundesministerium für Inneres und dabei unter
anderem für Technik und IT zuständig. Nach einer Tätigkeit als Service Director bei Alcatel-Lucent in Ungarn und
komplexe Strategie- und Stakeholderprojekte unter anderem im Cybersecurity-Bereich unterstützen zu können.
Dr. Dalia Ghanem-Yazbeck, geboren 1976, ist Politikwissenschafterin und derzeit Research-Analystin am
und Extremismus in der arabischen Welt mit Schwerpunk Algerien. Insbesondere beschäftigt sie sich auch mit der
412 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Dr. Bastian Giegerich, geboren 1976, ist Director for Defence and Military Analysis am International Institute
for Strategic Studies in London, an dem er bereits von 2005 bis 2010 zu Fragen der europäischen Sicherheitspolitik
geforscht hat. Von 2010 bis Anfang 2015 hat er in verschiedenen Funktionen für das Bundesministerium der
Verteidigung in Berlin gearbeitet. Er studierte Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an den
Universitäten Potsdam und Maryland und promovierte 2005 an der London School of Economics (LSE)
promoviert.
Richard Gowan, geboren 1978, ist Wissenschafter am European Council on Foreign Relations (ECFR) und
on International Cooperation, wo er als Non-Resident Fellow verblieb. Er unterrichtet ebenfalls an der Columbia
University‘s School of Iternational and Public Affairs. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne („Diplomatic
Fallout“) für die Zeitschrift „World Politics Review“. Er arbeitete als Konsulent für das UN-Sekretariat und für eine
Vielzahl von Außenministerien.
Mag. Peter Gridling, geboren 1957, ist seit 2003 Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und
Terrorismusbekämpfung (BVT). Zuvor war er Leiter der Terrorismusabwehr bei Europol in Den Haag und bei der
Vertretung Europols in Brüssel sowie Leiter bei zahlreichen internationalen Konferenzen.
Dipl.-Ing. Julia Grill, geboren 1981, ist seit 2013 an der Montanuniversität (MU) Leoben. Sie ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin und Dissertantin am Lehrstuhl für Thermoprozesstechnik mit dem Forschungsschwerpunkt politische
Strategien zur Erreichung der österreichischen Klima- und Energieziele.
Prof. Dr. Ruslan Grinberg ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie
für Wissenschaften (RAN). Bis 2015 war er Direktor des Instituts. Zudem ist er Professor am Lehrstuhl für
und korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie für Wissenschaften.
José Ángel Gurría Treviño
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Von 1998 bis 2000 war er Finanzminister, von 1994 bis 1998
Außenminister Mexikos. Er nahm an den Verhandlungen zum OECD-Beitritt Mexikos 1994 teil und leitete als
zuständiger Minister im Jahr 1999 den Ministerrat der OECD. 2010 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität
Haifa.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 413
Brigadier Mag. Gustav E. Gustenau, geboren 1959, ist seit 2008 Verbindungsperson des Bundesministeriums
für Landesverteidigung und Sport zum Sekretariat des Nationalen Sicherheitsrates. Er war von 2000 bis 2008
Stellvertretender Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik und sicherheitspolitischer Berater des Bundesministers
für Landesverteidigung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Schriften.
Mag. Dr. Gerald Hainzl, geboren 1970, ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherung
Lektor an mehreren Universitäten und tertiären Bildungseinrichtungen. Seine Forschungsschwerpunkte sind
Daniel S. Hamilton, PhD, geboren 1955, ist Direktor am Center for Transatlantic Relations der Johns Hopkins
University School of Advanced International Studies (SAIS). Als ehemaliger Diplomat liegt Prof. Hamiltons
wissenschaftlicher Fokus auf der Europäischen Union und Südosteuropa.
Dr. Gudrun Harrer, geboren 1959, ist leitende Redakteurin der Tageszeitung Der Standard. Sie hat
des Nahen Ostens an der Universität Wien und an der Diplomatischen Akademie Wien. 2006 war sie österreichische
Sondergesandte im Irak. Jüngste Bucherscheinungen: Dismantling the Iraqi Nuclear Programme (Routledge) und
Nahöstlicher Irrgarten – Analysen abseits des Mainstream (Kremay&Scheriau).
Dr. Hiski Haukkala ist Associate Professor of International Relations at the School of Management an der
Studies in Paris, am IISS in London und dem Department of Politics der University of Stirling in Schottland. Er ist
Autor zahlreicher Beiträge zum Thema EU-Außenpolitik.
Mag. Marie-Christine Heinze ist Vorsitzende des Center for Applied Research in Partnership with the Orient
(CARPO). Sie forscht seit 2008 im Jemen und promovierte 2015 an der Universität Bielefeld. Neben ihrer
Forschung, die unter anderem auf Fragen zum Sicherheitssektor fokussiert, berät sie Institutionen aus Politik und
Entwicklungszusammenarbeit zum Jemen.
414 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Brigadier Mag. Bruno Hofbauer
für Landesverteidigung und Sport. In dieser Zeit war er zwölf Monate Kommandant der 3. Panzergrenadierbrigade
Österreichischen Kontingents in Bosnien und Herzegowina.
Botschafter Dr. Peter Jankowitsch, geboren 1933, ist heute im Direktorium des Österreich-Französischen
österreichischen Auswärtigen Dienst als Missionschef bei verschiedenen multilateralen Organisationen wie
den Vereinten Nationen, der OECD oder der Europäischen Weltraumagentur an und war auch Mitglied der
Bundesregierung sowie des Nationalrates.
Brigadier Martin Jawurek, geboren 1966, ist Abteilungsleiter Einsatzplanung des Bundesministeriums
für Landesverteidigung und Sport, Leiter der Führungsabteilung und Chef des Stabes an der
, MA, ist Research Fellow am International Centre for Defence and Security (ICDS) in
Tallinn, Estland. Zuvor arbeitete er am Baltic Defence College (BALTDEFCOL) als stellvertretender Direktor. Er
hat einen BA der Politikwissenschaft von der Universität Vilnius, einen MA der „War Studies“ vom King’s College in
London und einen MBA der Universätät Liverpool.
Dr.
der Studiengruppe Regional Stability in South East Europe des PfP (Partnership for Peace) Consortium of Defence
und Friedensprozess in Südosteuropa.
Dr. Karl-Heinz Kamp, geboren 1957, ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin.
Giorgi Kanashvili, MA, ist seit 2011 Executive Director am Center for Cultural Relations „Caucasian House“. 2012
schloss er sein Studium an der Ilia State Univeristy ab und begann dort 2013 sein Doktorstudium. Er nahm am
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 415
Thiemo Kapffer
vor allem die Lage in den Ländern Nordafrikas sowie in ausgewählten Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und des
Subsahara-Afrikas analysiert.
Dr. Patrick Keller, geboren 1978, ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung
in Berlin. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn und lehrt
Internationale Sicherheitspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.
Dr. Ronja Kempin, geboren 1974, ist Senior Fellow der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft
Botschafter Jan Kickert, geboren 1964, ist Ständiger Vertreter Österreichs bei den Vereinten Nationen.
Dr. Christian Klopf
Forschung im Sozialministerium. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die sozialen Auswirkungen der Wirtschafts-
und Finanzkrise, Armut und soziale Ausgrenzung sowie Einkommens- und Vermögensverteilung. Er ist zudem
österreichischer Delegierter in der Indikatoren-Untergruppe des EU-Ausschusses für Sozialschutz und in der OECD
Working Party on Social Policy.
Dr. Karin Kneissl, geboren 1965, ist freischaffende Analystin und Korrespondentin sowie Lehrbeauftragte. Die
und Hebräisch). Kneissl war 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst der Republik Österreich. Sie unterrichtet in Wien
und Beirut Energiepolitik und ist Autorin mehrerer Sachbücher. Vgl. www.kkneissl.com.
Dr. , geboren 1976, ist Senior Research Associate am Department for International Economic
and Political Relations am Institute for International Relations in Zagreb, Kroatien. Er studierte an der Fakultät für
Politkwissenschaft der Universität Zagreb.
Ivan Krastev
Bulgarien. Zudem ist er Permanet Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Er ist auch
Founding Board Member des European Council on Foreign Relations (ECFR), Mitglied des Advisory Board der
Advisory Council of the Center for European Policy Analysis (CEPA) und der European Cultural Foundation (ECF).
416 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Oberst Ing. Mag. Guido Kraus, geboren 1969, war von 2012 bis 2015 österreichischer Verteidigungsattaché in Israel,
mehreren Auslandseinsätzen des Österreichischen Bundesheeres, u. a. in Zypern, Albanien und der Westsahara.
Miriam Kraus, geboren 1979, ist Expertin für Rohstoffanlagen, Chefredakteurin des Börsen-Newsletters „Rohstoff
Daily“ und selbstständige Finanzanalystin seit 2007. Zuvor Studium der Rechtswissenschaft und Weiterbildung
Vermögensverwaltung, in deren Rahmen sie Investmentbanken bei der Konstruktion von Derivaten unterstützte.
Prof. Dr. Michael Kunze, geboren 1942, ist an der Medizinischen Universität Wien als Facharzt für Hygiene und
Mikrobiologie beschäftigt. Er ist auch Facharzt für Sozialmedizin und Mitglied des Wehrmedizinischen Beirats des
Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport sowie Director, Competent Body ECDC (European Center
Disease Control).
Dr. Hilmar Linnenkamp, geboren 1944, ist Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam und berät seit 2009
die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Von 2004 bis 2007 war
er Deputy Chief Executive der European Defence Agency in Brüssel, 2001 bis 2004 im Bundesministerium der
Verteidigung zuständig für Internationale Rüstungsangelegenheiten, davor Leiter des Sekretariats der Weizsäcker-
Kommission zur Reform der Bundeswehr.
Marian Majer, PhD, geboren 1980, ist der Leiter des Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Programms beim
Central European Policy Institute (CEPI) in Bratislava. 2012 bis 2014 arbeitete er als Forscher am Centre for
European and North Atlantic Affairs (CENAA), 2004 bis 2012 war er in verschiedenen Funktionen im slowakischen
Dr. Roland Marchal
für Internationale Forschung der SciencesPo in Paris. Darüber hinaus war er von 2002 bis 2006 Chefredakteur des
französischen, akademischen Journals „Politique Africaine“. Er arbeitete als Berater für verschiedene europäische
Afrika.
Prof. Dr. Miroslav Mareš, PhD, geboren 1974, ist Leiter des Studienfaches Sicherheits- und Strategiestudien am
Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Masaryk-Universität in Brünn. Er ist Mitglied des European Expert Network
on Terrorism Issues und nahm am Radicalisation Awareness Network der EU teil.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 417
Sergey Markedonov, PhD, geboren 1972, ist Director of the Department for Problems of Ethnic Relations am
Dr. Alessandro Marrone, geboren 1982, ist Senior Fellow am Sicherheits- und Verteidigungsprogramm am
International Affairs Institute (IAI) in Rom. Er unterrichtet u.a. Strategische Studien an der Universität von Perugia
und ist Mitglied der Redaktion des „Webmagazine AffarInternazionali“.
Dr. Hartmut Mayer, geboren 1968, ist Wissenschafter und Tutor in Politics am St. Peter‘s College der Universität
Oxford sowie Adjunct Professor für Europäische und Euroasiatische Studien an der Johns Hopkins University (SAIS
Europe) in Bologna. Er leitet seit 1998 den Regionalbereich Europa bei Oxford Analytica und hat an der Universität
Oxford promoviert.
Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, geboren 1957, ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer und Leiter der
Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in München. Er lehrt Internationale Politik an
der Universität Regensburg.
Botschafter Mag. Jürgen Meindl, geboren 1965, ist seit August 2015 Botschafter im Königreich Belgien und Leiter
der Österreichischen Vertretung bei der NATO. Zuvor war er unter anderem bevollmächtigter Botschafter in der
Schweizer Eidgenossenschaft und Außenpolitischer Berater und stellvertretender Kabinettschef des Bundeskanzlers.
Paul Melly ist Associate Fellow im Africa Programme beim Royal Institute of International Affairs – Chatham
Politik Frankreichs und der EU sowie Entwicklungspolitik oder IWF/Weltbank Afrika Strategie. Er ist auch leitender
Prof. a.D. Dr. Ulrich Menzel, geboren 1947, hatte bis September 2015 den Lehrstuhl für Internationale
Beziehungen und Vergleichende Regierungslehre am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig mit dem
Veröffentlichungen, zuletzt „Die Ordnung der Welt“, Berlin 2015.
418 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Dr. Christian Mölling
arbeitet er zu Fragen europäischer Sicherheit, Verteidigung und Rüstungsindustrie. Frühere Stationen beinhalten
die Stiftung Wissenschaft und Politik, das Royal United Services Institute in London, das European Union Institute
for Security Studies in Paris und das Center for Security Studies der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule)
Zürich.
Prof. Dr. Herfried Münkler, geboren 1951, ist Inhaber des Lehrstuhls für Theorie der Politik an der Humboldt-
Universität zu Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Prof. John M. Nomikos, PhD, ist Direktor am Research Institute for European and American Studies (RIEAS),
Webster University in Athen und Head of the Department of International Relations, History and Politics.
Dr. Hardy Ostry, geboren 1970, ist seit 2012 Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tunis
Internationalen Beziehungen an der Universität der Bundeswehr in München begann er 2001 seine Tätigkeit für die
Europäische und Internationale Zusammenarbeit (KAS) und war in Benin, Tunesien sowie Jordanien stationiert.
Dr. Martin Pabst
das Büro für Forschung und Politikberatung in München. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen,
ständiger Mitarbeiter der Österreichischen Militärzeitschrift (ÖMZ) und der Zeitschrift „Europäische Sicherheit und
Oberst Dr. Jérôme Pellistrandi, geboren 1961, ist Chefredakteur der Zeitschrift „Revue de la Défense
Nationale“ in Paris. Er trat 1980 in die französische Armee ein und war auch Kommandant der multinationalen
Unterstützungsbrigade des Eurokorps.
Dr. Thieß Petersen
zurzeit als Senior Advisor im Programm Nachhaltig Wirtschaften, zudem seit 2010 Lehrbeauftragter an der Europa-
Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 419
Georg Plattner, MA, geboren 1988, forscht an der Tel Aviv University als Stipendiat des israelischen
Außenministeriums zum „Wandel der sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen der EU und Israel seit 2011“. Er
Sicherheit im Middle East and North Africa (MENA)-Raum mit Fokus auf Israel.
Mag. Alexander Pschikal ist seit 1982 im Bundeskanzleramt, Abteilung Sicherheitspolitische Angelegenheiten und
Nationaler Sicherheitsrat, Koordinator „Schutz kritischer Infrastrukturen“. Er ist Point of Contact für das European
Programme for Critical Infrastructure Protection (EPCIP) und nahm an Wahlbeobachtungsmissionen in Europa und
Afrika teil.
Tariq Rauf ist seit Februar 2014 Direktor des Programms Disarmament, Arms Control and Non-Proliferation
des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in Schweden. Zuvor war er Leiter des Büros für
Themen Nuklearer Rüstung, Non-Proliferation und Nuklearpolitik. Zuletzt erschien 2014 „Indicators of Nuclear
Weaponization”, Moskau.
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Harald Raupenstrauch, geboren 1961, ist seit 2007 Universitätsprofessor an der
Alexander Reichmann, geboren 1974, ist seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter beim SORA
Institute for Social Research and Consulting im Bereich Wahlforschung und politische Kommunikation.
Franz Reißner, MSc, geboren 1957, ist Kommandant der Streitkräfte des Österreichischen
Landesverteidigung und Sport (BMLVS) und war Kommandant der Einsatzunterstützung in Wien.
Dr. Henning Riecke
Weatherhead Center for International Affairs der Harvard University durch.
420 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
Wolfgang Rosenkranz, geboren 1971, ist Manager in der REPUCO Unternehmensberatung, Oberleutnant der
Direktor International Sales bei der Österreichischen Staatsdruckerei 2011 zur REPUCO Unternehmensberatung,
wo er vor allem für den Bereich Cybersecurity zuständig ist. In dieser Funktion leitet er für das Kuratorium Sicheres
Österreich das KSÖ Cybersecurity Forum und führt Projekte wie z.B. den KSÖ-Rechts- und Technologiedialog zum
Cyber-Sicherheitsgesetz durch.
Petra Roter, PhD, ist Associate Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaften im Bereich der Internationalen
Beziehungen an der Universität Ljubljana. Sie promovierte an der Universität Cambridge und arbeitet als
unabhängige Expertin im Bereich Minderheitenschutz für den Rat der EU und mit dem Hohen OSZE-
Repräsentanten für nationale Minderheiten.
, PhD candidate, geboren 1980, ist beim Belgrade Fund for Political Excellence tätig, wo er für die
Koordinierung des Programms des Belgrade Security Forums der South East Europe’s premier security conference
verantwortlich ist. Zuvor war er Direktor der Regional Academy for Democracy, eine Initiative zur Kapazitätsbildung
Sciences und arbeitet dort zum Thema Privatisierung und Auslagerung von internationaler Sicherheit.
Mag. Alexander Schahbasi
Menschenrechte des Bundesministeriums für Inneres und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Erlanger Zentrum für
Islam und Recht in Europa.
Mag. Martin Schenk, geboren 1970, ist Sozialexperte und Stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich,
Fachhochschule Campus Wien. Aktuelle Publikationen bei Deuticke und im Studienverlag.
Dr. Margit Schratzenstaller, geboren 1968, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut
für Wirtschaftsforschung mit den Arbeitsschwerpunkten Budget- und Steuerpolitik, Steuerwettbewerb und
-harmonisierung sowie Fiskalischer Föderalismus.
Dr. Ulrich Schuh, geboren 1969, ist Forschungsvorstand von EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung;
Mitglied des Fiskalrates, des Finanzmarktstabilitätsgremiums, der Wettbewerbskommission, der Pensionskommission
DIE AUTOREN
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 421
Prof. Michael Semple
Social Justice, an der Queen‘s University in Belfast.
Prof. Noel Sharkey, PhD, DSc, geboren 1948, ist Informatiker und Professor für künstliche Intelligenz und Robotik
Prof. Dr. Jamie Patrick Shea
Relations und Direktor für Information und Presse bei der NATO. Er promovierte 1981 an der Oxford University
Nadim Shehadi, geboren 1956, ist seit 2014 Direktor am Fares Center for Eastern Mediterranean Studies an der
Fletcher School of Law and Diplomacy an der Tufts University. Er ist auch Associate Fellow beim Middle East and
North Africa (MENA)-Programme des Chatham House, Royal Institute of International Affaires in London.
Prof. Dr. Louise Shelley
Transnational Crime and Corruption Center (TraCCC).
Prof. Stefano Silvestri, geboren 1942, ist Forschungsleiter am International Affairs Institute (IAI) in Rom, bei
dem er auch bis 2013 Vorsitzender war. Er war ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Berater
mehrerer italienischer Regierungen vor allem in den Bereichen Verteidigung und Internationale Beziehungen.
Prof. Dr. Dr. Christian Stadler, geboren 1966, ist seit September 2013 Leiter der Abteilung Polemologie/
Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien. Er ist zudem
Stv. Leiter der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS).
Dr. Guido Steinberg, geboren 1968, ist IslamWissenschafter und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik
(SWP) in Berlin. 2001 bis 2005 arbeitete er als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Zuletzt erschienen von
Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror“.
422 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Mag. Robert Stocker, MBA, geboren 1961, ist Leiter der Abteilung II/13 - Einsatz-, Krisen- und
Katastrophenkoordination im Bundesministerium für Inneres. Er studierte Rechtswissenschaften in Wien und
schloss 2009 die Ausbildung zum Akademischen Krisen- und Katastrophenschutzmanager ab.
Dr. Nicolas Stockhammer, geboren 1975, ist seit Juli 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Senior-Post-Doc
Researcher) der Abteilung Polemologie&Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht
an der Universität Wien.
Botschafter Dr. Christian Strohal, geboren 1951, ist österreichischer Diplomat und seit 2013 als Ständiger
Vertreter Österreichs bei der OSZE in Wien tätig. Zuvor war er u. a. als Vertreter Österreichs bei den internationalen
Menschenrechte und Demokratische Institutionen der OSZE in Warschau.
Fregattenkapitän Marco Taedcke, geboren 1974, ist Diplom-StaatsWissenschafter, Fregattenkapitän der Deutschen
Dane Taleski, PhD, geboren 1979, ist seit Oktober 2015 Visiting Fellow am Centre for Southeast European Studies
Dr. Thierry Tardy, geboren 1968, ist leitender Analytiker am European Institute for Security Studies (EUISS). Sein
Forschungs- und Publikationsschwerpunkt liegt im militärischen und zivilen Krisenmanagement mit Fokus auf
Development Studies.
Wilhelm Theuretsbacher, geboren 1957, Oberst der Miliz, ist Chefreporter bei der Tageszeitung „Kurier“. Er war
in allen wesentlichen Krisen- und Kriegsgebieten der letzten 40 Jahre im Einsatz in wechselnden Rollen als Journalist
oder Soldat. Er ist Autor der Bücher „Ich gelobe“ und „The Austrian Armed Forces – From a Secret Army to the
Member of European Security“.
Nathalie Tocci, PhD, geboren 1977, ist die Spezielle Beraterin der Hohen Repräsentantin für Auswärtige
Angelegenheiten der EU, Federica Mogherini, und seit 2011 stellvertretende Direktorin des Istituto Affari
Internazionali in Rom und Herausgeberin des International Spectator. Sie war 2014 auch die strategische Beraterin
des italienischen Ministers für Auswärtige Angelegenheiten.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 423
Prof. Ben Tonra, geboren 1965, ist Leiter der UCD School of Politics and International Relations (SPIRe) am
University College in Dublin. Zudem ist er Jean Monnet Professor für europäische Außen-, Sicherheits- und
Verteidigungspolitik und außerordentlicher Professor für Internationale Beziehungen.
Sinan Ülgen ist Vorsitzender des in Istanbul ansässigen Think Tanks EDAM und Visting Scholar bei Carnegie
Europe in Brüssel. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Analysen zur türkischen Außenpolitik und ihre
die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Aspekte in den transatlantischen Beziehungen. Er ist Mitherausgeber des
Buches „Turkey’s Nuclear Future“.
Joris Van Bladel, geboren 1966, ist Russlandexperte, freier Wissenschafter und Autor für strategische Analysen. Er
ist Mitglied der Wissenschaftskommission im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport und war Berater
von Javier Solana.
Peter Van der Auweraert, geboren 1968, ist derzeit bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) tätig
und unterstützt die interne Koordination von IOM-Maßnahmen im Zuge der Flüchtlingskrise im Mittelmeerraum.
Dr. Nicolai von Ondarza, geboren 1982, ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind das Regieren in der Europäischen Union,
Mag. Peter Webinger
im Bundesministerium für Inneres, Vertreter Österreichs im Strategic Committee on Immigration, Frontiers
and Asylum sowie Vortragender u. a. beim Strategischen Führungslehrgang der Bundesregierung und im
Botschafter Mag. Markus Weidinger, MA, geboren 1973, ist als österreichischer Vertreter in der Politisch-
Wirtschaftswissenschaften, Master in internationalem Management, Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien
der Mission Österreichs bei der NATO tätig.
424 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
DIE AUTOREN
Richard Weitz, geboren 1961, ist Senior Fellow am Center for Political-Military Analysis am Hudson Institute mit
Schwerpunkt auf den Entwicklungen der regionalen Sicherheit im Umfeld von Europa, Eurasien und Ostasien sowie
auf der US-Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist auch Experte bei Wikistrat und ein Non-Resident Adjunct Senior
Fellow am Center for a New American Security.
Jacob Westberg, PhD, geboren 1963, ist am Department of Political Science der Universität Stockholm tätig.
Zudem arbeitet er seit 2008 als Lektor und Researcher am Department of Security and Strategy der Swedish Defence
University. Sein Forschungsschwerpunkt ist die schwedische Sicherheitspolitik und die Verteidigungskooperation
zwischen den nordischen Ländern.
Botschafter Lamberto Zannier
Diplomat. Von 2008 bis 2011 war er UN Special Representative für den Kosovo und Head of the United Nations
Centre der OSZE.
Ilya Zaslavskiy
Institut für Internationale Angelegenheiten – Chatham House.
Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 425
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DIREKTION FÜR SICHERHEITSPOLITIK
SICHER. UND MORGEN?
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Die Direktion für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für
Landesverteidigung und Sport hat internationale und österrei-
chische Experten eingeladen, die für das Jahr 2016 relevan-
Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkreter
mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit
eine eingeschränkte Gestaltungsfähigkeit und eine schwinden-
politik sind:
Intensivierung von Kooperationen
SICHERHEITSPOLITISCHE
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  • 1. DIREKTION FÜR SICHERHEITSPOLITIK SICHER. UND MORGEN? SICHERHEITSPOLITISCHEJAHRESVORSCHAU2016 Die Direktion für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport hat internationale und österrei- chische Experten eingeladen, die für das Jahr 2016 relevan- Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkreter mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit eine eingeschränkte Gestaltungsfähigkeit und eine schwinden- politik sind: Intensivierung von Kooperationen SICHERHEITSPOLITISCHE JAHRESVORSCHAU 2016 ÖSTERREICHISCHES BUNDESHEER
  • 3. SICHER. UND MORGEN? SICHERHEITSPOLITISCHE JAHRESVORSCHAU 2016 Direktion für Sicherheitspolitik
  • 4. DIE INHALTE DER EINZELNEN BEITRÄGE GEBEN DIE PERSÖNLICHE EINSCHÄTZUNG DER EXPERTEN WIEDER UND ENTSPRECHEN NICHT NOTWENDIGERWEISE DEN POSITIONEN DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR LANDESVERTEIDIGUNG UND SPORT UND DER INSTITUTIONEN, FÜR DIE SIE TÄTIG SIND. EINE VIELZAHL VON BEITRÄGEN DIESER JAHRESVORSCHAU WURDE VOM SPRACHINSTITUT DES BUNDESHEERES UND VON MITARBEITERINNEN UND MITARBEITERN DES BÜROS FÜR SICHERHEITSPOLITIK INS DEUTSCHE ÜBERSETZT. IMPRESSUM MEDIENINHABER, HERAUSGEBER UND HERSTELLER: Republik Österreich/Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport PROJEKTLEITUNG: Brigadier Dr. Johann Frank REDAKTION: Büro für Sicherheitspolitik; Dr. Egbert Apfelknab, Dr. Rastislav Báchora; Dr. Wolfgang Brau- mandl-Dujardin; Mag. Raphaela Engel; OberstdhmfD Mag. Karl Fitsch; OberstdG MMag. Thomas Fronek; Mag. Alexander Fuchssteiner; OberstdG Mag. Georg Geyer; Brigadier Mag. Gustav Gustenau; Sahrah Kiparski, MA, Martin Leithner, BA; OberstdhmfD Dr. Wolfgang Manzl; Mag. Walter Matyas; Hofrat Hermann Meyer; Mag. Jürgen Neuhuber; OberstdhmfD Dr. Bernhard Richter; OberstdhmfD Mag. Stefan Ulmer; Christoph Winna, BA; Mag. Astrid Zahel ÜBERSETZUNGEN: Sprachinstitut des Bundesheeres und Büro für Sicherheitspolitik LAYOUT UND SATZ: Büro für Sicherheitspolitik; Lukas Bittner, BA ALLE: Roßauer Lände 1, 1090 Wien; HERSTELLUNG: BMLVS/Heeresdruckzentrum 15-8718 ISBN: 978-3-902275-44-8 Wien, Dezember 2015 Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, BMLVS/Heeresdruckzentrum, UW-Nr. 943
  • 5. PROLOG 08 Vorwort — Gerald Klug 10 Einleitung — Johann Frank TRENDSZENARIO 2016 FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK 13 Trendszenario 2016 für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik — Johann Frank und Gustav E. Gustenau GLOBALES UMFELD 2016 33 Globale Sicherheitstrends 2016 — Richard Weitz 37 Globale machtpolitische Entwicklungen 2016 — Nicolas Stockhammer 41 Globale Entwicklungen 2016 — Mathew Burrows 44 Weltordnung 2016 — Ulrich Menzel 47 Geopolitische Ausrichtung der USA 2016 — Henning Riecke 50 Russlands strategische Ausrichtung 2016 — Joris Van Bladel 55 China und die Weltordnung 2016 — Sven Richard Gareis 59 Europas strategische Ambition 2016 — Herfried Münkler 62 Globale Finanzmärkte 2016 — Thieß Petersen 65 Globale Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung 2016 — Urlich Schuh 69 Geopolitische Bedeutung von Freihandelsabkommen 2016 — Daniel S. Hamilton 73 Strategische Rohstoffe 2016 — Miriam Kraus 76 — Michael Brzoska 79 — Raphael Bossong 82 Terrormiliz „Islamischer Staat“ 2016 — Guido Steinberg 85 Hybride Bedrohungen 2016 — Sascha Dov Bachmann GLOBALE SICHERHEITSARCHITEKTUR 2016 89 Vereinte Nationen 2016 — Richard Gowan INHALT
  • 6. INHALT 92 OSZE 2016 — Lamberto Zannier 95 Afrikanische Union 2016 — Martin Pabst 99 NATO 2016 — Jamie Patrick Shea 104 NATO im Einsatz 2016 — Josef D. Boltz und Marco Taedcke 107 Nukleare NATO-Politik 2016 — Karl-Heinz Kamp RISIKO- UND KONFLIKTBILD FÜR EUROPA 2016 112 Soziale Sicherheit und gesellschaftliche Stabilität in Europa — Martin Schenk 115 — Walter Feichtinger 118 Terrorismus in Europa 2016 — Louise Shelley 121 Flucht und Migration nach Europa 2016 — Ángel Gurría 124 Migrationsperspektive 2016 — Peter Van der Auweraert 127 Flüchtlingsströme und Potentiale 2016 — Karin Kneissl 130 Transnationale Organisierte Kriminalität 2016 — Maximilian Edelbacher 133 Cybersicherheit und Cyberbedrohungen in der EU 2016 — Miroslav Mareš 136 Biotechnologie 2016 — Anne L. Clunnan 140 Autonome (unbemannte) Waffensysteme 2016 — Noel Sharkey 143 Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen 2016 — Tariq Rauf 146 Energiesicherheit Europas 2016 — Julia Grill und Harald Raupenstrauch 149 Entwicklungsperspektiven am Westbalkan 2016 153 Bosnien und Herzegowina 2016 157 Kosovo 2016 160 Mazedonien 2016 — Dane Taleski 163 Serbien 2016 — Marko Savkovic 167 Risiken für die Sicherheit in der Schwarzmeerregion 2016 — Ivan Krastev 171 — Alexander Dubowy 174 Transnistrien 2016 — Victoria Bucataru 177 — Georgi Kanashvili 180 — Chistroph H. Benedikter 183 Türkei 2016 — Sinan Ülgen
  • 7. 187 Iran 2016 — Reinhard Meier-Walser 191 Afghanistan 2016 — Michael Semple 195 Entwicklungen in Zentralasien 2016 — Ilya Zaslavskiy 198 Strategische Lage im Nahen und Mittleren Osten 2016 — Guido Kraus 203 — Georg Plattner 206 Syrien 2016 — Nadim Shehadi 209 Irak 2016 — Gudrun Harrer 212 Saudi Arabien und Jemen 2016 — Marie-Christine Heinze 215 Libyen 2016 — Thiemo Kapffer 218 Ägypten 2016 — Amr Adly 221 Tunesien 2016 — Hardy Ostry 225 Frauen im Terrorsystem des „Islamischen Staats“ 2016 — Dalia Ghanem-Yazbeck 228 Entwicklungen in Sahel-Afrika 2016 — Roland Marchal 231 Entwicklungen in Westafrika 2016 — Georg Hainzl 234 Mali 2016 — Paul Melly 237 Europäische Union und Russland 2016 — Chistrian Stadler 240 Militärstrategische Ambition Russlands 2016 — Sergey Markedonov 243 Wirtschaftliche Stabilität Russlands 2016 — Ruslan Grinberg EUROPÄISCHE UNION 2016 247 Rahmenbedingungen 2016 für eine globale Strategie der EU — Alessandro Marrone und Nathalie Tocci 250 Europäisches Weißbuch — Sven Biscop 254 Deutschland 2016 — Patrick Keller 257 Rolle Deutschlands in Europa 2016 — Hartmut Mayer 261 Frankreich 2016 — Peter Jankowitsch 263 Großbritannien 2016 — Bastian Giegerich 266 Finnland 2016 — Hiski Haukkala 270 Schweden 2016 — Jacob Westberg 274 Baltische Staaten 2016
  • 8. 278 Griechenland 2016 — John M. Nomikos 281 Irland 2016 — Ben Tonra 285 Italien 2016 — Stefano Silvestri 288 Tschechien 2016 — Libor Frank 291 Slowakei 2016 — Marian Majer 295 Slowenien 2016 — Petra Roter 299 Kroatien 2016 302 Ungarn 2016 — Tamás Csiki EUROPÄISCHE VERTEIDIGUNGSPOLITIK 2016 308 GSVP 2016 — Sven Biscop 311 Unsichere Zukunft der GSVP 2016 — Ronja Kempin und Nicolai von Ondarza 314 Weiterentwicklung der GSVP-Missionen und Operationen 2016 — Thierry Tardy 317 Verteidigungsindustrielle Basis Europas 2016 — Hilmar Linnenkamp 321 Trends in der europäischen Streitkräfteentwicklung 2016 — Bruno Hofbauer 324 Streitkräfteentwicklung Deutschland 2016 — Christian Mölling 328 Streitkräfteentwicklung Frankreich 2016 — Jérôme Pellistrandi 332 Regionale Verteidigungskooperationen 2016 — Rastislav Báchora ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITSVORSORGE 2016 338 Politische Rahmenbedingungen der österreichischen Sicherheitsvorsorge 2016 — Alexandra Föderl-Schmid 341 Außen- und sicherheitspolitische Ambition Österreichs 2016 — Karin Fichtinger-Grohe 344 — Markus Weidinger 347 Österreich und die Vereinten Nationen 2016 — Jan Kickert und Philipp Charwath 350 Österreich und die OSZE 2016 — Christian Strohal 354 Österreich und die NATO 2016 — Jürgen Meindl 358 Finanzsicherheit in Österreich 2016 — Margit Schratzenstaller 361 Terrorismusabwehr in Österreich 2016 — Peter Gridling 364 Migrationspolitik in Österreich 2016 — Peter Webinger INHALT
  • 9. 367 Sicherheit durch Integration in Österreich 2016 — Alexander Schahbasi 370 Soziale Sicherheit und gesellschaftliche Kohäsion in Österreich 2016 — Christian Klopf 373 Gesundheit und Sicherheit in Österreich 2016 — Michael Kunze 376 Energiesicherheit in Österreich 2016 — Walter Boltz 379 Risikopotential von Natur- und technischen Katastrophen in Österreich 2016 — Robert Stocker 383 Risikopotential und Resilienz kritischer Infrastuktur in Österreich 2016 — Alexander Pschikal 387 Cybersicherheit und Cyberabwehr in Österreich 2016 — Wolgang Rosenkranz und Wolfgang Gattringer 390 Medien und Sicherheitspolitik in Österreich 2016 — Wilhelm Theuretsbacher 393 Sorgen und Erwartungen der Bevölkerung im Lichte der Flüchtlingsthematik 2016 — Alexander Reichmann DAS ÖSTERREICHISCHE BUNDESHEER 2016 397 Streitkräfteentwicklung in Österreich 2016 — Philipp Eder 400 Auslandseinsätze des Bundesheeres 2016 — Martin Jawurek 403 Inlandseinsätze des Bundesheeres 2016 — Franz Reißner MEHR SICHERHEIT DURCH EIN LEISTUNGSFÄHIGES BUNDESHEER 406 Mehr Sicherheit durch ein leistungsfähiges Bundesheer — Othmar Commenda
  • 10. 8 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die Direktion für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport gibt für das Jahr 2016 zum zweiten Mal eine umfassende sicherheitspolitische Jahresvorschau heraus. Namhafte interna- tionale, österreichische und ressorteigene Expertinnen und Experten analysieren darin die für das Kalender- jahr 2016 zu erwartenden Entwicklungen der europäischen und österreichischen Sicherheitsvorsorge, wichtiger internationaler Institutionen, Regionen und Staaten sowie konkreter Bedrohungen und Konflikte. Die Analysen zeigen, dass sicherheitspolitische Risiken für die Europäische Union und Österreich zunehmen und das europäische strategische Denken wieder stärker von Fragen der Geopolitik und der militärischen Ver- teidigung bestimmt ist, wenn auch in anderer Form als zur Zeit des Kalten Krieges. Die Terroranschläge von Paris Mitte November 2015 machen deutlich, dass die Staaten vor der grundlegenden Herausforderung stehen, einer der fundamentalsten Staatsaufgaben – der Gewährleistung der Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger – nachzukommen. Eine große Herausforderung für Europa und damit für Österreich stellt die derzeitige Flüchtlingssituation dar. Die prekäre Sicherheitslage in ihren Heimatländern veranlasst tausende Menschen, ihr Heil in der Flucht vor Krieg, Terror und Elend zu suchen. Österreich gilt als sicheres Land und ist daher das Ziel vieler Flüchtlinge. Das Bundesheer kommt seiner Verantwortung nach, diesen Menschen, die in großer Not zu uns kommen, humanitär zu helfen. Die Situation an der südlichen Grenze unseres Landes geht über die Kapazitäten von Polizei und anderen Blaulichtorganisationen hinaus. Das Bundesheer ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Bandes – getreu seinem Leitgedanken „Schutz und Hilfe dort, wo andere Institutionen an ihre Grenzen stoßen“ – mit fast 2000 Soldatinnen und Soldaten im Assistenz- und Hilfseinsatz zur Bewältigung der Flüchtlingsströme. Das Thema „Migration nach Europa“ wird von vielen Autoren dieses Bandes aufgegriffen, ob es um die Ursa- chen der Fluchtbewegungen, um mögliche Auswirkungen auf die regionale Stabilität in Europa, um die sicher- heitsrelevanten Aspekte der österreichischen Migrations- und Asylpolitik oder um die Stärkung der Sicherheit durch Integration geht. VORWORT
  • 11. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 9 Zahlreiche Beiträge thematisieren die Lage am Balkan, im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika ebenso wie das Vorgehen Russlands im europäischen Osten. Auch die Entwicklungen in wichtigen Ländern der Euro- päischen Union und die Zukunft der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wer- den gewürdigt. Der Trend, dass die Sicherheitslage in der europäischen Nachbarschaft auch für die innere Sicherheit der EU zunehmend an Bedeutung gewinnt, setzt sich auch 2016 fort. Die Analyse der Streitkräfteentwicklung in Europa sowie der österreichischen Außen- und Sicherheitspoli- tik und zahlreiche Spezialthemen wie die Sicherheitspolitik Österreichs aus Sicht der Medien oder Fragen der Sicherheit im Cyberraum runden die Themenpalette ab. Die vorliegenden Analysen der Expertinnen und Experten werden in ein Trendszenario 2016 für die österrei- chische Sicherheits- und Verteidigungspolitik verdichtet, das entscheidend dazu beitragen kann, die Heraus- forderungen für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu gewichten. Eine Kernaussage ist dabei, dass sich die sicherheitspolitischen Annahmen der Österreichischen Sicherheitsstrategie und der Teil- strategie Verteidigungspolitik grundsätzlich bestätigt haben und dass die konsequente Ausrichtung der Bun- desheerplanung auf die neuen einsatzwahrscheinlichen Aufgaben dynamisiert fortzusetzen ist. Diese Jahresvorschau richtet sich nicht nur an Politik, Diplomatie, Wissenschaft und Medien, sondern auch an die interessierte Öffentlichkeit. Ich möchte allen, die am Zustandekommen der Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2016 mitgewirkt haben, meinen besonderen Dank aussprechen, insbesondere den Autorinnen und Autoren, die mit ihrem analytischen Fachwissen zur Weiterentwicklung des sicherheitspolitischen Bewusstseins sowie zu einer verbesserten Einsicht in die Notwendigkeiten militärischer Sicherheitsvorsorge beitragen – damit Österreich auch morgen sicher bleibt. MAG. GERALD KLUG BUNDESMINISTER FÜR LANDESVERTEIDIGUNG UND SPORT
  • 12. 10 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die Welt ist unsicherer geworden. Daran wird sich auch 2016 nichts ändern! Ein Rückblick auf die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Trendszenario 2015 zeigt, dass die sicherheitspolitischen Risiken und Bedrohungen für die EU und Österreich tatsächlich zugenommen haben. Auch die Handlungsfähig- keit wesentlicher Akteure wie jene der EU oder auch einzelner wichtiger Staaten hat sich wie prognostiziert weiter eingeschränkt. Die durchaus richtige Einschätzung der sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklungen und die zahl- reichen positiven Rückmeldungen zur Vorschau 2015 haben uns bestärkt, die Publikationsreihe auch im Jahr 2016 fortzusetzen und mit einer größeren Zahl von Beiträgen und einer breiteren Themenagenda wieder einen strate- gischen Ausblick auf sicherheitspolitische Trends und deren mögliche Auswirkungen auf das für Österreich rele- vante Umfeld zu geben. Darüber hinaus stellt die vorliegende Publikation auch eine Umsetzung der Empfehlungen der Österreichischen Sicherheitsstrategie dar, der zu Folge die österreichische Bevölkerung „umfassend über die Sicherheitslage im In- und Ausland“ informiert werden soll. Die Direktion für Sicherheitspolitik wendet sich mit dieser Publikation direkt an politische und militärische Ent- scheidungsträger, Diplomaten und Fachleute sowie an Journalisten und die interessierte Öffentlichkeit. So soll zur Weiterentwicklung des sicherheitspolitischen Bewusstseins und zu einer verbesserten und tieferen Einsicht in die Notwendigkeiten militärischer und umfassender Sicherheitsvorsorge beigetragen werden. Auch diesmal analysieren nationale und internationale Expertinnen und Experten die in den nächsten 12 bis 18 Monaten erwartbaren Entwicklungen internationaler Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkre- - fältig aufeinander abgestimmter und leserfreundlich strukturierter Einzelbeiträge in den Themenfeldern globa- Verteidigungspolitik, Österreichische Sicherheitsvorsorge und Österreichisches Bundesheer ab. Die Inhalte der einzelnen Beiträge geben dabei die persönliche Einschätzung der Expertinnen und Experten wieder und entspre- chen nicht notwendigerweise den Positionen des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport. Die Analysen der Expertinnen und Experten werden in das System der strategischen Vorausschau des Bundesmi- nisterium für Landesverteidigung und Sport eingebettet und zu einem Trendszenario 2016 für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik verdichtet. Das Trendszenario 2016 weist im Vergleich zum Trendszenario - bilität in der europäischen Nachbarschaft und der sicherheitspolitischen Handlungsschwäche der Europäischen Union. Die EU wird erst, wenn sie ihre Beziehungen zu Russland neu geregelt hat, zu einer aktiveren Rolle bei der EINLEITUNG
  • 13. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 11 - schen Russland und der EU wenig zweckmäßig. - barschaft mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit und Resilienz der EU und ihrer Mitglieds- staaten – insbesondere durch Migration und Terrorismus. Aus den anhaltenden zentrifugalen Kräften innerhalb Bewältigung von Herausforderungen im Inneren. Trotz europaweiter Stabilisierung der Verteidigungsbudgets ist die EU auch weiterhin nicht in der Lage, eigenständig größere Operationen zur Wahrung vitaler Sicherheitsinteres- sen durchzuführen. Die Schlussfolgerungen aus den Analysen für die Notwendigkeiten der österreichischen Verteidigungspolitik 2016 sind offenkundig: Die Landesverteidigung als Kernaufgabe des Österreichischen Bundesheeres ist angesichts des Bedrohungswandels im Sinne der Österreichischen Sicherheitspolitik neu zu gestalten, wobei nunmehr die Bewäl- Funktionsfähigkeit des Staates im Vordergrund stehen. Bei katastrophalen Ereignissen kann die Resilienz von Staaten nur durch jene Organisationen gestützt werden, die per se krisenrobust sind und unter schwierigen Ver- hältnissen ihre Funktionalität aufrechterhalten können: Das sind und bleiben zu allererst die Streitkräfte eines Lan- des. Daher muss auch in die militärische Landesverteidigung wieder verstärkt investiert werden. Diese Folgerung entspricht auch der Erwartung breiter Teile der österreichischen Bevölkerung. - gen und Herausforderungen übersehen werden bzw. nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Dies könnten 2016 eine Jahresvorausschau kann nichts an dem Umstand ändern, dass rasche Lageentwicklungen und strategische Überraschungen die prägenden Charakteristika der gegenwärtigen Sicherheitslage sind. Somit bleibt die beste Art Zukunft vorherzusagen, sie aktiv zu gestalten. Mein Dank gilt in erster Linie dem Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, den Autorinnen und Autoren für ihre hervorragende Analyse, dem Sprachinstitut des Bundesheeres an der Landesverteidigungsaka- demie für die Übersetzungstätigkeit und ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Büros für Sicherheitspolitik, die durch ihren unermüdlichen Einsatz maßgeblich zum rechtzeitigen Zustandekommen dieser Publikation beigetragen haben. Für ein sicheres Österreich auch morgen. BRIGADIER DR. JOHANN FRANK Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik
  • 14. TRENDSZENARIO 2016 FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK Der in der Teilstrategie Verteidigungspolitik festge- legte moderne verteidigungspolitische Management- prozess dient der Sicherstellung einer bestmöglichen, innovativen Zukunfts- und Anpassungsfähigkeit der Entwicklung des Österreichischen Bundesheeres. Dieser Prozess umfasst die grundsätzlich in einem Fünfjahresrhythmus erfolgende Erstellung von sicherheitspolitischen Umfeldszenarien. Wesentliche Aufgabenstellung dabei ist die Festlegung und perma- nente Überwachung einer Früherkennungsarchitektur von strategischen Schlüsselfaktoren mit jährlicher Berichtslegung. (vgl. Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 18)
  • 15. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 13 Dieser Beitrag fasst die Analysen der Experten zusammen und verdichtet sie zu einem Trendsze- nario 2016 für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. 1. Sicherheitspolitische Umfeldszenarien für Österreich 2025 Das Trendszenario 2016 basiert auf den umfassenden Vorarbeiten des Bundesministeriums für Landesverteidi- gung und Sport (BMLVS) zur Analyse möglicher künfti- ger sicherheitspolitischer Entwicklungen. Es ist eine kon- sequente Weiterentwicklung des Trendsszenarios 2015. TRENDSZENARIO 2016 FÜR DIE ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITS- UND VERTEIDIGUNGSPOLITIK Johann Frank und Gustav E. Gustenau
  • 16. 14 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Folgende fünfzehn Schlüsselfaktoren und deren Wechselbeziehungen bilden das System der sicherheitspolitischen Umfeldszenarien für die österreichische Verteidigungspolitik: Im Jahr 2012 wurden begleitend zu den Arbeiten an der Österreichischen Sicherheitsstrategie (ÖSS) und zur Neu- planung des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) erst- malig sicherheitspolitische „Umfeldszenarien 2025“ erstellt. Dabei wurden die für die österreichische Sicher- heitspolitik relevanten Schlüsselfaktoren im Rahmen künftigen Entwicklungsmöglichkeiten analysiert. Aus zehn bedeutendsten Schlüsselfaktoren herausgearbeitet. Die alternativen Ausprägungen der fünfzehn Schlüssel- faktoren wurden zu insgesamt sieben in sich schlüssigen Umfeldszenarien kombiniert. Die Szenarien können ent- lang der beiden bestimmenden Faktoren, nämlich „sicher- heitspolitische Handlungsfähigkeit der EU“ einerseits und „Kon- andererseits, kategorisiert werden. Ausgehend von einer damals, im ersten Erstellungs- jahr 2012, noch grundsätzlich stabilen Umfeldsituation ROLLE DER NATO MILIT. BEDROHUNG DER SICHERHEIT ÖSTERREICHS NICHT MILIT. BEDROHUNG ÖSTERREICHS POLITISCHE EU-INTEGRATION LEISTUNGS- SPEKTRUM GSVP EU-STREITKRÄFTE- INTEGRATION VERTEIDIGUNGSPOLIT. KOOPERATIONEN REGIONALE STABILITÄT IN EUROPA STABILITÄT EUROP. NACHBARREGIONEN ROLLE RUSSLAND IN EUROPA GLOBALE MACHTPOLITISCHE ENTWICKLUNGEN GLOBALE KONFLIKTE GLOBALE WIRTSCHAFTS- ENTWICKLUNG & WOHL- STANDSVERTEILUNG ROHSTOFF- VERSORGUNG INTERNATIONALE ORGANISATIONEN (IOS) UND REGIME
  • 17. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 15 wurde in einer Perspektive von 10 bis 15 Jahren mit einer wesentlichen Veränderung der äußeren Rahmenbedin- gungen für Österreichs Sicherheit gerechnet. Im zukünf- tigen „Erwartungsraum“ befanden sich schon damals – nach Einschätzung der Experten – jene Szenarien, deren Kern man wie folgt beschreiben kann: Das globale Umfeld ist geprägt von einer eher multipolaren, konfron- tativen Sicherheitsarchitektur, das Verhältnis zu Russland Verantwortung wesentlich umfassender wahr als gegen- wärtig, wobei der innere Organisationsgrad der EU bei aller Differenzierung auch von einer deutlich engeren Kooperation im Bereich der Verteidigungspolitik gekenn- zeichnet ist. Aufbauend auf der Bewertung der sicherheitspolitischen Österreichische Sicherheitsstrategie und ein Leistungspro- sah im Kern ein auf nicht-konventionelle Bedrohungen ausgerichtetes Bundesheer vor, das national und interna- tional in einen Kooperationsverbund eingebettet ist und bestmöglich Beiträge im Rahmen einer umfassend ange- legten Umfeldstabilisierung sowie einer neuausgerichteten nationalen gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge leistet. Angesichts der hochgradigen Unsicherheiten im sicher- heitspolitischen Umfeldsystem sind ein permanentes Monitoring aktueller Trends und eine Bewertung der Entwicklungsalternativen der Umfeldfaktoren erforder- lich. Im Vordergrund des Monitoringprozesses stehen dabei die Fragen, ob die erkennbare Entwicklung in Rich- tung des ursprünglichen Erwartungsraumes aus dem Jahr 2012 weist, worin die größten Unsicherheiten beste- hen, oder ob überhaupt Trendbrüche erkennbar sind, die zu einem gänzlich anderen Umfeld führen können und daher auch gravierende Änderungen in der Verteidigungs- planung zur Folge hätten. Gegenwartsraum Erwartungsraum LEISTUNGS- FÄHIGE GSVP IM DIENSTE DER UN 2012 DESINTEGRATION DER EU ERNEUERTE TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT REGIONALE MACHT EU IN EINER MULTI- POLAREN WELT KERNEUROPA IN EINEM KONFLIKTIVEN UMFELD ZIVILMACHT EUROPA WELTORDNUNG KONFRONTATIVKOOPERATIV USA EUROPAS HEGEMON DARSTELLUNG DER SICHERHEITSPOLITISCHEN UMFELDSZENARIEN AUS DER SICHT VON 2011 MARGINALISIERUNG DER EU EU HANDLUNGSFÄHIG EU NICHT HANDLUNGSFÄHIG
  • 18. 16 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Im Unterschied zur Vorausschau 2015 hat die Rolle Russlands in Europa etwas an Relevanz verloren, weil 2. Das verteidigungspolitische Trendsze- nario für Österreich 2016 Eine aktuelle Bewertung des Systems der Umfeldfak- toren unter Berücksichtigung der Einzelbeiträge der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2016“ ergibt, dass wie auch im Jahr davor vor allem sieben Fak- toren die größte Relevanz für das System des sicherheitspolitischen Umfeldes für Österreich besitzen: 1 Globale machtpolitische Entwicklungen 2 Globale Wirtschaftsentwicklung & Wohlstandsverteilung 3 Rohstoffversorgung GLOBALES UMFELD 4 5 Internationale Organisationen und Regime 6 Rolle der Nato GLOBALE SICHERHEITSARCHITEKTUR 7 Regionale Stabilität in Europa 8 Stabilität europäischer Nachbarregionen 9 Rolle Russlands in Europa RISIKO- & KONFLIKTBILD EUROPA 11 Verteidigungspolitische Kooperationen 12 Leistungsspektrum und Ausrichtung der GSVP 13 EU-Streitkräfteintegration EUROPÄISCHE SICHERHEITSPOLITIK EUROPÄISCHE UNION 10 Entwicklung der EU RELEVANZ DER SCHLÜSSELFAKTOREN FÜR DIE SICHERHEITSPOLITISCHE UMFELDENTWICKLUNG ÖSTERREICHS bestimmend sehr relevant relevant 1 23 5 7 10 12 13 11 8 9 4 6 GLOBALESUMFELD GLOB. SICHERHEITSARCHITEKTUR RISIKO- & KONFLIKTBILD EUROPA EUROPÄISCHE UNION EUROP.SICHERHEITSPOLITIK Die Pfeile zeigen die Veränderungen zum Trendszenarion 2015
  • 19. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 17 2.1 BESCHREIBUNG DER SCHLÜS- SELFAKTOREN HINSICHTLICH IHRER ERWARTBAREN ENTWICKLUNG 2016 2.1.1 Stabilität europäischer Nachbarregionen GENERELLE TRENDBESCHREIBUNG Die Entwicklungen in der europäischen Nachbar- schaft haben auf absehbare Zeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Stabilität Europas zur Folge. Das eurostrategische Umfeld der EU bleibt kon- - ken besteht darin, dass die EU in den Nachbarregi- bedingt über die Ressourcen verfügt, diese Entwick- - wicklungen kann die EU somit zunehmend weniger gegensteuern. Auf militärstrategischer Ebene bleiben und der zunehmende Bedarf an Stabilisierungskräf- ten in der jeweiligen Region bis hin zu Interventi- onskräften zur Bekämpfung der Terrormiliz „Islami- scher Staat“ (IS) auf der Tagesordnung. Allerdings ist eine umfassende gegen Europa gerichtete mili- tärische Bedrohung durch eine außereuropäische - tes strategisches Ziel muss die Abgrenzung Europas POLITISCHE UND MILITRÄSTRATEGI- SCHE TRENDENTWICKLUNGEN IN DEN REGIONEN UKRAINE Die innenpolitische Situation der Ukraine wird auch im Jahr 2016 in erster Linie durch ein von Korrup- tion geschwächtes und destabilisiertes Wirtschafts- und Finanzsystem geprägt sein. Bei einer weiteren maßgeblichen Verschlechterung der sozialen Situa- tion der Bevölkerung ist auch mit größeren gewalt- samen Protesten, zu rechnen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierungspolitik und die allgemeine Kriegsmüdigkeit kommen nicht zuletzt in der – zur gesellschaftspolitischen Aufbruchsstim- - henden – Ablehnung der bestehenden politischen Parteien und der Regierung wie des Präsidenten zum Ausdruck. Die Umfragen deuten generell auf eine Legitimationskrise des politischen Systems hin. Die Fortsetzung des im Herbst des Jahres 2015 - den konnte. Hingegen wurde die Stabilität der euro- päischen Nachbarschaft zum Faktor mit der höchsten der damit einhergehenden Flüchtlingswelle geschul- det ist. Zentral bleibt für Österreich weiterhin die politische Entwicklung der EU, weil die EU nach wie vor der bestimmende Handlungsrahmen für Öster- reichs Sicherheit ist und die EU die höchste Hebel- kraft im sicherheitspolitischen Umfeld Österreichs aufweist. Zunehmende Bedeutung hat auch der Fak- tor Regionale Stabilität in Europa, der auch die innere Lage europäischer Staaten umfasst, gewonnen. Die genannten Faktoren bilden damit auch den Kern des Trendszenarios 2016 und haben – abgesehen von den innerösterreichischen Faktoren wie z B. die außen- die öffentliche Haushaltsentwicklung – auf Sicht die größte Relevanz für die Weiterentwicklung der öster- reichischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
  • 20. 18 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 im Südosten der Ukraine scheint aus heutiger Sicht wahrscheinlich zu sein. Durch das „Einfrieren“ des - nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Der Versuch Mitteln zu lösen, bildet für Moskau die „rote Linie“ Fall würden sich die ohnehin angespannten Bezie- hungen zwischen dem Westen und der Russischen Föderation rapide abkühlen, mit nicht absehbaren Folgen für die gesamte europäische Sicherheit. Für die Kiewer Führung scheint die Billigung des - des – angesichts der bedrohlichen Wirtschafts- und Soziallage – mittlerweile unumgänglich zu sein. Auf diese Weise würden Kapazitäten freigesetzt, um die dringenden Reformen (nicht zuletzt eine Ver- fassungsreform) umzusetzen und die eingeleiteten - nationalistischer Kräfte fortzuführen. Das fragile - hen Kiews in der Frage der gesellschaftlichen Kon- solidierung ab. Eine wichtige Voraussetzung stellt - schaft tief verwurzelten ideologischen Spannungen - tung mit der NATO und der EU offenen – Zent- ral- und Westukraine einerseits und der Russland- zahlreicher innerer Probleme scheint aber aus der- zeitiger Sicht angesichts der bestehenden strukturel- - kante Auswirkungen auf das fragile politische Sys- tem vorprogrammiert. WESTBALKAN Die derzeitige Entwicklung am Westbalkan ent- spricht weiterhin dem Szenario eines „stabilitäts- gefährdenden Stillstands“, insbesondere was die stagnierende Annäherung an die EU und die erfor- derliche Weiterentwicklung von Wirtschaft, Rechts- staatlichkeit und politischer Stabilität betrifft. Das aktuell größte Risiko resultiert aus einer Nichtbewäl- tigung der Flüchtlingskrise, was dazu führen könnte, dass Flüchtlinge massenweise in den Westbalkan- staaten stranden und so das schwache wirtschaft- Räumlich begrenzte gewaltsame Auseinandersetzun- gen sind am Westbalkan wegen weiter bestehender politischer und ökonomischer Instabilitäten sowie - bruch neuer Balkankriege großen Ausmaßes ist unter der Voraussetzung einer fortgesetzten EU-Konso- lidierungspolitik gegenüber der Region in absehba- rer Zeit unwahrscheinlich. Eine Schwächung der EU als respektierter Akteur mit proaktivem Engagement könnte Antagonismen am Westbalkan jedoch gefähr- lich verschärfen. Wegen noch bestehender Instabi- litäten bleibt die Präsenz von EUFOR ALTHEA in Bosnien und Herzegowina und KFOR im Kosovo als Sicherheitsnetz notwendig. Eine verstärkte Auf- merksamkeit ist den islamistischen Tendenzen zu widmen. ISLAMISCHE REPUBLIK IRAN Die Plausibilität nimmt zu, dass der Iran mittelfris- tig (sechs bis zwei Monate) an den Rand einer erns-
  • 21. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 19 ten innenpolitischen Krise kommen könnte, weil Präsident Hassan Rohanis Reformen Widerstand extremistischer Kreise entgegenschlägt. Nach jet- zigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass es ihm gelingen wird, diese Krise zu bewältigen. Dabei verbraucht er jedoch seine politische Energie Schließlich ist derzeit nicht abzusehen, wie die politi- schen Eliten des Landes mit dem allfälligen Ableben der Urgesteine der Revolution – Ali Khamenei und Das Szenario eines verschärften Verteilungskampfes ist dabei durchaus möglich, blickt man auf die chao- tischen knapp vierzig Jahre der Islamischen Republik zurück, dann erwiesen sich die revolutionären Eli- ten nicht nur als lernfähig, sondern auch als durch- aus in der Lage, mit dramatischen Situation und Kri- sen umzugehen. In außenpolitischer Hinsicht kann der Iran die Situ- ation im Irak weitgehend unter Kontrolle behalten, steckt gleichzeitig jedoch in Syrien fest. Das Eska- lationspotential mit Saudi-Arabien bleibt unver- mindert hoch, aber unter der strategischen Eska- lationsschwelle. Eine direkte saudisch-iranische Konfrontation kann jedoch als Worst Case nicht gänzlich ausgeschlossen werden. DER MITTLERE OSTEN Die gesamte Region des Mittleren Ostens ist von einer höchst instabilen sicherheitspolitischen und wirt- von einer undurchschaubaren Vermischung staatli- cher und nichtstaatlicher Akteure geprägt. Von beson- derer Bedeutung sind die Machtdiffusion zwischen den Staaten und der Aufstieg nichtstaatlicher Akteure. Aufgrund der divergierenden Interessen der wesent- lichen Akteure USA, Russland, Saudi-Arabien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Türkei und - kapazitäten der UNO ist kurz- und mittelfristig gese- hen keine Befriedung der Region absehbar. Der isra- Mittelpunkt der regionalen Politik stand, wird durch die umgebenden Ereignisse in Syrien und Irak über- Staaten der Region wütet, verhindert den Fokus auf wirtschaftliche und politische Herausforderungen wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Korruptionsbekämp- fung, politische Partizipation oder Sicherheitssektor- reformen. Die wirtschaftliche Not führt zu verstärkter Perspektivenlosigkeit, insbesondere unter der jungen - rungen weiterhin Nährboden zur Rekrutierung. In vielerlei Hinsicht durchlebt die Region ein verlore- nes Jahrzehnt ohne Fortschritte bei der Beseitigung dennoch ist ein totaler Zusammenbruch der Staaten auf der arabischen Halbinsel nicht absehbar. Trotz der Instabilitäten in dieser Region haben diese Faktoren geringe und allenfalls nur räumlich begrenzte Auswirkungen auf Europa. Zu den Bedro- hungen für Europa zählen in diesem Kontext Ter- rorattentate, die von Einzeltätern durchgeführt und von Terrorgruppen zumindest ideologisch unterstützt werden, sowie verstärkte Flüchtlingsströme, insbeson- dere aus Syrien, dem Irak, Palästina und Ägypten. Mit Prozess eingeleitet, an dessen Ende im günstigen Fall mittelfristig ein Ende der Kampfhandlungen stehen könnte. Kurzfristig kann mit einer Eskalation im Syri- enkrieg gerechnet werden.
  • 22. 20 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 TÜRKEI Die Türkei entwickelt sich zu einem Schlüsselstaat für die europäische Sicherheit mit tendenziell proble- matischer Ausrichtung. So entwickelt sich die innere Verfassung des Landes in einer zunehmend zur EU inkompatiblen Weise. Auch die Polarisierungspolitik - - bilität in der Türkei allerdings würde die Sicherheit in Südosteuropa und in der Schwarzmeerregion dra- matisch schwächen und die negativen Auswirkun- - in der Diaspora in Europa fortsetzen, und die Tür- kei könnte in der Flüchtlingspolitik nicht nur die Kooperation mit der EU einschränken, sondern auch selbst zum vermehrten Auslöser neuer Migrations- ströme in die EU werden. Europa ist gefordert, eine Balance zwischen Kooperation und Abhängigkeit zu NORDAFRIKA - lungen über eine einheitliche Regierung in Libyen werden räumlich begrenzte Auseinandersetzungen das Bild prägen. Diese haben aber vorerst nicht das Potential, die gesamte Region zu destabilisieren. Für die anderen Staaten Nordafrikas sind für den Beob- - litischen Veränderungen zu erwarten. Ägypten und Tunesien werden mit terroristischen Bedrohungen und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft kon- frontiert bleiben. Eine fundamentale Veränderung der Sicherheitssituation könnte im Falle eines massi- ven Ausweichens von „IS“-Kämpfern in den Nord- afrikanischen Raum erfolgen. TRENDSTABILIÄT UND UNSICHERHEITEN Der aktuelle Trend in Bezug auf die Stabilität euro- päischer Nachbarregionen scheint trotz erhebli- cher Unsicherheiten relativ stabil zu sein, wenngleich Tendenzen in Richtung starke Beeinträchtigung mit europaweiter Ausweitung vorhanden sind. Dies zur EU, sondern eher in Form der Kumulierung ver- schiedener Faktoren wie etwa der Flüchtlingskrise und des islamistischen Terrorismus, die v.a. die poli- tische Stabilität der EU und einzelner Mitglieds- staaten vor eine ernste Herausforderung stellt. Die - ine, im Nahen und Mittleren Osten und in Nord- afrika wie auch die Stagnation der Entwicklung auf dem Westbalkan sowie die problematische Entwick- lung in der Türkei scheinen derzeit noch beherrsch- bar. Zumal auch die Auswirkungen auf die zu den Krisenregionen unmittelbar angrenzenden EU-Staa- ten noch beschränkt sind. Allerdings bestehen für die EU erhebliche Risiken, insbesondere durch ein Ausweichen des in Syrien und im Irak bekämpften islamistischen Terrorismus nach Nordafrika. Failed- State-Szenarien in Nordafrika würden das Terror- - küste und in der Sahelzone erheblich steigern, wobei insbesondere die Lage in Libyen prekär bleibt. 2.1.2 Die Rolle Russlands in Europa GENERELLE TRENDBESCHREIBUNG Der bereits seit Jahren anhaltende Trend eines
  • 23. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 21 der EU und Russland setzt sich weiter fort. Die Ent- fremdung der letzten Jahre hat mit der Ukrainekrise - tionen Russlands sind klar auf eine Absicherung der - hend auf eine Verhinderung der weiteren Ausbrei- tung von EU und NATO ausgerichtet. Russland vollzieht in eigener Wahrnehmung somit eine reak- tive Defensivstrategie. Damit verbunden ist aber auch die Ambition Russlands nach einer stärkeren eigenständigen Rolle in den internationalen Organi- sationen und in globalen Ordnungsfragen. POLITISCHE UND MILITÄRSTRATEGI- SCHE ENTWICKLUNGEN Vor dem Hintergrund der Konfrontation mit dem Westen wird das innenpolitische Klima Russlands zunehmend autoritärer. Dies wird die Widersprü- che mit Europa verstärken. Der Eintritt in einen neuen Zyklus geokultureller Konfrontation mit einer an den östlichen Rand Europas verscho- benen kulturellen „Bruchlinie“ erscheint immer wahrscheinlicher. Die Sanktionen stellen selbst im Falle der Auf- hebung bzw. erheblichen Lockerung zweifels- ohne eine tiefe Zäsur in den Beziehungen zwi- schen Russland und Europa dar. Das Fortführen - ten „strategischen Partnerschaft“ der vergange- nen zwei Dekaden ist aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, weswegen es eines neuen Beziehungs- modells bedarf. Zu lösen gilt es auch die im Hinter- grund stehende Schlüsselfrage, inwieweit es Europa gelingt, sich von US-amerikanischen geoökonomi- schen und strategischen Interessen zu emanzipie- ren. Da dies auch in absehbarer Zeit nicht in euro- päischem Sinne beantwortet werden dürfte, ist eine Prolongierung innereuropäischer Widersprüche in Bezug auf den Umgang mit Russland die wahr- scheinliche Konsequenz. Dennoch ist eine pragmatisch-beschränkte Partner- schaft mit dem Westen u. a. zum Zwecke der Moder- nisierung der Wirtschaft durch Technologieimport vorstellbar und nach Aufhebung der gegenseitigen Sanktionen wahrscheinlich. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Russ- lands entspricht dieser generellen politischen Ambi- tion. Die russischen Streitkräfte werden im Zuge der jüngsten Reformen in Richtung kleinerer, im - rer Einheiten umstrukturiert, um sich an die neuen Bedrohungen anpassen zu können. Die Reformen erfolgen unter besonderer Berücksichtigung der Ein- sätze während des Bürgerkrieges in Tadschikistan (Anfang der 1990er Jahre), der beiden Militärein- sätze in Tschetschenien (Mitte und Ende der 1990er bzw. Anfang der 2000er Jahre) sowie des Fünftage- Jahr 2009 beschlossenen „Sicherheitsstrategie 2020“ steht die Welt vor einer neuen Ära des internatio- nalen Ringens um Rohstoffe. Die russische Füh- russischen Nachbarschaft, v. a. im Nahen Osten, in der Arktis, Barentssee, im kaspischen Raum und in Zentralasien. Das rohstoffreiche Russland sieht sich als besonders begehrte und deshalb bedrohte Ressourcenquelle. Lichte des russischen Syrieneinsatzes, des Vorgehens gegen den sogenannten „IS“ und der terroristischen Bedrohung Europas außerordentlich hoch. Beson-
  • 24. 22 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ders problematisch erweist sich hierbei der Nordkau- kasus als „inneres Ausland“. In diesem Zusammen- hang können sich die EU bzw. einzelne EU-Staaten als wichtige Verbündete erweisen. Auch die wichtigs- ten gegenwärtigen Tendenzen der russischen Außen- im Südosten der Ukraine, Stabilität von Südkauka- sus und Zentralasien – zielen auf eine Verbesserung der Beziehung zum Westen ab. Die Stabilisierung des Verhältnisses zum Westen wird jedoch nicht in einem einseitigen Entgegenkommen gegenüber Washington und Brüssel bestehen. Viel mehr wird Moskau weiter auf die Anerkennung der Legitimität russischer Interessen drängen. Als Idealoption sieht Russland eine Beteiligung am internationalen „Kon- der USA, der EU und Chinas. TRENDSTABILITÄT BZW UNSICHERHEIT Der für den aktuellen Trend hochrelevante Fortbe- stand der Stabilität Russlands erscheint mittelfris- tig gegeben zu sein, wobei im Falle der Fortführung der Sanktionspolitik die Wirtschaft ab dem Jahr 2017 unter massiven Druck geraten dürfte. Im Worst Case könnten – wenngleich aus heutiger Sicht unwahr- scheinlich – Zerfallserscheinungen der Russischen Föderation erwartet werden. Für das Eintreten dieser Entwicklung wäre jedoch ein rascher Fall der gegen- wärtigen Kremlführung vorausgesetzt. Die Wahr- scheinlichkeit für eine solche Entwicklung unter dem Druck der Wirtschaftskrise – im Wege einer von bestimmten Elitegruppen geleiteten Palastre- volte oder einer nach ukrainischem Vorbild ablaufen- den „Volksrevolution“ – ist jedenfalls bis zu den Prä- sidentschaftswahlen 2018 bzw. 2024 als sehr gering zu betrachten. Auch eine andere denkbare Entwicklung entbehrt eines gegenüber dem Westen konfrontativen umfas- - kalen Wechsel in der militärstrategischen Ambition sprechen fundamentale politische wirtschaftliche - ausforderung des Westens keine relevanten strategi- schen Vorteile lukrieren und müsste den Militärap- parat über die bestehenden Planungen hinaus massiv weiterentwickeln. Schon die bisherigen Planungen sind aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr einzuhalten. Die russische Wirtschaft müsste etwa bei einer weiteren Verschärfung der Konfrontation mit dem Westen mit einem wesent- lich schärferen Sanktionsregime rechnen. Die nega- tiven Tendenzen der russischen Wirtschaft würden sich dadurch erheblich verstärken und das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem an den Rand eines Totalkollapses bringen, mit nicht absehbaren Fol- gen für das politische System und die innere Stabili- tät des Landes. 2.1.3 Globale machtpolitische Entwicklungen TRENDBESCHREIBUNG Die Ambitionen Russlands wie auch anderer BRICS- Staaten sowie die außen- und sicherheitspolitische zur Ausbalancierung der chinesischen Machtansprü- che weisen in Richtung eines globalen Systems, das von einer konfrontativen Multipolarität gekennzeich- net ist.
  • 25. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 23 TRENDSTABILITÄT BZW UNSICHERHEIT Es gibt wenige Anzeichen, dass es globalstrategisch 2016 zu einer Trendumkehr zurück zu mehr Koope- ration, effektivem Multilateralismus und wiederbe- Trend zu weiterer globaler Fragmentierung und zur lungen und Ordnungsfähigkeit mit einhergehender ten. Wesentliche entwicklungsbestimmende Vorent- scheidungen werden in diesem Zusammenhang der Ausgang der Verhandlungen über die Transatlanti- sche Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), die Ergebnisse der Weltklimakonferenz (Paris), die Umsetzung des Nuklearabkommens mit dem Iran, die globale Weltwirtschaftsentwicklung sowie die Entwicklung der weltpolitisch bedeutsamen Span- nungen im Ostchinesischen Meer zwischen dem Westen und Russland einerseits und zwischen China und Japan anderseits sein. Die westliche sicher- heitspolitische Handlungsfähigkeit wird v. a. von der wachsenden Ermüdung der US-amerikanischen Bevölkerung im Willen zu globaler sicherheitspoli- tischer Ordnungs- und Verantwortungsübernahme und vom einsetzenden Wahlkampf um das Amt im Weißen Haus mitbestimmt sein. TRENDBESCHREIBUNG Aufgrund der mangelnden Kon- sationen wie auch der divergierenden Interessen der großen Mächte ist mit einer Zunahme der Intensität sowohl staatliche wie mit steigender Tendenz auch nichtstaatliche Akteure involviert sind. Von besonde- rer Bedeutung ist dabei die Diffusion von Macht von Staaten zu nichtstaatlichen Akteuren bis hin zu Ein- zelpersonen. Heute verfügen nichtstaatliche Akteure und „Superempowered Individuals“ über Potentiale, die bislang Staaten vorbehalten waren, wobei gerade deren Verhalten sich der Vorhersehbarkeit weitge- hend entzieht und jederzeit „strategische Schocker- eignisse“ auslösen kann. Auf geopolitischer Ebene ist festzustellen, dass ange- sichts fehlender gemeinsamer Ordnungsvorstellun- gen der großen Mächte USA, Russland, China und EU sowie der fragilen globalen wirtschaftlichen nach dem Wiener Kongress äußerst unsicher ist und oder im Nahen Osten zu weiteren massiven Verwer- fungen führen können, denen die EU mangels ver- fügbarer kollektiver sicherheitspolitischer und mili- tärischer Handlungsfähigkeit weitgehend passiv gegenüber stünde. Die Effektivität internationaler Organisationen und Regime bleibt eingeschränkt, da deren Akzeptanz aufgrund der zunehmenden Rivalität der Weltord- nungsvorstellungen einzelner Mächte nur auf jene Bereiche beschränkt ist, wo gemeinsame Interessen Auf Ebene der Vereinten Nationen setzt sich der Trend zu anspruchsvolleren, risikoreicheren Frie- denseinsätzen und zur Implementierung robuste- rer Mandate fort. Truppenstellende Nationen sind daher zunehmend gefordert, den Vereinten Nationen
  • 26. 24 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 für diese neuen Szenarien militärische Einheiten mit verbessertem Schutz, höherer Mobilität und moder- ner technologischer Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. 2.1.5 Die Rolle der NATO Aktuell ist eine Veränderung der strategischen Rolle der NATO festzustellen. Lag in den letzten zwei Jahrzehnten der Fokus auf Out-of-Area-Kri- senmanagementeinsätzen unter teilweise drasti- scher Reduzierung der Bedeutung des Artikels 5, steht eben diese Bündnisverteidigung nun im der Agenda. und vor dem Hintergrund der innenpolitischen Ent- wicklungen der USA kann nicht als sicher angenom- men werden, dass die NATO die militärische Sicher- heit in der europäischen Nachbarschaft garantiert. Es werden zwar Artikel-5-Aufgaben im Lichte der Ukrainekrise zumindest auf der politischen Agenda wieder stärker in den Vordergrund treten, eine nach- haltige Stärkung von Verteidigungsanstrengungen in den Bereichen Streitkräfteentwicklung, Disloka- tion und Übungen ist aber vorerst nicht abzusehen. Bislang war die NATO vor allem im südlichen Kri- senbogen weitgehend absent. Dies könnte sich 2016 durch die Übernahme einer Unterstützungsmission für die irakische Regierung im Kampf gegen den „IS“ ändern. So wird die NATO auch 2016 zwischen managementeinsätze und einer Rückwendung zur Territorialverteidigung schwanken sowie versuchen, dem Trend zur weiteren Reduzierung der nationa- len Verteidigungsbudgets entgegenzusteuern. Das Spannungsverhältnis konkurrierender Sicherheits- bedürfnisse und Bedrohungsperzeptionen zwischen 2016 in Warschau bestimmen. Darüber hinaus sind forcierte Bestrebungen seitens der Allianz erkenn- bar, über das Thema „hybride Bedrohungen“ ver- gewinnen. 2.1.6 EU-Entwicklung TRENDBESCHREIBUNG Den dargestellten globalen und eurostrategischen Herausforderungen steht eine Union gegenüber, die auf Sicht gesamthaft keine wei- teren substantiellen Integrationsschritte vornehmen, sondern eher danach trachten wird, den aktuellen Integrationsbestand zu erhalten. Eine internationale Marginalisierung der EU mit der Konsequenz dras- fähigkeit des relevanten Umfelds kristallisiert sich immer mehr heraus. Auf Sicht scheint die Stabilität der relevanten EU- Mitgliedsstaaten gegeben, sodass vorerst mit keinen disruptiven Ereignissen in der EU selbst zu rechnen ist. Es gibt in einigen EU-Staaten zwar erhebliche Probleme in den Bereichen Wirtschaftsentwicklung, Arbeitslosigkeit, politischer Extremismus, Rechts- staatlichkeit, Umgang mit Flüchtlingen, Migration und Integration sowie soziale Stabilität, aber insge- samt können Wille und Leistungsfähigkeit Europas derzeit noch so eingeschätzt werden, dass die aktuel- len Herausforderungen zu bewältigen sind.
  • 27. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 25 TRENDSTABILITÄT UND UNSICHERHEITEN Von zentraler Bedeutung für die EU bleiben die Überwindung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise im Euroraum und zusätzlich die Bewäl- tigung der Flüchtlingskrise. Zunehmend in den Fokus gerät dabei die Leistungsfähigkeit Deutsch- lands mit seiner bislang dominierenden Rolle als politische und wirtschaftliche Macht. Bislang konnte Deutschland gravierende Desintegrationsschritte der EU verhindern und in außenpolitischen Krisen wie jener um die Ukraine die Führung übernehmen. Indikatoren zeigen allerdings an, dass es infolge der multiplen Herausforderungen für die deutsche Poli- tik zu einer Schwächung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems Deutschlands kom- men könnte. Hierin besteht auf Sicht das wohl größte Risiko für Europa und damit auch für Österreich. Eine derartige Entwicklung würde die politische, wirtschaftliche und Führungskrise der EU drama- tisch verschärfen. Die bereits eingetretene Spaltung entlang der politi- schen und auch ökonomischen Interessen der Mit- gliedsstaaten dürfte zunehmen, was nicht nur zu erheblichen Bruchlinien in Europa führen dürfte, sondern auch massive Divergenzen im Umgang mit externen Herausforderungen hervorbringen wird. Denkbar ist allerdings, dass sich ein derzeit noch schwacher Trend zu einer verstärkten Zusammen- arbeit zwischen einzelnen EU-Mitgliedsstaaten mit ähnlicher Interessens- und Wirtschaftslage in varia- bler Zusammensetzung verstärken könnte. Offen ist allerdings, ob sich daraus eine Kerngruppen-Forma- tion entwickeln kann, die auch eine Vertiefung im Bereich der Verteidigung anstrebt. Eine weitere Ursache für eine Trendänderung könnte ein sich allfällig abzeichnender Ausstieg des Verei- nigten Königreichs aus der EU sein. Auch in Bezug auf die innere Stabilität relevanter EU-Mitgliedsstaaten müssen erhebliche Unsicher- heiten im Auge behalten werden. Extremereignisse wie ein zweiter Finanzkollaps, Terroranschläge, die Nichtbewältigung der Migrationsfrage in Kombina- tion mit politischem Extremismus, verstärkte Spill- Over-Effekte der Krisen in der Ukraine sowie ins- besondere aus der MENA-Region könnten rasch zu einer substanziellen Lageverschlechterung führen. 2.1.7 Leistungsspektrum und Ausrichtung der GSVP, EU- Streitkräfteintegration und Kooperationen TRENDBESCHREIBUNG Die EU kann ihr sicherheits- und verteidigungs- politisches Potential weiterhin nicht vollumfäng- wird im unteren bis mittleren Krisenmanagement liegen, wobei das Militär im Rahmen des breit ange- legten Krisenmanagementansatzes der EU auch wei- terhin nur eine eingeschränkte Rolle zu übernehmen hat. Obwohl die Ambition einer autonomen Vertei- digung der EU auch weiterhin nicht auf der Agenda steht, sind einzelne Ansätze bei den strategischen Fähigkeiten, bei Hauptquartieren und in der Rüstung in Richtung autonomer militärischer Fähigkeiten erkennbar. Der Trend bei Krisenmanagementeinsät- bis mittlere zivil-militärische Operationen maximal
  • 28. 26 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 mittlerer Intensität bei zunehmender Bedeutung von Unterstützungsmissionen für die Bereiche Wieder- - - TRENDSTABILITÄT UND UNSICHERHEITEN Entwicklung rückt das Thema „Verteidigung“ wie- der stärker in den Fokus europäischer Politik. Die Frage ist nun, ob mit der erstmaligen Aktivie- rung der „Beistandsklausel“ am 17. November 2015 durch Frankreich eine Trendwende eingetreten ist. Die politische Motivation Frankreichs für die- sen Schritt war es zunächst, eine breite Solidarität und Unterstützung einzuholen. Die konkreten Bei- träge werden bilateral unter Berücksichtigung der Fähigkeiten und Interessen der Mitgliedsstaaten aus- verhandelt. Neben direkter Unterstützung für den Kampf gegen den „IS“ in Syrien und im Irak stehen „Entlastungsbeiträge“ für das französische Engage- ment in Afrika und in der Levante im Mittelpunkt der Überlegung. Damit soll einerseits ein politi- sches Signal an die Bürger in Frankreich und der EU abgegeben werden, dass der Kampf gegen den „IS“ eine europäische Aufgabe ist und nicht primär eine der NATO und dass Frankreich dabei nicht alleine - siert werden. Ob daraus schon eine Trendwende hin zu einer nun eigenständigen Verteidigung Europas abgeleitet werden kann, ist offen. Zudem besteht ein erhebliches Risiko, dass eine folgenlose Aktivierung der Beistandsklausel zu einem weiteren Vertrauens- verlust in die EU führen könnte. Der Trend zur Etablierung vielfältiger Kooperati- onsprojekte wird vor allem aufgrund national limi- tierter Ressourcen weitergehen. Allerdings wird es bei den relevanten EU Mitgliedsstaaten keinen Ver- zicht auf Kernfähigkeiten geben. Sie werden ihre eigenständige nationale Handlungsfähigkeit erhalten wollen, was insgesamt im europäischen Kontext den Fortbestand strategischer Inkohärenz prolongiert. Tatsächlich sind die gemeinsamen europäischen Es werden nur etwa 15 Prozent der verfügbaren Investitionsgelder in Form gemeinsamer europäi- scher Projekte ausgegeben. In der Praxis dominie- ren Kooperationsvorhaben, die aufgrund nationaler limitierter Ressourcen und nationaler Interessens- lagen angestoßen werden. Eine arbeitsteilige Vor- gangsweise und ein Verzicht auf Kernfähigkei- ten hat angesichts strategischer Inkohärenzen noch nicht Platz gegriffen. Kooperationsbereitschaft ist daher weiterhin eng an die Erhaltung möglichst umfassender nationaler Handlungsfähigkeit gebun- Staaten und weniger auf Ebene der EU-28 statt. Also keine Europa-Armee sondern Bildung von regionalen (z.B. Nordische Kooperation oder Vise- - port oder Cyber) Fähigkeitsclustern. Damit kön- nen jedoch gesamteuropäische Fähigkeitslücken bei strategischen Systemen wie z.B. Aufklärung oder Drohnen nicht gänzlich geschlossen werden. Die eingeschränkte eigenständige militärische Hand- lungsfähigkeit der EU prolongiert auch die Abhän- gigkeit von den USA. Am erfolgversprechendsten bleiben Kooperationen zwischen EU-Staaten mit ähnlicher sicherheitspolitischer Interessenslage und vergleichbaren Militärkulturen.
  • 29. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 27 TRENDBESCHREIBUNG integrierte Streitkräfte statt, selbst der Einsatz von EU-Battlegroups zeichnet sich nicht ab. Übungen und Ausbildung werden weiter in eingeschränktem Rahmen und unter Rückgriff auf NATO-Standards Trotz einstimmiger politischer Einsatzentscheidun- gen ist die Aufbietung der erforderlichen Kräfte weiterhin nur mit großem Aufwand möglich. Staa- ten, die in den Einsatz gehen und die damit verbun- bislang keinen Einsatz einer EU-Battlegroup gege- ben hat. Trotz begrüßenswerter Ansätze in Rich- tung systematischer gemeinsamer Streitkräfte- planung sind auch weiterhin keine verbindlichen gesamteuropäischen Planungsvorgaben zu erwar- ten. Der Qualitätssprung von freiwilliger Koope- ration zu gelenkter Integration bleibt daher im Bereich der Verteidigung aus. Im Vordergrund wer- den auch weiterhin „Pooling und Sharing“-Koope- rationen zwischen gleichgesinnten Staaten und der Ausbau regionaler zweckorientierter Kooperations- formate stehen. cher Einsa g der er t groß n Ein Bereich der Vertei rhin „Pool hgesinn ntierte
  • 30. Das Trendszenario 2016 weist im Vergleich zum Trendszenario 2015 bei drei der hochrelevanten Fak- sich der Trend der und der der EU. Hingegen zeigen die Indikatoren des Faktors 3. ZUSAMMENFASSUNG: Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage der EU und Österreichs im Jahr 2016 Rolle Russland in Europa, dass eine weitere Steige- rung des konfrontativen Verhältnisses zwischen Russ- land und den EU wenig plausibel ist. Zunehmende Aufmerksamkeit sollte auch der Faktor Beeinträchti- gung der Stabilität in Europa genießen, dies vor allem wegen der Migrationsströme, den Folgen der Wirt- Gegenwartsraum Erwartungsraum LEISTUNGS- FÄHIGE GSVP IM DIENSTE DER UN 2012 DESINTEGRATION DER EU ERNEUERTE TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT REGIONALE MACHT EU IN EINER MULTI- POLAREN WELT KERNEUROPA IN EINEM KONFLIKTIVEN UMFELD ZIVILMACHT EUROPA WELTORDNUNG KONFRONTATIVKOOPERATIV USA EUROPAS HEGEMON DARSTELLUNG DER SICHERHEITSPOLITISCHEN UMFELDSZENARIEN AUS DER SICHT VON 2011 MARGINALISIERUNG DER EU EU HANDLUNGSFÄHIG EU EINGESCHRÄNKT HANDLUNGSFÄHIG päischen Nachbarschaft mit weitreichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit und die Resilienz der EU und ihrer Mitgliedsstaaten – insbesondere durch Migration und Terrorismus. Aus den anhalten- den zentrifugalen Kräften innerhalb der EU resultieren nach außen eine eingeschränkte Gestaltungsfä- higkeit und eine schwindende Solidarität bei der Bewältigung von Herausforderungen im Inneren. Trotz europaweiter Stabilisierung der Verteidigungsbudgets ist die EU auch weiterhin nicht in der Lage, ei- genständig größere Operationen zur Wahrung vitaler Sicherheitsinteressen durchzuführen. TREND- SZENARIO 2015 TREND- SZENARIO 2016 ? ? 28 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
  • 31. schafts- und Finanzkrise sowie der damit einherge- henden zunehmenden sozialen und politischen Polari- sierung innerhalb der EU. Zudem werden vor dem Hintergrund anhaltender Konjunkturschwäche und eines erwartbaren nur mini- - len Ressourcen für die dringend notwendigen Stabi- lisierungsmaßnahmen an der südlichen und östlichen Peripherie der EU limitiert sein. Somit steht die EU in noch dramatischerer Weise als 2015 vor dem Scheideweg, ob sie den aktuellen und über die Migrationskrise noch verstärkten Trend in Richtung Renationalisierung überwinden und auch im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten hin zu einem leistungsfähigen Kern auf den Weg bringen kann. Die Bewertung der Anschläge von Paris am 13. November 2015 sowie die „Aktivierung“ der EU-Bei- - selfaktor oder gar dem ganzen Szenario eine andere Richtung gibt, fällt zurückhaltend aus. Das Ausmaß der Anschläge – allenfalls auch noch folgende – liegt - konventionelle Kampfmittel zum Einsatz kommen und keine Massenvernichtungswaffen. Die zentrale Herausforderung liegt daher eher darin, die politische und soziale Stabilität in den aktuellen und mögli- chen weiteren Anschlagsländern aufrechtzuerhal- ten wie auch darin, ein Mindestmaß an europäischer dem EU-Vertrag, wenn sie über die Symbolik nicht hinausgeht und keinerlei Impulse für Verteidigungsan- strengungen setzt, die diesen Namen auch verdienen. Das aus den dargestellten plausiblen Entwicklun- gen der Schlüsselfaktoren abgeleitete Trendszena- rio 2016 liegt somit noch in der generellen Richtung - trächtigen globalen Weltordnung“, wobei die sicher- heitspolitische Funktions(un)fähigkeit der EU zum entscheidenden Unsicherheitsfaktor wird. Mit einem Trendbruch dergestalt, dass die EU an einer leistungs- scheitert, müssten andere Zukunftsszenarien in den Erwartungsraum miteingebunden werden und zur werden. Diese wären davon gekennzeichnet, dass in - chenden negativen Folgen für die politische, wirt- schaftliche und soziale Resilienz der EU. Im besten Falle könnte die EU in diesem Fall mit einer erneuer- ten atlantischen Allianz ihren Bedeutungsverlust par- tiell kompensieren, was allerdings nur um den Preis gesteigerter Abhängigkeiten erfolgen würde. Vor dem Hintergrund dieses Trenszenarios 2016 erge- ben sich für die österreichische Sicherheits- und Ver- teidigungspolitik in den unterschiedlichen Dimensio- nen folgende Handlungsstränge: • Stärkung der Resilienz, • Weiterentwicklung der Verteidigungsplanungen, • Kooperationen sowie das • Erfordernis von vermehrten und robusteren Bei- trägen zur Umfeldstabilisierung. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 29
  • 32. STÄRKUNG DER RESILIENZ ÖSTERREICHS Angesichts der multiplen Krisen, mit denen die EU und ihre Mitgliedsstaaten konfrontiert sind, stellt sich immer mehr die Frage nach der Resilienz einzel- - enz kann ganz allgemein verstanden werden als die Fähigkeit, mit– vorhergesehen bzw. unvorhergesehen – Ereignissen umgehen zu können. Diese Fähigkeit ist in einem sich grundlegend und dynamisch wan- delnden Sicherheitsumfeld für einen Staat, seine Leis- tungsfähigkeit und damit langfristig auch für seine Legitimation gegenüber den Bürgerinnen und Bür- gern von entscheidender Bedeutung. Die Resilienz setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Robust- heit als Fähigkeit, erwartete Ereignisse zu bewältigen, und Agilität als Lern- und Entwicklungsfähigkeit im Umgang mit unerwarteten Ereignissen. Resilienz geht somit auch einher mit der Strategiefä- higkeit von Staaten, also mit der Fähigkeit, Herausfor- derungen, Risiken und Bedrohungen so früh als mög- lich zu erkennen sowie hinsichtlich ihrer Relevanz für den eigenen Staat zu analysieren, zeitgerecht kohä- rente und wo erforderlich gesamtstaatliche Strategie- optionen für die Staatsführung zu entwickeln und nach einer politischen Entscheidung deren Umset- zung zu begleiten. Der Umgang mit den Krisen der letzten Jahre, mit denen Österreich konfrontiert war, legt den Schluss nahe, dass hier ein gesamtstaatliches - rung in der ÖSS und in den letzten Regierungspro- grammen konnten bislang keine adäquaten leistungs- fähigen Strukturen zur strategischen Vorausschau und Entwicklung von gesamtstaatlichen Handlungsopti- onen im Rahmen eines gesamtstaatlichen Lagezent- rums geschaffen werden. Österreich mangelt es somit – und das ist auf Sicht eines der essentiellsten Sicher- wesentlichen Voraussetzungen seiner Strategiefähig- keit. Zu den prioritären sicherheitspolitischen Aufga- benstellungen 2016 zählt somit die Einrichtung eines gesamtstaatlichen Lagezentrums. WEITERENTWICKLUNG DER VERTEIDGUNGSPLANUNGEN Die aktuellen Entwicklungen in Osteuropa, im Nahen Osten, in Nordafrika aber auch in Europa erfordern keine grundlegenden Veränderungen in der strategi- schen Ausrichtung. Vielmehr wird die Richtigkeit und Notwendigkeit der konsequenten Ausrichtung auf die einsatzwahrscheinlichen Aufgaben, wie sie im Struk- turpaket „ÖBH 2018“ ausgeplant wurden, grundsätz- lich bestätigt. So ist weiterhin von keinem gesteigerten konventio- nellen militärischen Risiko für Österreich auszugehen. Aktualisiert hat sich die Annahme, dass in naher Zukunft Einsätze des ÖBH zur Landesverteidigung für die Abwehr asymmetrischer Angriffe notwendig werden können. Insbesondere nach den Anschlägen von Paris ste- hen der Schutz der Bevölkerung, ihrer Lebensgrund- lagen und die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Staates im Vordergrund. Zur Aufrechterhaltung der Resilienz sind die Fähigkeiten des ÖBH konsequent weiterzuentwickeln. Dies umfasst insbesondere die Bereiche Führungsfähigkeit, Aufklärung, Mobilität zu Land und in der Luft sowie die Spezialeinsatzkräfte. Der raschen Reaktionsfähigkeit und der personellen 30 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016
  • 33. Durchhaltefähigkeit auch über einen längeren Zeit- raum kommt eine gestiegene Bedeutung zu. - paweiten Entwicklung zu folgen, wieder in Streitkräfte zu investieren und damit die Einsatzbereitschaft zu erhö- hen und an die neuen Herausforderungen anzupassen. FESTHALTEN AM AUSBAU DER GSVP UND INTENSIVIERUNG VON KOOPERATIONEN Wegen schwieriger allgemeiner Rahmenbedingungen in - - men. Daher ist es aus österreichischer Sicht umso wichti- ger, dass die aktuellen Handlungsstränge – insbesondere die laufenden Krisenmanagementeinsätze, die Erstel- lung einer neuen Europäischen Sicherheitsstrategie und die Unterstützungsleistungen für Frankreich in Folge der Aktivierung der Beistandsklausel in Richtung einer effek- tiven und ambitionierten europäischen Verteidigungspo- litik – erfolgreich weitergeführt werden. Österreich muss sich im Sinne der eigenen Interessenslage weiterhin in angemessener Form einbringen. Das erfordert v. a. die Fortsetzung der militärischen Krisenmanagement-Bei- träge auf hohem Niveau und den Ausbau der Kooperati- onen mit gleichgesinnten EU-Staaten sowie einen sicht- baren Solidarbeitrag gegenüber Frankreich. Im Rahmen der Erarbeitung der neuen Europäischen Sicherheitsstra- tegie wird insbesondere auf die Bedeutung der Verteidi- gungsdimension, auf eine kohärente gemeinsame Bedro- hungseinschätzung und auf konzeptive Vorgaben für - wirken sein. Das strategische Kooperationsportfolio des ÖBH wäre mit Vorrang zu implementieren. ERFORDERNIS VON VERMEHRTEN UND ROBUSTEREN BEITRÄGEN DES ÖBH ZUR UMFELDSTABILISIERUNG - zen wird sich weiter in Richtung erhöhter militärischer Leistungsfähigkeit verändern. Diese Tendenz hat der Dies resultiert insbesondere aus den umfassenderen Mandaten, die zunehmend auch den Schutz der Zivil- bevölkerung gegenüber bewaffneten Milizen und Ter- roristen beinhalten und aus den steigenden asymme- Relevanz sind dabei die Einsätze im Nahen Osten, in Nordafrika und in Subsahel-Afrika. Militärisch bedeu- tet dies, dass internationale Einsätze robuster und anspruchsvoller werden, was u. a. erhöhte Anforde- rungen an Truppenschutz, Mobilität und Aufklärungs- fähigkeit zur Folge hat. Nachbarschaft erfordern einen vermehrten Stabilisie- rungsbedarf. Es wäre daher zu prüfen, inwieweit sich das ÖBH im Rahmen eines gesamtstaatlichen zivil- militärischen Ansatzes mit zusätzlichen Kräften und Mitteln an UN-mandatieren Friedensmissionen betei- ligen soll und den Forderungen zunehmend robuster und anspruchsvollerer Missionen verbessert gerecht werden kann. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 31
  • 34. GLOBALES UMFELD 2016 Die sicherheitspolitische Situation in Europa ist durch neue Herausforderungen, Risiken und Bedrohungen be- stimmt. Diese sind komplexer, stärker miteinander ver- netzt und weniger vorhersehbar als bisher. Sie betreffen die innere und äußere Sicherheit. Im Zeitalter der Globalisierung können dabei regionale Ereignisse globa- le Auswirkungen haben. (Vgl. Österreichische Sicherheitsstrategie, S. 4)
  • 35. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 33 GLOBALE SICHERHEITS- TRENDS 2016 Richard Weitz Die Legitimation und die Effektivität von internatio- nalen Institutionen – von globalen wie den Verein- ten Nationen bis zu regionalen wie der NATO und der EU – werden auch weiterhin durch das Ausmaß und die Intensität von globalen Krisen bedroht. So- wohl für Russland als auch für China im Rahmen seiner maritimen Streitigkeiten oder für die Terror- miliz „Islamischer Staat“ mit ihrer Mischung aus ter- roristischen, aufrührerischen und konventionellen Taktiken, bleibt die Anwendung hybrider asymmetri- scher Methoden der Kriegsführung populär. Fortge- Europa Europa wird 2016 seinen Fokus wahrscheinlich auf die Flüchtlingskrise legen. Laut Prognose der VN sollen in den nächsten zwei Jahren über 1,4 Millionen Migrantin- nen und Migranten Europa erreichen. Die Aussichten, setzte Cyber-Angriffe werden insbesondere wegen schwieriger verlässlicher Zuordnungen Anlass zu Spannungen zwischen den globalen Mächten führen.
  • 36. 34 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 - über Moskau, insbesondere da die NATO-Führung im wenn nicht gar einheitlich – der Meinung ist, dass sich Russland und die NATO in Konkurrenz zueinander - der gibt. Infolgedessen ordnet die NATO ihre in Eu- - dernisierung ihrer Nuklearkräfte und Nukleardoktrin. Russland wird eine autoritäre und revisionistische Macht unter strikter Kontrolle von Wladimir Putin - on in der Ukraine und in Syrien könnte die Kooperati- on zwischen Russland und dem Westen bei vielen Themen, vom islamistischen Terrorismus und regiona- - tik gegenüber China, weiter behindern. Der Absturz des russischen Rubels und die Schwächung der russi- schen Wirtschaft wird Moskaus Aktivitäten in Zu- mehr Selbstsicherheit, zu Einschränkungen oder zu ei- ner Kombination von beidem führen wird, ist unklar. Der Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen hängt größtenteils davon ab, wie lang es benötigt, das unkla- re Minsk II-Abkommen umzusetzen. Prinzipiell dürf- ten die Sanktionen wegen der Annexion der Krim noch mehrere Jahre aufrecht bleiben. Naher und Mittlerer Osten - den auch 2016 mit nur geringer Aussicht auf eine Lö- sung fortbestehen. Die angespannten Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien haben sich ver- schlechtert, seit beide Parteien die jeweils gegneri- schen Kräfte in den Bürgerkriegen im Jemen und in Einkommens- und Vermögensungleichheit – abgemil- dert werden, sind gering. Dadurch ergeben sich Auswir- kungen auf die europäische Sicherheit in den Bereichen • Ökonomische Aufwendungen zur Unterstützung der Flüchtlinge, • Anstieg des islamischen Radikalismus, • und • wie darauf zu reagieren sei. Langfristig wird die alternde Bevölkerung des Konti- Kurzfristig besteht jedoch die Wahrscheinlichkeit höhe- rer Arbeitslosenraten. Arbeitskräfte in unterschiedlichen - könnten das allgemeine Lohnniveau drücken. Die Zunahme des islamischen Radikalismus inmitten des Exodus von Hunderttausenden Flüchtlingen aus islami- schen Ländern bereitet Sorgen. Die Lösung der Wirt- schaftskrise stellt eine weitere Herausforderung dar, die Sparmaßnahmen könnten aufgrund der Flüchtlingskrise untergraben werden. Um die Herausforderungen des Jahres 2016 zu bewälti- gen, insbesondere die Flüchtlingskrise, braucht die EU auch eine verstärkte Kooperation mit den Balkanstaaten (Serbien und Mazedonien) wie auch mit der Türkei. Russland Der Krieg in der Ukraine, in dem Moskau die Krim be- setzte, führte zu einer Aushöhlung der doktrinären
  • 37. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 35 Syrien unterstützt haben. Präsident Hassan Rohanis Hoffnung auf eine Entspannung mit der saudischen Regierung wird sich angesichts der aggressiven anti- iranische Stimmung in Riad wahrscheinlich nicht er- füllen. Unterdessen werden sich die russisch-irani- schen Beziehungen durch die Zusammenarbeit im Fall Syriens vertiefen. Der Wahlsieg Benjamin Netanyahus wird einen weiteren Fortschritt in den israelisch-paläs- tinensischen Friedensgesprächen erschweren. Ostasien Die Annäherungen zwischen Russland und China werden enger, obwohl die Schwäche der russischen und chinesischen Wirtschaft ihr Potential begrenzt. Pekings aggressive Haltung im Südchinesischen Meer hat jenes Wohlwollen beeinträchtigt, das sich Peking in den letzten Jahrzehnten von seinen maritimen Nachbarn und den Vereinigten Staaten erworben hat. Pekings Cyber-Spionage hat sowohl die USA als auch ausländische Unternehmen, die traditionellerweise die globale Einbeziehung Chinas unterstützt haben, verär- gert. Die betroffenen Staaten haben bereits reagiert und ihre militärischen Verbindungen untereinander und mit Washington gestärkt. Im nächsten Jahr wird insbesondere Japan seine Rolle für die Sicherheit Asi- ens entsprechend seinem Potential ausbauen. Afrika Die größte Bedrohung innerhalb Afrikas geht von ext- - ter sind Boko Haram (hauptsächlich in Nigeria und Kamerun) und Al-Shabaab (vorwiegend in Kenia und Somalia). Während Boko Haram dem „Islamischen Staat“ die Treue geschworen hat, bleibt Al-Shabaab lo- yal gegenüber Al-Kaida. Beide werden jedoch ähnliche Taktiken einschließlich Angriffe auf belebte Busstatio- nen, heilige Stätten und Märkte anwenden. Afrika leidet unter sehr schwachen Institutionen, sehr schwachen demokratischen Regierungen und geringen öffentlichen Investitionen, was zu Verwundbarkeit ge- genüber gewalttätigen Akteuren, Pandemien und an- deren Destabilisierungen führt. Vereinigte Staaten von Amerika Die US-Präsidentschaftswahlen könnten wegen ihres Effekts auf die US-Außenpolitik (mögliche Beendi- gung der schwachen US-Führungsrolle in verschiede- nen Regionen) gravierende Auswirkungen haben. Dies könnte die Verhandlungen zum internationalen Han- den Zustand des Dollars und andere kritische globale Themen betreffen. Nachdem Präsident Barack Obama seine Wählerschaft nicht mehr besänftigen muss und ein positives Vermächtnis hinterlassen möchte, könnte er sich mutig in verschiedene Richtungen betätigen.
  • 38. 36 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Europas Fokus wird 2016 die Flüchtlingskrise bleiben. • Kurzfristig könnten durch die Migration nach Euro- pa die Löhne aufgrund des Angebots an billigen Ar- beitskräften sinken, langfristig wird die alternde Bevölkerung wirtschaftlich unterstützt. • Mehrheitsmeinung in der NATO-Führung ist, dass Russland und die NATO in Konkurrenz zueinander stehen und die Möglichkeiten der Kooperation be- grenzt sind. • 2016 weiter anhalten, mit geringer Aussicht auf Lösung. • Die Russland-China-Achse wird sich leicht stärken, obwohl das schwache Wachstum in beiden Wirt- schaften das Potential begrenzt. • Die größte Sicherheitsbedrohung in Afrika geht von islamistischen Extremistengruppen wie Boko Ha- ram und Al-Shabaab aus. KEY NOTES • Europe’s focus in 2016 will remain on the refugee crisis. • In the short term, wages might fall due to the gro- wing availability of cheap labour; in the long term, the continent’s aging population will be helped economically. • The view of most NATO leaders is that Russia and NATO are in a competitive relationship in which co- operation is limited. • through 2016, with little prospect of resolution. • The Russia-China axis will tighten slightly, although weakening growth in both economies will limit its potential. • The greatest security threat in Africa comes from Islamic extremist groups: Boko Haram and Al-Shabaab. NK oku nten rund angfris unterst hrung ist, dass in o ght ap lab ng po ly. The view of gskrise ch Euro- en Ar- e KEY NOTE • Europe’ crisis • In t w
  • 39. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 37 GLOBALE MACHT- POLITISCHE ENTWICKLUNGEN 2016 Nicolas Stockhammer Geotektonische Bruchliniendynamik Massive geotektonische Plattenverschiebungen hat- ten das Aufreißen alter Bruchlinien zur Folge, was weit Globale Machtpolitik im Jahr 2016 ist als Konse- quenz gleichsam tektonischer Kräfteverschiebun- gen im geopolitischen Machtgefüge zu verstehen. geprägt sein, die aus der multipolaren Neuordnung von Machtpotentialen und damit verbundenen Aus- strahlungen resultierten. Europa kann sich durch entschlossenes Agieren einen Platz im Quartett der Großmächte sichern – oder in die geopolitische Be- deutungslosigkeit zurückfallen.
  • 40. 38 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 reichende ordnungspolitische Konsequenzen insbe- sondere für das kommende Jahr nach sich zieht. Das machtpolitische Vakuum im Anschluss an den „Uni- polar moment“ (Krauthammer) hat sukzessive zu einer hochgradigen Instabilität an den Rändern und zu einer - zeit grassierenden Wettbewerb um die globale Domi- Machtpositionen und unterschiedlichen Ressour- cen. Allen voran werfen die um Machtkonsolidierung bemühten Vereinigten Staaten und auch ein aufstre- - schale. Dennoch sind die postimperialen Ambitionen Russlands nicht gering zu schätzen, und ebenso ist EU- Europa, zumindest von seinen grundsätzlichen Disposi- tionen her, immer als ein potentiell bestimmender Fak- tor auf dem weltpolitischen Schachbrett zu sehen. Das Jahr 2016 wird mit hoher Wahrscheinlichkeit von in einer Neugewichtung der Machtpotentiale äußern wird. Vorwiegend steht zu erwarten, dass das Verhältnis zwischen den maßgeblichen Machtakteuren von mani- fester Konkurrenz geprägt sein wird und zudem hieraus - ride „Proxywars“ in der instabilen Peripherie ausgetra- gen werden. Als Stakeholder sind in diesem Kontext die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien, Israel und nicht zuletzt Ägypten bzw. die Ukraine als geostrategisch relevante „Spots of interest“ zu nennen. Die künstlich gezogenen Sykes-Picot-Linien etwa haben sich gerade in Syrien als unzureichend, unbeständig und fragil erwiesen, ebenso ist das ukrainische „Heart- land“ (Mackinder), dessen Osten als eine Art russisches Faustpfand im Zuge der geopolitischen Neuordnung nach dem Zerfall der Sowjetunion zu begreifen ist, wei- terhin hochgradig instabil. Hierbei spielen teils latente, teils offenkundige Einkreisungsobsessionen (in China und Russland) im Widerspiel mit Niedergangsängsten (in den USA und Europa) eine Rolle. Brüche vollzie- hen sich zudem auf einer psychologischen Ebene, wobei ein Auseinanderdriften simultan alten und neuen Kon- lässt und auch eine fortschreitende sicherheitspolitische Fragmentierung beschleunigt. Vorherrschendes geostra- tegisches Prinzip wird 2016 sehr wahrscheinlich eine globale Interdependenz bleiben, in deren Lichte sich multivektorielle Machtprojektionen entwickeln werden. Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen im Herbst 2016 dürften eine graduelle Verlangsamung im Wettbewerb um eine globale machtpolitische Vorherr- schaft nach sich ziehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit - halten und weiterhin Disengagement an der europäi- schen Peripherie praktizieren. Die USA werden ganz generell allem Anschein nach ihr Committment in Räu- men (d. h. insb. in Krisenregionen) zurückschrauben, wo sich keine unmittelbaren ökonomischen US-Inte- ressen bzw. politische Spin-Offs oder Kollateralambi- der Ökonomie („Moneyball America“– vgl. Bremmer) verheißt eine Außenpolitik unter dem konsequenten Europa kann sich im politischen Schlüsseljahr 2016 angesichts „bedrängender Herausforderungen“ (Mig- rations- und Finanzkrise, transnationaler Terrorismus), wie Herfried Münkler in seinem Beitrag treffend fest- stellt, den „geopolitischen Tatsachen“ stellen – oder sich vollends aus der ihm gebührenden, ordnungspoli- tischen souveränen Selbstbestimmung herausnehmen.
  • 41. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 39 Letzteres hätte weit reichende negative Konsequenzen für den Weiterbestand der EU als Institution. Institutionell wird 2016 vor allem die OSZE unter deut- spielen. Die NATO dürfte weiterhin versuchen, ihr Pro- der Auseinandersetzung mit Russland zu schärfen. Geoökonomik Natürliche (tellurische) Ressourcen sind ein knappes - - positionen begriffen werden muss. Der Besitz von Res- sourcen kann wesentliche kompetitive Vorteile mit sich bringen, gerade was die Herausbildung von Schlüssel- technologien betrifft. Es steht daher für 2016 auch wei- terhin zu befürchten, dass die global rohstoffreichsten Regionen immer heißer umkämpft sein werden. Ebenso Patente oder Ideen) der Faktor „Humanressource“ auch in Hinblick auf dessen Verfügbarkeit mitzudenken, der zusehends eine nicht zu unterschätzende sicherheitspo- litische Rolle zu spielen scheint. Im Kampf um die glo- bale Vorherrschaft ist der Kontrolle von Strömen (etwa von Kapital oder Daten) ebenso wie der Verfügungs- macht über den Weltraum enorme Bedeutung beizu- messen. Als geoökonomisch essenziell ist zudem der weitere Verlauf der Verhandlungen rund um das Trans- atlantische Freihandelsabkommen (TTIP) zu betrach- ten, dessen erfolgreicher Abschluss nachhaltige geopoli- tische Veränderungen nach sich ziehen würde. Auch 2016 stagniert die Weltwirtschaft wahrschein- lich, regional jeweils unter anderen Vorzeichen, im Kri- senmodus. Selbst dort, wo Wachstum indiziert wird, etwa in China, ist mit strukturellen Problemen (Finanz- marktkrise) zu kämpfen. Für das Jahr 2016 ist daher eine weitere geoökonomische Zuspitzung zu erwar- ten, mit ebenso weit reichenden Auswirkungen auf das Geokultur Die größte geokulturelle Herausforderung im kommen- den Jahr wird höchstwahrscheinlich die europäische Migrationskrise bleiben, die womöglich noch eine weit reichende Ausstrahlung auf weitere Räume und Poli- tikbereiche erlangen wird. Nicht nur wird es gemein- schaftlicher Anstrengungen bedürfen, den geballten Flüchtlingszustrom zu kontrollieren bzw. aufzuteilen, auch wird die Integration der Asylwerber Finanzetats von EU-Mitgliedsstaaten belasten und das soziokultu- alten globalen Machtzentren kann eventuell durch kon- trollierte Zuwanderung teilweise ausgeglichen werden. Im geokulturellen Bereich „Religion und Ideologien“ ist 2016 mit einem weiteren Aufkeimen religiöser Differen- zen wie etwa dem innerislamischen Antagonismus (Iran vs. Saudi-Arabien) ebenso wie mit einer Hinwendung zu neuen ideologischen Narrativen zu rechnen, die geo- politisch prägend sein werden. Was Medialität und Pub- lizität betrifft, wird der Kampf um die Aufmerksamkeit machtpolitischer Deutungshoheit haben. Konklusion Insgesamt wird 2016 machtpolitisch weiterhin unter den Auspizien einer Neuausrichtung der Weltordnung stehen. Dauerhafte Machtansprüche bedürfen zu einer nachhaltigen Realisierung freilich einer weit reichenden Legitimierung, die nur längerfristig zu begründen ist.
  • 42. 40 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Das Jahr 2016 wird von einer multipolaren Mächte- konkurrenz geprägt sein, die sich in einer Neujus- tierung bzw. Rebalancierung der jeweiligen Macht- potentiale äußern wird. • Die USA werden auch 2016 ihre Außen- und Si- cherheitspolitik unter dem Primat der Ökonomie und geleitet von einschlägigen Nutzenerwägungen betreiben. • 2016 wird angesichts der großen Herausforderun- gen wahrscheinlich ein politisches Schlüsseljahr für die EU sein. • Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Stagnation der Weltwirtschaft ist für das Jahr 2016 eine weite- re geoökonomische Zuspitzung zu erwarten. • Die größte geokulturelle Herausforderung im kom- menden Jahr wird höchstwahrscheinlich die euro- päische Migrationskrise bleiben. Darum ist auch kurzfristig mit hybriden Ausdrucksfor- men einer wertebasierten Politik und einer überwiegend interessengeleiteten Realpolitik in den Internationalen Beziehungen zu rechnen. In der Zwischenzeit gilt es für die als globale Ordnungsmächte in Frage kommenden Akteure, insbesondere für ein selbstbewusstes Europa, sich übergreifenden politischen Herausforderungen zu stellen, Krisen zu managen und sich neuen, unabänder- kommenden Jahr werden jedenfalls, so ist zu erwarten, grundlegende Akzente hierfür gesetzt. KEY NOTES • 2016 will be characterized by a multi-polar compe- tition of powers that will manifest itself by an ad- justment or rebalancing of the respective power potentials. • US foreign and security policy will continue to be dictated by the primacy of the economy and guided • Considering the great challenges, 2016 is likely to become a political key year for the EU. • Against the background of a persistent stagnation of the world economy, a further geo-economic in- • The European migration crisis will most likely re- main the biggest geo-cultural challenge in the up- coming year.
  • 43. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 41 Wachsende Russland-China Kooperation Die Krise in den russischen Beziehungen zum Westen zeigt, dass Moskau bereit ist, seine wirtschaftlichen Inte- ressen und seine Zusammenarbeit im Bereich der inter- nationalen Sicherheit (zumindest temporär) für politi- sche, geopolitische und ideologische Ziele zu opfern. Russland ist zunehmend fester entschlossen, jegliche es im Nahen Osten, in der Ukraine oder anderswo ent- Die wachsende Zusammenarbeit mit China stärkt Mos- kaus Vertrauen in der Konfrontation mit dem Westen. Die durch die USA verhängten Sanktionen gegen Putins Russland haben dieses zu einem „Pivot“ in Richtung GLOBALE ENTWICKLUNGEN 2016 Mathew Burrows Der Nahe Osten wird die größte Ursache für globale - sehbarer Zukunft wahrscheinlich noch weiter aus- breiten wird. Die meisten Bürgerkriege dauern sind viel gefährlicher als die meisten Bürgerkriege, da sie das Potential haben, die gesamte Region zu erfassen und die globalen Mächte gegeneinander auszuspielen. Das jüngste Eingreifen Russlands in Syrien garantiert, dass Baschar al-Assad nicht so - len Versuchen zur diplomatischen Lösung des
  • 44. 42 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Osten gedrängt – insbesondere in Richtung China, das wiederum seinen eigenen eurasischen „Pivot“ in Rich- tung Westen vollzogen hat. Russlands langfristige Ener- giezukunft liegt in Asien. Anstatt eines Rivalen gewinnt China einen wertvollen Partner zur Stabilisierung und Modernisierung Eurasiens, in dem China zunehmend seine wirtschaftliche Zukunft und nicht mehr sein Hin- terland sieht. Zusammen streben Moskau und Peking, entsprechend der Vision Mackinders, nach der Verwirk- lichung eines Eurasischen Kernlandes. Kein frühes Ende der Migrationskrise Sowohl für die Flüchtlingskrise, die ihre Wurzeln in den für die anhaltende Instabilität auf dem Balkan wird es keine kurzfristigen Lösungen geben. Die Anzahl der Vertriebenen steigt mit der zunehmenden Intensität der Tag vertrieben, diese Zahl stieg jetzt auf 42.000 oder mehr Personen pro Tag. Langfristig könnte die zuneh- und der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ein Segen für Europa sein. Kurzfristig werden die EU-Diskussi- onen zur Verteilung der rasch steigenden Last zu einer Verschärfung der innereuropäischen Spannungen zwi- schen Ost und West sowie Süd und Nord führen. Vor dem Hintergrund derart großer Migrationsströme wie die Türkei, Jordanien, Marokko und Algerien erhö- Europa reduzieren. Tatsächlich sind jedoch auch diese Staaten übermäßig belastet. Wachsende Spannungen zwischen Türken und Kurden könnten Kurden dazu drängen, die Türkei zu verlassen, und somit zusätzliches Flüchtlingsleid am Balkan und in Europa hervorrufen. Der einzige Lichtblick in der Ausweitung des Nah- - sche Lösung angestoßen werden könnte. Die Europäer könnten durch die Initiierung eines Friedensprozesses politische Führungsqualität demonstrieren – wie dies Fall war. Mitte 2016 könnte Russland nach Möglichkei- hierfür würden die steigenden Kosten, die sich verstär- kende Rezession sowie der wachsende Wunsch nach Aufhebung der EU-Sanktionen sein. Vor dem Hinter- grund der Beschäftigung mit der nächsten Präsident- schaftswahl dürfte es für die USA jedoch kaum mög- widmen. Getrübte Aussichten für die Weltwirtschaft Eine harte ökonomische Landung in China – deren Wahrscheinlichkeit trotz der gegenwärtigen Verlangsa- mung unter 50 % liegt – würde die Aussichten für die Drittwelt-Staaten, die wesentlich von der Dynamik der chinesischen Wirtschaft abhängen, weiter trüben. Eine globale Rezession kann unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen werden. In einem derartigen Szenario würden die weltweiten Energiepreise auf ein historisches Tief fallen und die Energieproduzenten im Nahen Osten und in Russland weiter unter Druck geraten. Somit wären Saudi-Arabien und Russland weniger in der Lage, Durch ein mittel- bis langfristig dramatisch geringe- res Wachstum könnte Chinas Präsident Xi dazu veran- lasst werden, groß angelegte ökonomische Reformen umzusetzen. Dies könnte Chinas langfristige wirtschaft-
  • 45. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 43 liche Perspektiven drastisch verbessern und die Wahr- scheinlichkeit, dass China in der Falle mittlerer Einkom- men stecken bleibt, verringern. Durch ein dramatisch geringeres Wachstum könnte aber das Risiko eines poli- Aggression gegen seine asiatischen maritimen Nachbarn steigen. Beschäftigte USA im Jahr 2016 Während es noch zu früh ist, vorherzusagen, wer die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt, gibt es die verbrei- tete Meinung, dass die USA unter Obamas Führung zu schwach in der Welt auftraten. Die meisten Kandida- ten versprechen mehr Härte, insbesondere gegenüber Russland und China. Ich befürchte, dass der neue Prä- sident – sei er Demokrat oder Republikaner – übertrie- ben aggressiv sein könnte und die US-Verbündeten in Europa und Asien dazu zwingen könnte, sich zwischen den USA oder Moskau und Peking zu entscheiden. Am wichtigsten für die USA bleibt jedoch die Wirt- schaft. Trotz geringerer Arbeitslosenrate ist die Erwerbsquote, gerade bei älteren Männern, rapide gesunken. Die mittleren Einkommen stagnieren weiter. Wie andere entwickelte Volkswirtschaften altern auch die USA, womit sich ein geringerer Anteil der Bevölke- der Teil des nationalen Budgets für Leistungsansprü- che verwendet wird, bleibt weniger für Verteidigung und zivile Programme. Eine nationale Ausnahmesitu- ation – wie nach 9/11 – könnte zu einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben führen. Ohne eine derartige große Bedrohung werden die USA die budgetären Kon- sequenzen jeder kostspieligen Militäroperation abwä- gen müssen – trotz der aggressiven Töne während des Wahlkampfes. KERNPUNKTE • sehbarer Zukunft wahrscheinlich noch ausweiten. • Die wachsende Zusammenarbeit mit China gibt Moskau mehr Vertrauen, den Westen zu konfrontieren. • • Das größte Thema für die USA wird die Wirtschaft bleiben. Die USA werden zunehmend die budgetären Konse- quenzen größerer Militäroperation abwägen müssen. KEY NOTES • foreseeable future. • • There will be no quick solution to the refugee-crisis which has its root-causes in the Middle East and in Africa. • The economy is going to remain the biggest issue for the US. There will be an increasing need to weigh the budgetary consequences of larger military operations.
  • 46. 44 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 WELTORDNUNG 2016 Die neue Unordnung der Welt und die Konsequenzen für Europa Ulrich Menzel Die Welt wird unregierbarer. Dieser seit Jahren zu konstatierende Trend ist 2015 manifest geworden. Die Stichworte lauten: Ukrainekrieg, Griechenland- krise, Krieg und Staatszerfall im Irak und in Syrien, Scheitern der militärischen Interventionen, Ausbrei- tung terroristischer Organisationen, die Staatlichkeit Schleusung als neues Geschäftsfeld des organisier- ten Verbrechens, Restauration des sowjetischen und Krise der EU. Ein Problem verdrängt das andere, ohne dass nur eines gelöst ist. Es ist sicher, dass diese Themen im Jahre 2016 weiter auf der Agenda stehen, mit der Konsequenz, dass die bestehenden Institutionen überfordert und die USA nicht mehr bereit sind, allein die Lasten zu tragen. Ob- wohl Europa mehr Verantwortung übernehmen muss, wird sich der Trend zur Selbsthilfe statt des Vertrauens in die EU verstärken und Deutschland in die ungewollte Rolle des Eurohegemons drängen. Ursachen der neuen Unregierbarkeit Während der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwin- det zugleich die Fähigkeit, diesen Bedarf zu bedienen. Verantwortlich für das düstere Szenario wachsender Un- regierbarkeit sind langfristige Trends, die keinen linea- ren, sondern einen exponentiellen Verlauf nehmen, bis Kipppunkte erreicht werden, an denen die ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und administrati- ven Systeme kollabieren.
  • 47. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 45 Wesentliche Ursache für die neue Unregierbarkeit ist pa- radoxerweise, dass „Entwicklung“ in großen Teilen der - ländern unvermindert fortschreitet. Daraus resultieren werdende Ressourcen und neue Formen des Kolonialis- mus wie z.B. Landgrabbing. Russland verfolgt spätestens seit Beginn der zweiten Präsidentschaft Wladimir Putins eine revisionistische Politik der Rückgewinnung ehemaligen sowjetischen - - zeln hatten: das alte Schisma des Islam zwischen Sunni- - und quer durch Subsahara-Afrika verläuft, der Zerfall vieler postkolonialer Staaten, die vielfach nur auf dem Papier bzw. in der Hauptstadt bestanden haben, und die Transformation des Terrorismus zum quasistaatlichen Akteur. Konsequenzen für Europa – Krisen und Mi- gration und Rüstungswettlauf Eine Befriedung des Krisengürtels an der europäischen Peripherie ist für 2016 nicht zu erwarten. Eher werden die bislang noch stabilen Inseln innerhalb des Krisen- gürtels destabilisiert und sich die Krisenregion nach Subsahara-Afrika und auf die armen Teile der Arabi- schen Halbinsel ausweiten. Jemen, Somalia, Eritrea, Südsudan werden zum Fokus einer weiteren Krisenregi- on mit neuen Fluchtbewegungen. Europa wird, weil die USA zögern, China passiv bleibt und Russland zündelt, gezwungen sein, in weitaus stärkerem Maße als bisher im eigenen Interesse für Sicherheit und Stabilität an sei- ner Peripherie zu sorgen, wie eine große Macht zu han- deln. Sonst ist die in 2016 eher zunehmende Fluchtbe- wegung nicht mehr handhabbar. Die Zeiten des Flucht wird immer durch Push- und Pull-Faktoren be- ihre Heimat verlassen. Letztere sind ausschlaggebend, welche Zielgebiete Migranten anstreben. Auch 2016 wer- den die Länder der EU von Flucht und Migration nicht - dergruppen unterscheiden: Die Länder Nordwesteuro- pas, die zu den bevorzugten Zielen zählen; die Transit- länder auf dem Balkan; die Erstaufnahmeländer - nen Länder, weil sie fernab liegen wie Irland oder Finn- land oder keine Attraktivität als Ziele bieten wie Polen oder das Baltikum. Nicht nur aufgrund der unterschied- lichen Betroffenheit, auch aufgrund der unterschiedli- chen Attraktivität macht eine Quotenregelung wenig Sinn, da sie von den Flüchtlingen unterlaufen wird. Si- cher ist, dass nach der dämpfenden Winterpause im Frühjahr 2016 die Migration wieder ansteigt, weil alle Push- und Pull-Faktoren weiter bestehen. Die Strategie, die Ursachen der Migration zu bekämp- fen, ist nur im Prinzip richtig und kann nur langfristig Wirkung zeigen. Deshalb muss Europa kurzfristig re- agieren. Wenn man die Pushfaktoren nicht oder nur sehr Faktoren an. Eine wirksame gesamteuropäische Strate- gie ist aufgrund der heterogenen Betroffenheit wenig wahrscheinlich, zumal das Projekt EU aufgrund diverser anderer Faktoren insgesamt in die Krise geraten ist.
  • 48. 46 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Kurzfristig denkbar sind zwei andere Szenarien. Entwe- der kehrt Europa zum nationalen Selbsthilfeprinzip zu- rück oder es kommt zu einer Lösung, bei der Deutsch- land als ungewollter und ungeliebter „Eurohegemon“ voranschreitet. In der benevolenten Variante heißt das, dass Deutschland den größten Teil der Kosten trägt. In der malevolenten Variante konzentriert es sich auf die tät durch Reduzierung der Sozialleistungen, beschleu- nigt die Asylverfahren und intensiviert die Rückfüh- rung. Dies setzt die Nachbarn unter Druck, ähnlich zu verfahren mit Kaskadenwirkung bis in die Türkei, Liby- en, Marokko und Subsahara-Afrika. Auch so steht die EU zur Disposition, weil nicht nur die Freizügigkeit im Schengenraum verschwindet. Eine Variante ist, dass sich und Österreich – auf ein gemeinsames Vorgehen ver- ständigen und eine kerneuropäische Lastenteilung vor- nehmen. Welches der Szenarien verfolgt wird, hängt nicht zuletzt von den kommenden Wahlen ab. Neben der Migrationsfrage werden alle ungelösten Prob- leme in den Hintergrund treten – mit einer Ausnahme: Falls Russland seine revisionistische Politik fortsetzt, in- dem es die Kooperation mit dem Iran verstärkt, weiter in der Ukraine, in Weißrussland, im Kaukasus und wo- möglich im Baltikum interveniert, wird das den Rüs- tungswettlauf wieder anheizen. Dem werden sich auch neutrale Länder wie Österreich nicht entziehen können. KERNPUNKTE • Die Welt wird unregierbarer. Während der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwindet zugleich die Fähigkeit, diesen Bedarf zu bedienen. • • Falls Russland diese revisionistische Politik fortsetzt, wird das den Rüstungswettlauf wieder anheizen. • Eine Befriedung des Krisengürtels an der europäischen Peripherie ist für 2016 nicht zu erwarten. Eher werden die bislang noch stabilen Inseln innerhalb des Krisengürtels destabilisiert und sich die Krisenregion ausweiten. • Die Strategie, die Ursachen der Migration nach Europa zu bekämpfen, ist nur im Prinzip richtig und kann nur langfristig Wirkung zeigen. Deshalb muss Europa kurzfristig reagieren. KEY NOTES • The world is becoming more ungovernable. While the demand for a world order grows, capacities to satisfy that request are fading. • • If Russia continues this revisionist policy it will refuel the arms race. • Binging peace to the crisis belt around the European periphery is unlikely in 2016. Crisis regions will expand and the still stable “islands” within the crisis belt are going to be destabilized. • The strategy to tackle the root causes of migration to Europe is right in principle, but can only be effective in the long term. Therefore, Europe must react in the short term. y ht die zügigk ante i , möglich im Baltikum intervenier Dem w entzie Während der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwindet zugleich die Fähigkeit . sio engürtels an der europäischen Peripherie ist für 2016 nicht zu erwarten. Eher werden Inseln innerhalb des Krisengürtels destabilisiert und sich die Krisenregion ausweiten. n der Migration nach Europa zu bekämpfen, ist nur im Prinzip richtig und kann nur Des overnable. While the demand for a world order grows, capacities to sati el the arms race. end der Bedarf nach Weltordnung wächst, schwindet zugleich die Fä k fortsetzt, wird das den Rüstungswettlauf wieder a opäischen Peripherie ist für 2016 nicht zu erw Krisengürtels destabilisiert und sich die K uropa zu bekämpfen, ist nur im Prinzip rzfristig reagieren. and for a world orde
  • 49. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 47 Europa in europäischer Verantwortung Die Sicherheit in Europa wird die USA auch 2016 relative Stabilität, Russland versucht sich eher in ande- GEOPOLITISCHE AUSRICHTUNG DER USA 2016 Henning Riecke Das Wahljahr 2016 schafft eine besondere Dyna- mik für die US-Außenpolitik. Zum einen fällt es dem scheidenden Präsidenten Barack Obama schwerer, - den. Zum anderen kann ein Präsident ohne die Am- bition auf Wiederwahl politische Impulse setzen, ohne auf Umfragewerte zu achten. Obama wird in seinen letzten Monaten im Amt versuchen, sein Ver- mächtnis abzurunden. Außenpolitik wird auf der Agenda stehen, nicht nur, weil die Präsidentschafts- kandidaten sich im Wahlkampf von Obama abgren- zen wollen. Auch im Wahljahr 2016 zwingen laufen- Handeln.
  • 50. 48 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 NATO zeigen, dass sie ihre neuen Schwerpunkte bei Abschreckung und Verteidigung mit echten Fähigkei- - ten ein Interesse daran haben, die Verteidigungsfähig- mit triumphalem Bombast zu begleiten. Auch Russland - nen den Zusammenhalt der NATO zu testen. In den neuen militärischen Strukturen wie der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) sind aus- schließlich europäische Streitkräfte eingebunden. Aller- dings hat die NATO ohne US-Logistik und Aufklä- rung wenig Abschreckungspotential zu bieten – von den nuklearen Streitkräften ganz zu schweigen. In War- schau muss also auch Amerika zeigen, dass es noch zu - Amerikanische Vermittlung im Nahen Osten In der Krisenregion Syrien und Irak ist amerikanische Führung und Vermittlung gefragt, um die zerstrittenen Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien hinter einem politischen Übergang in Syrien zu vereinen. Obama, so die Kritiker, hat Russland erlaubt, sich in die Rolle einer Ordnungsmacht zu drängen. Jetzt baut es eigene Koalitionen mit dem Iran und den Schiiten im Irak auf, gegen die USA, und will an Diktator Baschar al-Assad festhalten. Die von allen geteilte Feindschaft gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ genügt für eine lose erleichtert sie kaum. Erste Treffen einer Kontaktgruppe der regionalen Mächte unter amerikanischer Führung lassen auf einen eine Neuordnung in Syrien hoffen. Die USA müssen wohl oder übel akzeptieren, dass auch Assad beteiligt ist, und dass es dabei um seinen Abgang geht. Diesen Prozess gilt es für Obama am Leben zu erhalten, auch und gerade, weil er anläuft, während der Bürgerkrieg Nahen und Mittleren Osten zurückfahren und ande- und auch für das Transitland Österreich bedeutet dies, dass die Hauptursache für die europäische Flüchtlings- Für die internationale Stabilität hängt viel vom Ver- hältnis der USA zu China ab. Obama hat das Ver- hältnis zur chinesischen Regierung zu seinem Haupt- anliegen gemacht und in zahlreichen Kontakten ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Doch der Macht- kampf beginnt bereits, zunächst über Wirtschaftsinsti- anlaufen und den Freihandel der USA mit ihren Part- nern anschieben – ohne China. Unter Pekings Führung wird die Asiatische Investitionsbank ihre Arbeit auf- nehmen – ohne die USA und Japan, aber mit europäi- Macht, will eigene Interessen und die der amerikani- schen Verbündeten in der Region verteidigen, das Recht auf freie Durchfahrt durch die von China beanspruch- mitspielen.
  • 51. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 49 Der amerikanische Ansatz, durch Multilateralisie- schaffen, der eine Eskalation verhindert, muss seine Leistungsfähigkeit 2016 beweisen: Japan hat im kom- Schwerpunkte setzen. Auf dem ASEAN Regional Forum in Laos Ende Juli kommen alle Spieler an einen Tisch. Sollte China mit dem Aufschütten neuer Inseln und dem Aufbau von militärischen Fähigkeiten fortfah- ren, um seinen Anspruch zu unterstützen, und sollte es vielleicht sogar militärisch aggressiver auf umstrittene Inseln ausgreifen, ist amerikanisches Handeln gefragt, um regionale Bündnisse zu stützen. Wird Obama seine Amtszeit mit einer Niederlage gegen China beenden wollen? Europa ist kaum darauf vorbereitet, in einer solchen Auseinandersetzung Position zu beziehen: Durch politische Standhaftigkeit, Druck auf China, aber auch durch die Übernahme größerer militärischer Verantwortung für die eigene Sicherheit müsste Europa seinen amerikanischen Verbündeten unterstützen. In diesen Regionen ist der Erhalt ihrer Weltmachtpo- sition für die USA eine Triebfeder ihrer Außenpolitik. Verbindung stehen. Russlands plötzliche Zurückhal- tung in der Ukraine kann als Vorbereitung der Offen- sive in Syrien verstanden werden. Russlands Isolation in Europa lässt es nach Osten sehen, was in Asien neue Koalitionen möglich macht (Japan war nicht glücklich Mittleren Osten und Europa tut, wird vor allem von den asiatischen Verbündeten und China aufmerksam KERNPUNKTE • Der NATO-Gipfel in Warschau wird zeigen ob die USA noch zu Europa stehen. • Im Nahen und Mittleren Osten will die USA ihre Rol- le als Garantiemacht zurückfahren. • Raum möchten die USA ihre Weltmachtposition erhalten. KEY NOTES • The NATO-summit in Warsaw will show whether the US still stands by Europe’s side. • The US wants to reduce its role as guarantee pow- er in the Near East. • US wants to keep its position as global superpower.
  • 52. 50 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 RUSSLANDS STRATEGISCHE AUSRICHTUNG 2016 Ein geopolitischer Ausblick Joris Van Bladel Serge Schmemann, ein Gewinner des Pulitzer-Prei- ses, hat kürzlich die Weltsicht des Kremls wie folgt beschrieben: Russen vergleichen ihre eigene macht- politische Position in der Welt mit jener der USA und fordern daher die gleiche Anerkennung für ihre poli- tische Position und ihren Machtanspruch. Wird ih- nen diese Anerkennung verweigert, reagieren sie ausgesprochen verärgert. Russlands primäre strategische Ambition 2016 ist es, die westlich dominierte Weltordnung herauszufordern. Diese Ambition darf aber nicht nur als die persönli- che Obsession des amtierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin verstanden werden. Vielmehr ist diese strategische Ambition ein Resultat einer tief verwurzel- ten Überzeugung des außenpolitischen Establishments, wenn nicht sogar innerhalb der russischen Bevölke-
  • 53. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 51 rung. Auch der Co-Architekt des Endes des Kalten - täuschung zum Ausdruck gebracht, als er meinte: „Die Amerikaner haben ihren Weg aus den Augen verloren. Jeglicher Versuch eine einseitige, monopolare Weltord- nung schaffen zu wollen, muss als vollständiger Non- sens bezeichnet werden“. die militärische Superiorität der Vereinigten Staa- ten von Amerika an, sie kennt aber auch deren stra- tegische Schwächen, die im Westen hinsichtlich der eigenen Absichten und Ziel vorherrschen. Russlands Absicht besteht nun darin, die strategischen Schwächen des Westens anzusprechen, um zum einen den Über- raschungseffekt zu nutzen und zum anderen die Spiel- regeln der internationalen Politik zu verändern. Vor wollen, spiegelt sich in der Diskussion über die hyb- ride Kriegsführung in den westlichen Expertenkrei- sen wieder. Russland und der Westen Westen wird vor allem im Baltischen Meer und in der Schwarzmeerregion deutlich. Zunehmende militäri- sche Aktivitäten sind in beiden Regionen zu beobach- ten, inklusive • einer deutlich gesteigerten militärischen Übungs- Komplexität der Übungen, • der Einrichtung einer Anti-access/Area-denied- Zone (A2/AD) im Oblast Kaliningrad sowie auf der Krim, • der Installation von Iskander-M-Raketen in die- sen Regionen; diese taktischen Raketensysteme mit einer Reichweite von 500 km sind in der Lage, NATO-Länder, wie Polen, die Baltischen Staaten, Rumänien, die Türkei, aber auch Schweden und Moldawien zu bedrohen, und • einer Stationierung von strategischen Langstre- ckenbombern vom Typ Tupolew Tu-95 und Tu- 22M3 auf der Halbinsel Krim; die Stationierung von Langstreckenbombern mit der Fähigkeit zur nuklearen Bestückung zeigt, dass Russlands die Bereitschaft und Fähigkeit zur Eskalation maxi- maler Intensität hat. Dieser geopolitische Trend geht auf das Jahr 2008 zurück. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass die mili- - kant zugenommen haben. Sie werden von einer neuen strategischen Vision sowie von einem ambitionierten effektiven Modernisierungsprogramm in den russi- schen Streitkräften begleitet. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen wer- den, dass die diplomatischen wie auch militärischen Friktionen zwischen Russland und Europa 2016 weiter bestehen werden. Direkte militärische Konfrontationen sind jedoch kaum zu erwarten, obwohl menschliches Versagen in diesem Kontext nicht ausgeschlossen wer- den darf. Die Situation in der Ukraine wird nach dem bekannten Muster weiter gestaltet, etwa durch sporadi- sche Scharmützel entlang der Demarkationslinie in der Ostukraine. Die generelle Politik des „Durchwursch- telns“ wird sich auch 2016 nicht ändern. Russland und die südliche Peripherie Seit etwa einem Jahr besteht innerhalb der sicher- heitspolitischen Expertenkreise Russlands der Kon-
  • 54. 52 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 sens, wonach die Lage im Nahen und Mittleren Osten deutlich kritischer eingestuft werden muss als jene in Europa. Diese Einschätzung ist vor allem durch die allgemeine Wahrnehmung, dass die Situation im Nahen und Mittleren Osten außer Kontrolle zu geraten droht, geprägt Russland hat in geopolitischer Hinsicht seine Bemü- deutlich gesteigert. Daher hat Moskau seine Anstren- gungen verstärkt, um die Beziehungen mit westlichen zu verbessern. Russlands strategischer Fokus auf die südliche Peripherie manifestiert sich im militärischen Engagement in Syrien, das im Oktober 2015 begann. Das übergeordnete Ziel Russlands in Syrien ist der Schutz der eigenen Interessen. Im Konkreten will Mos- kau ein Russland-freundliches, säkulares Regime in Damaskus stützen, u. a. um die russische Militärinf- rastruktur nicht zu verlieren. Ferner soll Russland vor möglichen terroristischen Anschlägen der IS geschützt Mittleren Osten vermindert werden. Um diese Ziele zu erreichen, hat Russland • eine Anti-access/Area-denied-Zone (A2/AD) A2/ AD) in Syrien eingerichtet, • die militärische Koalition mit dem Iran und der geführten Koalition mit der Türkei und Saudi- Arabien zu relativieren, • gute Beziehungen zu den US-Verbündeten Irak, Jordanien und Israel aufgebaut und • überzeugend demonstriert, dass die Technologielü- cke gegenüber dem Westen kleiner wird. Die russischen Aktivitäten im östlichen Mittelmeer werden: • Der Absturz von Flug 9268 über der Wüste der Sinai-Halbinsel, zu dem sich IS-Terroristen bekannt haben, könnte russische Vergeltungs- schläge provozieren. Die militärische und sicher- heitspolitische Kooperation mit Ägypten dürfte weiter gestärkt werden. • Der unerwartete deutliche Wahlerfolg der AKP in der Türkei ermöglicht die Etablierung eines präsi- dialen Systems unter Präsident Recep Tayyip Erdo- gan. Eine Revitalisierung der Beziehungen zum Kreml wird auch davon abhängen, wie kurzfristige Rückschläge verarbeitet werden können. • Seit einigen Monaten sind verstärkt russische Aktivitäten in Libyen feststellbar. Ob diese Akti- vitäten auf ein weiteres militärisches Eingrei- fen hindeuten, wird sich in Laufe des Jahres 2016 herausstellen. Aufgrund dieser sicherheitspolitischen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass Russland 2016 seinen Fokus auf das östliche Mittelmeer, auf die Levante sowie auf den Nahen und Mittleren Osten legen wird. Im Kon- kreten bedeutet dies, dass Russland seine militärische Kampagne in Syrien in enger Abstimmung mit dem Iran und der Hisbollah weiterführen wird. Militärische Operationen in Ägypten und Libyen sind nicht auszu- schließen. Darüber hinaus sind engere diplomatische und wirtschaftliche Kontakte mit der Türkei erwartbar. - hungen gegenüber Saudi-Arabien und dem Oman ver-
  • 55. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 53 Eastern Pivot Russlands wirtschaftliche und militärische Bezie- hungen mit China wurden 2015 deutlich intensi- viert. Dennoch folgt Russlands Eastern Pivot einem rein pragmatischen Ansatz, der im Licht der sich ver- schlechternden Beziehungen zum Westen betrachtet werden muss. Es gibt zahlreiche Indikatoren, die auf ein fragiles Verhältnis bei der russisch-chinesischen Annäherung hindeuten. China könnte seinen strate- im Südchinesischen Meer mit den USA jedoch erneut revidieren. Aber auch die relativ schlechte Wirt- schaftslage in Russland und China sowie die Rivali- täten Moskaus mit Beijing über die unterschiedlichen Interessen im Fernen Osten und in Zentralasien könn- ten eine weitere Annäherung erschweren. 2016 könn- ten die Beziehungen zwischen Russland und China an Dynamik verlieren, und zwar trotz gegenteiliger poli- tischer Beteuerungen beider Länder. Die nördliche Dimension - kommen in der arktischen Region hat Russland seine Doktrin für die Seestreitkräfte im Juli 2015 adaptiert Im Jahr 2015 hat Russland die Verstärkung seiner militärischen Präsenz in der Region angekündigt. Diese verstärkte militärische Präsenz umfasst perma- nente militärische Einrichtungen sowie eine verstärkte - land seine diplomatischen Anstrengungen bei den Vereinten Nationen (UN Commission on the Limits of the Continental Shelf) hinsichtlich der Forderung eines exklusiven Kontrollanspruchs über rund 1,2 Mio. km2 des arktischen Festlandsockels inklusive des Nordpols verstärkt. Russland hofft, diesen Anspruch 2016 erfolgreich durchsetzen zu können. Russland wird 2016 seine diplomatischen und mili- tärischen Anstrengungen fortführen, um seinen Anspruch auf die arktische Region durchsetzen zu können. Die westlichen Sanktionen gegen Russland schränken die technologischen Möglichkeiten zur Erschließung von Ölvorkommen ein. Schlussfolgerungen Russland wird seine diplomatischen und militärischen Aktivitäten weiter intensivieren, um seine global-stra- tegischen Ambitionen zu untermauern. Die russischen Anstrengungen werden sich 2016 jedoch auf seine süd- liche Peripherie konzentrieren. Russland versuchen, die Handlungsfreiheit Europas weiter zu begrenzen. Für Europa ist es daher von zent- raler Bedeutung, einen realistischen strategischen Poli- tikansatz zu entwickeln. Das bedeutet, dass Europa eine klare strategische politische Vision formulieren muss. Diese Vision muss mit einer glaubwürdigen mili- tärischen Kapazität unterlegt sein. Strategisches Den- ken bedeutet nicht notwendigerweise, dass Konfron- tationen vorprogrammiert sind. Es hat sich sogar gezeigt, dass in einer strategischen Konfrontation ein kooperativer Ansatz die mehr versprechende, ratio- nale Option für die beteiligten Akteure ist. Daher ist ein strategischer Dialog erforderlich, in dem alle Betei- ligten auch ein suboptimales Ergebnis akzeptieren können. Vor dem Hintergrund der oben beschriebe- nen strategischen Ambitionen Russlands wird sich im Zeitraum 2020 bis 2025 das Window of opportunity für einen strategischen Dialog zwischen Ost und West
  • 56. 54 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Russland wird seine diplomatischen und militärischen Aktivitäten intensivieren, um seine globelen strategischen Ambitionen zu untermauern. • Der zentrale Fokus Russlands wird 2016 dennoch auf seiner südlichen Peripherie liegen. • Neben den militärischen Anstrengungen in Syrien können weitere Aktionen in Ägypten und in Libyen nicht ausge- schlossen werden. • Vor dem Hintergrund der neuen politischen Konstellation in der Türkei wird Russlands diplomatische Wirksamkeit auch von den europäischen Reaktionen hinsichtlich der politischen Situation in Ankara abhängig sein. • Europa wird verstärkt mit der Forderung nach einer realistischen und strategischen Politik konfrontiert sein. Euro- pa muss mit Russland noch vor dem Zeitraum 2020-2025 in einen strategischen Dialog treten. • Russland wird in diesem Zeitraum entweder Europa dominieren oder an seiner eigenen strategischen Überdeh- nung zerbrechen. • Beide Szenarien stellen eine Gefahr für die Prosperität am europäischen Kontinent dar. Sie verweisen auf eine unsichere Zukunft für Europa. KEY NOTES • Russia‘s diplomatic and military activities will continue to intensify in order to buttress Russia’s global strategic ambitions. • However, Russia’s efforts will be mainly focused on the Southern periphery. • Beside continued military efforts in Syria, military actions in Egypt and Libya are not excluded. • Given the new political constellation in Turkey, Russia’s diplomatic effectiveness will depend on Europe’s respon- se to the political situation in Ankara. • Europe has to adopt a realistic strategic mindset and to engage into a strategic dialogue with Russia. The oppor- tunity for such a strategic dialogue will close in 2020-2025. • In this timeframe – ceteris paribus – Russia will either dominate the European theater or it will collapse due to the effects of overstretch. • Both scenarios endanger the prosperity of the continent and predict a uncertain future. schließen. In diesem Zeitraum gibt es dann zwei Mög- lichkeiten: entweder dominiert Russland auch Europa oder das Land zerbricht an seiner strategischen Über- dehnung. Beide Möglichkeiten verhindern eine prospe- rierende Zukunft auf dem europäischen Kontinent. eine Russia’s PUN and tio zen en oss em von a wi s m wird eche en s nft für tary activ used on the Southern periphery. zwei Mög- land auch E ner strate eiten ve em eu plomatischen und militärischen Aktivitäten intensivieren, um seine globelen st rn. ds wird 2016 dennoch auf seiner südlichen Peripherie liegen. rengungen in Syrien können weitere Aktionen in Ägypten und in L litischen Konstellation in der Türkei wird Russlands dip nen hinsichtlich der politischen Situation in Ankara g nach einer realistischen und strategischen P raum 2020-2025 in einen strategischen D r Europa dominieren oder an seiner e perität am europäischen Ko o intensify e
  • 57. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 55 CHINA UND DIE WELTORDNUNG 2016 Sven Bernhard Gareis Mit ihrem 2016 in Kraft tretenden 13. Fünfjahres- plan setzt sich die chinesische Führung ambitionier- te Ziele: Sie will die Wirtschaft weiter liberalisieren und das Land in den Kreis der wohlhabenden Natio- nen führen. 12.000 US-Dollar soll der durchschnitt- liche Chinese dann verdienen, rund Zwei-Drittel mehr als 2015. Pünktlich zu ihrem 100. Geburtstag im Jahre 2021 will die Kommunistische Partei so ih- ren Herrschaftsanspruch als erfolgreiche Führerin von Staat und Gesellschaft untermauern. Angewie- sen ist die Volksrepublik dabei auf die enge Koope- ration mit der sie umgebenden Welt – sie wird daher - re Entwicklung des Landes notwendige Wirtschafts- kraft beeinträchtigen.
  • 58. 56 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Wirtschaftliche Entwicklung Um den Wohlstandszielen des Fünfjahresplanes ent- sprechen zu können, muss Chinas Wirtschaft um jährlich 6,5 Prozent wachsen, deutlich langsamer als in den zurückliegenden Dekaden, aber noch immer bemerkenswert im Vergleich zu den etablierten Indus- trienationen. Hierzu muss sich China von der „Werk- bank der Welt“ hin zu einer innovativen, selbst entwickelte Produkte insbesondere im Dienstleis- tungsbereich anbietenden Volkswirtschaft wandeln, die zudem insgesamt nachhaltiger, umweltfreundli- cher und stärker an der Binnennachfrage orientiert ist als das gegenwärtige Modell. Hierbei bleibt China wei- - tung mit den Abnehmerländern seiner Produkte, vor allem aber mit den Lieferanten von Hochtechnologie, Energie und Ressourcen angewiesen. Diese Einsicht wird Chinas auswärtige Politik auch 2016 und darü- ber hinaus leiten. Ein stabiles regionales und globales Umfeld, in dem China Projekte wie die Neue Seiden- straße durch Eurasien voranbringen kann, bleibt daher das vorrangige Interesse der Volksrepublik. Territorialdispute Den engen wirtschaftlichen Beziehungen zum Trotz liefert sich China eine Reihe von Territorialdisputen, die durchaus das Potential für eine militärische Eska- lation in sich tragen. Mit Japan streitet China um die Senkaku/Diaoyu-Inseln im Ostchinesischen Meer, mit Vietnam um die im Südchinesischen Meer gelegenen Paracel- und Spratly-Inseln. Um letztere Inselgruppe liegt die Volksrepublik auch mit den Philippinen, Bru- nei und Malaysia im Streit. Die Ansprüche Chinas auf fast die gesamte Südchinesische See rufen zudem die USA auf den Plan, die sich um die freie Schiff- barkeit in diesen für die Weltwirtschaft so wichti- Jahren durch die robuste Vertretung seiner Ansprü- che für große Irritation in der Region gesorgt hat, sind für 2016 verbindlichere Töne zu erwarten. Angesichts der von allen Seiten entschlossen vorgetragenen For- derungen in Verbindung mit in der gesamten Region grassierenden nationalistischen Positionen sind Kon- 2016 allenfalls Fortschritte bei einem multilateralen - tensweisen einzelner Anrainer weniger wahrscheinlich werden könnten. Internationales Krisenmanagement Auf der globalen Ebene wird China weiterhin ein - setzung von Ordnungsvorstellungen geht. Als „ver- zunehmend deutlich in das internationale Krisen- management etwa in Syrien – mit Blick auf die Ter- rormiliz „Islamischer Staat“ oder das millionenfache Flüchtlingselend – einzubringen haben. Indifferenz kann sich China schon seit geraumer Zeit nicht mehr leisten. Die Krisen der Welt werden 2016 entschlos- sene, von allen großen Mächten getragene Maßnah- men erfordern. China wird sich dem nicht entziehen können. Militärisches Potential Chinas Militär durchläuft seit mehr als einem Jahr- zehnt grundlegende Prozesse der Reform und Moder- nisierung. Mit rund 140 Mrd. Dollar verfügt die mehr als zwei Millionen Soldaten umfassende Volksbefrei- ungsarmee über das zweitgrößte Militärbudget der Welt. Auch 2016 wird dieses wieder um einen zwei-
  • 59. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 57 stelligen Prozentsatz erhöht werden. Trotz erkennba- rer technologischer Fortschritte insbesondere bei der Marine, der Luftwaffe sowie der Strategischen Rake- tentruppe bleiben die chinesischen Streitkräfte insge- samt aber weit hinter westlichen bzw. westlich orien- tierten Armeen (etwa Japans oder Taiwans) zurück, wenn es um die Befähigung zu moderner Kriegsfüh- rung geht. Als Mittel zur weit reichenden und dauer- haften Machtprojektion sind die chinesischen Streit- kräfte weder 2016 noch in der mittleren Sicht geeignet. Bedient werden könnten allenfalls regionale Szenarien wie Taiwan oder die Inseldispute, wobei sich auch hier - keit der chinesischen Streitkräfte zeigen würden. China-Taiwan-Beziehungen Mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Taiwan kommt wohl bereits im Januar 2016 eine besondere Herausforderung auf die Volkrepublik zu. Wahrscheinlich ist ein Sieg der Demokratischen Fort- dem Festland kritisch gegenübersteht. Die China-Tai- wan-Beziehungen, die aufgrund der Involvierung der USA und der engen Einbindung Taiwans in die Welt- wirtschaft durchaus globale Bedeutung haben, dürften in der Folge schwieriger werden. Aber auch eine prä- sumtive Präsidentin Tsai Ing-Wen wird an einem sta- bilen Verhältnis interessiert bleiben – und das Fest- land wird graduelle Veränderungen zur Politik des - heit hinnehmen, dass die Zeit für die Volksrepublik arbeitet. Verhältnis USA-China Das Machtspiel zwischen China und den USA wird gerne als die wichtigste, zumindest als die potentiell folgenreichste Beziehung im 21. Jahrhundert beschrie- ben. Tatsächlich sind beide Mächte einander in tie- fem Misstrauen bezüglich ihrer jeweiligen Ambitio- nen zugetan – trotz einer beispiellosen ökonomischen - tem schwächere Spieler in dieser Konstellation wird China auch 2016 immer wieder rhetorische und sym- aber immer wieder vor Konfrontationen mit den USA zurückscheuen. Beziehungen EU-China Auch wenn angesichts der verlangsamten Wirtschafts- entwicklung in der Volksrepublik die Zuwächse im bilateralen Handel (2014: 467 Mrd. Euro, davon Österreich mit fast 11 Mrd. Euro) etwas bescheide- ner ausfallen dürften als in den zurückliegenden Jah- ren, bleiben die Europäische Union und China auf das Engste vernetzte Handelspartner. In seinen Beziehun- gen zur EU setzt China seit Jahren verstärkt auf bila- terale Beziehungen zu einzelnen Mitgliedsstaaten und lockt mit wirtschafts- und handelspolitischen Vortei- größere wie Deutschland oder das Vereinigte König- reich sollten dabei aber immer berücksichtigen, dass - tische und ökonomische Selbstbehauptung sowie die Berücksichtigung von Werten etwa im Bereich der Menschenrechte oder der Rechtsstaatlichkeit nicht ein- - pas gelingen können. Eine europäische China-Politik bleibt auch 2016 wünschenswert, dürfte aber ange- sichts der gegenwärtigen Verwerfungen innerhalb der EU kaum erreichbar sein.
  • 60. 58 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Wenngleich sich Chinas ökonomisches Wachs- tum etwas abgeschwächt hat, bleibt das Land auch in 2016 und darüber hinaus ein Kraftzentrum der Weltwirtschaft. • China bleibt an einem stabilen regionalen und globa- len Umfeld interessiert, in dem es seine wirtschaft- lichen und politischen Interessen zielstrebig verfol- gen kann. • Trotz wiederkehrenden Säbelrasselns in der Süd- und Ostchinesischen See wird China gewaltsa- me Eskalationen zu vermeiden trachten – auch mit Blick auf seine weiterhin begrenzten militärischen Fähigkeiten. • Hinsichtlich einer Rolle als globale Ordnungsmacht bleibt China weiter zurückhaltend, dürfte aber sein verstärken. • Nach einem möglichen Erfolg der Demokratischen Fortschrittspartei bei den taiwanischen Präsident- schafts- und Parlamentswahlen im Januar 2016 werden die China-Taiwan-Beziehungen schwieriger, bleiben aber stabil. NKT sich gesc über tabilen m es se elstrebig verfol- Wachs- Land auch m der oba- KEY NOTES • Although China‘s economic growth has slightly wea- kened, in 2016 and beyond the country will remain a power centre of the global economy. • China remains interested in a stable regional and global environment where it can determinedly pur- sue its economic and political interests. • Despite recurring sabre-rattling in the South and the East China Sea, China will avoid violent esca- lations - also with regard to its still limited military capabilities. • With regard to a role as a global power, China re- le in international crisis management. • After a potential success of the Democratic Progres- sive Party during the Taiwanese presidential and parliamentary elections in January 2016, the rela- tions between China and Taiwan will become more
  • 61. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 59 EUROPAS STRATEGISCHE AMBITIONEN 2016 Herfried Münkler Die großen Herausforderungen der Europäischen Union im Jahr 2016 dürften eher von außen als von innen kommen. An die Stelle der Schuldenkrise in den südeuropäischen Staaten, namentlich in Grie- chenland, sind bereits im Verlauf des Jahres 2015 sicherheitspolitische Herausforderungen an der eu- Bürgerkrieg in Syrien, getreten, und in Verbindung damit die Flüchtlingsströme, die einzudämmen die zentrale strategische Aufgabe des Jahres 2016 sein wird. Europas Fähigkeit zur strategischen Ambition Entgegen der Faustregel, dass politische Verbände durch Herausforderungen von außen zusammenge- schweißt werden, können die Flüchtlingsströme im Fal- le der EU dazu führen, dass die zuletzt deutlich ange- wachsenen Zentrifugalkräfte innerhalb der EU weiterhin zunehmen werden. Das kontinuierliche An- wachsen der Zentrifugalkräfte muss als Warnsignal ver- standen werden: Die institutionelle Ordnung der EU
  • 62. 60 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 bedarf dringend einer grundlegenden Reform, um den perspektivisch zunehmenden Herausforderungen ge- wachsen zu sein. An dieser Frage wird sich auf mittlere Sicht entscheiden, ob Europa zu strategischen Ambitio- nen überhaupt noch in der Lage sein wird. Europas Herausforderungen im Jahr 2016 Zwei große sicherheitspolitische Herausforderungen werden die Europäer im Jahr 2016 beschäftigen: die In- stabilität des postimperialen Raumes vom Westbalkan bis zum Kaukasus mit der Ostukraine als virulentem Orient mit dem syrischen Bürgerkrieg als dem Zentral- verwandelt worden ist und dass das im Jahr 2016 so bleibt, aber sowohl im Kaukasus als auch auf dem mitt- leren und östlichen Balkan könnten dafür die alten und aufbrechen. Von strategischer Relevanz für die EU ist dabei vor allem der mittlere Balkan, weil an dessen Pa- in Aussicht gestellte Beitritt einiger Staaten des mittle- ren Balkans wird vorerst nicht möglich sein, aber die Aufrechterhaltung dieser Aussicht ist der Anker der in- dieses Problems neue Typen der EU-Mitgliedschaft ent- worfen werden, die geringere Beitrittsvoraussetzungen mit begrenzten Partizipationsrechten verbinden. Mehr Realpolitik Sehr viel drängender ist die Herausforderung der EU durch den Nahen Osten und das damit verbundene Er- fordernis zur Eindämmung der Flüchtlingsströme. Die bisherige wertegebundene Außenpolitik der EU wird durch eine sehr viel stärker realpolitisch ausgerichtete Politik abgelöst werden, d.h. die Kontakte zum Iran, zu Saudi-Arabien und Ägypten werden intensiviert wer- - lung in Syrien zu bekommen. Erst wenn diese Politik scheitern oder ihr kein messbarer Erfolg beschieden sein sollte, kann es dazu kommen, dass die Europäer über ein direktes Eingreifen in den syrischen Bürger- krieg nachdenken, das freilich nur in enger Abstim- mung mit den USA, nach eingehenden Beratungen mit Russland und unter Einbeziehung zumindest des Irans und Saudi-Arabiens. Eine Schlüsselposition wird dabei in jedem Fall der Türkei zukommen, ohne die und ge- gen die keine Stabilisierung des nördlichen Vorderen Orients zu erreichen ist. Da Ägypten bezüglich dessen südlichen Teils eine ähnliche Rolle spielt, wird die EU auch um eine Verbesserung der Beziehungen zu Ägyp- ten bemüht sein. Das alles kann dazu führen, dass die zuletzt restriktiver gewordene Waffenexportpolitik der Europäer gegenüber diesen Ländern wieder deutlich ge- lockert wird. Mehr Geopolitik Die bereits in 2015 erkennbar gewordene Kehre von ei- ner an Werten orientierten Außen- und Sicherheitspoli- - teten Politik wird sich 2016 fortsetzen, und sie wird sich vor allem im Umgang mit der Türkei konkretisieren. Damit rächt sich die Distanz, die von einigen EU-Staa- ten bzw. politischen Parteien in der EU gegenüber dem - rierende Distanz wird die Europäer auf mittlere Sicht Politik wird sich freilich nicht deklarativ, sondern weit- gehend stillschweigend vollziehen, und der Hauptan-
  • 63. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 61 trieb dabei wird sein, dass sich die EU eine Vernachläs- nicht länger leisten kann. Damit verändert sich auch das Design der strategischen Ambitionen: Sie werden kurz- fristiger und handfester. Pragmatischere Politik Neben der Kostenfrage wird bei dieser Veränderung auch das zunehmende Disengagement der USA gegen- über der europäischen Sicherheit eine zentrale Rolle spielen. Die strategischen Ambitionen der EU werden infolge dessen sehr viel stärker durch aktuell bedrän- gende Herausforderungen und weniger durch länger- fristige Ordnungsperspektiven bestimmt sein. Das Er- fordernis zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms ist der Katalysator dieser Veränderung. Die Voraussetzung für eine strategisch ambitionierte Flüchtlingspolitik der EU ist freilich, dass der aktuelle Dissens überwunden oder doch zumindest eingedämmt wird. KERNPUNKTE • Im Jahr 2016 wird Europa durch die Instabilität des postimperialen Raumes vom Westbalkan bis zum Kaukasus • Angesichts der Flüchtlingsströme könnten die zuletzt deutlich angewachsenen Zentrifugalkräfte innerhalb der EU auch im Jahr 2016 weiterhin zunehmen. • kasus und am Balkan wieder aufbrechen. • Die bisherige wertegebundene Außenpolitik der EU wird durch eine sehr viel stärker geopolitisch und pragma- tisch ausgerichtete Realpolitik abgelöst oder doch zumindest überlagert werden. • Dies wird sich zentral in der Politik gegenüber der Türkei konkretisieren, ohne die und gegen die keine Stabilisie- rung des nördlichen Vorderen Orients zu erreichen ist. KEY NOTES • In 2016, Europe is challenged by the instability of the post-imperial region that stretches from the West Balkans • further increase in 2016. • Balkans. • The EU’s hitherto value-based foreign policy will be (at least partly) replaced by a realpolitik that is much more geopolitical and pragmatic. • This will essentially materialise with regard to the policy vis-à-vis Turkey, without or against which the northern Middle East cannot be stabilised.
  • 64. 62 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Zinswende in den USA als Risiko für Schwellenländer Falls nicht schon Ende 2015, wird die Zentralbank der USA ihren Leitzins 2016 anheben. Dies erhöht den Anreiz, Kapital in den USA zu investieren, und setzt so die Aufwertung des US-Dollars fort. Für die GLOBALE FINANZMÄRKTE 2016 Zunehmende Votalität und Blasenbildung Thieß Petersen Trotz der zu erwartenden Zinswende in den USA wird die weltweit zur Verfügung stehende Liquidität 2016 weiter ansteigen. Große Teile dieser liquiden Mittel werden für den Kauf von Vermögenswerten verwendet. Damit nehmen sowohl die Volatilität an den Vermögensmärkten als auch die Gefahr eines Platzens von Spekulations- und Kreditblasen zu. Schwellenländer ergeben sich daraus zwei Herausfor- derungen. Zum einen kann es zu einem Kapitalab- - rung von Investitionen erschwert. Zum anderen haben sich die Schwellenländer in den letzten Jahren häu- - lar – verschuldet. Die Dollaraufwertung hat daher zur Folge, dass die Schwellenländer mehr Devisen auf- wenden müssen, um ihren Schuldendienst begleichen zu können. Angesichts des nachlassenden Rohstoff- booms wird dies jedoch für die rohstoffexportieren- den Schwellenländer immer schwieriger. Damit steigt - ben müssen. Dies betrifft neben der staatlichen Ver- schuldung auch die Kredite der Unternehmen.
  • 65. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 63 Abwertungswettläufe nicht ausgeschlossen Das Wirtschaftswachstum der Schwellen- und Ent- wicklungsländer wird sich 2016 weiter abkühlen. Der Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft hin zu einem stärker konsum- und dienstleistungs- orientierten Wachstumsmodell führt dazu, dass Chi- nas Wirtschaft in den kommenden Jahren nur noch um fünf bis sechs, bestenfalls um 6,5 Prozent pro Jahr wachsen wird. Zwischen 1991 und 2014 lag die jährli- che Wachstumsrate im Durchschnitt bei zehn Prozent. Das geringere chinesische Wirtschaftswachstum dros- selt die Nachfrage nach Rohstoffen. Für die rohstoffexportierenden Länder bedeutet dies nicht nur ein geringeres Exportvolumen, sondern zusätzlich auch fallende Rohstoffpreise. Damit sind Einbrüche bei den Exporterlösen verbunden, die das Wachstum abbremsen. Um dieser negativen Wirt- schaftsentwicklung entgegenzuwirken, werden viele Schwellen- und Entwicklungsländer 2016 eine expan- - rungen dieser Länder abgewertet. Die damit einher- gehende Verbesserung ihrer Exportchancen kann im Rest der Welt ebenfalls geldpolitische Maßnahmen zur Abwertung der eigenen Währungen nach sich zie- hen, was einen globalen Abwertungswettlauf auslösen könnte. Spekulations- und Kreditblasen werden größer Trotz der Leitzinserhöhung in den USA wird die welt- - len- und Entwicklungsländern führt die expansive heimischen Währung zu hohen, zum Teil sogar zwei- - in die Vermögensmärkte und bewirken dort Preis- Spekulationsblasen weiter an. Wann und wo es dazu kommt, lässt sich jedoch nicht vorhersagen, denn Finanzmarktentscheidungen sind von zahlreichen - tische Unterschätzung von Risiken oder die Überzeu- gung, schlauer als der Markt zu sein). führen zudem zu einem weiteren Anstieg der Ver- schuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten. Parallel zu den Blasen an den Vermögens- märkten bauen sich somit Kreditblasen auf. Sofern eine Spekulationsblase platzen sollte, würde dies – so wie bei der US-Immobilienblase und der Lehman- Pleite 2008 – auch zu einem Platzen der Kreditblase führen. in Kombination mit einer globalen Überliquidität dazu, dass die Volatilität an Aktien-, Devisen-, Wert- papier- und Edelmetallmärkten weltweit zunehmen wird. Auswirkungen auf Europa und Österreich Die bisher geschilderten Entwicklungen sind allesamt globaler Natur und betreffen somit auch Europa bzw. Österreich. Mit Blick auf die Eurozone gibt es ein sta- bilisierendes und ein destabilisierendes Element. Der Umstand, dass die Euro-Zone über eine gemeinsame
  • 66. 64 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Währung verfügt, wirkt stabilisierend, weil Abwer- tungswettläufe zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten unmöglich sind. Zudem macht das große Marktvolu- KERNPUNKTE • weitere Aufwertung des US-Dollars nach sich ziehen. • wirken und die Kreditaufnahme erschweren. • Sinkende Erlöse aus Rohstoffexporten dämpfen das Wirtschaftswachstum in den Schwellen- und Entwick- lungsländern. Wegen der erschwerten Kreditaufnahme werden diese Länder zur Konjunkturankurbelung eine expansive Geldpolitik betreiben. • Die expansive Geldpolitik der Schwellen- und Entwicklungsländer wertet deren Währungen ab und könnte da- mit einen globalen Abwertungswettlauf auslösen. • Die weltweite Ausdehnung der Geldmengen erhöht die globale Überliquidität weiter und steigert damit das Ri- siko des Entstehens und Platzens von Spekulationsblasen. • Die seit Jahren steigende Verschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten wird sich 2016 fortsetzen. Damit wächst die Gefahr des Bankrotts einzelner Wirtschaftsakteure. men den Euro weniger anfällig für spekulative Wäh- rungsattacken. Destabilisierend wirkt hingegen die KEY NOTES • The rise in the key interest rate in the US that has been expected for 2015 will take place not later than 2016. Further appreciation of the US-Dollar will be the consequence. • borrowing. • Declining revenues from commodity exports diminish economic growth in emerging and developing coun- economy. • The expansionary monetary policy of the emerging and developing countries devalues their currencies and could thus cause a global race for devaluation. • The global expansion of the money supply further increases the global excess of liquidity and thus increases the risk of the emergence and bursting of speculative bubbles. • The years of increasing debt of states, companies, and private households will continue in 2016. This increa- ses the risk of bankruptcy of individual economic actors.
  • 67. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 65 Weitere Verlangsamung der globalen Konjunkturdynamik im Jahr 2015 Die Dämpfung der weltwirtschaftlichen Dynamik, die seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 zu beob- GLOBALE WIRTSCHAFTS- UND KONJUNKTURENTWICKLUNG 2016 Ulrich Schuh Nach dem sehr gedämpften Wachstum des Jahres 2015 wird die Weltwirtschaft auch im Jahr 2016 nur mäßig expandieren. Im Euroraum und in Japan bleibt die konjunkturelle Dynamik verhalten und mittlerweile hat sich auch in China das Wirtschafts- wachstum merkbar verlangsamt. Lediglich die USA weisen eine robuste Konjunkturentwicklung auf. Die Risikofaktoren für die Konjunkturentwicklung haben sich insbesondere in den Schwellenländern spürbar erhöht. Zudem bestehen weiterhin beträchtliche Konjunkturrisiken durch Finanzmarktinstabilität und Energiepreisentwicklung.
  • 68. 66 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 achten war, hat sich im Jahr 2015 fortgesetzt. Nach wie vor können die anhaltenden globalen makroöko- nomischen Ungleichgewichte nicht überwunden wer- den. Die Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoin- landsprodukts liegt in den großen Wirtschaftsräumen USA, Euroraum und Japan auf „unhaltbar“ hohen Niveaus. Im Jahr 2015 kam es zudem zu einem mar- kanten Rückgang der Energie- und Rohstoffpreise, die Industriestaaten geführt haben. Die Entwicklung der Verbraucherpreise hat zwar die Kaufkraft in den roh- den Rohstoff und Energie exportierenden Ländern. Insgesamt wird sich das Wachstum der Weltwirtschaft – gemäß aktueller Prognose des Internationalen Wäh- rungsfonds – im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr um etwa ¼ Prozentpunkt auf 3,1 % weiter verlangsamen. Moderater Aufschwung wird für 2016 prognostiziert Die aktuellen Prognosen für die globale Konjunktur- entwicklung des Jahres 2016 (Europäische Kommis- - nationaler Währungsfonds) gehen von einer lediglich moderaten globalen Wachstumsbeschleunigung aus. In den stabilisiert sich die Inlandsnachfrage zuse- hends. Die günstige Arbeitsmarktentwicklung unter- stützt die Ausweitung des privaten Konsums, der - wicklung der relativen Energiekosten. Dieser stimu- lierenden Entwicklung wirkt das schwache globale Wirtschaftsumfeld entgegen, zudem hat sich das mit- - Im Jahr 2015 hat die vormalige „Lokomotive“ des weltwirtschaftlichen Wachstums, China, deutlich an Fahrt verloren. Turbulenzen auf den Aktien- und Immobilienmärkten haben die Abschwächung des Wirtschaftswachstums eingeleitet. Es wird gegenwär- tig davon ausgegangen, dass die chinesische Wirtschaft nunmehr auf einen gemäßigteren, aber nachhaltigen Wachstumspfad einschwenken wird. Die Absenkung der Wachstumsaussichten Chinas impliziert generell eine Abschwächung des globalen Wachstumspotentials. Unter den Schwellenländern weist Indien derzeit eine vergleichsweise robuste Konjunkturentwicklung auf, die insbesondere von der Inlandsnachfrage getragen wird. wurden vom Einbruch der Ener- gie- und Rohstoffpreise massiv getroffen und tauchten im Jahr 2015 in eine tiefe Rezession. Russland leidet sowohl unter den Folgen der Sanktionen im Zusam- menhang mit der Ukrainekrise als auch unter dem spürbaren Rückgang der Energiepreise, die zu einer substanziellen Minderung der Exporterlöse führen. Insbesondere der kräftige Rückgang des Erdölpreises stellt für die russische Wirtschaft eine Bedrohung dar, weil die Energieexporte die Haupteinnahmequelle der Außenwirtschaft darstellen. Auch im Jahr 2016 wird Russland einen Rückgang der realen Wirtschaftsleis- tung hinnehmen müssen. In Brasilien leidet die Volks- wirtschaft unter einer chronischen Verschleppung not- wendiger Strukturreformen, die den privaten Konsum und die Investitionsbereitschaft hemmt. Im Jahr 2016 sollte sich die brasilianische Wirtschaft auf niedrigem Niveau stabilisieren. Japan verfolgt derzeit einen betont aggressiven wirt- -
  • 69. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 67 - tung der Währung an internationaler Wettbewerbsfä- higkeit zu gewinnen. Dennoch wird sich die Wachs- tumsrate des realen BIP nur moderat von 0,6 % im Jahr 2015 auf etwa 1 % im Jahr 2016 beschleunigen. In der Europäischen Union verläuft der Aufschwung nur langsam Die mäßige Wachstumsperformance der Weltwirt- schaft ist in beträchtlichem Umfang der anhaltenden Konjunkturschwäche der Mitgliedsstaaten der Euro- päischen Union Euroraum von der Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise und einer spürbaren Abwertung der Italien die unmittelbaren Folgen der Schuldenkrise überwinden und sind in einen moderaten Wachstums- kurs eingeschwenkt. Der Euroraum wird daher im Jahr 2015 eine moderate Beschleunigung des Wirtschafts- wachstums auf 1,5 % erzielen. Dieses Wachstum sollte auch im Jahr 2016 erreicht werden können. Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist allerdings nach wie vor weit von der notwendi- gen Konsolidierung der Staatshaushalte entfernt, was das Vertrauen der Wirtschaftsakteure untergräbt. Da erhebliche wirtschaftliche Ungleichgewichte inner- halb der Europäischen Union bestehen, können mak- roökonomische Politiken nur ungenügend gegensteu- ern. Dank erfolgter Strukturreformen wird ein leichter Rückgang der Arbeitslosenquote erreicht werden kön- nen, allerdings bleibt das Niveau der Arbeitslosigkeit auf schmerzhaft hohem Niveau. Die Phase sinkender Verbraucherpreise wird gegen Ende des Jahres 2015 auslaufen, bereits im Jahr 2016 sollte sich wieder eine allerdings ein Anstieg der Zinssätze auf Staatsanlei- hen verbunden sein, der die Staatshaushalte zusätz- lich belasten würde. Es zeichnet sich ab, dass die ange- strebten Ziele der Haushaltskonsolidierung für das Jahr 2016 in einer Mehrzahl von Mitgliedsstaaten des Euroraums verfehlt werden. Dies könnte das Vertrauen von Konsumenten und Investoren weiter beeinträch- tigen und zu einer Verfestigung der konjunkturellen Schwäche beitragen. Das Wachstumstempo des Welthandels hat sich nachhaltig verlangsamt Das Expansionstempo des Welthandels hat sich seit der Finanzkrise merklich verlangsamt. Das Verhältnis von Handelsvolumen zu regionaler Wertschöpfung hat sich verringert. Dies spiegelt eine verstärkte Orientie- rung der Weltwirtschaft auf die jeweilige regionale Bin- - balisierung, die Mitte der 1970er Jahre begonnen hatte, dürfte somit zu Ende gegangen sein. Insbesondere für exportorientierte Staaten stellt diese Entwicklung eine Herausforderung dar. Im Rahmen der Verhand- lung eines Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) versuchen EU, EFTA, EU-Beitrittskandidaten, USA und NAFTA bestehende Handelsbarrieren abzu- bauen und den Warenaustausch innerhalb dieser Regi- onen zu intensivieren. Ein Abschluss der Verhandlun- gen ist jedoch in absehbarer Zeit nicht in Aussicht. Die Konjunkturrisiken haben gegenüber dem Vorjahr weiter zugenommen Die negativen Konjunkturrisiken für die Weltwirt- schaft haben im Jahr 2015 weiter zugenommen. Die Sorgen über Ungleichgewichte auf den Kapitalmärkten davon ausgegangen, dass die chinesische Regierung eine Stabilisierung der nationalen Aktien- und Immo-
  • 70. 68 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich im Jahr 2016 nur moderat gegenüber dem Vorjahr erholen. • Die Schwellenländer leiden unter dem Verfall der Rohstoff- und Energiepreise. • Die Wirtschaft Chinas wird von Turbulenzen auf den Finanzmärkten beeinträchtigt und stellt mittlerweile einen bedeutenden globalen Risikofaktor dar. • Die Europäische Union hat die strukturelle Staats- schuldenkrise nicht überwunden, dadurch bleibt das Wachstum mittelfristig gedämpft. • Die Finanzmärkte bleiben weiterhin labil, eine Er- höhung des Leitzinses in den USA könnten Kapital- markt- und Währungsturbulenzen auslösen. • Insgesamt haben die Konjunkturrisiken gegenüber dem Vorjahr weiter zugenommen. bilienmärkte bewerkstelligt, sodass lediglich mäßige Konsequenzen für die wirtschaftliche Dynamik fol- jedoch zweifellos gestiegen, und dies hätte unmittel- bare Folgewirkungen für die globale wirtschaftliche Entwicklung. Bei der Entwicklung in China ist zu beachten, dass die Verwundbarkeit der Volkswirtschaften im Falle einer neuerlichen Finanzkrise auf globaler Ebene deut- lich zugenommen hat. Die hohen Verschuldungsquo- ten der öffentlichen Haushalte schränken die Hand- lungsfähigkeit nationaler Regierungen ein, ebenso ist der Handlungsspielraum der Notenbanken mittler- weile stark eingeengt. Im Unterschied zum Jahr 2008 sind gegenwärtig auch alle Schwellenländer auf den Finanzmärkten unmittelbar bedroht. Wie die Sor- gen über die Entwicklung in China zeigen, könnten diese sogar selbst eine Finanzkrise auslösen. Die Fol- gen einer tiefen Finanzkrise wären vor diesem Hinter- grund vermutlich weitaus gravierender und dauerhaf- ter als nach der Lehman-Brothers-Insolvenz. politik in den USA dar. Sollten die Konjunktur und in der Folge die Verbraucherpreise kräftiger als erwartet anspringen, wäre die Zentralbank der USA genötigt, die Zinssätze anzuheben. Im Verbund mit den prog- nostizierten anhaltend niedrigen Energie- und Roh- stoffpreisen könnte dies zu massiven Verschiebungen der globalen Kapitalströme führen, die insbesondere in rohstoffexportierenden Schwellenländern schwer- wiegende Kapitalmarkt- und Währungsturbulenzen auslösen könnten. Niedrige Rohstoffpreise verringern Wachstums- und Ertragsaussichten in rohstoffexpor- tierenden Schwellenländern. Investoren und Anle- ger könnten daher Kapital aus diesen Staaten abziehen, was die Konjunkturschwäche dort verschärfen und die betreffenden Währungen unter Druck setzen könnte. KEY NOTES • Global economic growth will only moderately recover in 2016 compared with last year. • Emerging countries suffer from the decline of com- modity and energy prices. • risk factor. • The European Union has not yet overcome the struc- tural sovereign debt crisis, which means that growth will remain low in the medium term. • Financial markets remain fragile, increases in base rates in the US could trigger capital market and cur- rency turmoil. • Overall, the economic risks have increased further compared with the previous year.
  • 71. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 69 Megaregionale Handelsabkommen Megaregionale Handelsabkommen wie die Transatlanti- sche Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwi- schen den Vereinigten Staaten und der Europäischen oder die Regional Economic Comprehensive Partner- ship (RECP), an der sich mehr als 20 asiatische Ländern beteiligen, werden zunehmend von Bedeutung sein. GEOPOLITISCHE BEDEUTUNG VON FREIHANDELSABKOMMEN 2016 Daniel S. Hamilton Österreich und seine Partner in der Europäischen Union setzen sich weiter ein für eine Liberalisierung globaler Märkte, vor allem durch die sogenannte Doha-Runde multilateraler Verhandlungen der World Trade Organization (WTO). Seit Jahren stocken nun diese globalen Verhandlungen. Viel größere Dyna- mik steckt in sogenannten präferenziellen Handels- abkommen. Solche Handelsabkommen erfassen schon über 50 Prozent des globalen Handels.
  • 72. 70 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Im Jahre 2016 wird vor allem die TPP die Welthan- - zierungsdebatten in den TPP-Mitgliedsstaaten werden sich höchstwahrscheinlich bis zum Sommer 2016 hin- ausdehnen. Ein Drittel des gesamten Welthandels und 37 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts ent- fallen auf die zwölf TPP-Mitgliedsstaaten USA, Aus- tralien, Neuseeland, Kanada, Mexico, Peru, Chile, Singapur, Brunei, Vietnam, Malaysien und Japan. TPP-Partner gewähren einander umfassenden Markt- zugang einschließlich der Dienstleistungsmärkte. Ein- bezogen werden zahlreiche Querschnittsthemen wie regulatorische Zusammenarbeit, Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, zum digitalen Handel oder zum Verbraucher-, Arbeitnehmer- und Umwelt- schutz. Das Abkommen ist auch offen für neue Ent- wicklungen („fortlaufende Überprüfung“) und den Beitritt weiterer Staaten der Region. Es gibt Schätzun- gen, dass die TPP bis 2025 einen Mehrwert von 295 Milliarden US-Dollar für ihre Mitgliedsstaaten schaf- fen könnte. Die TPP untermauert die „Pivot to Asia“- Politik der US-Regierung unter Präsident Obama und stellt sowohl eine Blaupause für andere große regio- nale Abkommen als auch eine Plattform für eine Wie- derbelebung der derzeit ruhenden WTO-Welthandels- gespräche dar. TTIP, die andere wichtige megaregionale Verhand- lung, wird aller Voraussicht nach nicht bis zum Ende der Obama-Regierung im Januar 2017 ausverhan- delt sein. Nach elf Verhandlungsrunden bis Novem- ber 2015 stehen die zwei Partner in manchen Fragen noch weit auseinander. 2016 wird die US-amerikani- sche Innenpolitik, sowohl mit der Zustimmung des US-Kongress zur TPP als auch mit der US-Präsident- schaftswahl beschäftigt sein. Führen die TTIP-Ver- handlungen bis Ende 2016 doch zu einem Ergeb- nis, würde die Zustimmung des US-Kongresses, des Europäischen Parlaments und der Parlamente der 28 EU-Mitgliedsstaaten weit über 2016 hinaus benötigen. Das Freihandelsabkommen TTIP wird in kaum einem anderen Land mit so großer Skepsis betrachtet wie in Österreich, obwohl bis zu 140.000 Österreicher ihre Arbeitsplätze entweder US-amerikanischen Firmen in Österreich, österreichischen Exporteuren in die USA oder deren Zulieferern und Vertreibern verdanken. Österreichs Interesse am gesunden transatlantischen österreichischer Firmen in die weltweiten Zulieferket- ten betrachtet. Nun ist Österreich gerade dabei, sei- nen hart erarbeiteten Anteil am US-amerikanischen Markt zu verlieren. 16 Prozent der österreichischen Exporte außerhalb der EU gehen in die USA. Vor zehn Jahren waren es noch 24 Prozent. Dies ist eine - schen Freihandelsabkommen TPP werden österreichi- sche Firmen für ihren Anteil am US-amerikanischen Markt künftig noch härter arbeiten müssen. Ohne ein transatlantisches Pendant werden Österreich und die anderen europäischen Länder einem höheren Kon- sein. Geo- und sicherheitspolitische Bedeu- tung der Freihandelsabkommen TTIP hätte eine weitreichende geopolitische Bedeu- tung. Für eine Welt diffuserer Macht und zuneh- mender Konkurrenz versuchen die EU und die USA, durch TTIP neu zu positionieren. Daher ist TTIP auf dreifacher Weise bedeutsam für die europäische und die US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik:
  • 73. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 71 Erstens, TTIP untermauert das geostrategische Fun- dament der transatlantischen Partnerschaft. Eine prosperierende Wirtschaft ermöglicht außen- und sicherheitspolitischen Spielraum. TTIP ist aber keine „Wirtschafts-NATO“, da sie gegen niemanden gerich- tet ist, sie ist auch kein Bündnis zwischen einer über- legenen Macht und kleineren Alliierten, sondern sie ist eine Partnerschaft zwischen zwei gleichgewichti- gen Wirtschaftsmächten. TTIP verankert wohl die transatlantische Wirtschaft, ist aber weder Ersatz noch Ergänzung eines militärischen Bündnisses. Zweitens, TTIP, TPP und ähnliche Freihandelsab- kommen sind wichtig im Umgang mit aufstrebenden Mächten. Sie sind Hebel, um solche Mächte zu beein- - ren. TPP stellt z. B. eine Balance zu Chinas Rolle China einzudämmen oder auszuschließen, sondern vielmehr um China Anreize zu geben, sich höheren Standards anzunähern und sich dadurch auf Koope- ration statt auf Konfrontation auszurichten. TTIP und TPP forcieren auch ein Umdenken der brasilia- nischen Außen- und Handelspolitik in Richtung grö- ßere Offenheit. TTIP hat wichtige Implikationen für osteuropäische Staaten und vor allem für Russland. Die Möglichkeit, - atlantischen Markts zu sein, könnte die Menschen in Ukraine und in anderen osteuropäischen Staaten ermuntern, schwierige Reformen zu unterstützen. TTIP ist auch eine große Herauforderung für Versu- che des Kremls, die Beziehungen der Europäer unter- einander und zu den USA zu stören. Stärkere Verbin- dungen zwischen wettbewerbsfähigen Demokratien, deren Bürger noch höhere Lebensstandards genie- ßen, fordern das eindimensionale ressourcenorien- tierte russische Wirtschaftsmodell stark heraus. TTIP würde unter anderem US-Energieexporte in die EU ermöglichen und die Energieabhängigkeit der EU von Russland reduzieren. Daher setzt der Kreml „aktive Maßnahmen“ gegen TTIP in Osteuropa und inner- halb der EU. Drittens, TTIP ist ein Instrument um sicherzustel- - system einer vernetzten Welt bleiben. Je besser trans- atlantische Netzwerke miteinander verbunden sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass andere sich daran beteiligen. Je schwächer diese Netzwerke sind, desto wahrscheinlicher werden andere Mächte die offene internationale Ordnung herausfordern. Die EU und die USA gehören weltweit zu den wenigen Regionen, Umwelt und Konsumentenschutz in Freihandelsab- kommen berücksichtigt werden. Sie verfügen über die beiden ausgereiftesten Regulierungssysteme. Ein - zipien und Sicherheiten zu gewährleisten, nicht nur gegenseitig, sondern auch im Handel mit anderen, wäre ein starkes Zeugnis gemeinsamer Werte und ein mächtiges Instrument, diese Standards weltweit vor- anzutreiben. Ohne eine derartige Vereinbarung wür- dass ihre hart erkämpften Standards ausgehöhlt wer- den. Diese Normen reichen auch weit über das wirt- - zipien internationaler Ordnung wie des Respekts der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit oder der aus- auch ein Sicherheitsverlust für Österreich und seine EU-Partner.
  • 74. 72 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Präferenzielle Handelsabkommen erfassen über 50 Prozent des globalen Handels und haben weitrei- chende geopolitische Bedeutung. • 2016 wird die TPP sowohl handelspolitische als auch geopolitische „Wellen“ schlagen: als Wachs- tumsschub für ihre Mitgliedsstaaten, Hebel gegen- über China und Druck auf die TTIP-Verhandlungen. • TTIP wird aller Voraussicht nach nicht bis Ende der Amtszeit von US-Präsident Obama im Januar 2017 fertig ausverhandelt sein. • TTIP untermauert das geostrategische Fundament der transatlantischen Partnerschaft. • TTIP, TTP und andere Freihandelsabkommen sind mit und nicht gegen den Western zu agieren. • Diese Abkommen sind Instrumente um sicherzustel- len, dass westliche Grundsätze das „zentrale Be- triebssystem“ einer vernetzten Welt bleiben. KEY NOTES • Preferential trade agreements comprehend over 50 percent of global trade and have far-reaching geopo- litical importance. • In 2016, the TPP will cause a stir from a geo-politi- cal as well as a trade-political perspective: growth spurt for its member states, leverage against China and pressure on the TTIP negotiations. • TTIP will most likely not be ready until the end of the Obama administration in January 2017. • TTIP underpins the geostrategic foundation for the transatlantic partnership. • TTIP, TTP and other free trade agreements are cordance and not against the West. • These agreements are instruments to ensure that western principles remain the central operating sys- tem of a networked world.
  • 75. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 73 Besonders deutlich wird dies im Zinkmarkt, der 2016 bis Ende 2016 aufgrund zahlreicher Minenschließun- gen mit einem Rückgang der weltweiten Zinkproduk- tion um 15 Prozent zu rechnen. Neue Projekte sind aktuell nur bei kleinen Bergbauunternehmen in Pla- nung, die aber zunehmend mit Finanzierungspro- blemen zu kämpfen haben. China steht derzeit für ein Drittel der weltweiten Produktion. Bei weiterhin STRATEGISCHE ROHSTOFFE 2016 Die größten Risikotrends Miriam Kraus Abgesehen von generellen Versorgungsrisiken in vie- len Rohstoffmärkten ausgehend von einer oftmals starken Konzentration auf nur wenige Produzenten sind für 2016 zwei große Risikotrends für mindes- tens sechs strategische Metalle auszumachen. Zum einen steigt die Nachfrage zur Herstellung von Bat- terien und Energiespeicherlösungen, zum anderen besteht eine große Gefahr für die Versorgungslage durch die stark gesunkenen Rohstoffpreise, daraus resultierende Minenschließungen und den Verzicht auf Investitionen in neue Projekte.
  • 76. 74 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 gedrücktem Preisniveau besteht allerdings mittelfristig das Risiko für eine stärkere Konzentration der welt- weiten Produktion auf China. Ebenfalls kann sich eine zunehmende Angebotskonzentration auf China für das strategische Metall Indium ergeben. Dieses wird als Nebenprodukt bei der Zinkförderung gewonnen. Mit einem zunehmenden Rückgang der Produktion außerhalb Chinas sowie enorm hohen Lagerbeständen in China kann das Land seine Vormachtstellung im Markt weiter ausbauen. Kupferförderung Von Kürzungen bei der Förderung sind überdies die strategischen Metalle Kobalt und Molybdän betrof- fen. Beide werden als Nebenprodukte von Kupfer pro- duziert. Aufgrund des niedrigen Kupferpreises sind die Bergbaukonzerne auch in diesem Markt gezwun- gen, die Produktion zurückzufahren. So wird allein der Bergbaukonzern Freeport McMoran seine Molyb- dän-Förderung um zehn Millionen Pfund – das ent- spricht zwei Prozent des weltweiten Angebots – kür- zen. Zudem ist jetzt schon ein deutlicher Rückgang der Investitionen in die Kupferförderung abzusehen, was auf Sicht der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre auch das Molybdän-Angebot deutlich unter Druck bringen kann. Risiko einer Kobalt-Verknappung Bei Kobalt zeichnet sich bereits ab 2016 der Beginn - core fährt aus Kostengründen seine Kupferförderung massiv zurück. Dabei wird auch das weltweite Kobalt- Angebot um fünf Prozent eingeschränkt werden. - core weitere Produktionskürzungen vornehmen, was wiederum Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von weltweiten Kobalt-Angebots. Dabei ist zu bedenken, dass die weltweite Kobalt-Nachfrage bereits um über zehn Prozent pro Jahr wächst. Der treibende Faktor ist dabei die Nutzung des Metalls in Batterien, haupt- sächlich in der Autoindustrie. In diesem Zusammen- hang könnte der VW-Abgasskandal zu einer verstärk- ten Nachfrage nach elektrischen Antrieben führen und damit die Kobalt-Nachfrage zusätzlich antreiben. Die Kombination dieser Faktoren wird zu einer deutli- chen Verknappung im Kobalt-Markt führen. Mehr Speicherlösungen steigern Nachfrage nach Lithium, Graphit und Vanadium Vom Boom der Speicherlösungen ausgehend ist ab Tesla Motors mit einer massiv steigenden Nachfrage nach Lithium zu rechnen. Bei voller Auslastung liegt der Verbrauch dieser einen Fabrik bei 8000 Tonnen Lithium pro Jahr, was über 20 Prozent der aktuellen Jahresproduktion entspricht. In China plant Warren - brik. Aller Voraussicht nach wird der Nachfragetrend nach verbesserten Batterie- und Energiespeicherlösun- gen sich weiter fortsetzen und damit auch die Verfüg- und Vanadium tangieren. Bei allen drei Rohstoffen besteht derzeit keine Ressourcenknappheit, doch die Konzentration der Förderung auf nur wenige Länder birgt Risiken. So wird Lithium hauptsächlich in Chile, Argentinien und China abgebaut, Vanadium in Süd-
  • 77. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 75 KERNPUNKTE • China kann sein Monopol im Indium-Markt ausbauen. • Die Molybdän-Förderung sinkt. • Wegen des niedrigen Kupferpreises sinkt bei stei- gender Nachfrage auch die Kobalt-Förderung. • Bei Lithium, Graphit und Vanadium gibt es steigen- de Nachfrage und hohe Länderkonzentration in der Förderung. • Wenn es China gelingt, dem illegalen Bergbau Ein- halt zu gebieten, wäre zeitweise mit einer akuten Wolfram-Verknappung zu rechnen. wichtig ist, kann ab 2016 ein knapperes Angebot zur Verfügung stehen, wenn Chinas Restrukturierung des bots im Inland verarbeitet wird. Wolfram: Versorgungsrisiken gestiegen schen Metalls Wolfram mit teilweise weit über 80 Pro- zent Marktanteil ist China. Sollte es der chinesischen Regierung gelingen, dem illegalen Wolfram-Bergbau Einhalt zu gebieten, was nach WTO-Entscheid erklär- tes Ziel ist, wäre zeitweise mit einer akuten Verknap- pung im Markt zu rechnen. Österreich ist mit über 35 Prozent der weltweit größte Exporteur von verarbeite- tem Wolframkarbid. Angebotsrückgang bei Edelgasen Bei den Edelgasen Helium und Neon besteht bereits ein eingeschränktes Angebot, nachdem die US-Heli- umvorräte stark abgesunken sind und der Ukraine- produzieren über 40 Prozent des weltweiten Helium- Angebots, über 70 Prozent des weltweit verfügba- ren Neons kommt aus Osteuropa. Ebenso dürfte der Xenon-Markt auch 2016 aufgrund der das Angebot übersteigenden Nachfrage aus der Beleuchtungsindus- Insgesamt markiert 2016 voraussichtlich nur den Beginn von weiteren Phasen der Angebotseinschrän- kung in verschiedenen Rohstoffmärkten, weswegen eine fortgesetzte Beobachtung der Risikotrends emp- fohlen wird. KEY NOTES • China can expand its monopoly in the Indium market. • Molybdenum production is decreasing. • Even though demand increases, Cobalt production decreases due to the low Copper price. • The demand for, as well as the number of coun- tries producing Lithium, Graphite and Vanadium is increasing. • If China succeeds in stopping illegal mining, tem- porary but acute shortages of Tungsten can be expected.
  • 78. 76 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KONFLIKTHERDE DER WELT 2016 Michael Brzoska Krieges ausgegangen war, scheint aufgebraucht zu sein. Die Weltmacht USA wird wieder offen heraus- gefordert, von Putins Russland wie von Netanjahus Israel und den extremistischen Islamisten des soge- nannten „Islamischen Staats“ (IS). Trotz einiger beeindruckender Erfolge nachholender wirtschaftli- cher Entwicklung sehen sich viele Menschen, vor al- lem im Nahen Osten und in Afrika, von den Vorteilen der Globalisierung ausgeschlossen. Autoritäre Re- gime haben sich in vielen Regionen als stabiler er- wiesen, als in den frühen 1990er Jahren erwartet worden war.
  • 79. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 77 Lokale, regionale und globale Trends und Prozesse - mischer und machen Prognosen schwieriger. Trotz- die auch 2016 virulent bleiben werden. Dazu gehört an erster Stelle der Bürgerkrieg in Syrien. Eine Lösung ist nicht abzusehen, selbst ein Waffen- stillstand scheint gegenwärtig nicht erreichbar. Dabei sind große Teile der Bevölkerung kriegsmüde, was sich nicht zuletzt in hohen Flüchtlingszahlen nie- der Regionalmächte Saudi-Arabien und Iran ebenso - - und Russland verstrickt sind, über den Irak, Syrien und den Jemen hinaus ist vorhanden, mit dem Liba- - cherweise auch Ägypten und Saudi-Arabien als neue Mittleren Osten könnte 2016 auch ein weiterer Krieg zwischen Israel und den Palästinensern gehören. Die Auseinandersetzung zwischen der Türkei und der kurdischen PKK kann eskalieren und möglicherweise die Türkei darin bestärken, sich militärisch in den syrischen Bürgerkrieg einzumischen. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit Bezug zu Europa Militärische Erfolge der verschiedenen gegen den Schwächung der Organisation führen, aber mögli- cherweise auch den Effekt haben, dass dem IS ideo- aber auch in Zentralasien Zulauf erhalten. Auch könnten spektakuläre terroristische Anschläge in Russland, den USA und Westeuropa versucht werden. Etwas besser sieht die Situation in der Ukraine aus, nicht ausschließen. Viel hängt vom russischen Inte- resse an einem Unruheherd an der Peripherie von NATO und EU ab. Aber auch ein aggressiveres Vor- gehen der Regierung in Kiew oder anderer pro-westli- - nen zwischen NATO und Russland könnten einem um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aser- baidschan. Sollten sich Russland und der Westen auf unterschiedliche Seiten stellen, könnte dies zu einer weiteren Verschlechterung des Ost-West-Verhältnisses in Europa führen. Afrika und Asien - rer Zeit entschärft worden, so in Somalia, in der Zen- tralafrikanischen Republik und in der Demokrati- schen Republik Kongo, aber die Lage bleibt weiterhin sehr fragil. Wie schwierig erfolgreiche Friedenskon- solidierung ist, zeigt aktuell der Fall des Südsudans. 2016 könnte Burundi einem weiteren offen ausgetra- gen Bürgerkrieg zum Opfer fallen. Auch 2016 wird Afghanistan ein Krisenherd mit regi- - rung ausländischer Streitkräfte ebenso wie wegen der möglichen Ausstrahlung auf die Nachbarstaaten Paki- stan, Tadschikistan und Usbekistan. Die internen
  • 80. 78 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KEY NOTES • East. • Military successes against ISIS in Syria and Iraq could be accompanied by strengthening Islamist groups in other regions. • • Burundi. • could contribute to a deterioration of the prospects for an easing of East-West relations in Europe. • Afghanistan itself will remain a hot spot, with an impact on Pakistan and Central Asia. Probleme der Atommacht Pakistan erzeugen zusätzli- Demgegenüber dürfte die Lage in Ost- und Nord- die Inseln im Südchinesischen Meer, bleiben zwar, aber die Abschwächung des wirtschaftlichen Wachs- KERNPUNKTE • Ein Ende des Bürgerkrieges in Syrien ist nicht wahrscheinlich. Es droht eine Ausweitung des schiitisch-sunniti- • Militärische Erfolge gegen den „IS“ in Syrien und im Irak könnten mit einer Stärkung islamistischer Gruppen in anderen Regionen einhergehen. • • Burundi gegenüber. • Armenien und Aserbaidschan wieder zu einer Verschlechterung der Aussichten für eine Entspannung des Ost- West-Verhältnisses in Europa beitragen. • Afghanistan selber wird ein Krisenherd bleiben, mit Ausstrahlung auf Pakistan und Zentralasien. tums in China und der Wahlkampf in den USA dürf- ten eher zu einer Dämpfung denn zu einer Intensivie- rung der Auseinandersetzungen führen. Jederzeit für Überraschungen, insbesondere der friedensgefährden- den Art, kann allerdings das nordkoreanische Regime sorgen.
  • 81. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 79 geprägt bleiben. Erstens, werden die militärischen Auseinandersetzungen in Syrien und mit der Terror- miliz „Islamischer Staat“ fortgeführt – inklusive eines verstärkten französischen Engagements nach den Ter- roranschlägen von Paris. Das Eingreifen Russlands hat die Lage des Assad-Regimes stabilisiert, kann - zeitig ist die Obama-Administration zunehmend ent- schlossen, militärische Unterstützung zu leisten, wäh- rend die US-Präsidentschaftswahlen den Diskurs einer Außenpolitik der Stärke vorantreiben. Der in der Wie- ner Konferenz angestoßene Prozess einer regionalen Einigung wird 2016 höchstwahrscheinlich nicht zum Abschluss kommen. INTERNATIONALE KONFLIKTE UND GESELLSCHAFTLICHE SICHERHEIT 2016 Raphael Bossong Die Gewährleistung gesellschaftlicher Sicherheit kann als Aufrechterhaltung zentraler Systeme – bei- spielsweise der Gesundheitsversorgung, aber auch von Werten wie Identität und Solidarität – in Krisen verstanden werden. Die entsprechenden Herausfor- derungen durch Flüchtlingsströme und – davon un- abhängige – terroristische Anschläge, die durch in- unverändert stark sein. Zum einen können die au- ßenpolitische Rolle Russlands und Entwicklungen in anderen wird die Europäische Union nur beschränk- te Fortschritte hinsichtlich effektiver Antworten er- zielen, während mehrere Mitgliedsstaaten ver- schärfte Belastungsgrenzen erleben werden. Schließlich bleibt umstritten, ob es geteilte europäi- sche Wahrnehmungen gesellschaftlicher Sicherheit geben kann.
  • 82. 80 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Insgesamt bleiben ein weiterer Zerfall der regiona- ler Ordnung und Fluchtbewegungen im Nahen Osten möglich bis wahrscheinlich, ohne dass europäische - ten. Die Auswirkungen auf die europäische gesell- schaftliche Sicherheit bleiben stark negativ. Die EU - elle Unterstützung der Türkei voran, um eine Puffer- zone zu schaffen. Die Umsetzung wird jedoch stark unter den Erwartungen bleiben. Insbesondere die Rückführung von Migrantinnen und Migranten wird kaum an Fahrt gewinnen, wenn die Türkei gegebe- nenfalls wieder selbst Asylsuchende durch politische die weitere Flüchtlingsströme in zentralen Aufnah- mestaaten Europas wie Deutschland, Österreich und Schweden erzeugen. Dies gilt insbesondere für Erit- rea und Afghanistan. In Libyen werden innerstaatliche Kämpfe fortgeführt, was die irreguläre Transitmig- ration aus Afrika nach Europa unterstützt. Schließ- lich muss die Entwicklung der Ukraine berücksichtigt werden, wo bisher intern sehr hohe Flüchtlings- zahlen absorbiert wurden. In Anbetracht der ange- spannten wirtschaftlichen Situation sowie der immer noch umstrittenen Umsetzung des Minsker Abkom- mens könnte es aber 2016 auch aus dieser Richtung zu neuen Bewegungen nach Osteuropa kommen. Ins- gesamt überwiegt jedoch das Potential einer „kalten Stabilisierung“. - land sowie der Errichtung von weiteren Zäunen in der Region öffentlich befürchtet wurden, bleiben sehr unwahrscheinlich. 2016 wird vielmehr eine ver- schärfte Ablehnung und Rückführung von Asylbe- werbern aus jenen Ländern zur Anwendung kommen. Nach Ausräumung verbleibender Koordinationspro- bleme in Europa kann dies die Krisenwahrnehmung etwas abmildern. Innere Dynamiken gesellschaftlicher Sicherheit Der wichtigste Effekt auf gesellschaftliche Sicherheit ist die politische Polarisierung von Identitätsfragen. Wahlen anstehen, wird das Wachstum rechtspopulis- tischer Parteien in den meisten europäischen Staaten vorübergehend abgefangen werden können. Dies gilt insbesondere für Deutschland und Österreich. Frank- reich ist hier jedoch im Nachgang der terroristischen Anschläge in Paris und der ohnehin starken Rolle des - schärfen mehrere osteuropäische Staaten zusätzlich den rechts-populistischen Diskurs, sodass eine sub- stanzielle Erneuerung europäischer Solidarität zur „Lastenteilung“ nicht zu erwarten ist. Neben scharfen parteipolitischen Auseinandersetzun- gen wird es in mehreren Staaten zu Demonstrationen - derfeindlichem Hintergrund – bis hin zu rechtster- roristischen Angriffen – kommen. Auseinanderset- zungen zwischen in Europa ansässigen Menschen mit wahrscheinlich, werden jedoch in der Masse begrenzt bleiben. Aus statistischer Sicht werden auch die allge- meinen Auswirkungen auf Kriminalität und Innere Sicherheit durch die Sicherheitsbehörden beherrsch- durch dramatische Einzelereignisse wie Anschläge
  • 83. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 81 KEY NOTES • • Despite European efforts to use the country as a buffer zone, Turkey will be an increasingly unpredictable factor. • • EU burden-sharing will not make major advances, but the situation in Balkans will remain under control. • National polarisation and right-wing populism will increase further, leading to further violent demonstrations and xenophobic attacks across Europe. • They will remain limited in physical damage, but deeply affect perceptions of societal security. • The structural crisis of societal security in terms of social service provision (health, education, housing) gathers available in 2016. oder Ausschreitungen, die aus subjektiver Sicht die gesellschaftliche Sicherheit stark beinträchtigen. Dies gilt auch für Österreich und Deutschland. Eine strukturelle Krise der gesellschaftlichen Sicher- heit entwickelt sich vor allem im Bildungs- und wesen. Dies zeigt sich in Schweden, das entsprechende Leistungen für Flüchtlinge bereits stark einschränkt. Entsprechende Entwicklungen sind in Deutschland und Österreich abzusehen, auch wenn 2016 noch hin- werden. Verschärfte Engpässe wird es in den Berei- die nur bedingt durch unterstützende Leistungen des Militärs aufgefangen werden können. KERNPUNKTE • • Trotz europäischer Anstrengungen, die Türkei als Pufferzone zu nützen wird das Land zu einem großen Unsicherheitsfaktor. • Andere Krisen und gescheiterte Staaten werden weiterhin für eine hohe Zahl von Flüchtlingen nach Europa sorgen. • In Bezug auf die Solidarität der EU-Staaten wird es keine maßgeblichen Fortschritte geben, dennoch bleibt die Situation auf dem Balkan unter Kontrolle. • Nationale Polarisierungen und der Rechtspopulismus werden weiter ansteigen und in Europa zu weiteren ge- walttätigen Demonstrationen und xenophoben Attacken führen • Gewalttätige Zusammenstöße zwischen Diaspora-Gruppen oder auch terroristische Angriffe in Verbindung mit greifende Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung haben. • Eine strukturelle Krise der gesellschaftlichen Sicherheit entwickelt sich vor allem im Bildungs- und Gesund- heitssystem sowie im Wohnungs- und Sozialwesen von Empfängerstaaten wie Deutschland, Österreich und
  • 84. 82 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Der IS im Irak und in Syrien Im Sommer 2014 eroberte die Terrorgruppe IS weite Teile des Nord- und Westirak und des Ostens und Nordens Syriens. Erst Luftangriffe einer von den USA angeführten internationalen Koalition brach- ten den Vormarsch weitgehend zum Stoppen. Im Jahr 2015 gelang es dem IS trotzdem, seine Kontrolle über das eroberte Territorium zu konsolidieren und einige - tierte er von den im September 2015 einsetzenden rus- sischen Luftangriffen in Syrien, die nur selten den IS trafen, sondern konkurrierende Rebellengruppen der TERRORMILIZ „ISLAMISCHER STAAT“ 2016 Guido Steinberg Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) wird im Irak und in Syrien auch 2016 nicht entscheidend ge- schlagen werden, und die Anschläge der mit ihm verbündeten „Ableger“ in der arabischen Welt und wahrscheinlich auch in der Türkei werden fortdau- ern. Mit den Attentaten von Paris am 13. November 2015 hat die Organisation auch den bewaffneten Kampf in der westlichen Welt eröffnet, indem sie zum ersten Mal gezielt Anschläge in Frankreich plante, organisierte und ausführte. 2016 könnten weitere große Anschläge in Europa folgen, aber es werden auch Einzeltäter im Namen des IS aktiv werden.
  • 85. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 83 Freien Syrischen Armee und islamistischer Bündnisse. 2015 wurde immer deutlicher, dass für eine erfolgrei- che Eindämmung und anschließende Zerschlagung des IS Bodentruppen notwendig sein würden. Da die USA und ihre Verbündeten nicht bereit waren, diese zu entsenden, waren sie auf Verbündete vor Ort ange- wiesen. Doch fanden sich im Irak wie in Syrien nur die Kurden – im Irak die Kurdische Regionalregie- rung unter Führung von Präsident Masud Barzani und in Syrien die Partei der Demokratischen Union, der lokale Ableger der türkischen Arbeiterpartei Kurdi- stans (PKK). Beide erwiesen sich in kurdisch besie- delten Regionen als schlagkräftige Verbündete, doch eigneten sie sich kaum für den Einsatz in den von IS - programme für andere Rebellen nur begrenzte Erfolge zeitigen, wird sich die Situation auch 2016 nicht grundlegend ändern. Der IS kann zwar unter stärke- ren Druck geraten, doch wird er weiter vom Staats- zerfall in Syrien und der mangelnden Einigkeit sei- Akteur im Irak und in Syrien halten. IS international Der IS ist zwar eine von Irakern dominierte Organi- sation, und die Mehrzahl der Kämpfer sind Iraker und Syrer. Doch wirkte sich bereits 2015 aus, dass sich ihm viele ausländische Kämpfer anschlossen – die meis- ten aus Saudi-Arabien, Tunesien, Marokko, der Türkei über besonders starke Logistiknetzwerke. Nachdem die türkische Regierung ihre Zusammenarbeit mit den USA gegen den IS intensivierte, entschied dieser sich Mitte 2015, durch gezielte Anschläge türkischer IS- Dies gelang, und im Juli kündigte die türkische Regie- rung sogar die seit 2013 laufenden Friedensverhand- lungen mit der PKK auf. Es kann auch 2016 ähnliche Anschläge in der Türkei geben, möglicherweise noch zahlreicher und auf alternative Ziele. Ab 2014 baute der IS jenseits des Iraks und Syriens sowie der unmittelbaren Nachbarländer ein Netzwerk von IS-Ablegern auf, die 2015 in Ägypten, Libyen, Saudi-Arabien und im Jemen erstarkten und zahlrei- che Anschläge verübten. Wie in der Türkei versuch- es in den genannten Staaten zu zahlreichen Anschlä- gen des IS kommen, religiöse Minderheiten, Auslän- der und staatliche Stellen werden betroffen sein. Ob noch einmal ein so spektakuläres Attentat wie das des IS-Ablegers auf dem Sinai auf ein russisches Passagier- nicht sagen. Der IS wird aber versuchen, neue Verbün- in Nigeria oder die Islamische Bewegung von Usbe- kistan, deren Bindung bisher noch sehr schwach ist, enger an sich zu binden. Der IS in Europa Bis November 2015 hatten Anschläge in der westli- chen Welt für den IS keine Priorität. Die Organisation wollte, dass Muslime nach Syrien reisen, um dort zum Aufbau des „Islamischen Staates“ beizutragen. Doch sie forderte diejenigen Muslime, die in den Staaten der Anti-IS-Koalition leben und denen es nicht gelingt, nach Syrien zu reisen, auf, in ihren Heimatländern Anschläge zu verüben. Tatsächlich führten IS-Anhän- ger eine Serie von kleineren Anschlägen in Europa, Kanada und Australien durch. Es handelte sich um
  • 86. 84 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Der IS wird sich auch 2016 als quasistaatlicher Ak- teur im Irak und in Syrien halten. • Türkische IS-Kämpfer haben den bewaffneten Kampf schon 2015 in ihr Heimatland getragen und 2016 könnten sie ihre Kampagne fortsetzen. • Das Netzwerk der mit dem IS verbündeten Ableger, die 2015 in Ägypten, Libyen, Saudi-Arabien und im Jemen erstarkten, wird 2016 zahlreiche Anschläge verüben – auf religiöse und ethnische Minderhei- ten, Ausländer und staatliche Stellen wie vor allem auf Armee und Polizei. • Ob die Anschläge von Paris vom November 2015 einen größeren Strategiewechsel einleiten, bleibt noch ungewiss. Mit weiteren Attentaten in Frank- reich, Belgien und anderen europäischen Ländern ist aber zu rechnen. Darüber hinaus werden Einzel- täter auch 2016 im Namen des IS Anschläge in der westlichen Welt verüben. Einzeltäter, die teils aus Syrien zurückkehrten, in den meisten Fällen aber keine Verbindung zu der Organi- sation hatten. Erst mit den Attentaten von Paris gab der IS diese Zurückhaltung auf und es ist zu erwarten, dass die Organisation aufgrund des steigenden militä- rischen Drucks in Syrien und im Irak versuchen wird, Rache zu üben. Wenn europäische Staaten auch 2016 zum Ziel wer- den, dann wahrscheinlich die mit großen Kontin- genten im Irak und Syrien und vielen Rückkehrern von dort. Dies betrifft in absoluten Zahlen vor allem auch Länder wie Belgien, Dänemark und Österreich. Die rund 250 Kämpfer, die seit 2012 aus Österreich nach Syrien gezogen sind und sich dort dem IS und innere Sicherheit des Landes erweisen. KEY NOTES • In 2016, ISIS will continue its role as a quasi-state actor in Iraq and Syria. • struggle to their homeland in 2015, in 2016 they could continue in this endeavour. • The network of branches allied to ISIS which in 2015 gained strength in Egypt, Libya, Saudi Arabia and Yemen will in 2016 commit numerous attacks on religious and ethnic minorities, foreigners, and governmental organisations, especially the armed and police forces. • Whether the Paris attacks of November 2015 will initiate a major change in strategy is still uncertain. However, further attacks in France, Belgium and other European countries must be expected. In ad- dition, individuals will conduct attacks in the wes- tern world in the name of ISIS.
  • 87. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 85 Hybride Bedrohungen „Hybride Bedrohungen“ als militärischer Terminus zwischen Israel und der Iran-unterstützten Hisbollah während des zweiten Libanonkrieges von 2006. Hybride Bedrohungen im Rahmen asymmetrischer unkonventionellen und konventionellen Mitteln der Kriegsführung, deren Taktiken und Methodik. Hybride Bedrohungen außerhalb des Kontexts von konventio- - - denen Akteuren bewusst provoziert und ausgenutzt werden können. Hybride Bedrohungen sind das Resul- HYBRIDE BEDROHUNGEN 2016 Sascha Dov Bachmann Die Flüchtlingskrise in Westeuropa, islamistischer Terrorismus im Ausland und zunehmend auch im in- nereuropäischen Kontext, Organisierte Kriminalität, Menschenschmuggel und Cyberangriffe bzw. Cyber- kriminalität sind Beispiele für Hybride Bedrohungen, die oft mehrere Zuständigkeiten nationalstaatlicher Sicherheitsorgane betreffen und diese überfordern. Die Antwort wäre ein westeuropäischer Grundkon- sens zu regionaler Zusammenarbeit aller betroffe- nen Sicherheitsorgane, um diesen Hybriden Bedro- hungen durch einen allumfassenden Sicherheitsansatz zu begegnen. Ein derartiger An- satz setzt jedoch neben einem politischen Konsens auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingun- gen voraus – eine Herausforderung die es zu meis- tern gilt.
  • 88. 86 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 und eines neuem Handlungsspektrums. Hybride Bedro- hungen stellen neue Herausforderungen an Politik und Rechtsstaatlichkeit. NATO und Hybride Bedrohungen Bereits im Jahre 2010 erkannte die NATO Hybride Bedrohungen als neues Sicherheitsrisiko an und ent- warf ein neues NATO Bi-Strategic Command Caps- tone Concept, das Hybride Bedrohung als Bedrohungen konventionelle als auch unkonventionelle Kampfwei- sen verbindet, um seine Ziele zu erreichen. In den fol- genden zwei Jahren erarbeitete die NATO einen spezi- Risiken außerhalb konventioneller Kriegsbedrohun- gen ausweist: Nukleare Proliferation, Terrorismus, Cyberkriminalität und Cyberkrieg, Organisierte Kri- minalität und ihre Rolle im Drogen-, Waffen und Men- schenschmuggel, Migration, ethnische und religiöse - dass solche Bedrohungen auf eine konkrete Bedro- hung des Bündnisses hinauslaufen können oder dass die NATO aufgrund ihrer Kapazitäten durch die Vereinten Nationen autorisiert werden könnte, einzugreifen. Auf- grund dieser Erkenntnis arbeitete NATO an einem ver- um diesen Risiken begegnen zu können. Dieser Ansatz sah vor, staatliche und nichtstaatliche Akteure in eine übergreifende Abwehrstrategie einzubinden, die politi- sche, diplomatische, ökonomische, militärische, techni- sche und wissenschaftliche Initiativen kombiniert. Trotz intensiver Arbeit an diesem Ansatz im Rahmen eines „Countering Hybrid Threats“-Experiments im Jahre 2011 musste die NATO wegen mangelnder Unter- stützung durch ihre Mitglieder die Projektarbeit im Jahre 2012 einstellen. Angesichts der russischen Aggres- sion in der Ukraine seit 2014 stellt sich die Frage, ob die Einstellung dieses Projekts nicht verfrüht war. Die NATO hat seit 2014 die Arbeit an dem Projekt Hyb- ride Kriegsführung mit dem Ziel aufgenommen, fest- zustellen, ob diese Form der Kriegsführung eine Neu- (als Neukategorie zu den Full Spectrum Operations). Ob die Anwendung Hybrider Kriegsführung durch Russland vor dem Hintergrund seiner osteuropäischen Hegemonialambitionen zu einer Rückkehr des „Kalten Krieges“ führen wird, bleibt abzuwarten. Hybride Bedrohungen heute Österreich und Westeuropa sehen sich einer Vielzahl von Hybriden Bedrohungen gegenüber. Cyberspionage durch Staatsakteure für wirtschaftliche und geheim- dienstliche Ziele, Cyberhacking durch individuelle und organisierte Akteure, Organisierte Kriminalität, die im Rauschgift-, Waffen- und Menschenschmuggel tätig ist oder Terroranschläge durch Islamisten sind nur einige Bedrohungsszenarien, denen wir gegenwärtig ausge- setzt sind. Dazu kommen weitere Bedrohungsszenarien, - hen: von Piraterie, die den Welthandel bedroht, bis hin zu der Massenmigration, der Westeuropa heute ausge- setzt ist. - ride Bedrohung: Strategisch konstruiert und einge- setzt hat sie das Potential, europäische Identität und Sicherheit zu unterminieren. Migrationsgestützte Nöti- gung wurde bereits vom gestürzten libyschen Dikta- europäischer Wirtschaftsanktionen im Jahre 2004 zu erzwingen. Ob der türkische Präsident Recep Tayyip -
  • 89. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 87 KERNPUNKTE • Hybride Bedrohungen werden andauern und die Sicherheit in Westeuropa weiter verschlechtern. • Die Fokussierung der NATO auf Russland als Hauptgegner im Rahmen Hybrider Kriegsführung erschwert die Kon- zeption einer Verteidigungsstrategie für Hybride Bedrohungen außerhalb des militärischen Kernspektrums in Hin- blick auf islamistischen Terrorismus und Massenmigration. • Massenmigration hat das Potential zu einer Hybriden Bedrohung, die von staatlichen und nichtstaatlichen Akteu- ren ausgenutzt wird und den islamistischen Terrorismus zu einer realen Hybridbedrohung werden lassen. • Hybride Bedrohungen stellen neue Herausforderungen an Politik und Rechtsstaatlichkeit dar und erfordern eine neue sicherheitspolitische Strategiekonzeption für die EU im Allgemeinen und Österreich im Besonderen. der von der Europäischen Union zu erhalten, kann dis- kutiert werden. Die Entscheidung von Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel, sich über geltendes Europa- recht (Schengen und Dublin) hinwegzusetzen, als sie beschloss, Syrern generell Asylstatus zu erteilen, hat zu einer Spaltung innerhalb der Europäischen Union und zu diplomatischen Verstimmungen in den betroffenen EU-Staaten geführt. Massenmigration hat das Potential als geostrategische Waffe eingesetzt zu werden: Staat- liche und nichtstaatliche Akteure schlagen direktes staatlicher und supranationaler Zuständigkeit (Schen- gen) ist eine notwendige Bedingung staatlicher Souve- ränität: Eine Vernachlässigung dieses internationalen Rechtsgrundsatzes führt zu einer Aushöhlung natio- Terroranschläge von Paris im November 2015 ver- rationspolitik mitverursachten Vernachlässigung bzw. schutz haben absolute Priorität, um Terroristen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Ohne entspre- satz der Personenfreizügigkeit dauerhaft ausgehöhlt. Hybride Bedrohungen werden in der Zukunft zuneh- men und die Sicherheit in Westeuropa und damit auch Österreich weiter gefährden. Das Unterlassen, an einem auf interstaatlicher Ebene zu arbeiten, ist verfehlt und wird die Bedrohungslage für die EU und Österreich noch verschlechtern, wie die terroristischen Anschläge dieses Jahres in Frankreich verdeutlichen. KEY NOTES • Hybrid threats will continue and will negatively impact the security situation in Western Europe. • strategy against hybrid threats outside the military core spectrum with regard to Islamist terrorism and mass migration. • Mass migration has the potential to become a hybrid threat exploited by state and non-state actors in order to make Islamist terrorism a real hybrid threat. • Hybrid threats pose new challenges to politics and the rule of law. They require a new security strategy concept for the EU in general and Austria in particular.
  • 90. GLOBALE SICHERHEITS- ARCHITEKTUR 2016 „So lange wesentliche internationale Institutionen und Organisationen wie VN, EU, OSZE und NATO ihre Hand- lungsfähigkeit bewahren, sind die erwartbaren Risiko- szenarien beherrschbar. Dazu sind aber vermehrte po- litische und operative Beitragsleistungen durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten erforderlich. Eine allfällige Verringerung der Handlungsfähigkeit oder ihr teilwei- ser Verlust würde die strategische Situation Öster- reichs und der EU nachhaltig verändern.“ (Teilstrategie Verteidigungspolitik, S.13)
  • 91. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 89 Riskantes Engagement 2016 wird für die UNO wahrscheinlich wieder ein VEREINTE NATIONEN 2016 Richard Gowan Die operative und politische Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen wird auf eine harte Probe ge- stellt werden. Die Krisen im Nahen Osten und in Af- rika bringen für die humanitären Organisationen, Friedenstruppen und Vermittler der Vereinten Natio- nen große Belastungen mit sich. Das Ansehen der UNO hat unter den Spannungen zwischen dem Wes- ten und Russland im Sicherheitsrat bezüglich Syri- ens und der Ukraine gelitten. Humanitäre Organisa- erheblichen Druck geraten. Spannungen im UN-Si- cherheitsrat und die Wahl eines neuen Generalse- kretärs werden die Agenda der Vereinten Nationen beherrschen. Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einigen jener schwachen Staaten wieder ausbrechen, wo UN- Friedenstruppen stationiert sind, z.B. im Südsudan, in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik. Es besteht ein erhebliches Risiko, dass umstrittene Wah- - tätigkeiten führen und die dortigen Friedenstruppen auf die Probe stellen könnten. Es könnte auch notwendig werden, UN-Friedenstrup- pen in fragilen Staaten des Nahen Ostens und Nordaf- rikas – wie etwa in Libyen, im Jemen und möglicher- weise sogar in Syrien – zu stationieren. An solchen ausgesetzt. Die USA haben unlängst die europäischen Länder aufgefordert, UNO-Einsätze mit Truppen zu verstärken. Im Jahr 2016 wird die Obama-Administ- ration den diesbezüglichen Druck auf EU-Mitglieder aufrechterhalten.
  • 92. 90 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Humanitäre Krisen Die humanitäre Krise im Nahen Osten wird fortbe- stehen, wobei die Organisationen der UNO mögli- sie benötigen, um insbesondere eine größere Anzahl syrischer Flüchtlinge zu versorgen. Die Schwäche des humanitären Systems im Nahen Osten könnte zu einer weiteren Erhöhung der Flüchtlingszahlen in Richtung Europa führen. Die europäischen Regierungen könnten angesichts innenpolitischen Drucks gezwungen sein, - für langfristige Entwicklungshilfeprojekte vorgesehen sind – dramatisch zu erhöhen. Der humanitäre Welt- wird die allgemeine Aufmerksamkeit verstärkt auf den Druck richten, der derzeit auf den UN-Hilfsorganisati- onen lastet. Politik der großen Mächte Die Mitglieder des Sicherheitsrats werden erneut aufge- fordert werden, im Nahen Osten wirksamer zusammen- könnten schließlich mit Russland einen Kompromiss betreffend die Zukunft Syriens schließen, um die Lage um die Ukraine, werden aber auch weiterhin zu Span- nungen in den Diskussionen der UN führen. Den USA wird es darum gehen sicherzustellen, dass die Differenzen mit Russland nicht die Umsetzung des Iran-Abkommens stören. Es könnten sich Fragen im Zusammenhang mit der Erfüllung dieses Abkommens durch den Iran ergeben, womit sich theoretisch der Sicherheitsrat zu befassen haben könnte. Alle Parteien werden jedoch versuchen, eine solche Situation zu ver- meiden. Die westlichen Staaten werden wahrscheinlich nach Möglichkeiten suchen, auf das Nuklearabkommen aufbauend mit dem Iran auch über andere Fragen ins Es gibt auch einige Anzeichen, dass China eine konzi- liantere Haltung einnehmen könnte, falls Moskau seine konfrontative Haltung dem Westen gegenüber beibehal- ten sollte. Beijing hat der UNO unlängst größere Zusa- könnte innerhalb der UNO eine größere Führungsrolle einnehmen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Vertreter Chinas ihre Zusammenarbeit mit ihren russi- schen Kollegen gänzlich abbrechen. UN-Sicherheitsrat Es ist höchst unwahrscheinlich, dass es im Hinblick auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates oder die von Frankreich unterstützten Vorschläge betreffend eine die ständigen Mitglieder zu irgendwelchen Fortschrit- ten kommt. Die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates wer- den die UNO auffordern, bei der Prävention und Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus eine grö- ßere Rolle zu spielen; dies stellt einen der seltenen Fälle UNO stehen allerdings auch weiterhin nur begrenzte größere Rolle zu spielen. Ein neuer UN-Generalsekretär Energie wird Ende 2016 durch die Wahl eines Nach-
  • 93. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 91 braucht werden. Ein starkes Argument spricht dafür, dass nunmehr Osteuropa bei der Besetzung dieser Spit- zenfunktion an der Reihe ist, wobei Moskau hart darum kämpfen wird, dass ein prorussischer Politiker aus die- ser Region gewählt wird. Dies kann zu weiteren Aus- einandersetzungen mit dem Westen führen. Die USA haben angedeutet, dass sie einen weiblichen Kandida- ten bevorzugen würden. Es könnte notwendig werden, auch außerhalb Osteuropas auf die Suche nach einer Führungspersönlichkeit zu gehen, die für alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates akzeptabel ist. Die Notwendigkeit eines Kompromisses könnte dazu Ban Ki-moon nicht unähnlich – eher eine vorsichtige, bürokratische Figur als eine inspirierende Führungsper- sönlichkeit sein wird. Globale Herausforderungen Außerdem werden UNO-Debatten zu Entwicklungs- politik und Klimawandel im nächsten Jahr weniger intensiv ausfallen als in diesem, nachdem das Abkom- men über nachhaltige Entwicklungsziele und das Pari- ser Klimaschutzabkommen abgeschlossen worden sind. Die Experten werden sich darauf konzentrieren, mit der Umsetzung dieser Abkommen zu beginnen, ohne dass dies die gleiche politische und mediale Aufmerksam- versammlung zur globalen Drogenproblematik im April gescheiterte Drogenpolitik zu revidieren. US-Innenpolitik Es besteht das Risiko, dass die UNO in den US-Präsi- dentschaftswahlkampf hineingezogen werden könnte, wenn republikanische Kandidaten die Demokraten wegen ihrer multilateralen Positionen angreifen, wobei das Iran-Abkommen der Hauptkritikpunkt wäre. Dies könnte insbesondere in Europa Befürchtungen nähren, dass die nächste US-Regierung der UNO eher im Stil nen könnte. ie Suche nach einer u gehen, icherhe digke moo ratis chk ob uße liti gescheiterte tik die U gezo n di en a kpu cht O on nicht unähnlich – eher eine vorsichtige, e Figur als eine inspirierende Führungsper- n wird. sforderungen O-Debatten zu Entwicklungs- im nächsten Jahr weniger wenn republikanische Kandidaten wegen ihrer multilateralen Posit das Iran-Abkommen der Haup könnte insbesondere in Eur dass die nächste US-Regie nen könnte. KERNPUNKTE • 2016 steht der UNO ein schweres Jahr bevor. • UN-Friedenstruppen werden in Afrika wahrscheinlich mit erheblicher Gewalt begegnen, wobei es notwen- dig werden könnte, weitere und hochriskante Frie- denseinsätze im Nahen Osten zu starten. • Humanitäre Organisationen werden wegen des ten und kaum in der Lage sein, mit neuen Krisen umzugehen. • In New York werden große Spannungen im UN-Si- cherheitsrat und die Wahl eines neuen UN-General- sekretärs die politische Agenda beherrschen. KEY NOTES • The UN face a tough year in 2016. • lence in Africa, and it may also be necessary to de- ploy new, high-risk peace operations to the Midd- le East. • Humanitarian organisations will be under considera- le to handle new crises. • In New York, big tensions in the Security Council and the election of a new Secretary-General will domina- te the political agenda.
  • 94. 92 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 OSZE 2016 Ein Jahr mit Herausforderungen Lamberto Zannier Deutschland wird 2016 den Vorsitz der OSZE von Serbien übernehmen. Die Krise in der und um die Ukrai- ne wird weiterhin die Agenda bestimmen, und auch andere wichtige Entwicklungen benötigen das kontinu- ierliche Engagement der OSZE. Viel steht auf dem Spiel, und die Erwartungen an die OSZE sind hoch. Ukraine - matisch geschärft und ihre Bedeutung als jene Organi- sation bestätigt, die am besten die Kluft zwischen Ost und West überbrücken und kooperative Lösungen in Krisenzeiten ermöglichen kann. Die Beiträge zur Stabilisierung der Ukraine und das Bemühen um eine nachhaltige politische Lösung im - ten Jahr bilden. Die OSZE wird sich weiterhin in der Arbeit der trilateralen Kontaktgruppe engagieren und die Umsetzung der Minsker Abkommen unterstützen. Die Sonderbeobachtermission in der Ukraine wird wei- terhin dabei helfen, die Spannungen zu deeskalieren und Anstrengungen zur Stabilisierung des Waffenstill- standsabkommens zu unterstützen. Die Mission stärkt zunehmend ihre technischen Fähigkeiten, um die Ein- - zieren. Die Sonderbeobachtermission wird den Dialog und vertrauensbildende Maßnahmen auf lokaler Ebene unterstützen und Anstrengungen zur Lösung der vielen humanitären Herausforderungen unternehmen. Nur durch die Schaffung eines dauerhaften Waffenstill- standes, begleitet von einem dynamischen und nach- haltigen politischen Prozess, können wir aus der Phase des Krisenmanagements in die Phase der Post-Kon-
  • 95. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 93 erzielen. Obwohl die Aussichten auf die Erreichung die- ser umfassenden Einigung im Jahr 2016 aus derzeiti- ger Perspektive unsicher erscheinen, sollten alle unsere Anstrengungen darauf ausgerichtet sein, dieses Ziel zu erreichen. Kooperation Andere wichtige Fragestellungen werden unsere Auf- merksamkeit und unser Engagement benötigen. Die OSZE wird ihre Vermittlungsbemühungen zur Lösung noch intensivieren. Dies betrifft die Arbeit an einer OSZE-Minsk-Arbeitsgruppe, den Einigungsprozess in Unsere Missionen in Südosteuropa, Zentralasien und im Südkaukasus werden fortgesetzt, um die Sicherheitshe- rausforderungen mittels konkreter Projekte vor Ort zu bewältigen. Darunter werden Aktivitäten in den Berei- chen Rüstungskontrolle, militärische Transparenz, Bekämpfung des Terrorismus und gewalttätigen Extre- mismus, gute Regierungsführung, ökonomische Refor- Bekämpfung des Menschenhandels, Schutz von Min- derheiten, Medienfreiheit, Menschenrechte, Toleranz und Nicht-Diskriminierung gesetzt. Stärkung der Kapazitäten im Kreislauf Die OSZE wird aller Voraussicht nach eine struktu- rierte konzeptive Diskussion zur Stärkung ihrer Kapa- Der deutsche Vorsitz im Jahr 2016 hat dies schon als der Planung und Durchführung der Sonderbeobachter- mission in der Ukraine bilden eine solide Basis für eine derartige Diskussion. Darüber hinaus gibt es eine wach- sende Debatte zur Stärkung unserer Missionen und des Konzeptes der zivilen „Friedensmissionen“, das im Rahmen eines informellen Treffens der Ministerinnen - ralversammlung diskutiert wurde. Konsolidierung der europäischen Sicherheit Wenn auch viele Beobachter von den Entwicklungen in der Ukraine überrascht worden sind, waren doch seit vielen Jahren Anzeichen für eine fundamentale Krise des europäischen Sicherheitssystems evident. Die zunehmende Kluft zwischen Ost und West, auseinan- der driftende Vorstellungen und Prioritäten der Sicher- heitsvorsorge und eine Abnahme des Vertrauens behin- dern die Kooperation in verschiedenen Bereichen seit geraumer Zeit. Der Helsinki+40-Prozess, der Ende 2012 gestartet wor- den war, um die Zukunft der Sicherheitsagenda im - ren, wurde aufgrund der Ukrainekrise aufgehalten und verzögert. Dennoch gibt es unter den Mitgliedsstaaten ein großes Interesse, diesen strategischen Dialog über das Jahr 2015 hinweg fortzuführen. Es ist dies auch ein notwendiger Schritt, um gegenseitiges Vertrauen wieder herzustellen. Neue und innovative Ideen könnten durch das Panel bedeutender Vertreter der europäischen Security Com- das seinen Abschlussbericht vor dem OSZE-Ministerrat
  • 96. 94 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 in Belgrad im Dezember 2015 veröffentlichen wird. Das Panel unterbreitete bereits eine Anzahl von praktischen Empfehlungen im Zwischenbericht zu den Erfahrun- gen des Engagements der OSZE in der Ukraine. Ausweitung der Partnerschaften Die OSZE steht vor einer Anzahl von komplexen und umfassenden Herausforderungen, die oftmals mit der Sicherheit in einer angrenzenden Region oder der glo- balen Sicherheit verknüpft sind. Diese neuen Entwick- lungen verlangen eine breite und umfassende Strate- gie, und die OSZE ist bereit, hier ihren Beitrag mit ihren eigenen Prozessen und Richtlinien zu leisten. Das wachsende Risiko transnationaler Bedrohungen wie des gewalttätigen Extremismus, der Radikalisierung und des Terrorismus, sowie der Herausforderungen, die mit der Migrations- und Flüchtlingskrise verbunden sind, erfordern erneuerte Anstrengungen der OSZE, ihre Beziehungen und Kooperationen mit ihren medi- terranen und asiatischen Partnern zu stärken. Im Rah- men des Artikels VIII der VN-Charta wird die OSZE auch weiterhin die Zusammenarbeit mit den VN und anderen regionalen und internationalen Organisationen ausbauen, um sinnvolle und nützliche Synergien und Ergänzungen zu schaffen und auf die Erfahrungen und den Mehrwert dieser Organisation aufzubauen.mit u leiste den Mehrwert dieser KERNPUNKTE • Die Stabilisierung der Ukraine und das Bemühen um eine nachhaltige politische Lösung im Ukrainekon- • Die OSZE wird ihre Vermittlungsbemühungen zur möglich, noch intensivieren. • Eine strukturierte konzeptuelle Diskussion zur Stär- kung der Missionen und Fähigkeiten der OSZE im ge- punkte des deutschen Vorsitzes im Jahr 2016. • Die OSZE wird weiterhin eine Plattform für den stra- tegischen Dialog zur Konsolidierung der Europäi- schen Sicherheit bieten. • Transnationale Bedrohungen und Herausforderun- gen, die mit der Migrations- und Flüchtlingskrise ver- bunden sind, erfordern erneuerte Anstrengungen der OSZE, ihre Beziehungen und Kooperationen mit ihren mediterranen und asiatischen Partnern sowie mit den VN und anderen regionalen und internatio- nalen Organisationen auszubauen. KEY NOTES • key priority. • The OSCE will remain engaged in mediation efforts • A structured conceptual debate on strengthening the OSCE Field Operations and OSCE capacities ac- for 2016 German Chairmanship. • The OSCE will continue to provide a platform for a strategic dialogue on reconsolidating European security. • Transnational threats and growing challenges linked to the migration and refugee crisis will require rene- wed efforts to strengthen the OSCE’s cooperation with its Mediterranean and Asian partners as well as with the UN and other international and regional organizations.
  • 97. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 95 AFRIKANISCHE UNION 2016 Martin Pabst Die Afrikanische Union (AU) leidet an zentralen Han- dicaps, die auch 2016 fortbestehen werden. Die ro- - den bringt undemokratische Staatsführerinnen und Staatsführer in das höchste Amt, wie 2015 für ein Jahr den autokratischen 91jährigen simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe. Hingegen sind die Kompetenzen der Kommission zu schwach ausgebil- Das Statut des 2004 etablierten African Court of Human and Peoples’ Rights (AfCHPR) in Arusha (Tansania) wurde erst von der Hälfte der Mitglieds- det. Die Legitimität des Panafrikanischen Parla- ments leidet darunter, dass die Mitglieder nicht di- rekt gewählt werden.
  • 98. 96 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 kaum Aktivitäten entfaltet. Zudem ist seine Zukunft offen: Der AfCHPR soll mit dem African Court of Justice zu einem African Court of Justice and Human Rights verschmolzen werden, doch konnte der African Court of Justice trotz jahrelanger Anläufe noch nicht etabliert werden. In Ermangelung eines glaubwürdi- gen afrikaweiten Menschenrechtsgerichtshofs setzt die AU fallweise Ad-hoc-Sondergerichtshöfe ein, wie 2015 für den Südsudan beschlossen. Problematisch ist, dass die AU ihre Mitgliedsstaaten auffordert, nicht mit Haag zu kooperieren, dessen Statut viele von ihnen unterzeichnet haben – so auch die Republik Südafrika. gesuchte sudanesische Staatspräsident Omar al-Bashir und die südafrikanische Regierung deckte seine vor- zeitige Ausreise, nachdem eine Nichtregierungsorga- Eine Verbesserung des Verhältnisses von AU und Das Budget der AU ist weiterhin zu rund 70 Pro- - - zierung durch die AU-Mitgliedsstaaten sicherzustellen. Die nun beschlossene Suche nach alternativen Finanz- quellen – wie z.B. Abgaben auf Flüge, Hotelübernach- tungen oder SMS-Versand – wird die Lücken nicht hinreichend schließen können. towards Africa’s Agenda 2063“ gestellt. Doch die hete- rogene AU tut sich schwer, Schlüsselbereiche zu iden- zu setzen. Aufgaben für das kommende Jahr Die 2014 ausgebrochene Ebola-Epidemie in Westaf- rika illustrierte exemplarisch, dass die AU bei Krisen - tionspläne verfügt. Mit Unterstützung des U.S. Cen- ter for Disease Control and Prevention wird nun ein African Centre for Disease Control and Prevention (ACDC) mit fünf regionalen Subzentren etabliert. Hochrangige Besucher gaben 2015 der AU die Ehre ihres Besuches. So sprach Barack Obama am 28. Juli als erster US-Präsident vor der AU in Addis Abeba, und am 20. Oktober wurde die EU-Außenbeauf- tragte Federica Mogherini dort empfangen. Vor dem der Staatenorganisation dienen solche Besuche als agieren. Ein wichtiges Ziel der AU ist die Etablierung einer panafrikanischen Freihandelszone. Die Versammlung beauftragte im Juni 2015 das Continental Free Trade Area-Negotiating Forum (CFTA-NF), die Verhand- lungen bis spätestens 2017 abzuschließen. Eingedenk früherer Erfahrungen wird dieser Termin aber mög- licherweise nicht realisiert werden können. Die regi- onalen Entwicklungsunterschiede sind immens, und die Infrastruktur ist unzureichend ausgebaut. Die African Standby Force Frieden und Sicherheit bleibt ein erstrangiges Thema zunehmend terroristische Bedrohungen hinzu. Trotz Erfolgen bei der Eindämmung – wie z.B. in Nordni- geria – werden sie auch 2016 anhalten. Insbesondere in Nordafrika (Ägypten, Libyen, Tunesien) ist eine Zunahme wahrscheinlich. Bei der AU steht die Ent-
  • 99. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 97 wicklung von Strategien und Instrumenten zur Ter- rorismusbekämpfung noch am Anfang. Flaggschiff der AU-Aktivitäten im Bereich Frieden und Sicherheit ist die de facto friedenserzwingende African Union Mission in Somalia (AMISOM). Äthi- opien, Burundi, Dschibuti, Kenia und Uganda stel- len dazu ca. 22.000 Soldaten. Es gelang, das von der und die Kontrolle über strategisch wichtige Straßen herzustellen. Doch muss die AMISOM zunehmend verlustreiche Rückschläge hinnehmen, da die al-Sha- baab von konventioneller zu terroristischer Kriegs- führung übergegangen ist. Dieser Trend wird auch 2016 anhalten. Das ehrgeizige, eigentlich bereits für 2010 termi- nierte Vorhaben einer 25.000 Mann starken stehen- den African Standby Force (ASF) ist insbesondere - ten worden. Von 19. Oktober bis 5. November 2015 übten erstmals Soldaten aller fünf Regionalbrigaden gemeinsam in Südafrika (Übung AMANI AFRICA II). Ziel war es insbesondere, die Rapid Deployment Capability (RDC) mit einer Verlegbarkeit binnen 14 Tagen zu testen. Angestrebt wird, im Januar 2016 die „volle Einsatzbereitschaft“ der ASF zu erklären. Doch wird dieses Ziel nicht vollständig erreichbar sein. Insbesondere die Force Multinational d’Afrique Centrale (FOMAC) und die North African Regional - sätzlich fehlen logistische, strategische und Planungs- kapazitäten. Zivile Komponenten sind gegenüber den militärischen im Rückstand; sie kamen bislang in Missionen auch kaum zum Einsatz. Als Übergangslösung hatte die AU 2013 die Aufstel- lung einer African Capacity for Immediate Response to Crises (ACIRC) beschlossen. Im Unterschied zur ASF handelt es sich um freiwillige Teilnehmerstaa- ten, und diese müssen die Krisenreaktionsstreit- Algerien, Angola, Niger, Senegal, Südafrika, Sudan, Tansania, Tschad und Uganda, bis Jahresende 2014 kamen Ägypten, Benin, Burkina Faso, Kamerun und Ruanda hinzu. Angekündigt war die Erklärung der vollen Einsatzbereitschaft zum Oktober 2015, wobei sich Südafrika besonders engagiert. Doch auch bei der ACIRC gibt es Engpässe, so verfügen die meisten Teilnehmerstaaten nicht über strategische Lufttransportfähigkeiten. Die sich anbahnende Doppelung ASF-RDC und ACIRC wird bereinigt werden müssen. Analys- ten zweifeln zudem, ob das Modell stehender Kon- tingente die optimale Lösung darstellt. Die meis- Modellen (Coalition of the Willing, Lead Nation, Verhandlungen mit Truppenstellern). - den die Kontinentalorganisation AU und die Regi- onalorganisationen unverzichtbare Partner der EU bleiben: Denn nur mit ihrer Hilfe können wichtige Ziele erreicht werden: erstens regionale Integration, Schaffung größerer Märkte und transkontinentaler Infrastrukturausbau, zweitens sicherheitspolitische Stabilisierung mit Unterstützung und Ownership afrikanischer Streitkräfte, drittens Migrationssteu- erung und Migrationsbegrenzung. Auf dem EU- Afrika-Migrationsgipfel in La Valetta (Malta) im November 2015 einigten sich Europäer und Afri- kaner auf einen Aktionsplan, der u. a. die folgenden Punkte umfasst: Etablierung regionaler Entwick- lungs- und Schutzprogramme in Nordafrika und am
  • 100. 98 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Strukturelle Hindernisse der AU werden auch 2016 fortbestehen, so die Abhängigkeit von externen Gebern. • Beschlossen wurde die Errichtung einer kontinen- talen Freihandelszone mit dem eher nicht realisti- schen Abschlussdatum 2017. • Angestrebt wird die „vollständige Einsatzbereit- schaft“ der African Standby Force zum Januar 2016, was aber nur eingeschränkt der Fall sein wird. Horn von Afrika, Kampf gegen Menschenschmugg- ler, Abkommen zur Rückübernahme illegaler Mig- rantinnen und Migranten durch ihre Heimatstaaten, Erleichterung der legalen Migration in die EU sowie Einrichtung eines mindestens 1,8 Mrd. Euro starken EU-Treuhandfonds für Armutsbekämpfung, Arbeits- TE ernisse hängigk rd. Euro starken utsbekäm ch 2016 en KEY NOTES • The AU’s structural handicaps will continue in 2016, so will the dependence on external donors. • A decision on the establishment of a continental free trade zone has been made. Its intended imple- mentation until 2017 is rather unrealistic. • Full operational readiness of the African Stand-by Force is planned for January 2016; in reality, howe- ver, it will be limited. platzschaffung, verbesserte Ausbildungsmöglichkei- dere in der Sahelzone, in der Tschadsee-Region, am Horn von Afrika und in Nordafrika. Die Maßnah- men sollen bis Ende 2016 umgesetzt werden.
  • 101. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 99 NATO 2016 Jamie Patrick Shea Die Ukraine und die Krisen im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA-Region) werden die NATO auch 2016 weiter beschäftigen. Anhaltende russische Störungen in der Ostukraine und in anderen ehema- ligen Sowjet-Staaten wie Georgien oder der Repub- lik Moldau sind das wahrscheinlichste Szenario im Osten. Als Konsequenz ist daher beim Gipfel in War- schau im Juli 2016 ein Beschluss über die Verstär- kung der Präsenz in Osteuropa zu erwarten. In der MENA-Region wird die NATO versuchen, ihre Part- nerschaften zu revitalisieren und engere Beziehun- gen mit regionalen Organisationen eingehen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU soll den Herausforderungen sowohl im Osten als auch im Sü- den begegnet werden. „Die beste Art, die Zukunft vorauszusagen, ist es, sie zu gestalten.“ So ein berühmtes Zitat von Mark Twain. Mit Blick auf 2016 würden sich die 28 NATO-Mitglieder bestimmt wünschen, die Fähigkeit zu besitzen, das kommende Jahr so zu gestalten, dass die Probleme im Osten und Süden verschwinden und Europa in jenes günstige Sicherheitsumfeld zurückkehrt, das es vor der russischen Annexion der Krim im März 2014 genossen hat. Aber, da weder die Alliierten noch die Vereinigten Staaten derartiges bewerkstelligen können, muss sich die Allianz mit einer europäischen Nachbarschaft be- schäftigen, in der auch mit weiteren Verschlechterungen und Überraschungen – gerechnet werden muss.
  • 102. 100 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Strategie gegenüber dem Osten Es ist sehr zu hoffen, dass das Waffenstillstandsabkom- men in der Ostukraine hält und dass das Minsk II-Ab- kommen in den ersten Monaten des Jahres 2016 voll- ständig implementiert wird. Dies würde zu international überwachten lokalen Wahlen in Donezk und Lugansk und zum Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie führen. Die Ukraine würde darüber hinaus die Kontrol- - sche Truppen würden abgezogen werden. Falls dies passiert, könnten die NATO und Russland versuchen, einen neuen modus vivendi miteinander auszuarbeiten und die gegenwärtig sich aufschaukelnde Dynamik der Übungen am Land, zur See und in der Luft zurückzu- fahren, die beide Seiten seit der Annexion der Krim vo- rangetrieben haben. Dies wiederum könnte eine Verein- barung über Transparenz und vertrauensbildende - kündigung von Übungen oder in Form von Inspektio- nen zur Folge haben und zur Deeskalation der militäri- schen Spannungen beitragen. Klarerweise würden diese Maßnahmen weder unmittel- bar die Frage der Krim lösen, noch würde dies zu einer Versöhnung Russlands mit dem Westen führen. Beide Seiten würden einander weiterhin entfremdet und miss- trauisch begegnen. Dennoch könnte dies für die NATO die Rückkehr zum politischen Dialog mit Russland und zu mehr Kooperation in Fragen außerhalb Europas – etwa Syrien, „Islamischer Staat“, maritime Sicherheit und Umsetzung des Atom-Abkommens mit dem Iran – vereinfachen, wenn auch nicht bis hin zu einer Partner- schaft im NATO-Russland-Rat. Dies ist ohne Zweifel ein optimistisches Szenario. Wahrscheinlicher sind aber anhaltende russische Stö- rungen in der Ostukraine und in anderen ehemaligen Russland wird die Modernisierung seines Militärs unge- achtet seiner ökonomischen Probleme fortführen und Krim und in Kaliningrad zu stationieren. Ebenso wird Russlands feindliche Rhetorik nicht abnehmen. Voraus- sichtlich werden sich daher die NATO-Staaten beim über den Readiness Action Plan der NATO hinauszu- gehen und ihre Präsenz in Osteuropa erhöhen. Dabei werden nicht nur Verstärkungen und die Bereitschaft rasch verfügbare Kräfte geprüft, sondern auch die Stati- - sätzlichen Kräften in der Tiefe zur Vorbereitung für eskaliert. Der Luftabwehr und dem Ausbau der mariti- men Mittel im Hohen Norden, in der baltischen See und im Schwarzmeer wird mehr Bedeutung zukommen. Die kurzfristigen Maßnahmen wie die Übungen im kleineren Rahmen, welche die NATO nach der Annexi- on der Krim startete, um die Solidarität und Entschlos- senheit zu demonstrieren, werden Übungen größeren Umfangs ähnlich der Übungsreihe „Trident Juncture“ im Herbst 2015 weichen und sich zu einem militäri- schen Dispositiv entwickeln, das die Botschaft vermit- teln soll, dass die NATO Russland als Bedrohung be- trachtet, die es langfristig abzuschrecken gilt. Hybride Bedrohung Falls die Feindseligkeiten zwischen NATO und Russ- land anhalten, werden die Bedenken der Alliierten be- züglich möglicher Szenarien „hybrider Kriegsführung“ wachsen, mit denen Russland versuchen könnte, die po- litische und soziale Kohäsion der Allianz durch Cyber-
  • 103. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 101 exklusive Wirtschaftsverträge, die Instrumentalisierung von ethnischen Minderheiten und pro-russischen sozia- - chebeamten zu unterminieren. 2016 wird die NATO eine Strategie gegen hybride Kriegsführung annehmen. Frühwarnindikatoren, die der Allianz helfen, vor allem im Bereich Cyber und zivile Notfallsplanung ihre Resi- lienz zu verbessern, und die Intensivierung des Austau- sches von nachrichtendienstlichen Informationen sein. Kooperation mit der Europäischen Union Ein wesentlicher Teil wird die Ausweitung der Koope- ration mit der Europäischen Union sein, deren Interes- könnten wir die erste gemeinsame NATO-EU-Übung erleben, mit der die Krisenreaktion harmonisiert und die Frühwarnsysteme verknüpft werden, z.B. indem die für Informations- und Kommunikationssicherheit zu- ständige NATO Computer Incidence Response Capabi- lity enger an die Computer Emergency Response Capa- bility (CERC) der EU angebunden wird. Diese Kooperation im Bereich der hybriden Kriegsführung könnte zu guter Letzt dazu führen, die Beziehung zwi- schen NATO und einer EU zu verbessern, die für eini- ge Zeit Mühe hatte, echte Kooperationen in Bereichen wie Ausbildung und Übungen, Forschung, Kapazitäten- aufbau und politische Beratung in Krisenzeiten einzu- richten. Man sollte darauf achten, welche Aussagen die Hohe Repräsentantin Federica Mogherini im Rahmen der Überprüfung der EU-Sicherheitsstrategie zur zu- künftigen Kooperation mit der NATO und zu einem Die NATO und die EU sitzen angesichts der Heraus- forderung des europäischen Integrationsprozesses durch Russland und der Bedrohung des europäischen Lebensstils und Wohlstands durch die Terrororganisati- on „Islamischer Staat“ (IS) und anderer Jihadisten im selben Boot. Daher erscheint es unvermeidlich, dass sich NATO und EU früher oder später annähern wer- Strategie gegenüber dem Süden Eine kohärentere westliche Strategie gegenüber dem Sü- den wäre eine der Konsequenzen einer verstärkten Ko- operation von NATO und EU. Eine solche würde an- gesichts des unaufhörlichen Migrationsstroms von Afrika, Syrien und dem Nahen Osten nach Europa und darüber hinaus dringend benötigt. Es ist klar, dass die derzeitigen Programme zum Kapazitätenaufbau im Be- reich Verteidigung für die Partnerländer nicht ausrei- chend sind. Die NATO hat solche Programme nur mit Jordanien und dem Irak, sie verfügt nach der Operation in Libyen 2011 über keine Präsenz in Nordafrika mehr. Der Mittelmeer-Dialog der NATO und die Istanbuler Kooperationsinitiative bedürfen einer Revitalisierung, und die Allianz benötigt engere Beziehungen mit auf- strebenden regionalen Organisationen wie der Afrikani- - operationsrat – und nicht zuletzt mit den Vereinten Nationen, die drei Viertel ihrer 115.000 Personen star- ken Friedenstruppe in afrikanische Länder entsendet hat. Für viele der südlichen NATO-Staaten sind die Bedro- hungen aus dem Süden sehr real und nahe, während sie Putins Russland eher als virtuelle Bedrohungen anse- hen, die – anders als Foreign Fighters und Rückkehrer NATO zu überschreiten oder Angriffe auf NATO-Ter- ritorium zu riskieren. Diese südlichen NATO-Staaten
  • 104. 102 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 werden 2016 auf einen Readiness Action Plan (RAP) für den Süden drängen. Sie werden sich nicht damit zu- frieden geben, dass alle Mittel dafür gebunden werden, einfordern, dass die Very High Readiness Joint Task Force, die abgestuften Reaktionspläne und das Netz- werk an Hauptquartieren in gleichem Maße für das Kri- senmanagement im Süden wie für die Kollektive Vertei- digung an anderen Plätzen einsetzbar sind. Der Erfolg NATO diese konkurrierenden Bedürfnisse der südli- chen mit jener der nördlichen Mitgliedsstaaten in Ein- klang bringt. Für das Jahr 2016 gilt es auch zu fragen, welche Rolle die NATO an der Seite der EU bei der Kontrolle des Migrationsstromes über das Mittelmeer, bei der Abhal- tung von Schmugglerbooten oder vielleicht auch durch wird – falls der VN-Sicherheitsrat solches zulässt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die NATO die gegenwärtige Active Endeavour Operation im Mittelmeer von einer Artikel 5 Operation in eine Stabilisierungsoperation entlang der Linien der Ocean Shield Anti-Piraterie-Mis- - leichtert das Zusammenwirken mit der EU. Chancen einer Koalition gegen die Terror- organisation „Islamischer Staat“ Angesichts der Zweifel über die Effektivität der aktuel- len Anti-IS-Strategie sowie der Feststellung, dass es sehr viel Zeit und harte Arbeit benötigen wird, um den „IS“ zu zerstören, sollte man nicht überrascht sein, wenn sich die USA und andere prominente Mitglieder der Anti-IS-Koalition an die NATO mit der Anfrage nach Unterstützung und Koordination wenden. Immer- hin geschah dies auch in Afghanistan und in Libyen. Da Russland seine militärischen Kräfte in Syrien weniger dazu einsetzt, den „IS“ zu bekämpfen, sondern eher dazu, um Baschar al-Assad zu retten, bräuchte der Ein- satz der NATO einiges an Koordination mit Russland. Wäre dies ein Weg, um Russland zurück in die europäi- sche Sicherheitskooperation zu bringen und den alten NATO-Russland-Dialog auf militärischer Ebene wie- derzubeleben? Ein Weg, der auch die Spannungen be- züglich der Ukraine abbauen könnte? Da Montenegro mit hoher Wahrscheinlichkeit 2016 eingeladen wird, das jüngste NATO-Mitglied zu werden, verbliebe Russland mit Blick auf die Allianz noch vieles, um sich zu be- schweren. Syrien und die Anti-IS-Kampagne könnten beiden Seiten eine offene Tür bieten, falls sie dies wün- „kann/könnte möglicherweise eintreten“ fallen, aber es wäre das interessanteste im Jahr 2016 und jenes mit den größten langfristigen Konsequenzen
  • 105. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 103 KERNPUNKTE • Die sicherheitspolitische Herausforderungen im Süden und Osten spalten die NATO. • Die Implementierung des Minsk II-Abkommen könnte die Lage in Ukraine deeskalieren. • Auf eine Stationierung von russischen Raketensystemen auf der Krim und in Kaliningrad würde die NATO mit verstärkter Präsenz in Osteuropa reagieren. • 2016 wird die NATO eine Strategie gegen hybride Kriegsführung annehmen. • Eine verstärkte NATO-EU-Kooperation könnte zu einer kohärenten westlichen Strategie gegenüber der MENA- Region führen. • Bei Eintritt der NATO in den Kampf gegen den „IS“ könnte der NATO-Russland-Dialog auf militärischer Ebene revitalisiert werden. KEY NOTES • The challenges in the South and East are divisive for NATO. • Implementation of the Minsk II agreement could deescalate the situation in Ukraine. • NATO would react to a deployment of Russian missile systems to Crimea and Kaliningrad by increasing its pre- sence in East Europe. • In 2016, NATO will adopt a strategy on hybrid warfare. • An enhanced NATO-EU-cooperation could lead to a coherent western strategy for the MENA region. • revitalized.
  • 106. 104 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Kollektive Verteidigung, Krisenbewältigung und kooperative Sicherheit bleiben die Kernaufgaben der NATO. Auch das war eines der wesentlichen Ergeb- nisse von Wales. Die 28 Staats- und Regierungschefs haben dort der Allianz den Weg gewiesen und den seit 1949 geltenden Anspruch unterstrichen, zu jedem Zeit- punkt jedweder Bedrohung der Sicherheit des nordat- lantischen Bündnisses begegnen zu können. NATO IM EINSATZ 2016 Josef D. Blotz und Marco Taedcke Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise hat die NATO im September 2014 auf ihrem Gipfel in Wales einen Kurs festgelegt, mit dem das Bündnis für aktuelle und kommende Herausforderungen besser aufge- stellt sein wird. Diese Initiative zeigt bereits erste greifbare Erfolge. Der nächste Gipfel in Warschau im Juli 2016 wird eine Zwischenbilanz ziehen und wei- tere Weichenstellungen vornehmen. Readiness Action Plan Die Mitgliedsstaaten des Nordatlantischen Bündnisses haben auf die Erschütterung des Sicherheitsgefüges Euro- pas durch Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim und seine Rolle in der Ostukraine richtungswei- sende Antworten gefunden. Rasch und sichtbar wurde den Mitgliedern im Osten der Allianz durch unmittelbare, konkrete Maßnahmen die Solidarität des gesamten Bünd- nisses demonstriert. Diese Maßnahmen, u. a. die verstärkte Sicherung des Luftraums über den baltischen Staaten, die Intensivierung des Übungsbetriebs sowie eine deut- lich erhöhte Präsenz der ständigen maritimen Einsatzver- bände der NATO in der Ostsee und im Schwarzen Meer werden in 2016 fortgeführt. Auch Eventualfallplanungen zur besseren Reaktion auf potentielle Krisen gehören zum Maßnahmenpaket.
  • 107. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 105 Über diese und weitere Rückversicherungsmaßnah- men hinaus geht es der NATO im Readiness Action Plan (RAP) um langfristige Anpassungen und Weiterentwick- lungen. So wird die Reaktionsfähigkeit der Allianz durch die Schaffung der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) verbessert. Hierfür liefern die Erfahrungen mit dem Interim VJTF Testbed aus 2015 wertvolle Impulse. Das VJTF-Konzept, Teil einer verbesserten NATO Res- ponse Force, sieht den raschen Einsatz von Heeres-, Luft- waffen-, Marine- und Spezialkräften innerhalb weniger Tage vor, um auf Herausforderungen an der gesamten - ente Aufnahme dieser Kräfte zu gewährleisten, werden in einigen Mitgliedsstaaten NATO Force Integration Units aufgestellt. NATO-Einsätze Außer in der Umsetzung des RAP manifestiert sich die Wahrnehmung der Kernaufgaben weiterhin und beson- ders sichtbar in den NATO-Einsätzen. In Afghanistan hat nach Beendigung der ISAF-Mis- sion die Dekade der Transformation begonnen. Für den mit Abstand größten und wichtigsten Einsatz der Alli- anz, die Operation „Resolute Support“ (RS), wird sich die Unterstützung des afghanischen Sicherheitssektors auf die Ebene nationaler Institutionen wie Ministerien fokus- sieren. Zudem wird der Übergang in eine an die afghani- - ler Führung gestaltet. Die afghanischen Sicherheitskräfte hatten im ersten Jahr nach Übernahme der Sicherheits- verantwortung intensive und verlustreiche Kämpfe zu bestehen. Ihre Entwicklung weist trotz vereinzelter Rück- gilt das Hauptaugenmerk der anhaltenden Unterstützung durch die NATO und ihre Partnernationen. Die Dauer von RS hängt von der Entwicklung des afghanischen Sicherheitssektors ab. Flexibilität seitens der Truppenstel- ler ist geboten. Wie in Afghanistan so beteiligt sich Österreich auch im Kosovo an einem NATO-Einsatz. Die Sicherheitslage dort hat sich deutlich verbessert. In der Folge konnte die Allianz ihren „Kosovo Force“ (KFOR)-Einsatz in Rich- Der weitere Fortschritt hängt maßgeblich von politischen Entwicklungen ab, insbesondere von der Implementierung der Belgrad-Pristina-Übereinkunft. KFOR wird auch 2016 einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung dieses Prozes- ses leisten. Der Einsatz der NATO am Horn von Afrika, die Opera- tion „Ocean Shield“ (OOS), leistet seit Jahren einen wich- tigen Beitrag zu den internationalen Bemühungen zur Bekämpfung der Piraterie und zur Fähigkeitsentwick- lung regionaler Regierungen. Die Mission trägt Früchte: Region sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings geht von den somalischen Piraten weiterhin eine Bedrohung für die Schifffahrt aus. Daher wird OOS 2016 fortgesetzt. Seit ihrem Beginn im Jahre 2002 hat sich die Antiterror- Operation „Active Endeavour“ (OAE) im Mittelmeer ständig weiterentwickelt. Wenn die Zusammenarbeit mit militärischen und zivilen Stellen der Mittelmeeranrainer fortgesetzt und intensiviert werden kann, wird die NATO mittelfristig eine überwiegend koordinierende Rolle wahr- nehmen. Mittelfristig wird es darum gehen, die Erfolge von OOS und OAE zukunftssicher zu machen. Die Umsetzung der Erkenntnisse aus beiden Einsätzen für den Aufbau und die Aufrechterhaltung von Maritime Situatio- nal Awareness spielt dabei eine Schlüsselrolle.
  • 108. 106 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Partner und Kooperation In den Einsätzen der NATO spielen Partner seit lan- gem eine substanzielle Rolle, die weit mehr ist als eine quantitative Entlastung der Alliierten. Das Wissen und die Erfahrung, die von Partnern eingebracht werden, reich leistet zu dieser Entwicklung seit vielen Jahren einen wichtigen und geschätzten Beitrag. Diesen Weg gilt es auch in den kommenden Jahren in vertrauensvol- lem Umgang und mit kontinuierlich verbesserter Inter- operabilität gemeinsam zu gehen. Die „Interoperability KERNPUNKTE • Die NATO hat auf die Erschütterung des Sicherheits- gefüges Europas durch Russlands völkerrechtswidri- ge Annexion der Krim und seine Rolle in der Ostukra- ine richtungsweisende Antworten gefunden. • Die Wahrnehmung der Kernaufgaben der NATO ma- nifestiert sich auch in ihren Einsätzen. • Bei „Resolute Support“ in Afghanistan geht es um die Unterstützung der nationalen Institutionen. • Die „Kosovo Force“ wird auch 2016 einen wichtigen Beitrag zur Implementierung der Belgrad-Pristina- Übereinkunft leisten. • Fortschritte bei der Maritime Situational Awareness sichern den Erfolg der maritimen Einsätze. • In den Einsätzen der NATO spielen Partner seit lan- gem eine substanzielle Rolle, die weit mehr ist als eine quantitative Entlastung der Alliierten. • Österreich leistet als NATO-Partner seit vielen Jah- ren einen wichtigen und geschätzten Beitrag. weit mehr ist als eine der Alliierten ie von Pa istet z n wic ilt es lem • Beit berein hritte b Erfolg de er NATO spie ie weit mehr ist als operabilität gemeinsam zu gehen. Die „Interoperability KTE auf die Erschütterung des Sicherheits- s durch Russlands völkerrechtswidri- rim und seine Rolle in der Ostukra- de Antworten gefunden. Kernaufgaben der NATO ma- en Einsätzen. Afghanistan geht es um alen Institutionen. 016 einen wichtigen Belgrad-Pristina- al Awareness ze. seit Platform“ bietet hierzu ein geeignetes Format. Einige Partner haben darüber hinaus die Möglichkeit ergriffen, die Zusammenarbeit durch das Enhanced Opportuni- ties Program zu intensivieren. In der Kooperation mit Internationalen Organisatio- Kooperation zwischen NATO und EU wird durch die jeweiligen Mitgliedsstaaten festgelegt. Hierbei ergeben sich auch für Österreich gute Möglichkeiten der konst- KEY NOTES • NATO took landmark decisions in answer to Russia’s illegal annexation of Crimea and its role in Eastern Ukraine, both of which negatively impacted European security architecture. • NATO’s accomplishment of core tasks manifests itself in its operations. • The “Resolute Support” mission in Afghanistan aims to support national institutions. • In 2016 the “Kosovo Force” will continue to play an important role in the implementation of the Belgrade-Pristina-Accord. • Progress concerning Maritime Situational Awa- reness will ensure the success of maritime operations. • Partners play a substantial role within NATO opera- tions, far beyond being mere quantitative relief for the Allies. • As a NATO partner of many years standing, Austria is an important and much appreciated contributor.
  • 109. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 107 NUKLEARE NATO-POLITIK 2016 Karl-Heinz Kamp In den letzten zwei Jahrzehnten waren Kernwaffen bestenfalls eine Randerscheinung europäischer Si- cherheitspolitik. Das hat sich durch Moskaus Ag- gression grundlegend geändert. Eine Debatte über nukleare Abschreckung wird Ende 2016 einsetzen – allerdings wird es nicht zu einer nuklearen „Nach- rüstung“ auf Seiten der NATO kommen. Zurück in der „Artikel-5-Welt“ Das Jahr 2014 hat die sicherheitspolitische Lage in Europa fundamental verändert. Russlands Annexion der Krim und seine demonstrative Abwendung von der Idee einer Partnerschaft mit dem „Westen“ erfordern eine Neuaus- richtung transatlantischer Außen- und Sicherheitspoli-
  • 110. 108 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 tik. Die NATO steht vor der Herausforderung, einerseits gegenüber Moskau Abschreckung und Verteidigungs- bereitschaft zu demonstrieren, andererseits die Situation nicht unnötig zu eskalieren. Im Bereich der konventionellen Streitkräfte gelang das bis- lang überraschend gut. Die Allianz einigte sich auf ein breites Spektrum von Maßnahmen zur Verbesserung ihrer militärischen Verteidigungsfähigkeit. Bei den Nuklear- waffen tut sich die NATO naturgemäß schwer, hat doch die Russland-Krise die unterschiedlichen Positionen im Bündnis noch verschärft. Erst 2012 hatte man sich unter Schmerzen auf ein Abschreckungskonzept mit dem Titel „Deterrence and Defense Posture Review“ (DDPR) geei- nigt und die Frage nach den in Europa stationierten ame- rikanischen Atomwaffen unter den Tisch gekehrt. Heute wünscht sich gerade Osteuropa eine harte nuk- leare Antwort, nicht zuletzt weil Russland seit mehre- ren Jahren in seinen Manövern Kernwaffeneinsätze etwa gegen Polen simuliert. Demgegenüber versuchen Länder mit einer nuklearkritischen Öffentlichkeit wie Deutsch- land oder die Niederlande Fragen der nuklearen Abschre- ckung weitmöglich zu umgehen. Die USA sind gespalten: Bis 2015 brauchte Washington die Unterstützung Mos- kaus für ein Nuklearabkommen mit dem Iran. Auch hat die Obama-Administration signalisiert, dass sie vor dem keine Nukleardebatte im Bündnis wünscht, um die Chan- cen der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen nicht zu schmälern. Nukleare Wahrscheinlichkeiten - lage ist für 2016 und danach mit einer Reihe von nuklear- relevanten Entwicklungen zu rechnen: Obgleich Atomwaffen als Machtwährung in den inter- nationalen Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krie- ges erheblich an Wert verloren haben, wird Russland wei- ter seine Kernwaffen in den Vordergrund stellen. Sie sind für Moskau – neben ihrer Funktion als Kompensa- tion für fehlende konventionelle Stärke – ein Mittel, um - len. Auch sind sie letztes verbliebenes Zeichen russischer Weltgeltung. Damit kommt den amerikanischen Nuklearwaffen (und - nuklearen NATO-Mitglieder und deren europäische Part- ner wie Österreich oder Schweden müssen sich der Regeln und Dilemmata nuklearer Abschreckung erinnern. Aller- dings hat man es, anders als im Kalten Krieg, nicht mit einer hochgerüsteten Sowjetunion zu tun, sondern mit einem konventionell der NATO unterlegenen Russland, - greifen könnte. sich nicht mit Hilfe nuklearer Rüstungskontrolle einhegen - den seit jeher einer Begrenzung seiner so genannten sub- strategischen Kernwaffen in Europa widersetzt. Es kann sein, dass sich diese Haltung in den kommenden Mona- in der Ukraine dürften die osteuropäischen NATO-Mit- glieder nukleare Vereinbarungen mit Russland ebenfalls ablehnen. Angesichts der grundlegend veränderten Weltlage ist eine Diskussion über die Rolle und Ausgestaltung des Nuklear- potentials der NATO zwingend. Das derzeit gültige Stra-
  • 111. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 109 tegiedokument, die DDPR, fußt auf Voraussetzungen, die heute nicht mehr gelten – wie etwa die Partnerschaft mit Russland. Dennoch lehnen es wichtige NATO-Mitglieder schau zu erörtern. Damit dürfte eine Nukleardebatte in der NATO erst nach dem Treffen der Staats- und Regierungs- chefs oder nach den amerikanischen Präsidentschaftswah- len einsetzen. Ungeachtet der amerikanischen Vorwürfe, Russland würde den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittel- streckensysteme (INF-Abkommen) verletzen, gilt es als weitgehend ausgeschlossen, dass die NATO mit einer Sta- tionierung neuer Atomwaffen oder nuklearer Trägersys- teme reagiert – auch wenn der britische Außenminister Philip Hammond die Verlegung amerikanischer nuklea- Stattdessen könnten mehr nukleare Übungen, eine Erhö- hung der nuklearen Reaktionsfähigkeit oder auch Flüge zen als Symbole nuklearer Ab-schreckung debattiert werden. Letztlich dürfte der in der NATO seit Jahren laufende Pro- zess einer Delegitimierung von Kernwaffen nun gestoppt sein. Zwar werden die USA und andere Bündnispartner nicht explizit von dem 2008 von Präsident Barack Obama verkündeten Ziel einer atomwaffenfreien Welt abgehen. In der Praxis wird diese Vision aber kaum noch verfolgt werden. KEY NOTES • Russia has mutated from an alleged partner of NATO to its opponent. • NATO’s nuclear concept has therefore lost its foundation. • NATO members and their partner countries have to re-experience the principles and requirements of nuclear deterrence. • This does not require new nuclear weapons in the West. • Instead, the nuclear core question of how to deter whom and when should once again be debated in the alliance. KERNPUNKTE • Russland ist vom vermeintlichen Partner zum Geg- ner der NATO mutiert. • Das Nuklearkonzept der NATO hat damit seine Grundlage verloren. • Die Prinzipien und Erfordernisse der nuklearen Ab- schreckung müssen von den NATO-Mitgliedern und deren Partnerstaaten wieder neu gelernt werden. • Das erfordert keine neuen Nuklearwaffen auf west- licher Seite. • Stattdessen muss die nukleare Kernfrage, wie man wen und womit abschreckt, wieder im Bündnis de- battiert werden.
  • 113. RISIKO- UND KONFLIKTBILD FÜR EUROPA 2016 „Der neutrale EU-Mitgliedsstaat Österreich ist von sta- bilen demokratischen Staaten umgeben. Zugleich liegt Österreich Krisenregionen an den Rändern Euro- Eine unmittelbare konventionelle militärische Bedro- hung des österreichischen Staatsgebietes ist zumin- dest mittelfristig nicht absehbar. Zu berücksichtigen sind aber ein konventionelles Restrisiko sowie aktuelle und mögliche künftige bewaffnete Auseinandersetzun- gen mit militärischen Mitteln im Umfeld der EU. Solche derungen für die EU und Österreich sowie ihre politi- im europäischen Umfeld vermehrt mit hybriden Metho- den ausgetragen werden.“ (Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 7)
  • 114. 112 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Ausgangsbedingungen Eine im Auftrag des Europäischen Parlaments und des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres 2015 erschienene vergleichende Studie führt die Ergeb- - chenland, Irland, Italien, Spanien und Portugal über die Folgen der Finanzkrise und der Austeritätspolitiken zusammen und analysiert deren Auswirkungen auf die Ländern kam es zur Reduktion von Lehrern an den Schu- SOZIALE SICHERHEIT UND GESELLSCHAFTLICHE STABILITÄT IN EUROPA 2016 Martin Schenk Dieser Beitrag nimmt die maßgeblichen Indikatoren sozialer Sicherheit in den Blick und stellt sie in den Kontext der sozioökonomischen Entwicklungen in Europa. Basierend auf den Forschungsergebnissen zu Le- bensqualität, Public Health und sozialen Lebenslagen werden die Trends für Österreich 2016 entworfen. - chenland wurden Schulen nicht mehr beheizt und Schul- standorte geschlossen. In Spanien sparte man bei der - - dersterblichkeit stieg an, die Wartezeiten für Operationen sind explodiert, auch in Spanien, Irland und Zypern. Mit der Finanzkrise erhöhte sich die Suizidrate wieder euro- paweit, besonders die von den sozialen Folgen der Krise betroffenen Länder verzeichnen einen Anstieg.
  • 115. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 113 Statusstress, Gewalt, soziale Ghettos Die Life Quality-, Public Health- und epidemio- logische Forschung hat eine Reihe von Wirkungs- zusammenhängen aufgezeigt. Je größer die Unter- schiede zwischen arm und reich, desto schlechter die Lebensqualität von Kindern (UNICEF). Kommt es zu einer sozialen Polarisierung, folgen mehr chroni- sche Krankheiten und eine geringere Lebenserwar- tung, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Sta- tus-Stress, weniger Vertrauen, mehr Schulabbrecher, Resilienz: Psychosoziale Ressourcen - ter entwickeln sich die psychosozialen Ressourcen. Es ausgeschlossen zu sein. Es gibt weniger Partizipation, „Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschafts- kraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusam- menhalt und schafft politische Instabilität – aber sie ist nicht unausweichlich“ (OECD). Österreich: Haushaltseinkommen stabil Für Österreichs fällt auf, dass die Haushalteinkom- men insgesamt in den letzten Jahren stabil blieben. Auch die Einkommensarmut blieb konstant (Statis- tik Austria). Ohne Sozialleistungen wären auch mitt- lere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegs- gefährdet. Sozialstaatliche Leistungen wirken als automatische Stabilisatoren: Während Industriepro- duktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist einzig der Kon- sum der privaten Haushalte stabil geblieben, teilweise sogar gestiegen. Faktoren Die Entwicklung sozialer Sicherung und gesellschaftli- cher Stabilität wird von mehreren Faktoren geleitet: Wo wird investiert, wo wird im Budget gekürzt? Wie stark steigt die Arbeitslosigkeit? Welche konjunkturelle Ent- wicklung zeichnet sich ab? Wieviel leistbarer Wohnraum steht zur Verfügung? Welche Anstrengungen sozialer Integration gelingen in der Schule? Wie wird der demo- graphischen Entwicklung begegnet? Konsequenzen für Österreich Die neuen sozialen Risiken – „New Social Risks“ – liegen quer zu den klassischen Risiken sozialstaatlicher Siche- rungssysteme: neue Selbständige, prekäre Beschäftigung, Die Arbeitslosigkeit wird zunehmen. Die schwache Kon- junktur, ein hohes Arbeitskräfteangebot und geringe Erwartungen wie Investitionen werden den Druck am Arbeitsmarkt verstärken. Prekäre Beschäftigung wird zunehmen. Schon jetzt leben an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern. - biographien sind hier die Stichworte. Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich auch in nicht-existenzsi- chernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder.
  • 116. 114 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Soziale Aufstiegschancen werden blockiert. Die soziale Herkunft entscheidet in Österreich überaus stark den wei- teren Bildungsweg. Reformen, die stärkere sozial integra- tive Akzente in der Schule setzen, werden möglicherweise veranlasst, sind aber nicht sofort 2016 wirksam. Es kann dazu kommen, dass zu geringe Investitionen in gen alleine lassen und Potentiale im Dienstleistungssek- tor brach liegen. Das verschärft die demographischen gendwo im Sozialsystem gibt es so hohe Selbstbehalte, nirgendwo wird so rigoros auf das eigene Vermögen und gebedürftigkeit. Die sozialen Dienstleistungen wie Kin- EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im Es kann zu einem weiteren Anstieg psychischer Erkran- kungen kommen. Die Krankenstandstage wegen psychi- scher Erkrankungen sind in Österreich um über 70 % seit 1990 gestiegen. Von allen in Österreich verschriebenen Psychopharmaka machen Antidepressiva mittlerweile fast die Hälfte aus. Die Kosten für Psychopharmaka haben sich bei den Krankenkassen seit 1995 verdoppelt. Von denjenigen, die Antidepressiva beziehen, gehören Arbeits- ialsystem o wird sich jenigen KEY NOTES • school dropouts, fuller prisons, more violence, and more social ghettos. • Social Services act as stabilizers. • household consumption has remained stable. • A weak economy, a large labour supply, and low expectations of investments will increase the pressure on the la- bour market. • Catchphrases such as I-Incorporated or Generation Internship, as well as biographies of social relegation indicate precarious working conditions. • Social services such as child care or nursing are below the EU average in Austria. • The numbers of work days lost due to mental disorders have sharply increased in Austria. KERNPUNKTE • Kommt es zu einer sozialen Polarisierung, folgen eine geringere Lebenserwartung, mehr Status-Stress, weniger Vertrauen, mehr Schulabbrecher, vollere Gefängnisse, mehr Gewalt und mehr soziale Ghettos. • Sozialstaatliche Leistungen wirken als automatische Stabilisatoren. • Während Industrieproduktionen, Exporte und Investitionen in Folge der Finanzkrise stark gesunken sind, ist ein- zig der Konsum der privaten Haushalte stabil geblieben. • Die schwache Konjunktur, ein hohes Arbeitskräfteangebot und geringe Erwartungen wie Investitionen werden den Druck am Arbeitsmarkt verstärken. • Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien weisen auf prekäre Arbeitsverhältnisse hin. • • Die Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen sind in Österreich stark gestiegen.
  • 117. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 115 KRISEN UND KONFLIKTE IM EUROPÄISCHEN UMFELD 2016 Walter Feichtinger Mit den Umbrüchen im arabischen Raum 2011, der Annexion der Krim durch Russland und folgenden gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Ostukra- ine 2014 sowie dem Festsetzen der Terrororganisa- tion „Islamischer Staat“ (IS) haben sich die Rahmen- bedingungen für die Sicherheit Europas sukzessive verschlechtert. Es ist ein großer Krisenbogen aus der sich von Osteuropa über den Süd-Kaukasus, den Mittleren Osten und Nordafrika bis in die Sahel- zone erstreckt. Terroranschläge und Drohungen ge- gen den Westen sind ein starker Indikator für diese Entwicklung, Flüchtlingsströme Richtung Europa Osteuropa und Südkaukasus Das mühsame Ringen um Stabilität und Ausgleich in der Uk- raine wird sich auch 2016 äußerst schwierig gestalten. Der Normalisierungsprozess kommt nur mühsam voran, aller- dings sind die Kampfhandlungen seit September 2015 ausge- setzt, und der mit großer Verspätung erfolgte Rückzug der schweren Waffensysteme auf beiden Seiten wirkt ermutigend. Das sollte aber nicht den Blick auf andere ungelöste gelten: Moldawien und die abtrünnige Provinz Transni- strien, Berg-Karabach als schwelendes Problem zwi- schen Armenien und Aserbeidschan sowie die erhebli- Folge der militärischen Auseinandersetzung 2008. - stanten Perspektivenlosigkeit weiterhin äußerst kon- - Als problematisch könnte sich dabei die Überlagerung zwischen Russland und Europa bzw. den USA erweisen. - ruhigt, die weitere Entwicklung hängt maßgeblich vom Verhalten Russlands ab. Der derzeit fragile Zustand könnte 2016 halten, aber auch rasch kippen. Europa und damit auch Österreich sind in Folge der Sanktionen derzeit primär wirtschaftlich betroffen. Allerdings wür- de jede neuerliche Eskalation in der Ukraine zu einer
  • 118. 116 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Verschärfung der Sanktionen und zum verstärkten Auf- bau militärischer Abwehrkapazitäten gegenüber Russland führen. Damit ginge vermutlich auch eine dauerhafte Sta- tionierung von NATO-Truppen in Osteuropa einher. Eine weitere Destabilisierung der Ukraine geriete zu deren in- nenpolitischer Zerreißprobe, die vor allem die EU poli- tisch, sicherheitspolitisch, energiepolitisch und wirtschaft- lich vor ungeahnte Herausforderungen stellen würde. Mittlerer Osten und Nordafrika Die Umbrüche im arabischen Raum haben zu einer Desta- bleiben a) der seit Mitte 2014 ausgetragene bewaffnete libyschen Regierung in Tobruk und der international nicht der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien sowie c) der Krieg im Irak und in Syrien gegen den IS. Kritisch deshalb, weil es sich in Syrien immer offener um einen Stellvertreterkrieg der Regionalmächte handelt, der nur durch einen Mini- malkonsens aller Akteure zu einer Verhandlungslösung führen kann. Verschärfend wirken die extreme Internatio- nalisierung des Bürgerkriegs in Syrien durch das Eingrei- fen Russlands und der USA mit ihren Verbündeten sowie der Türkei-interne „Krieg“ gegen die Arbeiterpartei Kur- distans (PKK). Das Jahr 2016 könnte einen Höhepunkt in all diesen Auseinandersetzungen bringen, wobei sich an der militärischen Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak zunehmend auch europäische Staaten beteiligen werden. Neben Vermittlungsversuchen ist daher auch von einer - fen ist. - strom aus dem Kriegsgebiet und nach Europa verstär- ken, europäische Staaten entlang der Balkanroute und in weiterer Folge Österreich und Deutschland werden daher unverändert gefordert sein. Außerdem wird die EU einen wesentlichen Beitrag zur Linderung der hu- manitären Katastrophe und zur Flüchtlingsbetreuung etwa in der Türkei und im Libanon zu leisten haben. Je länger der Ansturm anhält, desto mehr werden die bilateralen Beziehungen zwischen einigen Westbalkan- staaten strapaziert – das kann eine bessere Zusammen- arbeit, aber auch nachhaltige Spannungen bringen. Der kritische Prüfstein innerhalb der EU wird sein, ob eine zufriedenstellende Verteilung der Flüchtlinge gelingt oder ob dies zu einer ernsthaften Spaltung führt. Be- sonders Deutschland, Schweden und Österreich stehen zusätzlich vor zwei zentralen Herausforderungen: der Integration der enormen Zahl an Aufnahmewerbern - feindlicher Strömungen. Die gesellschaftliche Wider- standskraft und der Erhalt des sozialen Friedens werden dabei immer bedeutender werden. Zusätzlich ist Europa ins Visier der Dschihadisten gera- ten. Der Appell des selbsternannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi, den Kampf „zu Hause“ zu führen, wird vermutlich von einzelnen selbstradikalisierten Personen wie auch von größeren Terrorzellen als Auftrag für möglichst Aufsehen erregende Anschläge verstanden. Die Terrorgefahr ist daher deutlich gestiegen und erfor- dert eine verbesserte Zusammenarbeit in allen sicher- heitsrelevanten Bereichen. Erweiterte Sahelzone als Die Überschwappeffekte der Umbrüche im arabischen Raum Richtung Sahel mit den Zentren Mali und Zent- ralafrikanische Republik werden anhalten. Machtkon- - nalem Terrorismus, z.B. bei den Staaten um den
  • 119. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 117 KERNPUNKTE • Die Situation in Osteuropa erfordert eine eigenstän- dige EU-Positionierung auf Basis europäischer Inte- ressen und eine Neuordnung des Verhältnisses zu Russland. • Die Herausforderungen entlang der Balkanroute be- legen, dass eine rasche Integration dieser Staaten in die EU unverzichtbar ist. • Die erwartbare Gewalteskalation in Syrien und im Irak wird zu einem Anhalten der Fluchtbewegungen führen und die Terrorgefahr in Europa erhöhen. • Die Situation in Libyen erfordert ein verstärktes En- gagement der internationalen Gemeinschaft, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen, das Entste- hen eines „Zweiten Islamischen Staates“ zu verhin- dern und dem Migrationsproblem vor Ort begegnen zu können. • Die erweiterte Sahelzone bedarf einer nachhaltigen Konsolidierung, die ein internationales und europäi- sches Engagement erfordert. • Die EU wird angesichts der aktuellen Problemlagen als Zusammenarbeitsrahmen weiterhin an Bedeu- tung gewinnen. Tschad-See. Infolge der funktionalen Schwäche dieser Staaten wird internationale Unterstützung bei der Stabi- lisierung und beim Aufbau eigener Kapazitäten auch mittelfristig vonnöten sein. Angesichts der steigenden Terrorismusgefahr, einer Verfestigung der transnationa- len Organisierten Kriminalität und der Bedrohungen für die Bevölkerung kann dabei von einem zwingend erforderlichen Stabilitätstransfer gesprochen werden. Der Westen – Europa und die USA – hat sich neben Li- byen auch verstärkt den Herausforderungen in der Sa- helzone zu stellen, wo eine Eindämmung des IS, die Bekämpfung der transnationalen organisierten Krimi- nalität sowie eine Stärkung afrikanischer Kapazitäten im Vordergrund stehen. Die EU wird daher ihre Frie- denseinsätze in der Region – in Abstimmung mit den VN-Missionen – weiter ausbauen, um Rückfälle zu ver- meiden. Europäische Staaten wie Österreich können sich nach eigenem Ermessen an diesen EU- und VN- Einsätzen auch mittel- und langfristig beteiligen, um stabile Verhältnisse und wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen und damit auch dem Migrationsdruck entgegenzuwirken. KEY NOTES • The situation in Eastern Europe requires an inde- pendent EU position on the basis of European inte- rests, as well as a realignment of the relationship with Russia. • The challenges along the Balkans route prove that a fast integration of these states into the EU is essential. • The (to be expected) escalation of violence in Sy- ria and Iraq means that the refugee movements will continue and that the danger of terrorism in Europe will increase. • The situation in Libya requires increased commit- ment of the international community to achieve a negotiated settlement, to stop the development of a Second Islamic State, and to confront the migration problem in situation. • The larger Sahel Zone requires a sustained conso- lidation; this requires international and European commitment. • Given the current problems, the EU will gain in im- portance as a frame of cooperation.
  • 120. 118 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die Attentate des Jahres 2015 in Frankreich erin- nerten Europa erneut schmerzlich daran, dass ter- roristische Netzwerke auf dem Kontinent aktiv sind. [Anmerkung der Redaktion: der Beitrag wurde vor den Anschlägen des 13. November 2015 verfasst.] Diese Anschläge haben klar gemacht, dass Europas Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus noch nicht voll wirksam sind und vergleichbare Anschläge für 2016 zu erwarten sind. Sie werden vermutlich eine TERRORISMUS IN EUROPA 2016 Louise Shelley In Europa herrscht sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene ein starres System der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung, dem keine effektive Strategie zugrunde liegt. Mangelnde Finanzierung und Integration der Terrorismusbekämpfung werden 2016 eine größere Zahl potentieller Terroristen in die Lage versetzen, in Europa Anschläge zu ver- üben, wobei das Problem durch die Rückkehr von Kämpfern nach Europa verschärft wird.
  • 121. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 119 begrenzte Anzahl von Opfern fordern, an öffentli- - cherweise mit Sprengstoff ausgeführt werden. In der Vergangenheit waren etwa Schulen, Züge und Super- märkte das Ziel von Anschlägen, und sie werden das auch in Zukunft sein. Die kriminelle Vorgeschichte der künfti- gen Terroristen Die Terroristen des Jahres 2016 werden wie ihre Vorgänger des Jahres 2015 einzeln oder in klein- en Netzwerken operieren und eine kleinkriminelle Vorgeschichte aufweisen. Sie werden aber durch die Ritzen des Sicherheitsapparats fallen, da die Europäis- und kriminellen Netzwerken einschließlich des Dark Web nachzuspüren; Letzteres ist immer mehr der Ort von Kriminalität. Europa muss umdenken und die Bekämpfung des Terrorismus verstärkt auf diese Phänomene und ihre Wechselbeziehungen abstellen. Wie werden diese Terroristen ihre Tätig- Zu lange hat sich Europa auf die Finanzierung des Terrorismus durch Drogen konzentriert. Damit hat es - händlern wie jenem, der den Anschlag auf den Tha- lys-Zug von Paris nach Amsterdam im August 2015 verübt hat, beschäftigt. Vergangene und künftige Ter- roristen sind aber eher in kleinkriminellen Handel mit Waren wie etwa Fälschungen, Handys, Zigaretten, Lebensmitteln und Textilien verstrickt. So handelte etwa einer der Kouachi-Brüder, die den Anschlag auf Charlie Hebdo im Jänner 2015 verübt haben, mit gefälschten Turnschuhen und geschmuggelten Zigaretten. Dergleichen wird wohl auch die Einnahm- equelle künftiger Terroristen in Europa sein. Was ist gegen die Finanzierung des Ter- rorismus in Europa zu unternehmen? Erk- enntnisse aus der Wirtschaft haben zum Verständnis beigetragen. Nike warnte die französische Regierung, dass einer der Kouachi-Brüder gefälschte Turnschu- he verkaufte und Zahlungen nach China überwies. Nachdem US-Behörden Informationen von Firmen erfolgreich genutzt haben, sollte solche Zusamme- narbeit auch in Europa in breiterem Maße dazu die- nen, die Finanzierung von Terrorismus zu verhindern. Abgesehen von Firmendaten können öffentlich-pri- - er Analyseteams ermöglichen, die Trends und Muster - ungen zum Schwarzhandel – aufdecken. Interpol ist damit befasst, aber auf europäischer Ebene könnte – unter Wahrung der Rechte des Einzelnen – durchaus mehr geschehen. Die milden Strafen für Schwarzhandel mit Konsumgütern haben diese zu einem wichtigen Wachstumsgebiet für die Finanzierung von Terrorismus gemacht, und zwar sowohl global als auch in Europa, wo viele dieser Waren hoch besteuert werden. Die Europäer sollten Den Schwarzhandel gibt es im Internet seit vielen Jahren. Laut Europol hat es in den letzen Jahren ein enormes Wachstum des Dark Web gegeben, in das der Zugang über die Plattform „Tor“
  • 122. 120 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Europa wird 2016 höchstwahrscheinlich vermehrt Ziel kleinerer terroristischer Anschläge sein. • Die Bekämpfung von transnationaler Kriminalität und Terrorismus wäre zu integrieren. • lem Schwarzhandel als Finanzierungsquelle des Ter- rorismus nachspüren. • Illegale Netzwerke, insbesondere das Dark Web und die Geheimwährungen, sind stärker zu überwachen. • Terrorismusbekämpfung ist eine Aufgabe nicht nur für Regierungen und internationale Organisationen, sondern auch für Firmen und Bürger. und spezielle Portale möglich ist, durch die man in eine Welt gelangt, in der zumeist Illegales verkauft sind, die diesen illegalen Handel erleichtern. Deshalb muss sich die EU mehr mit dem Dark Web und seinen des Terrorismus zu bekämpfen. Bei der Bekämp- fung des Terrorismus müssen die ihn unterstützenden den. Dies kann durch die Ausforschung der illegalen Netzwerke und der Hauptunterstützer sowohl krim- ineller als auch terroristischer Aktivitäten geschehen. portspezialisten. Es können auch Firmen innerhalb der EU sein, die Basischemikalien für Drogen, Fil- ter für gefälschte Zigaretten und Banker, die bei der KEY NOTES • In 2016, Europe will most likely become the target of small-scale terrorist attacks. • should be integrated. • • Illicit networks, especially the Dark Web and its cryptocurrencies, should be kept under enhanced surveillance. • Countering terrorism is not only the task of govern- ments and international bodies, but also of corpora- tions and citizens.
  • 123. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 121 FLUCHT UND MIGRATION NACH EUROPA 2016 EUROPAS SCHICKSAL ENTSCHEIDET SICH AN DER FLÜCHTLINGSKRISE Ángel GurrÍa In den vergangenen Monaten ist auf nationaler und europäischer Ebene viel geschehen, um die Flücht- lingskrise in Europa zu bewältigen. Es muss aber noch weit mehr passieren, denn die Zahl der Men- Diese Krise ist eine der größten Herausforderungen für die EU seit der Gründung der Europäischen Wirt- schaftsgemeinschaft 1957. Sie hat das Potential, Grundpfeiler der EU ins Wanken zu bringen, darun- ter die außenpolitische Agenda. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen sich schnell auf eine koordinierte und konsequente Strategie ei- Die schlimmste Flüchtlingskrise seit Jahrzehnten Die aktuelle Flüchtlingskrise ist beispiellos, ihre menschlichen Kosten sind verheerend und inakzepta- bel. Schon die Zahlen für das Jahr 2015 zeichnen ein nigen – eine Strategie für ein wirtschaftlich, sozial und politisch starkes Europa. Andernfalls riskieren wir, das europäische Projekt und unsere globale Führungsposition zu schwächen.
  • 124. 122 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 düsteres Bild: Über eine Million Migrantinnen und Migranten sind in Europa registriert, die Hälfte von ihnen hat Flüchtlingsstatus. In den ersten acht Mona- ten bildeten Asylsuchende aus Syrien mit 18 Prozent die südlichen Afrika und Südasien kamen viele Menschen. Einige europäische Länder sind besonders exponiert. Sie bilden das Haupteingangstor zur EU – wie Kroa- zugtes Ziel, wie etwa Deutschland, Österreich und Schweden. In anderen EU-Ländern ist die Krise bisher noch kaum zu spüren. Diese Unterschiede haben eine päischer Ebene bisher verhindert. Dazu kommt, dass sowohl Migranten als auch Schleuser ihre Netzwerke und Strategien permanent ändern. Europa hat Mittel und Erfahrung genug, Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben europä- ische Länder unerwartete Wanderungswellen erlebt. In den 1970er Jahren kamen die Boat-People aus Viet- maligen Jugoslawien und Anfang des 21. Jhd. jene aus dem Irak und aus Afghanistan. In ihrem Umfang, wenn die aktuelle Krise an die Rückwanderung französi- scher oder portugiesischer Kolonistinnen und Kolonis- ten in den 1960er und -70er Jahren oder an die Ankunft von gut drei Millionen ethnischen Deutschen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. In allen Fäl- len schafften es die Länder nicht nur, die unmittelba- ren Herausforderungen zu bewältigen, sondern sie pro- Einwanderern. Mit Blick auf die Zahl der Asylsuchenden, ihre Zusammensetzung und die Bedingungen, unter denen sie nach Europa gekommen sind, ist die Aufgabe, vor der wir heute stehen, gewaltig. Allerdings sind die europäischen Institutionen und Koordinationsmecha- nismen inzwischen wesentlich ausgefeilter. Das glei- che gilt für die Integrationspolitik und -infrastruktur. Im Rahmen der jüngsten Krise hat die Politik Wege gefunden, auf dem Meer Menschenleben zu retten, Notunterstützung für Flüchtlinge und Asylsuchende und das EU-System zur Verteilung der Ankommen- den zu verbessern. Dieser Weg muss weiter beschrit- ten werden – in einigen Fällen noch konsequenter als bisher. Ergänzend dazu brauchen wir Maßnah- men, die sich auf mittel- und langfristige Herausfor- derungen konzentrieren, zum Beispiel darauf, die Integration der Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder zu unterstützen, künftige Entwicklun- gen besser abzuschätzen und entsprechende Maßnah- men parat zu haben, die Zusammenarbeit mit Her- kunfts- und Transitländern zu verstärken und nicht zuletzt das Vertrauen im Hinblick auf Migration wie- der aufzubauen. Der europäische Kontinent braucht eine integrierte Migrationspolitik Kein europäisches Land kann die humanitäre Krise alleine bewältigen, und auch Europa kann nicht alleine handeln. Eine globale Lösung ist nötig. Nur mithilfe internationaler Zusammenarbeit kann die ungeregelte Wanderung eingedämmt werden. Wir müssen Informationen austauschen, unseren Kampf gegen Schleusernetzwerke koordinieren, Rückführun-
  • 125. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 123 KERNPUNKTE • Die humanitären Kosten der aktuellen Flüchtlingskrise sind inakzeptabel. • Die unterschiedliche Ausgangslage europäischer Länder hat eine koordinierte politische Antwort auf die Krise bis- her verhindert. • • Die Krise kann nur durch internationale Zusammenarbeit gelöst werden. • Europas Ansatz muss es sein, Krisen zu vermeiden, und erst in zweiter Linie, sie zu lösen. gen organisieren und Informationskampagnen entwi- ckeln. Darüber hinaus müssen wir an legalen Einwan- derungsmöglichkeiten arbeiten. Die OECD verfolgt Wanderungsströme seit mehr als rationsausblick“ erschienen. Vor kurzem hat sie mit Unterstützung der Europäischen Kommission ein Set von Indikatoren veröffentlicht, das erstmalig misst, wie gut Einwanderer integriert sind. Diese Indikato- ren werden auch in Zukunft ein wertvolles Instrument darstellen. Die aktuelle Krise begründet sich nicht nur durch die nen gibt es Krisenherde. Schon heute gehören Mig- rationsfragen zum Kern eines mehrdimensionalen Zugangs zu internationaler Kooperation, vor allem in Bezug auf Sicherheitsaspekte. Ohne Zweifel wird diese Dimension in den kommenden Jahren und Jahrzehn- ten noch an Bedeutung gewinnen. Wir brauchen in Europa einen neuen außenpolitischen Ansatz, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Dieser Ansatz muss weniger passiv, umfassender und regionaler sein. Und er sollte sich in erster Linie darauf konzentrieren, Kri- sen zu vermeiden – und erst dann, sie zu lösen. Es ist allerhöchste Zeit, über Strategien nachzuden- ken! Europa war auf die aktuelle Situation nicht vor- bereitet und ringt noch immer mit ihr. Mittel- und langfristig wird es um drei Dinge gehen: Integration, Integration und noch mal Integration! Wenn wir es klug anstellen, können wir die Krise wie in der Ver- gangenheit zum Positiven wenden, aber wir dürfen keine Zeit verlieren. KEY NOTES • The humanitarian costs of the current refugee crisis are unacceptable. • European States‘ different starting points and different positions have so far prevented a coordinated policy response. • • The crisis can only be solved through international cooperation. • Europe‘s approach should be to prevent crises from happening and only secondarily to solve them. ger passiv, umfassender u er a gsla nale u verm ein Set lig mis iese I tvoll sich hon es K er sollte sich in erster Linie darauf konz zu löse en- nacceptable. nd inakzeptabel. at eine koordinierte politische Antw werden. ter Linie, sie zu ht nur durch die ren Mig- nalen llem in langfristig wird es um drei Dinge gehen: Integration, Integration und noch mal Integration! Wenn wir es klug anstellen, können wir die Krise wie in der Ver- gangenheit zum Positiven wenden, aber wir dürfen keine Zeit verlieren.
  • 126. 124 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die seit fünf Jahren andauernde Krise in Syrien belas- tet die vorhandenen Kapazitäten des Libanon, Jordani- - MIGRATIONSPERSPEKTIVE 2016 Peter Van der Auweraert Die innerafrikanische Migration wird zahlenmäßig auch künftig höher liegen, als die aus dem Nahen und Mittleren Osten in Richtung Europa. Im letzten Jahr ging ein erheblicher Anteil der Flüchtlings- und Migrationsströme über die Mittelmeerroute nach Europa. Zwischen Jänner und November 2015 ka- men über 900.000 Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten in Griechenland, Italien, Malta und Spanien an. Die Migrationströme setzen sich derzeit aus über 20 verschiedenen Nationen zusammen. Die meisten Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Mig- ranten kommen, geordnet nach Herkunftsländern aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Albanien und aus dem Irak in Griechenland an. Staatsbürger aus Erit- rea, Nigeria, Somalia, Sudan, Syrien, Gambia und Bangladesch landen in dieser Reihenfolge in Italien. Die Indikatoren sprechen für eine Fortsetzung die- ses Trends.
  • 127. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 125 nen Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen, weit über ihre Möglichkeiten hinaus. Weitere über sieben Millionen - in Libyen, im Jemen, im Irak und in Nordost-Nigeria, anhaltende schwerwiegende Menschenrechtsverletzun- gen, Armut und Umweltschädigungen die Migration nach Europa vorantreiben. Ähnliche Faktoren sind auch in einigen Ländern Süd- und Osteuropas fest- stellbar. Für ihre gemeinsamen Planungen arbeiten die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) auf Basis der Annahme, dass 2016 zusätzlich eine Million Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten nach Europa kommen werden. Herausforderungen im Migrationsmanagement Die Migrationsströme haben unterschiedliche Auswir- kungen auf Europa und hängen in erster Linie davon Italien haben bei weitem die meisten aufgenommen), ein Transit-Land (Mazedonien, Serbien, Kroatien und teilweise Österreich) oder ob es ein Zielland (Deutsch- land, Schweden und seit kurzem auch Finnland) ist. Zu den Herausforderungen im Migrationsmanagement zählen eine Überlastung der anfänglichen Aufnahme- und eines Überwachungsmechanismus, unzureichender Schutz speziell für unbegleitete Kinder, Druck bei der Schaffung von Aufnahme- und Unterbringungseinrich- tungen oder unzureichende Kapazitäten bei den zustän- digen Behörden bei der zahlenmäßigen Bewältigung der Ankommenden. Die Regierungen sind dabei, erheb- liche Anstrengungen zur Bewältigung dieser Herausfor- derungen zu unternehmen. Dies wird auch 2016 so blei- ben, falls der Strom der Ankommenden anhält. Europäische Solidarität im Stresstest Die Europäische Kommission konnte zusätzliche Mit- aber sobald es um die Aufnahme von Flüchtlingen bzw. Migrantinnen und Migranten geht, dürfte die euro- päische Solidargemeinschaft auch 2016 weiter unter Druck stehen. Die Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Rates Justiz und Inneres für die Vertei- lung von 160.000 Flüchtlingen bzw. Migrantinnen und EU-Mitgliedsstaaten startete 2015 sehr zögerlich und dürfte auch 2016 schwierig bleiben. Die Herausforde- rung besteht in der geringen Anzahl der Angebote zur Übernahme seitens der EU-Mitgliedsstaaten – trotz der zwingend vorgeschriebenen Regelung und der vor- handenen Präferenz der Flüchtlinge bzw. Migrantin- nen und Migranten für einige bestimmte Zielländer wie Deutschland oder Schweden. In Folge der Anschläge von Paris und Brüssel im Jahr 2015 könnten es zu einer Verschlechterung der Stim- mung gegen Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Mig- ranten quer durch Europa kommen. Für politische Ent- scheidungsträger dürfte es schwieriger werden, ihre Überlegungen zu legaler Migration nach Europa umzu- setzen. Nicht richtig gehandhabt könnte es zu stärkeren Spannungen zwischen Neuzuwanderern sowie einigen Teilen der Aufnahmestaaten mit den staatlichen Behör- den kommen. Diese kämpfen ohnehin schon damit, ihre eher zurückhaltenden, heimischen Bevölkerungen davon zu überzeugen, dass es sich bei Migration um ein positives und für Europa notwendiges Phänomen handelt. Trotzdem gibt es eine außerordentlich bemer- kenswerte Solidarität von Bürgern, Akteuren der Zivil- gesellschaft und vielen einzelnen Familien für die Neu- ankömmlinge. Dies dürfte auch 2016 eine – wenn auch wenig beachtete – Realität bleiben.
  • 128. 126 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die Migration über die Mittelmeerroute nach Europa wird auch 2016 anhalten. • Migrationsmanagement ist eine Herausforderung, die durch eine steigende Anzahl von Flüchtlingen bzw. Migrantinnen und Migranten verstärkt wird. • Die Europäische Solidarität bleibt unter Zugzwang, bestehende Arrangements müssen vielleicht über- arbeitet werden. • Die Stimmung gegen Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten könnte sich verschlechtern, die pri- vate Solidarität dürfte aber stark bleiben. • Die Integration von Zuwanderern dürfte mehr im Fo- kus der Zielländer liegen. Integration Der Fokus liegt derzeit noch auf der Bewältigung der Flüchtlingsströme und hat daher die Debatte über eine mittel- und langfristige Integration der Zuwande- rer in den Hintergrund gedrängt. Das dürfte sich 2016 ändern. Sobald Asylweber eine Arbeitserlaubnis oder Zugang zu Ausbildungsmaßnahmen bekommen, wer- den die Arbeitsämter beginnen, sich mit einer geeigne- ten Bereitstellung von Serviceleistungen und Zugang am Arbeitsmarkt zu beschäftigen. KEY NOTES • pe will continue. • Migration management challenges will persist and may deepen if numbers rise. • European solidarity will remain under pressure and existing arrangements may need to be revised. • Anti-immigrant and refugee sentiments may increa- se, but private solidarity is likely to remain high. • Integration of newcomers is likely to become more of a focus in countries of destination. KE D wir Migra dur Migr opäis e Arra n n Flüch ch verschle bleiben. F uwande Das dürfte sich 20 am Arbeitsm t an essu e rev ments ely to ers is lik ntries of erroute nach Europa ausforderung, üchtlingen rkt wird. gzwang, über- en KEY NOTES • pe will continue. • Migration man may deepen • European existing • Anti- se •
  • 129. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 127 Der „Youth Bulge“ und die Folgen Im Jahr 2002 legte das United Nations Development Program (UNDP) den ersten regionalen Bericht zur menschlichen Entwicklung vor. Die Autoren verwie- sen in den vier Arab Human Development Reports auf die demographischen Entwicklungen. Seit 1985 hatte sich die Bevölkerung in den 18 arabischen Staaten der FLÜCHTINGSSTRÖME UND POTENTIALE 2016 Karin Kneissl Die Babyboomer der arabischen Welt sind die Jahr- gänge der später 1980er Jahre. Sie gingen gegen die Langzeitherrscher vor fünf Jahren auf die Stra- ßen, begann die Revolten und zogen in der Folge in Durchschnittsalter in der Region Middle East and North Africa (MENA) bewegt sich zwischen 18 und 25 Jahren. 100 Millionen Arbeitsplätze müssten laut einer Weltbankstudie bis 2030 geschaffen wer- den, um diese geburtenstarken Jahrgänge aufzu- nehmen. Auch die arabischen Golfstaaten sind mit dieser Herausforderung konfrontiert. Infolge eines niedrigen Erdöl-Preisniveaus lässt sich das Wohl- fahrtssystem der Petromonarchien nur bedingt auf- rechterhalten. Die Migration aus der Region wird, ob infolge von Krieg und Vertreibung oder aus wirt- schaftlichen Gründen, anhalten und anwachsen.
  • 130. 128 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 MENA-Region verdoppelt. Der Ausbruch der arabi- schen Revolten im Jänner 2011 lässt sich u.a. demo- graphisch erklären, denn die Jugendarbeitslosigkeit erreichte in vielen Staaten trotz prinzipiell guter Wirt- schaftsdaten Rekordhöhen. Doch die Jahrzehnte der politischen Stagnation endeten im Chaos. Infolge der militärischen Interventionen, so v.a. des Irakkriegs 2003 und der „humanitären Intervention“ in Libyen 2011 sowie des Kriegs Saudi-Arabiens im Jemen, zerfallen staatliche Strukturen. Die vielen Stell- vertreterkriege spiegeln oftmals die regionalen Rivali- täten etwa zwischen dem Iran und Saudi-Arabien bzw. zwischen der Türkei und Israel wider. Der Iran wird als - tend machen, was wiederum die selbsterklärten Schutz- mächte der Sunniten auf den Plan ruft. Sunnitischer Extremismus wird neben der Al-Qaida, die von der jün- Al-Nusra und weitere Terrororganisationen hervorbrin- - riert zusehends in eine Auseinandersetzung zwischen Kampf um den Tempelberg, den beide Religionsgrup- pen für sich reklamieren, ist das politische und religi- öse Epizentrum dieser territorialen Ansprüche. Die - ter, dies gilt für palästinensische Attentäter ebenso wie Täter unter den nationalreligiösen Siedlern. Religiös - kert sich territorial, wie im Fall der Terrormiliz „Islami- scher Staat“ (IS). Expansion des IS und seiner Subunternehmer Das im Juli 2014 proklamierte Kalifat des IS wird nicht an Attraktivität für ausländische Dschihadisten ver- lieren, die zukünftig nicht nur in Syrien und im Irak kämpfen werden, sondern zunehmend auch in Libyen und auf dem Sinai. Ihren wesentlichen militärischen - schen Armee, zum anderen in sunnitischen Stämmen, die im Vakuum zerfallener Strukturen wieder an Bedeu- tung gewinnen. In Ägypten kommen die in den Unter- grund abgewanderten Muslimbrüder als neues Rückgrat hinzu. Die Flüchtlingsbewegungen werden daher auch aus diesen Regionen zunehmen. Der Kampf gegen den IS wird eventuell in Syrien gewisse Erfolge erzielen, zumal die russisch-chinesisch- iranische Kooperation zu einer Eindämmung, viel- leicht sogar zu einer Verdrängung des IS führen könnte. China will jeglichen Staatenzerfall hintanhalten, da dies das ambitionierte Projekt der Seidenstraße beschädigen würde. eindringen. Dies gilt insbesondere für die arabische Halbinsel, wo eine Schwächung der saudischen Regie- rung zu einem Aufstieg solcher Kräfte führen könnte. Der saudische Krieg im Jemen könnte eine innersaudi- sche Krise lostreten, je länger diese Invasion andauert. Ist Stabilisierung in Syrien, im Irak und Libyen möglich? Die Bemühungen der UNO werden fortgeführt wer- den, wesentlich für eine Umsetzung der Befriedungs- wesentlichen Drahtzieher sein. Über regionale Waffen- stillstände werden die diplomatischen Initiativen 2016 kaum hinausgehen. Eine umfassende Stabilisierung - che im Irak erfolgen, da beide Länder – was die Lage
  • 131. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 129 der Kurden und die Machtteilung zwischen den Eth- nien betrifft – vor ähnlichen Herausforderungen ste- hen. Anstatt der Türkei freie Hand zu lassen, muss Die Türkei könnte zudem zum neuen Kriegsgebiet wer- den, falls die AKP-Führung ihren aktuellen Kurs der Repression fortführt. Der IS ist bereits Teil der Türkei. Was Libyen betrifft, haben trotz beharrlicher UN-Ver- mittlung und algerischer Diplomatie bislang nicht alle ten hat besonderes Interesse, den Zerfall und die Radi- kalisierung zu stoppen, da vermehrt Radikale eindrin- gen. Ein verstärktes militärisches Engagement durch Kairo ist nicht auszuschließen. Der Nahe Osten ist Europa verdammt nahe Wie nahe Europa diese Schicksalsregion ist, wird ange- sichts der Menschenmengen, die sich zu Fuß auf den Weg machen, vielerorts spürbar. Unilaterale und bila- terale Lösungen werden angesichts der Dringlich- keit anstelle gemeinsamer EU-Linie umgesetzt werden. gehören – nicht nur an den Außengrenzen, sondern auch zwischen den EU-Staaten. Die Europäer tragen wird Europa die Folgen spüren. KERNPUNKTE • Die Demographie in den arabischen MENA-Staaten hat entscheidenden Anteil an den Entwicklungen seit 2011. • Der IS wird kaum an Attraktivität verlieren. • • Die EU riskiert am Nahen Osten zu zerbrechen. KEY NOTES • Demographics of the Arab MENA countries have had a decisive impact on developments since 2011. • ISIS will not lose any of its attraction. • • The EU risks collapse over the Middle East.
  • 132. 130 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 TRANSNATIONALE ORGANISIERTE KRIMINALITÄT 2016 Maximilian Edelbacher Österreich und Europa waren im Jahr 2015 mit den neuen Wanderbewegungen, mit religiöser Radikali- sierung, mit Formen des internationalen Terroris- mus und mit grenzüberschreitender Organisierter Kriminalität konfrontiert. Dieser Trend wird sich auch 2016 global fortsetzen. Die Symbiose von Ter- rorismus und Organisierter Kriminalität stellt schlechthin die Gefährdung demokratischer Gesell- schaften dar. Ganz gleich, ob Terrorismus in Süd- amerika oder in Asien analysiert wird, die Finanzie- rung terroristischer Aktionen mittels Drogenhandels oder Menschenhandels sind typische Verhaltens- weisen. Interessanter Weise spielen ethnische Dif- ferenzen dabei keine Rolle. Fakt ist, wenn es ums Geld geht, versteht man sich im „kriminellen Milieu“ bestens, da gibt es keine Vorbehalte hinsichtlich ethnischer oder religiöser Unterschiede.
  • 133. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 131 Organisierte Kriminalität: Wirtschaftliche Orientierung, Korruption statt Gewalt In den 1990er Jahren entstanden die ersten „Joint Ven- tures“ über den Knotenpunkt Wien zwischen den rus- Antinori schreibt in „Financial Crimes: A Threat to - - dingt erforderlich ist. In der Regel genügt es, die not- ist es, das illegal erworbene Vermögen in den legalen der Lage, unser Wirtschaftssystem jederzeit zu desta- bilisieren. Korruption kann als der Nährboden für die Entwicklung von Terrorismus, Organisierter und Wirt- schafts-Kriminalität angesehen werden. Für die öster- reichischen Verfolgungsbehörden wird es auch 2016 - gen, das Einfrieren und die Beschlagnahme illegaler Mittel zu erwirken. - tabler Menschenhandel Die Prognose der zu erwartenden Weltbevölkerung für 2050 lautet, dass etwa 12 Milliarden Menschen auf unserem Planeten leben werden. Davon werden wahr- scheinlich zwei Drittel bis drei Viertel eher in Armut leben. In einer Zeit des Anwachsens der Kluft zwi- schen Reich und Arm, des steigenden Bevölkerungs- wachstums, der zunehmenden Naturkatastrophen und der daraus resultierenden Wanderbewegungen, stellt für Terroristen und Organisierte Kriminelle dar. Schon Drogenhandel, Waffenhandel, Handel mit Kunstgütern oder gestohlenen Kraftfahrzeugen generiert. Nur mehr Finanzkriminalität und Wirtschaftskriminalität sind der UNO (UNODC) beheimatet. Jedes Jahr werden die Dimensionen der weltweiten Organisierten Krimina- lität, des Drogenhandels und der Korruption verlaut- bart. Zuletzt bezifferte Juri Fedotov, Chef des UNODC in Wien, diese Dimension mit etwa zweitausend Mil- liarden US-Dollar. Ähnliche Dimensionen werden für die weltweite Korruption angenommen. Aufgrund der Migrations- und Flüchtlingsbewegungen könnten die Einnahmen im Bereich des Schlepperwesens im Jahr 2016 im Vergleich zu anderen Aktivitäten der Organi- sierten Kriminalität wesentlich steigen. Entwicklung von Cyber-Crime unkontrollierbar Wir leben seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts im sogenannten „Informationszeitalter“. Die Techno- logien der Information haben sich derart gewandelt und vervielfältigt, dass wir über „Big Data“ und umfas- sendste Information auf allen Ebenen in jedem Win- kel unserer Welt verfügen. Das Internet hat uns enorme Möglichkeiten der Kommunikation und Information Terroristen davon. Die Kriminalitätsbelastung durch Cyber-Crime stieg allein in Österreich in den letzten fünf Jahren um mehrere hundert Prozent. Die weitere Entwicklung ist einfach unkontrollierbar. Die quanti- tativen und qualitativen Bedrohungen, die von Cyber- Crime und Cyber-War ausgehen, zählen auch 2016 zu den größten Herausforderungen der Zukunft. Öster- reich und Europa werden da nicht verschont, trotz
  • 134. 132 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die Symbiose von Terrorismus und Organisierter Kri- minalität ist die größte Gefahr. • Korruption stellt die Basis für Terrorismus und Orga- nisierte Kriminalität dar. • Organisierte Kriminalität konzentriert sich auf wirt- schaftliche Orientierung. • Die neuen Wanderbewegungen sind ein Nährboden für die Schlepperei. • Die Entwicklung in den Bereichen Cyber-Crime und Cyber-War ist schwer kontrollierbar. gezielter Abwehrmaßnahmen, die seitens des Bundes- ministeriums für Landesverteidigung und Sport und des Bundesministeriums für Inneres gemeinsam gesetzt werden. Zukunftsperspektive Die allgemeinen Rahmenbedingungen bieten eine Basis für das Anwachsen jeder Form des abweichenden Ver- haltens der Menschheit. Die Organisierte Kriminali- tät wird sich noch stärker wirtschaftlich orientieren, sen bleibt eine sichere Einnahmequelle. Was den Terro- ersetzt, mit Ausnahme extremistischer Radikaler etwa der Terrormiliz „Islamischer Staat“ oder von al-Qaida. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich führt weiterhin zu Wanderbewegungen, Terror und Organi- sierter Kriminalität. Die neuen Technologien werden schonungslos von Kriminellen und Terroristen genützt werden. Es ist zu erwarten, dass im Jahr 2016 Armut, Korruption und Flüchtlingskrise die Herausforderun- gen für Europa und Österreich bleiben werden: Terror, Organisierte Kriminalität und Schlepperei werden uns weiter bedrohen. KEY NOTES • The greatest danger comes from a symbiotic relati- onship between terrorism and organized crime. • Corruption is the basis of terrorism and organized crime. • At present, organized crime is oriented on econo- mic gain. • Recent migration movements are a breeding ground • Developments in the areas of cyber crime and cyber
  • 135. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 133 CYBERSICHERHEIT UND CYBERBEDROHUNGEN IN DER EU 2016 Miroslav Mareš Im Jahr 2016 werden sich in der Europäischen Uni- on die gegenwärtigen Trends –Cyberangriffe der Ter- rormiliz „Islamischer Staat“ (IS), Chinas und Russ- lands – auf dem Gebiet der Cybersicherheit fortsetzen. Zudem wird Cybersicherheit in der EU eng mit anderen globalen Sicherheitsproblemen wie der Krise im Nahen und Mittleren Osten, der Ukrai- ne-Krise und der Migrationskrise einhergehen. Akti- vitäten bzw. Störaktionen von Protest-Hackern sind im Rahmen der aktuellen Diskussionen über die Normen der Netz-Neutralität und über das Transat- lantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) zu erwarten. Traditionelle Bedrohungen wie die Spionage-Aktivitäten der chinesischen staatli- chen Cyber-Einheiten, die Cyber-Spionage-Versuche des nordkoreanischen Regimes und die kriminellen Attacken werden sich auch 2016 fortsetzen. Die EU hat täglich mit rund 50 großen Angriffen und mit weiteren hunderten kleineren Cyberdelikten zu rech- nen. Die Einschätzung des Gesamtschadens liegt bei ca. 450 Mio. Euro
  • 136. 134 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 EU-Staaten) ausgerichtet. In Russland und z. T. auch in post-sowjetischen Regionen haben cyberkriminelle dort aus gezielt die IT-Bankensysteme der EU. Dies wird sich auch im Jahr 2016 fortsetzen. Hacktivismus und politische Debatten in der EU Hacking-Aktivitäten werden im Zuge der Migrations- krise zunehmen, das können Angriffe nicht-staatlicher Akteure auf Migrationsgegner bzw. gegenseitige Atta- cken innerhalb des Migrationsspektrums sein. Weiters können sich die Angriffe gegen staatliche Institutio- nen richten. Der Hacktivismus kann auch die Diskus- sion über die neuen EU-Normen zur Netzneutrali- tät belasten. Dasselbe gilt für die Tätigkeit im Bezug auf Proteste gegen TTIP. Hier ist es möglich, dass das Anonymous-Netzwerk wieder verstärkt aktiv wird. Politisch rechte Hacker könnten ihre Aktionen gegen die EU-Kommission bzw. Internetprovider richten, die derzeit über die schnellere Löschung von frem- denfeindlichen und rassistischen Beiträgen in sozialen Netzwerken verhandeln. Cyber-Sicherheitspolitik Die europäischen Staaten werden die Cyber-Verteidi- gung auf der nationalen sowie internationalen Ebene weiter verstärken und neue bilaterale Verträge auf die- sem Feld sind zu erwarten. Im Rahmen des interna- tionalen Cyber-Rechts werden Diskussionen über die wichtig, den potentiellen Missbrauch des Internets der - sicherheit im längeren Zeithorizont besteht. Der Islamische Staat und die Cyber-Umma - suchen, den Cyberraum für ihre eigene Propaganda zu nutzen, sondern auch gezielte Cybersabotage- und Cyberspionage-Attacken gegen die IT-Systeme in der EU durchführen. Das gilt auch für den IS, der in ver- schiedene Teile der Welt – einschließlich des virtuellen Bereiches – expandiert. Der IS wird auch versuchen, z. B. der IS Berlin. Hacktivistische Aktionen wer- den mit vielen autonom handelnden Anhängern des IS realisiert werden, wie z. B. der sog. Moroccan Wolf. Cyberattacken könnten auch US-Militärstützpunkte in den EU-Staaten bedrohen, vor allem jene, in denen Cyberbedrohungen aus Russland Die Cyber-Bedrohungen, die von russischem Territo- rium ausgehen, hängen von der Intensität der Span- nungen zwischen Russland und den westlichen Staa- ten ab. Militär- und Wirtschaftsspionage werden von staatlichen Cyber-Spezialeinheiten geführt. Cyber- milizen, die sich aus regimetreuen Personen rekru- tieren, werden für propagandistische und hacktivisti- sche Zwecke verwendet. Diese Milizen sind auch eng vernetzt mit Anhängern des russischen Regimes in den EU-Staaten. Ein wichtiges Instrument der russi- schen Propaganda bleibt weiter das prorussische Inter- net-Trolling in den EU Staaten, meistens im Sinne der Propaganda des Putin-Regimes und der Ideen auch die neugestaltete Volksrepublik Donezk gegrün- det. Diese sind meistens auf die ukrainische Bevölke- rung (einschließlich der ukrainischen Diaspora in den
  • 137. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 135 KERNPUNKTE • Der IS wird Propaganda, Spionage und Sabotage im Cyberraum in der EU durchführen. • Russische Cyber-Milizen werden aktiv eurasianisti- sche Interessen vertreten. • Chinesische Wirtschafts- und Militärspio- nage bleibt eine konstante Bedrohung der EU-Sicherheitsinteressen. • Die Diskussion über die Migrations-Krise wird mit Cyber-Angriffen nicht toleranter Teilnehmer verbun- den sein. • Die Europäische Union wird die neuen Normen zur Netzneutralität annehmen, was zum begrenzten Protest-Hacktivismus führen kann; ähnliches be- trifft TTIP. • Es droht Missbrauch des Internets der Dinge für kri- minelle sowie politische Ziele. KEY NOTES • ISIS will carry out propaganda, espionage, and sabo- tage in EU cyber space. • Russian cyber militias will actively represent Eurasi- an interests. • Chinese economic and military espionage remains a constant threat to the EU‘s security interests. • The debate on the migration crisis will be accom- panied by cyber attacks executed by intolerant participants. • The European Union will adopt the new standards of net neutrality, which can lead to hacktivism pro- tests; this also applies to TTIP. • The misuse of the internet for criminal and political objectives poses a severe threat.
  • 138. 136 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die anhaltende Industrialisierung der Biotechnolo- gie, die globale Verbreitung wissenschaftlichen Wis- sens über das Internet, multinationale Forschungs- zusammenarbeit, die Vermischung von Biologie und Chemie sowie die Informationswissenschaft führten zu einer neuen Ära des Dual-Use-Managements in den Biowissenschaften. BIOTECHNOLOGIE 2016 Anne L. Clunan Die Forschung an Grippeviren, um deren Funktion zu verstehen, und die Technologie zur gezielten Genverän- derung (CRISPR) stoßen wegen dem damit verbunde- nen positiven und negativen Potential auf gesteigertes Interesse in der Sicherheits-Community. Vor diesem Hintergrund werden diese Themen auf der Agenda der 8. Review-Konferenz der Biologie-Waffen-Konvention (BWC) stehen. Um die Dual-Use-Biotechnologie unter Kontrolle zu halten, muss das bestehende Waffenkont- - schen Wissenschaftern und Industrie sowie durch nati- onale und internationale Umweltschutz-, Gesundheits-, Sicherheits- und Wirtschaftsregime ergänzt werden. Zwei Vorstöße sind für diesen Wandel bezeichnend: Research) im Bereich Virologie und eine neue Techno- Diese Ansätze zeigen klar, mit welchen Schwierigkeiten die Überwachung und Regulierung der Dual-Use-Risi- koforschung (Dual-Use Research of Concern – DURC) in den sich rasch entwickelnden Lebenswissenschaften konfrontiert ist. Funktionsgewinnforschung bei Viren kann im Rah- men der Waffenkontrollregime behandelt werden, zeigt aber klar die Schwierigkeiten von verordneten und von unten aufbauenden Regulierungen in einem globa- - änderung erfordert eine Ergänzung der Waffenkont- rolle durch Regulierungen im Bereich Handel, Umwelt, - den unverbindlichen Leitlinien.
  • 139. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 137 Funktionsgewinnforschung bei Grippe Durch die Funktionsgewinnforschung soll ein biologi- sches Mittel mit zusätzlichen Aufgabenbereichen ange- reichert werden. Im Jahr 2011 haben zwei Virologen durch ihre Forschungen im Bereich der H5N1-Vogel- grippe eine anhaltende Kontroverse ausgelöst. Wäh- rend die Übertragung früherer H5N1-Vogelgrippe nur durch direkten Kontakt zwischen Vögeln und Menschen erfolgte, haben die Forscher in ihren Publikationen 2012 detailliert beschrieben, wie sie den Virus dahingehend verändert haben, dass dieser ansteckender ist, tödli- cher wirkt und das erste Mal zwischen Säugetieren über die Luft übertragen werden kann. Die niederländische Regierung sah die einzige Möglichkeit zur Verhinderung der Publikation darin, dass sie die durch den Forscher beantragte Ausfuhrgenehmigung ablehnte. Ein 2012 vereinbartes wissenschaftliches Stillhalteab- kommen bezüglich Funktionsgewinnforschung endete 2013 damit, dass neue Publikationen, die sich mit ande- Empfehlungen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Funktionsgewinnforschung kamen 2013 von der Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaf- ten und 2014 vom Deutschen Ethikrat. Die Deutsche Akademie der Naturwissenschaften verlangt, dass das Führen der von ihr entwickelten Biosicherheits-Verein- barungen (Code of Conduct) an den Universitäten ange- nommen wird. Die Niederlande nutzen weiterhin die Exportkontroll- mechanismen, um Publikationen im Bereich Funktions- gewinnforschung/Dual-Use-Risikoforschung zu regeln. Das Vereinigte Königreich nähert sich der Funktions- gewinnforschung im Rahmen seiner allgemeinen Strate- gie zur Dual-Use-Risikoforschung. Die USA verhängten 2014 ein Moratorium zur Finanzierung der Funkti- SERS und beauftragten den nationalen wissenschaftli- chen Beratungsausschuss für Biosicherheit (NSABB), die Risiken und Vorteile der Funktionsgewinnforschung festzulegen. Die USA werden diesen Bericht und voraus- sichtlich ihre Strategie zur Funktionsgewinnforschung im Jahr 2016 veröffentlichen. Der 2015er Bericht des Europäischen Rats der Aka- demien für Wissenschaftsberatung zur Funktionsge- - mulierung der Strategie der EU-Kommission zur Funktionsgewinnforschung bilden. Der Bericht konzen- triert sich im Wesentlichen auf Fragen der Biosicherheit und befasst sich mit den Belangen der Sicherheit von Biotechnologie nur bezüglich eines absichtlichen Miss- brauchs. Er lehnt eine nach dem Muster des nationa- len wissenschaftlichen Beratungsausschusses für Biosi- cherheit (NSABB) der USA konzipierten Institution auf EU-Ebene ab und plädiert für einen mehrschichtigen Zugang zu Sicherheit in der Biotechnologie: • EU-Kommission zur Normierung im Bereich Biosi- cherheit und Biosicherung, • nationale Verhaltensnormen, Regulierungen und Selbstregulierungen unter den Wissenschaftern und Forschungsinstitutionen zur Durchführung und Publikation im Bereich Dual-Use-Risikoforschung, • nationale Vorgehensweise zur Einzelfall-Festlegung von Risiken bei der Durchführung und Publikation im Bereich Dual-Use-Risikoforschung, • EU-Richtlinie für angewandte Forschung und Eva- luierung einschließlich Beherrschung der Biosiche- rung sowie • Ergänzung der Dual-Use-Exportkontrollbestim- mungen, damit die Ergebnisse der Dual-Use-Risi- koforschung publiziert werden können.
  • 140. 138 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Auf multilateraler Ebene wurde 2014 und 2015 die Funktionsgewinnforschung durch die USA, das Ver- einigte Königreich und die Niederlande am Rande der Treffen zur Biologie- und Toxinwaffen-Konvention the- matisiert. Dabei wurde besonders die Thematik der Auslösung von Pandemien durch Laborunfälle behan- delt. Die Funktionsgewinnforschung steht auch auf der Agenda der 8. Review-Konferenz der Biologie-Waffen- Konvention. Funktionsgewinnforschung dürfte auch die Ergebnisse der Review-Konferenz hinsichtlich For- schungsaufsicht und hinsichtlich des Typs wissenschaft- licher Beratungsfunktionen für die Biologie-Waffen- Konvention bestimmen. Technologie zur gezielten Genveränderung - Wissenschafter, die genetische Sequenz, die an zukünf- - gegeben wird, zu verändern. Dies hätte das Potential, Seuchen auszurotten, Nahrungssicherheit durch Schäd- - Dies hat aber auch das Potential, eine Spezies auszurot- ten oder die Biosphäre zu verändern. Es können neue chemische und biologische Stoffe hergestellt und die insofern neu, als dass sie leicht anzuwenden ist und die anfallenden Kosten radikal reduziert. Derzeit tobt ein scharfer Urheberrechtsstreit bezüglich dieser Technolo- gie, sie ist aber weltweit lizenzfrei für wissenschaftliche Labore zugänglich und wird für kommerzielle Anwen- dungen übernommen. Die Debatten über Ethik und Sicherheit bzw. sichere Verwahrung von genveränderten Stoffen ist noch am Anfang; Wissenschafter haben eine Diskussion über die Notwendigkeit eines Verhaltensko- dex und über ein Verbot der Arbeit mit menschlichen Stammzellen und Keimbahnen begonnen. - änderung erst im Ansatz zu erfassen. Somit gab es bis- Entwicklung neuer Regulierungen. Derzeit gibt es keine internationalen Regelungen, die den Umgang mit genveränderten Organismen im Labor und anderen geschlossenen oder halb-geschlossenen Anlagen regeln. und den USA bei den Regeln zur Biotechnologie scheint eine neue vertragliche Harmonisierung von Standards schwierig zu erreichen. Es gibt keinen Konsens darüber, wessen geistiges Eigentum CRISPR ist, wodurch Regu- lierungen der Lizenzierungen derzeit nicht umsetzbar sind. Viele Instrumente der Regelung der Biosicherheit auf - setzgebung und Behörden und nicht in den traditionel- len Waffenkontrollregimen. Nationale Umweltschutz- bestimmungen und Beurteilungen über Auswirkungen des Anbaues genveränderter Objekte anwendbar sein. chemische, toxische oder biologische Objekte unter (BWC), der Chemiewaffenkonvention (CWC) und des Cartagena Protokolls über Biosicherheit fallen. CRISPR wird 2016 auf der Biowaffenüberprüfungskonferenz überprüft.
  • 141. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 139 KERNPUNKTE • Die Globalisierung der Biotechnologieforschung erfordert ein neues Denken hinsichtlich der Regelungen zur Dual-Use-Forschung. • Sicherheit von Biotechnologie und Sicherheit der Biotechnologie verlangen einen doppelten Ansatz zu vollstän- digen, sicheren und geschützten Regelungen der Bioforschung und Kommerzialisierung: 1) Schichtung der verti- kalen Mechanismen von subnationalen weichen Gesetzen zu nationalen und internationalen harmonisierten Re- gelungen und 2) Überlappung horizontaler Regime der Waffenkontrolle, des Umweltschutzes, des Schutzes der • Rasante Fortschritte in der Biotechnologie erfordern, dass die Biowaffenkonvention auf der Überprüfungskonfe- renz im Jahr 2016 einen wissenschaftlichen Beratungsausschuss gründet. • Traditionelle Waffenkontrollregime können mit Ergänzungen in den Angelegenheiten der Biotechnologiefelder wei- ter gelten. • Sicherheit und Schutz im Biobereich erfordern fortgesetzte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftern, Firmen, öffentlicher Hand und zwischen nationalen Regierungen. • Bewusstseinsbildung und transnationale Forschung müssen vorangetrieben werden, damit Politiker, Forscher und die Entwicklung im Handel nicht bloß den Nutzen neuer Biotechnologie, sondern auch deren negatives Potential verstehen. KEY NOTES • Globalization of biotech research requires new thinking on how to manage the regulations of Dual-Use research. • Biosecurity and biosafety increasingly require a two-pronged approach to ensure seamless, safe and secure ma- nagement of biological research and commercialization: 1) layering vertical mechanisms, from subnational soft law to national and international harmonized regulations; 2) overlapping horizontal regimes, of arms control, envi- • Rapid biotechnological advancement requires that the BWC create a science advisory board at its 2016 Review Conference. • Traditional arms control approaches can continue and be attended to cover some biotechnologies of concern. • among national governments. • Awareness-raising and transnational research must continue, so that policy makers, researchers and commercial
  • 142. 140 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Entwicklung von Autonomen Waffensystemen Britisch Aerospace (BAE) Systems hat 2015 ein Demonstrationsexemplar des autonomen (unbemann- - - man testete Starts und Landungen des autonomen AUTONOME (UNBEMANNTE) WAFFENSYSTEME 2016 Noel Sharkey Der internationale Vertrag über Autonome Waffen- systeme (AWS) bedarf 2016 einer dringenden Über- arbeitung. Der AWS entspricht nicht mehr dem Inter- nationalen Humanitären Recht, die Waffenüberprüfungen sind problematisch. Eine Pro- liferation von AWS würde größte globale Sicherheits- probleme verursachen. Darüber hinaus handelt es sich bei AWS um moralisch bedenkliche Systeme.
  • 143. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 141 Flugzeugträgern. DARPA, eine Behörde des US-Ver- teidigungsministeriums, verwendet beträchtliche Mittel für die Entwicklung autonomer Waffensysteme an Land - Samsung Techwin aus Südkorea hat den autonomen Russlands Izhevsk Radio Plant hat das MRK, ein klei- nes autonomes panzerähnliches Fahrzeug zur Bewa- chung von Raketeninstallationen entwickelt. Andere Projekte in Russland im Zusammenhang mit auto- nomen Panzern umfassen die Automatisierung des modernsten T-14 Armata-Kampfpanzers. In Indien produziert die Firma DRDO ihr Vorzeigeprodukt das Autonomous Unmanned Research Aircraft (AURA) im Tarnkappendesign mit Selbstverteidigungskapazitäten. Ohne besondere Einschränkungen werden im Jahr 2016 die Entwicklung und die Testung von autonomen Waf- fensystemen fortgesetzt werden. Zu einem Einsatz in Probleme mit Autonomen Waffensystemen Im Zusammenhang mit AWS gibt es vier Hauptprobleme: Erstens kann derzeit nicht garantiert werden, dass Autonome Waffensysteme, außer in sehr eingeschränk- tem Ausmaß, in Übereinstimmung mit den Menschen- rechten eingesetzt werden können. Für absehbare Zeit werden Maschinen auch nicht völlig in der Lage sein zu unterscheiden, verhältnismäßig zu handeln oder vor- sichtig zu sein. Außerdem erscheint jegliche Verantwor- tungsübernahme für Kriegsverbrechen unsicher. Zweitens ist es moralisch fragwürdig und gegen die Menschenwürde, wenn die Entscheidung zu töten an Maschinen delegiert wird. Drittens könnten die zukünftigen Entwicklungen von Autonomen Waffensystemen zu einem Wettrüsten und zur Massenproliferation mit vielschichtigen Problemen für die globale Sicherheit führen. Viertens würden sich Überprüfungen von AWS hin- sichtlich der Einhaltung der internationalen Men- schenrechte extrem schwierig gestalten. Diese Systeme können nicht formal getestet werden, eine empiri- sche Überprüfung kann nicht alle denkbaren Einsatz- umstände abdecken, viele können nicht einmal anti- zipiert werden. Weniger als 20 Staaten haben formale Überprüfungsmechanismen für AWS, noch weni- ger verfügen über die dazu erforderlichen technischen Kapazitäten. Internationale Politik Die Versammlung über bestimmte konventionelle Waf- fen (Certain Conventional Weapons – CCW) hat seit November 2013 über die Möglichkeit eines internati- onalen AWS-Vertrages beraten. In dieser Zeit haben 62 Staaten und fünf Staatengruppe ihre Bedenken zu Autonomen Waffensystemen geäußert. Bei bisher zwei informellen Expertentreffen 2014 und 2015 wurde von der CCW die AWS-Technologie diskutiert. Im Hinblick auf das weitere Vorgehen im Jahr 2016 gab - ber 2015 Stellungnahmen von 32 Staaten und fünf Staa-
  • 144. 142 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 tengruppen. Im November 2015 hat sich die CCW auf ein Mandat für ein weiteres Expertentreffen im April 2016 geeinigt. Der Bericht zu diesem Treffen wird im November 2016 diskutiert, gefolgt von der Entschei- dung, wie das Thema auf die Agenda der CCW-Über- prüfungskonferenz im Dezember gesetzt werden kann. Nationale Politiken der EU-Mitgliedsstaaten Für alle EU-Staaten einschließlich Österreich besteht die dringende Notwendigkeit, eine nationale Politik zu AWS zu entwickeln. Nur zwei Staaten haben bisher ihre Politikmaßnahmen vorgeschlagen. Das US-Verteidi- gungsministerium hat 2012 eine Richtlinie herausgege- ben, in der versichert wird, dass bei AWS immer geeig- nete Menschen entscheiden werden. Dies gilt jedoch nur für die Beschaffung und nicht für Entwicklung und Testung. Die britische Regierung hat bekannt gegeben, dass die Einbindung eines Menschen in den Entschei- dungsprozess für AWS immer sichergestellt ist und dass stützt wird. Keiner der beiden Staaten hat näher ausge- führt, was er unter menschlicher Kontrolle oder Ent- scheidung versteht. sammlung im Oktober 2015 zu einem internationa- len Verbot von AWS auf. Andere Staaten wollen einen Bann diskutieren und einige, einschließlich Österreich, Regierungsexperten verlangt. Es wäre sehr hilfreich, wenn Österreich eine eigene AWS-Politik entwickeln würde. KERNPUNKTE • Beim Vertrag über Autonome Waffensysteme müssen 2016 Fortschritte erzielt werden. • Bei Autonomen Waffensystemen kann die Einhaltung der Internationalen Menschrechte nicht garantiert werden. • Autonome Waffensysteme sind moralisch fragwürdig. • Die Proliferation von Autonomen Waffensystemen kann zu irreparablen Schäden bei der globalen Sicherheit führen. • Es besteht die dringende Notwendigkeit zur Entwicklung nationaler Politiken für Autonome Waffensysteme. Dies gilt für Österreich ebenso wie für alle EU-Staaten. KEY NOTES • Urgent need in 2016 is to move forward on an international treaty on AWS. • AWS cannot be guaranteed to comply with IHL. • AWS are morally questionable. • Proliferation of AWS would cause irreparable damage to global security. • There is pressing need for national policies on AWS including Austria and EU states in general.
  • 145. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 143 Nuklear Die Programme für Nuklearwaffen und ballistische Raketen der Demokratischen Volksrepublik Koreas, Indiens, Israels und Pakistans werden im Jahr 2016 wei- ter entwickelt werden. In drei dieser Staaten, anders als in Israel, werden sich die Anzahl und die Fähigkeiten von Nuklearwaffen, ballistischen Raketen und Marsch- - tem Uran und gespaltenem Plutonium weiter erhöhen. Die weiter bestehende Existenz von etwa 16.000 nuk- learen Sprengköpfen, ca. 1345 Tonnen waffenfähigem WEITERVERBREITUNG VON MASSENVERNICHTUNGS- WAFFEN 2016 Tariq Rauf Die Bedenken zur Verbreitung von – nuklearen, bio- logischen und chemischen – Massenvernichtungs- waffen werden weiterhin auf regionaler und globaler Ebene bestehen bleiben. Die größte Bedrohung geht dabei vom Nahen und Mittleren Osten, von Nordost- und Südasien aus. Die Verwendung von weiter anhalten und womöglich noch ansteigen. Sorgen hinsichtlich des Missbrauchs bzw. der schädlichen Anwendung fortschrittlicher Forschung zu biologischen Wirkstoffen werden bestehen bleiben.
  • 146. 144 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Uran und etwa 180 Tonnen gespaltenem Plutonium in neun Staaten mit Nuklearwaffen wird eine der größ- ten Herausforderungen für die Nichtverbreitung, die Abrüstung, den Schutz und die Sicherheit von Nukle- arwaffen sein. Staaten mit Nuklearwaffen werden auch weiterhin der durch Österreich geführten humanitären Initiative zu den Folgen des Einsatzes und zum Verbot von Nuklearwaffen entgegenstehen. Während der Iran zugestimmt hat, die Kapazität zur Urananreichung im Rahmen des Joint Comprehen- sive Plan of Action zu beschränken, wird er seine For- - fugen und ballistische Raketen ausbauen. Die Demokratische Volksrepublik Korea könnte einige zusätzliche Tests für ballistische Langstreckenrake- ten (KN-08, Unha-3, Musudan) und einen oder meh- rere Atomwaffentests durchführen, insbesondere dann, wenn der politisch-militärische Druck seitens der USA, Südkoreas und Japans anhält. Die anhaltenden Spannungen zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten bezüglich der Reduktion von Nuklearwaffen und der Einhaltung des 1987 abgeschlossenen Washingtoner Vertrags zum Ver- bot der Herstellung und Lagerung von Kurz- und Mit- telstrecken-Raketen könnten dazu führen, dass eine der Parteien den Vertrag aufkündigt. Dies könnte die Rus- sische Föderation dazu bringen, die Anzahl ihrer nicht- strategischen Nuklearwaffen in den westlichen Mili- tärbezirken zu erhöhen, und die USA in der Folge zu - ten phasenweisen Raketenabwehr in Westeuropa zu Stationierungen und zur Abstützung auf taktische Nuk- learwaffen zu zwingen. Zwischenfälle wie der Schmuggel von nuklearem und radioaktivem Material, das aus dem Raum der ehema- ligen Sowjetunion stammt, könnten weiter geschehen. Ebenso muss mit der illegalen und unregulierten Veräu- ßerung von radioaktiven Quellen gerechnet werden. Japans zunehmender Bestand an gespaltenem Pluto- nium, obwohl unter IAEA-Schutzmaßnahmen, könnte die Ansichten zur Nicht-Verbreitung und Abrüstung in Südkorea und China verändern. Chemisch Die Verwendung toxischer industrieller Chemika- lien wie Chlorgas oder Senfgas, die verbotene Anwen- dung von Chemiewaffen in der regulären und irregulä- ren Kriegsführung von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren wie Syrien, den syrischen Rebellen oder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ – wird es weiterhin geben, sollte der Bürgerkrieg in Syrien nicht bald been- det werden. Rund zehn Prozent des global deklarierten Bestandes von etwa 75.525 Tonnen chemischer Kampfstoffe in der Russischen Föderation und in den Vereinigten Staa- - tion für das Verbot von Chemiewaffen zerstört werden. Ein Prozess der um Jahre dem Zeitplan hinterher ist. Biologisch Die Dual-Use-Verwendung von Biotechnologie wird auch weiterhin eine Herausforderung hinsichtlich der Entdeckung von geheimen Programmen darstellen. Der Mangel an adäquater Vorbereitung der öffentlichen
  • 147. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 145 Ein Problembereich des biologischen Terrorismus ist die Erforschung und Technik der Funktionsfähigkeit serkrankungen mit Potential zur Auslösung von Pan- demien. Mögliche Mutationen, die aus der veränder- oder neuen genetischen Mustern resultieren, könnten das Potential für Missbrauch haben. erung und 4-D Druck haben das Potential zum vorsätz- lichen Missbrauch durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure bzw. Einzelpersonen. Forscher und Wissenschafter mit unlauteren Absich- ten zur Herstellung von gefährlichen Bakterien, Viren und Toxinen könnten sich Zugang zu Forschungsein- richtungen mit einem hohen Niveau an Bio-Sicherheit verschaffen. KERNPUNKTE • Die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen besteht weiter. • auszugehen. • Materialien und Komponenten für Nuklear- und Chemiewaffen werden weiter produziert werden. • Einschlägige Zwischenfälle und das Risiko des Schmuggels von nuklearem und radioaktivem Material müssen weiterhin ernst genommen werden. • Neue Risiken und Herausforderungen könnten aus der sich weiterentwickelnden Biotechnologie entstehen. • Internationale Verträge sowie andere rechtliche oder freiwillige Dokumente und Maßnahmen im Bereich Massen- vernichtungswaffen werden weiterhin bezüglich ihrer Einhaltung, Effektivität, adäquaten Ressourcen und univer- sellen Gültigkeit herausgefordert werden. KEY NOTES • The danger of a proliferation of weapons of mass destruction will continue. • • The production of materials and components for nuclear and chemical weapons will continue. • • New risks and challenges may evolve from emerging biotechnology. • International treaties and other legal or voluntary documents and measures concerning the proliferation of wea- pons of mass destruction will continue to be challenged with regard to compliance, effectiveness, adequate re- sources, and universality.
  • 148. 146 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Importabhängigkeit Europas und Österreichs Der Energiemix Europas besteht zu 17 % aus festen, nicht erneuerbaren Energieträgern wie z.B. Braun- und Steinkohle, zu 33 % aus Erdöl und Erdölprodukten, zu 23 % aus Erdgas, zu 14 % aus Kernenergie sowie zu 13 % aus erneuerbaren Energieträgern und Abfallver- wertung. Die Situation Österreichs unterscheidet sich auch 2016 vor allem in zwei Punkten: Einerseits besteht und Ölimporten, andererseits ist der Anteil erneuerbarer Energieträger aus lokalen Ressourcen mit ca. 28 % des 2016 wird die Nachfrage nach Erdöl aufgrund der weiter- hin weltweit nur schwach wachsenden Wirtschaft gering bleiben, das Produktionsüberangebot hingegen wird wei- terhin bestehen, sodass lediglich ein leichter Anstieg des ENERGIESICHERHEIT EUROPAS 2016 Julia Grill und Harald Raupenstrauch Eine gesicherte Energieversorgung ist für die Zu- kunft Europas von entscheidender Bedeutung. Die europäische Wirtschaftskraft beruht nicht nur auf der kontinuierlichen Belieferung mit Öl und Gas, - völkerung ist direkt mit einer uneingeschränkten Versorgung von Energie verbunden, da sämtliche Bereiche des alltäglichen Lebens wie z.B. die Nah- rungsmittelverteilung, Kommunikation oder Mobili- tät von der Funktionstüchtigkeit der Energienetze abhängen. Während für sicherheitstechnische Fra- gestellungen im Allgemeinen maximal zulässige Aus- fallswahrscheinlichkeiten angenommen werden dür- fen, gilt dies für die Energieversorgung nicht. Sicherheit in diesem Bereich bieten daher nur Maß- nahmen, die sowohl unmittelbar wirksam sind als auch darüber hinaus langfristige Stabilität gewähren.
  • 149. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 147 Rohölpreises zu erwarten ist. Obwohl die allgemein nied- rigen Energierohstoffpreise Investitionen in erneuer- bare Energieträger erschweren, ist 2016 aufgrund der gesetzlich verbindlichen Klimaziele, die einen EU-wei- ten Anteil der erneuerbaren Energieträger von 20 % des - terer Ausbau von Windparks, Photovoltaikanlagen etc. absehbar. Barentsee, dem europäischen Nordmeer sowie in der - und Norwegen, liegen die größten Erdölvorkommen - britannien, Braunkohle überwiegend in Deutschland gefördert. Diese Lagerstätten reichen allerdings bei wei- tem nicht mehr aus, um den Bedarf zu decken. Europa wird daher auch 2016 stark auf Importe fossiler Energieträger aus dem Ausland angewiesen sein. Im Jahr 2013 wurden rund zwei Drittel des gesamten Energie- bedarfs durch Importe gedeckt, wobei dieser Anteil bis - rant ist in Bezug auf Erdöl, Erdgas und Kohle weiterhin Russland. Darüber hinaus bezieht Europa Kohle unter anderem aus den USA, Kolumbien und Südafrika sowie Erdöl aus Libyen, Saudi-Arabien und dem Iran. Erdgas wird auch von Katar und Algerien geliefert. Meist wird in den Energiebilanzen die Abhängigkeit Europas von Uran als Energieträger außer Acht gelassen. Auch hier liefert Russland ca. 20 % des Bedarfs, außerdem beziehen wir Uran aus Australien, Kanada, Nigeria und Kasachstan. - wiegend auf dem Seeweg und werden vom Hafen Rotter- Europa und Nord Stream versorgen Europa mit Erdgas aus dem russischen Raum. Weder werden geplante oder Nabucco und South Stream, die vor allem eine Versor- gung der südeuropäischen Länder mit Erdgas gewähr- leisten sollen, 2016 vorangetrieben noch sind neue Alter- nativen zu diesen Projekten bekannt. Beitrag der erneuerbaren Energieträger zur Versorgungssicherheit Der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern kann daher entscheidend zur Erhöhung der Versorgungssi- cherheit beitragen, da deren Ressourcen auch innereuro- päisch zur Verfügung stehen. Kritisch zu betrachten ist hierbei der Bedarf an Rohstoffen für die Technologiebe- reitstellung, da hier wiederum große Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten bestehen. Für das in Windkraft- anlagen verbaute Seltene-Erden-Element Dysprosium sowie für Indium in Dünnschicht-Photovoltaik-Zellen ist bislang China die einzige relevante Fördernation. Aller- dings bestehen für diese Technologien auch unkritische Alternativen, die 2016 bzw. in weiterer Zukunft verstärkt zum Einsatz kommen könnten. Bis zum Jahr 2050 plant die EU einen Deckungsgrad von ca. 50 % des Ener- giebedarfs aus erneuerbaren Quellen, wofür vor allem kommen sollen. Dies birgt den Vorteil der gesteigerten - tems gegenüber Ausfallsszenarien im Vergleich zur aktu- ellen Situation hoch bleibt. Oftmals wird daher eine ver- mehrte Dezentralität von Erzeugungsanlagen gefordert, um die Sicherheit in der Energieversorgung zu gewähr- leisten, allerdings muss in diesem Fall das sicherheits- technische Augenmerk auf dem Netzausbau und der Netzstabilität liegen.
  • 150. 148 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die Abhängigkeit Europas von ausländischen Ener- gieproduzenten bleibt auch 2016 bestehen. • Der Ausbau erneuerbarer Energieträger trägt in der EU entscheidend zur Versorgungssicherheit bei. • Maßnahmen zur Energieversorgungssicherheit müs- sen unmittelbar wirksam sein und gleichzeitig lang- fristige Ziele verfolgen. • Innereuropäisch muss der Ausbau der Infrastruktur tandorte auch 2016 weiter vorangetrieben werden. • Ein geschlossenes Auftreten in der externen Ener- giepolitik Europas trägt entscheidend zur Versor- gungssicherheit bei. Politische Maßnahmen: Sicherung der Energierohstoffversorgung Angesichts seines Ressourcenreichtums wird Russland auch 2016 der zentrale Energiepartner der EU bleiben. dukts aufgrund des Energieaußenhandels mit Europa erwirtschaftet, orientieren sich Produzenten wie z.B. Bau- und Risikobeteiligung von Förderungs- und Trans- sowie der politisch angespannten Situation seit Beginn der Ukraine-Krise 2014 zunehmend an der steigenden Nachfrage aus China und dem eurasischen Raum. Dieser wechselseitigen Vertrauenskrise muss außenpolitisch so bald wie möglich begegnet werden. Durch aktuelle Entwicklungen in Syrien ist ein Näher- rücken Europas und Russlands zu bemerken. Diese Impulse können genutzt werden, um die Versorgungs- sicherheit mit russischem Erdgas weiter zu stabilisieren. Auch wenn insgesamt das Risiko eines technischen Aus- falls der Energielieferungen für 2016 als gering zu bewer- ten ist, gibt es bislang zu den Nadelöhren des Hafens werten Alternativen. Für den Schutz dieser Einrichtun- gen gilt daher oberste Priorität. Die Europäische Kommission hat in ihrer Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung eine Diver- Erhöhung der einheimischen Energieproduktion, eine verbesserte Koordinierung der nationalen Energiepoli- tiken sowie ein geschlossenes Auftreten in der externen Energiepolitik vorgeschlagen. Diese Maßnahmen müs- sen neben der Weiterentwicklung von Energietechnolo- gien, dem Bau fehlender Infrastrukturverbindungen und verfolgt werden. KEY NOTES • In 2016 Europe‘s dependence on foreign energy producers will remain unchanged. • The expansion of renewable energy sources within supply. • Measures to secure the energy supply must be ef- fective immediately while pursuing long-term goals. • Within Europe, the expansion of infrastructure to gu- sites must continue in 2016. • A united position on Europe’s external energy policy is a decisive contribution to the security of supply.
  • 151. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 149 ENTWICKLUNGS- PERSPEKTIVEN AM WESTBALKAN 2016 Das Wechselspiel von politischen Fortschritten ei- nerseits und intraregionalen Antagonismen anderer- seits wird sich am Westbalkan 2016 voraussichtlich - bewältigung kommt die internationale Flüchtlings- problematik als neue Herausforderung hinzu. Die EU-Integrationspolitik, aber auch die Präsenz der Friedenstruppen EUFOR und KFOR bilden weiterhin einen wichtigen Rahmen für die Friedenskonsolidierung.
  • 152. 150 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Allgemeine Trends Auch das Jahr 2016 wird für den Westbalkan im Kon- Herausforderung charakterisiert werden, noch beste- hende instabile Verhältnisse zu überwinden und sich dem Zustand eines konsolidierten Friedens anzunä- hern. Eine zentrale Rolle wird in diesem Zusammen- hang auch weiterhin die EU-Integrationspolitik gegen- über den Westbalkanländern spielen. Das gemeinsame Interesse, mittel- bis langfristig Mitglieder der EU zu werden, fördert politische Normalisierungspro- zesse in der Region. Substanzielle Fortschritte bei der interethnischen Aussöhnung werden wahrscheinlich auch 2016 nur schwer zu erzielen sein. Durch Politi- ker gesteuertes interethnisches Misstrauen, die ökono- misch schwierige Lage, staatliche Dysfunktionalitäten und offene Statusfragen sowie autoritäre Tenden- zen können nach wie vor zu nationalistischen Rück- schlägen am Westbalkan führen und religiösen Ext- remismus hervorrufen. Wirtschaftlichen Prognosen zufolge werden die Westbalkanländer 2016 ein gerin- ges bis mittleres Wirtschaftswachstum in der Band- breite 0,9 bis 3,5 Prozent verzeichnen. Nach mehrjäh- riger Rezession wird dieses prognostizierte Wachstum aber nicht ausreichen, um die hohe Arbeitslosigkeit verringern. Flüchtlingskrise Bei der Bewältigung der internationalen Flüchtlings- krise und Migrationsströme sind die Westbalkanländer maßgeblich von der Durchsetzung einer koordinierten Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU abhängig. Ein weiterer unkontrollierter Zustrom von Hundert- tausenden Flüchtlingen, Migrantinnen und Migran- ten aus dem Nahen Osten und Zentralasien, die 2015 den Westbalkan hauptsächlich als Transitregion Rich- tung Deutschland benutzt haben, würde die Länder der Region hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und ökonomischen Aufnahmekapazität überfordern. Eine - dern – wie sie sich schon 2015 zwischen Kroatien und Serbien wegen der Flüchtlingsproblematik abgezeich- net haben – wäre eine der negativen Folgen. EU-Integrationspolitik und geopolitische Für die politische Konsolidierung des Westbalkans bleibt eine proaktive Integrationspolitik der EU – die auch von Österreich unterstützt wird – entscheidend. Ein Nachlassen in diesem Bereich hätte die verstärkte - - ckelt sich in wesentlichen Bereichen konträr zur regio- nalen Konsolidierungspolitik der EU. Islamismus und Prävention Islamistische Bewegungen werden unter südslawi- schen Muslimen und muslimischen Albanern auch weiterhin Zulauf erhalten, innerhalb der islamischen Mehrere hundert radikalisierte Jugendliche und junge Erwachsene vom Westbalkan haben sich seit 2013 der Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Mittleren Osten angeschlossen. Als Reaktion darauf haben die ende „Foreign Fighters“ beschlossen. Die Verbesser- ung der ökonomischen Perspektiven, eine präventive
  • 153. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 151 Jugendarbeit durch moderate islamische Repräsen- tanten, erkennbare Erfolge im Prozess der intereth- nischen Aussöhnung und die Verbesserung der staat- lichen Funktionalität – insbesondere in Bosnien und Herzegowina – wären wichtige Schritte, um die Mobi- Autoritäre Tendenzen Am gesamten Westbalkan sind unter Spitzenpolitikern politisch-autoritäre Tendenzen feststellbar. Dies stellt eine demokratiepolitisch bedenkliche Entwicklung dar, der die EU im Rahmen ihrer Konditionalitätspoli- tik 2016 verstärktes Augenmerk widmen sollte. EUFOR und KFOR Im sicherheitspolitischen Bereich wird die Präsenz der Friedenstruppen EUFOR in Bosnien und Herzego- wina und der KFOR im Kosovo auch 2016 eine wich- tige stabilisierende Rolle spielen. Beide von Österreich maßgeblich unterstützten Friedensoperationen sind als „Sicherheitsnetz“ nach wie vor notwendig, da die poli- tische Führung des bosnisch-herzegowinischen Staats- teils Republika Srpska eine nationalistische und sepa- ratistische Politik verfolgt und im Kosovo noch keine Anzeichen für eine nachhaltige Aussöhnung von ser- bischer Minderheit und albanischer Mehrheit feststell- bar sind. Trends in einzelnen Westbalkanländern Das nunmehrige EU-Mitglied Kroatien fungiert als „Rollenmodell“ für die anderen Westbalkanländer und sollte deshalb eine demokratische Vorbildfunktion erfüllen. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen führten 2015 zu einer starken Polarisierung zwischen den politischen Blöcken und zur Verstärkung des Nati- onalismus in Kroatien, mit negativen Begleiterschei- nungen für die nachbarschaftlichen Beziehungen. Da 2016 die neuen politischen Parameter feststehen soll- ten, ist mit einem Schwenk hin zu einer vergleichs- weise konstruktiveren Innen- und Außenpolitik zu rechnen. In werden positive Trends in Form von EU-unterstützten Wirtschaftsreformen durch die nationalistische Politik des Präsidenten des Staatsteils Republika Srpska konterkariert. Es ist damit zu rechnen, dass sich dieses Politikmuster auch 2016 fortsetzen wird. Die friedenspolitischen Ambitionen der Regierungen in und im Kosovo werden 2016 von der EU vor allem daran gemessen werden, ob auf der einen Seite Belgrad die Integration der Kosovo-Serben in das politische und rechtliche System des Kosovo unter- stützen und auf der anderen Seite die kosovarische Regierung die Implementierung des bereits vereinbar- Wegen der sehr unterschiedlichen Interpretation der diesbezüglichen Abkommen in Belgrad und Prishtina/ Priština sind 2016 daraus entstehende politische Kon- Kosovo-albanischen Protestbewegung Vetëvendosje sehr wahrscheinlich. In Montenegro zwischen dem montenegrinischen Ministerpräsiden- EU, sondern auch zur NATO-Mitgliedschaft führen will, und einem extremistischen Teil der serbisch-nati- onalistischen Opposition verschärfen. Den Anstoß für weitere gewaltsame Demonstrationen könnte die Kon-
  • 154. 152 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 troverse um den angestrebten NATO-Beitritt geben. Vermittlungsinitiativen zur Verhinderung einer wei- wären – auch von Seiten der EU – sinnvoll. Mazedonien wird 2016 mit der Unsicherheit konfron- tiert sein, ob ein vom EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn vermitteltes politisches Abkommen KERNPUNKTE • Interethnisches Misstrauen, die schwierige ökono- mische Lage, staatliche Dysfunktionalitäten, offe- ne Statusfragen und autoritäre Tendenzen können auch 2016 zu nationalistischen Rückschlägen am Westbalkan führen und/oder religiösen Extremis- mus hervorrufen. • Ohne eine besser koordinierte Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU werden die Westbalkan- staaten hinsichtlich ihrer Aufnahmekapazität über- diesem Kontext verstärken. • Balkan-Muslimen zwar eine kleine Minderheit; prä- ventive Maßnahmen sind jedoch notwendig. • Die Fortsetzung der EU-Integrationspolitik bleibt der Kernfaktor für Fortschritte im Rahmen der regiona- len Konsolidierung. • Angesichts der noch bestehenden politischen und sicherheitspolitischen Fragilität wird die Präsenz der Friedenstruppen EUFOR und KFOR auch 2016 als „Sicherheitsnetz“ notwendig sein. KEY NOTES • In 2016, inter-ethnic distrust, a challenging econo- mic situation, state dysfunctions, unsolved questi- ons of status, and authoritarian tendencies could lead to nationalist setbacks in the Western Balkans and/or cause religious extremism. • There is a need for a more coordinated migration and refugee policy by the EU otherwise the Western Balkans risking to be overstrained in terms of their sify in this context. • small minority among Balkan Muslims, preventive measures are necessary. • The continuation of the EU’s integration policy re- mains the key factor for the progress of a regional consolidation. • Given the remaining political and security fragility, the presence of EUFOR and KFOR peacekeepers as a „safety net“ will still be necessary in 2016. nnvoll. it der U om EU n verm KE • m Oh Flüc aate m Kon men zw en sind Integratio Rahmen der reg - ns n ster f the slims, EU’s int ctor for th olidation. • Given strauen, die schwierige ökono- he Dysfunktionalitäten, offe- oritäre Tendenzen können chen Rückschlägen am r religiösen Extremis- grations- und e Westbalkan- apazität über- prä- er KEY NOTES • In 2016, inter-ethnic distrust, mic situation, state dysfunc ons of status, and autho lead to nationalist setb and/or cause religio • There is a need fo and refugee pol Balkans riskin sify in thi • sma m • zur Entschärfung der innenpolitischen Krise tatsäch- lich umgesetzt werden kann. Es sieht die Abhaltung neuer Parlamentswahlen im April 2016 vor. Substan- zielle Initiativen der EU zur Beendigung der griechi- schen Blockadepolitik gegenüber Mazedonien wären zwar wünschenswert, sind aber 2016 wahrscheinlich nicht zu erwarten.
  • 155. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 153 In der heutigen Zeit wird es immer schwieriger, kon- krete Vorhersagen zu treffen. Wir leben in einer BOSNIEN UND HERZEGOWINA 2016 2016 und in den folgenden Jahren werden Kriege, - ren Vergangenheit, aber auch jene lang vergangener Zeiten, die Ereignisse und Entwicklungen in Bosnien - tik wird auch weiterhin durch Manipulation und ein- seitige Interpretation der Geschichte versuchen, die Gegenwart und Zukunft in ihrem Interesse zu verändern.
  • 156. 154 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 interdependenten, sich rasch entwickelnden Welt, in der verstärkte Verschränkungen auf verschiedensten Ebenen der internationalen Beziehungen sowie der in den Bereichen Informationstechnologie und Cyber alle Bereiche des menschlichen Miteinander beein- diese Entwicklungen von Relevanz. Fortschritte in Richtung NATO und EU Die zukünftige Entwicklung BiHs in Richtung einer NATO Mitgliedschaft könnte zu negativen Reak- tionen aus Belgrad – in Verbindung mit Interessen Russlands – führen. Was den Weg BiHs in Richtung EU betrifft, erscheint es zurzeit wahrscheinlich, dass diese Anstrengungen von Belgrad unterstützt wer- den. Demgegenüber wird Zagreb beide Anstrengun- gen, in Richtung EU und NATO, unterstützen. Auf jeden Fall wird BiH alles versuchen, den Member- ship Action Plan (MAP) voll umzusetzen, um weitere Schritte in Richtung NATO zu unternehmen und gleichzeitig alles daransetzen, mit Beginn des nächs- ten Jahres EU-Beitrittskandidat zu werden. Regionale Kooperation BiH wird auch weiterhin stark von seinen Nachbarn- staaten in der Region, allen voran Kroatien und Ser- Staaten eine positive Wahrnehmung in der EU, sei es als Mitgliedsstaat (Kroatien) oder als Mitgliedswer- ber (Serbien). Langfristig werden beide versuchen, Ansprüche an Teile des Territorium BiHs, unter Anwendung transparenter sowie versteckter Prakti- ken, aufrecht zu erhalten. Die Integration Montene- gros in die NATO ist für den Westbalkan im Allge- meinen und für BiH im Besonderen sehr relevant. Russland und Serbien werden versuchen, den Beitritt Montenegros zur Allianz zu verhindern, was Turbu- lenzen für die gesamte Region mit sich bringen wird. Politische Situation Der Krieg in BiH von 1992 bis 1995 endete nicht mit einem klaren Sieg einer Partei auf dem Schlachtfeld. - teure, jene Ziele, die nicht auf kriegerische Weise zu erreichen waren, auf politischer Ebene umzusetzen. Einige politische Akteure könnten unter Umstän- den den Hohen Repräsentanten für BiH zum Ein- satz der Bonn Powers drängen, sollte gegen die staat- liche Stabilität oder das Wohlergehen des gesamten Staates verstoßen werden. Verschiedene politische Eliten des Landes werden sich weiterhin einige Teil- bereiche des Dayton-Abkommens bedienen, sofern dies der Umsetzung der politischen Ziele förderlich - mens ignorieren, wenn sie politischen Zielen nicht entsprechen. Mit Blick auf die notwendigen verfassungsrecht- Kompromissen vorherrschen. Die Führer der ver- einander wechselseitig beschuldigen; die Bosniaken - den sezessionistischer Bestrebungen und die Kroa- ten für die Idee, eine dritte ethnische Entität grün- den zu wollen. Politische Konfrontation wird auch in naher Zukunft in verschiedensten Bereichen und auf nahezu allen Ebenen vorherrschend bleiben. Die Streitigkeiten innerhalb der in der Republika Srpska (RS) herrschenden Koalition unter Milorad Dodik
  • 157. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 155 werden den politischen Druck auf die Vertreter der RS auf gesamtstaatlicher Ebene (Mladen Ivanic und Mladen Bosic) weiter erhöhen. Dodik und seine Par- und Streitigkeiten zu schüren, um eine Normalisie- rung der Situation und der Politik zu vermeiden. Das Interesse der Öffentlichkeit wäre anderenfalls auf die schlechte soziale Situation, eine Reihe von Korrup- tionsfällen innerhalb der RS und die Verantwortung der Entscheidungsträger für die schlechte politische Situation innerhalb der RS gelenkt. Demgegenüber wird die Situation in der bosnisch-kroatischen Föde- ration, trotz verschiedener politischer Meinungsver- schiedenheiten und Animositäten innerhalb der Koa- lition, ruhig bleiben. Wirtschaftliche Situation Die Wirtschaft des Landes wird sich in 2016 leicht Bereich der Föderation wird die erst gewählte Koa- lition danach trachten, reformstark aufzutreten und zu versuchen, die Kooperation der Wirtschaft mit den staatlichen Behörden und den Universitäten zu verbessern. Korruption und Organisierte Kriminalität Angesichts unzureichender Mittel zur Umsetzung, organisatorischer Mängel und der weit verbreitenden Korruption wird die Erfolgsbilanz der staatlichen Stellen auch im Jahr 2016 schlecht bleiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Kriminelle auch im nächs- ten Jahr untereinander besser kooperieren werden als die staatlichen Strafvollzugsbehörden. Globale und lokale Sicherheitsgefahren Terrorismus, Extremismus, illegale Migration, der Schmuggel von Menschen, Drogen und Waffen sowie sonstige Ausprägungen der Organisierten Krimina- lität stellen die Sicherheitsherausforderungen und Sicherheitsapparat des Landes fordern. Der Extremis- mus in BiH muss im historischen und globalen Kon- text verstanden werden. Nachdem sie unter anderen Extremisten lange gelitten haben, werden einige Ext- remisten unter den Moslems in BiH versuchen, ihre Verbindungen mit den regionalen und globalen Netz- werken radikaler Moslems aufrechtzuerhalten. Dieser Umstand ist auch für Österreich relevant, da einige in Wien und mit anderen einschlägigen Zentren in Österreich bestehen. Migration Es ist unwahrscheinlich, dass die Welle von Flücht- lingen sowie Migrantinnen und Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten, die im laufenden Jahr nach Westeuropa geströmt sind, die Situation in - ten, dass die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten Auswirkungen auf die politische, ökonomi- sche, kulturelle, demographische und sicherheitspo- litische Situation am Westbalkan und noch viel mehr auf jene Europas haben werden. Selbstverständlich existiert eine Vielzahl weiterer einzelner oder komplexer Herausforderungen und unvorhergesehen die Stabilität des Staates gefährden und sind somit sowohl für das Sicherheitssystem aber auch für jeden Staatsbürger von Relevanz.
  • 158. 156 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Falls jene EU-Staaten, die an die Staaten des Westbalkans grenzen, ihre Grenzen schließen sollten, und der Strom der Migrantinnen und Migranten nach BiH geleitet werden sollte, wird dies komplexe politische, sicher- heitstechnische, wirtschaftliche und andere Konsequenzen haben. • Junge, oft gut gebildete Bürger BiHs werden weiterhin ihr Land verlassen, um anderswo ein besseres Lebensum- feld zu suchen. Gleichermaßen wird es aber noch mehr Druck auf die politische Führung des Landes bedürfen, bevor reformstarke Entwicklungen umgesetzt werden. • Der Terrorismus in BiH mit seinen historischen und globalen Beziehungen wird auch weiterhin eine massive Her- ausforderung für den Staat und die gesamte Region bleiben. • Es gibt Indikatoren einer weiteren Fortführung des Stabilisierungs- und Assoziierungspfades. Dennoch ist es mög- lich, dass Behinderungen und Unterbrechungen die Entwicklung verlangsamen. • von Seiten Russlands und einiger serbischer Radikaler negativ wahrgenommen werden wird. KEY NOTES • If EU countries, bordering Western Balkans, close their borders, migrants from Middle East may come to BiH, which will have much more complex political, security, economic and other consequences. • Young people from BiH, mostly well educated, continue to leave their home country, seeking better job and life en- vironment, which will pose more serious demands before BiH leadership to provide lasting capacities of the state institutions to cope with the growing demands of reforms and integrations. • Terrorism in BiH, with its historic and global links will preserve a grave challenge to the state itself and the whole region. • There exist indicators suggesting the presence of continuous SAA implementation, but possible interruptions and road blocs may still cause delays. • ceptance from Russia and some Serbian radicals.
  • 159. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 157 Opposition gegen die Regierung radikali- siert sich Der Druck der Opposition auf die Regierung ist seit den letzten Wahlen und der Bildung der neuen Regie- rung enorm angewachsen. Die Kritik der Opposition richtete sich im Verlauf des Jahres 2015 vor allem gegen die mit Serbien getroffenen Vereinbarungen – beschlos- sen im Vorfeld der Westbalkankonferenz in Wien im - mals während des Jahres kam es zu teils gewalttäti- gen Protesten auf den Straßen von Prishtina. Im Herbst setzte die von Vetevendosje rund um Albin Kurti und die Allianz für die Zukunft des Kosovo (AAK) von Ramush Haradinaj angeführte Opposition auf die Blo- ckade der Arbeit des Parlaments und zwar diesmal mit KOSOVO 2016 Die Ende des Jahres 2014 gewählte neue Regierung im Kosovo unter Premierminister Isa Mustafa, die sich zum ersten Mal aus einer großen Koalition zwi- schen der Demokratischen Liga des Kosovo (LDK) und der Demokratische Partei des Kosovo (PDK) bil- dete, hatte einen schwierigen Beginn. Die Kritik der Opposition und der Bevölkerung an der Bildung der bislang von der Anzahl der Minister und Stellvertre- ter her größten Regierung im Kosovo war von Be- ginn an groß. Die erste große Herausforderung war die Anfang des Jahres 2015 eingesetzte Massen- der anhaltend schlechten sozioökonomischen Situa- tion im Kosovo ist davon auszugehen, dass der Mig- rationsdruck im Jahr 2016 konstant hoch bleiben wird. Im kosovarischen Fall wird es mittel- bis lang- fristig notwendig sein, reguläre Migrationskanäle oder neue Migrationsstrategien seitens der EU zu implementieren, um die irreguläre Migration in lega- le Bahnen zu lenken, von denen sowohl der Kosovo keiner Entspannung kommen, ist eine weitere – nicht zuletzt auch islamische – Radikalisierung der kosovarischen Jugend wahrscheinlich.
  • 160. 158 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Tränengasattacken. Es ist im Jahr 2016 mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Proteste fortgesetzt werden. Auch gewalttätige Ausschreitungen im Zuge von Stra- ßenprotesten, die die Opposition weiterhin als ein wich- tiges Druckmittel gegen die Regierung einsetzen wird, sind eher wahrscheinlich. Durch die angespannte poli- tische Lage ist auch aus österreichischer Sicht besondere Wachsamkeit angebracht. Weitere innenpolitische Turbulen- zen durch das Sondertribunal für Kriegsverbrechen Im August 2015 stimmte das kosovarische Parlament unter starker Kritik der Opposition der Errichtung eines Kriegsverbrechertribunals zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen der Kosovarischen Befreiungsar- mee (UCK) zwischen 1998 und 1999 zu. Die auf star- ken Druck der internationalen Staatengemeinschaft zustande gekommene Entscheidung könnte für manche politische Führungspersönlichkeiten wie Hashim Thaci im Jahr 2016 gefährlich werden. Das Tribunal wird im Verlauf der Jahres 2016 mit ersten Untersuchungen beginnen und kann vermutlich einiges an innenpoliti- schen Turbulenzen mit sich bringen. Angespannte Lage zwischen Belgrad und Prishtina Das im August 2015 vereinbarte Abkommen mit Ser- bien wurde bei der Westbalkan-Konferenz in Wien als großer Erfolg und Durchbruch gefeiert. Zusammen mit der Unterzeichnung der Erklärung, wonach die Staa- ten der Region sich zur Lösung bilateraler Streitigkeiten - ten, konnte man nach der Wiener Konferenz positiv gestimmt sein. Im Herbst 2015 setzte man in Prisht- ina die Implementierung des Brüsseler Beschlusses über einseitig aus und delegierte diese Frage an den Verfas- sungsgerichtshof des Kosovo, der um die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Vereinbarung gebeten wurde. Belgrad beschuldigte Prishtina umgehend, Vereinba- rungen zu brechen. Auf der anderen Seite nutzte Bel- grad alle diplomatischen Mittel, um den Beitritt des Kosovo zur UNESCO zu verhindern, was Belgrad auch gelang. Die Beziehungen haben sich also verschlechtert und im Jahr 2016 wird ein neuerliches starkes Engagement der EU notwendig sein, um wieder Bewegung in die Ver- handlungen zwischen Belgrad und Prishtina zu brin- gen. Es kann durchaus sein, dass die derzeitige Eiszeit Frühjahr 2016 Wahlen nicht ausgeschlossen) im ersten Halbjahr 2016 fortgesetzt wird. Die bislang getroffe- nen Kompromisse dürfen aber nachhaltig nicht gefähr- det werden, sodass man davon ausgehen kann, dass im Jahr 2016 einen starken Druck auf die beiden Sei- ten ausüben wird, um mehr Kompromissbereitschaft zu zeigen und konkrete Implementierungsschritte zu set- zen. Hier könnte auch Österreich in Vorbereitung auf - zu deblockieren. Kosovo und die EU Der Kosovo konnte im Jahr 2015 mit der Unterzeich- nung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkom- mens (SAA) einen großen formalen Erfolg verbuchen. In der Frage der Visa-Liberalisierung kam man nicht weiter. Angesichts der derzeitigen Flüchtlings- und
  • 161. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 159 Migrationskrise und der Debatten über die Zukunft von Schengen wird es im Jahr 2016 nicht leicht sein, eine Visa-Liberalisierung zu erreichen. Der Kosovo Entschlossenheit zu Reformen durch die Implemen- tierung der Bestimmungen des SAA zu beweisen. Die Voraussetzungen dafür sind angesichts der innenpo- litischen Spannungen und strukturellen Probleme der kosovarischen Staatlichkeit nicht optimal. Ein wichtiger Bereich, in dem Fortschritte auf dem wei- teren Weg Richtung EU-Integration notwendig sind, ist jener der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo. Die EU mit ihrer Rechtsstaatlichkeitskommission EULEX, deren Mandat bis Juni 2016 ausgelegt ist, ist in der Vergangenheit immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik gewesen. Im Jahr 2016 wird vermutlich die Ver- längerung und mögliche Anpassung des Mandats gese- hen werden. Die EULEX muss im Jahr 2016 alles daran setzen, die Makel der Vergangenheit abzulegen und mit guter und konsequenter Arbeit einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit im Kosovo zu leisten. Konsequenzen für Europa, die EU und Österreich Eine Verschlechterung der innenpolitischen und sozio- ökonomischen Situation im Kosovo im Jahr 2016 könnte sich negativ auf die Region und damit auch auf die Bemühungen der EU um Stabilisierung des West- balkans auswirken. Druck der EU auf Belgrad und Prishtina – mit einem Mitwirken Österreichs – wird notwendig sein, um wieder ein positives Klima im Dia- log zu schaffen. Nach Möglichkeit sollte die EU, und hier können vor allem Österreich und Deutschland eine zentrale Rolle spielen, an der Entwicklung und Imple- mentierung der legalen Migrationswege für den Kosovo und die Region arbeiten, um den Migrationsdruck zu lindern und der Radikalisierung entgegenzuwirken. Zugleich bleibt es von essentieller Bedeutung, dass man die volle Funktionalität der im Kosovo tätigen internati- onalen Institutionen gewährleistet. Hier ist aus österrei- chischer Sicht insbesondere wichtig, weiterhin eine der zentralen Stützen der KFOR und damit auch der Stabi- lität des Kosovo zu bleiben. KERNPUNKTE • Die sozioökonmische Lage im Kosovo bleibt ange- spannt, neue Investionen und legale Migrationswe- ge sind dringend notwendig. • Innenpolitisch herrscht die Gefahr einer fortge- setzten Blockade des Landes und gewalttätiger Ausschreitungen. • Der Dialog zwischen Belgrad und Prishtina ist ge- fährdet, die EU muss ihr gesamtes Gewicht für die Deblockade und die Implementierung der Vereinba- rungen einsetzen. • Der Kosovo muss durch interne Reformen bewei- sen, dass ernsthaft an der EU-Perspektive gearbei- tet wird. KEY NOTES • The socio-economic situation in Kosovo remains tense, new investments as well as legal ways of mig- rating to the EU are urgently needed • As far as domestic policy is concerned, there is the risk of a continued blockade of reforms as well as vi- olent clashes. • The dialogue between Belgrade and Pristina is at order to free the process and guarantee the imple- mentation of the agreements. • Kosovo must prove that it is working hard on an EU perspective through internal reforms.
  • 162. 160 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 MAZEDONIEN 2016 Dane Taleski Eine „technische“ Mehrparteienregierung mit einem ab Jänner 2016 neuen Premierminister von der In- ternen Mazedonischen Revolutionären Organisation – Demokratische Partei für die Nationale Einheit Mazedoniens (VMRO-DMMNE) wird im April 2016 Wahlen durchführen. Das ist der wichtigste Punkt des „Przhino-Abkommens“, das von der EU mit dem Ziel initiiert wurde, die politische Krise des Jahres 2015 zu überwinden. Nichtsdestotrotz wird eine hohe Polarisierung der politischen Parteien die Handlungsfähigkeit der Regierung minimieren, und dies könnte schon zu Jahresbeginn 2016 zu einer institutionellen Pattsituation führen. Prekäre Stabilität Im Rahmen des „Przhino-Abkommens“ wurde ein spe- zieller Staatsanwalt installiert, der Strafverfahren wegen politischer Korruption und Machtmissbrauch auch ge- gen hochrangige Vertreter der Regierungsparteien ein- leiten soll, so wie es die angeblich veröffentlichten Ton- bandaufnahmen 2015 nahe legen. Dies könnte das - sen, obwohl die Regierungspartei in den Meinungsum- fragen vom November 2015 voran lag. Es ist wahr- scheinlich, dass die Regierungspartei im Wahlkampf ihr Klientelnetzwerk nützen und sich nationalistischer Rhe-
  • 163. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 161 torik bedienen wird. Obwohl die Sozialistischdemokra- tische Union Mazedoniens (SDSM) als stärkste Opposi- tionspartei ihre politische und moralische - noch Schwierigkeiten bei der Mobilisierung ihrer poten- tiellen Wählerschaft. Auf der anderen Seite fordern neue aufstrebende albanische Parteien die bereits exis- tierenden heraus. Ein schärferer Wettbewerb um Stim- men im „albanischen Lager“ wird auch die Bedeutung des ethnischen Faktors erhöhen. auch zwischen den albanischen Parteien, könnten even- tuell auftreten. Wenn die gegenwärtige Regierungspar- tei gewinnt, dann kann zwar die Stabilität im Land auf- rechterhalten werden, aber die Demokratie würde weiter Schaden nehmen. Die Opposition hat im Falle von nicht fairen und freien Wahlen bereits ihren Protest angekündigt. Andererseits könnte die Demokratie wie- der gestärkt werden, falls die Opposition gewinnt. Je- denfalls würde im Falle eines Sieges der Opposition die VMRO-DPMNE protestieren, um ihre Spitzenvertreter vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen. Die Stabilität der neuen Koalitionsregierung, die ab Mai oder Juni 2016 regiert könnte auf die Parlamentsmehr- heit angewiesen sein. Die größten Herausforderungen dürften durch die Politik aber erst in der zweiten Jah- reshälfte 2016 in Angriff genommen werden. Diese sind a) hohe Arbeitslosigkeit, steigende Armut und soziale Ungleichheit, die zu sozialen Unruhen führen könnten, b) steigende Staatsschulden, die eventuell die Finanzsta- bilität beeinträchtigen könnten, c) institutionelle Refor- men und ein möglicher Ausbruch von politischen der die EU- und NATO-Integration blockiert und die ethnische Spaltung vertiefen könnte. Flüchtlinge Im Jahr 2016 könnte Mazedonien sein Flüchtlingsma- nagement und den Flüchtlingstransit erfolgreich fort- führen. Jedoch werden die nationalen Behörden ihre Kapazitäten zum Zwecke der Registrierung der Flücht- und der besseren Koordinierung von Maßnahmen zwi- - onsaustausches mit EU-Partnern erhöhen. Das Land wird auch Unterstützung bei der Unterbringung und Administrierung von Flüchtlingen brauchen. Herausforderungen und Sicherheitsbedenken ergeben sich, wenn Flüchtlinge aufgehalten oder man ihnen den Transit verweigern würde. Dies geschah zum Bei- spiel im Verlauf des Jahres 2015, als Flüchtlingen der Transit verspätet oder gänzlich verwehrt wurde. Die denen es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Im Jahr 2016 könnte die Lage in ähnlichen Situationen wie- dass Mazedonien 2.000 Flüchtlinge aufnimmt, während der Direktor des Zentrums für Krisenmanagement schätzte, dass das Land Kapazitäten für 30.000 Flücht- Bleiben in Mazedonien gezwungen werden, wodurch es zu Zusammenstößen mit Angehörigen der Sicherheits- organe kommen würde. Mit einer hohen Arbeitslosen- rate und Armut hat Mazedonien nicht ein schwaches Integrationspotential sowie begrenzte Kapazitäten, die Flüchtlinge unterzubringen. Dies könnte zu einer hu- manitären Krise führen. Jene Flüchtlinge, die im Land - nellen Handlungen genötigt oder, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen, selbst kriminell werden. Einige Flüchtlinge könnten sich auch radikalen Islamis-
  • 164. 162 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Eine Mehrparteienregierung wird im April 2016 Wah- len organisieren. • Sollte die nächste Regierung die essenziellen Her- ausforderungen nicht bewältigen können, dürfte es in der zweiten Jahreshälfte 2016 zu politischer In- stabilität kommen. • Die gewalttätige Zurückweisung von Flüchtlingen würde weitere Gewalt, eine humanitäre Krise und/ oder eine verstärkte religiöse Spaltung bewirken. • Zum Erhalt der Stabilität braucht es die Unterstüt- zung der Europäischen Union. ten anschließen. Dennoch ist eine terroristische Bedro- hung eher unwahrscheinlich. Vielmehr können religiöse Unterschiede gekoppelt mit Xenophobie und ethnisch- nationalistischem Extremismus verstärkt werden. Dies würde sich nachteilig auf die interethnische Beziehung und Stabilität auswirken. Konsequenzen für die Politik Ein politisch instabiles Mazedonien entlang der West- balkanroute inmitten der Flüchtlingskrise würde zu massiven Sicherheitsbedenken führen. Ein internationa- les Engagement wäre für den Erhalt der politischen Sta- bilität notwendig. Es wird erwartet, dass EU-Kommis- sar Johannes Hahn eine führende Rolle übernimmt. Die wichtigsten Aufgaben 2016 bestehen in der Sicherstel- lung freier und fairer Wahlen und dass das Wahlergeb- nis von allen Parteien anerkannt wird. Nur so kann es zu einer stabilen Regierungskoalition kommen. KEY NOTES • A multiparty government will organize elections in April 2016. • Should the new government not be able to cope with the essential key challenges it might come to some instability in the second half of 2016. • Forceful retention of refugees may cause violence, a humanitarian crisis and/or increase a religious divisions. • EU assistance to preserve stability will be needed.
  • 165. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 163 SERBIEN 2016 Marko Savkovic Die vorherrschende Migrationskrise kann nur gesamteuropäisch unter Einbindung der Staaten des West- balkans gelöst werden. Serbien sollte, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, an EU High-level-Diskussionen rund um die Lösung der Migrationskrise beteiligt werden. Innenpolitisch wird weiterhin am reformstarken Belgrad-Pristina-Prozess festgehalten und dies mit den Mitgliedschaftsambitionen beider verknüpft wer- den. Serbiens ambitionierte Reform des öffentlichen Sektors muss transparent mit den Notwendigkeiten der Geber koordiniert werden. Dabei gilt es, mehr Aufmerksamkeit auf Reformen in den ineinander greifen- den Bereichen Bildung und Jugendbeschäftigung zu legen. Migrationskrise – Politikoptionen für 2016 Im Laufe des Jahres 2016 könnte von Serbien verlangt werden, zehnmal so viele Migrantinnen und Migranten wie bisher temporär unterzubringen. Die Ambitionen Serbiens für eine EU-Mitgliedschaft könnten an seine Bereitschaft, Teil des EU-Quotensystems zu werden geknüpft werden. Ein diesbezügliches Scheitern könnte dazu führen, dass der Westbalkan, vorrangig Serbien, zu einem „Flaschenhals“ und „Konzentrationslager“ für Tausende verzweifelt in die EU strebende Migran- wird von der serbischen Regierung erwartet, dass sie
  • 166. 164 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 einen Plan für die Integration von anerkannten Flücht- lingen, die sich explizit für ihren Verbleib in Serbien ausgesprochen haben, bekannt gibt. Darüber hinaus muss auch ein Weg gefunden werden, jene, die nicht im Land bleiben wollen, für eine ungewisse Zeit an der Ausreise zu hindern. Bedrohungen für die Sicherheit Nachdem das aktuelle System der Asylaufnahme kaum solche Notwendigkeiten berücksichtigt, wird die Mig- rationskrise die Ressourcen der Regierung ernsthaft belasten, vor allem weil sie Flüchtlinge akzeptieren muss, die ursprünglich nicht vor hatten in Serbien zu bleiben. Auch gilt zu befürchten, dass Migrantinnen und Mig- ranten zur „leichten Beute“ von Menschen- und Dro- genschmugglern werden. Dennoch ist Serbien, solange Bedrohung durch einen großen Terroranschlag auf sei- nem Staatsgebiet ausgesetzt. Die sicherheitspolitischen Akteure Serbiens werden jeg- liche Form der politischen Instabilität im Kosovo – verstärkt durch den Zusammenbruch des politischen Dialogs – als ein sehr großes Sicherheitsrisiko wahrneh- men. Vor diesem Hintergrund wird Serbien besondere Aufmerksamkeit auf die Existenzabsicherung der serbi- Politische Lage Falls die EU zum Entschluss kommen sollte, Verhand- lungen über die ersten Kapitel zu eröffnen, könnte der Premierminister vorgezogene Neuwahlen für das Früh- jahr 2016 ausrufen. Die „Progressiven“ (SNS) könn- ten vor einem klaren Wahlsieg stehen, da der Parteiap- parat bereits aktiviert und die Opposition geschwächt ist und darüber hinaus die Medien unter Kontrolle der Regierung stehen. Somit wäre die SNS in der Lage, Kapital aus dem wichtigsten positiven Signal aus Brüs- sel zu schlagen und mit einer bequemen Mehrheit bis 2020 zu regieren. Ein Wahlsieg mit einer stabilen Regie- rung würde einerseits die Fortsetzung von Einschnitten in der Verwaltung und andererseits die Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo erleichtern. Vorgezogene Neuwahlen sollten jedoch nicht als Bestrafung oder Disziplinierung des Koalitionspartners verstanden wer- den, da Regierungsumbildungen auch weiterhin nach Minoritäten legen wird, ist die serbische Regierung hin- sichtlich ihrer Minderheitenpolitik gefordert. Dennoch bleibt die erfolgreiche Integration der Minoritäten in die Weiters wird die Umsetzung der Reform des öffentli- - mend schwieriger wird, die daraus resultierenden Fol- gen abzuschätzen. Aufgrund der unverändert niedrigen Kampf um die besten Köpfe verlieren wird, die ent- weder die Verwaltung oder gleich das Land zu verlas- sen drohen. Die Auswirkungen der Reform werden beschränkt bleiben, vor allem da einige der Maßnah- men bereits in verschiedenen Ministerien kontro- vers diskutiert werden. Darüber hinaus erstrecken sich die Reformbemühungen nicht auf die verstaatlichten Betriebe, die einen großen Teil des aufgeblähten öffent- lichen Sektors Serbiens darstellen. Mit allen Mitteln und gegen jede Logik spottend werden die ersten Einspa- - führt werden.
  • 167. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 165 Wirtschaft und Arbeitsmarkt Serbien wird weiterhin versuchen, potentielle Inves- toren durch vergleichsweise niedrige Steuern anzu- sprechen und neue mittlere bis große Unterneh- mensansiedelungen durch einen Anreiz von 5000 bis 10.000.- Euro für jeden eingestellten Arbeiter zu sub- ventionieren. Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen wird von der politischen Opposition weiterhin in Zwei- fel gezogen werden. Das BIP-Wachstum wird weiterhin gering und auf ein Prozent beschränkt bleiben, was der weiteren Umsetzung lang überfälliger Infrastrukturpro- jekte (z.B. EU-Transportkorridor) geschuldet ist. Diese notwendigen Investitionen werden das serbische Bud- get weiter belasten, da es Serbien in der Vergangenheit nicht geschafft hat, alternative Finanzierungsformen wie Private-Public-Partnerships zu generieren. Obwohl es für das Wachstum von großer Bedeutung ist, wird sich das Thema der regionalen Unterentwick- lung nicht auf der Agenda der Entscheidungsträger wie- Die Regierung wird versuchen, ihr Arrangement mit dem Internationalen Währungsfonds zu verlängern. Dabei wird eine der letzten „Kronjuwelen“, die Tele- kom Serbia, vermutlich an einen Investment-Fond und nicht an ein Telekommunikationsunternehmen ver- kauft. Es ist zurzeit unklar wie der Verkaufserlös inves- tiert werden soll. Die Arbeitslosigkeit wird weiterhin hoch bei 25 Pro- zent bleiben, wobei die Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent besonders besorgniserregend ist. Die Versuche einer groß angelegten Re-Industrialisierung sind wenig Erfolg versprechend. Die meisten Arbeitsplätze werden im Dienstleistungssektor geschaffen und gehen auch dort verloren. Regionale Sicherheitsaspekte Unabhängig von der kroatischen Regierungsbil- dung wird die Migrationskrise die Beziehungen Ser- biens zu Kroatien weiter komplizieren. Falls Kroatien Ungarns Beispiel der Errichtung eines teilpermanen- wird dies lediglich den Migrationsstrom über Bosnien und Herzegowina oder Montenegro umleiten. Sollte „unberechenbar“ werden, würde unter dieser Situation der internationale Handel leiden und Spediteure nach alternativen Routen suchen lassen. Dies wiederum hätte negative Auswirkungen auf die avisierten Einkünfte der Regierung aus Zöllen und Abgaben. Die serbische Regierung wird sich nicht in die inne- ren Angelegenheiten Bosnien und Herzegowinas oder Montenegros einmischen. Sie wird versuchen, ihre Beziehungen mit der Republika Srpska zu verbessern und symbolische Angebote an Sarajevo zu machen. Jüngste Entscheidungen der USA, die kroatischen Streitkräfte mit fortschrittlicherer Waffentechnologie zu versorgen, könnte eine Rüstungsspirale auslösen – mit Auswirkungen auf die gesamte Region. Außenpolitik: Beziehungen zur NATO und (gegen) Russland Falls es in den EU-Verhandlungen zu Kapitel 35 (Kosovo) zu keinem Kompromiss kommen sollte, wird sich Serbien im Jahr 2016 nach und nach einer Koope- ration mit Russland öffnen. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten für russische staatsnahe Betriebe sich machen, unter anderem Energieversorgung oder Erneu- erung der serbischen Schieneninfrastruktur und der Verteidigungssektor.
  • 168. 166 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Es wird keine Änderungen in Serbiens Beziehungen mit der NATO geben. Aktivitäten und Vorhaben, die im Individual Partnership Action Plan vorgesehen sind, werden weiter umgesetzt, wobei sich Serbien allerdings nicht weiter an die NATO annähern wird. Nur wenn es zu einem völligen Versagen der EU im Umgang mit der Migrationskrise kommen sollte, das in einem Zerfall der EU, einer Zerstörung ihrer inter- higkeit auf der internationalen Bühne führen würde, ist eine strategische Annäherung Serbiens in Richtung Russland denkbar. Ansonsten bieten Russland, wie auch China, keinerlei Entwicklungsmodelle an, die jenem der EU überlegen wären. Das bedeutet nicht, dass sich Ser- bien nahtlos zu einer konsolidierten Demokratie entwi- ckeln würde, dafür gibt es einfach zu viele anti-liberale Faktoren – Einschränkungen im Bereich der Freiheit der Medien, Druck auf Regulationsbehörden, fehlende Transparenz beim Umgang mit öffentlichen Mitteln – die durch die derzeitige Machtfülle bei einer Partei noch verstärkt werden. Perspektiven der Zusammenarbeit mit Österreich Mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung ver- sucht Serbien nach österreichischem Vorbild Politik und in der Kooperation im Sicherheitsbereich und der Ver- teidigung, und dies nicht nur mit Blick auf die Migra- tionskrise. Da Österreich zwar Mitglied der EU aber nicht in der NATO ist, könnte Serbien dieses Modell als bündnisfreier Sicherheitsdienstleister übernehmen. Dies könnte auch Sicherheitsbedenken in Serbiens Nachbar- schaft mindern. KERNPUNKTE • Serbien sollte an EU high-level Diskussionen rund um die Lösung der Migrationskrise beteiligt werden. • Die EU, vertreten durch den EEAS, muss weiterhin am reformstarken Belgrad-Pristina-Prozess festhal- ten und dies mit den Mitgliedschaftsambitionen bei- der verknüpfen. • Das EU Verhandlungsformat – unabhängig von Kon- troversen rund um das Kapitel 35 – bleibt das re- formstärkste Instrument zur Transformation der ser- bischen Gesellschaft. Auch in diesem Bereich spielt die Zivilgesellschaft über ihre Plattformen und Netz- werke eine gewichtige Rolle. • Aufgrund der Schwäche der EU bieten sich für Russ- land vielfältige Möglichkeiten, sich in Serbien zu en- gagieren. Dennoch wird sich keine Alternative zur EU-Mitgliedschaft entwickeln, da Brüssel weiterhin Richtung und Geschwindigkeit des serbischen Trans- formationsprozesses vorgibt. KEY NOTES • Serbia should be invited to participate in high-le- vel discussions regarding EU’s answer to the mig- rant crisis. • EU through EEAS must insist on perpetuating the Belgrade-Prishtina dialogue, tying it in to member- ship aspirations of both. • The negotiations framework – despite controversies surrounding chapter 35 – remains the single most ambitious agenda for transformation of Serbia’s so- ciety. Here as well, civil society has an important role to play through its platforms and coalitions. • There are numerous ways for Russia to increase its of EU’s weaknesses. This however still does not pre- sent an alternative to membership, as Brussels continues to dictate pace and direction of Serbia’s transformation.
  • 169. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 167 RISIKEN FÜR DIE SICHERHEIT IN DER SCHWARZMEERREGION 2016 Ivan Krastev Im Jahr 2016 wird die Sicherheitslandschaft in der Schwarzmeerregion weniger von zwischenstaatli- - schen den Staaten bestimmt sein. Die schwache Position der EU in der Schwarzmeerregion Der Krieg in Syrien, der Flüchtlingszustrom in die EU
  • 170. 168 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 die Beziehungen zwischen der EU und ihren Nach- barn dramatisch verändert. Zwar sind die Türkei und der Balkan näher als je zuvor an die EU herangerückt, aber nicht auf eine Weise, wie EU-Politiker dies noch vor einigen Jahren erwartet hatten. Bis vor einem Jahr glaubte die EU an ihre mit einem Beitrittsangebot ver- - men. Von der Flüchtlingskrise überwältigt, wurde genommen. Der Erfolg der EU bei der Stabilisierung der Region wird sehr stark von der Bereitschaft der Türkei abhängen, eine steigende Anzahl von Flücht- lingen aufzunehmen. Die EU wird gegenüber diesen Ländern daher kaum noch in der Lage sein, ihre Poli- tik mit Bedingungen zu verknüpfen. Andererseits wird Russlands Bereitschaft zum Ver- die strategischen Handlungsoptionen der EU in der Region bestimmen. Auch hier wird die EU kaum ihre Bedingungen vorgeben können. Kurz gesagt, die EU wird im Jahr 2016 in der Schwarzmeerregion nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus einer Position der Schwäche agieren. Risikofaktoren für die Stabilität der Region Im kommenden Jahr wird die innere Instabilität der Türkei der Hauptrisikofaktor für die Region sein. Bei zunehmender innerer Instabilität wird es für Ankara immer schwieriger werden, seinen eigenen Ver- - nem Versprechen, einen großen Teil der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen und auf seinem wachsender Instabilität in der Türkei ist mit einem Anstieg terroristischer Aktivitäten in diesem Land zu rechnen. Ferner besteht die Möglichkeit, dass die Türkei militärisch (mit Bodentruppen) in den syri- einem Stellvertreterkrieg zwischen Präsident Baschar al-Assad und seinen Unterstützern auf der einen Seite und der Anti-Assad-Koalition auf der anderen Seite werden. In einem derartigen Szenario käme es wohl zu einer weiteren Verschlechterung der russisch-tür- kischen Beziehungen und zu einer Verstärkung der Streitkräfte in der Schwarzmeerregion. Ein weiterer Risikofaktor für die Schwarzmeerregion geht von Russland aus, das vermutlich die militäri- schen Verstärkungen der NATO in Polen und in den baltischen Staaten mit ebensolchen Maßnahmen in der Schwarzmeerregion beantworten wird. Die Länder an der Balkanroute Die Länder entlang der Balkanroute für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind der verwundbarste Teil in der Region. Sollte die Türkei in der Flüchtlingskrise nicht mit der EU kooperieren können, dann könn- oder sogar Bulgarien sowie Albanien zu permanen- ten Krisenzonen werden. Diese Entwicklung würde ihre politische und wirtschaftliche Lage sowie auch - politisch ist mit dem Erstarken rechtsextremer und populistischer Parteien sowie entweder einem ver- stärkten Trend in Richtung eines autoritären Regie- rungsstils (Vorrang von Sicherheitsmaßnahmen vor Menschenrechten etc.) oder Staatsversagen zu rech- nen. In beiden Fällen würden sich in diesen Ländern die demokratischen Standards verschlechtern. Auch die Beziehungen zwischen den Balkanstaaten würden
  • 171. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 169 sich verschlechtern, wobei schließlich sogar militäri- sche Zusammenstöße vorkommen könnten. Deutschland und Österreich werden dem Westbal- kan weitere Probleme verursachen, indem sie alle Asylsuchenden aus dieser Region in ihre Heimatlän- der zurückführen werden. Damit werden erhebli- che logistische Herausforderungen wie die Schaffung von Schul- und Arbeitsplätzen sowie Probleme für die - bunden sein. Schließlich wird die Region für Terroranschläge der Terrormiliz „Islamischer Staat“ und anderer radikaler Zwecke der Wiedergewinnung des traditionellen Mos- Ukraine Zwar kann es auch weiterhin in der Ostukraine zu militärischen Zusammenstößen kommen, doch ist insgesamt mit einer russischen Politik der Deeskala- tion zu rechnen. Aus politischen, geopolitischen und Lage in der Ukraine angespannt bleiben. Aus Sorge, auf der westlichen Agenda nicht mehr ganz oben zu stehen, könnte Kiew versuchen Maßnahmen zu set- zen, die seine Konfrontation mit Moskau verschärfen. Der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko ist immer weniger in der Lage, das Land unter politischer Kontrolle zu halten. Obwohl Russland in der Ostuk- raine höchstwahrscheinlich eine Strategie der Deeska- lation verfolgen wird, hat es sein Ziel, Kiew in seine geltend machen, um eine Verankerung der Ukraine in Das in den Niederlanden von Bürgern initiierte Refe- rendum über das Handelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine könnte zum Wendepunkt für die Nachbarschaftspolitik der EU werden. Seine Ini- tiatoren fürchten, dass das Abkommen bloß ein ers- ter Schritt hin zu einem Beitritt der Ukraine zur EU sein könnte. Aus Angst vor einer übermäßigen Belas- tung der EU durch einen etwaigen Beitritt der Ukraine zur EU soll das Handelsabkommen verhindert werden. Sollte dies passieren, so hätte dies Auswirkungen auf die Politik der EU gegenüber dem Osten und würde zur Instabilität in der Region beitragen. Wir können davon ausgehen, dass Russland alle Mittel nutzen wird, Im Zusammenhang mit den Risiken aufgrund der wachsenden Instabilität in der Schwarzmeerregion ergeben sich für Österreich mehrere ernsthafte Her- ausforderungen. So ist es mit einem zunehmenden Risiko terroristischer Aktivitäten auf seinem Staats- gebiet konfrontiert. Auf Österreich könnte die Forde- rung nach einem verstärkten Engagement für mehr Stabilität am Westbalkan zukommen. Immerhin gilt Österreich als ein Hauptinvestor am Westbalkan. Österreich könnte sich gezwungen sehen, seine Fähig- keit auszubauen, rasch auf die Risiken zu reagieren, die durch die Instabilität in seiner unmittelbaren Nachbar- schaft angewachsen sind. Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Jahr 2016 die sicherheitspolitischen Herausforderungen für die Schwarzmeerregion ein hohes Maß an Unberechenbar- keit besitzen werden. Hierzu gehören ein rasch abneh- mendes gegenseitiges Vertrauen zwischen den relevan- ten Akteuren und ein dramatischer Anstieg im Bereich der „Soft security threats“. Das Hauptziel der EU sollte es sein, ihre Bürger davon zu überzeugen, dass die Situation unter Kontrolle ist.
  • 172. 170 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Der Krieg in Syrien, der Flüchtlingszustrom in die EU die Beziehungen zwischen der EU und ihren Nach- barn dramatisch verändert. • Die EU wird im Jahr 2016 in der Schwarzmeerregion nicht aus einer Position der Stärke, sondern aus ei- ner Position der Schwäche agieren. • Aus politischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen wird jedoch die allgemeine Lage in der Uk- raine angespannt bleiben. Aus Sorge, auf der westli- chen Agenda nicht mehr ganz oben zu stehen, könn- te Kiew versucen Maßnahmen zu setzen, die seine Konfrontation mit Moskau verschärfen. • Im Jahr 2016 werden die sicherheitspolitischen He- rausforderungen für die Schwarzmeerregion ein ho- hes Maß an Unberechenbarkeit besitzen. Hierzu gehören ein rasch abnehmendes gegenseitiges Ver- trauen zwischen den relevanten Akteuren und ein dramatischer Anstieg im Bereich der „Soft securi- ty threats“. KEY NOTES • have dramatically changed the relationship between the EU and its neighbours. • The EU will act in the Black See region in 2016 from a position of weakness and not from a position of strength. • The general situation in Ukraine will however remain tense for political, economic and geopolitical rea- sons. Kiev will fear that it is not on the top of Wes- tern agenda and could tempt to take some steps that will increase its confrontation with Moscow. • the Black Sea region in 2016 will be a high level of unpredictability, declining trust between the key ac- tors and a dramatic increase in soft security threats.
  • 173. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 171 Regierungspolitik in der Krise Die innenpolitische Lage der Ukraine wird auch im Jahr 2016 von einer weiterhin desolaten Wirtschafs- und Finanzlage, nur langsamen Fortschritten bei Struktur- reformen und einer weiterhin grassierenden Korrup- tion geprägt sein. Zwar zeigt die Wirtschaft Anzeichen UKRAINE-KONFLIKT UND DIE ERWARTBAREN ENTWICKLUNGEN 2016 Alexander Dubowy Die ukrainische Politik sieht sich 2016 mit zahlrei- chen Herausforderungen konfrontiert. Die innenpo- litische und auch die wirtschaftliche Krise dürften das gegenwärtige politische System in den Augen der Bevölkerung weiter delegitimieren. Ohne exter- ne Unterstützung sind dramatische Auswirkungen auf das fragile politische System für das kommende Jahr vorprogrammiert.
  • 174. 172 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Währung, Tiefpunkt der Rezession überschritten), so konnten 2015 erste Achtungserfolge bei der Korrup- einer erneuten Zuspitzung der Wirtschaftslage wird trotz internationaler Unterstützung und günstiger Pro- gnosen auch im Jahr 2016 nicht völlig gebannt sein. Die spürbaren, auch der sogenannten Anti-Terror-Opera- tion geschuldeten wirtschaftlichen Belastungen sowie die Durchführung einschneidender Reformen zur - fonds trugen entscheidend zur Erhöhung der sozialen Spannungen in der Ukraine bei. Das stetig wachsende Protestpotential entlud sich bislang in weitgehend fried- lichen, kleineren Bürgerprotesten. Im Falle einer weite- ren erheblichen Verschlechterung der sozialen Situation der Bevölkerung ist 2016 mit größeren – durchaus auch gewaltsamen – Protesten zu rechnen. Die Unzufrieden- heit der Ukrainer mit der Regierungspolitik und die all- gemeine Kriegsmüdigkeit kommen nicht zuletzt in der – zur gesellschaftspolitischen Aufbruchsstimmung des - nung der bestehenden politischen Parteien und der Regierung wie des Präsidenten zum Ausdruck. Reprä- sentative Umfragen deuten auf eine Legitimationskrise des politischen Systems hin. Privatisierungswelle und der Kampf der Oligarchen Anfang 2015 zerbrach der fragile Konsens zwischen den führenden oligarchischen Machtgruppierungen. Es ist anzunehmen, dass die vom IWF eingeforderte Pri- vatisierungswelle zu verschärften Auseinandersetzun- Zugriff auf die begrenzte Ressourcenbasis führen wird. Im kommenden Jahr wird die ukrainische Staatsfüh- rung sehr wahrscheinlich versuchen, durch Schwächung einzelner Oligarchen zugunsten anderer eine Politik des „Divide et impera“ zu verfolgen. Allerdings besteht einzelnen rivalisierenden Oligarchengruppen verein- nahmt zu werden. - ten der Ukraine scheint aus heutiger Sicht wahrschein- lich zu sein. Dies wäre gegenwärtig – insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlings- und der Syrien- krise – für alle Beteiligten günstig. Der Westen signali- siert, eine Ausdehnung der Fristen für die Umsetzung der Minsk II-Vereinbarungen und einen langsameren Verlauf der Diskussionen über den Status der umstrit- - nete Auseinandersetzung zu beenden und eine innere Konsolidierung der Ukraine – auch unter einer de facto Ausklammerung der Krimfrage – voranzutreiben. Für Russland ebnet dieses Szenario den Weg zur Stabilisie- rung seiner Beziehung zu den USA und zur EU und nährt die Hoffnung auf eine Revision der westlichen Sanktionspolitik. Nichtsdestotrotz kann eine Eskala- - geschlossen werden. Ein erneuter Versuch Kiews, den - lich mit westlicher Unterstützung – zu lösen, würde für Moskau die „rote Linie“ für den offenen Eintritt in den - hin angespannten Beziehungen zwischen dem Westen und der Russischen Föderation rapide abkühlen – mit nicht absehbaren Folgen für die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur.
  • 175. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 173 fortschreitenden gesellschaftlichen Konsolidierung ab. Eine wichtige Voraussetzung stellt dabei die Minde- zelten ideologischen Spannungen zwischen der gegen- EU offenen Zentral- und Westukraine und der Russ- zahlreicher innenpolitischer Probleme erscheint aber aus derzeitiger Sicht schwierig, zumal den strukturel- gen kaum adäquat begegnet werden kann. Ohne eine starke, in erster Linie wirtschaftliche und sich nicht lediglich in rhetorischen Floskeln erschöpfende externe Unterstützung sind dramatische Auswirkungen auf das fragile politische System für das kommende Jahr vorprogrammiert. KERNPUNKTE • Die wirtschaftlichen Belastungen tragen entscheidend zur Erhöhung der sozialen Spannungen in der Ukraine bei. • Nur zwei Jahre nach dem Euromaidan zeigt die Stimmung in der Bevölkerung deutliche resignative Tendenzen. Repräsentative Umfragen deuten auf eine Legitimationskrise des politischen Systems hin. • Die Auseinandersetzungen zwischen den oligarchischen Großgruppierungenen um den Zugriff auf die begrenz- te Ressourcenbasis werden sich 2016 intensivieren. • wahrscheinlich zu sein. • Ohne starke wirtschaftliche Unterstützung sind dramatische Auswirkungen auf das fragile politische System für das kommende Jahr vorprogrammiert. Ausblick 2016 Für die Kiewer Führung scheint die Billigung des „Ein- sichts der bedrohlichen Wirtschafts- und Soziallage – mittlerweile unumgänglich zu sein. Allerdings ist die unmittelbare Umsetzung äußerst heikel und innenpoli- tisch explosiv, da die von Minsk-II geforderten Schritte (Autonomiegesetzgebung/Sonderstatus des Donbass, Amnestie) auf starke Widerstände stoßen und derzeit nicht mehrheitsfähig sind. Ein „Einfrieren des Kon- genden Reformen – nicht zuletzt eine Verfassungsre- form – umzusetzen und die eingeleiteten Schritte zur hängt dabei stark vom Vorgehen Kiews zugunsten einer KEY NOTES • The country’s economic problems decisively contribute to the increase of social tension within Ukraine. • Only two years after the Euromaidan the atmosphere within the population shows strong tendencies towards resignation. Representative surveys indicate a crisis of legitimacy concerning the political system. • • • Without strong economic support, dramatic effects on the fragile political system are inevitable in the upco- ming year.
  • 176. 174 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die Politik der kleinen Schritte und das „5+2“-Verhandlungsformat Nach 25 Jahren des Sezessionismus verbleibt Transni- - Lösung. Seit November 2011 werden bis heute regel- - mat abgehalten, obschon der Prozess einer politi- TRANSNISTRIEN 2016 Victoria Bucataru Die innenpolitische Situation und die angespannte wirtschaftliche Lage in Moldau sowie die Wahlen in Transnistrien fördern Instabilität und begünstigen Provokationen. Dadurch könnte der Handlungsspiel- raum zur Überwindung des Status quo reduziert werden. Lediglich die Zustimmung zur schrittweisen Umsetzung der Deep and Comprehensive Free Trade Area (DCFTA) könnte die wirtschaftliche Stabi- lität in Transnistrien 2016 gewährleisten.
  • 177. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 175 der sogenannte „Supreme Soviet“ – am 29. November 2015 als auch die Präsidentenwahlen in Tiraspol 2016 werden kaum ein günstiges Verhandlungsklima entste- hen lassen. Lösung ohne Beachtung der regionalen, europäi- schen und euro-atlantischen Zusammenhänge geben. Die Annexion der Krim durch die Russische Föde- ration sowie die Unterstützung für die Volksrepub- liken Luhansk und Donezk zeugen klar vom russi- schen Willen, den geostrategischen Wettlauf mit dem Westen wieder aufzunehmen. Eine Einigung im Kon- es keinen funktionierenden Friedensprozess für die Ukraine gibt, so lange wird Russland Transnistrien als wichtigen „Trumpf“ in seinem geopolitischen Spiel verwenden. Die Region Transnistrien und die Umset- zung des DCFTA Ab Beginn des Jahres 2016 wird sich Moldau mit Pri- orität auf die Umsetzung des DCFTA konzentrieren. Dieses Thema bezieht sich direkt auf Transnistrien, das momentan durch die „Autonomous Trade Prefe- im Bereich des DCFTA mit der transnistrischen Ver- waltung wird angesichts der Tatsache, dass 35 Pro- zent des transnistrischen Exports auf den EU-Markt ausgerichtet sind, massive ökonomische Konsequen- zen haben: Steigerung der Arbeitslosenrate, Zusam- menbruch lokaler Firmen, wirtschaftliche Isolation. Die oben erwähnten negativen Entwicklungen und die volatile russische Finanzunterstützung – 2015 - schen Lösung suspendiert wurde. Die Verwaltung in Tiraspol, die von Moskau unterstützt wird, verwei- im so genannten Dritten Korb liegenden politischen und sicherheitspolitischen Fragen. Vielmehr werden die ersten beiden Körbe bevorzugt, die sich mit sozio- ökonomischen und humanitären Fragen beschäftigen. Somit werden die Tagesordnungen der Verhandlun- gen im „1+1“-Format ebenso wie jene im „5+2“-For- mat von technischen und organisatorischen Fragen dominiert. realistische Integrationspolitiken deuten auf eine Ent- wicklung hin, die dazu geeignet wären, den Dritten Korb der Verhandlungen im „5+2“-Format zu eröff- nen. Darüber hinaus besitzt der Vertreter der Regie- Mandat für direkte Verhandlung bezüglich eines poli- tischen Kompromisses für Transnistrien. Blockierung einer Lösung für Transnistrien Trotz der positiven Entwicklungen von 2015 – Wie- derbelebung der Politik der kleinen Schritte durch die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls über die Aus- dehnung des Eisenbahngütertransportes durch die Region Transnistrien, Wiederbelebung der Treffen der - sicherung für motorisierte Fahrzeuge beiderseits des „5+2“-Format – werden die Spannungen weiter anhal- ten. Bestimmend sind die kritischen innenpolitischen Entwicklungen wie die fortdauernden politischen Kri- sen und die Kurzlebigkeit der Regierungen am rech- ten Flussufer. Sowohl die Wahlen in Transnistrien –
  • 178. 176 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Trotz der Politik der kleinen Schritte haben sich die Optionen für Chisinau und Tiraspol auf gefährliche Weise verengt. • Die schrittweise Umsetzung des DCFTA in Transnis- trien könnte erfolgreich verhandelt werden. • Es gibt keine Bereitschaft, am derzeitigen Status quo etwas zu ändern und etwa den Dritten Korb zu eröffnen, solange Russland zu keiner Übereinkunft mit seinen euro-atlantischen Partnern hinsichtlich seiner Rolle in der europäischen und globalen Sicherheitsarchitektur kommt. • Die Region Transnistrien wurde infolge der russi- schen Aggression in der Ukraine ein Teil des rus- sischen geopolitischen Spiels. Daher wird es möglicherweise zu einer Intensivierung der geopoli- tischen Konfrontation in dieser Region kommen. 5,5 Mrd. US-Dollar – können leicht zu Provokatio- rung des DCFTA, die auch von der EU massiv gefor- dert wird, ein Schritt in die richtige Richtung. Endgül- tige Entscheidungen sind nicht vor der sogenannten Präsidentenwahl in Transnistrien zu erwarten. KEY NOTES • Despite the small-step policy promoted by the Mol- dovan authorities the options for compromise bet- ween Chisinau and Tiraspol have dangerously narrowed. • A mutually acceptable solution for the gradual im- plementation of the DCFTA in the Transnistrian re- gion may be negotiated. • There is no willingness to change the status-quo and open the third basket dealing with political and security issues as long as Russia doesn’t come to an agreement with the Euro-Atlantic partners on its role in shaping the European/global securi- ty agenda. • As a result of the Russian aggression in Ukrai- ne, Transnistria became an important stake in the the geopolitical confrontation in the region may be observed.
  • 179. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 177 Größerer/regionaler Kontext In der eurasischen Region hat Russland seine vorläu- - litik“ des Westens erfolgreich Einhalt geboten hat. Russland verfügt jedoch auch weiterhin nicht über EINGEFORENER KONFLIKT IN GEORGIEN 2016 Giorgi Kanashvili Weder Russland noch der Westen sind dazu bereit, eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse in Georgien mit Gewalt zu erzwingen, weshalb größere Provokationen ausbleiben werden. Jegliche Revision - - lich. Obwohl es zwischen Abchasien und Russland keine offenen oder öffentlichen Konfrontationen gibt, erscheinen wachsende Spannungen zwischen beiden Akteuren unausweichlich. Russland wird dar- an festhalten, sich Südossetien einzuverleiben, wenngleich ohne rechtliche Annexion. ausreichende Ressourcen um seinen Nachbarn die eigenen Integrationsprojekte zu oktroyieren. Seit Ausbruch der Ukrainekrise überdenkt der Wes- ten seine Politik gegenüber dem Osten, ist aber nicht bereit, entsprechende entscheidende Schritte zu set- zen. Keine der beiden Seiten scheint genügend dar- auf vorbereitet zu sein, den bestehenden Status quo zu ändern. In den russisch-georgischen Beziehungen werden daher größere Provokationen zumindest mit- telfristig wahrscheinlich ausbleiben. Georgischer Kontext - mes“ sein, der von Anfang an die Normalisierung der georgisch-russischen Beziehungen als oberste Priorität angesehen hat. Tatsächlich ist es dem -
  • 180. 178 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 maß der Konfrontation mit Russland zu verringern und die wirtschaftlichen, kulturellen und humanitä- ren Beziehungen zu Russland wieder aufzunehmen, aufzugeben. Eine weitere vordringliche Aufgabe war die Wieder- herstellung direkter Kontakte mit Südossetien und Abchasien. Dabei konzentrierte man sich auf kon- krete Projekte und darauf, politische Fragen so weit als möglich aus den Verhandlungen auszuklammern. Auch wenn damit kein Durchbruch erzielt wer- den konnte, so gelang es doch, den Frieden nach- haltig sicherzustellen sowie eine Zusammenarbeit mit bescheidenen Ergebnissen aufrechtzuerhalten. Obwohl dem gegenwärtigen Kurs der georgischen Regierung wachsende Skepsis entgegenschlägt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass es im Wahljahr zu einer Abkehr von dieser Politik kommt. Abchasischer Kontext Das wesentliche bestimmende Element für die Ent- wicklungen in und um Abchasien bleibt auch im Jahr 2016 der sogenannte „Vertrag über das Bündnis und die strategische Partnerschaft“. Dieser war zwar von Russland und Abchasien gegen Ende 2014 unter- zeichnet, tatsächlich aber Abchasien von Russland als der EU aufgezwungen worden. Obwohl es keine offenen oder öffentlichen Kon- frontationen zwischen Abchasien und Russland gibt, erscheinen dennoch wachsende Spannungen zwischen den beiden Ländern unausweichlich. Die Hauptursa- che der Kontroverse liegt in der Unvereinbarkeit der Interessenlagen bezüglich der abchasischen nationalen Zielsetzungen. Obwohl Abchasien die Unabhängigkeit gezogen, ein Teil Russlands zu werden. Der Vertrag, der die Zusammenarbeit zwischen Russ- land und Abchasien in nahezu allen politischen und gesellschaftlichen Belangen intensivieren soll, ist daher als Versuch Russlands interpretiert worden, die abchasische Staatlichkeit zu einer bloß symboli- schen herabzustufen. Im Laufe des Jahres 2016 sollen die meisten Vertragsinhalte umgesetzt werden, was zu vermehrter Unzufriedenheit in der abchasischen Auch wenn in jüngster Zeit leichte Änderungen im abchasischen politischen Diskurs erkennbar waren, lassen sowohl internationale als auch lokale Entwick- lungen mutige politische Entscheidungen unwahr- scheinlich erscheinen. Dennoch kann es im Jahr 2016 bei sachpolitischen Themen in begrenztem Umfang - gien und Abchasien kommen. Auf abchasischer Seite könnte es zu größerer Flexi- bilität in der Zusammenarbeit mit europäischen Län- abzuschwächen. Deshalb sollte die EU vor dem Hin- tergrund der jüngeren Entwicklungen ihre Politik dem Leitprinzip „Engagement ohne Anerkennung“ – ernsthaft überdenken, und zwar insbesondere was das „Engagement“ betrifft. Ossetischer Kontext - setzungen sind die südossetischen eher irredentis- tischer als separatistischer Natur. Letztlich möchte Südossetien ein Teil Russlands werden. Bald nach
  • 181. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 179 Abchasien unterzeichnete Südossetien im Jahr 2014 einen sogenannten „Vertrag über das Bündnis und die Integration“ mit Russland. Während Abchasien diesen Vertrag hauptsächlich als Bedrohung sei- ner Souveränität betrachtet, sieht ihn Südossetien als Zwischenschritt zu einer weiteren Integration. Trotz Südossetiens Hoffnungen und Erwartungen hinsichtlich einer formellen Annexion ist eine solche einandersetzung noch lange nicht zu Ende ist. Russ- land war mit der Instrumentalisierung von Kon- abzugehen. Auch wenn 2016 keine größeren Zusammenstöße der kierungen – mit Stacheldraht und südossetischen Hoheitszeichen – sowie Festnahmen unter dem Vor- sche Herausforderungen bleiben. Vor diesem Hintergrund, vor allem angesichts ver- schlechterter Beziehungen Russlands mit dem Wes- ten einerseits und südossetischer Anschlussbe- strebungen andererseits, wird die Blockade der südossetischen Frage höchstwahrscheinlich beste- etwas werden ändern können. olch st. R Ko mit Stacheldraht und südo tszeichen – sowie Festnahmen unter dem s g , g schlechterter Beziehungen Russlands mit dem Wes- ten einerseits und südossetischer Anschlussbe- strebungen andererseits, wird die Blockade der südossetischen Frage höchstwahrscheinlich beste- s werden ändern können. KERNPUNKTE • Auch wenn die Politik des „Georgischen Traums“ zu keinem Durchbruch geführt hat, so hat sie doch – mit bescheidenen Ergebnissen – den Frieden und gesichert. • Die EU sollte ihre Politik bezüglich der besetzten ge- orgischen Gebiete – nach dem Leitprinzip „Enga- gement ohne Anerkennung“ – ernsthaft überden- ken, und zwar insbesondere was das „Engagement“ betrifft. • Im Jahr 2016 kann es bei sachpolitischen Themen in begrenztem Umfang zu einer Zusammenarbeit zwischen Georgien und Abchasien kommen. • Die Blockade der südossetischen Frage wird im Jahr 2016 höchstwahrscheinlich bestehen bleiben, wor- an weder Georgien noch der Westen etwas werden ändern können. KEY NOTES • Even though Georgian Dream policy has not succee- ded in producing any breakthrough it has ensured sustained peace and cooperation with humble out- • In respect to new developments EU’s policy regar- ding Georgia’s occupied territories - Engagement wit- hout Recognition, needs serious rethinking with special focus on the engagement component. • Small scale and mostly issue-based Georgian- Abkhaz cooperation may occur in 2016. • South Ossetia is highly likely to remain in a deadlock and beyond access for both Georgia and the West in upcoming 2016.
  • 182. 180 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 an der Kontaktlinie einen neuen Höhepunkt. Erstmals geriet auch armenisches Territorium unter Artillerie- feuer. Dennoch ist eine Verschiebung in der regionalen Balance der Kräfte und Interessen nicht in Sicht. Eine Verhandlungslösung, wie sie unter OSZE-Ägide seit 1992 gesucht wird, scheitert heute in erster Linie an der Position Bakus, die keinen Spielraum für Kompromisse mehr offen lässt. EINGEFRORENER KONFLIKT UM BERGKARABACH 2016 Christoph H. Benedikter Auch für 2016 erscheint ein Angriffskrieg Aserbaid- schans gegen Nagorny-Karabach und Armenien we- nig wahrscheinlich. Der wichtigste Grund dafür ist die Position Russlands, das den Status quo wünscht und auch in der Lage ist, ihn durchzusetzen. Die lo- kal begrenzten Gefechte an der Kontaktlinie werden weitergehen, sehr wahrscheinlich zumindest so hef- tig wie 2015.
  • 183. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 181 Aserbaidschan – die Bürde des verlore- nen Krieges Bakus außenpolitische Priorität liegt seit Jahren auf der vollständigen Revision der Ergebnisse des Karabach- Krieges. Zu diesem Zweck wurden im letzten Jahrzehnt beträchtliche militärische Kapazitäten aufgebaut. 2014 betrug der jährlich steigende Verteidigungsetat etwa 3,6 Mrd. US-Dollar, das sind 11,7 Prozent der Staatsausga- ben. Dennoch wird das autoritäre Regime von Präsident Ilham Alijew das Risiko eines Krieges nicht eingehen. Erstens erscheint die Qualität der hochgerüsteten aser- baidschanischen Streitkräfte zweifelhaft, und zweitens ist von einem Eingreifen Russlands, offen oder ver- deckt, auf Seiten Armeniens auszugehen. Überdies ist auch der Iran an einer Stärkung Aserbaidschans nicht interessiert, während gleichzeitig Aserbaidschans wich- tigster Bündnispartner Türkei eine offene Konfron- tation mit Russland und dem Iran vermeiden möchte. Die Aufrüstung dient daher primär der Schaffung einer Drohkulisse, die Armenien und Karabach zu einem - - gen soll. Im Rahmen von UNO und OSZE, aber auch auf bila- teraler Ebene sucht Baku durch diplomatische Mittel und durch Lobbying seine Ansprüche zu rechtfertigen, wobei mit dem völkerrechtlichen Prinzip der territori- alen Integrität argumentiert wird. Im Inland wird die Bevölkerung mittels massiver Kriegsrhetorik auf eine zukünftige Rückgewinnung aller Territorien einge- schworen, was nicht zuletzt auch zur Ablenkung von Missständen wie Repression, Korruption und absolut Regime seine Politik in allen geschilderten Aspekten fortsetzen, Variationen in Richtung weiterer Intensivie- rung einzelner Facetten sind nicht auszuschließen. Die Last des Sieges Armenien und Karabach begegnen der Bedrohung mit spiegelbildlichen Maßnahmen. So wurden die Streit- kräfte im Rahmen des Möglichen aufgerüstet: 2014 auf rund 600 bis 800 Mio. Dollar, das sind bis zu 19 Prozent des de facto gemeinsamen Haushalts. Auf inter- nationaler Ebene argumentiert die Republik Armenien mit dem völkerrechtlichen Prinzip des Selbstbestim- mungsrechts, das im Falle Karabachs schwerer wiege als die territoriale Integrität Aserbaidschans. Durch sei- nen Angriff auf Karabach 1991/92 und seine aktuelle Haltung habe Baku den Anspruch auf die Unverletz- als völkerrechtlich nicht anerkannter Staat auf interna- tionaler Ebene kaum auf, ist aber paradoxerweise das Staatswesen mit den höchsten demokratischen Stan- dards in der Region. Um die aserbaidschanische Drohung auszubalancie- ren war Armenien gezwungen, sich immer stärker in Abhängigkeit zu Russland zu begeben. Die Zusammen- arbeit innerhalb der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit wurde intensiviert, der Nutzungs- bis 2044 verlängert, das Assoziationsabkommen mit der EU nicht unterzeichnet, stattdessen ist Armenien der Eurasischen Wirtschaftsunion beigetreten. Die arme- nischen Eliten sind sich des schleichenden Souverä- nitätsverlusts bitter bewusst, haben allerdings keine Alternative. Moskau entscheidet Russlands Interesse liegt eindeutig in der Wahrung des Status quo. Ein solcher zwingt Armenien – mit Kara- bach im Schlepptau – an seine Seite und nötigt Aserbai-
  • 184. 182 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 dschan, nicht allzu offen gegen Russland zu agieren. Als stärkste Regionalmacht, als Bündnispartner Armeni- Moskau eine militärische Eskalation zu unterbinden. mit großer Wahrscheinlichkeit „eingefroren“ bleiben. Europa – ohnmächtiger Statist fristig in einer dauerhaften Lösung oder Beilegung des Energiekorridors und damit die Schaffung versorgungs- politischen Spielraums gegenüber Russland beruht auf stabilen Verhältnissen im Südkaukasus. Allerdings hat die EU aktuell weder den Ansatzpunkt noch die Kapa- Brennende Krisen mit existenzgefährdender Dimen- sion wie die Flucht- und Einwanderungsproblematik alle Ressourcen. Aus realistischer EU-Perspektive wird ken) mangels Alternativen die relativ günstigere Option darstellen. KERNPUNKTE • Maßstab eines Krieges ist – auch 2016 – wenig wahrscheinlich. • Aserbaidschans Aufrüstung dient der Schaffung ei- ner Drohkulisse nach außen und der Sicherung der Repression nach innen. • Um die aserbaidschanische Drohung auszubalan- cieren war Armenien gezwungen, sich immer stär- ker in Abhängigkeit zu Russland zu begeben. • scheinlichkeit „eingefroren“ bleiben. • Die EU bzw. europäische Staaten haben weder den sung wesentlich beizutragen. KEY NOTES • 2016 is not very likely. • Azerbaijan’s military build-up is conceived as a th- reat posture towards the outside world and as an instrument of internal repression. • To counterbalance Azerbaijan’s threat gestures, Ar- menia had to place itself in a position of increasing dependence on Russia. • lution; therefore it is very likely to remain a • states lack both approach and capacity.
  • 185. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 183 Die Türkei und der Kampf gegen den IS Es wird angenommen, dass der IS der Schuldige hin- ter drei verschiedenen Selbstmordanschlägen ist, deren letzter in Ankara im Oktober 2015 mehr als 100 Todesopfer gefordert hat. Der Anschlag gilt all- gemein als Vergeltung für die Vereinbarung, welche die Türkei im Juli mit den USA geschlossen hat und die Türkei zu einem vollen Mitglied der Anti-IS-Koa- lition gemacht hat. Sie erlaubt die Nutzung türkischer Luftwaffenstützpunkte – einschließlich Incirlik – TÜRKEI 2016 Sinan Ülgen Im Jahr 2016 wird sich die Türkei weiterhin einer Un- zahl wichtiger asymmetrischer Bedrohungen gegen- übersehen. Die wichtigste ist die Gefahr einer mögli- chen Vergeltung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Abgesehen von den äuße- ren Bedrohungen muss die Türkei eine verschiede- ne Kräfte einschließende politische Kultur heraus- bilden, um der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken, welche die Folge des sehr paternalistischen Regierungsstils von Prä-
  • 186. 184 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 durch Flugzeuge der Koalition. Auch begann die tür- kische Luftwaffe mit direkten Angriffen auf IS-Ziele in Syrien. Ungeachtet dieser nun aggressiveren Hal- tung bleibt eine zentrale Schwäche der Türkei beste- hen, die daher rührt, dass sie keine absolute Kontrolle sicherstellen kann. Deshalb können IS-Terroristen in die Türkei einsickern und Terrorakte begehen. Um dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird die Tür- Innern ihre Strategie zur Bekämpfung der Radikalisie- rung wesentlich verbessern müssen. Zumindest einer der Selbstmordattentäter von Ankara war türkischer Staatsbürger aus einem türkischen Netzwerk – einem IS-Ableger – in Adiyaman, einer Stadt im Südosten der Türkei. Auch wurde er offenbar in syrischen IS- - dert passieren. Ein weiterer Selbstmordanschlag des IS kann nicht ausgeschlossen werden. Kreislauf der Gewalt Ein weiterer Risikofaktor ist die Fortsetzung des Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Regierung. Die Verhandlungen zwischen ihnen brachen zusam- - keit und Entwicklung (AKP) in den Wahlen vom Juni 2015 ihre parlamentarische Mehrheit verloren hatte. Daraufhin entschied sich die Partei zu einer kompro- missloseren Haltung gegenüber dem Kurdenproblem, um so bei den für 1. November geplanten Neuwah- len nationalistische Wähler zurückzugewinnen. Die Regierung wollte einer geschwächten PKK klar sig- nalisieren, dass diese keinesfalls von einer Verhand- - tungen auf einen neuerlichen Kampf gegen die Türkei nutzen könne. Die PKK ihrerseits wollte die prokur- dische Demokratische Partei der Völker (HDP), die mit ihrer veränderten Rhetorik und mit größerer Hin- wendung zu demokratischen Reformen – anstatt aus- schließlicher Beschäftigung mit der kurdischen Frage – in den Juni-Wahlen erstaunlich gut abgeschnitten hatte, schwächen. Die PKK wollte ihren kurdischen Wählern beweisen, dass sie trotz der neuen HDP ihre führende Vertreterin bleiben wird. Die Zukunft dieses türkischen Regierung abhängen. Eine breite Koalition unter Einschluss der großen oppositionellen mitte- links-stehenden Republikanischen Volkspartei (CHP) Waffenstillstand abzielen, wiederzubeleben. Doch die Fortsetzung der politischen Instabilität durch Neu- Szenario ist nicht unwahrscheinlich. Die syrische Dimension des Themas „PKK“ besteht darin, dass die syrische Partei der Demokratischen - sehen wird, sowohl vom Westen als auch von Russland als Partner im Kampf gegen den IS ausgewählt worden - in Ankara Bedenken hervorgerufen hat. Schließlich - syrien, markiert eine solche rote Linie für die Türkei. wenn sie von den Verbündeten der Türkei im Kampf gegen den IS unterstützt würde, zu einer türkischen Boden und damit zu Schwierigkeiten nicht nur für
  • 187. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 185 Mangels Aussicht auf ein angemessenes Leben könnte sich eine – wenn auch insgesamt marginale – Zahl der Flüchtlinge dem Extremismus zuwenden. Dies wird die Türkei vor die Herausforderung einer wachsen- den Radikalisierung der syrischen Flüchtlinge stellen, zu rekrutieren versuchen werden. Dieses Szenario hat eine Wahrscheinlichkeit von über 75 Prozent, sofern nicht schneller und in größerem Umfang Maßnahmen umgesetzt werden, die auf Basis eines umfassenden Übereinkommens zwischen Europa und der Türkei über die Lastenverteilung auf eine teilweise Umsied- lung der Flüchtlinge in Europa abzielen. Eine andere Strategie zur Minderung dieses Risikos ist die Steige- rung der Bemühungen der Türkei selbst, die Flücht- linge – insbesondere durch Öffnung des Arbeits- markts – zu integrieren. Auch hier ist der Beitrag der EU unverzichtbar. Innere Stabilität Der Ausgang der jüngsten türkischen Wahlen – die Wähler haben im Zeitraum von fünf Monaten zweimal gewählt – erlaubt wichtige Einsichten in das Wesen der türkischen Demokratie und die Meinungen der Bürger. Die Juni-Wahlen galten allgemein als Referendum - nes Amtes zu stärken. Das Ergebnis war eindeutig. und verlor so ihre Mehrheit, die sie, seit sie 2002 an die Macht kam, innegehabt hatte. Nachdem die darauffolgenden Verhandlungen keine parlamentarische Mehrheit erbracht hatten, wählten die Türken am 1. November erneut. Der Unterschied den Zusammenhalt und die Einheit im Kampf gegen den IS, sondern auch für die Aussichten einer Verein- barung zwischen den Kurden und der Türkei führen. Dies ist ein mögliches Szenario. Durch das russische militärische Engagement in Syrien ist eine direkte türkische Intervention in Syrien zwecks Einrichtung einer Sicherheits- oder Flugver- botszone wesentlich weniger wahrscheinlich gewor- den. Doch die russische Militärpräsenz am Boden und das aggressivere Verhalten syrischer und russi- scher Flugzeuge, womit diese die türkischen Einsatz- vorschriften auf die Probe stellen, haben das Risiko erhöht, dass es im umstrittenen Teil des syrischen Luftraums zu einer unbeabsichtigten militärischen Konfrontation kommen könnte. Auch dies ist ein mögliches Szenario. Syrische Flüchtlinge und Radikalisierung Von der riesigen Anzahl derzeit in der Türkei aufge- nommener syrischer Flüchtlinge geht eine große und zugleich langfristige sicherheitspolitische Herausfor- - nen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Zwar halten sich 300.000 von ihnen in für sie errichteten Lagern auf, doch ist der große Rest über das ganze Land ver- teilt. Die Syrienkrise wird gewiss in der absehbaren Zukunft andauern, sodass jedenfalls für die nächs- ten zwölf Monate nicht erwartet werden kann, dass die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren. Tatsäch- lich wird sich angesichts der weitergehenden Kämpfe in Syrien die Anzahl syrischer Flüchtlinge in der Tür- kei in nächster Zeit wahrscheinlich erhöhen und damit die türkische Politik auch vor eine gewaltige sicher- heitspolitische Herausforderung stellen.
  • 188. 186 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die Türkei wird sich im Jahre 2016 einer Unzahl von Bedrohungen – an erster Stelle im Kampf gegen die Ter- rororganisation „Islamischer Staat“ – gegenübersehen. • Um dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird die Türkei eine bessere physische Kontrolle ihrer Grenze mit Syrien sicherstellen müssen. • Gleichzeitig wird die Türkei ihre Strategie zur Bekämpfung von Radikalisierung im Innern wesentlich verbessern müssen. • Die türkischen Wähler wollen zwar eine starke und stabile Regierung, aber keine, die einen paternalistischen • Die Türkei wird sich jener Herausforderung gegenübersehen, die von einer wachsenden Radikalisierung der sy- rischen Flüchtlinge ausgeht. KERNPUNKTE • on “Islamic State”. • In order to totally mitigate this risk, Turkey will need to ensure a better physical control of its border with Syria. • home. • Turkey’s voters want a strong, stable government, but not one that favors much a heavily paternalistic style. • Turkey will face the challenge of the growing radicalization of the Syrian refugee population. Bedr sehe • Um dieses Risiko weitgehend zu beseitigen, wird d rien sich g wird die Türkei ihre Stra KTE d sich im Jahre 201 „Islamischer S weitgehen müss zu den Juni-Wahlen hätte kaum größer sein können. Dieses Mal wurde die Wahl hauptsächlich als Abstim- mung über eine Fortsetzung der Ein-Parteien-Herr- schaft betrachtet. Die AKP erreichte 49 Prozent und damit eine komfortable Mehrheit. die AKP, wie wichtig eine Mehrheit der Partei für die politische Stabilität sei. Dem hielt die Opposition das Argument entgegen, dass eine Koalitionsregierung der tiefen politischen Polarisierung des Landes entgegen- wirken und stärkere Checks and Balances etablieren würde. Das Versprechen von Stabilität traf auf größe- ren Widerhall. Die wichtigste Falle, die es für die neue Regierung im Jahr 2016 zu vermeiden gilt, ist eine Rückkehr zu einem ausgeprägt paternalistischen Regierungsstil. Mit ihrer großen Mehrheit im Rücken sollte die AKP anfangen, Minderheitsmeinungen und friedlichen Widerspruch mit größerem Wohlwollen zu betrachten, wie es sich für ein Land gehört, das über einen Bei- tritt zur Europäischen Union verhandelt. Die Lehre aus den beiden Wahlen ist klar: Die türkischen Wähler wollen eine starke und stabile Regierung, aber keine,
  • 189. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 187 IRAN 2016 Reinhard Meier-Walser Die außenpolitische Priorität der Regierung des mo- deraten geistlichen Hassan Rohani und seines west- lich geprägten Außenministers Mohammad Dscha- wad Zarif gilt seit der im Juli 2015 in Wien eines „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) - ners der internationalen Gemeinschaft, der sich konstruktiv an der Lösung der mittelöstlichen Kri- - men diplomatischen Öffnung des Landes wird im In- Außenpolitische Ambitionen Das Streben Teherans nach außenpolitischem Pres- tige hat bereits erste Früchte getragen. Die USA gaben neren von starken konservativen Gegenkräften ebenso heftig bekämpft wie Präsident Rohanis Re- lativierung des Stellenwertes islamisch-revolutionä- rer Prinzipien zugunsten der Bekämpfung politischer Alltagsprobleme wie der wachsenden Arbeitslosig- keit und der sinkenden Geldwertstabilität.
  • 190. 188 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ihren Widerstand gegen eine Beteiligung Teherans zur iranischen Außenminister Zarif als Verhandlungspart- ner bei der länderübergreifenden Syrien-Konferenz Ende Oktober 2015 in Wien. Hinter diesem Kurswech- sel Washingtons verbirgt sich die unstrittige Erkennt- nis, dass der Iran als wichtiger Bündnispartner des der Zukunft des gegenwärtig im Bürgerkrieg versinken- den Landes spielt. Die Rolle des Iran in der europäischen Flüchtlings- und Migrationskrise Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlings- krise, zu deren eminentesten Ursachen die katastropha- len Zustände in Syrien zählen, wird Teheran angesichts - kus auch in den Schaltzentralen der EU und der euro- päischen Hauptstädte im Jahr 2016 weiter an politi- In Washington wurde mit dem erfolgreichen Abschluss der Atomverhandlungen generell die Hoffnung verbun- den, auf der Basis gemeinsamer Interessen, etwa gegen- über der Terrormiliz des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) und gegenüber den Taliban in Afghanis- tan, zu einer Form sicherheitspolitischer Kooperation wiederum zu einer weiteren Verbesserung der Bezie- hungen führen könnte. Regionaler Machtfaktor Mit Sorge wird in Washington allerdings registriert, dass der Iran in jüngster Zeit international wesent- lich forscher auftritt und kaum noch Zweifel an seinem Anspruch auf regionale Vorherrschaft aufkommen lässt. Dies löst auch bei anderen Staaten des Mittleren Ostens Bedrohungsperzeptionen aus und führt insbesondere sunnitischen Saudi-Arabien und seinem schiitischen Iran die gewaltigen Einnahmen, die er durch die For- der Sanktionen erlangt, in den Auseinandersetzungen Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen instrumenta- - pen wie die Hisbollah und die Hamas im Jahr 2016 aus- weiten wird. Beziehungen zu den USA - rikanischen Hoffnungen auf diplomatisches Tauwet- ter mit Teheran ferner durch Aussagen des Obersten der nach dem Kompromiss von Wien einer Ausdeh- nung der Kontakte zu Washington nicht nur eine strikte Absage erteilte, sondern sogar betonte, dass Teheran auf eine „Fortsetzung des Kampfes gegen Amerika“ vorbe- reitet sein müsse. Aufgrund der auch von ihm erkann- ten Priorität der Aufhebung der Sanktionen billigte Khamenei jedoch den JCPOA, weswegen seine schar- der Beschwichtigung konservativ-klerikaler Kreise ver- standen werden können. Dass die Wiener Atom-Vereinbarung von den konserva- tiven Hardlinern abgelehnt wird, hängt zum einen mit deren prinzipieller Kritik an Vereinbarungen mit dem „Erzfeind“ Amerika, zum anderen mit der berechtig- ten Mutmaßung zusammen, dass der außenpolitische
  • 191. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 189 Erfolg der Regierung Rohani, die erwartete Aufhebung der Sanktionen zu Beginn des Jahres 2016 und der sich daran anschließende wirtschaftliche Aufschwung auch innenpolitische Machtverschiebungen nach sich ziehen werden. Innerer Machtkampf mit Revolutionsführer Khamenei als höchster Autori- tät gekennzeichnet ist, tobt seit langem ein erbitterter Machtkampf zwischen konservativen Hardlinern, Prag- matikern und Reformern, der am 26. Februar 2016 in eine entscheidende Phase treten wird. An diesem Tag werden zum einen die 290 Abgeordneten des „Mad- schles“, des iranischen Parlamentes gewählt, in dem gegenwärtig die sich als „Prinzipalisten“ bezeichnenden Hardliner über eine Zweidrittelmehrheit verfügen, die Anhänger Präsident Rohanis hingegen lediglich über etwa 25 Prozent der Sitze. Zum anderen werden am 26. Februar auch die 86 Mitglieder des Expertenrates gewählt. Diesem Votum kommt eine besondere Bedeu- tung deshalb zu, weil der Rat, dessen Vorsitz gegenwär- tig der Reformbefürworter und frühere Staatspräsident Ayatollah Ali Akbar Haschemi Rafsandschani inne- hat, den Nachfolger von Revolutionsführer Khamenei bestimmt, der seit 26 Jahren an der Spitze des Landes steht und nach Angaben gut informierter Kreise ernst- haft erkrankt ist. Im Vorfeld der Doppelwahlen wird der Ton zuneh- mend rauer, die Auseinandersetzung spitzt sich zu, auch weil Präsident Rohani selbstbewusst angekündigt hat, es werde 2016 „freie Wahlen“ ohne vorherige Zulas- sungsbeschränkungen geben. Das war eine Kampf- ansage an den von den Konservativen dominierten - lichen Zuschnitts, das in der Vergangenheit immer wie- der unbequemen Kandidaten im Vorfeld von Wahlen die Teilnahme verweigert hatte. Privilegierter Ansprechpartner Österreich Ungeachtet der Frage der Zukunft des moderaten Fort- schrittskurses der Regierung Rohani wird Österreich für den Iran auch weiterhin die Rolle eines privile- gierten Ansprechpartners spielen. Iranische Diploma- ten, die aufgrund der Jahrtausende alten Kultur ihres Landes traditionell in langfristigen Kategorien den- ken, haben wiederholt betont, dass Österreich ihrem gestanden hat“. Die Favorisierung Wiens für die ent- scheidenden Phasen der Atomverhandlungen durch die Regierung Rohani belegt, dass die Donaumetropole in Teheran nach wie vor als Relaisstation zur westlichen Welt wahrgenommen wird und Wien für den Iran das „Tor nach Europa“ darstellt. Diese zentrale Rolle Öster- reichs im strategischen Denken der politischen Eliten des Iran hat sich im Laufe der guten und regen Zusam- menarbeit, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht, nicht verändert und wird auch im Jahr 2016 beibehal- ten werden. Für Österreich bietet die Beendigung des Sanktions- regimes gegen den Iran im Jahr 2016 darüber hinaus zum einen neue Chancen für die heimische Export- wirtschaft, zum anderen eröffnen sich realistische Per- spektiven, um die Bezugsquellen fossiler Energieträger breiter zu streuen und die Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten zu relativieren.
  • 192. 190 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Mit der Beilegung des Atomstreits endete die west- liche Isolierung des Iran, der nun sogar vom „Erz- feind“ USA als Gesprächspartner zur Lösung der mit- für Europa wegen der Flüchtlingskrise an Bedeutung gewinnt. • Diesen Prestigegewinn als internationaler „Partner“ setzt der Iran allerdings durch eine riskante Politik hegemonialer Ansprüche in der Region und durch die Kontinuität seiner Unterstützung bewaffneter Gruppen wie Hisbollah und Hamas aufs Spiel. • Im Inneren des Iran spitzt sich die Auseinanderset- zung zwischen pragmatischen Befürwortern einer behutsamen Öffnung des Landes und konservativen Hardlinern im Vorfeld der Parlaments- und Experten- ratswahlen im Februar 2016 zu. • Obwohl die Konservativen im inneriranischen Sys- tem konkurrierender Machtzentren über größeren matikern der in der Folge der Aufhebung der Sank- tionen erwartete wirtschaftliche Aufschwung in die Hände. • Österreich bleibt für den Iran weiterhin ein privi- legierter Partner, Wien für Teheran das „Tor nach Europa“. KEY NOTES • The resolution of the nuclear dispute ended Iran’s isolation by western countries. The country went from being the US’ “arch-enemy” to its dialogue Europe because of the refugee crisis. • Iran is risking its new prestige as an international partner by bold hegemonic claims in the region and by its continuous support of armed groups such as Hezbollah and Hamas. • In the run-up to the parliamentary and Assembly of Experts elections, the confrontation within Iran bet- ween pragmatic advocates calling for a careful ope- ning of the country and conservative hardliners is worsening. • The economic upswing that is to be expected be- cause of the lifting of sanctions plays into the hand of reformers and pragmatist. • For Iran, Austria will remain a privileged partner and Vienna “the door to Europe”.
  • 193. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 191 AFGHANISTAN 2016 Michael Semple Afghanistan steht vor einer Krise, die aufgrund der gegenwärtigen demographischen und politischen Si- tuation sowie aus einer prekären Sicherheitslage heraus entstanden ist. Die anhaltende Gewalt auf- ständischer Gruppierungen sowie eine nicht nach- haltige Sicherheitspolitik wirken sich auf potentielle Investitionen abschreckend aus. Dadurch werden notwendige Reformen verzögert und verfassungs- mäßig festgelegte Fristen unterlaufen. Das erhöht den Migrationsdruck in Richtung Europa und stärkt die Netzwerke islamistischer Fundamentalisten.
  • 194. 192 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Konstitutionelle Politik Angesichts einer ruhelosen politischen Klasse und schwacher Institutionen wird die Regierung gezwun- zu verbessern. Die für 2015 angesetzt gewesenen Par- lamentswahlen sind verschoben worden. Ein Verfas- sungskonvent ist für 2016 geplant. Für die Regierung wird es schwer, zum einen die Parlamentswahlen ein- zuhalten und zum anderen einen Konsens bei der Ver- fassungsreform zu erreichen. Verliert die Regierung an Legitimität, kommt es zu mehr Dissens zwischen ihr und den politischen Entscheidungsträgern. In diesem Fall könnten politische Machtspieler und opportunis- tische Kräfte versuchen, eine Übergangsregierung zu schaffen. Die Regierung könnte diese Herausforderun- gen nur dann meistern, wenn sie angesichts des dro- henden Chaos Einigkeit signalisiert. Die Regierung könnte eventuell von einer weiteren Krise betroffen sein, sollte der amtierende Präsident seine Aufgaben nicht mehr erfüllen können und sollten die entschei- denden Machthaber die Anwendung des Verfassungs- artikels 67 blockieren, gemäß dem die Macht proviso- risch in die Hände des Vizepräsidenten übergeht. Afghanistan wird weiterhin von Aufständen unter Führung des afghanischen Taliban-Regimes betrof- fen sein. Diese nützen Pakistan als „sicheren Hafen“. ihrer Kontrolle stehen, erweitern. Sie verhindern der Regierung den Zutritt zu etwa einem Drittel der Dis- trikte und machen das Reisen auf allen nationalen Routen unsicher. Die Sicherheitslage wird sich 2016 nur unwesentlich von der im Jahr 2015 unterschei- wenn sich die Regierungstruppen aus immer mehr gelingt, spektakuläre Angriffe in den Städten durch- die Al-Kaida (die den pakistanischen Staat bekämp- fen) werden ihre Präsenz in Afghanistan weiter aus- bauen. Der lokale Ableger der Terrormiliz „Islami- scher Staat“ wird weiterhin präsent bleiben. Er wird ein Zehntel der von den Taliban eingesetzten Kämpfer kommandieren. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden sich mehr auf die einheimischen Hilfskräfte, Einsätze von Spe- - sen müssen. Es wird zu keinem substanziellen Fortschritt für einen Friedensvertrag mit den Taliban kommen. Beide Sei- ten werden unrealistische Forderungen stellen, den jeweils anderen zur Kapitulation aufrufen aber lang- fristig einen militärischen Sieg anstreben. Die konti- nuierliche militärische Unterstützung der USA wird ein wesentlicher Bestandteil der militärischen Opera- tionen der afghanischen Regierung sein. Jedoch wird Pakistan wegen der unsicheren Zukunft in Afghanis- tan keine Schritte mehr gegen die Taliban auf seinem Territorium unternehmen. Die Sorge der Afghanen - gen mit der pakistanischen Regierung belasten und den grenzüberschreitenden Handel untergraben. Wirtschaftliche Entwicklungen 2016 Die Krise wird zu einer Verschlechterung bei den Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplät-
  • 195. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 193 zen führen. Zu Wachstum wird es in illegalen oder informellen Sektoren der Wirtschaft wie etwa im Bereich des Drogenanbaus und des Bergbaus kom- auf soziale Investitionen drücken. Regelmäßige Ein- im öffentlichen Bereich verstärken das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Krise. Soziale und kulturelle Entwicklungen In einigen wenigen Bereichen wie den Medien oder der Zivilgesellschaft können Fortschritte erzielt wer- den. Sie bleiben weiterhin unabhängig, frei und offen, zumindest dort, wo sie nicht von den Taliban kont- rolliert werden. Wie auch immer, die Frustration über eine unsichere, schlechte Zukunft wird heftige Kritik an der Regierung hervorrufen. Dies könnte sporadisch zu Protestaktionen führen und die Unterstützung der Idee eines radikal-islamistischen Staates fördern. Auswirkungen auf Europa Die gesellschaftspolitische Krise wird die illegalen Ausreisen aus Afghanistan noch erhöhen, was zu einer zahlenmäßigen Verdoppelung im Vergleich zu 2015 führen könnte. In den Nachbarstaaten Iran und Paki- stan wird es zu einer Begrenzung der Aufnahmen von Afghanen kommen. Die meisten, die Afghanistan ver- lassen, werden versuchen, die Türkei und Europa zu erreichen. Außerdem werden spektakuläre Anschläge und Unruhen in den Städten die Frage aufwerfen, ob es überhaupt zulässig ist, abgewiesene Asylsuchende wieder nach Afghanistan zurückzuführen. Die Aus- breitung militanter Netzwerke in Afghanistan könnte zu einer Radikalisierung südasiatischer und afgha- nischer Muslime in Europa beitragen und die Wahr- scheinlichkeit erhöhen, dass Afghanistan wieder ein Ursprung für Anschläge in Europa wird. Positive Alternativen Eine Alternative zur geschilderten gesellschaftspo- litischen Krise könnte das Bemühen der Regierung, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, sein. Hierzu sind allerdings sichtbare Anti-Korrup- tions-Maßnahmen, eine verbesserte Politik der Ernen- nung hochrangiger Beamter, eine Einigung über eine Wahlrechtsreform sowie eine hartnäckige Haltung - lich. Eine Verbesserung der staatlichen Führung und Unterstützung der Sicherheitskräfte könnte den Ein- - lichte Waffenstillstandsvereinbarung hat lediglich eine gering Wahrscheinlichkeit auf Umsetzung. Mit einer überarbeiteten Strategie für Frieden könnte die Regie- rung jedenfalls immer noch lokale Vereinbarungen und Waffenstillstände ermöglichen. Somit könnten Meinungsverschiedenheiten reduziert werden und die „Kriegsmüdigkeit“ der Taliban für eine Deeskalation genützt werden. Internationales Engagement in Afghanistan Die von der NATO geführte „Resolut Support Mis- sion“ (RSM) zur Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte wird auch 2016 wei- ter bestehen. Die Taliban versuchen, mit Unterwande- rung und terroristischen Aktivitäten eine Eskalation - heitskräfte werden daher 2016 unter erhöhtem Druck stehen. Es dürfte zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen dem akuten Bedarf des afghanischen Mili-
  • 196. 194 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 tärs (Luftunterstützung, Ausrüstung, Finanzierung und Personal) und dem Mandat der RSM kommen. Solange die USA sich weiterhin zu ihrem Engagement in Afghanistan bekennen, dürften auch die NATO- Verbündeten weiterhin die RSM unterstützen und die afghanische Regierung die Mission auch 2016 als Sym- bol der internationalen Hilfe im Land aufnehmen. Finanzierung t der RSM terhin nen, d rhin ieru tionnalen Hilfe im Land aufnehmen. KERNPUNKTE • Afghanistan steht vor einer gesellschaftspolitischen Krise mit in- und externen Faktoren. • Die Gewalt wird Ausgaben für den Sicherheitssektor unwirksam machen, Investitionen abschrecken, Reformen verzögern und die Einhaltung verfassungsmäßiger Fristen verhindern. • Die Krise in Afghanistan wird den Migrationsdruck auf Europa erhöhen; zudem wird die Rückführung von af- ghanischen Migrantinnen und Migranten erschwert. • Terrorbedrohung in Europa vergrößern. • Die afghanische Regierung hätte Möglichkeiten, die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft zu verringern. KEY NOTES • Afghanistan faces a crisis with both internal and external drivers. • Violence will impose unsustainable security expenditure, deter investment, delay reforms and scuttle constitu- tional deadlines. • There will be increased migration of Afghans towards Europe and obstacles to their repatriation • An expanded militant Islamist presence in Afghanistan will inspire radicalisation in Europe and may generate terrorist threats against Europe. • There are opportunities to promote better outcomes by reducing the violence.
  • 197. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 195 Frage der Nachfolge in Kasachstan und Usbekistan Kasachstan und Usbekistan werden in absehbarer Zeit mit der kritischen Frage der Nachfolge ihrer beide Lang- zeit-Führer konfrontiert sein. Die Präsidenten Kasachs- ENTWICKLUNGEN IN ZENTRALASIEN 2016 Ilya Zaslavskiy Für Zentralasien beginnt eine Zeit verstärkten regio- nalen Drucks. Wegen großer Schwankungen lokaler Währungen waren alle Staaten Zentralasiens schon 2015 mit Abwertungen konfrontiert. Diese oder zu- mindest große Währungsschwankungen wird es auch weiter geben. Die niedrigen örtlichen Preise für Kohlenwasserstoffe spielen eine Schlüsselrolle für die Energie produzierenden Länder wie Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan. Geldtransfers aus dem wirtschaftlich gebeutelten Russland – insbe- sondere nach Kirgistan, Tadschikistan und Usbekis- von dem sich verlangsamenden Wirtschaftswachs- tum Chinas, von der steigenden Bedrohung durch den so genannten „Islamischen Staat“ und von den Entwicklungen in Afghanistan betroffen. Diese Ent- wicklungen werden sich 2016 fortsetzen.
  • 198. 196 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 tans Islam Karimov ist 75, Usbekistans Präsident Nursul- tan Nasarbajew 77 Jahre alt. Keiner von beiden hat einen Sohn, womit die Nachfolgefrage grundsätzlich durch Absprachen zwischen den Präsidentenfamilien und eini- gen wenigen mächtigen Clans entschieden werden wird. In keinem der beiden Länder zeichnet sich bislang ein kla- rer Kandidat ab. Russland nützt seine Kanäle und beein- Falls einer der beiden Präsidenten im nächsten Jahr ster- - fügt der Kreml über erstklassige „Machtagenten“ in bei- den Ländern mit jeweils engen sicherheitspolitischen Verbindungen nach Russland, so zum Beispiel den Neffen von Präsident Nasarbajew, Samt Abysh, der in Russland studiert hat und leitendes Mitglied des kasachischen Aus- schusses für Nationale Sicherheit ist. Steigende islamistische Bedrohungen In den zentralasiatischen Regierungen wird mit wachsen- der Beunruhigung der Zulauf hunderter junger Staatsbür- ger zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beobachtet. Die Reaktionen darauf sind allerdings manchmal nicht gut durchdacht. Tadschikistan zum Bespiel hat alle islamischen Parteien verboten und schließt damit 2016 auch moderate Muslime aus dem politischen Prozess aus. Turkmenistan - rungen sowie mit Einschränkungen beim Betrieb sozia- ler Treffpunkte in der an Afghanistan grenzenden Region Mary. Turkmenistan wird diese Vorgangsweise auch 2016 - ins Spiel. Über die Organisation des Vertrages über Kol- lektive Sicherheit will Russland 2016 sein Bestreben nach Macht in Zentralasien umsetzen. Turkmenistan wird sich wahrscheinlich dem russischen Druck mit indirekter Hilfe von NATO und den USA widersetzen können. Tadschiki- stan aber wird die in Teilbereichen größere russische Mili- tärpräsenz im Lande akzeptieren. Konkurrenz regionaler Wirtschaftseinheiten Russland und China werden auch 2016 regionale ökono- mische Konzepte und Projekte vorantreiben, insbeson- dere die Eurasische Wirtschaftsunion und das Wirtschafts- programm „Neue Seidenstraße“. Kasachstan wird dabei wegen seines vor kurzem erfolgten Beitritts zur Welthan- delsorganisation WTO und seinen Bestrebungen nach meisten umkämpft sein. 2016 wird Astana in die Schaffung der Infrastruktur für die EXPO 2017 investieren. Diese soll nach der Weltausstellung zur Errichtung eines interna- tionalen Finanzzentrums genutzt werden. Bei den Funk- tionalitäten des neuen Finanzzentrums wird sich Kasach- stan nach dem Vorbild Dubais richten und sich nicht von den Entwicklungen in der Eurasischen Union, wo Russ- land versuchen würde, die Pläne zu behindern, abhän- gig machen. Kirgistan wird nach seinem „demokratischen Flirt“ sehr wahrscheinlich in Richtung einer absoluten kremlfreundlichen Autokratie abdriften. Die durchlässigen - ströme aus China dürften zu wachsenden Spannungen zwischen Russland, Kasachstan und China führen. Unsichere Zukunft großer Energieprojekte Turkmenistan wird höchst wahrscheinlich den Bau der die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Pipeline ist ange- sichts der anhaltend unsicheren Lage in Afghanistan wei- terhin offen. Es wird weitere Verhandlungsrunden zum
  • 199. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 197 es jedoch wegen des niedrigen Ölpreises und der ablehnen- den Haltung Russlands und des Irans nur zu kleinen Fort- schritten kommen wird. China wird wahrscheinlich seine Expansion in Zentralasien über die Transportwege entlang der Turkmenistan-Usbekistan-Tadschikistan-Kirgistan Linie auch 2016 vorantreiben. Dennoch wird sich die chi- nesische Expansion nach Zentralasien wegen der schwä- chelnden chinesischen Wirtschaft und dem Rückgang von Energieimporten verlangsamen. Der Verkauf iranischen Öls am freien Markt wird angesichts sinkender Ölpreise und neuer Optionen für gemeinsame Energieprojekte zu einem Paradigmenwechsel bei der Industrie führen. Auswirkungen auf Europa Europa sollte den zentralasiatischen Regierungen vor- schlagen, sich einer vorsichtigeren Finanzpolitik zu ver- gen wann immer möglich zu verhindern. Die NATO sollte erkennen, dass Zentralasien ein Ausgangspunkt für neue Spannungen mit Russland sein kann. Dies besonders des- halb, da der „Westen“ in der Region erhebliche Verwund- barkeiten aufweist, die vom Kreml ausgenützt werden könnten. Die EU darf einer neuen Stationierung russischer Truppen in der Region mit der Begründung einer Bedro- hung durch den IS keinesfalls zustimmen. Demgegenüber sollte die Überprüfung objektiv gesammelter Informatio- nen über die Entwicklungen in Afghanistan gefördert und diese mit den Ländern Zentralasiens ausgetauscht werden. Das Engagement in der WTO und der Handel mit der EU sollten auf allen Ebenen gefördert werden, insbesondere im Fall Kasachstan. Die EU sollte das transkaspische Pro- jekt neuerlich offen evaluieren und prüfen, wie stattdessen die Kooperation mit dem Iran für die regionale Energie- versorgung genutzt werden könnte. KERNPUNKTE • Zentralasien geht in Richtung steigender Instabilität auf vielen Ebenen. • Kasachstan und Usbekistan sehen sich mit bevor- stehenden Nachfolgeproblemen konfrontiert. • Russland könnte die IS-Bedrohung für die Stärkung • Kasachstan und Kirgistan sehen sich mit vermehr- ten Spannungen innerhalb der Eurasischen Union und anderen Handelsallianzen konfrontiert. • Niedrige Energiepreise und die schwächelnde Wirt- schaft Chinas üben Druck auf den Kohlenwasser- stoff-Sektor aus. • Die Aufhebung der Iran-Sanktionen könnte neue wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen. KEY NOTES • Central Asia enters a period of increased instability on multiple levels. • Kazakhstan and Uzbekistan face looming successi- on problems. • Russia may play up ISIS threat to re-install its regio- • Kazakhstan and Kyrgyzstan face tensions within EEU and other trade alliances. • Low energy prices and the slowdown in China de- press hydrocarbon sector. • However, lift of Iran’s sanctions can open new eco- nomic options.
  • 200. 198 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Arabische Welt im Umbruch Entgegen Prognosen verschiedener westlicher Staaten ist der syrische Präsident Baschar al-Assad immer noch an der Macht, liefern die USA mittlerweile auch Waf- fen an nicht-moderate Rebellengruppen, ist die syri- STRATEGISCHE LAGE IM NAHEN UND MITTLEREN OSTEN 2016 Guido Kraus Die Region Middle East-North Africa (MENA) erlebt – ausgelöst durch den „Arabischen Frühling“ und das Aufbrechen diktatorischer Regime in Form eines po- litischen Tsunamis – einen Umbruch und eine damit einhergehende Machtverschiebung, deren Ausgang völlig unklar erscheint.
  • 201. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 199 sche Opposition inklusive der Freien Syrischen Armee (FSA) in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht und hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) überraschend schnell militärische Erfolge – auch gegen die durch den Westen neu aufgestellte irakische Armee – erzielt. Eine genaue Prognose nach westlichen Denkmustern ist daher schwierig. Parallel zu den Kampfhandlungen werden die Krisendiplomatie und der Versuch zu einer politischen Lösung weiterhin beschritten. Nachdem der Sykes-Picot-Plan und somit das westli- che/europäische Machtregime im Nachgang des Ers- ten Weltkriegs gescheitert ist, besteht der dringende Bedarf, die politische Landkarte des Nahen und Mitt- leren Ostens (NMO) durch die dortigen Stakeholder Wenn wieder eine politische Ordnung nach westli- cher Prägung aufoktroyiert werden sollte, darf nicht auf eine nachhaltige Beruhigung, die im NMO immer relativ zu verstehen ist, gehofft werden. Russisches Engagement in Syrien Der Eintritt Russlands mit militärischen Kräften in - benden Alawitenenklave hat zu einer Negativdynami- sierung und zur weiteren Verkomplizierung der Kon- deuten aufgrund der erkennbaren Fähigkeiten nicht angestrebt wird. Selbiges ist auch für das intensivierte militärische Vorgehen Frankreichs nach den Terroran- schlägen in Paris im November 2015 anzunehmen. Somit ist keine der involvierten Parteien, ob lokal, regional oder global, potent genug, um eine (militä- rische) Entscheidung in absehbarer Zeit erzwingen zu können. Daher gehen einzelne Analysten bereits davon aus, dass es zu einem noch jahrelangen Abnüt- zungskrieg zwischen den verschiedenen Fraktionen kommen könnte. Das würde ein weiteres grausames und menschenverachtendes Blutvergießen auf Kosten der Bevölkerung bedeuten. Gleichgewicht des Schreckens - - wirkungen einer erzwungenen Lösung für die Region äußerst schwierig abzuschätzen sind, haben die globa- len Stakeholder kein Interesse, die Situation unmittel- bar und nachhaltig aufzulösen. Die EU ist hingegen durch Migrationsdruck und Terrorbedrohung direkt betroffen, jedoch aufgrund ihrer politischen Ausrich- tung an einer militärisch basierten Lösung nicht inter- essiert – auch wenn Frankreich aufgrund der direkten Betroffenheit alles unternimmt, um ein europäisches Vorgehen zu initiieren. Die EU fand aber andererseits auf der rein diplomatischen Ebene in der Region bis- ausreichend, um der Region Frieden und Stabilität zu bringen. Solange der Preis für die Machthaber in der Region nicht hoch genug ist, wird es vorerst auch kein Einlenken und keinen Kompromiss geben kön- nen. Dadurch müssen die Unterstützer für die kämp- ihre Anstrengungen zumindest auf dem selben Niveau abzusichern. Israel Israel hält sich vordergründig aus dem Spiel und sieht sich als stabilisierender Faktor im Auge des Hurrikans.
  • 202. 200 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 um bei allfälligen Positionsverschiebungen die poli- tische Verschränkung speziell mit Jordanien, Ägyp- ten und Saudi-Arabien intensivieren zu können. Nichts Sicherheit des Landes unterschiedliche Mittel und Maßnahmen zu ergreifen, die auch den Einsatz der Luftstreitkräfte sowie „aktive Schläge“ außerhalb Isra- els mit einschließen. Um die seit mehreren Monaten sich permanent ver- schlechternde Sicherheitslage in der West Bank und in (Ost-)Jerusalem zu bewältigen, beabsichtigen die israe- lischen Streitkräfte die Etablierung einer noch stärke- ren Präsenz in Judäa und Samaria. Dazu sollen gemäß Medienberichten ab Jänner 2016 auch vermehrt Reser- visten einberufen werden, um den erhöhten Kräftebe- darf zu decken. Daher ist mit einer deutlichen Dees- kalation in der West Bank und Jerusalem vorerst nicht der „Hudna“ (Waffenruhe) eingelassen. Die militäri- schen Kapazitäten auf Hamas-Seite werden weiter auf- gebaut und neue Wege der asymmetrischen Kriegsfüh- rung ausgeklügelt. Die politische Führung der Hamas konterkariert wei- terhin die „Fatah-Brüder“ und ihre Vorstöße, bleibt jedoch aufgrund der Lage in Ägypten und am Sinai etwas isoliert und muss sich vorerst den Vorgaben ihrer Unterstützer – vornehmlich von der arabischen Halbinsel – beugen. Diese Inaktivität gegenüber Israel - - Türkei, Saudi-Arabien und der Iran Die sicherheitspolitische Lage in der Region dürfte die Türkei in ihrer Brückenfunktion vor allem gegenüber Europa und den USA sehr geschickt zur Durchsetzun- gen ihrer eigenen Interessen in der Region sowie gegen- stärkt es den türkischen Präsidenten innenpolitisch und gegenüber der EU bzw. erhält er mehr Handlungsfrei- heit in seinem Kampf gegen die Kurden. Auch nutzen andere „Spieler“ die Situation, um ihre Positionen abzusichern bzw. auszubauen. Die Hauptver- antwortlichen für die regionalen Spannungen bleiben jedoch weiterhin Saudi-Arabien und der Iran. Unklar bleibt, wie weit das Atomabkommen und die damit ver- bundenen Sanktionslockerungen die Lage beruhigen können. Ebenso problematisch ist eine eindeutige Prog- nose auf der saudischen Seite mit dem nicht mehr ganz jungen König und dessen neuen Entscheidungsträgern. Terrormiliz „Islamischer Staat“ Beim IS stellt sich die Frage „Cui bono?“ – wem hilft - scheidung und das Bestreben, dass es den IS in dieser Ausprägung und vor allem mit dieser Machtfülle nicht mehr geben sollte, könnte der IS – natürlich nur mit Hilfe westlicher militärischer Unterstützung – wesent- lich stärker eingedämmt bzw. bis auf mögliche Splitter- zellen zerschlagen werden. Auswirkungen auf Österreich und die EU Die Entwicklungen aufgrund des Migrationsdrucks sowie die Terroranschläge in Verbindung mit den Maßnahmen zur Terrorbekämpfung in Europa haben
  • 203. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 201 im Wesentlichen die Richtung und möglichen Aus- wirkungen für Österreich und Europa für 2016 sehr offensichtlich dargestellt. Aufgrund der rasant anstei- genden Asylzahlen und Prognosen für 2016 sowie des ist die Aufnahmekapazität limitiert. Daher wird vor allem die Aufteilungsfrage die innenpolitische Frag- mentierung der zum Teil verunsicherten Bevölkerung und ihrer Meinung in Österreich und in der EU wei- ter vorantreiben. Im NMO kann es zu Einschränkun- gen für den Tourismus und das allgemeine wirtschaft- liche Leben kommen, obgleich der Iran aufgrund der teilweisen Aufhebung der Sanktionen sowie diplo- - der zu einem interessanten Wirtschaftspartner entwi- NMO bedroht nicht nur die dortig ansässige Bevöl- kerung, sondern auch Ausländer, vor allem westlich- christliche. Der Migrationsdruck bleibt aufrecht und bringt auch negative Begleiterscheinungen mit sich. Bei einer teilweisen Schließung der aktuellen Migrati- onsrouten bzw. beim Versuch einer Eindämmung wird der anhaltende Flüchtlingsstrom nach Österreich und Europa lediglich verlagert bzw. auf mehrere Neben- routen aufgeteilt. Eine politische Lösung würde vier Handlungsstränge vorsetzen: 1. Sofortige Aufstockung der humanitären Hilfe vor Ort. 2. Diplomatische Verhandlungslösung im Sinne einer von den regionalen Stakeholdern akzeptierten (Neu-)Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens als grundsätzliche Vision eines „End State“ bzw. Handlungsrahmens. 3. Massives, gemeinsam abgestimmtes militärisches Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft zur Eindämmung bzw. Zerschlagung des IS oder zumindest zum Einfrieren der Kampfhandlungen. 4. Europäisch akkordierte Migrationsbewältigung in Verbindung mit einer für alle Beteiligten annehm- baren Bewältigung der Partikularinteressen als Voraussetzung für eine mögliche Rückführung von Personen in die Herkunftsländer nach Beruhigung der Situation vor Ort. Ausblick 2016 Vor diesem Hintergrund ließe sich eine Prognose für 2016 auf Basis der wahrscheinlichsten Konstanten aufbauen: • Der sunnitisch-schiitische Kampf um die Vor- machtstellung im Nahen und Mittleren Osten wird mit Masse mittels Stellvertreterkriegen ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschengruppen unvermindert fortgesetzt. • Die US-geführte Operation „Inherent Resolve“ wird unter Unterstützung auch nicht moderater Rebellengruppierungen fortgeführt. • Das aktive militärische Engagement Russlands wirkt negativ-dynamisierend und dient nicht der Deeskalation; witterungsbedingt kommt es im Winter zu einer kurzfristigen Beruhigung. • Das gilt auch für das infolge der Pariser Terror- anschläge intensivierte militärische Vorgehen Frankreichs. • Die Terrormiliz IS kann aufgrund des eher rudi- mentären Abstimmungsgrads der verschiedenen Operationen ihre Position mit Hilfe ihrer hohen operativen Beweglichkeit grundsätzlich halten.
  • 204. 202 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 • Damit ergibt sich vorerst kaum Spielraum für eine reale, politische Lösung bzw. eine mögliche Neu- ordnung der Machtverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten. • auch 2016 in seiner grundsätzlichen eingefrorenen Situation bestehen, wobei die Sicherheitskräfte für die mehr oder weniger stabile Lage entschei- dend sind. Somit ist für 2016 eher davon auszugehen, dass das menschenverachtende Blutvergießen nicht gestoppt werden kann bzw. seitens der Stakeholder dazu kein nächste Runde“ geht. Dadurch gibt es keine Motiva- tion der vertriebenen Bevölkerung zur Rückkehr bzw. zum Verbleib in den Flüchtlingslagern, was den Mig- rationsdruck auf Europa weiter aufrechterhält. ngefrorenen Sicherheit er stabi tion der ver eib in den uropa w KERNPUNKTE • Der „Arabische Frühling“ und seine Motive im Hin- tergrund sind als Auslöser für die regionalen Um- brüche mitverantwortlich. • Die Umbrüche haben negative sicherheitspolitische Auswirkungen auf die Region, Europa und die EU. • Der Bürgerkrieg in Syrien und die militärischen Er- te zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die 2016 eine verstärkte internationale Dimension erreichen könnten. • nach der Kerry-Initiative in den Hintergrund trat, birgt er eine enorme Sprengkraft für die Sicherheit Israels – mit Anzeichen einer dritten Intifada. • die regionale Stabilität sowie für eine Verringerung des Migrationsdruckes auf Europa von zentraler Bedeutung. KEY NOTES • The Arab Spring and it‘s motives are to be seen as triggers for regional upheavals. • These upheavals have negative effects in terms of the security policy oft the region as well as on Euro- pe and the European Union. • The civil war in Syria as well as the military success of the terror organization Islamic State has to been seen as a proxy war between Iran and Saudi Ara- bia, which can reach a more international dimensi- on in 2016. • slight back seat in international politics after the “Kerry initiative”, it harbours a political explosive force for the security of Israel by showing signs of a third Intifada. • crucial for the regional stability as well as for Euro- pe reducing the pressure for migration.
  • 205. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 203 Dritte Intifadah? Seit September 2015 kommt es vermehrt zu Attacken einzelner, scheinbar unkoordiniert agierender arabi- scher Terroristen auf jüdische Israelis. Scheinbarer Aus- die Nutzungsrechte des Tempelbergs in Jerusalem. In der arabisch-palästinensischen Community setzte sich - - mals zur Debatte stand. Israel und sein Premierminister ISRAELISCH - PALÄSTINENSISCHER KONFLIKT 2016 Georg Plattner Zum Jahresende 2015 hat eine Welle von individu- ellen Terrorattacken Israel erfasst. Vor allem Jeru- salem, aber auch andere israelische Städte sahen sich seit Mitte September mit einer stetig steigen- den Zahl von Einzelattacken – meist mit Messern oder anderen Stichwaffen – arabischer Angreifer auf jüdische Ziele, vorwiegend Zivilisten, konfron- tiert. Diese mögliche „dritte Intifadah“, aber auch die Sicherheitslage für Israel innerhalb des regiona- len Chaos gibt wenig Hoffnung auf eine Transforma-
  • 206. 204 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Benyamin Netanyahu sind sich der Konsequenzen einer Änderung des Status quo am Tempelberg vollkommen bewusst. Netanyahu untersagte bereits zu Beginn der Hamas die Angriffe als Heldentaten und rief zur Nach- ahmung und zu einer dritten Intifadah auf. Die Welle an Angriffen und die offensive Unterstüt- - gen wie die Hamas könnten den Beginn einer „dritten Intifadah“ ankünden. Die Frustration in der palästi- nensischen Bevölkerung ist hoch, ebenso greift antiis- raelische Propaganda immer stärker um sich, wie der - sche Autonomiebehörde sollte alles in ihrer Macht ste- hende tun, um eine weitere Eskalation zu verhindern und mit den israelischen Sicherheitsbehörden koope- eine Strategie gegen diese neue Form von Terrorismus überlegen. Für das Jahr 2016 bedeuten diese Angriffe jedenfalls ist unklar, ob es zu einer „Intifadah“, also einem gro- ßen und koordinierten Aufstand, kommen wird, wahr- scheinlich scheint jedoch, dass Israel sich zu einem här- teren Vorgehen in Jerusalem und im Westjordanland sowie möglicherweise zu einer weiteren Operation im - dere Reaktion auf diese Vorfälle, die etwa soziale Ver- besserungen für die arabischen Israelis mit sich bringen müsste, ist angesichts der politischen Heterogenität der Regierung Netanyahu unwahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund scheint auch jeglicher Fortschritt im Frie- densprozess in weite Ferne zu rücken. Regionale Faktoren Auch die regionale Unsicherheit steht einer Transfor- - gegen. Der Bürgerkrieg in Syrien und im Irak sowie ein neu erstarkter Iran sind direkte Bedrohungen für Israels Sicherheit. In Syrien sind vor allem jihadisti- in einem Ziel überein: Die Befreiung Jerusalems, was nichts anderes bedeutet als das verklausulierte Ziel der Vernichtung des jüdischen Staates. Während sich durch die massive russische Unterstüt- zung das Assad-Regime teilweise zu konsolidieren scheint, wird gleichzeitig auch die regionale syrische Schutzmacht, die islamische Republik Iran, wieder stär- ker. Durch das Inkrafttreten des Nuklear-Abkommens im Dezember 2015 wird das Regime in Teheran Zugang US-Dollar erhalten. Es scheint aus israelischer Sicht Solange sich das Chaos im Nahen Osten fortsetzt, wird Israel allein aus sicherheitspolitischen Überlegungen zu keinem umfassenden Abkommen mit der palästinen- sischen Autonomiebehörde bereit sein. Inmitten einer sich Israel nicht erlauben, substanzielle Zugeständnisse an einen möglichen Staat Palästina zu geben. Strategisch wichtige Verteidigungslinien wie das Jordantal würden in einem solchen Abkommen Palästina zugeschlagen werden, und ohne umfassende Sicherheitsgarantien wird der jüdische Staat diese nicht leichtfertig aufgeben.
  • 207. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 205 Ableitungen für Europa Sollte 2016 eine „dritte Intifadah“ ausbrechen, und diese Möglichkeit besteht durchaus, so fußt sie – wie bereits die zweite – auf einer Kampagne palästinen- sischer Brandstifter. Der EU könnte im kommenden Jahr eine größere Rolle in einer Verhinderung einer sol- chen Eskalation zukommen. Die USA haben ihren Kre- dit mit Israel großteils verspielt, die EU könnte sich als Mediator positionieren und somit an einer Deeskala- tion mitarbeiten. In jedem Fall muss sich die EU darü- ber im Klaren sein, dass Israel keinerlei weit reichende Zugeständnisse machen kann und wird. Die EU könnte jedoch auf substaatlicher Ebene – d. h. ohne umfas- sende Lösung, mit kleinen Lösungen für einzelne Berei- lage in Israel und Palästina entspannt. KERNPUNKTE • Eine neue Welle der Gewalt erfasste Israel; Auslöser ist eine gezielte Desinformationskampagne palästi- nensischer Brandstifter. • Eine weitere terroristische Gewalteskalation 2016 oder gar eine „dritte Intifadah“ ist nicht auszuschlie- ßen, doch sowohl Mahmud Abbas als auch Benya- min Netanyahu sind sich der Folgen bewusst und werden versuchen, dies zu verhindern. • Ein Erstarken des Assad-Regimes und des Iran 2016 bedeutet ein Sicherheitsrisiko für Israel. • Das sicherheitspolitische Chaos in der Region er- laubt Israel auch 2016 keine großen Zugeständnis- KEY NOTES • A new wave of violence has hit Israel. A targeted disinformation campaign by Palestinians was the trigger. • A further terrorist escalation of violence or even a „third Intifada“ cannot be excluded in 2016, but both Mahmoud Abbas and Benjamin Netanyahu are aware of the consequences and are trying to pre- vent this from happening. • A strengthening of the Assad-regime and of Iran in 2016 represents a security risk for Israel. • Due to the security chaos in the region, Israel can- not make any major concessions in 2016.
  • 208. 206 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Keine politische Lösung in Sicht 2016 wird es wahrscheinlich zu keiner politischen Lösung für Syrien kommen, da das Assad-Regime glaubt, bei der Niederschlagung der Revolte – mit Unter- stützung Irans und Russlands – freie Hand zu haben. Eine Wende würde eintreten, könnten sich die Rebel- len in den Besitz von Fliegerabwehrwaffen bringen, um - fen und Fassbomben zu schützen. Dazu wird es jedoch SYRIEN 2016 Nadim Shehadi - ler und internationaler Rivalitäten und kann nicht bloß im Innern – ohne äußere Beteiligung - gelöst werden. Der Hauptfaktor ist das Nichtvorhanden- sein einer US-amerikanischen Strategie und das da- durch entstandene Vakuum, das sich auf Freunde und Feinde gleichermaßen auswirkt. Einerseits ver- folgen verschiedene Akteure in diesem Drama ver- schiedene Ziele, andererseits erinnert die Lage im Wesentlichen an den Irak zwischen 1991 und 2003, als Saddam Hussein von vergleichbarer inter- - tierte, wobei das Überleben seines Regimes dem Irak und der Region sehr teuer zu stehen kam. wahrscheinlich nicht kommen, da es ein US-amerikani- sches Veto gibt, das die Unterstützung der Rebellen auf die Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beschränkt und auch jene Unterstützung beschränkt, die der Türkei zuteilwird. Verstärkter Radikalismus als Gefahr für die ganze Region Betrachtung der gesamten Region zu sehen, wozu der - nischen Revolutionsgarden gehören. Diese beiden radi- kalen Organisationen erleben einen Aufschwung und beziehen Legitimation und Macht aus dem Kampf gegeneinander. Sie können einander nicht besiegen, aber sie gewinnen hinzu und kontrollieren die große Masse ihrer jeweiligen Seite: Die Radikalen des IS gewinnen zu Lasten gemäßigter sunnitischer Kräfte, und die Radi- kalen der Revolutionsgarde gewinnen zu Lasten gemä- ßigter schiitischer Kräfte. Der IS wird zu einer immer - - den werden auf Kosten des gemäßigten schiitischen
  • 209. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 207 Zentrums von Najaf an Boden gewinnen. All dies führt zu verstärkter Radikalisierung auf allen Seiten, deren schädliche Auswirkungen über die Region hinaus auch weiter östlich in Teilen Asiens und weiter westlich in Europa zu spüren sein werden. Die derzeitige Politik bewegt sich auf das Worst-case-Szenario zu Langfristig gibt es für die Region zwei Szenarien: Das Worst-case-Szenario besteht in noch weiter gesteigertem Radikalismus auf allen Seiten, wobei der IS die sunniti- schiitischen. Das Best-case-Szenario besteht darin, dass der Radikalismus zurückgeht, sodass die Region schließ- lich frei von IS und Revolutionsgarde ist. Wenn auch die internationale Politik nicht alle Probleme sie doch wenigstens Druck in die richtige Richtung erzeugen, d.h. in die Richtung einer Region, die frei von beherrscht ist, die über Jahrhunderte – mal besser, mal schlechter - zusammen existiert haben. Die derzeitige US-amerikanische und westliche Poli- tik, in scheinbarer Allianz mit den iranischen Revolu- tionsgarden den IS mit einer militärischen Koalition zu bekämpfen, wendet sich gegen sich selbst, indem sie beide radikalen Organisationen stärkt und die Region dem weiter oben beschriebenen Worst-case-Szenario näherbringt. Schließlich werden beide, der IS und die Revolutionsgarden siegreich sein, allerdings nicht gegen- einander, sondern gegen ihre jeweiligen gemäßigten Kräfte. Eine erfolgreiche Strategie müsste daher gleich- zeitig den Revolutionsgarden und dem IS Einhalt gebie- ten und so die gemäßigten Kräfte beider Seiten entschei- dend stärken. Russische und iranische Unterstützung für das Regime Auch die russische Intervention in Syrien und die irani- sche Intervention im Irak und in Syrien sind nicht hilf- reich. Russland bekämpft hauptsächlich sogenannte gemäßigte Rebellen, die sowohl mit Assad als auch mit dem IS verfeindet sind. Dies erinnert an Russlands Stra- tegie in Tschetschenien in den Neunzigerjahren, als man zunächst zuließ, dass eine Rebellengruppe über alle anderen siegte, ehe sie vor den russischen Kräften kapi- tulieren musste. Vom Iran unterstützte, unter dem Kommando seiner Revolutionsgarden stehende und mit der irakischen Zen- tralregierung verbündete Milizen haben im Irak zahl- verübt und sie so in die Arme des IS getrieben. Auch unterstützt der Iran Milizen aus dem Libanon, dem Irak und aus Afghanistan, die gemeinsam mit den Revolu- tionsgarden auf Seiten des Regimes in Syrien kämpfen. Auch dies trägt zur weiteren Radikalisierung bei. Die Lage verschlechtert sich weiter In einem US-amerikanischen Wahljahr ist eine Verän- derung in der westlichen Politik höchst unwahrschein- lich, sodass die Lage sich weiter verschlechtern und zur weiteren Zerstörung Syriens sowie zu mehr Flüchtlingen – sowohl innerhalb als auch außerhalb Syriens – füh- ren wird. Die EU kann sich in einer derartigen Situation bloß mit den Symptomen beschäftigen. Bestenfalls wird sie sich mit einem kleinen Teil der stetig anwachsenden humanitären Katastrophe an ihren Außen- und Binnen- grenzen befassen. Die langfristigen Folgen all dessen sind unabsehbar. Solange das Assad-Regime und seine Verbündeten die
  • 210. 208 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 US-amerikanischen Politik, Rebellen nur zum Zwe- cke der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Eine der- artige Eskalation wäre äußerst gefährlich und ihre Konsequenzen unabsehbar. Insbesondere wegen der fehlenden Unterstützung der USA ist sie daher weniger wahrscheinlich. Wir werden also im Jahre 2016 kaum Änderungen der US-amerikanischen und westlichen Politik und daher eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklung erleben, sodass die humanitären Herausforderungen für Europa größer werden und die Lage in Syrien ungelöst bleibt. KERNPUNKTE • schen Strategie und das Veto der USA gegen eine Bewaffnung der Rebellen. • Das syrische Regime und seine Verbündeten Russland und Iran streben weiterhin eine militärische Lösung an. • Die gegenwärtige Politik der US-geführten Koalition, im Bündnis mit den iranischen Revolutionsgarden den IS zu bekämpfen, stärkt beide radikalen Organisationen auf Kosten gemäßigter Kräfte. • Bei den humanitären Herausforderungen werden wir im Jahre 2016 einen exponentiellen Anstieg erleben. • Solange das bestehende Kräfteungleichgewicht andauert, wird es keinen Anreiz zu einer politischen Lösung geben. • Die EU wird sich auch weiterhin in ineffektiver Weise mit den Symptomen beschäftigen, ohne sich mit dem Prob- lem zu befassen. • In einem US-amerikanischen Wahljahr wird es wahrscheinlich nicht zu einer Änderung der beschriebenen Lage kommen. Oberhand besitzen, werden sie nicht aufhören, eine ner anzustreben. Eine politische Lösung ohne Assad ist genauso unwahrscheinlich wie der totale Sieg des Regime Zeit, und auch der in Wien begonnene Prozess wird wahrscheinlich nicht zu einer nachhaltigen politi- schen Lösung führen. Eine weitere Möglichkeit besteht im Jahre 2016 darin, seitig auf Seiten der syrischen Rebellen gegen das Assad- Regime eingreifen. Dies stünde im Widerspruch zur KEY NOTES • the rebels. • Syria’s regime and its allies, Russia and Iran, still pursue a military solution. • mic Revolution strengthens both radical groups at the expense of moderate forces. • Humanitarian challenges will increase exponentially in 2016. • There is no incentive for a political solution as long as an imbalance of power persists. • The EU will continue to ineffectively deal with the symptoms without addressing the problem. • The situation is unlikely to change in a US election year.
  • 211. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 209 Das massive Eingreifen Russlands auf der Seite des Assad-Regimes in Syrien hat auch Auswirkungen auf den Irak. Russland hat gemeinsam mit dem Iran und Syrien in Bagdad ein Büro für „Intelligencesharing“ ein- gerichtet. Den irakischen Stimmen, vor allem aus Krei- sen schiitischer Milizen, die sich eine russische Unter- stützung im Kampf gegen den IS auch für den Irak wünschen, setzen die USA im Spätherbst 2015 jedoch ihrerseits ein verstärktes militärisches Engagement ent- gegen. Es kommt nach Klagen aus der irakischen Regie- rung über die Halbherzigkeit der USA, die es bisher IRAK 2016 Gudrun Harrer Im Jahr 2015 hat der Irak eine weitere große Stadt, Ramadi, an die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verloren, und die angekündigte Rück- eroberung vom 2014 gefallenen Mosul wurde nicht einmal versucht. Allerdings gibt es zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Jahresvorschau Hoffnung auf ein verstärktes militärisches US-Engagement in der Zukunft. Den Irak plagen aber auch noch ab- seits vom IS multiple Probleme, die die Zukunft der Regierung unter Haider al-Abadi in Frage stellen.
  • 212. 210 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 peinlich vermieden, den Eindruck einer Kooperation und Koordination ihrer Luftangriffe mit den iranisch geführten Schiitenmilizen am Boden zu erwecken. Diese Bedenken sind gewiss nicht gefallen, aber der Durchbruch beim Atomabkommen (Joint Compre- hensive Plan of Action – JCPOA) der EU/E3+3 mit dem Iran im Juli 2015 in Wien scheint das Dilemma zu erleichtern, wenn denn die Implementierung des JSPOA wirklich, wie geplant, Anfang 2016 anläuft. Auch dass der Iran bei den „Syria Talks“ Ende Oktober 2015 in Wien dabei war, zeigt die neuen Politik-Möglichkei- ten – und erhöht für den Irak die Chancen, dass sich der Krieg gegen den IS von irakischer Armee, iranisch geführten und anderen schiitischen Milizen, sunniti- schen Stammesmilizen und US-Luftunterstützung 2016 erfolgreicher gestaltet. Es bleibt zu sehen, wie die Entwicklung des Kriegs in die EU und etliche Nahost-Staaten auf die Priorität des Kriegs gegen jihadistische Terrorgruppen einigten, gibt es zum Zeitpunkt der Drucklegung Anzeichen einer mittelfristigen Kampagne zur Befreiung der syrischen IS-Hauptstadt al-Raqqa. Das würde den Irak als Rück- zugsgebiet für den IS – und Zulaufgebiet internationaler Jihadisten – umso wichtiger machen. Eine erhöhte Fre- quenz von IS-Attentaten in der Hauptstadt Bagdad und in anderen IS-Zielgebieten ist zu erwarten. Der Aufstieg der Schiitenmilizen 2015 war auch politisch ein turbulentes Jahr für den Irak, und es ist sicher, dass das 2016 so bleibt. Die Regie- rung von Premier Haidar al-Abadi ist seit Sommer 2015 in akuten Schwierigkeiten. Der niedrige Ölpreis macht dem irakischen Staatshaushalt schwer zu schaffen; die Unzufriedenheit führte erstmals auch im Süden des Lan- des zu regelmäßigen Demonstrationen gegen die man- gelnden Dienstleistungen des Staates (vor allem Elektri- zität und Wasser sind ein gravierendes Problem). Abadi reagierte mit der abrupten Ausrufung von Reformen, vor allem Sparmaßnahmen innerhalb des Staatsapparats, die jedoch politische Folgen haben: So entließ Abadi etwa die Vizepräsidenten, unter ihnen seinen Vorgän- ger als Premier, Nuri al-Maliki, der seitdem offen gegen Abadi agitiert. Maliki genießt starken Rückhalt bei den schiitischen Milizen, die ihrerseits durch ihre Rolle beim Kampf gegen den IS an Ansehen gewonnen haben – und deren Führer in die Politik drängen. Abadi hinge- gen hat nicht nur versäumt, politische Verbündete für die Verfassung zu ignorieren. Eine Destabilisierung ist die Folge, die Abadi letztlich zum Verhängnis werden könnte. Es würde wohl eine radikalere schiitische Regie- rung folgen, was wiederum die Sunniten weiter entfrem- den würde. Dem Irak laufen die Menschen davon, Tausende haben sich den Flüchtlingstrecks nach Europa angeschlossen. Keine Region bleibt davon verschont – so wird auch ver- mehrt von jungen Schiiten aus dem Süden berichtet, die im Anti-IS-Kampf im Norden eingesetzt waren und nicht mehr einsehen, dass sie eine Bevölkerung befreien sollen, die ihnen – als Schiiten – nicht viel mehr vertraut als dem IS. Der Flüchtlingsstrom wird anhalten. Politische Krise auch im kurdischen Nordirak Ernüchternderweise gilt die Fluchttendenz jedoch auch für die kurdische autonome Zone im Nordirak, die ja seit 2003 stets als positives Modell gegolten hat. Der
  • 213. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 211 Streit mit Bagdad – noch immer gibt es kein nationales Ölgesetz – und einmal mehr der niedrige Ölpreis haben rigkeiten gebracht. Vor allem jedoch ist sie 2015 in eine politische Krise gestürzt, die unangenehm an den kur- zen innerkurdischen Bürgerkrieg Mitte der 1990er Jahre dischen Demokratischen Partei (KDP) von Masud Barzanis Mandat als Präsident der Regionalregierung nach einer bereits 2013 vorgenommenen zweijährigen Verlängerung im August 2015 ausgelaufen ist, konn- ten sich die Parteien nicht einigen, wie es weiter geht: Die KDP optierte für eine weitere Verlängerung Barza- nis angesichts des Kriegs am Rande der Autonomiere- dagegen beziehungsweise nur bereit, eine Verlängerung chen Machtbeschränkung einhergeht. Barzani, der gute Druck geraten, weil der türkisch Krieg gegen die PKK, der regelmäßig zu türkische Verletzungen des nordiraki- schen Territoriums führt, sich nach dem Wahlsieg Erdo- gan noch intensivieren könnte. Es ist eher zu erwarten, dass – auch angesichts des politischen Drucks der aus- ländischen Partner der Kurden – ein Arrangement zwi- schen den verschiedenen kurdischen Parteien zustande kommt, aber das Ansehen Irakisch-Kurdistans als Hort der politischen Stabilität ist beschädigt. rgenommenen zweijährig m August 2015 ausgelaufen ist, konn- die Partei KDP o nis an s kommt, litische KERNPUNKTE • Beim Kampf gegen den IS ist mit einem vermehr- ten US-Engagement und einer besseren Koordinati- on mit den Kräften am Boden zu rechnen. • Der verstärkte Kampf gegen den IS in Syrien wird den Irak als IS-Rückzugsort noch wichtiger machen. • Der Irak leidet massiv unter dem niedrigen Ölpreis. • Die Regierung in Abadi hat sich durch ihren un- geschickt aufgesetzten Reformweg in politische Schwierigkeiten gebracht; radikalere schiitische • Der kurdische Nordirak – seit 2003 die stabile Musterregion des Irak – ist in eine schwere politi- sche Krise gefallen, die sein Ansehen beschädigt. KEY NOTES • An increased commitment by the US as well as im- proved coordination with forces on the ground can • Iraq even more important for the organization. • Iraq suffers from the low oil-prices. • Because of its unskilful introduction of reforms, Pri- me Minister Abadi’s government encountered in- dical Shiite forces. • The Kurdish north of Iraq, since 2003 a stable mo- del region of Iraq, has now fallen into a serious po- litical crisis damaging its international standing.
  • 214. 212 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Nationale Dimensionen des Kriegs im Jemen Im Jemen kämpfen verschiedene Akteure in einem Mehrfrontenkrieg gegeneinander und werden dabei von regionalen Akteuren unterstützt. Auf der einen Seite kämpfen die Huthis, eine Rebellengruppe aus dem Nor- SAUDI-ARABIEN UND JEMEN 2016 Marie-Christine Heinze Der derzeit andauernde Krieg im Jemen hat nationa- - tes scheint derzeit, trotz anstehender Verhandlun- gen, nicht in Sicht. Eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage und ein Erstarken von al-Qa’ida in the Arabian Peninsula (AQAP) sowie der Terroror- ganisation Islamischer Staat (IS) wird daher aller Vo- raussicht nach auch das Jahr 2016 bestimmen. den des Landes, die 2014 eine Allianz mit dem 2012 zurückgetretenen ehemaligen Präsidenten Ali Abdallah Salih eingegangen sind. Seit September 2014 kontrol- lieren sie die Hauptstadt Sanaa, und in den nachfolgen- den Monaten sind sie weiter gegen Süden vorgerückt. Auf der anderen Seite stehen Teile der erst im Novem- ber 2014 eingesetzte Technokraten-Regierung unter Premierminister (und seit April 2015 auch Vizeprä- sident) Khaled Bahah sowie Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi. Sie sind im Januar 2015 nach zunehmen- - den sich seit März im Exil in Riad. In ihrem Bemühen um die Wiedererlangung der Macht werden sie militä- risch unterstützt von einer regionalen, saudisch geführ- -
  • 215. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 213 durch die VN-Sicherheitsratsresolution 2216. Des Wei- teren sind folgende Akteure im Jemen zu nennen: die Südliche Bewegung, die im Widerstand gegen den Vor- marsch der Huthi/Salih-Allianz zu den Waffen griff und mittelfristig die Unabhängigkeit vom Norden anstrebt, lokale Widerstandsgruppen im Norden, die sich gegen die Kontrolle ihrer Regionen durch Huthi/ Salih-Allianz zur Wehr setzen und von denen viele mit der der Muslimbruderschaft nahestehenden Islah-Partei Süden des Landes großes Kapital aus dem Sicherheits- vakuum schlagen konnten. Mitte Juli ist es dem südli- von der Huthi/Salih-Allianz zu befreien. Teile der Stadt werden seitdem von AQAP bzw. dem IS kontrolliert, ebenso wie die Hafenstadt al-Mukalla im Osten. Regionale Dimensionen des Kriegs im Jemen (Saudi-Arabien) - einen betrachtet das Königshaus die größtenteils schi- itischen Huthis als Vasallen des regionalen Erzriva- len Iran. Man wollte eine schiitische Machtergreifung an der Südgrenze des Königreichs verhindern und, da Saudi-Arabien wegen des Nuklearabkommens ein gene- relles Erstarken des Iran in der Region befürchtet, mit einem militärischen Sieg gegen die Huthis gleich- zeitig den Iran in die Schranken weisen. Innenpoli- tisch kommt hinzu, dass der neue König sich und sei- nen jüngsten Sohn Muhammad bin Salman, den er zum Verteidigungsminister und stellvertretenden Thronfol- ger ernannt hat, als kompromisslose Anführer in Zei- ten der Krise positionieren und damit seine umstrittene Personalpolitik gegen Königshaus-interne Kritiker legi- timieren will. Angesichts sozio-ökonomischer Probleme in Zeiten regionaler Umbrüche will man gleichzeitig auch das Volk hinter dem König vereinen und mögliche Risse zwischen Königshaus und den es legitimieren- man angesichts des Nuklearabkommens Stärke gegen- über dem Verbündeten USA beweisen, von dessen mili- tärischer Hilfe Saudi-Arabien bislang abhängig war. Lösungsansätze und Ausblick Im Oktober 2015 erklärten sich beide Seiten, d.h. die Huthis und Salih auf der einen und Hadi und Regie- rung auf der anderen Seite, zu neuen Verhandlungen unter der Ägide der Vereinten Nationen bereit. Selbst wenn diese Verhandlungen erfolgreich sind, was ange- sichts des hohen gegenseitigen Misstrauens und der Fragmentierung der politischen Landschaft keineswegs sicher ist, wird die Sicherheitslage 2016 hoch prekär bleiben. Vor allem im Süden werden sich AQAP und der IS weiter ausbreiten, sollte es nicht gelingen, hier zeitnah effektive Sicherheitsstrukturen aufzubauen. Es könnte sogar zu einer (zeitweisen) Kontrolle der für die internationale Schifffahrt wichtigen Meeresenge Bab al Mandab durch AQAP oder den IS kommen. Hier ist vor allem die Rolle Saudi-Arabiens und der Verein- ten Arabischen Emirate relevant. Zwischen den beiden Koalitionären tun sich jedoch zunehmend Risse auf, sie scheinen auch zunehmend weniger willens, eigene Soldaten in den Kampf zu schicken, und greifen statt- zurück. Unklar ist, wie Saudi-Arabien, dessen erstes Ziel der militärische Sieg über die Huthis ist, sich gegenüber dem Süden und vor allem gegenüber den sich dort aus- - tionieren wird. Es steht zu befürchten, dass deren wei- tere Ausbreitung als Puffer gegen die immer wieder in den Süden einfallendend Huthi/Salih-Milizen – und
  • 216. 214 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 aufgrund begrenzter saudischer militärischer Kapazitä- ten – toleriert wird. Darüber hinaus wird sich die huma- nitäre Lage bei einer fortgesetzten Blockade der nördli- chen Häfen durch Saudi-Arabien kurz- und mittelfristig weiter dramatisch verschärfen. Perspektive für Europa 2016 Für Europa bedeutet dies, dass in Zukunft mehr Flüchtlinge aus dem Jemen zu erwarten sind. Der UN-Angaben rund 2,3 Millionen Menschen, das sind reiche weitere Jemeniten sind darüber hinaus in die bien und Dschibuti. Es besteht die Möglichkeit, dass sich vor allem Flüchtlinge vom Horn von Afrika, soll- ten sie keine Rückkehrperspektive sehen, zunehmend in Richtung Europa aufmachen. Sollte sich im kommen- rung der humanitären Lage im Lande abzeichnen und/ oder sollten die internationalen Organisationen nicht reichend zu versorgen, kann sich ihre Zahl deutlich erhöhen. Darüber hinaus kann eine Ausbreitung AQAPs und des IS im Süden des Landes nicht nur den internationalen Schiffsverkehr durch das Rote Meer gefährden, sondern – angesichts der Leistungsfähigkeit des AQAP-Netz- werks und seiner bisherigen Rolle bei terroristischen Anschlägen in Europa (siehe Verbindungen der Charlie Hebdo-Attentäter in den Jemen) – auch ein bedeutendes Sicherheitsrisiko für Europa darstellen. en, d hin Mö rn Darüber hinaus kann eine Ausbreitung intern den, -Net hen arlie des s in die dass oll- werks und seiner bisherigen Rolle bei terroristische Anschlägen in Europa (siehe Verbindungen der C Hebdo-Attentäter in den Jemen) – auch ein bed Sicherheitsrisiko für Europa darstellen. KERNPUNKTE • Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht absehbar. • Selbst wenn es zu einem Friedensabkommen kommt, wird sich die Sicherheitslage weiter verschlechtern. • Ein weiteres Erstarken von AQAP und IS ist wahr- scheinlich, mit Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa. • Eine dramatische Verschlechterung der humanitä- ren Lage ist wahrscheinlich, sollte Saudi-Arabien die Seeblockade nicht aufheben. • Eine Zunahme jemenitischer Flüchtlinge nach Euro- pa ist möglich. KEY NOTES • The end of hostilities cannot be foreseen. • Even if there is a peace agreement, the security si- tuation will continue to deteriorate. • A further strengthening of AQAP and ISIS is likely and has an impact on Europe’s security. • A dramatic deterioration of the humanitarian situ- ation is likely should Saudi Arabia not lift its naval blockade. • An increase in Yemeni refugees to Europe is possible.
  • 217. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 215 LIBYEN 2016 Thiemo Kapffer Eine friedliche Entwicklung Libyens ist 2016 kaum zu erwarten. Eine Einheitsregierung wird nur wenig agiert aus einer Position der Schwäche heraus. Eine Machtübernahme durch das Militär wird wahr- scheinlicher, während sowohl der „Islamische Staat“ als auch Schmugglerbanden bei der Ausweitung ih- rer Aktivitäten kaum eingeschränkt werden können. Europa ist derzeit nicht in der Lage, dies durch ein direktes Eingreifen zu unterbinden. Libyen hat sich 2015 – bedingt durch den seit Mitte 2014 anhaltenden Bürgerkrieg – zu einem Failed State ent- - parteien bekämpfen, sondern auch terroristische und staatliche Verfolgung fürchten zu müssen. Insbesondere der „Islamische Staat“ (IS) konnte das durch den Bür- gerkrieg entstandene Machtvakuum nutzen und seine mit der Vertreibung aus ihrer bisherigen Hochburg Derna auch Rückschläge hinnehmen musste. Dennoch gelang es ihr, in Sirte ein neues Machtzentrum zu etab- lieren und die Milizen der Bürgerkriegsparteien von dort zu vertreiben. Schmugglerbanden und „Islamischer Staat“ nutzen Machtvakuum Vom gleichen Machtvakuum haben auch kriminelle - zu unterscheiden oder mit diesen identisch sind. Ihnen gelang es, den traditionellen Schmuggel massiv aus- zuweiten und angesichts der großen von Afrika durch Libyen nach Europa strebenden Flüchtlingsströme zu
  • 218. 216 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 - gentliche Kämpfe um die Kontrolle der Schmugglerrou- ten haben dies nicht weiter beeinträchtigt. Für 2016 muss mit einer Fortsetzung dieser Entwick- lungen gerechnet werden, sollte es nicht gelingen, den Bürgerkrieg zu beenden. Dies erscheint derzeit jedoch wenig wahrscheinlich, da es auch innerhalb der Kon- Widerstände von Hardlinern gegen eine von den Verein- ten Nationen vorgeschlagene Regierung der Nationalen Einheit gibt. Diese wird jedoch ohne die breite Unter- Lage sein, die Sicherheitslage nachhaltig zu verbessern und den IS wirksam zu bekämpfen. Die naheliegende Überlegung, eine internationale militärische Stabilisie- rungsmission mit Bodentruppen zur Unterstützung der Einheitsregierung zu etablieren, wird allerdings von einer großen Mehrheit der Libyerinnen und Libyer – quer durch alle politischen Lager – vehement abgelehnt. Einheitsregierung kaum durchsetzungsfähig Abgesehen davon hätte die Einheitsregierung auch nur ein zeitlich befristetes Mandat, da sie so bald wie mög- lich durch eine auf Basis der neuen Verfassung gewählte Regierung abgelöst werden soll. Der Entwurf der Ver- fassung muss allerdings noch durch ein Volksreferen- dum angenommen werden, dessen (ordnungsgemäße) Durchführung angesichts der aktuellen Sicherheitslage äußerst zweifelhaft erscheint. Sollte die Regierung der Nationalen Einheit scheitern oder im schlimmsten Fall nicht zustande kommen, kann es 2016 zu einer militärischen Machtübernahme durch - ral Khalifa Haftar, kommen. Dessen Soldaten haben anerkannten Premierminister Abdullah al-Thinni am Verlassen Libyens gehindert. In Bezug auf die Einheits- regierung äußerte Haftar zudem, dass ihm „nicht die Hände gebunden“ seien, sollte das international aner- kannte Repräsentantenhaus in Tobruk „zu weit gehen“ und einer Einheitsregierung zustimmen. Haftar könnte eine Machtübernahme außerdem mit der Rettung Liby- ens vor dem totalen Zerfall rechtfertigen. Als Konsequenz einer Machtübernahme des Mili- tärs wäre 2016 auch mit politischen Spannungen in der Region zu rechnen, da die nordafrikanischen und arabi- schen Länder gegenüber Libyen zum Teil stark gegen- sätzliche Positionen vertreten. Katar beispielsweise, das dessen Machtübernahme opponieren. Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate, denen schon mehrfach die verdeckte Unterstützung der libyschen Armee im Kampf gegen islamistische Milizen nachgesagt wurde, würden hingegen eine Regierung unter Haftar vermut- lich anerkennen und unterstützen. Ägypten könnte - zu einer regionalen Krise ausweitet, da andere Nachbar- staaten Libyens (insbesondere Algerien) sich in der Ver- gangenheit bereits mehrfach deutlich gegen eine Inter- vention von außen ausgesprochen haben. Europa weitgehend machtlos Vor diesem Hintergrund ist eine Füllung des Machtva- kuums in Libyen auch 2016 nur wenig wahrscheinlich. Vielmehr werden nach der Verbesserung des Wetters im Frühjahr erneut große Flüchtlingsströme mit Hilfe liby-
  • 219. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 217 scher Menschenschmugglerbanden in Richtung Europa aufbrechen. Die EU-Militärmission vor der Küste wird dies ohne ein Eingreifen an Land kaum erfolgreich unterbinden können. Dies gilt auch in Bezug auf die weitere Expansion des IS, die nur auf wenige Hindernisse treffen kann, solange Europa hingegen dürfte angesichts der Zuspitzung der Krisen in Syrien auch 2016 kaum zu einem Eingreifen in Libyen bereit sein. Ein hierfür notweniges Mandat der Vereinten Nationen würde zudem auch an einem Veto Russlands im Sicherheitsrat scheitern. KERNPUNKTE • Durch den im Land herrschenden Bürgerkrieg hat sich Libyen immer mehr zu einem Failed State entwickelt. • Sowohl der „Islamische Staat“ (IS) als auch Schmugglerbanden nutzen das entstandene Machtvakuum für ihre Zwecke. • 2016 wird sich diese Entwicklung fortsetzen, da eine geplante Regierung der Nationalen Einheit kaum in der • Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit einer Machtübernahme durch die Libysche Nationalarmee, was zu Span- nungen in der gesamten Region führen könnte. • Unter diesen Voraussetzungen werden sowohl der IS als auch die Schmugglerbanden in ihren Aktivitäten auch 2016 kaum behindert werden. • Europa muss sich daher erneut darauf einstellen, dass eine große Anzahl von Menschen versuchen wird, von Libyen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. • Die Bereitschaft der europäischen Staaten zu einem direkten Eingreifen in Libyen ist derzeit nicht erkennbar. KEY NOTES • Due to the prevailing civil war, Libya has increasingly become a failed state. • Both ISIS as well as gangs of smugglers take advantage of the power vacuum for their own purposes. • This trend will continue in 2016, as a planned government of national unity will hardly be able to prevail • The likelihood of a seizure of power by the Libyan National Army increases which could lead to tensions in the region. • A large number of people will try to cross the Mediterranean from Libya as to reach Europe. • A willingness by European countries to directly intervene in Libya can currently not be discerned.
  • 220. 218 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Eine neue gesellschaftspolitische Koalition Die Parlamentswahlen werden signalisieren, dass der Weg, der vom Militär nach der Absetzung des von der Moslembruderschaft unterstützten Mohammed Morsi im Juni 2013 vorgezeichnet worden ist, an sein formel- ÄGYPTEN 2016 Amr Adly Ägypten durchläuft nach vier Jahren großer politi- scher Umwälzungen einen Prozess der politischen Stabilisierung. Diese Stabilisierung geschieht jedoch unter autoritären Bedingungen mit großen Rück- schlägen auf den Gebieten der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Einerseits stehen dem Land wahrscheinlich mittelfristig keine größeren sozialen Unruhen oder eine Infragestellung der politischen Führung bevor, andererseits kämpft seine Wirt- schaft weiterhin gegen große Schwierigkeiten an. Dies könnte sich negativ auf die politische Stabilität auswirken. les Ende gelangt ist. Angesichts der gewachsenen Macht der Exekutive, d. h. des Präsidenten, wird das Parla- ment vermutlich keine bedeutende Rolle spielen. Sein Zusammentreten wird allerdings einen wichtigen Schritt bei der Festlegung jener gesellschaftspolitischen Koali- tion darstellen, auf der das vom Militär gestützte Regime basieren wird. Vermutlich wird es eine sehr große Anzahl unabhängiger Kandidaten geben, die lokale Inte- ressen, Stammeszugehörigkeiten und Netzwerke persön- licher Abhängigkeiten repräsentieren. Das künftige Par- lament wird daher vermutlich in seiner Fragmentiertheit eine sehr schwache Repräsentanz politischer Parteien darstellen. Es bleibt abzuwarten, ob ein solches Parlament imstande sein wird, sich mit dem Präsidenten bei der Schaffung wird relevant sein, wenn es darum geht, die Verfassung des Jahres 2014 abzuändern und die Befugnisse des Präsi- -
  • 221. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 219 ten hat der Präsident von der Notwendigkeit einer Ver- fassungsänderung gesprochen. Es bleibt jedoch weiterhin unklar, ob sich diese letztlich wird umsetzen lassen. Abseits kurzfristiger Entwicklungen bleibt die Zukunft des politischen Islam im Wesentlichen unentschieden. Die geschlagene Moslembruderschaft, noch immer die größte islamistische Bewegung, wird nicht die Möglich- keit bekommen, ins politische System zurückzukehren. weiter radikalisiert und sich die Organisation möglicher- weise zu einem künftigen Zeitpunkt spaltet. Eine Wirtschaft in Schwierigkeiten Die ägyptische Wirtschaft könnte eine Fortsetzung jener Rezession erleben, unter der sie schon seit 2011 leidet. Vermutlich wird sich die Devisenknappheit verschärfen, da die Devisenvorräte wohl weiter zurückgehen werden, nachdem sie zwischen Jänner 2011 und September 2015 von 35 Milliarden Dollar auf etwa 15 Milliarden Dollar gesunken sind. Die Hauptfaktoren sind dabei sinkende Ölpreise, die fortdauernde Krise in Europa, Ägyp- tens größtem Handelspartner, sowie der Abschwung im Fremdenverkehr. Nichts davon wird sich vermut- lich im Jahre 2016 ändern. Niedrigere Ölpreise werden sich negativ auf die Öleinnahmen, auf die von ägypti- - der sowie auf ausländische Investitionen in den Ölsektor auswirken; dieser macht zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen in Ägypten aus. Die Regierung wird 2016 wahrscheinlich an ihrer gegenwärtigen Politik der festhalten. Dies könnte sich negativ auf die Erholung der betreffen, die für die Produktion des Industriesektors sowie für den Dienstleistungssektor benötigt werden. Die derzeitige wirtschaftliche Stagnation wird vermut- lich andauern. Die Regierung könnte sich für höhere Kreditaufnahmen im Ausland entscheiden, um der beschriebenen Prob- leme Herr zu werden und insbesondere eine Knappheit eine Absicherungsvereinbarung mit dem Internationa- len Währungsfonds abschließen. Hilfe könnte auch von den Vereinigten Arabischen Emiraten und/oder Saudi- Arabien kommen, um Ägyptens Devisenreserven auf- zufüllen. Entscheidend wird dabei allerdings die Ent- Rolle wird auch die Entwicklung der Ölpreise spielen, die 2016 vermutlich nicht steigen werden. Auswirkungen auf Europa Europa braucht ein stabiles Ägypten. Stabilität benötigt ein funktionierendes und repräsentatives politisches Sys- tem sowie eine sich erholende Wirtschaft, die Einkom- men und Arbeitsplätze schaffen kann. Ägypten ist im Hinblick auf jede denkbare dauerhafte Lösung in Libyen ein entscheidender Akteur. Ägypten ist auch Mitglied der Anti-IS-Koalition und dieses Jahr gegen die libyschen Ableger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) militärisch vorgegangen. Am Sinai wird auch im Jahre 2016 der Krieg der ägyptischen Regierung gegen den Ter- ror weitergehen. Der Aufstand wird sich vermutlich auf den Sinai begrenzen lassen und kaum auf die stärker besie- entscheidender Bedeutung wird sein, dass die EU Ägyp- ten im Kampf gegen den Terrorismus im Sinai und in der westlichen Wüste unterstützt. Ein stärkeres, professio-
  • 222. 220 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 der Zerschlagung örtlicher Terrorgruppen, noch ehe sich diese dem größer werdenden nordafrikanischen IS-Netz- werk anschließen, hilfreich sein. Dies kann auch dazu bei- tragen, Ägypten in seiner Rolle bei der Bekämpfung des Schlepperunwesens und der irregulären Migration über das Mittelmeer zu stärken. Sobald in Libyen eine politische Lösung gefunden ist, kann Ägypten gemeinsam mit eini- gen europäischen Staaten die libysche Regierung bei der Eindämmung der illegalen Migration unterstützen. Ägypten ist auch im Hinblick auf die Konkurrenz zwi- Levante ein nicht zu unterschätzender Faktor. Trotz sei- Ägypten im Jahr 2016 weder im Jemen noch in Syrien militärisch engagieren. Bei der wirtschaftlichen Erholung Ägyptens kann sich Europa mit Handelsbeziehungen, Unterstützungsleis- tungen und Investitionen positiv einbringen. Frankreich und Italien tun dies bereits. Die EU ist Ägyptens größ- ter Handelspartner und die zweitgrößte Quelle auslän- discher Direktinvestitionen. Die EU kann auch beim Aufbau von Regierungskompetenz in den Bereichen Wirtschaft und Investitionen, öffentlich-private Part- nerschaften und Unterstützung für Klein- und Mit- telbetriebe, welche die meisten Arbeitsplätze schaffen, technische Unterstützung leisten. Dies muss nicht im Widerspruch zu Europas Bekenntnis zu einer offeneren und demokratischeren politischen Ordnung in Ägyp- respektiert. KERNPUNKTE • Die Zukunft des politischen Islam bleibt im Wesent- lichen unentschieden. Die geschlagene Moslem- bruderschaft wird nicht die Möglichkeit bekommen, ins politische System zurückzukehren. • Die Regierung könnte sich für höhere Kreditaufnah- men im Ausland entscheiden, um eine Knappheit • Europa braucht ein stabiles Ägypten. Stabilität benötigt ein funktionierendes und repräsentati- ves politisches System sowie eine sich erholende Wirtschaft. • Ein stärkeres, professionelleres Militär wird bei der Kontrolle der Grenzen, der Zerschlagung örtlicher Terrorgruppen und der Bekämpfung des Schleppe- runwesens hilfreich sein. • Bei der wirtschaftlichen Erholung Ägyptens kann sich Europa mit Handelsbeziehungen, Unter- stützungsleistungen und Investitionen positiv einbringen. KEY NOTES • Egypt is undergoing a process of political stabiliza- tion after four years of intensive political turmoil. However, stabilization is happening on authoritari- an terms. • The future of political Islam remains largely undeci- ded. The battered Brotherhood will not be allowed back into the political system. • To avoid shortages in basic imports of fuel, the government may opt for more external borrowing. • Europe needs a stable Egypt. Stability requires a functioning and representative political system, as well as a recovering economy. • A more capable and professional military will help secure borders, dismantle local terror groups, and • Europe can help in the recovery of the Egyptian economy through trade and aid cooperation to- gether with investments.
  • 223. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 221 TUNESIEN 2016 Fünf Jahre nach der Revolution Hardy Ostry Gut fünf Jahre nach den Umbrüchen in der Region Nordafrika und Naher Osten hat es bislang nur Tu- nesien geschafft, die politische Transition hin zu De- mokratie und Rechtsstaatlichkeit relativ erfolgreich zu gestalten. Die auch international gelobte neue Verfassung vom Januar 2014 sowie die erfolgreich abgehaltenen Parlaments- und Präsidentschafts- wahlen gegen Ende desselben Jahres haben dem Land weithin – teilweise auch übertriebene – Aner- kennung verschafft. Der Kampf gegen den Terroris- mus und die Herstellung von Sicherheit haben für die Bevölkerung und die Politik Tunesiens höchste Priorität. Dies sind jedoch keine rein nationalen Auf- gaben, weil sie aufgrund der geopolitischen Lage des Landes auch zutiefst mit exogenen Faktoren verbunden sind. Europa tut gut daran, die Entwick- lungen in der Region aufmerksam zu verfolgen und Tunesien proaktiv zur Seite zu stehen, da die sicher- heitspolitischen Bedrohungen Tunesiens schwerwie- gende Folgen für den Mittelmeerraum und für Euro- pa haben.
  • 224. 222 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Nicht erst die folgenschweren terroristischen Atten- tate auf das Bardo-Museum vom März 2015, auf das Hotel Imperial Marhaba im Juni 2015 sowie auf einen Bus der tunesischen Präsidentengarde im November 2015 haben deutlich vor Augen geführt, dass die soge- nannte „Ausnahme Tunesien“ nicht von allen als solche geschätzt wird und sich das Land seit mehreren Jahren im Kampf gegen den islamistisch-jihadistischen Terror den „wehrhaften Staat“ ebenso in Frage stellt wie das sich die Tunesier bei den Wahlen 2014 mehrheitlich ent- schieden hatten. Dysfunktionaler Sicherheitsapparat Der unter Ben Ali primär auf Regime-Erhalt ausgerich- tete Sicherheitsapparat (insbesondere Innenministerium und Nationalgarde) war und ist bis heute nicht ausrei- - unter Führung der islamistischen Ennahda-Partei kam es zudem zu folgenschweren Fehlentscheidungen bei der Besetzung von Schlüsselpositionen im Sicherheits- sondern eher von Parteizugehörigkeit geleitet waren. Menschlich aus Perspektive der ehemaligen Opfer ver- ständlich, politisch jedoch suizidal wurden zudem Teile des alten Inlandsgeheimdienstes zerschlagen oder deren Funktionalität bewusst so weit behindert, dass es kein Zusammenspiel der jeweiligen Polizei- und Sicherheits- dienste gab. Die Behebung dieser Dysfunktionalität der Polizei- und Sicherheitskräfte ist auch 2016 eine der größten Herausforderungen, denen sich die aktuelle Regierung ausgesetzt sieht. Dazu zählt auch die erstmalige Einbe- rufung eines Nationalen Sicherheitsrates, der zur bes- seren Koordinierung und Sicherstellung der Kohä- renz der Maßnahmen Vertreter aus Armee, Polizei und Nationalgarde zusammenbringt. Angesichts der Ter- roranschläge von Paris im November 2015 und eines ebensolchen, gerade noch verhinderten Szenarios in Sousse, wird ein verbesserter Informationsaustausch der - dender Bedeutung sein. IS vor der Tür Jenseits der inneren Schwächen und Bedrohungen wer- den vor allem die Entwicklungen in Libyen auch 2016 Der Beschluss der tunesischen Regierung, entlang der - tigung zu bauen, trägt der Erkenntnis Rechnung, dass kaum zu kontrollierenden Waffen- und Drogenschmug- gels sowie der Hehlerei wurde, sondern terroristische - gen können. Dabei verläuft die Abgrenzung zwischen - ßend, oftmals bedingen sie einander gegenseitig, da sich Ein bedrohlicheres Szenario für 2016 kündigt sich ins- besondere mit Blick auf die Ausbreitung der Terrormi- liz „Islamischer Staat“ (IS) an. Hat dieser bereits die Stadt Sirte in fester Hand, so kann es sein, dass insbe- sondere im Zuge der Ausweitung der Kämpfe gegen den IS in Syrien und im Irak dieser weiter versucht, im Zuge alternativer Expansionsbestrebungen Boden in Libyen und mitunter auch in Tunesien gut zu machen. -
  • 225. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 223 setzten neuen Terror-Welle und den verstärkten Luft- schlägen Frankreichs wie Russlands ist ein solches Sze- nario nicht ausgeschlossen. Sollte es dem IS gelingen, die Stadt Misrata zu erobern, stellt dies eine erhebliche Bedrohung für die Stabilität in Süd-Tunesien dar. Rückkehrer als Sicherheitsrisiko In unmittelbarem Zusammenhang mit den Entwick- lungen in Syrien und im Irak steht auch 2016 die Frage der Problematik der Rückkehr ehemaliger IS-Kämpfer. Tunesien steht mit geschätzten mehr als 4000 Kämpfe- rinnen und Kämpfern in der Levante an der Spitze der Länder, die islamistisch-jihadistische Kämpferinnen (!) und Kämpfer stellt. Nach neuesten Meldungen sollen bereits einige Hundert von ihnen nach Libyen zurück- gekehrt sein, um an der Seite des IS zu kämpfen. Weder die tunesische Regierung noch die Zivilgesellschaft sind auf dieses Phänomen der Rückkehrerinnen und Rück- kehrer in ausreichender Weise vorbereitet. Zudem ist nicht ausgeschlossen, eine erneute Phase politischer Instabilität in Tunesien vorausgesetzt, dass radikale und Kämpfer anwerben, um ihre Politik der Destabili- sierung voranzutreiben. Bedrohliche Sandwich-Lage scheint mehr als symbolisch, dass die tunesische Armee - pierungen kämpft, deren Kämpfer sich nicht nur aus Tunesiern, Marokkanern, sondern vor allem aus Alge- rien rekrutieren. Bis heute kommt es immer wieder zu Übergriffen von Terrorgruppen aus Algerien her- aus, die in Tunesien operieren. Die algerische Armee hat ihrerseits mehrere Tausend Soldaten an der knapp - chende Bewegungen einzudämmen, jedoch ist aufgrund - sein wird. Vernetzte Sicherheit Angesichts der endogenen und exogenen Bedrohungen, denen sich Tunesien aktuell mit Blick auf die Zukunft ausgesetzt sieht, ist entscheidend, dass die offensicht- liche Relevanz, denen Fragen der Sicherheit und Sta- bilität zukommen, nicht automatisch in einen Rück- fall zu dem alten Paradigma „Sicherheit und Stabilität vor allem“ führt, mit dem sich die ehemaligen Regime auch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Europa und den USA zu eigen gemacht haben. Wenn- gleich die Tunesier unter dem Eindruck der Atten- tate in Paris aktuell mit rund 75 Prozent angeben, Ein- schnitte in ihre persönlichen Freiheiten zugunsten von Sicherheit zu akzeptieren, wäre dies weder der Situa- tion angemessen, wie das Beispiel Ägypten zeigt, noch der politischen Herausforderung. Neben der militäri- schen und polizeilichen Unterstützung, die die interna- Land gewähren, sollten sicherheitspolitische Maßnah- men 2016 noch stärker als bislang mit entwicklungspo- litischen Ansätzen verzahnt werden. In diesem Zusam- menhang kann das Konzept der „Vernetzten Sicherheit“ im nationalen wie im regionalen Kontext Tunesiens, gerade auch vor dem Hintergrund der sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, eine wichtige Leitlinie sein.
  • 226. 224 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Mit zwei Augen schauen Verständlicherweise ist die Aufmerksamkeit Europas vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingskrise mit Syrien und dem Irak sowie dem IS-Terrorismus schwerpunktmäßig auf den Mashrek und die Levante gerichtet. Die derzeit von den Flüchtlingen präfe- rierte Balkan-Route kann bei zunehmender Erschwer- nis insbesondere von Menschen aus Subsahara-Afrika durch die Sahara-Sahel-Mittelmeerroute als Alternative räfe mender Ers en aus S Mittelm KERNPUNKTE • Die sogenannte „Ausnahme Tunesien“ wird nicht von allen geschätzt. • Die Dysfunktionalität des tunesischen Sicherheits- apparates muss behoben werden. • Die Ausbreitung des IS ist eine reelle Gefahr für Tunesien. • Rückkehrende Kämpferinnen und Kämpfer des IS sind ein unkalkulierbares Risiko. • Tunesiens Sicherheitsvorsorge muss auch Algerien stärker in den Blick nehmen. • Ein Konzept vernetzter Sicherheit muss das alte Pa- radigma der „Versicherheitlichung“ ablösen. • Europa muss in der Flüchtlingskrise auch das westli- che Mittelmeer in den Blick nehmen. genutzt werden, um von Algerien, aber auch Tunesien sowie insbesondere Libyen aus den Weg nach Europa zu suchen. Angesichts dieser nicht fernab liegenden Option sollte die EU nicht nur ihre Maßnahmen mit erneut proaktiv evaluieren, sondern insbesondere ihre Möglichkeiten gegen verstärkt einsetzende und unkon- trollierte Migrationsströme mit den betroffenen Staa- ten diskutieren. KEY NOTES • The so-called Tunisian exception is not appreciated by everyone. • The dysfunctionalism within the Tunisian security structure must be corrected. • The spread of ISIS poses a real threat to Tunisia. • Returning ISIS combatants present an incalculab- le risk. • Tunisia‘s security measures must also take greater account of Algeria. • A concept of networked security must replace the old paradigm of securitization. • When considering the refugee crisis Europe also has to take into account the Western Mediterranean.
  • 227. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 225 Hauptmotive Viele Frauen schließen sich dem IS an, weil sie ihren Wunsch nach gesellschaftlichem Status nicht bzw. nicht im Westen hatten umsetzen können. FRAUEN IM TERRORSYSTEM DES „ISLAMISCHEN STAATS“ 2016 Dalia Ghanem-Yazbeck Seit Juni 2013 schließen sich westliche Frauen aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Österreich und sogar Neuseeland dem sogenannten „Islami- schen Staat“ (IS) im Irak und in Syrien an. Ihre Zahl wird mit Ende 2015 auf 550 geschätzt. Dieser Bei- trag soll die Motive dieser Frauen und die Gefahr, die von ihnen für Europa ausgeht, verständlich ma- chen. Die Motive junger westlicher Frauen, sich dem Jihad anzuschließen, ähneln jenen von Männern. Ihr Verständnis erfordert einen multidimensionalen An- satz: ihre Motive können philosophischer (Selbstsu- che, Sehnsucht nach perfekter Gemeinschaft), psy- chologischer, politischer oder gesellschaftlicher Natur sein.
  • 228. 226 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Sie streben nach „Status“, indem sie sich dem IS als einer von vielen gefürchteten und respektierten Jihad- sie ihr bisher von ihnen selbst als „sinnlos“ wahrge- nommenes Leben zu einem Leben der Hingabe an die Errichtung des Kalifats. Verschiedene globale - men der Unterdrückung der muslimischen Umma - - - tete Propaganda spielt bei der Mobilisierung junger Frauen eine unverändert große Rolle, indem sie Zorn, Hass und Furcht hervorruft. Die von anderen Musli- men erlittenen Traumata werden dazu benutzt, junge Frauen zu indoktrinieren und dazu zu bringen, sich - derung der Situation durch Hijra (Wanderung) und Unterstützung der Errichtung des Kalifats zu streben. Da diese Frauen die Kultur und Außenpolitik des Westens - schaft des IS hingezogen. Sobald sie sich dem IS ange- schlossen haben, lösen sich ihre anderen Beziehungen - insbesondere ihr weiblicher Teil – leistet physische, emotionale und soziale Unterstützung und schafft so Ver- wandtschaftliche Beziehungen zu einer Person, die sich bereits dem IS angeschlossen hat, können die Disposition zum Anschluss an den IS – bis zur tat- sächlichen Teilnahme – erhöhen (siehe die Fälle der Halane-Zwillinge und der Freundinnen Amira Abase, Shamima Begum und Khadiza Sultana). In einigen Fällen reisten Frauen zusammen mit solchen Frauen, wollten. - In einigen Fällen hatten westliche Frauen eine höchst romantische Vorstellung vom Jihad und schlos- sen sich dem IS an, um IS-Kämpfer (und damit poten- tielle „grüne Vögel“ = Märtyrer) zu heiraten und Müt- ter künftiger Kämpfer zu werden. Eheliche, familiäre und freundschaftliche Bindungen beugen auch einem etwaigen Wunsch vor, dem IS wie- der den Rücken zu kehren. Es ist tatsächlich schwerer, den IS wieder zu verlassen, wenn die eigene Schwes- ter oder Freundin, der eigene Cousin oder Ehemann – insbesondere mit Kindern – beim IS ist. Was kann man tun? - den diese Frauen, als Teil der IS-Propaganda, Risi- kopersonen in den sozialen Netzwerken zu indok- trinieren und zu rekrutieren versuchen, indem sie deren „Disposition“ erhöhen, andererseits könnten einige nach Europa zurückkehren und hier Terroran- schläge verüben. Folgende Maßnahmen sind daher entscheidend: - mente in die Hand gegeben werden, die es ihnen erlau- ben, sich vor extremistischer Propaganda zu schützen.
  • 229. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 227 Sie sollen fähig werden, Inhalte korrekt einzuschät- zen und insbesondere zwischen Islam einerseits und Islamismus und Extremismus andererseits zu unter- scheiden. Diese Argumente müssen nicht nur von Regierungsvertreterinnen und -vertretern, sondern auch von ehemaligen Extremistinnen und Extremis- ten kommen, die das Vertrauen von Rückkehrenden und Risikopersonen gewinnen können. Es soll ein Bewusstsein für die schädlichen Auswirkungen des Extremismus geschaffen werden. Erziehungs- und Polizeipersonal sowie andere rele- vante Personen, die einen Beitrag leisten können, müs- sen zusammenarbeiten, um Risikopersonen zu erken- nen und es ihnen zu ermöglichen, aus der Spirale der Rückkehrerinnen und Rückkehrern darf nicht etwa die Staatsbürgerschaft aberkannt werden, da dies nur der IS-Propaganda in die Hände spielt und den IS-Kämp- ferinnen und Kämpfern eine gute Alternative weg- Rückkehrenden umgehen und ihnen Rehabilitation und Reintegration anbieten und ermöglichen. KERNPUNKTE • Die Motive westlicher Frauen, sich dem IS anzu- schließen, können philosophischer, psychologischer, politischer oder gesellschaftlicher Natur sein. • Familiäre Verbindungen und Netzwerke spielen bei ihrer Motivation eine wichtige Rolle. • Frauen in Jihad-Gruppen stellen eine reale Gefahr dar. Es ist wahrscheinlich, dass IS-Frauen künftig aufgefordert werden, aktivere (kämpfende) Aufga- ben zu erfüllen. • Die Politik widmet diesen Frauen keine ausreichen- de Aufmerksamkeit. • Die Politik muss mit Rückkehrerinnen und Rückkeh- integration anstreben. KEY NOTES • The drivers for western women to join ISIS can be philosophical, psychological, political or social. • Family ties and peer networks also play a major role in the mobilization process. • Women in jihadist groups are a real threat. It is likely that women in ISIS will be called upon to play more active roles (combatant) in the future. • Policymakers are not paying enough attention to these women. • nees and aim for their total reintegration.
  • 230. 228 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Ein schwieriges Wahljahr Für 2016 sind in etwa 20 afrikanischen Ländern Prä- sidentschafts- bzw. Parlamentswahlen vorgesehen. In einigen Ländern wie etwa in der Republik Seychellen und in der Republik Cabo Verde verlaufen diese übli- cherweise friedlich, in einigen wie in Äquatorialgui- nea und Dschibuti waren sie bisher eine Farce und in den meisten anderen wie in der Republik Kongo, in der Tschad sind sie eine höchst umstrittene Veranstaltung. Ein Vierteljahrhundert nach dem „afrikanischen Früh- ling“ wird man bei einer Auswertung der Wahlgänge in jenen Ländern zu dem Schluss gelangen, dass die Demokratie auf dem afrikanischen Kontinent fragil bleibt und Wahlen für sich alleine noch keine Verbesse- rung politischer Freiheiten und politischer Verhältnisse überhaupt bewirken. Überdies könnten die geplanten Wahlen in einigen Ländern wegen der verschlechterten Sicherheitslage verschoben werden. ENTWICKLUNGEN IN SAHEL-AFRIKA 2016 Roland Marchal Das Jahr 2016 wird für den Kontinent nicht viel Neu- es bringen, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil die chinesische Wirtschaft auch weiterhin nur lang- sam wachsen wird. Dies hat Auswirkungen auf öl- produzierende Länder und Schwellenländer, deren Wachstum sich verringert. Die politischen Entwick- lungen werden im Wesentlichen von Überlegungen bestimmt sein, die mit Wahlen sowie mit zunehmen- den Sorgen die Sicherheitslage betreffend zu tun haben. Diese Sorgen rühren daher, dass es nicht ge- lingt, die Krisen in der Sahelzone und die steigende Popularität der Terrormiliz „Islamischer Staat“ unter radikalen bewaffneten Islamisten südlich der Saha- ra – insbesondere in Ost- und Zentralafrika – einzu- dämmen. Die Europäer machen sich wegen der Kon- trolle der Migrationsströme Sorgen und stellen gewaltige Summen zur Verfügung, die durchaus vor Ort Ergebnisse zeitigen werden, die allerdings in ih- rem Umfang begrenzt und in ihrer Dauer zweifelhaft sein werden.
  • 231. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 229 Drei Länder verdienen größere Aufmerksamkeit: Niger leidet an den aus Libyen, Mali und Nigeria über- schwappenden Krisen und dem zunehmend autoritären Wahlen verschoben werden könnten. Dies gilt auch für - dend, mit dem schwer zu besiegenden Boko Haram und einem zusammenbrechenden Libyen zu tun hat, aber kaum mit den wachsenden Rivalitäten innerhalb sei- das Auswahlverfahren noch nicht entschieden, wobei die übliche Formel „Nur ein Kandidat steht zur Wahl“ sicher nicht funktionieren wird. Streitigkeiten unter den führenden Akteuren könnten daher dazu führen, dass die Wahlen verschoben werden. Der Daesh kommt nach Afrika Für die bewaffneten Islamisten stellt die Berichterstat- tung der internationalen Medien über den Daesh (arabi- sche Abkürzung für den „Islamischen Staat“) ein wirk- sames Propagandainstrument dar, um neue Kämpfer Kommando zu unterstellen. Es geht nicht um ideolo- gische oder religiöse Debatten, sondern ausschließlich - liche Welt zu präsentieren, obwohl er doch in Wahr- Nahen Ostens darstellt. Für viele afrikanische Möchtegern-Jihadisten wird der Daesh immer attraktiver, da ihnen der Bay‘a (Treue- eid) zu Unterstützung in der Bevölkerung verhelfen kann, die sie ansonsten nicht bekommen würden, sowie - gen Krieg zu führen. In Somalia hat dies im Jahre 2015 nicht funktioniert, aber die fortdauernde Krise in Libyen, die Delegitimation der islamistischen Herr- schaft im Sudan und die wiederkehrenden Spannungen innerhalb der Schabaab-Führung in Somalia und Kenia werden zu neuerlichen Anläufen in Ost- und Zentralaf- rika führen. - sprachigen Sahelzone zwischen dem Maghreb und dem Bereich südlich der Sahara, sondern auch an der Ost- seite der Sahelzone. Zwar könnte im Jahr 2016 das ins- titutionelle Patt in Libyen aufgebrochen werden, aber der mögliche Ausweg wird eine unzureichende Lösung darstellen und es radikalen Islamisten und Jihadisten ermöglichen, sich im südlichen Libyen neu zu formie- ren und vermehrt im Sudan und in Ostafrika Wurzeln zu schlagen. Während Europa sein Hauptaugen- zu bekommen, könnte der politische Zerfall in jenen Ländern die Bedingungen für langfristige Instabilität schaffen. Weniger Wachstum aufgrund internatio- naler Öl- und Mineralstoffpreise Wie schon die Wirtschaftskrise von 1997/98, so wird auch das derzeit schwache chinesische Wirtschafts- wachstum nicht alle afrikanische Länder in gleicher Weise betreffen. Besonders schädlich wird es sich auf jene auswirken, die starke Wirtschaftsbeziehungen mit China unterhalten, also jene, die Öl und Mineralstoffe exportieren. Diese Aussichten werden von Zweifeln hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachs- tums in einigen Schwellenländern weiter verdüstert. Lage der meisten Ölproduzenten auch weiterhin sehr angespannt sein wird. In einigen Ländern – wie etwa in Angola mit seinen geplanten Wahlen, im Tschad, in der
  • 232. 230 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Republik Kongo, im Sudan sowie im Südsudan, wo die Friedensregelung äußerst fragil ist und wohl trotz star- wird, könnten politische und soziale Krisen die Folge sein. Doch auch andere Länder – insbesondere im südlichen Afrika – werden zu leiden haben, und zwar hauptsäch- lich Südafrika, aber auch die Demokratische Republik Kongo, Sambia und Namibia. Das vergiftete politische Klima Südafrikas mit seinen vielfachen Korruptions- vorwürfen auf höchster Ebene und dem autoritären Führungsstil der herrschenden Partei des Afrikanischen Nationalkongresses könnte erneute soziale Spannungen auf die Seite des Afrikanischen Nationalkongresses, sondern auf jene der Protestierenden stellen könnten. Schlussfolgerung Die Europäische Union wird für die Herkunftslän- der der Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten zen, um den Zuzug der Menschen zu begrenzen. Kurz- fristig werden diese aber kaum erfolgreich sein, sodass ein größeres Augenmerk auf Militär und Polizei gelegt werden wird, um den von der Migration verursach- ten Herausforderungen zu begegnen. Strukturelle Ant- worten seitens der Staatengemeinschaft dulden keinen Aufschub. Dieser kurzfristige Ansatz wird von der öffentlichen Meinung in Europa bestimmt und könnte dazu füh- der Sahara unter dem Aspekt der Migration betrachtet werden und damit möglicherweise ihr wahrer Kontext missverstanden wird. Im Jahre 2016 werden die Anreize zur Migration in ent- südlich der Sahara werden kaum gelöst werden können, da sich die Lage in Burundi, im Südsudan, in Nigeria, Niger und anderen Ländern nicht wesentlich verbes- sern wird. Auch das verlangsamte Wirtschaftswachstum Übrigen vergrößert das Wirtschaftswachstum in Afrika bestehende Ungleichheiten und ändert daher nichts daran, dass viele ihre Hoffnungen in ein besseres Leben außerhalb Afrikas setzen. KERNPUNKTE • Afrika südlich der Sahara wird wegen des niedrigen Ölpreises ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum erleben. • wachsen. • Geldmittel der EU werden in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bzw. Migrantinnen und Migranten erst langfristig Erfolge zeitigen. • Die europäische öffentliche Meinung betrachtet die Aspekt der Migration. KEY NOTES • Sub-Sahara Africa faces an economic slowdown due to low oil prices. • • The EU’s investment in countries generating re- fugees and migrants will succeed only in the long term. • European public opinion regards Sub-Saharan con-
  • 233. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 231 Migration aus Westafrika Migration aus Westafrika nach Europa wird ein Thema bleiben. Die Transsahara-Routen werden weiterhin genutzt werden, um Menschen aus Westafrika Richtung nordafrikanische Küste zu bringen. Aufgrund fehlen- der funktionierender staatlicher Strukturen wird Libyen das primäre Zielgebiet als Ausgangspunkt für Migra- ENTWICKLUNGEN IN WESTAFRIKA 2016 Gerald Hainzl Das Engagement externer Akteure in Westafrika wird 2016 mindestens auf dem Niveau von 2015 er- halten bleiben bzw. als Teil des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus verstärkt werden. Frankreich wird mit dem neu gewählten Präsidenten Nigerias, Muhamadu Buhari, die begonnene ge- meinsame Politik gegen den Terrorismus sowie die 2014 mit fünf Sahel-Staaten begonnene Operation „Barkhane“ fortsetzen. Unter dem Eindruck der An- schläge von Paris wird Frankreich ein stärkeres En- gagement seiner EU-Partner einfordern. Auch die USA werden ihre Programme in Westafrika weiter fortführen. Der Kampf gegen Boko Haram wird das bestimmende sicherheitspolitische Thema in West- afrika bleiben.
  • 234. 232 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 tion nach Europa bleiben. Das internationale und regi- onale Umfeld könnte zu einem Anstieg von Migranten aus Westafrika führen. Der Kampf gegen Boko Haram in Nigeria Die Erfolge, die die Multi-National Joint Task Force (MNJTF) gegen Boko Haram erzielen konnte, werden sich 2016 fortsetzen. Insgesamt werden die internationa- len Kräfte das Operationsgebiet von Boko Haram wei- ter einschränken können. Boko Haram wird aus diesem und kleine Städte verringern und wieder zu terroristi- schen Maßnahmen – Bomben- bzw. Selbst- mordattentate – zurückkehren. Die Tendenz, aus takti- einzusetzen, wird auch 2016 beibehalten werden. Der Treueeid, den Boko Haram dem Kalifen der Terrormi- liz „Islamischer Staat“ leistete, könnte zu einer stärkeren - kungskreis über das derzeitige Operationsgebiet um den Die MNJTF mit Kräften aus Benin, Kamerun, dem Tschad, Niger und Nigeria könnte zu einem Modell für friedenserhaltende und Frieden schaffende Operationen in (West-)Afrika werden. Betroffene afrikanische Staaten Zukunft immer öfter in Koalitionen der Willigen zusam- Region zu begegnen. Eine Herausforderung wird aller- dings nach wie vor die Finanzierung bleiben. Die nigerianische Wirtschaft, die stark vom Ölpreis abhängig ist, könnte 2016 ordentlich ins Trudeln kom- men, falls sich der Ölpreis nicht erholen sollte. Bereits für 2015 musste die Planungsgrundlage des Budgets nach unten revidiert werden, für 2016 könnte ein ähnliches Szenario drohen. Für den neuen Präsidenten Buhari wird es damit noch einmal schwieriger werden, seine Verspre- chen bereits in einer frühen Phase der Präsidentschaft umzusetzen, er könnte gezwungen sein, Nigeria einen strikten Sparkurs zu verordnen. Nahrungsmittelmangel in Nordmali Die Entwicklungen in Mali werden auch 2016 im Norden und Süden des Landes unterschiedlich sein. Während die Lage im Süden stabil bleiben wird, muss im Norden auch weiterhin mit An- und Übergriffen auf Dörfer und inter- nationale Organisationen gerechnet werden. Bereits im ersten Quartal 2016 könnte Nahrungsmittelmangel für Timbuktu die Lage weiter verschärfen. Nach den Anschlägen von Paris dürfte Frankreich auch in Mali sowie im gesamten Sahel mehr Engagement von seinen EU-Partnern einfordern, nicht zuletzt um Kräfte für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus an anderen Schauplätzen frei zu bekommen. Neubeginn in Burkina Faso In Burkina Faso waren für Oktober 2015 nach einer ein- jährigen Übergangsregierung Wahlen vorgesehen. Ein Putsch durch die ehemalige Präsidentengarde machte diesen Zeitplan jedoch zunichte. Unter dem Druck und der Vermittlung mehrerer internationaler Organisation wie UNO, EU, Afrikanischer Union und Westafrikani- scher Wirtschaftsgemeinschaft sowie der Androhung einer militärischen Auseinandersetzung durch die Streit- kräfte Burkinas und die Vermittlung eines traditionellen Herrschers konnten die Putschisten zum Rückzug bewo- gen werden und die Wahlen mit Verspätung durchge-
  • 235. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 233 führt werden. Die neu gewählte politische Führung wird 2016 vor allem den innenpolitischen Konsolidierungs- prozess vorantreiben und versuchen, einen nationalen Aussöhnungsprozess zu beginnen. Normalisierung nach Ebola in den Staaten der Mano-River-Union Bei aller Dramatik im Jahr 2014 war Ebola 2015 kaum mehr Thema in den internationalen Sicherheitsdiskursen. Die betroffenen Staaten der Mano-River-Union werden versuchen, sich sozial und ökonomisch von der Ebola- Krise zu erholen, deren Schaden von der Weltbank mit ca. 3,3 Mrd. US-Dollar beziffert wurde. Der Handel in Westafrika wird 2016 wieder vollkommen normali- siert sein und das Wirtschaftswachstum wird wieder das Niveau vor der Krise erreichen. KERNPUNKTE • Die Migration aus Westafrika Richtung Libyen als Basis für eine Überfahrt nach Europa könnte 2016 ansteigen. • In Nigeria und in den Anrainerstaaten des Tschadsees wird der Kampf gegen Boko Haram das dominierende si- cherheitspolitische Thema bleiben. • Frankreich wird von seinen EU-Partnern mehr Engagement in Westafrika und in der Sahel-Region einfordern. • In Burkina Faso wird das Jahr 2016 für einen innenpolitischen Konsolidierungsprozess genutzt werden. • Das Wirtschaftsleben in den Staaten der Mano-River-Union wird sich nach Ende der Ebola-Krise normalisieren. • Die Republik Côte d’Ivoire wird sich 2016 weiter stabilisieren und wirtschaftlich erholen. Wirtschaftliche Erholung in der Republik Côte d’Ivoire Mit der erneuten Wahl von Alassane Ouattara zum Prä- sidenten der Republik Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) wird der Wirtschaftskurs und damit die wirtschaftliche Erholung beibehalten werden. Da die Wahlen 2015 ohne grobe Zwischenfälle und transparent abliefen, dürfte auch das Vertrauen von Investoren zurückkehren. Wäh- rend sich die Wirtschaft 2016 positiv entwickeln wird, fehlt es nach wie vor an einem gesamtgesellschaftlichen Versöhnungsprozess, der die derzeitige politische Stabili- tät nachhaltig absichern könnte. KEY NOTES • Migration from West Africa towards Libya as the starting point for a crossing to Europe could increase in 2016. • tries of Lake Chad. • France will ask for more commitment in West Africa and the Sahel region from its EU partners. • In Burkina Faso, 2016 will be used for an internal political consolidation process. • Economic life in the countries of the Mano River Union will return to normal after the Ebola crisis. • The Republic of Côte d‘Ivoire is expected to further stabilize in 2016 and recover economically.
  • 236. 234 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Der Friedensvertrag öffnet eine Tür 2016 hat das Potential, zum Jahr des Durchbruchs für Mali zu werden, indem das Land, ausgehend vom Frie- densvertrag zwischen der Regierung und den bewaff- Schlüsselregion wieder in Angriff nimmt und ein nati- onales Programm zur Dezentralisierung startet. Viele Herausforderungen werden jedoch gemeistert werden müssen, um dieses Potential auch tatsächlich zu nutzen. Im letzten Jahr haben sich die jihadistischen Ter- roranschläge, die ursprünglich auf den Norden MALI 2016 Paul Melly Die Unterzeichnung des Friedensvertrages für Nord- mali eröffnet dort den Weg für eine beschleunigte Wiederherstellung der fundamentalen Dienstleistun- gen. Dazu tragen trotz des fortdauernden jihadisti- schen Terrors auch Maßnahmen zur regionalen De- zentralisierung bei. Um jedoch den Vertrag umzusetzen, wird es eines effektiveren Regierens, der sinnvollen Nutzung internationaler Hilfe und ver- stärkter Maßnahmen zur Versöhnung der einzelnen Gruppen bedürfen. - weitet. Anschläge haben im Herzen Bamakos und in - Elfenbeinküste, stattgefunden. In Zentralmali, zwi- sind die Verhältnisse besonders besorgniserregend. Im August starben 13 Menschen, als Kämpfer vorüberge- hend ein Hotel in Sévaré unter ihre Kontrolle brachten und mehrere Anschläge auf lokale Regierungsvertreter stattfanden. Der Terror wird dennoch weitergehen bis zur Intervention französischer und afrikanischer Truppen Anfang 2013 Teile des Nordens unter ihrer Kontrolle hatten. Doch die Vorkommnisse in Zentral- mali gehen weitgehend auf den dortigen Front de Libé- ration du Macina (FLM) zurück, dessen Motive wirt- schaftliche Not und religiöse Ideologie sind. Im Jahre 2016 wird die Terrorgefahr fortbestehen,
  • 237. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 235 lionen Euro zur Hilfeleistung für den Norden zuge- sagt haben, zu nachhaltigeren Kontrollmaßnahmen entschlossen. nördlichen Regionen von entscheidender Bedeutung sein, um die Wunden tiefen Misstrauens zu heilen, die haben. Das Bild wird noch komplizierter, da ökonomi- sche Interessen in Verbindung mit dem Schmuggel von Drogen- und Waffen quer durch die Sahara, von Men- schen nach Europa und auch von Zigaretten, Lebens- mitteln und Alkohol auf dem Spiel stehen. Der Streit um die Kontrolle lukrativer Schmuggelrouten war eine der Hauptursachen der Kämpfe, die nach Abschluss des Friedensvertrages wieder ausgebrochen waren. Einerseits existieren im Norden Malis die größten Bedrohungen für die Sicherheit, andererseits ruhen die Hoffnungen auf Frieden und Stabilität auch auf der - bacar Keïtas bei der Sicherstellung von Entwicklung und öffentlichen Dienstleistungen. Hilfszusagen – Herausforderungen für die Regierung Die Erfolge der Verwaltung waren in den beiden letz- ten Jahren lückenhaft und Vorwürfen fragwürdigen suspendierte der Internationale Währungsfonds wäh- rend einer Überprüfung von Beschaffungsverträgen für einige Monate seine Unterstützung. Dennoch erhielt Mali für den Zeitraum 2015 bis 2017 Finanzzusagen im Umfang von 3,2 Milliarden Euro, davon 360 Millionen Euro von Frankreich. In ihrem elften Europäischen Entwicklungsfonds hat die EU 615 Millionen Euro für Mali bereitgestellt. Mali wird auch vom neuen EU-Treu- obwohl die 12.680 Mann starke UN-Friedenstruppe MINUSMA im Land stationiert ist, zirka 1000 Mann der französischen Opération Barkhane im Norden ein- gesetzt sind und sich der Zustand der malischen Streit- kräfte, die zu großen Teilen von der European Union Training Mission in Mali (EUTM) ausgebildet wurden, gebessert hat. Der Friedensvertrag zwischen der Regierung, der regie- rungstreuen Miliz und den nicht-jihadistischen bewaff- l’Azaward (CMA), die für eine Unabhängigkeit oder weitgehende Autonomie des Nordens gekämpft hat- ten, könnte im Laufe des Jahres 2016 zu mehr Stabili- tät in Nordmali führen. Selbst nachdem die CMA am 20. Juni 2015 den Friedensvertrag unterzeichnet hatte, gab es wegen Rivalitäten bezüglich der Kontrolle über strategisch wichtige Städte im Nordosten, sporadische Zusammenstöße mit der regierungstreuen Miliz der Plateforme-Allianz. Bis Ende Oktober trat jedoch eine Abkühlung ein, sodass es eine echte Chance gibt, dass beide Seiten nunmehr ihr Hauptaugenmerk der Umset- zung des Friedenvertrages zuwenden. Dezentralisierung als entscheidende Ergänzung Das versprochene Programm der Dezentralisierung soll allen Regionen eine größere Kontrolle über lokale Ent- wicklungs- und Finanzierungsentscheidungen verschaf- fen. In der Vergangenheit gab es bereits nach Rebellio- nen des Nordens Ankündigungen derartiger Reformen, diese wurden jedoch nicht ernsthaft umgesetzt. Ver- - wicklungsschritten vor Ort, und nur einige wenige Teil- auf reale Veränderungen besser. Für den Zeitraum 2015 bis 2017 haben sich internationale Partner, die 605 Mil-
  • 238. 236 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 den, Demokratie und engen Beziehungen zur internati- Ob der Prozess gegen Hauptmann Amadou Haya Sanogo und andere Mitglieder der Militärjunta, die in den Jahren 2012 und 2013 an der Macht war und sich – nunmehr in Haft – dem Vorwurf schwerer Menschen- rechtsverstöße ausgesetzt sieht, weitergeführt werden soll, ist eine überaus sensible Frage. Prozesse könn- ten Spannungen zwischen einzelnen Teilen des Militärs erhöhen. Die EU betrachtet die Sahelzone nunmehr als prioritäre Region für ihre eigene Sicherheit und für die Bewälti- gung von Herausforderungen wie etwa illegale Migra- tion, Klimawandel und Drogenschmuggel. Aus europä- ischer Sicht könnten Fortschritte in Richtung größerer Stabilität in Mali – besonders im Norden des Landes – dazu beitragen, die Terrorgefahr in der überaus wich- tigen Nachbarregion Sahelzone zu reduzieren und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, der Bewältigung schenken. KERNPUNKTE • 2016 wird für die Umsetzung des Friedenvertrages für Nordmali entscheidend sein. • Eine effektive Dezentralisierung könnte die Umsetzung des Friedensvertrages unterstützen, wird aber schwierig zu realisieren sein. • Jihadistische Gruppen werden auch weiterhin Anschläge verüben und nahezu im ganzen Land eine Bedrohung darstellen. • steht, zu überwinden. • Interessen im Zusammenhang mit lukrativem Schmuggel quer durch die Sahara hinweg behindern die Umsetzung des Friedenvertrages und der Dezentralisierung. • Das Schicksal der wegen Menschenrechtsverstößen vor Gericht stehenden ehemaligen Putschisten wird für die Regierung zur Nervenprobe werden. • Die Geldgeber haben große Unterstützung zugesagt, haben aber weiterhin Bedenken bezüglich der malischen Verwaltung. KEY NOTES • 2016 will be a critical test year for the implementation of the Northern Mali Peace Accord. • • Jihadist groups will continue to stage attacks and remain a nationwide threat. • • • The legal fate of former putschists charged with human rights crimes will test government nerves. • Donors have pledged strong support, but still have governance concerns.
  • 239. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 237 Geoökonomisch Auf globaler Ebene setzt sich die wirtschaftliche Regionalisierung fort, die als Emanzipationsbewegung von den USA gedeutet werden kann. Die USA ihrerseits EUROPÄISCHE UNION UND RUSSLAND 2016 Eine polemologische Vorschau Christian Stadler Die polemologische Vorschau auf das EU-Russland- Verhältnis 2016 kann anhand seiner geoökonomi- schen, geopolitischen und geokulturellen Charakte- ristiken näher analysiert werden. Dabei ist eindeutig festzustellen, dass bei allen politischen Indifferen- zen zwischen der Europäischen Union und Russland eine „Schicksalspartnerschaft“ besteht, mit der von beiden Seiten verantwortungsvoll umgegangen wer- den muss. versuchen, ihre globale wirtschaftliche Vorherrschaft mittels Freihandelsabkommen zu sichern und die syste- misch nicht-westlichen Wirtschaftsriesen China, Indien und via BRICS auch Russland damit auszubremsen. Russland wird mit großer Wahrscheinlichkeit seinerseits die wirtschaftliche Integration der seit 2015 existieren- den Eurasischen Union weiter vorantreiben, um seine Stellung gegenüber dem Westen, aber auch seine asiati- schen BRICS-Partner China und Indien zu stärken. Dass Russland dabei eine nachhaltige Abkehr von der EU handelspolitisch, technologiepolitisch und energie- politisch wirklich durchhalten kann, ist sehr unwahr- scheinlich, da die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Russland durch strukturelle Komplementarität gekennzeichnet sind. Den wirtschaftlichen Bedürfnis-
  • 240. 238 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 sen wird aber durch weiterhin aufrechte westliche Sank- tionen gegen Russland wohl auch 2016 entgegengewirkt werden – zum Schaden sowohl Russlands als auch der EU. Nach wie vor stellt eine Kontaktaufnahme der EU zur Eurasischen Union eine zwar der Sache nach hoch- vernünftige, aber dennoch 2016 eher noch wenig wahr- scheinliche Option dar. Für Österreich ergibt sich damit weiterhin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine äußerst schwierige Situ- ation aufgrund seiner überaus engen wirtschaftlichen Russland. Wenn die EU insgesamt unter den Friktio- nen in diesem Raum leidet, ist Österreich dabei doppelt getroffen, denn seine nationale Wirtschaft, die direkt im Raum engagiert ist, ist vollständig mit der durch diese Krise ihrerseits gesamthaft geschwächten EU- der EU ebenso wie bilateral gefordert, entsprechende krisen-entschärfende Initiativen zu setzen. Geopolitisch - nische Auseinandersetzung um den Aufbau zwar nicht direkt antiamerikanischer, aber doch von den USA unabhängiger politischer Allianzen fortsetzen. Russ- land spielt dabei sicherlich weiterhin – aufgrund sei- ner Position im VN-Sicherheitsrat und als eine füh- rende Atommacht – eine sehr aktive Rolle. Es bleibt Nachbarschaftspolitik im Falle Russlands prinzipiell für unmittelbaren Nachbarschaft bedeutet, erscheint der restlichen Welt als globaler Machtanspruch. Vor diesem globalen Hintergrund werden die Bezie- hungen einer nach wie vor massiv atlantisch orientier- ten EU und eines auf geopolitische Autonomie von den USA pochenden Russland weiterhin sehr gespannt blei- ben. Ob sich eine Entspannung zwischen EU und Russ- land einstellen kann, wird auch sehr davon abhängen, ob es dem EU-Europa realistischerweise gelingt, eine für die Ukraine und Russland gleichermaßen zumutbare - hängigen Ukraine ebenso achtet wie die berechtigten u.a. in der klassischen Vermeidung von Interventionen raumfremder Mächte bestehen. Österreich kann als Teil der EU nur versuchen, einen konstruktiven Beitrag zur Deeskalation und zur Etablie- rung neuen Vertrauens zwischen Kiew und Moskau zu leisten. Dieser wird 2016 mit einiger Wahrscheinlichkeit in einem massiven militärischen Engagement Öster- von Minsk II bestehen. Dies ist nicht nur im Interesse Österreichs, sondern auch in dem sowohl der EU als auch Kiews und Moskaus, eine strategische Kleeblatt- Situation, die – auf dem europäischen Kontinent – nur Geokulturell Während große Teile der EU eine starke atlantische bzw. mediterrane Orientierung aufweisen, vermag sich die deutschsprachige Mitte Europas relativ gut mit ost- nicht nur aus historischen, sondern auch aus kulturellen - lichkeit zwar weiterhin sanktionstechnisch geschlossen gegenüber Russland auftreten, aber es werden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die massiv betroffenen Mit-
  • 241. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 239 glieder der EU-Mitte verstärkt versuchen müssen, über geokulturelle Vertrauensbildung jene Basis zu schaffen, Lösung der Ukraine-Krise darstellen kann. Die eigentümliche Dialektik besteht dabei darin, dass die sachliche Voraussetzung für eine entsprechende EU-Aktivität eine größere geokulturelle Eigenständig- Möglichkeit von russischem Vertrauen zur EU dar- stellt. Wenn daher dieser geokulturelle Weg von der EU geopolitisch überhaupt beschritten werden kann, dann wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit den Anfang einer neuen, wesentlich tieferen, da kulturell, politisch und ökonomisch gleichermaßen existenziellen „Schick- salspartnerschaft“ zwischen der EU, der Ukraine und Russland darstellen. Österreich als einem engagiert neutralen Staat im Her- zen Europas kommt in diesem Zusammenhang die zen- trale Verantwortung zu, nichts unversucht zu lassen, trauensbilder – etwa im Rahmen der OSZE – zu ent- schärfen. Österreich kann dabei als kluger neutraler Staat, der als Mitglied der westlichen Wertegemein- schaft dennoch über Jahrzehnte hinweg geokulturell gute und vertrauensvolle Beziehung zu Russland unter- halten konnte, für die Ukraine gangbare Wege aufzei- wicklung im Einklang mit seinem russischen Nachbarn zu gestalten. KERNPUNKTE • Geoökonomisch dürfte 2016 weiterhin von wirt- schaftlicher Regionalisierung gekennzeichnet bleiben. • Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass Russland seine handels-, technologie- und energiepolitische Abkehr von der EU durchhalten kann. • Geopolitisch wird sich der Trend hin zu einer von den USA unabhängigeren europäischen Politik fortsetzen. • Österreich wird politisch wie militärisch eine stärke- re Rolle bei der Umsetzung von Minsk II spielen. • Geokulturell kann sich vor allem der deutschsprachi- • Österreich sollte nichts unversucht zu lassen, um Vertrauensbilder – etwa im Rahmen der OSZE – zu entschärfen. KEY NOTES • In geo-economic terms, 2016 will continue to be characterized by economic regionalisation. • It seems unlikely that Russia can preserve its eco- nomy-, technological- and energy political re-nuncia- tion of the EU. • Geopolitically, the trend of a more independent Eu- ropean policy towards the US, will continue. • Austria will play politically as well as militarily a stronger role in the implementation of Minsk II. • From a cultural perspective, mainly the German speaking parts of Europe can identify themselves with Eastern European sensitivities, which fosters • Austria should spare no effort to act as a mediator work of the OSCE - in order to defuse the Ukraine
  • 242. 240 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 MILITÄRSTRATEGISCHE AMBITION RUSSLANDS 2016 Sergey Markedonov Die militärstrategischen Ambitionen Russlands wer- den sich 2016 auf drei sicherheitspolitische Ziele und die Gewährleistung der Stabilität und der Si- cherheit in der südlichen Nachbarschaft der Russi- schen Föderation. Moskau ist bestrebt, zum gleich- berechtigten Partner der Großmächte USA, der EU und Chinas aufzusteigen. Russland als gleichberechtigter Partner Unter den Hauptrichtungen der russischen Außen- politik für das Jahr 2016 lassen sich drei Tendenzen hervorheben: • die Beteiligung am und die diplomatische Lösung • Ukraine und • - heit in der südlichen Nachbarschaft der Russischen Föderation (im Südkaukasus und in Zentralasien). Alle drei Tendenzen zielen auf eine Verbesserung der Beziehung zum Westen ab. Die Stabilisierung die- ser wird jedoch nicht in einem einseitigen Entgegen- kommen gegenüber Washington und Brüssel beste- hen, viel mehr soll die Legitimität russischer Interessen anerkannt werden. Als Idealoption sieht Moskau seine - mächte“ als gleichberechtigter Partner der USA, der EU und möglicherweise Chinas. Russland als Partner für eine Lösung des In Syrien wird Russland versuchen, die eigene Militär- präsenz in begrenzter Form – durch Luftschläge und Militärberater – ohne Einsatz russischer Bodentruppen
  • 243. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 241 Ostukraine als Gegengewicht zu Kiew - ressen zu erreichen. Im Jahr 2016 liegen die russischen Interessen in der Fortführung des im Herbst heurigen - ine nicht als Ziele einer möglichen Annexion wie im Fall der Krim; vielmehr sieht man diese Regionen als schnellen Beitritt zur NATO und der EU drängenden Zentral- und Westukraine. Die Erreichung eines Kom- Maximalziel für das Jahr 2016. Während sich der Westen de facto mit einer Ausdeh- nung der Fristen für die Umsetzung der Minsk-Ver- einbarungen einverstanden erklärt, hält Moskau das Einfrieren aller Diskussionen über den Status der der bewaffneten Auseinandersetzungen für zentral. Dies würde den Weg zur Revision der Sanktionspoli- tik gegenüber Moskau ebnen. Ein solcher Schritt würde seinerseits dabei helfen, die Zusammenarbeit in Syrien sowie die Lösung anderer internationaler Probleme zu intensivieren. Als „Rote Linie“ gilt für die Russische Föderation auch im Jahr 2016 eine militärische Lösung der Separatistenfrage im Donbass durch die ukraini- sche Armee unter der Mithilfe des Westens. In einem solchen Fall könnte eine direkte Teilnahme Russlands ausgeschlossen werden. Dies würde ein erhebliches Risiko für die gesamte europäische Sicherheit bedeuten. aufrechtzuerhalten. Solcherart dient die Militärgewalt Moskau als Mittel zur Verbesserung der eigenen Posi- tion im Verhandlungsprozess. Nebenher sucht Moskau nach Möglichkeiten zur effek- - ten gegen den „gemeinsamen Feind“, den Radikalis- lamismus in Syrien. Des Weiteren wird Russland die aktive diplomatische Kooperation mit arabischen Staa- ten – Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten – fortführen. Im Erfolgsfall erreicht Moskau nicht nur die Auf- - tes im Nahen Osten“ (ohne russische Beteiligung soll es nicht möglich sein, über die Zukunft Syriens wie auch über das persönliche Schicksal von Baschar al-Assad zu bestimmen), sondern es verbessert auch die Bezie- hungsdynamik zu Washington und seinen Verbünde- ten – sowohl aus den Reihen der EU als auch unter den Ländern des Nahen Ostens. Politisches Risiko des Militärengagements Allerdings könnte eine Prolongierung des militärischen - sischen Armee, der Mangel an Koordinierung zwi- schen den Akteuren und die wachsenden Widersprüche – nicht nur zwischen Russland und dem Westen, son- dern auch zwischen dem Iran und Saudi-Arabien – zu einem ganz anderen Ergebnis führen. In einem solchen Fall könnten die westlichen Staaten angesichts der Ver- wundbarkeit Russlands den politischen Druck auf Mos- kau erhöhen. Daher wird es für die Russischen Födera- tion von großer Bedeutung sein, die Militärpräsenz in einen diplomatischen Erfolg zu konvertieren.
  • 244. 242 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Russland will sich als gleichberechtigter Partner gegenüber den westlichen Großmächten 2016 positionieren. • • tigt werden. • Die Überwindung der „Isolation“ Russlands soll mit Hilfe einzelfallbezogener militärischer und politischer Mecha- nismen erreicht werden. Russische Sicherheitsinteressen im Kau- kasus und in Zentralasien Die südkaukasischen und zentralasiatischen Regio- nen bleiben auch im Jahr 2016 für Moskau im Fokus der Aufmerksamkeit. In diesen Regionen erfolgt die Umsetzung der für die Russische Föderation wichti- gen Integrationsprojekte (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, Eurasische Wirtschaftsunion, Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit), die Kasachstan, Armenien, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan einbeziehen. Dabei wird Moskau eine Auf- (von Berg-Karabach bis Abchasien und Südossetien) zu erreichen trachten. In Bezug auf Berg-Karabach wird Russland zwischen Jerewan und Baku taktie- ren, Abchasien und Südossetien gewährt Moskau eine Sicherheitsgarantie ohne die Option eines „Krim- Szenarios“. Die Unterstützung der politischen Regime in Zentralasien wird im Wege militärischer und wirt- schaftlicher Hilfsmaßnahmen intensiviert. Im Unter- schied zu anderen Regionen des postsowjetischen Raumes zeigt sich Moskau in Zentralasien zu einer tri- lateralen Kooperation mit den USA und China bereit. setzungen Russlands in diesem Teil Eurasiens gehören. Schlussfolgerungen für 2016 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Moskau bestrebt sein wird, die Auswirkungen der im Jahr 2014 aufgrund der Krim- und der Ukrainekrise erfolgten Iso- lation zu überwinden. Allerdings wird dies nicht im Wege des Nachgebens und des Schuldanerkenntnisses erfolgen, sondern über eine aktive Suche nach einzel- fallbezogenen militärischen und politischen Mechanis- men abseits eines jedweden universellen Systems. Den Ausweg aus der Isolation sieht Moskau im Aufstieg zu einem bedeutenden Akteur der – von einer eindeutigen US-amerikanischen Dominanz freien – internationalen Beziehungen. KEY NOTES • In 2016, Russia wants to position itself as an equal partner to the Western great powers. • • • Russia is trying to overcome its „isolation“ by incident-driven military and political mechanisms.
  • 245. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 243 WIRTSCHAFTLICHE STABILITÄT RUSSLANDS 2016 Ruslan Grinberg - schaft in einer Rezessionsphase, deren Ausmaß nach Einschätzung des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie für Wissenschaften (RAN) 3,7 % Rückgang des BIP ausmachen wird. Diese Prognose unterscheidet sich kaum von den Erwar- tungen der russischen Regierung. Verlangsamung des Wirtschaftswachstums Die Verlangsamung der Wirtschaftsdynamik setzte in der zweiten Jahreshälfte 2012 ein und war das Resul- tat des Endes des Preiswachstums für Hauptexportpro- dukte der Russischen Föderation. Diese Entwicklung
  • 246. 244 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 übte angesichts der Wirtschaftsstruktur entscheiden- - schen Wirtschaft, das Bevölkerungseinkommen und die Verbrauchernachfrage aus. Den Höchststand erreich- ten die Durchschnittsexportpreise im Jahr 2012, danach ging die Tendenz zum Preisverfall über. In den Jahren 2014 und 2015 verschlechterte sich die Lage rapide. Die Wirtschaft ging von der Stagnationsphase in die Rezes- sionsphase über. Den Hauptgrund für die Rezession stellte der abrupte Ölpreisverfall auf den Weltmärk- ten (von 100 auf 50 US-Dollar pro Barrel) in Kombina- tion mit der Einführung der gegenseitigen Sanktionen im Zusammenhang mit der innerukrainischen Krise dar. Zudem verschlimmerte eine zweifache Abwertung des Rubels (von 30 auf 60 Rubel pro Dollar) die Wirt- schaftslage der Russischen Föderation. Russland trat in eine Wirtschaftsphase ein, die durch einen beschleunig- ten Wirtschaftsrückgang, begleitet von einer wachsen- 2015), gekennzeichnet ist. Die statistischen Daten für Oktober 2015 und die Unternehmensumfragen lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Rezession zum Stillstand gekommen ist und die Wirtschaft die Talsohle erreicht hat. Diese Entwicklung erlaubt von dem prognostizierten BIP-Rückgang für das Jahr 2015 iHv 3,7 bis 3,9 % des BIP auszugehen. Entwicklungsprognose für die Wirtschaft im Jahr 2016 Im Jahr 2016 könnte sich die russische Wirtschaft gemäß zweier Szenarien entwickeln: Dem ersten Szenario wurde ein Durchschnittsjahrespreis pro Barrel Erdöl der Marke „Urals“ von 50 Dollar für das Jahr 2016, 52 Dollar für 2017 und 55 Dollar für Jahr 2016 demnach 0,7 % betragen. Des Weiteren ist nach einer schrittweisen Wiederherstellung der Inves- titionsvolumina und der Verbrauchernachfrage mit einem Wirtschaftswachstum von bis zu 1,9 % für das Jahr 2017 und bis zu 2,4 % für 2018 zu rechnen. Das zweite Szenario („Krisenszenario„ oder „konser- geht von einem für einen längeren Zeitraum anhalten- den niedrigeren Preis für natürliche Rohstoffe aus, in erster Linie für Erdöl (bis zu 40 Dollar pro Barrel) und Erdgas. In einem solchen Fall ist eine positive BIP- Dynamik nicht vor dem Jahr 2018 zu erwarten. Der gegenwärtige Diskussionsverlauf sowie die Stand- punkte der wichtigsten Vertreter des Wirtschaftsblocks Annahme, dass die Wirtschaftspolitik aktivisiert und Maßnahmen zur Steigerung der Investitionsaktivität - wachstums getroffen werden. Es ist nicht davon aus- zugehen, dass es im Laufe des Jahres 2016 tatsächlich gelingen sollte, die notwendigen institutionellen Vor- aussetzungen für die Durchführung einer Politik der 2012 2013 2014 2015 BIP 103,4 101,3 100,6 96,1 (-3,9%) Investitionen ins Grundkapital 106,8 100,8 97,3 90,01 (-9,1%) Einzelwarenumsatz 106 104 102,7 91,5 (-8,5%) Tabelle: Dynamik der Hauptindikatoren der russischen Wirtschaft (Wachstum/Rückgang im Vergleich zum Vorjahr)
  • 247. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 245 KERNPUNKTE • In den Jahren 2014 und 2015 ging die Wirtschaft von einer Stagnationsphase in die Rezessionsphase über. • Der Hauptgrund für die Rezession waren der Verfall des Ölpreises, eine Rubel-Abwertung sowie die Verhän- gung der gegenseitigen Sanktionen. • Die Rezession erreichte im Oktober 2015 ihre Talsohle, sodass 2016 mit einem leichten positiven Wirtschafts- wachstum (von 0,3 Prozent) gerechnet werden kann. aktiven Unterstützung des Wirtschaftswachstums zu schaffen. Zugleich darf aber nicht außer Acht gelas- sen werden, dass gegenwärtig noch immer äußere und innere Schranken für das Wirtschaftswachstum beste- hen bleiben. Diese Schranken betreffen sowohl die Bevölkerungseinkommens sowie der Verbrauchernach- frage. Laut den Regierungsprognosen ist mit einem weiteren Rückgang der Investitionen (um 1,6 %) und des Bevölkerungseinkommens (um 0,7 %) zu rechnen. Unklar bleibt, wie unter derartigen Bedingungen eine Steigerung der effektiven Nachfrage und des Einzel- handelsumsatzes (von 0,4 %) erfolgen soll. Die bei- den letztgenannten Faktoren sollen nach Prognosen der Regierung im Jahr 2016 das Wachstum der Indus- trie um 0,6 % – gefolgt von einem Anstieg um 1,5 sbis 1,9 % über die nächsten zwei Jahre – stimulieren. Das Eintreten eines solchen Szenarios erscheint als zu optimistisch. Ausblick 2016 Von der heutigen Warte aus erscheint ein Übergang der Wirtschaft in die Phase einer Investitionsunterbre- chung und Stagnation als wahrscheinlich. Diese Phase könnte bis zu einer tatsächlichen Veränderung der Wirtschaftspolitik und der Schaffung von Bedingun- gen für die Implementierung einer anderen Variante der Wirtschaftspolitik andauern. Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass die Prognose der Stagnationsdy- namik mit quartalsmäßigen Schwankungen des Wirt- schaftswachstums im Bereich von 0,2 bis 0,3 % für das Jahr 2016 am zutreffendsten erscheint. Das Wachstum des BIP wird 2016 nicht höher sein, als 0,3 %. KEY NOTES • In 2014 and 2015 the economic situation decended from stagnation into recession. • Main reasons for the recession were the deterioration of the oil price, a devaluation of the national currency Rubel, and the reciprocal sanctions. • By October 2015 the recession has reached its bottom, therefore a slight growth of the economy is accepted by 2016 with +0,3 percent (GDP).
  • 248. EUROPÄISCHE UNION 2016 „Die sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa sind in steigendem Maß vom Wirken Internationaler Organisationen, insbesondere der Europäischen Union, geprägt. Diese hat sich zu einem anerkannten Akteur mit zunehmender Handlungsfähigkeit in den Bereichen Justiz und Inneres sowie Außen- und Sicher- heitspolitik entwickelt. Die EU steht exemplarisch für politische Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.“ (Österreichische Sicherheitsstrategie, S. 5)
  • 249. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 247 RAHMENBEDINGUNGEN 2016 FÜR EINE GLOBALE STRATEGIE DER EU Alessandro Marrone und Nathalie Tocci Umkämpfte EU-Nachbarschaft im Osten und im Süden Die Nachbarschaft der EU ist in den letzten Jahren immer stärker umkämpft worden. Trotz anhaltender Differenzen zwischen den und innerhalb der beiden – verbundenen – Regionen östlich und südlich der Union wird sich dieser Trend auch 2016 fortsetzen. Dies Die Hohe Repräsentantin und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission wird 2016, dreizehn Jahre nach der Annahme der aktuellen Europäischen Sicherheitsstrategie, eine EU-Globalstrategie präsentieren. die Mitgliedsstaaten sowie ein breiteres außenpolitisch interessiertes Fachpublikum ein. Dieser Prozess muss auf fünf Rahmenbedingungen aufbauen, die eine Schlüsselrolle im gegenwärtigen Sicherheitsumfeld spielen: eine umkämpfte EU-Nachbarschaft im Osten und im Süden, ein begrenztes US-Engagement in Eu- ropa und in der MENA-Region, die Überschneidung von Aspekten äußerer und innerer Sicherheit, eine Auf- wertung der strategischen und diplomatischen Komponenten sowie die auslaufende Chance einer funktio- nierenden europäischen Verteidigungskooperation. bedeutet den Wettstreit zwischen regionalen Mächten auch unter Einsatz militärischer Mittel und gewalttäti- ger Aktionen durch nichtstaatliche Akteure, die offen staatliche Autoritäten herausfordern. Weiters bedeu- tet dies einen erhöhten Druck und Belastung der Staat- lichkeit sowie ein wachsendes Risiko von scheiternden oder gescheiterten Staaten ebenso wie von unregierten - werken genutzt werden.
  • 250. 248 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 dürfte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass innere und äußere Sicherheit nicht nur verknüpft sind, sondern sich weil eine Befassung mit einer Herausforderung außer- Präventions- und Abmilderungsmaßnahmen tatsächlich auch zu einer Herausforderung für die innere Sicher- heit wird. Größerer Erfolg durch Strategie und Diplomatie Die Krise in der Ukraine erinnerte stark an politische und strategische Auswirkungen eines Handelsabkom- mens, während das Nuklear-Abkommen mit dem Iran gezeigt hat, was durch diplomatisches Engagement, das Sicherheit und wirtschaftliche Dimensionen verknüpft, erreicht werden kann. Das Risiko von negativen Konse- quenzen, das auch 2016 von einem rein bürokratischen und isolierten Zugang zu strategischen Fragen ausgeht, bleibt ebenso hoch, wie ein in diesem Zusammenhang die Implementierung von Strategie im gesamtem Spek- trum der EU-Instrumente größer sein als in der jüngs- ten Vergangenheit. Eine komplexere und umstrittenere Welt erfordert eine bessere Fähigkeit, die verschiede- nen Teile des Puzzles zusammenzufügen, um die Aus- wirkungen europäischer Aktivitäten auf regionaler und globaler Ebene zu verstehen, eine kohärente und reali- sierbare Strategie zu entwickeln und Diplomatie in allen EU Politikfeldern und Instrumenten zu koordinieren. Letzte Chance für eine Verteidigungskooperation Die Ausgaben für Verteidigung in der Europäischen Union werden 2016 leicht, aber doch real ansteigen und den Trend der Reduktion bzw. Stagnation, der nach Begrenztes US- Engagement in Europa und in der MENA-Region Die Vereinigten Staaten haben ihr Sicherheitsenga- gement in Europa, im Nahen Osten und in Nordaf- rika in den letzten Jahren reduziert. Dieser Trend wird sich 2016 auch angesichts der kommenden US-Prä- sidentschaftswahlen fortsetzen. Verbunden mit dem umkämpften Charakter der europäischen Nachbar- schaft wird das einen größeren Handlungsspielraum sowohl für staatliche als auch nicht-staatliche Akteure, die ein Interesse in regionale Dynamiken und Macht- politik haben, öffnen. Der Schutz europäischer Interes- politische Vorgaben, Koordination und Flexibilität für die auswärtigen Handlungen der EU und eine effekti- vere Orchestrierung der Stimmen der EU-Mitglieds- staaten und EU-Institutionen. Überschneidung von Aspekten äußerer und innerer Sicherheit Die Verknüpfung zwischen innerer und äußerer Sicher- heit wurde im Laufe des letzten Jahrzehntes offensicht- lich. Die 2015 eingetretene Neuerung – die 2016 voll begriffen werden könnte – besteht in der Überschnei- dung von Aspekten äußerer und inneren Sicherheit auf- grund des massiven Zustroms von Flüchtlingen aus den - nagement, Asyl- und Integrationspolitik könnten bald - staaten an den südlichen und südöstlichen Außengren- zen der Union, sondern als ein gemeinsames europäi- man sich von der Illusion lösen, dass die MENA- Region einem Teufelskreis aus Destabilisierung und innere Sicherheit der EU überlassen werden könnte. Es
  • 251. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 249 Ende des Kalten Krieges einsetzte und sich während der letzten sechs Jahre der Finanzkrise und der Spar- maßnahmen noch verschärfte, stoppen. Die Kürzun- gen der europäischen Verteidigungsbudgets erfolgten in den letzten Jahren in einer unkoordinierten Art und Weise und führten in vielen Fällen zu „Bonsai-Kapazi- täten“, die auf dem Papier wie volle Kapazitäten wirken, oder durch das Fehlen strategischer Elemente nicht ein- gesetzt werden können. Ebenso ist jetzt zu befürch- ten, dass die Erhöhung in einer ähnlich unkoordinier- ten Weise anhand rein nationaler Beurteilungen erfolgt. Möglicherweise geschieht dies aber auch auf bilatera- wahrnehmung – gleich gesinnten Staaten. Jedenfalls werden die EU-Mitgliedsstaaten 2016 die Möglichkeit haben, bessere Ergebnisse im Kapazitätenaufbau durch teidigungsausgaben auf europäischer Ebene zu erzielen. Indem sie erkennen, dass die ökonomischen und stra- im Bereich der Verteidigungskooperation nicht mehr leistbar sind, könnten die Mitgliedsstaaten diese letzte Chance nutzen. KERNPUNKTE • Die Hohe Repräsentantin und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission wird 2016 eine EU-Glo- balstrategie präsentieren. Die Ausarbeitung die- ser Strategie bezieht die Institutionen der Union, die Mitgliedsstaaten sowie ein breiteres Fachpub- likum ein. • Die Kämpfe um die Nachbarschaft im Osten und im Süden der Union werden sich auch 2016 verstärken. • Die Vereinigten Staaten werden ihr Sicherheitsen- gagement in Europa, im Nahen Osten und in Nord- afrika auch 2016 weiter reduzieren. • Innere und äußere Sicherheit sind nicht nur mitein- ander verknüpft, sondern überlappen sich auch zu einem gewissen Grad. • Die strategischen und diplomatischen Komponen- ten der europäischen Sicherheitsvorsorge sind sehr wichtig. • Die letzte Chance zum Aufbau einer funktionieren- den europäischen Verteidigungskooperation sollte genützt werden. ht ei ürch oord nge auf ssere Ergebnisse im Kapazitätenauf teidigungsausgaben auf europäischer Ebene zu erzielen. prä 16 rbe n d es en 016 dinier- folgt. leistbar sind, könnten die Mitgliedsstaaten diese letzte Chance nutzen. KEY NOTES • In 2016 the High Representative and Vice-Presi- dent of the European Commission will present an EU Global Strategy. Developing this strategy invol- ves EU institutions, member states, and the broa- der foreign policy community. • The trend of EU’s neighbourhood - both in the East and in the South - being contested will continue in 2016. • The US will continue to reduce their commitment to Europe and MENA. • There is not just a link, but an overlap between ex- ternal and internal security. • The strategic and diplomatic components of Euro- pean security are very important. • The last opportunity for the creation of defence co- operation should be used.
  • 252. 250 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Als Belgien im zweiten Halbjahr 2001 die EU-Ratsprä- sidentschaft innehatte, wurden sechs von sieben gesetz- ten Zielen für das, was damals noch die ESVP war, erreicht. Ein Vorschlag, der damals von fast allen Mit- EUROPÄISCHES WEISSBUCH Sven Biscop Viele zentrale Akteure der europäischen Verteidi- gung scheinen davon auszugehen, dass der Global- strategie der Europäischen Union, die im Juni 2016 angenommen werden wird, ein EU-Weißbuch zur Verteidigung folgen wird. Ein logischer Schritt in der Umsetzung der neuen Strategie – aber kein offen- sichtlicher Schritt, angesichts der Geschichte der Idee eines Europäischen Weißbuchs. gliedsstaaten als ein Schritt zu weit wahrgenommen wurde, war die Idee, ein Weißbuch zu produzieren. Wie das Pferd, das durch eine Kabinettssitzung geht und als Kamel wieder herauskommt, mündete die belgi- sche Idee eines Weißbuches in einer wissenschaftlichen Arbeit des EU-Instituts für Sicherheitsstudien (EUISS); - ziellen Weißbuch. Die Idee eines Weißbuches wurde seither nicht mehr weiterverfolgt. Bis im Jahr 2015 sehr überraschend der - stechendes Merkmal in der Diskussion um eine zukünf-
  • 253. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 251 - egy soll von der Hohen Vertreterin Federica Mogherini im Juni 2016 unter der niederländischen Präsident- schaft vorgestellt werden. Vor allem die Niederlande, die am 1. Jänner 2016 den EU-Vorsitz übernehmen, haben sich bereits mit Nachdruck für ein Weißbuch ein- gesetzt. Michel Barnier, Sonderberater für die Vertei- digung des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Jun- cker, unterstützt die Idee eines Weißbuches ebenfalls mit Nachdruck. Dieser Forderung haben sich einige - schlossen. Sie sehen in einem Weißbuch die Möglich- Strategy eine gewisse Dynamik zu verleihen. In der Tat, die Euphorie für ein Weißbuch scheint so groß zu sein, dass die Hohe Vertreterin das Bedürfnis verspürte, dar- - tegy geben müsse, bevor Teilstrategien, wie beispiels- weise ein Weißbuch, ausgearbeitet werden können. Erste Vorarbeiten für ein Weißbuch könnten selbstver- ständlich bereits während der niederländischen Präsi- dentschaft erfolgen, sobald sich die Umrisse für die EU - frühte Auseinandersetzung mit einem Weißbuch gerade jenen Akteuren in die Hände spielen, die sich für eine - sem Zusammenhang die Aussage vorgebracht, dass, wenn es ohnedies ein Weißbuch geben wird, die EU treffen müsse. Das wäre natürlich ein großer Fehler, denn jedes Weißbuch muss in der Strategie verankert sein. Wenn die Strategie kein entsprechendes Ambi- tionsniveau festlegt, was sollte dann der Inhalt eines Weißbuches sein? Vice versa, sollte es einen entspre- Strategy ein Weißbuch folgen soll, so müsse dies auch schon bei der Strategieentwicklung mitgedacht werden. Das Dokument könnte eventuell ein Mandat für die Erstellung eines Weißbuches – inklusive einer konkre- ten Frist – beinhalten. Es ist an der Zeit, die Ambitionen Europas festzulegen Die zentrale Fragen in der ersten Hälfte 2016 sollte Europa dabei die Klärung der prioritären Verwantwort- lichkeiten in Bezug auf die Sicherheit sein. Bewertet man die vitalen Interessen Europas wie das Sicherheits- umfeld, die Verknüpfung zwischen innerer und äußerer Sicherheit sowie die Erfahrungen aus dem vergangenen und laufenden europäischen Engagement, können vier Prioritäten formuliert werden: 1. Führungsrolle Europas bei der Stabilisierung des weiteren europäischen Umfeldes inklusive der Nachbarschaftspolitik, weil kein anderer Akteur diese Aufgabe für uns übernehmen wird. Europa muss daher in der Lage sein, selbstständig zu han- deln und sich – falls notwendig – auf die eigenen Strategic Enablers verlassen können. 2. Beitrag zur gerechten und sichere Nutzung der einer führenden Rolle Europas in den eigenen des Cyberspace. 3. Beitrag zur kollektiven Sicherheit im Rahmen der UN, hierfür ist eine handlungsfähige UN notwen- dig, sollten internationale Interventionen erforder- lich werden (z.B. wie heute in Libyen). 4. - schutz der EU.
  • 254. 252 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Eine klare Absichtserklärung entlang dieser vier Pri- oritäten gibt den europäischen Verteidigungsanstren- gungen einen erkennbaren Sinn und würde seitens der Verbündeten und Partner sehr begrüßt werden. Diese Vorgehensweise würde Klarheit darüber schaffen, wel- che Beiträge von Europa zu erwarten sind, und nicht, welche Hilfe Europäer fordern. Ein umfassender Blick auf Europäische Verteidigung Die Schwierigkeit besteht darin, dass eine diesbezüg- konkretem Anlassfall können sich die Europäer ent- scheiden, ob sie auf die NATO zurückgreifen oder eine Ad-hoc-Koalition bilden. Die europäischen Hauptstädte tegy für alle Maßnahmen der EU-Außenpolitik erstellen kann. Denn abgesehen von den Staaten selbst ist nur die EU in der Lage, das gesamte Spektrum angefangen von der Entwicklungshilfe und dem Handel über die Diplo- matie bis hin zur Verteidigung abzudecken. Aber sie haben auch zu akzeptieren, dass nicht alle mili- tärischen Instrumente innerhalb der EU vorhanden - ren. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass selbst andere militärischen Optionen – einschließlich der NATO – lediglich ein Instrument einer umfassender gedach- bereits heute der Fall: Dass die NATO die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) ins Leben gerufen hat, ist eine direkte Konsequenz der EU-Strategie für die Östliche Partnerschaft und die Ukraine – die Alli- anz hätte diese Initiative andernfalls nicht getroffen. Die Alternative, insbesondere die Verteidigungsdimen- - können, wäre Unsinn. Erstens, wegen des begrenzten - rischen Operationen, wodurch eine sehr bescheidene Verteidigungsdimension existieren würde. Zweitens, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass diese Debatte in - ischen Verbündeten und Partner sowie EU-Mitglieds- staaten – alleine oder außerhalb des traditionellen nord- atlantischen Raumes – in der Lage sein sollten. Aber die Debatte muss geführt werden, denn die oben gelisteten vier Prioritäten müssen sich auf dem Radar- schirm der EU und der einzelnen Sicherheitsorganisa- tionen, in denen die Europäer engagiert sind, wieder- eine unmittelbare Auswirkung auf die EU hatten, so würde nun ein klares Ambitionsniveau der EU im Rah- - Aktualisierung der Headline Goal Sobald das Ambitionsniveau festgelegt ist, ist es Auf- gabe des Weißbuches, dieses in konkrete militärische Anforderungen zu übersetzten. Diese Aufgabe kann am - entwicklung und Pooling und Sharing zwischen EU- Mitgliedsstaaten unter Einbindung der Europäischen Verteidigungsagentur und der EU-Kommission erfüllt werden. Die Ausarbeitung eines Weißbuches würde die Revision der seit 1999 bestehenden Helsinki Head- -
  • 255. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 253 tionsniveau für autonome europäische Operationen – oder eine Ad-hoc-Koalition – fest: Zur Aufrechterhal- tung von bis zu einem Korps von 60.000 Mann für min- destens ein Jahr, was als eine willkürliche Zahl zu ver- stehen ist. Vor allem vor dem Hintergrund der 1,5 Mio. Soldatinnen und Soldaten in 28 Mitgliedsstaaten sollte die Erfüllung der Erfordernisse aus der aktuellen sicher- heitspolitischen Lage eigentlich kein Problem darstel- len. Seit mehr als einem Jahrzehnt kamen zu jeder Zeit 60.000 Soldaten oder mehr unter NATO-, EU- oder UN-Kommando zum Einsatz. Europa kann solche Zahlen nicht alleine, sondern nur mit der Unterstützung ten zusätzlichen Truppen ohne eine strategische Reserve implementieren. Ein Update ist längst überfällig. Ein strategischer Imperativ könnte ein politisches Hin- dernis darstellen: Es wird nicht leicht sein, den EU-Mit- gliedsstaaten die Verbindungen zwischen EU-Strategie wicklung von Fähigkeiten und gemeinsamen Operati- onen (die operative Ebene) sowie Pooling und Sharing über die Europäische Verteidigungsagentur und in regi- onalen Clustern (die Ebene der Leistungsfähigkeit) nahe zu bringen. Es bleibt sicherlich abzuwarten, ob alle EU- Mitgliedsstaaten von der Idee eines Weißbuches über- zeugt sein werden. Eine Änderung der Bezeichnung „Weißbuch“ kann helfen (der Titel „Weißbuch“ stellt eine rote Linie in bestimmten Hauptstädten dar) und ist bereits angedacht. Vielleicht, wenn sich herausstellt, dass ein Konsens nicht zu erreichen ist, sollten die Befür- worter die Idee eines Weißbuches weiterverfolgen. Vor allem jene Mitgliedsstaaten, die bereit sind, ihre Vertei- digungsanstrengungen weiter zu integrieren – Frank- reich, Deutschland und die Benelux-Staaten kämen hier- bei in Betracht. Es sollte unter allen Umständen vermieden werden, dass die Debatte zwischen EU und NATO in einen „Schön- heitswettbewerb“ mündet. In der Tat, wenn ein Weiß- buch vereinbart werden sollte, könnten die prioritären Anforderungen, die sich daraus ergeben, anschließend ments sein. Die Hohe Vertreterin Federica Mogherini gegenüber ihren jeweiligen Mitgliedsstaaten darauf hin- weisen, dass sowohl autonome europäische Operationen als auch Beiträge zur kollektiven Verteidigung ein und dasselbe sind. Es gibt nur einen Wettbewerb, nämlich Verteidigung zur Verfügung zu stellen. KERNPUNKTE • Die EU Global Strategy sollte ein klares, umfassen- des Ambitionsniveau für Europa im Sinne eines au- tonomen Sicherheitsakteurs festlegen, und zwar unabhängig vom jeweiligen institutionellen Hand- lungsrahmen (GSVP, NATO, UN oder Koalition). • Ein Weißbuch sollte die neue Strategie in die aktu- ellen militärischen Anforderungen umsetzen. • Die neue Strategie könnte sowohl für die EU als auch für die NATO ein gemeinsames Instrument für eine Europäische Verteidigung werden. er- arstel- u jede O-, E pa k mit e ein st l kön ch gen d g wie ung eistu uwar ter die Idee eines Weißb allem jene Mitgliedsstaaten, die bereit egrieren n käm ass umfass s au- g tegische Reserve rfällig. hes Hin- EU-Mit- egie , die Debatte zwischen EU und NATO in einen „Schö heitswettbewerb“ mündet. In der Tat, wenn ein Wei buch vereinbart werden sollte, könnten die priorit Anforderungen, die sich daraus ergeben, ansch ments sein. Die Hohe Vertreterin Federica gegenüber ihren jeweiligen Mitgliedsst weisen, dass sowohl autonome europ als auch Beiträge zur kollektiven V dasselbe sind. Es gibt nur einen eidigung zur Verfügun KEY NOTES • The EU Global Strategy should state a clear over- all level of ambition for Europe as an autonomous security actor, regardless of the operational frame- work (CSDP, NATO, UN, coalition). • A white book should translate the new strategy into updated military requirements. • Rather than a weapon in the EU-NATO beauty con- test, the strategy and the white book can be an in- strument for both the EU and NATO to stimulate the European defence effort.
  • 256. 254 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DEUTSCHLAND 2016 Patrick Keller Die doppelte Herausforderung Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland wird auch 2016 bestehen bleiben. Auch ist da- von auszugehen, dass Russland die Separatisten im Os- ten der Ukraine weiter unterstützt. Beides ist ein An- dem Jahr 2014 in einer neuartigen sicherheitspoliti- schen Situation, die auch 2016 weiter bestehen wird: Die Doppelkrise im Osten und im Süden Euro- pas – die Kriege in der Ukraine und in Syrien – und ihre strategischen Implikationen werden auch im kommenden Jahr die deutsche Sicherheitspolitik bestimmen. Die beiden wichtigsten Institutionen für die deutsche Sicherheitspolitik bleiben die NATO und die EU; beide Organisationen werden sich ver- stärkt mit der Doppelkrise befassen. Dieser Prozess wird in Berlin von der Veröffentlichung eines neuen Weißbuchs der Sicherheitspolitik und der Bundes- wehr begleitet werden, ein Prozess, der die unbe- Rolle als europäische Führungsmacht fortsetzt.
  • 257. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 255 Sicherheitsordnung, auf den Deutschland weiterhin re- 2016 wird weiteren Forderungen nach politischer und vor allem militärischer Rückversicherung der östlichen Alliierten Raum geben. Deutschland, das bei der Very High Readiness Joint Task Force und dem Multinatio- nalen Kommando Stettin schon in die Vorderhand ge- gangen ist, wird hier weiter Führung anbieten, aber zu- gleich darauf bestehen, dass die NATO–Russland Parallel dazu wird der Krisenbogen in der MENA-Re- gion nicht zur Ruhe kommen; das gilt insbesondere für den syrischen Bürgerkrieg und die Aggression der Ter- rormiliz „Islamischer Staat“. Wie unmittelbar dieser Krieg Deutschland und Europa betrifft, zeigen die ak- tuellen Flüchtlingsströme, die auch 2016 nur unwesent- lich nachlassen werden. Krisen – vor allem mit Blick auf die staatlichen/nicht- die deutsche Politik vor eine ungekannte Herausforde- rung. Dabei nimmt Deutschland eine schwierige Mitt- lerrolle ein zwischen den Verbündeten, die sich vor al- lem um die Lage im Osten sorgen, und jenen Verbündeten, die vor allem den Süden im Fokus haben. Das Weißbuch Für den Frühsommer 2016 wird das neue Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und der Zu- kunft der Bundeswehr erwartet. Es ist das erste Weiß- buch seit 2006; die Erwartungen sind dementsprechend hoch, auch weil ein Prozess der umfassenden Einbin- dung der (Experten-)Öffentlichkeit das Jahr 2015 si- cherheitspolitisch geprägt hat. Vermutlich wird das fer- neuen Kernaufgabe deutscher Sicherheitspolitik erklä- ren – mit vielfältigen Konsequenzen wie einem neuen Cyber-Command der Bundeswehr. Im Kern wird sich das Weißbuch an die Ausrichtung des Strategischen Konzeptes der NATO – Bündnisverteidigung, Krisen- management und Partnerschaften – anlehnen und zu- mindest den Erhalt der gegenwärtigen Verteidigungs- ausgaben von 1,2% des BIP vorgeben. Es steht zu erwarten, dass mit dieser Publikation und vor allem ihrem Entstehungsprozess eine Verstetigung solcher Strategiedokumente erfolgt. Deutschland als Führungsmacht Deutschland bleibt, insbesondere mit Blick auf den Ein- Führungsmacht wider Willen. Die ökonomische Stärke des Landes wird vermutlich Bestand haben – die Bun- desregierung prognostiziert ebenso wie die wichtigsten Forschungsinstitute für 2016 ein Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes um 1,8 % (nach 1,7 % im Jahr 2015). Diese Entwicklung kalkuliert die wahrscheinli- chen Auswirkungen des Flüchtlingszustroms, der eben nicht nur Kosten erzeugt, bereits ein. Zudem ist davon auszugehen, dass die politische Stabilität Deutschlands beständig bleibt; populistische und extreme Bewegun- gen bleiben Randerscheinungen, gerade im Vergleich zu anderen Staaten Europas und Führungsnationen wie Daher werden sich auch 2016 die Blicke auf Berlin rich- - zahl ohnehin eine zentrale strategische Position inne- hat. Es steht zu erwarten, dass diese Führungsrolle in sicherheitspolitischen Krisen im Jahr 2016 eine Ver- schärfung internationaler und nationaler Debatten be-
  • 258. 256 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die Doppelkrise im Osten und Süden Europas bleibt. • Das neue deutsche Weißbuch kommt, wird aber keinen Masterplan der deutschen Sicherheitspoli- tik bieten können. • Deutschland wird sich, bei fortdauerndem Unwohl- sein, in seiner neuen Führungsrolle einrichten. • Die Abstimmung zwischen NATO und EU muss sich verbessern – wobei das Bündnis Vorrang behält. • Deutschland wird verstärkt auf Ertüchtigung von Partnern in Krisenregionen setzen. • Die Abstimmung zwischen NATO und EU muss sich bessern – wobei das Bündnis Vorrang be d verstärkt auf RNPUNKTE Doppelkrise im Osten und Süden Europ e deutsche Weißbuch kommt, sterplan der deutschen Si nen. rd sich, bei fortd uen Führung schen N as B wirkt: Kritik am Führenden ist üblich, unabhängig von seinen Handlungen, und die deutsche Bevölkerung steht Nutzen und Notwendigkeit solch einer Führungs- rolle skeptischer gegenüber als die Eliten. In plötzlich auftretenden, unvorhersehbaren Krisen (wie z.B. zuletzt bei Ebola in Westafrika) könnte dies die deutsche Handlungsfähigkeit schwächen. Ein Ausweg soll die 2015 haushalterisch verankerte „Ertüchtigungsinitiati- ve“ sein, die auf Ausbildung und Ausrüstung von Part- nern in Krisenregionen setzt und die 2016 ausgebaut werden soll. Konsequenzen für EU und Österreich Sollte die skizzierte Entwicklung eintreten, wird ihre wichtigste Folge eine stärkere Ausrichtung Europas an deutschen Initiativen und Präferenzen sein – auch in meinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union zwar stärken und weiterentwickeln soll, dies aber in Bezug auf die durch die NATO garantierte europäi- sche Sicherheitsarchitektur und militärische Handlungs- fähigkeit des Westens. Insofern bleibt abzuwarten, ob die ebenfalls für Sommer 2016 angekündigte neue Eu- ropäische Außen- und Sicherheitsstrategie der EU tat- sächlich, wie vom Autor dieses Beitrags erwartet, nahe- zu deckungsgleiche Analysen und Empfehlungen enthalten wird wie das deutsche Weißbuch. Die größte langfristige Unwägbarkeit in diesem Zusammenhang bleibt das Referendum über einen britischen Ausstieg aus der EU; sollte es zum „Brexit“ kommen, wäre dies aus deutscher Sicht ein erheblicher Verlust, nicht zuletzt was die sicherheitspolitische Belastbarkeit und den stra- tegischen Horizont der Europäischen Union betrifft. KEY NOTES • The double crisis in East and South Europe remains. • There will be a new German White Paper but it will fail to offer a master plan for German securi- ty policy. • Despite continuous discomfort, Germany will be- come accustomed to its new leadership role. • Coordination between NATO and the EU needs to improve – in this, the Alliance must continue to have priority. • Germany will increasingly rely on the training of partners in crisis regions.
  • 259. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 257 ROLLE DEUTSCHLANDS IN EUROPA 2016 HARTMUT MAYER Hier sollen drei modellhafte Szenarien für Deutschland und Europa – einschließlich der Wahrscheinlichkeit ih- res Eintretens in den nächsten fünf Jahren – kurz vor- gestellt werden. Im Jahre 2015 sieht sich die EU mehreren Krisen gegenüber, die die erheblichen Unterschiede zwi- schen ihren 28 Mitgliedsstaaten – und zwar sowohl den Regierungen als auch den Wählern – offenba- ren. Sie haben Deutschlands zentrale Position im europäischen Projekt erneut sichtbar gemacht. Ber- lin hat in diesen Krisen vielfach das Agieren und die Zeitabläufe der EU bestimmt, und zwar mitunter durchaus einseitig. Daraus ergeben sich ernste Fra- gen bezüglich der mittelfristigen Weiterentwicklung jener Rolle, die Deutschland im europäischen Pro- jekt spielt.
  • 260. 258 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Szenario 1: Status quo (70%) darin, dass das kurzfristige Krisenmanagement fortge- setzt wird und Deutschland auch weiterhin eine zentra- le Rolle zukommt. Deutschland verfolgt dabei gleichzei- tig rigide Rhetorik und eine letztlich doch pragmatische vermutlich weiter steigen, und die europäischen Ent- scheidungen werden auch weiterhin von – auf durchaus unbefriedigende Weise ad hoc und themenbezogen ge- bildeten – Koalitionen getroffen werden. Seine Partner wird Deutschland dabei auch weiterhin relativ unan- hängig und themenbezogen wählen können. Der internationale Druck wird wahrscheinlich hoch bleiben. Die russisch-ukrainischen Entwicklungen, die fortdauernde Instabilität im Nahen Osten sowie der Mi- grationsdruck sowohl aus dem nördlichen Afrika als auch von südlich der Sahara werden kurzfristig nicht in - che Konkurrenz wird weiter zunehmen, sodass Deutschlands exportorientierte Industrie unter Druck geraten könnte. seinen „Checks and Balances“ könnte die Lage weiter verkomplizieren. Während Krisenmanagement schnelle Antworten erfordert, verlangsamt die korrekte Einhal- tung politischer Abläufe naturgemäß die Für Deutschland und die meisten übrigen EU-Staaten wird die größte Herausforderung der nächsten Jahre da- rin bestehen, dass Politiker der einzelnen Staaten einer- seits mit ihren Wählern und andererseits mit dem allge- genwärtigen populistischen Widerstand gegen das - gemein sind Deutschlands Regierung sowie das politi- sche System dafür besser gerüstet als die meisten ande- ren Mitgliedsstaaten der EU. Letzgenanntes wird sich angesichts wachsender Antagonismen als durchaus wi- derstandsfähig erweisen. Szenario 2: Fragmentierung Europas (20%) Wenn auch das Meiste für die Fortsetzung des gegen- wärtigen Modus Operandi auch während der nächsten fünf Jahre spricht, so kann dennoch ein schwerer Rück- schlag für die europäische Integration nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Eine derartige Fragmentierung würde aus fundamenta- len politischen Differenzen zwischen den Mitgliedsstaa- ten entstehen, wobei diese Differenzen vermutlich auf miteinander zusammenhängende Faktoren zurückzu- der griechischen Krise und eine Vertiefung der wirt- schaftlichen Unsicherheit in Spanien, Italien und Portu- gal, eine Eskalation der Flüchtlingskrise, welche die EU nicht kontrollieren kann und eine weitere russische In- tervention im Ausland. Die Fragmentierung wird – zumindest anfangs – schrittweise erfolgen. Die entsprechenden Positionen müssen eine kritische Masse erreichen, ehe es zu rele- vanten Vorschlägen bzw. Aktionen kommt. Auch wer- den die Bildung und Verfestigung etwaiger Blöcke in- nerhalb der EU Zeit benötigen, ehe diese der Ablehnung der deutschen Vision für die EU entgegen- treten können.
  • 261. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 259 Szenario 3: Europäische Integration (10%) Die bloß zehnprozentige Wahrscheinlichkeit bringt zum Ausdruck, dass angesichts der verschiedenen Kri- sen und Faktoren eine weitere Vertiefung der europäi- schen Integration in Richtung politischer Union, supra- vollentwickelten europäischen Systems der sozialen Si- cherheit für die nächsten fünf Jahre kein wahrscheinli- ches Szenario darstellt. Bis 2018 ist eine Vertragsänderung, wie sie für dieses Szenario erforderlich ist, wegen der Wahlen in Frank- reich und Deutschland und des britischen „Brexit“-Re- ferendums nur mit Schwierigkeiten durchführbar. Schwere Meinungsverschiedenheiten zwischen Frank- der Europäischen Union müssten überwunden werden. Zwar wird es zu einigen weiteren Maßnahmen in Rich- tung der angestrebten Bankenunion und damit zu ei- Politik kommen, doch ist ein großer Sprung vorwärts – im Sinne des hier Beschriebenen – höchst unwahr- kant zurückgehen. KERNPUNKTE • Die jüngsten Krisen haben die erheblichen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsstaaten sowie Deutsch- lands zentrale Position im europäischen Projekt klar sichtbar gemacht. • Eine Fortsetzung des kurzfristigen Krisenmanagements, bei dem Deutschland die zentrale Rolle zukommt, ist das wahrscheinlichste Szenario. • Der internationale Druck wird hoch bleiben. Die Krisen um Russland/Ukraine, im Nahen Osten und in Afrika werden kurzfristig wahrscheinlich nicht zu lösen sein. • Eine schwerwiegende Fragmentierung ist zwar möglich, aber unwahrscheinlich. Ihre Wahrscheinlichkeit würde bei einer Eskalation der Krisen steigen. • Noch unwahrscheinlicher ist eine weitere Vertiefung der Integration, wobei die erforderliche Vertragsänderung wohl kaum vor 2018 in Betracht kommt. KEY NOTES • the centre of the European project. • A continuation of short-term crisis management, with Germany at the centre, is the most likely scenario. • International pressure will remain high; crises in Russia/Ukraine, the Middle East and Africa are unlikely to be resolved in the short-term. • A severe fragmentation is a possibility, albeit unlikely; the likelihood would increase should crises escalate. • A further deepening of integration is unlikelier still, with a required treaty change unlikely to be considered until 2018. r die in F wird es zu einigen weiteren Maßnahmen in ung der angestrebten Bankenunion und damit zu ei- bl ch Kris eib t zu t zw tiefu ank- kant zurückgehen. e zwischen den EU-Mitgliedsstaaten sowie Deutsch- bar gemacht. dem Deutschland die zentrale Rolle zukomm and/Ukraine, im Nahen Osten und in scheinlich. Ihre Wahrschein ei die erforderliche
  • 262. 260 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 FRANKREICH 2016 Peter Jankowitsch Frankreichs Sicherheitsdispositiv Auch nach dem Ende des Kalten Krieges hat Frank- reich, entgegen vielen anderen europäischen Staaten, Fragen der Landesverteidigung und der Erhaltung mili- tärischer Bereitschaft und Einsatzfähigkeit hohe Priori- tät eingeräumt. Das Weißbuch von 1994 bekannte sich zu einer Fortsetzung einer auf nuklearer Abschreckung aufgebauten autonomen Verteidigungspolitik Frank- reichs sowie zur Bereitschaft, für die Erhaltung interna- tionaler Stabilität und Sicherheit und zur Krisenbewälti- Im sicherheitspolitischen Gefüge Europas kommt Frankreich nach wie vor besonderes Gewicht zu, was einerseits mit seiner Stellung als westeuro- päische Nuklearmacht, andererseits mit seiner Führungsrolle in der Europäischen Union und ihren Organen sowie in den Vereinten Nationen als Stän- diges Mitglied im Sicherheitsrat zusammenhängt. gung innerhalb und außerhalb Europas auch militärische Mittel einzusetzen. - politik beibehalten und auch in den folgenden Weißbü- chern bestätigt, zuletzt 2013. In diesem letzten Weiß- buch wird auf die verstärkte Notwendigkeit der Modernisierung und Restrukturierung der Streitkräfte einschließlich der Entwicklung neuer Waffensysteme hingewiesen. Auch neue Prioritäten wie Cyberabwehr - nomie, wie dies auch schon früher in der französischen Weltraumpolitik erkennbar war. Priorisierung der Terrorbekämpfung Angesichts des veränderten strategischen Umfelds, aber auch der Terroranschläge in Paris möchte Präsident François Hollande die Schlagkraft der Streitkräfte sowie Kapazitäten im Bereich der Nachrichtendienste und der
  • 263. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 261 Cyberabwehr erhöhen. Auch 2016 wird im Zeichen die- ser Prioritäten stehen – mit Bekämpfung des Terroris- mus an erster Stelle. Neben Maßnahmen zum verbes- serten Schutz des eigenen Territoriums durch Landstreitkräfte werden dazu auch weitere Luftschläge im Rahmen der Koalition gegen die Terrormiliz „Isla- mischer Staat“ (IS) in Syrien und im Irak gehören. Auch das französische Engagement in Afrika dient der Terrorismusbekämpfung. Sowohl in Mali als auch in der Zentralafrikanischen Re- publik war es zuerst der Einsatz der französischen - tionalen Operationen geschaffen hat. Frankreich gibt damit seinem langjährigen Verständnis für die strategi- sche Bedeutung Ausdruck, die Afrika und sensiblen Zo- nen südlich der Sahara für internationale Stabilität und Sicherheit – auch für die Sicherheit Europas – zukom- men. Die Unterhaltung französischer Militärbasen in - punkt zu verstehen und soll Entwicklungen wie die ak- tuellen Flüchtlingsströme über das Mittelmeer nach Eu- ropa verhindern. Solide Finanzierung und nationaler Konsens - reich in Zukunft von einer in vielen Staaten Europas sichtbaren Bewegung in Richtung „Abrüstung“ abhe- ben, die dazu geführt hat, dass Verteidigungsausgaben im europäischen Schnitt von 2,7 % der BIPs um 1990 auf lediglich 1,35% 2013 gefallen sind. Demgegenüber bleibt der französische Verteidigungshaushalt auch 2015 mit etwas über 31 Mrd. Euro nahe an 2 % seines BIP und dürfte auch in den kommenden Jahren nicht ge- senkt werden. Das zunehmend geringere Interesse der USA an Fragen der europäischen Sicherheit wird auch weiterhin die Be- deutung Frankreichs für die europäische Sicherheit un- terstreichen. Unterstützt wird diese Rolle Frankreichs von einem quer durch alle politischen Kräfte des demo- kratischen Spektrums reichenden nationalen verteidi- - ner Landesverteidigungspolitik einschließlich seiner nuklearen Dimension erfasst. Die bisherige und künftige Rolle Frankreichs als kons- tanter Träger und Befürworter europäischer Sicher- heitsinteressen erscheint auch für kleinere und mittlere Mitgliedsstaaten der EU, wie Österreich, von Nutzen. So können der europäischen Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik Impulse, aber auch Kapazitäten zugeführt werden, die von anderen – auch größeren – europäi- schen Mächten kaum zu erwarten sind. Auch wenn für - politische Rahmengröße ist, zeigt sich in seinen Verhal- - ser Form europäischer Kooperation. Dies zeigt auch seine Bereitschaft zur verteidigungspolitischen Koope- ration mit anderen, auch kleineren EU-Mitgliedern wie den baltischen Staaten. Flüchtlingskrise und Kampf gegen den IS In der europäischen Flüchtlingskrise hat Frankreich nach anfänglicher Zurückhaltung verschiedene Initiati- ven auf europäischer Ebene ergriffen. So hat es zusam- men mit Deutschland im September 2015 der Europäi- schen Kommission Vorschläge zur Bewältigung der Krise übermittelt, in deren Mittelpunkt solidarische Mechanismen zur Verteilung der Flüchtlinge und die Errichtung von Aufnahme- und Registrierungszentren in den Erstaufnahmeländern stehen. Frankreich setzt sich auch mit Nachdruck für einen besseren Schutz der
  • 264. 262 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Frankreich bekennt sich zur Fortsetzung einer auf nuklearer Abschreckung aufgebauten autonomen Verteidigungspolitik. • Frankreich ist weiterhin bereit, für die Erhaltung in- ternationaler Stabilität und Sicherheit und zur Kri- senbewältigung innerhalb und außerhalb Europas auch militärische Mittel einzusetzen. • 2016 wird im Zeichen der Priorisierung der Terror- bekämpfung stehen. • In der Flüchtlingskrise hat Frankreich — nach an- fänglicher Zurückhaltung — verschiedene Initiati- ven auf europäischer Ebene ergriffen. • Frankreich wird an allen diplomatischen Bemühun- • In der sicherheits- und verteidigungspolitischen Ko- operation zwischen Österreich und Frankreich do- miniert der Bereich Ausbildung. Außengrenzen der Union, vor allem durch Schaffung und fordert die Unterstützung von Transit- und Her- kunftsländern. Es zielt dabei einerseits auf Nachbarlän- der Syriens, andererseits aber auch auf Länder der Sa- helzone wie Mali oder Niger ab. Als Eigenleistung wird Frankreich in den beiden nächsten Jahren insgesamt 30.000 Flüchtlinge aufnehmen. Von der französischen Außenpolitik sind zudem Initia- tiven zu erwarten, um an den eigentlichen Wurzeln des Problems, nämlich den Kampfhandlungen im Nahen Osten anzusetzen. Neben militärischen Einsätzen ge- gen den IS, gehören dazu auch weitere Schritte hin zu reich wird – auch in seiner Eigenschaft als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der UN – an allen diplo- matischen Bemühungen in dieser Richtung aktiv teil- nehmen, obwohl es eine Beteiligung des syrischen Prä- sidenten Baschar al-Assad an einer Übergangslösung ablehnt und als bisher einziges westliches Land die nati- onale syrische Opposition (Syrian National Council – SNC) als legitime Vertretung des syrischen Volkes aner- kannt hat. Ausbildungskooperation zwischen Frank- reich und Österreich In der sicherheits- und verteidigungspolitischen Koope- ration zwischen Österreich und Frankreich ist insbeson- dere ein intensiver Austausch im Ausbildungssektor hervorzuheben. Dies hat auch zu einer guten Zusam- menarbeit zwischen österreichischen und französischen Kontingenten im Rahmen internationaler Friedensmis- sionen geführt, etwa bei der Mission UNIFIL im Liba- non, bei der EU-Trainingsmission EUTM in Mali oder bei der EU-Beratermission EUMAM RCA in der Zent- ralafrikanischen Republik. KEY NOTES • France is committed to pursue an autonomous de- fence policy based on nuclear deterrence. • France is still prepared to use military means to maintain international stability and security as well as for crisis management in Europe and beyond. • terrorism. • After an initial reluctance concerning the refugee crisis, France has taken a number of initiatives at the European level. • France will participate in all diplomatic efforts to • The focus of the security and defence cooperation between Austria and France is on training. K • Ve Fran rnat ewäl litäri m Zeic ehen. e hat Fra verschiedene In eits auf Nachbarlän- ber auch au r Niger n beide tlinge r fran zu e blem sten gen rei M m ne SNC) als legitime V on zw tische ist in sekt usam sisc smi Liba ode ent us d ans urity nd b concer en a nu level. rance will part Fortsetzung einer auf ebauten autonomen die Erhaltung in- it und zur Kri- lb Europas Terror- n- erwarten, um an den eigentlichen Wurzeln des nämlich den Kampfhandlungen im Nahen tzen. Neben militärischen Einsätzen ge- ören dazu auch weitere Schritte hin zu seiner Eigenschaft als Ständiges tsrates der UN – an allen diplo- in dieser Richtung aktiv teil- eteiligung des syrischen Prä- ration zwischen Österreich und Frankreich i dere ein intensiver Austausch im Ausbildu hervorzuheben. Dies hat auch zu einer g menarbeit zwischen österreichischen u Kontingenten im Rahmen internati sionen geführt, etwa bei der Miss non, bei der EU-Trainingsmiss bei der EU-Beratermission E ralafrikanischen Republik. KEY NOTES • France is comm fence policy b • France is st maintain as for c • te •
  • 265. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 263 GROSSBRITANNIEN 2016 Bastian Giegerich Das Jahr 2016 wird von entscheidender Bedeutung - pa sein. Ein Austritt aus der EU ist in den Bereich des Möglichen gerückt, eine Entwicklung, die, sollte sie eintreten, zudem die Fortexistenz des Vereinig- ten Königreichs in seiner jetzigen Form in Frage stellt. Zugleich versucht die britische Regierung, ih- ren sicherheitspolitischen Handlungsanspruch mit einer Reihe von strategischen Grundlagendokumen- ten neu zu fassen. Eine ernsthafte Verknüpfung der beiden Themenfelder „Rolle in Europa“ und „sicher- Debatte kaum statt. Das britische Referendum als politischer Taktgeber Referendum zum Verbleib des Vereinigten Königrei- ches in der Europäischen Union (EU) fokussieren. Während die politischen Rahmenbedingungen vorge- ben, dass dieses Referendum bis spätestens Ende 2017 durchgeführt werden muss, kann der Fall eintreten, dass es auf die zweite Jahreshälfte 2016 vorgezogen wird, um zu verhindern, dass diese Entscheidung zu ei- ner Abrechnung über die bis mindestens 2018 andau- ernden Ausgabenkürzungen der britischen Regierung unter David Cameron verkommt. Zudem stehen 2017 sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Wahlen auf dem Programm, eine Tatsache, die das Kalkül für ein vorgezogenens Referendum weiter stärkt. Die hier im original Wortlaut wiedergegebene Frage, die dem britischen Wahlvolk zur Abstimmung vorgelegt werden wird, lautet: „Should the United Kingdom remain a member of the European Union, or leave the European Union?“ Die Umfrageergebnisse zum Referendum sind nach wie vor volatil, die Mehrheit für den Verbleib ist fragil und auf wenige Prozentpunkte geschrumpft. Sollte sich - den, kann dies das Auseinanderbrechen des Königrei- ches bedeuten, da in diesem Fall die schottische Regio- nalregierung ihrerseits ein zweites Referendum über die schottische Unabhängigkeit durchführen wird, das an- ders als noch 2014 zur Unabhängigkeit führen kann. Im Falle eines britischen Austritts (Brexit) aus der EU wird David Cameron als Premierminister zurücktreten.
  • 266. 264 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Schwierige Verhandlungen um den Ver- Premierminister Cameron, der sich für den Verbleib - kündigt, vor dem Referendum europäische Reform- schritte mit seinen Partnern in der Union auszuhandeln. Er hat die Felder, auf denen Reformen angestrebt wer- den sollen, mit vier Schlagworten belegt: Souveränität, Fairness, Wettbewerbsfähigkeit und Immigration. Im Kern wird es sich darum drehen, die Vorteile der briti- schen Mitgliedschaft in der EU zu sichern und gleich- - te zu vermeiden. So weit zu diesem Zeitpunkt erkennbar, wird die Forde- rungsliste der Briten folgende Punkte beinhalten: eine generelle Initative zum Abbau von Bürokratie und Re- gulierung in der EU; eine Stärkung der Rolle nationaler Parlamente, um EU Rechtsetzung mit einem Veto bele- gen zu können; eine Zusicherung, dass Mitglieder der Eurozone bei weiteren Integrationsschritten nicht ge- gen die Interessen von Nicht-Mitgliedern handeln; ver- stärkte Bemühungen, den europäischen Binnenmarkt in den Bereichen Service, digitale Technologien und Ener- gie umzusetzen; eine Distanzierung von der in den eu- ropäischen Verträgen vorgesehenen Formel von der Schaffung „einer immer engeren Union der Völker Eu- ropas“; Sozialleistungen für Zuwanderer aus der EU erst, nachdem diese für vier Jahre in das britische Sys- tem eingezahlt haben. Von dem Anspruch, dass viele dieser Forderungen in Form von Vertragsänderungen festgeschrieben werden müssen, hat sich Cameron hin- gegen entfernt. Die britische Regierung wird sich mit einem Protokoll zufriedengeben und argumentieren, dass dieses den Anspruch erfüllt, das Verhandlungser- gebnis rechtlich bindend festzuschreiben. Der für den Aushandlungsprozess vorgesehene Zeit- plan erscheint ambitioniert, und die Verhandlungen können sich durchaus bis auf das Frühjahr 2016 erstre- cken. Die Fixerung des britischen Forderungskatalogs, die Cameron lange abgelehnt hat, dient vor allem der Beschleunigung der Abstimmung unter den Mitglieds- staaten der EU, was Cameron durch eine erneute Runde persönlicher Besuche bei seinen Amtskollegen unter- streichen dürfte. Da die übrigen EU-Mitglieder (und halten wollen, kann ein Kompromiss zu den oben ge- nannten Punkten gefunden werden. Die britische Re- gierung ihrerseits könnte möglicherweise davon ausge- hen, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei der Referendumsentscheidung nicht mit den Reformdetails auseinandersetzen werden, sondern lediglich eine briti- sche Sonderstellung erkennen können müssen, um dem Verbleib in der EU zuzustimmen. Politische Nachteile für die Pro-EU-Kampagne auf absehbare Zeit von mehreren Faktoren geschwächt. Erstens macht die fortgesetzte wirtschaftliche Schwä- che des Euroraumes das rationale Argument des wirt- schaftlichen Nutzens für das Vereinigte Königreich zu nichte. Der Internationale Währungsfond sagt sowohl für 2015 als auch für 2016 deutlich höhere Wachstums- Der Eindruck, alleine möglicherweise besser dazuste- hen, wird hierdurch verstärkt. Hinzu kommt, dass seit der Wahl von Jeremy Corbyn zum Parteivorsitzenden der Labour-Partei auch die Opposition nicht mehr un- eingeschränkt proeuropäisch agiert. Der wichtigste politische Faktor ist allerdings das The- ma der Migration. Die europäische Flüchtlingskrise hat -
  • 267. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 265 KERNPUNKTE • Das britische EU-Referendum wird die Aufmerksamkeit der politischen Klasse binden. Sollte sich das Vereinig- te Königreich gegen den Verbleib in der EU entscheiden, ist es wahrscheinlich, dass hierauf ein erfolgreiches Unabhängigkeitsreferendum Schottlands folgt. • Die schwächelnde Eurozone, gepaart mit einer nicht mehr uneingeschränkt proeuropäischen Opposition in sichtbar geschwächt. • Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden weitere europäische Kooperations- oder gar Integ- rationsschritte vor dem britischen Referendum auf Gegenwehr der Regierung treffen. • Die neue nationale Sicherheitsstrategie und der darauf folgende Strategic Defence and Security Review wird die systematische Kooperation mit Partnern in der NATO zu einem Kernprinzip erheben. neut mit kritischem Blick betrachtet, da es dem erklär- unterzufahren, entgegenzuwirken scheint. Dieser letzte Punkt kann dazu führen, dass ein Referendum auch nach einem guten Verhandlungsergebnis verloren geht. Neue Grundlagendokumente für die si- cherheitspolitischen Ambitionen Im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind weitere Kooperations- oder gar Integrationsschrit- te vor dem Referendum unwahrscheinlich. Sie würden die britische Regierung in dem Versuch, das Referen- dum für den Verbleib in der EU zu entscheiden, weiter heitsstrategie klarstellen, dass sich die internationale Si- die d tla rt m digu end d de n de den eren n, w rna it der politischen Klasse binden. Sollte sich das Vereinig- , ist es wahrscheinlich, dass hierauf ein erfolgreiches neingeschränkt proeuropäischen Opposition e europäische Kooperations- od egierung treffen. egic Defence and Secur rinzip erheben. e Si- cherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Das Aufkommen des sogenannten „Islamischen Staates“, der Revanchismus Russlands und die fortge- setzte Instabilität in Nordafrika sowie im Nahen Osten werden als Treiber genannt werden. Die westlich ge- prägte internationale Ordnung ist unter Druck, und in- ternationale Stabilität zu erhalten, aber gleichzeitig Wandel zuzulassen, wird als eine der wichtigsten Her- sich politisch darauf festgelegt, bis 2020 jedes Jahr wei- terhin mindestens 2 Prozent des BIP für Verteidigung aufzuwenden. Der unmittelbar auf die Sicherheitsstrate- gie folgende Strategic Defence and Security Review wird die systematische und von Anfang an mitgedachte Kooperation mit Partnern in der NATO zu einem Kernprinzip („International by Design“) erklären. KEY NOTES • The attention of the political class will focus on the British EU referendum. If the United Kingdom decides against remaining within the EU a successful referendum on Scottish independence is likely. • The weaknesses of the Eurozone, together with the opposition in Westminster not being unreservedly pro-Eu- ropean any more, as well as the European refugee crisis, have all visibly weakened the campaign for remaining in the EU. • and defence policy will increase the governments’ resistance. • The new National Security Strategy and the subsequent Strategic Defence and Security Review will make the systematic cooperation with NATO partners a core-principle.
  • 268. 266 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 FINNLAND 2016 Hiski Haukkala Die sicherheitspolitische Landschaft Europas ist in eine Phase schwerer Turbulenzen eingetreten. Dies gilt insbesondere für Nordeuropa, wo die Auswirkun- - sultierenden verschlechterten Beziehungen zwi- schen Russland und dem Westen vielleicht am eindrücklichsten zu verspüren sind. Gleichzeitig sieht sich die europäische Sicherheitslage auch wei- teren neuen Risiken gegenüber, wie am Beispiel der im Sommer 2015 ausgebrochenen Immigrationskri- se ersichtlich ist. Insgesamt wird sich ganz Europa wahrscheinlich einer längeren Periode erhöhter Risi- ken und Herausforderungen für seine Sicherheit, möglicher weiterer Destabilisierung und sogar mög- - stimmten Ausmaß sogar innerhalb Europas – ausge- setzt sehen. All dies wird die europäische Zusammenarbeit sowie die einzelnen Mitgliedsstaa- ten schweren Belastungen aussetzen und 2016 zu einem entscheidenden Jahr für die künftige Entwick- lung machen. Trotz seiner Randlage ist Finnland von keiner dieser Entwicklungen ausgenommen.
  • 269. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 267 Die fortgesetzte russische Herausforde- rung für die europäische Sicherheitsordnung Europa ist in seinen Beziehungen zu Russland in die sehr schwierige Phase eines „heißen Friedens“ eingetre- ten. Diese Phase ist höchstwahrscheinlich kein vorüber- gehendes, sondern vielmehr ein dauerhaftes Phänomen, - wechseln. Dies wird die europäische Zusammenarbeit Zusammenarbeit willkürlich nutzen kann, um be- stimmte politische Reaktionen Europas hervorzurufen. Finnland steht vor zwei Kernfragen: Worauf will Russ- land mit seiner revisionistischen Agenda letztlich hin- aus, und lassen sich – bzw. in welchem Umfang lassen sich – die Einheit und Solidarität Europas im Umgang mit jener Agenda aufrechterhalten? Die fortgesetzte Immigrationskrise Der Ausbruch der Immigrationskrise kam für die Euro- päer – die Finnen eingeschlossen – überraschend. Trotz seiner Lage weit weg vom Schwergewicht dieser Krise nimmt Finnland im Jahre 2015 vermutlich etwa 30.000 bis 35.000 Immigrantinnen und Immigranten auf. Um- gerechnet auf die Bevölkerungsgröße entspricht diese Belastung nahezu jener Deutschlands. Für Finnland er- geben sich daraus einige sehr schwierige Fragen: Wie- viel Immigration kann Finnland akzeptieren, ehe die Belastung wirtschaftlich und politisch unerträglich welche? Wie sieht künftige gemeinsame europäische Politik aus, wenn sie – siehe Schengen – nicht wie ver- einbart funktioniert? Ist die EU der Herausforderung gewachsen und kann sie Maßnahmen erarbeiten, welche die Zuwanderung tatsächlich begrenzen und die eigent- lichen Ursachen in der Nachbarschaft der EU in den nicht zu bewältigen ist? Die fortgesetzte Eurokrise Die fortgesetzte Eurokrise ist für Finnland auch sicher- heitspolitisch relevant. Als Nicht-NATO-Mitglied be- trachtet Finnland die EU auch als Mittel seiner Sicher- heitspolitik, sodass die Eurokrise Finnland vor einige große Herausforderungen stellt. Einerseits ist es immer noch nicht ausgeschlossen, dass die Eurozone zerfällt, wenn dies auch weniger wahrscheinlich geworden ist. Ein solches Szenario wäre mit höchst unkalkulierbaren und gefährlichen Folgen für die Europäische Union verbunden. Andererseits haben die ständigen Versuche, - land in eine zunehmend unangenehme Richtung ge- drängt. Besonders beunruhigend sind die angewachse- nen wechselseitigen Haftungen. In der Tat scheint Finnland nur zwischen zwei Übeln wählen zu können: Entweder stimmt es Regelungen zu, die innenpolitisch schwer durchzubringen sind, oder es riskiert, als unzu- verlässiger Partner die Solidarität der übrigen EU-Mit- gliedsstaaten zu verlieren. Entwicklungen in EU und NATO Ob und inwieweit die Hauptakteure EU und NATO - den können, wird für Finnland die Kernfrage des Jah- res 2016 sein. Neben den schon erwähnten Themen wird die EU für sich eine globale Strategie formulieren müssen, die ge- eignet ist, ihr und ihren Mitgliedern greifbare Vorteile zu bringen. Natürlich werden die Qualität und die Am-
  • 270. 268 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 bitionsebene dieses Dokuments für Finnland wichtig sein. Von gleicher Bedeutung wird aber sein, dass der zu diesem Dokument hinführende Prozess den Zusammen- halt und die Solidarität der EU und ihrer Mitgliedsstaaten auch im Bereich der Sicherheit erhöht. Es bleibt abzuwar- ten, ob dieser Prozess die EU in die Lage versetzen wird, vielen Worten auch glaubhafte Taten folgen zu lassen. In Verteidigungsangelegenheiten steckt die EU noch in den Anfängen, das Thema ist jedoch für Finnland von großem Interesse. Jener Prozess, der zur Vorlage eines Europäischen Weißbuch der Verteidigung unter nieder- ländischer Leitung im Jahre 2017 führen soll, wird von besonderem Interesse sein, da er die Konturen der künf- - beiten wird. Die NATO arbeitet an ihrer Reaktion auf die russische Politik, aber das Ausmaß der künftigen europäischen Verteidigungsausgaben und damit die Frage, wie robust jene Reaktion ausfällt, sowie das Ausmaß des künftigen Engagements der USA in der europäischen Sicherheit sind weiterhin höchst ungewiss. Auch die Zukunft der NATO-Partnerschaft für den Frieden und insbesondere die Aussichten der sogenannten Erweiterten Partner- schaft sind von großer Relevanz. Erwähnenswert sind auch die Nordic Defence Coopera- tion (NORDEFCO) sowie insbesondere die bilaterale Zusammenarbeit zwischen Finnland und Schweden. Bei- de sind für die Erhöhung von militärischen Fähigkeiten und Interoperabilität und damit für die Erhöhung der Si- cherheit der teilnehmenden Länder sehr wichtig – ohne jedoch Sicherheitsgarantien zu beinhalten. In diesem Zu- sammenhang ist für Finnland die weitere Entwicklung der schwedischen NATO-Debatte von besonderer Bedeutung. um die Spannungen zwischen Russland und dem Wes- - ten der europäischen Sicherheitsordnung und ihrer tra- genden Prinzipien erfolgen. Angesichts der Tiefe und Breite der russischen Herausforderung kommt dies der Quadratur des Kreises gleich. Schlussfolgerung Wie erwähnt, ist die europäische Sicherheitslandschaft in eine Phase fortgesetzter Turbulenzen eingetreten. Dies trifft auch auf die Zusammenarbeit, ja die Zukunft der Europäischen Union zu. Dies sollte in ganz Europa - batten in Finnland. Schon die fortgesetzte Eurokrise - den. Da die Migrationskrise wahrscheinlich noch lange andauern wird, ist damit wohl auch in Finnland ein wei- teres Potential für Enttäuschung und Skepsis gegenüber dem europäischen Projekt gegeben. Mit der Zeit wird sich dies auf Finnlands künftige Rolle in der EU auswirken. Die Politik muss diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen. Dazu gehören wirksame gemeinsame Ant- worten der EU, die von ihren Mitgliedsstaaten und de- ren Bevölkerung gleichermaßen als gerechtfertigt ange- sehen werden. Die EU verfügt bereits über die Mechanismen und Ressourcen, um mit den meisten die- ser Themen erfolgreich umzugehen. Es bleibt abzuwar- ten, ob ihr das gelingt, wobei 2016 ein entscheidendes Jahr für ihre künftige Entwicklung sein wird. Sollte die EU diesen Test nicht bestehen, könnte die Sicherheit, ja die Zukunft Europas auf dem Spiel stehen.
  • 271. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 269 KERNPUNKTE • Die europäische Sicherheitslandschaft ist in Bewe- gung geraten und sieht sich gleichzeitig mehreren Herausforderungen gegenüber. • Die Gefahr aus Russland wird in Nordeuropa – Finnland eingeschlossen – am eindrücklichsten verspürt. • ten des Südens den Norden, wie am Beispiel der umfangreichen Auswirkungen der Immigrationskri- se auf Finnland und besonders auf Schweden er- sichtlich ist. • Die Summe all dieser Entwicklungen sowie die Her- ausforderungen innerhalb der EU werden nicht nur die Sicherheit der einzelnen Staaten, sondern auch die europäische Zusammenarbeit wachsenden Be- lastungen aussetzen. KEY NOTES • several different challenges simultaneously. • When it comes to the potential threat from Russia, it is Northern Europe - Finland included - where it is felt most acutely. • of the immigration crisis on Finland and in particu- lar on Sweden. • All of these developments, combined with the in- ternal challenges in the EU, will not only put incre- asing strain on national security, but also on Euro- pean-level co-operation. KTE e Si sieht egenü wird in N ndrücklichste ges s he pot n Europ felt most acu n Bewe- reren KEY N • se •
  • 272. 270 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 SCHWEDEN 2016 Traditionelle Politik unter Druck Jacob Westberg Das Jahr 2015 war eine Herausforderung für die rot- grüne Minderheitsregierung und für die traditionel- len Ansichten Schwedens als ein bündnisfreier Staat mit einer konsensorientierten politischen Kultur. Das Dezember-Übereinkommen wird zurückgenommen Im Dezember 2014 einigte sich die Regierung mit den oppositionellen Mitte-Rechts-Parteien (der „Allianz“) darauf, dass der Plan von vorgezogenen Neuwahlen, die
  • 273. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 271 - folgt wird. Seit 1958 gab es in Schweden keine vorgezo- genen Neuwahlen mehr. Im sogenannten Dezember- Abkommen (DA) einigten sich die Regierung und die Allianz auf ein Stillhalteabkommen in Bezug auf das Zeitpunkt der Vereinbarung schien es, als ob die schwe- dische Konsensfähigkeit als Merkmal der politischen Kultur auch weiterhin Bestand haben könnte. Dies soll- te sich jedoch rasch mit dem Parteitag der Christlich Demokratischen Partei im Oktober 2015 ändern, als man das DA als hinfällig bezeichnet. Das Verteidigungsabkommen – neuer na- tionaler und regionaler Fokus Im April 2015 einigten sich die regierende Sozialdemo- mit drei oppositionellen Parteien der Allianz – die Par- tei der Moderaten, Partei der Mitte und die Christlich- Demokratische Partei – auf ein neues Verteidigungs- budget für den Zeitraum 2016 bis 2020. Das Budget sieht eine Erhöhung der Ausgaben im selben Zeitraum um rund 17 Mrd. Schwedische Kronen – im Vergleich zur vorherigen Periode – vor. Damit hat sich die Regie- rung auf eine erste substantielle Erhöhung des Verteidi- gungsbudgets seit mehr als zwei Dekaden geeinigt. Im Parlament bestätigt. sich verschlechternde Sicherheitslage in Europa Bezug, wobei die russische Aggression gegen die Ukraine als Hauptfaktor gilt. Das neue Verteidigungsbudget steht für drei qualitative Veränderungen in der schwedischen Verteidigungspolitik: Erstens, einen neuen regionalen - cherheitslage in Europa ausgeht, zweitens, eine ver- stärkte Akzentuierung der nationalen Verteidigungs- und Planungsfähigkeit für Kriegsszenarien und drit- tens, die Verstärkung bilateraler verteidigungspoliti- scher Abkommen. Das neue Verteidigungsgesetz formuliert zwei Schlüs- selprioritäten, die auf erweiterte operationale Verteidi- gungsfähigkeiten sowie auf die Entwicklung eines neu- en „Total Defence“-Konzeptes abzielen. Diese Anstrengungen inkludieren ein verstärktes Trainings- Soldatinnen und Soldaten und für Marineangehörige sowie Investitionen in grundlegende Ausrüstung. Das „Total Defence“-Konzept zielt auf eine enge Zusam- menarbeit zwischen den Streitkräften und den Regie- rungsbehörden ab, wobei lokale politische Entschei- dungsträger, der private Sektor und Freiwilligenorganisationen ebenso erfasst sind, wie der Zivilschutz oder der Schutz der kritischen Infrastruk- tur, um im Falle eines Angriffes die schwedischen Streitkräfte zu unterstützen. - oritäten für den Zeitraum 2016 bis 2020: erstens Ver- besserung der Ausrüstung für Soldaten, der Kommuni- kation und Munition, zweitens Wiederaufnahme von - serung der Fähigkeiten zur U-Bootbekämpfung. Schwedens Politik der Bündnis- und Allianzfreiheit Das Verteidigungsgesetz legt besonderen Wert auf in- ternationale Kooperation. Es wird eine starke transat- lantische Verbindung als kritische Voraussetzung für die Sicherheit Europas und Schwedens bei gleichzeitiger
  • 274. 272 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit mit den USA angestrebt. So unterstützt bereits das „Host Nati- on Support“-Abkommen mit der NATO Schwedens Solidaritätspolitik. Ferner verfolgt Schweden in seiner neuen Verteidigungspolitik die Teilnahme an NATO- Übungen sowie an der NATO Response Force. Die Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO) wird als komplementäres Instrument für die Kooperation mit der NATO gesehen, um Interoperabilität zwischen den teilnehmenden Staaten zu verbessern. Schweden nahm Politik auch weiter beibehalten. Das bilaterale Verteidi- gungsabkommen mit Finnland – die am besten entwi- ckelte Kooperation – beinhaltet auch die Ambition zur Entwicklung gemeinsamer operativer Planungen für alle Szenarien, einschließlich Kriegsszenarien. Alle diese verbundenen Komponenten einer verstärkten militärischen Kooperation unterstützen Schwedens Ambitionen hinsichtlich seiner eigenen Bereitschaft zur militärischen Beitragsleistung, aber auch hinsichtlich der Unterstützung seiner Partner. Insgesamt bedeutet dies, dass Schweden seine Politik der Nicht-Teilnahme an militärischen Allianzen beibehalten wird, wobei sich die praktischen Implikationen dieser Politik der militä- rischen Kooperation von jenen des Kalten Krieges deutlich unterscheiden. Obwohl die aktuelle Regierung deutlich gemacht hat, dass sie keinen Antrag auf NA- TO-Mitgliedschaft stellen wird, haben die Parteien der Allianz ihre Unterstützung für eine NATO-Mitglied- schaft deklariert. Sogar Umfragen verweisen auf eine steigende Zustimmung für eine Mitgliedschaft im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis. In der jährli- chen Umfrage der Swedish Civil Contingency Agency vom Oktober/November 2014 spricht sich eine Mehr- heit der Befragten für eine Mitgliedschaft in der NATO (48 Prozent dafür und 35 Prozent dagegen) aus. Mit die- ser Umfrage hatte die Agentur zum ersten Mal eine Mehrheit für einen Beitritt zur NATO festgestellt. Auch eine andere Umfrage, die von TNS/Sifo im Oktober 2015 durchgeführt wurde, untermauert diesen Mei- nungstrend (41 Prozent für und 39 Prozent gegen eine Mitgliedschaft). Unterstützung für das internationale Krisenmanagement Die Neuausrichtung der schwedischen Verteidigungs- politik exkludiert keinesfalls die Unterstützung für das internationale militärische Krisenmanagement. Schwe- den wird – gemäß dem Parlamentsbeschlus vom No- vember 2015 – auch 2016 an der NATO-Mission „Re- solute Support“ in Afghanistan und an der Ausbildungsmission im Irak (Ausbildung der kurdi- schen Armee) teilnehmen. Schweden wird auch 2016 in Mali engagiert bleiben und MINUSMA weiter unterstützen. Die Flüchtlingskrise – erste Maßnahmen Die Flüchtlingskrise stellt eine weitere Herausforderung für die schwedische Konsenskultur sowie für die selbst gewählte Rolle als „humanitäre Supermacht“ dar. Die schwedische Migrationsbehörde hat im Oktober 2015 bekannt gegeben, dass man bereits 190.000 Asylanträge registriert habe. Damit wurden erste Annahmen sogar um das Doppelte übertroffen, wodurch 29 Mrd. Kro- nen mehr an Budgetmittel erforderlich sind. Als erste Maßnahme gegen den enormen Zustrom an Flüchtlin- gen hat sich die Regierung mit der oppositionellen Alli- anz auf ein Abkommen geeinigt, das Einschränkungen bei der Erteilung permanenter Aufenthaltstitel vorsieht. Die Regierung hat weiters Einsparungsmaßnahmen an- gekündigt, die sich auch auf die neuen Ambitionen in
  • 275. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 273 KERNPUNKTE • Die Aufkündigung des Dezember-Abkommens von 2014 zwischen der Regierung und der Allianz im Oktober 2015 führte zu großen Unsicherheiten bezüglich der langfristigen parlamentarischen Unterstützung für die Regierung. • Im April 2015 wurde ein Verteidigungsabkommen einschließlich einer ersten substanziellen Erhöhung der Ver- teidigungsausgaben nach zwei Dekaden und einer Neuausrichtung der schwedischen Verteidigungspolitik erzielt. • Schweden hält an einer weiteren Vertiefung der verteidigungspolitischen Zusammenarbeit auf Basis bilateraler Verteidigungsabkommen mit den EU-Mitgliedsstaaten und mit der NATO fest. • Die Unterstützung für einen NATO-Beitritt Schwedens ist unter den politischen Parteien wie auch in der öffent- lichen Meinung deutlich gestiegen. • Schwedens selbst gewählter Status einer „humanitären Supermacht“ wird durch die Flüchtlingskrise herausgefordert. KEY NOTES • The December Agreement between the Government and the Alliance fell in October 2015 creating greater uncertainties regarding the long term parliamentary support for the present government. • balancing of Sweden’s defence policy, was reached in April 2015. • Sweden continues to further deepen defence cooperation with member states of the EU and NATO with an increased focus on bilateral defence agreements. • The support for a Swedish membership in NATO has increased both among the political parties and in the public opinion. • Sweden’s self-proclaimed role as a ‘humanitarian superpower’ has been challenged by the refugee crisis. der Verteidigungspolitik niederschlagen könnten. Zu- dem haben Einsparungsmaßnahmen aufgrund des Flüchtlingszustromes auch negative Auswirkungen auf die öffentliche Meinung hinsichtlich Schwedens traditi- oneller Politik der „offenen Tür“. Angesichte der sicher- heitspolitischen Herausforderungen einer sich ver- schlechternden Sicherheitslage in Europa verfolgt Schweden eine Politik der engen internationalen Ko- operation. Deutschland und Österreich werden von Schweden bei der Suche nach einer Lösung für die Flüchtlingskrise als natürliche Partner angesehen. r- rale öffe e KE • • • S Ve Die chen wed sgefo S greement between the Government and the Alliance fell in October 2015 c ng the long term parliamentary support for the present governme was reached in April 2015. swirkungen auf htlich Schw en Tür“. ausford operation. Deutsch der Suche na rliche Pa TE g des Dezember-Abkommens von 2014 zwischen der Regierung und der Al ßen Unsicherheiten bezüglich der langfristigen parlamentarischen Unt n Verteidigungsabkommen einschließlich einer ersten substan h zwei Dekaden und einer Neuausrichtung der schwedisch ren Vertiefung der verteidigungspolitischen Zusa n EU-Mitgliedsstaaten und mit der NATO fes -Beitritt Schwedens ist unter den politis ner „humanitären Supermacht“ ment and the ary suppo
  • 276. 274 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 BALTISCHE STAATEN 2016 Die Sicherheitsagenda der baltischen Staaten wird auch 2016 von der aggressiven und subversiven Politik Russlands dominiert. Die Migrationskrise in der EU wird die baltischen Staaten einerseits unter Druck setzen, andererseits wir sie aber auch eine Chance sein, die ökonomischen Effekte negativer - gesamt wird sich die Wirtschaft im baltischen Raum positiv entwickeln. Die höchste Priorität der EU-Poli- tik der baltischen Staaten wird dem Erhalt der Soli- darität und der Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln angesichts eines aggressiven Russlands zukommen.
  • 277. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 275 Russlands „Hard Power“ Die sicherheitspolitische Agenda der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wird im Jahr 2016 durch Bedenken im Zusammenhang mit Russlands aggressi- vem Verhalten gegenüber NATO und EU und dessen Versuchen, die gegenwärtige europäische Sicherheits- ordnung zu beseitigen, dominiert sein. Angesichts der relativen militärischen Schwäche der baltischen Staaten, der nicht vorhandenen ständigen militärischen Präsenz der NATO und des sich daraus ergebenden ernstzuneh- menden Ungleichgewichts militärischer Kapazitäten in der Region werden die Bedrohungen durch Russlands militärische Macht und deren nachdrücklicher Einsatz an der Spitze der Wahrnehmungen stehen. Russland wird in der Umgebung der baltischen Staaten weiterhin größere und kleinere unangekündigte militärische Ma- növer (auch in Zusammenarbeit mit Weißrussland) durchführen und sein militärisches Potential in der En- klave Kaliningrad und im Westlichen Militärbezirk er- höhen. Dies beinhaltet auch die Stärkung seiner Kapa- zitäten zur gewaltsamen Verhinderung des Zugangs in die Ostsee. Somit könnte im Krisenfall ein Einsatz der schnellen NATO-Eingreiftruppe zur Unterstützung der baltischen Staaten gefährdet sein. Durch Russlands pro- vokantes militärisches Auftreten in der Region könnte es letztendlich wegen eines Missverständnis oder eines Versehens zu einem Waffeneinsatz kommen. Russlands subversive Strategien und Aktivitäten Russland wird seine so genannten „shaping operations“, also Aktivitäten zur Feststellung, Verschärfung oder so- - ellen, sozialen, humanitären oder anderen (zum Beispiel bei kritischer Infrastruktur oder im Cyberraum) beste- henden Verwundbarkeiten fortsetzen. Diese sollen dann zur Schwächung und Destabilisierung der baltischen Staaten und, falls die interne politische Dynamik Mos- kaus dies erfordert, als Rechtfertigung oder Unterstüt- zung für eine Militärintervention genutzt werden. Mos- kau wird darüber hinaus gegenüber den baltischen Staaten unterschiedliche offene und verdeckte Maßnah- - sellschaft, zur Unterminierung des sozialen Zusammen- haltes, zur Schwächung der Struktur liberaler demokratischer Werte sowie zur Diskreditierung und Isolation in den Augen ihrer EU- und NATO-Partner zur Anwendung bringen. Russland wird weiter versu- chen, einerseits in die politischen, administrativen, öko- - demischen Eliten bzw. Institutionen der baltischen Staaten einzudringen sowie andererseits seine Anstren- gungen fortzusetzen, die öffentliche Meinung zu for- men und den Ausgang von Wahlen – z.B. der Parla- mentswahlen in Litauen im Herbst 2016 – zu Auswirkungen der russischen „shaping operations“ auf die russophoben Minderheiten sein. Dies könnte 2016 schließlich dazu führen, dass Moskau die Möglichkeit und Notwendigkeit erkennt, eine komplexe Destabili- sierungskampagne in einem oder mehreren baltischen Staaten durchzuführen und so die Solidarität von NATO und EU und deren Willen zur Eindämmung Russlands zu testen. Herausforderung Migration Die Massenmigration in die EU ist ein politischer und - ten in den baltischen Staaten, speziell durch Stärkung -
  • 278. 276 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Kreml, genutzt werden könnte. Die Ankunft und An- siedlung einer kleinen Zahl von Flüchtlingen im Rah- men der EU-weiten Quotenregelung könnte 2016 ge- walttätige Proteste und rassistisch motivierte Übergriffe auslösen. Allerdings haben es die baltischen Staaten be- reits mit einer kleinen aber ständig steigenden Zahl von illegalen Einwanderern, hauptsächlich aus Südost- und Südasien, welche die EU-Außengrenze mit Russland und Weißrussland überschreiten, zu tun gehabt. 2016 wird sich deren Zahl erhöhen, speziell wenn Russland den Balkan als bevorzugte Transitroute für Flüchtlinge Europa und speziell nach Skandinavien ablöst. Dies den Migrations- und Sicherheitsbehörden, bei der Sozi- alhilfe, für die Infrastruktur und bei allgemeinen Dienstleistungen sowie für den sozialen Zusammenhalt in den baltischen Staaten führen. Energiesicherheit Migration und Ansiedlung von Flüchtlingen könnten seitens der Wirtschaft der baltischen Staaten als Mög- einer speziell im Falle Lettlands und Litauens hohen - schen Entwicklungen werden sich 2016 fortsetzen und damit den Mangel an Facharbeitern in den baltischen Staaten akzentuieren und die Nutzung des vollen Po- tentials der Wirtschaftsentwicklung verhindern. Die baltischen Staaten werden 2016 ein bescheidenes, je- doch im Verhältnis zur übrigen Eurozone starkes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum aufweisen. Das vor- hergesagte Wachstum des BIP für die drei Länder soll bei drei Prozent liegen, die Arbeitslosenrate soll weiter auf sechs bis acht Prozent fallen. Dennoch könnte durch eine Rezession oder ein geringes Wachstum in den wichtigsten Exportmärkten wie Skandinavien, Russland oder Deutschland eine Verlangsamung des Wachstums eintreten. Die baltischen Politiker werden 2016 der Sicherstellung der Energieversorgung weiter- hin die größte Aufmerksamkeit widmen. Trotz großer Fortschritte bei der Entwicklung und Einführung neu- er Energieinfrastruktur, welche die baltischen Staaten mit der EU und den globalen Energiemärkten verbin- det, bleiben die baltischen Staaten gegenüber einer Ma- nipulation der Energieversorgung als russische Maß- ziemlich verwundbar. EU-Solidarität als oberste Priorität Die EU-Politik der baltischen Staaten wird im Jahr 2016 hauptsächlich darauf ausgerichtet sein, die Solidarität innerhalb der EU und ihre Fähigkeit zu gemeinsamen Handeln im Falle großer Krisen und Sicherheitsheraus- forderungen zu erhalten. Ein schwer wiegender Zusam- menbruch der Solidarität droht letztlich 2016 unter dem Druck einer anhaltenden Flüchtlingskrise, einer mögli- - niens sowie einer Wiederaufnahme des Krieges in der Ukraine oder der russischen Anstrengungen zur Unter- minierung der unterschiedlichen EU-Politiken. Die bal- tischen Staaten sind besonders über den Anstieg oder die Verfestigung der EU-kritischen Einstellungen in verschiedenen Staaten einschließlich Ungarns, der Slo- wakei, Tschechiens und Polens besorgt. Österreichs Haltung gegenüber den Russland-Sanktionen wird ebenso wie seine bilateralen Beziehungen zu Russland bei der Energieversorgung in den baltischen Hauptstäd- ten genau beobachtet.
  • 279. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 277 KERNPUNKTE • Die Sicherheitsagenda der baltischen Staaten wird 2016 von Drohungen des russischen Regimes, seiner aggressiven Politik, sowie seiner subversiven Aktivitäten dominiert. • Die Migrationskrise in der EU wird 2016 die baltischen Staaten unter Druck setzen, könnte aber auch auszugleichen. • Trotz eines nur leichten Wachstums und anhaltender Verwundbarkeit durch externe Faktoren wie einen plötz- lichen Abschwung oder eine anhaltende Rezession in den wichtigsten Exportmärkten bzw. eine mögliche Un- terbrechung der Energieversorgung durch Russland wird sich die positive Entwicklung des Wirtschaftswachs- tums in den baltischen Staaten fortsetzen. • Die höchste Priorität der EU-Politik der baltischen Staaten wird dem Erhalt der Solidarität innerhalb der EU so- wie ihrer Entschlossenheit und Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln angesichts vielfältiger Sicherheitskrisen und eines aggressiven Russlands zukommen. • Wachsende Anti-EU-Stimmung, speziell in einigen mitteleuropäischen Staaten, sowie der Hang einiger EU- Staaten zur Beschwichtigung Russlands und zur Rückkehr zum „business as usual“ in den Beziehungen zu Einheit und der Solidarität in der Union gesehen. KEY NOTES • Threats posed by Russia’s regime, its aggressive policies as well as subversive activities will dominate the security agenda of the Baltic states in 2016. • Migration crisis in the EU will put pressure on the Baltic states in 2016 but may also be seized as an opportu- nity to begin offsetting the economic effects of negative demographic trends. • The Baltic states will stay on the positive trajectory of economic growth in 2016, although the growth will remain modest and vulnerable to the external factors such as a sudden downturn or continuing recession in major export markets or possible energy supply disruptions by Russia. • Preserving the EU solidarity as well as its will and ability for common action in the face of multiple security cri- ses and aggressive Russia will remain key priorities of the EU policy of the Baltic states in 2016. • Growing anti-EU sentiments, especially in a number of Central European nations, as well as Austria’s propen- sity for appeasing Russia and returning to “business as usual” in relations with Moscow will be seen by the NP ie Sicherheitsagenda der baltischen Staaten wird 2016 von Drohungen des russischen Regimes, seine agg Die a Trotz eines nur leichten Wachstums und anhaltender Verwundbarkeit durch externe Faktoren wie einen plöt lichen Abschwung oder eine anhaltende Rezession in den wichtigsten Exportmärkten bzw. eine mögliche U terbrechung der Energieversorgung durch Russland wird sich die positive Entwicklung des Wirtschaftswac um ie höchste Priorität der EU-Politik der baltischen Staaten wird dem Erhalt der Solidarität innerhalb der E ihrer Entschlossenheit und Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln angesichts vielfältiger Sicherheitsk eine ende Anti-EU-Stimmung, speziell in einigen mitteleuropäischen Staaten, sowie der Hang einig ur Beschwichtigung Russlands und zur Rückkehr zum „business as usual“ in den Bezie Solidar s aggressive policies as well as su KTE tsagenda der baltischen Staaten wird 2016 von Drohungen des russischen Reg litik, sowie seiner subversiven Aktivitäten dominiert. se in der EU wird 2016 die baltischen Staaten unter Druck setzen, könn Wachstums und anhaltender Verwundbarkeit durch extern ne anhaltende Rezession in den wichtigsten Exportmä orgung durch Russland wird sich die positive Entw n fortsetzen. ik der baltischen Staaten wird dem Erha igkeit zu gemeinsamem Handeln an kommen. in einigen mitteleuropäisch und zur Rückkehr zum „ en. ic
  • 280. 278 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 GRIECHENLAND 2016 Die Krise geht weiter John M. Nomikos - fasst Einschätzungen der Europäischen Union, des In- ternationalen Währungsfonds und Berichte internationa- Verbesserung. Es ist mit politischer Instabilität zu rechnen. Die Partei „SYRIZA“ behält die Kontrolle über das Parlament, ist aber in dieser Rolle gefähr- det. Das jüngste Hilfsprogramm wird nur von einer Handvoll Politikern, sogenannten „Meinungsma- chern“ und einer Minderheit von „Europafreunden“ nicht als katastrophal eingeschätzt.
  • 281. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 279 ler Medien und Analysten. Die zweite richtet sich auf die Realität im Land. Diese beiden Sichtweisen haben nichts miteinander zu tun. Die erste Sichtweise führt zu einem Wiederkäuen von Zahlen und dem Ruf nach Reform. Diese Vorschau folgt Sichtweise Nummer zwei. Politik Zukunft des Bündnisses ist jedoch keineswegs sicher. Hindernisse dar. Es könnte zu verbreitetem friedlichen Widerstand gegen die verlangten Maßnahmen kommen. - kommen: ein weiterer Rückgang des Steueraufkommens, - ZA bleibt gespalten, was bis auf weiteres durch die Unei- nigkeit der Opposition aufgewogen wird. Bemühungen, der Korruption entgegenzutreten, bleiben im Ansatz ste- cken. Die brutale Senkung der Familieneinkommen - genentwurf zu früheren Regierungen erwiesen, die weit- hin als Kollaborateure in der Zerstörung des Landes, im Verlust seiner Souveränität und in seiner „neuen Besat- zung“ gesehen werden. Politisches Patt Keine der politischen Parteien ist zu jenen Reformen fä- hig, die notwendig wären, um der gegenwärtigen Katas- trophe zu begegnen und tatsächlich nationale Interessen nachgegeben und so den Beweis für diese Beurteilung geliefert. Nach dem Verlust seiner staatlichen Souveräni- - kolonie der EU. Wirtschaft Kapitalverkehrskontrollen haben den Inlandsmarkt er- stickt. Zumindest während der nächsten sechs Monate ist es unwahrscheinlich, dass sie aufgehoben werden. Im Jahr 2016 wird das BIP um mindestens 1,3 % schrump- fen. Die Staatsschuld wird auf 193 % des BIP klettern. Die Steuereinnahmen werden um 2,5 Milliarden Euro steigen. Die Inlandsnachfrage wird um mindestens 2,1 % weiter zurückgehen. Die Arbeitslosigkeit wird 25,8 % betragen, wobei die Zahlen der Regierung die Arbeitslo- sigkeit routinemäßig zu niedrig angeben, indem die Ein- als arbeitslos gemeldet sind, manipuliert wird. Auswirkungen der Austeritätspolitik 2016 werden die Verarmung und die Ausplünderung der - land aufgezwungene Binnenabwertung die Löhne der griechischen Arbeiter auf 35 % unter dem EU-Durch- schnitt gedrückt. Der jüngste Bericht der „Eurobank“ - land weitere 5,7 Milliarden Euro (3,5 % des BIP) kosten - sion sieht der Bericht seine eigene Vorhersage als „mög- licherweise optimistisch“ an. Eurofetischismus Die griechische Bevölkerung hält an ihrem Eurofeti- schismus fest. Dieser geht so weit, dass alternative Ansät- ze zur Lösung der griechischen Krise diskreditiert und - gesprungen ist, zementiert den Eurofetischismus weiter.
  • 282. 280 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Griechenlands Abstieg geht weiter. • Rettungsprogramme und Austeritätspolitik haben in eine Sackgasse geführt. • 2016 werden die Sicherheitsrisiken weiter zunehmen. • Mit einem gefährlichen Aufstieg der neonazisti- scher politischer Parteien muss gerechnet werden. • Die politische Unordnung verhindert dringend not- wendige Reformen. • Ein fundamentaler gesellschaftlicher Wandel ist unwahrscheinlich. Außen- und Sicherheitspolitik Die rapide Verschlechterung der Lage in der Türkei stellt telbarer Nachbarschaft dar. Die Türkei benutzt die ille- gale muslimische Immigration als strategisches Instru- ment, um Europa unter Druck zu setzen, was die wird seinen bekannten lauwarmen Ansatz zur Sicherung Hinweis darauf, dass die griechischen Streitkräfte ir- gendeine bedeutsame Rolle beim Kampf gegen illegale Einwanderung spielen könnten. Die Arbeit der griechi- schen Polizei wird von inneren Schwächen, Korruption, Der Aufstieg der extremen Rechten Die offen neonazistische und antisemitische Partei der Fraktion im griechischen Parlament. Bei den Wahlen vom 20. September 2015 errang sie mit 379.581 Stim- men 6,99 %. Die Tatsache, dass gegen fast alle ihrer Ab- geordneten Anklage wegen schwerer Verbrechen – ein- schließlich Mordes – erhoben wurde, wirkte sich an der Wahlurne kaum aus. Die Partei wird weiter wachsen, da ne Morgenröte zur zweitstärksten Kraft aufsteigen und die größte Oppositionspartei werden. Konsequenzen für Europa Maßnahmen haben eine „Ansteckung“ durch die grie- chische Krise abgewandt. Die griechische Frage ist eine Bombe, die jederzeit hochgehen kann. Dass der Austeri- tätspolitik kein breiter Widerstand im Volk entgegen- chenland sei „gezähmt“. Dem ist nicht so. Die für die schaft Verantwortlichen haben damit dem Import von Instabilität den Boden bereitet, wie die illegale Immigra- tion zeigt. Europa sollte sich besinnen und seinen Blick von den Schulden ab- und der Sicherheitslage zuwenden. KEY NOTES • Greece‘s descent continues. • Bailouts and austerity policies have led to a dead end. • In 2016 security risks are going to increase. • A dangerous rise of neo-Nazis is to be expected. • Political disorder prevents urgently needed reforms. • Fundamental social change is unlikely. nsatz zur Sicherung e griechi me Roll spielen i wird Auf off rak om men ben en. t- st eor chli ahl enröt Oppo chenland sei „gezähm aben dam wie die n und slage to a o incr s is to nts urge damental socia KERNPUNKTE • Griechenlands Abstieg geht weiter. • Rettungsprogramme und Austerität in eine Sackgasse geführt. • 2016 werden die Sicherheitsris zunehmen. • Mit einem gefährlichen Auf scher politischer Parteie • Die politische Unordnu wendige Reformen. • Ein fundamentale unwahrscheinlic eg der extremen Rechten istische und antisemitische Partei der hen Parlament. Bei den Wahlen 5 errang sie mit 379.581 Stim- dass gegen fast alle ihrer Ab- chwerer Verbrechen – ein- wurde, wirkte sich an der wird weiter wachsen, da steigen und KEY NOTES • Greece‘s de • Bailouts a end. • In 20 • A d •
  • 283. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 281 IRLAND 2016 Ben Tonra Weil es keine schnellen Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes von Ressourcen vornimmt, ist das Weißbuch keine strategische Verteidigungsbewertung. Es legt viel- mehr die Ambitionen hinsichtlich einer Balance zwischen Land-, See- und Luftstreitkräften, angemessener maritimer und Luftverteidigungskapazitäten sowie substanzieller Ka- pazitäten für militärische Auslandseinsätze fest. Mit Blick auf den internationalen Beitrag stellt das Weiß- buch fest, dass Irland am besten zu jenen friedenserhalten- Im Jahr 2015 veröffentlichte Irland – erst zum zwei- ten Mal in der Geschichte des Landes – ein neues Weißbuch zur Verteidigung. Die Bedrohungsanalyse basiert auf der Annahme, dass das Staatgebiet kei- nen direkten Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt ist. Dennoch muss Irland sowohl für nationale und internationale Anlassfälle planen, als auch seine hart erworbene und wertvolle Reputation als Bei- tragsleister zum internationalen Engagement für Frieden und Sicherheit erhalten.
  • 284. 282 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 den Missionen beitragen kann, die im anspruchsvolleren Spektrum angesiedelt sind; quasi als Brücke zwischen den traditionellen Blauhelmmissionen und den intensiveren in- teroperablen NATO-Kapazitäten. Irlands Festlegung auf eine bündnisfreie, aber hoch entwickelte Fähigkeit eines - ches das Potential dazu hat, beträchtliche Anerkennung zum einen im internationalen Bereich, zum anderen als Beitrag zur Sicherheit der Heimat zu erfahren. Irlands politische und wirtschaftliche Situation Irland erholt sich derzeit von den Auswirkungen einer bei- spiellosen Rezession und muss, als Konsequenz der Fi- nanzkrise von 2008 bis 2011, weiterhin die Kosten von 64 Mrd. Euro verstaatlichter Bankenkredite tragen. Die iri- sche Wirtschaft entwickelt sich am stärksten in Europa, und erst kürzlich hat die Europäische Kommission be- kannt gegeben, dass das irische Wachstum im Jahr 2015 die 6 %-Marke überspringen wird. Die Auswirkung dieses Wachstums auf die Beschäftigung ist ebenfalls bemerkens- 15,1 % im Jahr 2012 auf gegenwärtig 8,9 %. Der ursprüng- lich bestandene Unterschied in Wachstum und Beschäfti- gung zwischen dem Exportsektor und der Binnenwirt- schaft scheint sich ebenfalls auszugleichen, was sich auch in der Inlandsnachfrage und in den steigenden Steuerein- nahmen widerspiegelt. Diese Faktoren ermöglichen eine geringe Budgeterhöhung für 2016, ohne dabei die Vorga- ben der EU und des Internationalen Währungsfonds aus den Augen zu verlieren. Das nun vorliegende Budget wird das letzte der aktuellen Regierung, bestehend aus Christde- - ty), sein. Aktuelle Meinungsumfragen für die im Frühjahr - litische Landschaft, in der die derzeit regierenden Parteien gemeinsam mit lediglich 37 % der Stimmen rechnen kön- - pierungen und Parteien aus dem gesamten politischen Spektrum zusammen. Aus heutiger Sicht ist nicht abseh- bar, welche Regierung im Amt ist, wenn das Land den hundertsten Jahrestag der Unabhängigkeit im Jahr 1916 ze- lebrieren wird. Eine große strategische Herausforderung für die irische Regierung wird im Jahr 2016 die Debatte um den briti- schen Austritt aus der EU, den sogenannten „Brexit“, dar- - wirkungen für Irland, vor allem aufgrund der engen sozioökonomischen Beziehungen zwischen den beiden In- seln. Darüber hinaus könnte es akute politische und diplo- matische Konsequenzen für die grenzüberschreitenden Beziehungen mit Nordirland (als Teil des Vereinigten Kö- nigreichs) haben. In einem „Worst case scenario“ besteht - rollen mit deutlichen Auswirkungen sowohl auf den Frie- densprozess in Nordirland als auch auf die grenzüber- schreitende Sicherheit. Migration Die europäische Migrationskrise zeigt die besondere Be- deutung weitreichender multilateraler Sicherheitsfragen. Während Irland als Nicht-Schengen-Staat nicht direkt be- troffen ist, hat es eine klare Entscheidung getroffen, Unter- stützung zu leisten. Der Staat hat sich freiwillig bereit er- aufzunehmen und mit maritimen Kräften (derzeit Pat- rouillenboot „Samuel Beckett“) die europäischen Anstren- gungen im Mittelmeer zu unterstützen. Bei diesem Einsatz handelt es sich nicht um einen Teil der umfassenden EU- Sicherheitsmaßnahmen, wie z.B. die multinationale militä- rische Krisenbewältigungsoperation EU NAVFOR Med,
  • 285. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 283 sondern vielmehr um einen unilateralen humanitären Bei- maritime Beitragsleistungen normalerweise der Autorisie- rung durch die Vereinten Nationen, wobei humanitäre Hilfeleistungen nicht unter diese Einschränkung fallen. Als rein humanitäre Mission, die bis dato etwa 10.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat, genießt sie breite öffentliche Unterstützung. Sie wird im Jahr 2016 fortgeführt und könnte, wenn es die Lage erfordert, sogar ausgedehnt werden. Afrika Auch in Afrika leistete Irland einen entsprechenden Bei- trag. Irlands Verbindungen nach Afrika reichen von lang- fristiger Missionarstätigkeit und anderer kirchennaher Be- ziehungen bis zu aktuelleren Engagements, die durch Irlands relativ umfangreiches EZA-Programm ermöglicht werden (mehr als 600 Mio. Euro; 0,38% des Bruttonatio- naleinkommens). Irland hat in der Vergangenheit mit subs- tanziellen Kontingenten zu Missionen wie EUFOR - onskommandanten) und Trainingsmission (EUTM) in So- malia beigetragen. Derzeit beteiligt sich Irland sowohl an MINURSO in Westsahara und MONUC in der Demokra- tischen Republik Kongo als auch an der Trainingsmission (EUTM) in Mali. Nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 befürwortete die Regierung das Ansu- chen Frankreichs, einen größeren Beitrag in Mali zu leis- ten. Diese irischen Beiträge werden auch im Jahr 2016 ge- leistet werden. Eine irische Version der GSVP - - aktiven UN und EU-UN-Kooperation – wird als zentraler Baustein der irischen Ambitionen zum „Schutz unserer souveränen Rechte und dem Entwickeln unserer souverä- nen Interessen, in Übereinstimmung mit unseren Prinzipi- Kontext – als „zentral für die Erreichung vieler Ziele der kollektiven Sicherheit Irlands“ wahrgenommen. Die - operationen auf einer höheren strategischen Ebene teilzu- nehmen, als dies in klassischen UN-Operationen möglich wäre. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten, die iri- schen Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten zu erhö- hen. Zusätzlich gilt es zu erwähnen, dass die irische Inter- operabilität mit den EU-Partnern durch die Mitgliedschaft in der NATO-Partnerschaft für den Frieden (PfP) gestärkt worden ist. Das Weißbuch unterstreicht, dass „Irland einen starken Beitrag der EU zu den friedenserhaltenden Maß- nahmen der UN und zum UN-Krisenmanagement unter- stützt“ und dass „Irland weiterhin im Spektrum der ko- operativen und kollektiven Sicherheitsformate innerhalb der EU, der UN, der OSZE und auf bilateraler Ebene mit anderen Staaten seinen Beitrag leisten wird.“ Unter diesen - fänglichen und aktiven Beitrag in allen Bereichen der - ten und Prinzipien leisten. Bilaterale Möglichkeiten Österreichs mit Irland Die Möglichkeiten für irisch-österreichische Kooperati- Während die sich entwickelnde Sicherheitssituation in Europa sicherstellen wird, dass die Staaten Europas wei- terhin ihre Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen einem aktiven Überprüfungsregime unterwerfen wer-
  • 286. 284 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Irland ist kein Schengen-Land, wird sich aber 2016 weiterhin mit maritimen Kräften (Patrouillenboote) an humanitären Einsätzen beteiligen. • Die irischen Streitkräfte werden sich auch im Jahr 2016 an EUTM Mali beteiligen und ihr Engagement in dieser Operation verstärken. • Das Weißbuch kommt zum Schluss, dass Irland am besten durch Beteiligungen an Friedensoperatio- nen höherer Intensität seinen Beitrag leisten kann. • 2016 bietet bemerkenswerte Möglichkeiten für irisch-österreichische Kooperationen. den, kann man davon ausgehen, dass Österreich und Ir- land einen gewissen gesamtstrategischen Ansatz teilen. Beide formulieren ihr europäisches sicherheits- und ver- nierten nationalen Ansatz heraus. Dieser priorisiert ein breites multilaterales Engagement, mit klarem Vorrang für eine UN-zentrierte Sicherheitsarchitektur und einem aktiven Engagement mit dem Ziel der Stärkung der nati- onalen Verteidigungsfähigkeiten durch multilaterale Ko- operation. Die Mitwirkung in Formaten wie der Euro- päischen Verteidigungsagentur (EDA), dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) oder der PfP ermöglicht beiden Staaten die Nutzung bilateraler und weiter gefasster multilateraler Wege der Kooperation, ohne dabei eigene Kernambitionen oder nationale politi- sche Ausrichtungen zu kompromittieren. Das Weißbuch trägt der Entwicklung von bilateralen Verteidigungs- kooperationen Rechnung und legt fest, dass „mehr bila- terale Beziehungen mit anderen Staaten zu Irlands Si- cherheit, Verteidigung, der internationalen Friedenserhaltung und den Krisenmanagementeinsätzen beitragen werden.“ Bereits bestehende bilaterale Bezie- hungen mit Finnland, Schweden, den Niederlanden und dem Vereinten Königreich könnten 2016 auch auf Ös- terreich ausgedehnt werden. Das Programm einer sol- kann den Austausch von Stabspersonal, die Entsendung von Verteidigungsattachés, bilaterale Absichtserklärun- gen im Bereich der Verteidigung und andere zivil-militä- rische Verbindungen auf Ebene der Stäbe umfassen. KEY NOTES • Ireland is not part of the Schengen Area but will continue with humanitarian deployments of its na- val off-shore patrol vessels OPVs to the Mediterra- nean in 2016. • Irish forces are also actively engaged in the EUTM Mali training mission and will undertake a greater share of that operation in 2016. • The White Paper concludes that Ireland can most usefully contribute to higher-end peacekeeping missions. • The opportunities for Irish-Austrian cooperation in K • w an Die 016 eser eißbu urch B ntens erkensw Kooperat h multilaterale Ko- Formaten agentur wärtige en Sta ter m ei eig usrich terreich ausgedehnt w tabspers erale A ander e umf na- erra e EU e a g relan end pe s for Irish nd, wird sich aber 2016 en (Patrouillenboote) igen. ch auch im Jahr hr Engagement s Irland am eratio- kann. htungen zu kompromittieren. Das Weißbuch KEY NOTES • Ireland is not part of continue with hum val off-shore pa nean in 2016 • Irish forces Mali train share o • The W us •
  • 287. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 285 ITALIEN 2016 Stefano Silvestri Innenpolitische und internationale Faktoren bestimmen Italiens längerfristiges Sicherheitsszenario. Wirt- schaftlich scheint sich die Lage des Landes zu verbessern, sodass es langsam die Rezession hinter sich lässt. Das Wachstum ist jedoch niedrig, und es gibt weder eine Garantie dafür, dass es sich beschleunigt, noch dafür, dass es überhaupt andauert. Die politische Lage spiegelt zum Teil diese Ungewissheiten wie- der, leidet aber auch unter dem langwierigen Generationenwechsel und der tiefen Krise der traditionellen politischen Parteien, die aufgerufen sind, sich um Konsens zu bemühen und eine neue politische Führungs- schicht hervorzubringen. Bei den jüngsten Wahlen errangen „antipolitische“ Parteien – insbesondere die Lega Nord und die Cinque Stelle – etwa ein Viertel der Stimmen. Ihre antieuropäische Rhetorik verstärkt die Mehr direkte militärische Interventionen im Jahr 2016 Angesichts der internationalen Rahmenbedingungen am Ende des Jahres 2015 kann man sich für Italien so- wie für Europa insgesamt nur schwerlich ein Szenario stabiler Sicherheit vorstellen. Alle Nachbarregionen sind in Aufruhr und ihre absehbare Entwicklung wirkt nicht - hararegion sowie im Nahen Osten dauern an. Die grö- vermehrt direkt militärisch intervenieren. Als positiv ist der erfolgreiche Abschluss des Nuklear- die Stellvertreterkriege dauern allerdings unverändert an.
  • 288. 286 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Massive Migrationsströme und die Gefahr von Populismus und Nationalismus Europa – und insbesondere Italien – stehen weiterhin durch die massiven Migrations- und Flüchtlingsströme un- ter großem Druck. Zwar hat eine Mehrheit europäischer Regierungen einer europaweiten Politik der Solidarität zu- gestimmt, doch können die Regierungen diese mangels ei- nes innenpolitischen Konsenses nur sehr begrenzt umset- zen, während Populismus und Nationalismus im Ansteigen begriffen sind. Der europäische Zusammenhalt Während der europäische Zusammenhalt unter Druck ge- raten ist, spielt Russland vermehrt seine „militärische Kar- te“ aus. Es tut dies mit massiven Militärmanövern, direkter Intervention in Syrien, militärischem, politischem und wirtschaftlichem Druck auf die Ukraine sowie der Statio- nierung neuer Waffensysteme (einschließlich den INF-Ver- trag möglicherweise verletzender nuklearfähiger Systeme) in seinem europäischen Teil. Besonders betroffen ist Italien von der beunruhigenden Lage in Libyen, den längerfristigen Aussichten für Sicher- heit und Stabilität in Nordafrika und der fragilen Sicher- heitslage am Balkan. Überdies erhöht die Entscheidung der katholischen Kirche, beginnend im Dezember 2015 ein Heiliges Jahr auszurufen, die Wahrscheinlichkeit terro- ristischer Anschläge. Italiens Streitkräfte und Verteidigungsbudget Die italienischen Streitkräfte sind derzeit u. a. in Afghanis- tan, im Irak und im Libanon stationiert. Im Jahr 2016 und in der absehbaren Zukunft wird sich daran nichts ändern. Ihre Stationierung macht die Politik Italiens und seine Ver- Seltsamerweise führt die größer gewordene Verwundbar- keit nicht zu einem merklichen Anstieg des italienischen Verteidigungsbudgets, wenn auch Maßnahmen zur Erhö- hung der Wirksamkeit der bestehenden Kräfte angekün- digt, aber noch nicht umgesetzt worden sind. In dieser Lage kommt der NATO und insbesondere den USA eine größere Verantwortung für die italienische Si- cherheit – und die europäische Sicherheit insgesamt – zu, sodass eine erhebliche Verstärkung der US-amerikani- schen Militärpräsenz in Europa erforderlich ist. Allerdings könnte dies die politischen Beziehungen zu Russland wei- ter belasten. Gefühlte Unsicherheit Weder heute noch auf absehbare Zeit ist eine unmittelbar bevorstehende militärische Bedrohung – insbesondere Ita- liens – feststellbar. Die brüchig werdende europäische Soli- - Unsicherheit. Terroranschläge auf italienischem Boden und/ oder gegen italienische Zivilisten und Soldaten im Ausland würden diesen Prozess beschleunigen, die Wahr- scheinlichkeit innenpolitischer Instabilität erhöhen und Druck setzen. Solidarität unter Verbündeten Aus italienischer Sicht wird die Sicherheit nicht unmittel- bar bedroht, es schleichen sich aber wachsende Ungewiss- heit und verringerte Solidarität unter den Verbündeten ein. Diese Aussichten sind zutiefst beunruhigend, hat die italie- nische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik doch seit
  • 289. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 287 KERNPUNKTE • Die massiven Migrations- und Flüchtlingsströme dauern 2016 an. • Die italienischen Streitkräfte sind derzeit in Afgha- nistan, im Irak und im Libanon stationiert und wer- den dies wahrscheinlich auch 2016 bleiben. • Die größere Verwundbarkeit führt nicht zu ei- nem merklichen Anstieg des italienischen Verteidigungsbudgets. • Das Brüchigwerden der europäischen Solida- rität führt zu einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit. • Für 2016 ist das Sicherheitsszenario nicht unmit- telbar bedrohlich, es schleichen sich aber wach- sende Ungewissheit und verringerte Solidarität un- ter den Verbündeten ein. Ende des Zweiten Weltkriegs hauptsächlich auf belastbarer die Verbündeten Italien helfen würden, beruht. Im schlimmsten Falle entstünde ein Teufelskreis, in dem innere und internationale Unsicherheiten einander verstär- ken, die Differenzen zwischen Italien und seinen Verbün- deten verstärken, die allgemeine Fragmentierung voran- treiben und Italiens Sicherheitslage schwächen. All dies würde gewiss gegen den Willen der heutigen italie- nischen Regierung und der Mehrheit der italienischen Wähler erfolgen, könnte sich aber zwingend ergeben, wenn die regierenden Parteien weitere herbe Verluste erlei- den oder sich die internationale Lage weiter verschlechtern sollte. Kooperationen mit Österreich Österreich und Italien kooperieren auch im militärischen Bereich im Rahmen regionaler Kooperationsformate. Auch im Zuge von Einsätzen unter Führung der Vereinten Nationen (UNIFIL), der Europäischen Union (EUNAV- FOR MED) oder der NATO (KFOR) gibt es gemeinsame Kooperationsfelder. Bilaterale Kooperation mit Italien gibt es mit Schwergewicht im Bereich der Ausbildung, u. a. bei der Pilotenausbildung. Das wichtigste regionale Kooperationsformat ist in diesem Zusammenhang die Defence Cooperation Initiative (DECI). Dafür sind vier Kooperationsfelder – Politisch- Militärische Kooperation in sicherheitspolitisch relevanten Themenbereichen, Operationen/Ausbildung, Rüstungsbe- reich und Fähigkeitsentwicklung – vereinbart worden. Ita- lien ist Führungsnation, weiters beteiligen sich Ungarn, Slowenien, Österreich und Kroatien (Beobachterstatus). 2017 werden die beteiligten Länder einen aktiven Beitrag für die EU-Battlegroups leisten. Die Aufnahme von weite- ren Partnern in Südosteuropa könnte zur Stärkung der Si- cherheit in der Region beitragen. Albanien hat kürzlich die Aufnahme in die DECI beantragt. KEY NOTES • es 2016. • Italian military forces are presently engaged in Af- ghanistan, Iraq and Lebanon, and are likely to re- main there in 2016. • The perception of a greater vulnerability is not Defence budget. • The loosening of European solidarity is fostering a mounting perception of insecurity. • The security scenario for 2016 is not immediate- ly threatening but is slowly degrading to forms of increasing uncertainty and lower solidarity among the allies. K • D nist en d größ erklic ngsbu erden d wachse o nicht unmit- einander verstär- Italien und gemeine s Sicher rde ge Regie er erf n die n od ollte Ko Ö B der Pilotenausbild e Koope Cooper ionsfel politis ng, R wor Unga statu eitr wei er S h d ed in ely t bility ean so ption of i ecurity scena ly threat nd Flüchtlingsströme nd derzeit in Afgha- tioniert und wer- bleiben. t zu ei- n rfolgen, könnte sich aber zwingend ergeben, egierenden Parteien weitere herbe Verluste erlei- die internationale Lage weiter verschlechtern mit Österreich ooperieren auch im militärischen aler Kooperationsformate. reich und Fähigkeitsentwicklung vereinbart w lien ist Führungsnation, weiters beteiligen sic Slowenien, Österreich und Kroatien (Beob 2017 werden die beteiligten Länder einen für die EU-Battlegroups leisten. Die A ren Partnern in Südosteuropa könnt cherheit in der Region beitragen. A Aufnahme in die DECI beantra KEY NOTES • es 2016. • Italian milita ghanistan main th • The p D •
  • 290. 288 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 TSCHECHIEN 2016 Libor Frank GSVP Im Hinblick auf die fortdauernde Migrationskrise wird die Tschechische Republik auch weiterhin für strengere und komplexere Maßnahmen eintreten, um auf Ebene der EU illegale Migration zu verhindern bzw. zu steu- ern. In diesem Zusammenhang gilt das besondere Au- Kürzlich überarbeitete strategische und administra- tive Dokumente tragen dem veränderten Sicher- heitsumfeld Rechnung und bilden den Rahmen für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Tschechischen Republik. Die das Jahr 2016 beherr- Ukraine und in Syrien sowie die selbstbewusste Au- ßenpolitik Russlands, die eine Bedrohung für den Ostteil der NATO darstellt, sein. Die tschechische Wirtschaft wird auch weiterhin wachsen, wobei für 2016 ein überdurchschnittliches Wachstum des BIP im Ausmaß von 2,7 Prozent erwartet wird. Die Ar- mit 1,3 Prozent geschätzt. genmerk der Tschechischen Republik der geplanten Überarbeitung der europäischen Sicherheitsstrategie, wobei eine größtmögliche Übereinstimmung dieser Strategie mit ihren eigenen, kürzlich überarbeiteten strategischen Dokumenten – insbesondere im Hinblick auf Migration und die Lage im Nahen Osten und in der Ukraine – anstrebt wird. dass die Tschechische Republik gemeinsam mit Polen, Ungarn und der Slowakei die EU-Battlegroup „V4“ der Hälfte des Jahres 2016 bereithält. Von ihren 3720 Kräf- ten werden 730 (Sanitäts- und Versorgungsmodule, Pio- weiterhin wird sich die Tschechische Republik an der EU- Ausbildungsmission in Mali beteiligen. Dort be- wacht das tschechische Kontingent das Hauptquartier und beteiligt sich auch an der Ausbildung der Armee Malis. Dieses Engagement entspricht dem neuen außen- politischen Konzept der Tschechischen Republik, wo-
  • 291. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 289 Migration Im Jahre 2015 lehnte die Tschechische Republik – die ein Nachbarland des Hauptziellandes der Migration ist ab. Sie behält diese Position konsequent bei. Die Tsche- chische Republik unterstützt primär die Anstrengungen zur Beendigung der Krise im Nahen Osten und zur Eindämmung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die kurdischen Kräfte in ihrem Kampf gegen den IS zu unterstützen. Im Jahr 2015 überließ die Tschechische Republik den Kurden 500 Tonnen Munition und leichte Waffen; sie wird diese Unterstützung auch 2016 fortsetzen. Im Hinblick auf die Migrationskrise befürwortet die Tschechische Republik den größtmöglichen Schutz der - elle und personelle Hilfestellung für die Nachbarländer - nen und Migranten – je nach Migrationsmotiv, Anpas- sungsfähigkeit und Sicherheitserwägungen – unter- schiedlich behandelt werden. Koordiniert mit anderen Visegrád -Ländern (V4) wird die Tschechische Republik im Jahr 2016 Ungarn mit 150 Soldaten und Polizisten, - insbesondere gegenüber Österreich – intensiviert, und für eine mögliche Migrationswelle im Jahr 2016 wurden allgemein vor allem vom Nahen Osten gesprochen, doch sei daran erinnert, dass die Tschechische Republik zu den wichtigsten Zielländern für Migrantinnen und Migranten aus der Ukraine zählt und sich bereits etwa 200.000 Ukrainer in der Tschechischen Republik auf- halten. Ihr Zustrom wird wahrscheinlich weiter ansteigen. Verteidigungszusammenarbeit Auch Verteidigungsfragen und regionaler militärischer Zusammenarbeit wird große Aufmerksamkeit gewid- met. 2015 und 2016 ist die Tschechische Republik V4- Vorsitzland und tritt für ein ambitioniertes Programm für die Zusammenarbeit der V4-Länder ein, wobei ge- meinsame Positionen der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarns und Polens innerhalb der EU und der NATO formuliert sowie einzelne Beschaffungspro- jekte und Projekte zu direkter militärischer Zusammen- arbeit verfolgt werden sollen. Eine breitere regionale Zusammenarbeit – etwa im Bereich der Zentraleuropäi- schen Verteidigungskooperation – steht erst am Anfang und ist noch begrenzt. großer außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sein. Es ist damit zu rechnen, dass die Tschechische Re- publik und andere europäische NATO-Mitglieder in Übereinstimmung mit dem Beschluss von Wales vom September 2014 aufgefordert werden, ihre Militärausga- ben bis zum Ende des Jahrzehnts auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Im März 2015 hat die tschechische Re- gierung allerdings die neue tschechische Sicherheitsstra- tegie beschlossen, in der von nur 1,4 Prozent des BIP die Rede ist. Auch wird der Beschluss, die Bereitschaft der schnellen Eingreifkräfte der NATO zu erhöhen, zweifellos Auswirkungen auf die Tschechische Republik zeigen, da diese derzeit 150 Mann Spezialkräfte sowie Hubschrauber in diesem Bereich zur Verfügung stellt. Zusätzlich ist die Tschechische Republik bereit, CASA- Flugzeuge, Versorgungsmodule oder das Fliegerab- wehrsystem „RBS“ zur Verfügung zu stellen. Neben dem schon erwähnten Beitrag zur EU-Battle- group wird sich die Tschechische Republik an einer Rei-
  • 292. 290 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Im Jahr 2015 hat die Tschechische Republik ihre strategischen Dokumente zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik überarbeitet, sodass die- se die Ausgangspunkte für 2016 bilden. • Es ist mit einer positiven wirtschaftlichen Ent- wicklung und überdurchschnittlichem Wirtschafts- wachstum zu rechnen. • Von der selbstbewussten Politik der Russischen Fö- hen die größten Bedrohungen aus. • Das aktuelle Thema der massenhaften Migration nehmen. Priorität genießt für die Tschechische Re- publik ein präventiver und selektiver Ansatz anstel- le massenhafter unkontrollierter Aufnahme. Sie ziell und materiell vermehrt am Schutz des Schen- genraums beteiligen. • Als Teil der Präsidentschaft der Visegradgruppe für das Jahr 2016 wird sich die Tschechische Repub- lik auch weiterhin für die militärische Zusammenar- beit der V4-Länder sowie für die Formulierung einer gemeinsamen Position für den bevorstehenden NA- TO-Gipfel einsetzen. • Während der ersten Hälfte des Jahres 2016 wird sich die Tschechische Republik an der EU-Battle- group „V4“ beteiligen. • 2016 wird die Tschechische Republik ihr Verteidi- gungsbudget sowie ihre Einsatzkapazitäten – aller- entsprechen würde – erhöhen. he militärischer Einsätze von NATO, EU und UN be- teiligen. Die wichtigsten sind auch weiterhin jene in Afghanistan (Resolute Support), Mali (EUTM) und Ägypten (MFO). KEY NOTES • In 2015 the CR updated its strategic documents on foreign, security and defence policies and these will be the starting points for 2016. • Positive economic development is expected along with an above average economic growth. • tive policy of the Russian Federation and the con- • A topical issue which will grow in importance in the coming period is mass migration from the areas of tive approach to migration to its mass and uncon- trolled acceptance. It will progressively participate in the protection of the Schengen area with its poli- terial means. • As part of the presidency of the Visegrad Group in 2016, the CR will promote the continuing mili- tary cooperation of the V4 countries and formula- ting a common position for the forthcoming NATO summit. • the Visegrad EU Battlegroup. • In 2016 the CR will raise its defence budget and in- crease its military deployment capacities, although at a slower rate than required by its obligations to NATO. UNK ahr 2 rate und se • E • • pu le m l und ums er Prä 16 wird n für di wie für die n bevorstehen O, EU und UN be- d auch wei Suppor docu and alon n- he of on- pat ts p ad G ntinu ries a he for e Visegrad EU B • In 20 on foreign, security and defence policies will be the starting points for 2016. • Positive economic development is ex with an above average economic g • tive policy of the Russian Fede • A topical issue which will g coming period is mass m tive approach to mi trolled acceptanc in the protectio terial mea • As part o in 201 tary ti egischen Dokumente zur Außen-, Sicherheits- teidigungspolitik überarbeitet, sodass die- sgangspunkte für 2016 bilden. ner positiven wirtschaftlichen Ent- überdurchschnittlichem Wirtschafts- chnen. ussten Politik der Russischen Fö- hungen aus. massenhaften Migration die Tschechische Re- ktiver Ansatz anstel- Aufnahme. Sie z des Schen- uppe für pub- enar- ner
  • 293. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 291 SLOWAKEI 2016 Marian Majer Die slowakische Außen- und Sicherheitspolitik war 2015 hauptsächlich von zwei Phänomenen ge- Integration haben können: die griechische Schul- den-Krise und die Migrationskrise. Während die Diskussion zu Griechenland heute weit weniger politisiert ist als 2011, als es zu einem Misstrau- die Debatte rund um die Migration den gesamten politischen und sozialen Diskurs in der Slowakei. Dies auch aufgrund der anstehenden Parlaments- wahlen, die für März 2016 geplant sind. Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Strom von Flüchtlingen nach Europa anhalten wird, wird sich auch diese Diskussion auf nationaler und euro- päischer Ebene intensivieren.
  • 294. 292 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Migration im Zentrum nationaler Debatten Auf nationaler Ebene ist die Dichotomie der Einstel- lungen der meisten Parlamentsparteien und von Vertre- tern der Zivilgesellschaft offensichtlich. Auf europäi- scher Ebene hat sich die Slowakei dank einer harschen Position der Regierung zu den Flüchtlingsquoten in eine unangenehme Isolation manövriert. Die neue Re- gierung muss daher die Differenzen innerhalb des Lan- des minimieren und die entstandenen Schäden auf dem europäischen Parkett (die politischen Beziehungen mit - schwächen, insbesondere da die Slowakei 2016 den EU- Ratsvorsitz übernimmt. Ein konstruktiverer Ansatz wäre notwendig, wenn die Slowakei nicht nur einen or- ganisatorischen Erfolg während ihres Ratsvorsitzes er- zielen, sondern auch die Diskussion für europäische Lö- Sicherheitspolitik der Union adäquat unterstützen möchte. In dieser Hinsicht könnte Präsident Andrej Kiska eine wichtige Rolle spielen. Europäische Sicherheitsthemen auf der Tagesordnung Fragen der europäischen Sicherheit werden auch im Kontext der Ausarbeitung einer neuen globalen Strate- gie der EU für Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert werden. Die Hohe Repräsentantin Frederica Mogherini wurde damit beauftragt, bis Juni 2016 ein entsprechen- des Dokument vorzubereiten, und es wird erwartet, dass die Mitgliedsstaaten einen Beitrag zur Diskussion liefern. Es besteht die einmalige Möglichkeit, die Dis- - tegie geführt werden, mit der laufenden Diskussion zur nationalen Sicherheitsstrategie zu verknüpfen. Ein slo- Staaten, die zusammen mit der Tschechischen Republik, Ungarn und Polen im ersten Halbjahr 2016 bereit gehal- ten wird, könnte Anlass zu einer derartigen Diskussion sein. NATO-Gipfel in Warschau wird Aufmerk- samkeit erregen Die Entwicklungen in der NATO werden 2016 auch ih- Wales 2014 einige wichtige Zusagen, jedoch gestaltet sich der Fortschritt der Umsetzung langsamer als er- wartet. Eine der Hauptgründe dafür ist der Versuch der Regierung, die Balance zwischen internationalen Ver- - ten, was nicht immer im Einklang miteinander steht. In anderen Worten, die Regierungspartei vermeidet es, Themen anzusprechen, die innerhalb der eigenen Kern- wählerschaft als unpopulär angesehen werden, wie z.B. die slowakische Rolle in den transatlantischen Bezie- hungen oder militärische Zusagen in internationalen Möglichkeiten, Kommunikationswege zur Öffentlich- keit aufzubauen, sie müssen nur angenommen werden. Die strategischen Maßnahmen zur Anpassung der NATO und die Politik gegenüber Russland – deren An- – sind von strategischer Bedeutung für die Slowakei. Informationskrieg und Energieabhängig- keit als wichtige Aufgaben Ein weiteres Thema, welches im slowakischen Sicher- heitsdiskurs im Jahr 2016 präsent sein wird, ist der In-
  • 295. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 293 formationskrieg, der von Russland aus geführt und von russischen Institutionen gefördert wird. Seine Intensität der Ost-Ukraine und im Nahen und Mittleren Osten (Syri- en und Irak) vervielfacht, und es wird erwartet, dass dies auch 2016 anhält. Darüber hinaus ist die Slowakei stark von Energieimporten aus Russland abhängig und gegen- über plötzlichen Veränderungen am Energiemarkt trotz der zuletzt gebauten Verbindungen mit seinen Nachbarn, inklusive Österreich, verwundbar. Ein slowakisches Enga- gement in den Debatten zur Energie-Union und zu alter- nativen Energie-Routen ist daher zu erwarten. Politik gegenüber Russland und der Ukraine Die slowakische Politik gegenüber Russland wird mehr- schichtig sein: In der NATO ist die Partnerschaft mit Russland seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise in der Schwebe und eine Klärung der zukünftigen Positionen in - kussion in der EU wird auf die Frage der wirtschaftlichen Sanktionen fokussiert bleiben, die ursprünglich von der slowakischen Regierung unterstützt wurden. Es gibt im slowakischen Diskurs aber auch Stimmen für eine Rück- nahme der Sanktionen. In der Slowakei kommt den Ent- des laufenden Reformprozesses allgemeines Interesse zu, jedoch wird die Debatte auf einer eher technischen Ebene bleiben (hauptsächlich bezogen auf Entwicklungszusam- menarbeit), sofern sich nicht ein maßgeblicher Durch- bruch ereignet. Wirtschaft in guter Verfassung Die Sanktionen gegen Russland werden vor allem hin- sichtlich ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung der slowakischen Wirtschaft diskutiert werden. Mit einer Schuldenquote auf annehmbarem Niveau von unter 60 %, einer leicht sinkenden Arbeitslosenrate von 11,5 % und einer gemäßigten Steigerung des Durchschnitts- einkommens werden sich die makroökonomischen Kennzahlen auch weiterhin in einer guten Verfassung zeigen. Nichtsdestotrotz könnten willkürliche Ände- rungen in der Steuerpolitik, unerwartete öffentliche Ausgaben oder starke externe Faktoren diesen positi- ven Trend umkehren. Visegrad und die regionalpolitische Dimension Es wird auch wichtig sein, die Entwicklungen inner- - ren schwierige Zeiten erleben musste, zu beobachten. Die Slowakei hat nicht immer nur positiv zur Agenda beigetragen, insbesondere durch die Reaktion auf die Annexion der Krim und die Diskussionen zur Flücht- lingsquote. Darüber hinaus hat sich die slowakische Führung in der letzten Zeit eher destruktiv verhalten, wenn es darum ging, nach Lösungen zu suchen und Unterstützung für die eigenen Interessen zu bekommen. So könnten andere regionale Formate wie das aus der Tschechischen Republik, Österreich und der Slowakei bestehende Slavkov-Dreieck oder die Zentraleuropäi- sche Verteidigungskooperation zwischen der Tsche- chischen Republik, Österreich, Ungarn, der Slowakei und Kroatien mehr Aufmerksamkeit bekommen. Insgesamt wird sich die slowakische Regierung diesen Formaten in einer komplementären Zugangsweise als in einer substitutiven nähern. Die Zusammensetzung der neuen slowakischen Regierung wird die Aktivitä-
  • 296. 294 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ten in diesen Bereichen für den Rest des Jahres 2016 bestimmen. Die Ergebnisse der Wahlen im März könnten in der außen- und sicherheitspolitischen De- batte tatsächlich eine Wende hervorrufen. KERNPUNKTE • Das Thema „Migration“ wird im Zentrum der natio- nalen Debatte bleiben. • Der slowakische EU-Ratsvorsitz könnte dazu beitra- gen, die Diskussion über die Europapolitik im Land anzukurbeln. • Der NATO-Gipfel in Warschau wird die Aufmerk- samkeit der politischen Führung auf die Diskussion rund um strategische Anpassung lenken. • Die Politik gegenüber Russland wird die Debatten über Wirtschaft, Energiepolitik und Informations- • Die politischen Bedingungen in der Visegrad-Grup- pe werden die Intensität der Diskussion innerhalb KEY NOTES • Issue of migration will stay in the centre of natio- nal debate. • Slovak EU Presidency could help stir the debate on European policies in the country. • NATO Summit in Warsaw will attract attention of political leaders due to the debate on strategic adaptation. • Politics on Russia will penetrate debates on econo- my, energy policy and information war. • sity of discussion within other regional formats.
  • 297. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 295 SLOWENIEN 2016 Petra Roter Die innere Sicherheit wird in Slowenien vor allem durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen gefordert, allerdings zeigt sich die Regierung fähig, die Heraus- forderungen zu meistern. Dank des erwartbaren Wirtschaftswachstums wird nicht mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit gerechnet. Sicherheitspolitisch bleibt die NATO bedeutend, zugleich nimmt der Un- mut über die Handlungsunfähigkeit der EU in der Flüchtlingskrise zu. Während Spannungen mit Kroa- Innere Sicherheit und Flüchtlingskrise Derzeit ist die innere Sicherheit Sloweniens aufs Engste mit der massiven Anzahl durchströmender Flüchtlinge tien nicht ausgeschlossen werden können, ist davon auszugehen, dass die sehr guten Beziehungen zu Österreich trotz möglicher Sicherheitsbedenken we- gen der Flüchtlingskrise weiter bestehen.
  • 298. 296 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 verbunden (fast 237.000 zwischen Mitte Oktober und Mitte November). Die Regierung ist zuversichtlich, die innere Stabilität des Landes aufrechterhalten und zur Stabilität der Region beitragen zu können, solange Slo- wenien Transitland bleibt. Sollte sich dies ändern und der Migrantinnen und Migranten (Österreich, Deutsch- land, Skandinavien) geschlossen werden, würde Slowe- nien auf das so entstandene Sicherheitsdilemma rasch reagieren und seinerseits den Flüchtlingen das Durch- queren des Landes erschweren. Eine derartige Reaktion war bereits die Errichtung eines Drahtzauns entlang November. Slowenien vertritt die Meinung, dass die Flüchtlinge die Balkanregion nicht destabilisieren und - vorrufen werden. In diesem Zusammenhang ist die Zu- sammenarbeit aller Länder entlang der Balkanroute von entscheidender Bedeutung. Politische Lage Slowenien erfreut sich politischer Stabilität. Die amtie- rende Koalition sitzt fest im Sattel. Sie wird von der Partei der modernen Mitte (Stranka Modernega Centra – SMC), die kurz vor den Wahlen 2014 gegründet wur- de, dominiert und scheint jene anfänglichen Probleme überwunden zu haben, die zum Austausch einiger Mi- nister geführt haben. In der Nationalversammlung könnte es zu einigen weiteren kleineren Veränderungen in der Zusammensetzung der Fraktionen kommen. Die Wirtschaftsindikatoren versprechen für 2016 fortge- setztes Wirtschaftswachstum und sind daher günstig für die gegenwärtige Regierung. Der Zustrom von Flüchtlingen – also die „Flüchtlingskrise“ – stellt die Fähigkeit der Regierung, kompetent zu reagieren, auf die Probe. Ein Sturz der Regierung wegen der Art ihres Vorgehens in dieser Frage ist allerdings unwahrschein- lich. Die Opposition kann sich opportunistisch verhal- ten und eine Zeitlang abwarten, wie sich das Thema entwickelt. Sie verliert nichts, wenn sie aktiv nichts ge- gen die Regierungspläne unternimmt, solange diese durchaus proaktiv ausfallen. Sie kann aber sehr viel ge- winnen, sollte sich die Regierung dieser komplexen He- rausforderung nicht gewachsen zeigen. Wirtschaft langsamer Erholung von der gewaltigen Krise des Jah- res 2008. Es erfreut sich gegenwärtig wirtschaftlichen Wachstums, das 2016 — hauptsächlich dank der Ex- porte und des Inlandskonsums — vermutlich bei etwa 2 % des BIP liegen wird. 2014 lag das BIP pro Kopf bei 18.093 Euro. Der Exportsektor könnte vom Volkswa- im Zuge der Flüchtlingskrise negativ betroffen sein. Zwar ist der Beschäftigtenstand im Jahr 2015 um 1,6 % gestiegen, da dies aber hauptsächlich in Form von Ein- Beschäftigungsformen geschah, bleibt die Arbeitslosig- keit ein Problem. Sie ist leicht gesunken und liegt bei 11 bis 12 %, woran sich 2016 kaum etwas ändern wird. Dies gilt auch für die Jugendarbeitslosigkeit von ca. 16 %, die sich jährlich im Herbst erhöht, nachdem Schul- und Universitätsabsolventen auf den Arbeits- markt strömen. Die Politik gegenüber EU und NATO Slowenien bleibt auch weiterhin ein engagiertes NATO- Mitglied. Die Spannungen gegenüber der EU sind aber sowohl in der Öffentlichkeit als auch auf Regierungs- ebene angewachsen, da die Mitgliedsstaaten der EU all-
  • 299. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 297 gemein als vollkommen unfähig angesehen werden, sich auf eine vernünftige gemeinsame Flüchtlingspolitik zu verständigen. Die Absicht der EU, zum glaubwürdi- gen außenpolitischen Akteur zu werden, gilt in Sloweni- en nunmehr als Utopie. Slowenien wurde mit den Flüchtlingsströmen eher unerwartet konfrontiert, nach- weitgehend geschlossen hatte. Seit damals wartet Slowe- nien auf eine gemeinsame Politik der EU. Da eine sol- che noch immer ausbleibt und auch keine Solidarität ge- übt wird, könnte in Slowenien die Enttäuschung gegenüber der EU weiter ansteigen. Die Regierung hat dies in Brüssel auf den höchsten politischen Ebenen mitgeteilt. Zentraleuropäische Verteidigungskooperation Beim letzten Treffen der Verteidigungsminister Öster- reichs, Kroatiens, der Tschechischen Republik, Un- garns, der Slowakei und Sloweniens im slowenischen Brdo im Mai 2015 stellte der slowenische Verteidi- gungsminister klar, dass Slowenien zwar insbesondere beim Informations- und Meinungsaustausch regionale Zusammenarbeit schätzt, im Bereich militärischer Fä- higkeiten aber auch weiterhin von den Mechanismen Afrika Slowenien betrachtet Afrika trotz des geringen Handel- sumfangs – kein Austausch bei Dienstleistungen und Investitionen – als Kontinent ökonomischer Möglich- keiten. Für Slowenien ist Afrika in den Bereichen nach- haltiger Landwirtschaft, Holzproduktion, Energie, Bergbau, Wassermanagement, Kommunikationstechno- logie, Bauwesen und Fremdenverkehr interessant. Da es aber weitgehend an einem systematischen Ansatz ge- genüber afrikanischen Ländern und ihren Märkten fehlt, ist ein größerer Anstieg der wirtschaftlichen Zu- sammenarbeit unwahrscheinlich. Regionale Aspekte Der Zustrom von Flüchtlingen wirkte sich auf Sloweni- ens Beziehungen zu seinen Nachbarländern – insbeson- dere zu Kroatien – aus. Aus slowenischer Sicht legte Kroatien am Anfang der Flüchtlingskrise im Oktober 2015 nur geringe Bereitschaft an den Tag, den Umgang mit den Flüchtlingen – insbesondere im Hinblick auf zeitgerechte Berichterstattung über Anzahl und Aufent- haltsort von Flüchtlingen auf ihrem Weg nach Sloweni- en, per Bahn oder Bus oder zu Fuß – zu koordinieren. Auf eine besondere Probe wurden die bilateralen Bezie- hungen am 21. Oktober gestellt, als Slowenien ein Vi- deo zeigte, in dem kroatische Polizisten zu sehen sind, wie sie Hunderten Flüchtlingen dabei helfen, illegal und ohne vorherige Koordination mit der slowenischen Po- - - arbeit aufgerufen wurde, normalisierten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder. Wie Hunderter von Flüchtlingen mitten in der Nacht hatte der Vorfall wohl mit dem kroatischen Wahlkampf für die Wahlen vom 8. November zu tun, wobei Kroatien Die Errichtung des Drahtzauns durch Slowenien ent- - te diplomatische Proteste der kroatischen Seite aus, die - - schen Regierung behauptet – auf slowenischem. Sobald
  • 300. 298 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Slowenien bietet ein Bild solider politischer Stabili- tät, die auch 2016 andauern wird. • Sloweniens Wirtschaftswachstum setzt sich auch 2016 fort. • Die Flüchtlingskrise spielt bezüglich aller Aspek- te der bilateralen und regionalen Zusammenarbeit verschiedener Staaten eine wesentliche Rolle. Ein falscher Umgang mit ihr könnte sich durchaus auf andere – wirtschaftliche und politische, also auch interne – Indikatoren auswirken. • Aus slowenischer Sicht hat die EU ihr eigenes Image als außenpolitischer Akteur durch ihre (Un-) Fähigkeit im Umgang mit den Flüchtlingsströmen massiv beschädigt. • Die regionalen Beziehungen werden ungeachtet möglicher vereinzelter Streitigkeiten zwischen Slo- wenien und Kroatien im Jahre 2016 stabil bleiben. • Die Beziehungen zu Österreich werden stabil blei- ben, wobei derzeit ein angemessener Umgang mit den Flüchtlingsströmen die wichtigste Herausforde- rung darstellt. ihre Entscheidung bekannt gibt, könnte dies zu politi- schen Spannungen in den slowenisch-kroatischen Be- ziehungen führen. Was andere Nachbarländer anbelangt, so werden die ge- genwärtige wirtschaftliche Zusammenarbeit und die stabilen politischen Beziehungen auch im Jahre 2016 andauern, allerdings abhängig davon, wie kooperativ – mit den Flüchtlingsströmen umgegangen wird. Österreich Die als hervorragend geltenden Beziehungen zwischen den beiden Ländern werden wahrscheinlich 2016 beste- henbleiben. Zwar sind die beiden Länder mit der Flüchtlingskrise bislang gut umgegangen, doch wird bei einer Vorschau auf das Jahr 2016 der wachsende Sicher- heitsaspekt des Problems zu einem wichtigen Faktor. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Flücht- lingsfrage zu einer größeren Störung der internationa- len Beziehungen oder gar einer Destabilisierung der Re- gion führen wird. KEY NOTES • Slovenia‘s political picture displays solid stability, which will continue in 2016. • Slovenia‘s economic growth will continue in 2016. • pects of bilateral and regional co-operation among states. If mishandled, the ‘crisis’ may well have an effect on other indicators, both economic and poli- tical (also internally). • From Slovenian perspective, the EU as a whole has massively tarnished its image as a foreign policy actor by poorly showing of its (in)ability to handle • Regional relations will remain stable, in spite of oc- casional disputes between Slovenia and Croatia, which may take place in 2016, too. • Relations with Austria will remain stable; the most important challenge currently is a proper manage- ein an afts elt b ona wese sich d he, also o werd menar n auc g dav en Die als hervorragend gelte den wahr Länd gen, d send Fak üch ona Re 16 n am ell h nomi ve, the ished its im actor by poorly Stabili- ch gegangen wird. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die Flü lingsfrage zu einer größeren Störung der intern len Beziehungen oder gar einer Destabilisier gion führen wird. KEY NOTES • Slovenia‘s political picture which will continue in 20 • Slovenia‘s economic g • pects of bilateral states. If misha effect on othe tical (also i From Slo ssiv
  • 301. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 299 KROATIEN 2016 Die kroatische Sicherheitspolitik ist in drei verschie- dene aber miteinander verbundene Konzepte einge- bettet – die euroatlantische, die europäische und die regionale Dimension. Die Mitgliedschaft in der NATO, jene in der EU und die Möglichkeiten und Ver- antwortlichkeiten, die damit verbunden sind und auch die regionalen Entwicklungen in Südosteuropa werden für 2016 bestimmend sein. Obschon Terro- rismus nicht als massive Bedrohung verstanden wird, wird die Gefahr individueller Vorkommnisse ge- rade in einem Land, dessen Wirtschaft zu einem ho- hen Maße vom Tourismus abhängt, mit Besorgnis registriert. Dieser Umstand ist insofern von Bedeu- tung, als die Schwäche der staatlichen Sicherheits- apparate der benachbarten Westbalkanstaaten und der kaum kontrollierte Zustrom von Migrantinnen und Migranten aus dem Nahen Osten wichtige Fak- - chen Nachbarstaaten sowie deren ungelösten ethni- schen und Statusfragen, stellen keine direkte Bedrohung dar, bilden aber sehr wohl den Nährbo- den für die Entwicklung weiterer Gefahren wie Orga- nisierter Kriminalität und verschiedener Formen des Extremismus. Aufgrund der beschränkten eigenen nationalen Kapazitäten wird Kroatien versuchen, diesen Herausforderungen im kooperativen Rahmen auf regionaler, europäischer und euroatlantischer Ebene zu begegnen.
  • 302. 300 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Regionale Stabilität Die regionale Stabilität wird auch weiterhin die obers- te strategische Priorität genießen und gleichzeitig den Hauptgrund für Beunruhigung darstellen. Die festge- fahrenen Integrationsperspektiven, die Schwierigkei- ten einiger Kandidatenländer und die generelle Erwei- terungsmüdigkeit der NATO sowie der EU im Besonderen zeigen die beschränkten Möglichkeiten, die Reformprozesse in der Region auf die nächste Stu- fe zu heben. Vor allem Mazedonien und Bosnien und Herzegowina haben im vergangenen Jahr das Potential Herzegowina – als unmittelbarer Nachbar und schwerfälliger Staat mit der kroatischen Volksgruppe als Teil einer verfassungsmäßigen Entität – wird im Fokus der regionalen kroatischen Aktivitäten bleiben. Politische Situation Die politische Situation im Jahr 2016 wird vor allem von der Struktur und Stabilität der neuen Regierung abhängen. Das Ergebnis der kürzlich in Kroatien ab- gehaltenen Parlamentswahlen wird den Prozess der Bildung einer Regierung erschweren. Sehr komplizier- te Verhandlungen über das Programm und die Struk- - abhängig davon und angesichts der erkennbaren Stabilität des politischen Systems werden die wichtigs- ten Postulate der fundamentalen Politiken unverän- dert bleiben. Migration Migration steht derzeit im Zentrum der nationalen kroatischen Debatte, und das wird wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit so bleiben. Kroatien wird vor- aussichtlich – unter Beachtung der humanitären As- - hinderten Transfers von Flüchtlingen – innerhalb des normativen Diskurses der EU bleiben. Es wird danach trachten, kooperative Antworten zu suchen und dabei zu verhindern versuchen ein Flüchtlings-Hotspot zu werden sollten. Wirtschaft (BIP, Arbeitslosenrate) Die Wirtschaft ist in einer Phase der leichten Erholung aus der Rezession (BIP-Wachstum von bis zu 2 %) und wird mit möglichen geringfügigen Schwankungen wahrscheinlich in dieser bleiben. Der Tourismus ist unerlässlich für die makroökonomische Stabilität, und somit wird die öffentliche Sicherheit auch weiterhin absolute Priorität haben. Der Anteil der Industriepro- duktion am BIP wird eher gering bleiben, und die Ar- beitslosenquote, insbesondere unter Jugendlichen, bie- saisonalen Beschäftigungen im Sommer abgesehen. EU und NATO Kroatien wird versuchen, eine aktivere Rolle in den Debatten über die neue globale Sicherheitsstrategie auf EU-Ebene einzunehmen. Parallel dazu wird der natio- nale Prozess zur Erarbeitung von zwei grundlegenden strategischen Dokumenten, der „Nationalen Sicher- heitsstrategie“ und der „Verteidigungsstrategie“ statt- angemessene Kontextualisierung von nationalen Kerndokumenten in einem weiteren europäischen Rahmen zu schaffen. Während bis dato die Auswirkungen der NATO-Russ-
  • 303. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 301 land Beziehungen noch nicht einen so massiven Ein- - tel- und Osteuropas, ist damit zu rechnen, dass ein - sondere in Serbien) und die zu erwartende NATO-Er- 2016 dies ändern werden. - re in verschiedenen Teilen der Welt, einschließlich Af- rika) wird weiterhin einen hohen Stellenwert genießen. Dies bietet Möglichkeiten zur Förderung einer breite- Einbringung der kroatischen Erfahrungen aus dem Krieg in der Heimat und dessen Nachwirkungen. Die NATO-Mitgliedschaft bleibt demgegenüber das wich- tigste Werkzeug für die Kontextualisierung der kroati- schen Sicherheitspolitik in einem kooperativen inter- nationalen Rahmen. Entwicklung der kroatischen Streitkräfte Die Entwicklung der kroatischen Streitkräfte im Jahr 2016 wird von lang anhaltenden Kürzungen der Ver- teidigungsausgaben beeinträchtigt werden. Während - gie und Ausrüstung höchst unwahrscheinlich ist, wer- den – so wie auch in den vergangenen Jahren – ver- stärkte Anstrengungen bei der Kaderausbildung, bei der internationalen Zusammenarbeit und bei der Stei- gerung der Interoperabilität weiterhin einen positiven deren Bild im In- und Ausland haben. Perspektiven der Kooperation mit Österreich Kroatien und Österreich teilen die gleichen funda- mentalen Werte und haben überlappende Interessen am Westbalkan und darüber hinaus. Die Förderung von Stabilität und Reformprozessen in bilateralen, mit begrenzten Ressourcen die optimalen Lösung zur Beitragsleistung bleiben – dies gilt insbesondere für Kroatien. In diesem Sinne bietet auch eine neue Initia- tive der zentraleuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, die Central European Defence Cooperation (CEDC), wei- tere Möglichkeiten. Die CEDC basiert auf dem Prin- zip des „Pooling und Sharing“ von Kapazitäten sowie auf den Anstrengungen zur Harmonisierung von rele- Der Erfahrungsaustausch von Staaten in den entspre- chenden Bereichen, in denen einzelne Mitglieder ver- - tung der Beteiligten auf internationaler Ebene erhöhen.
  • 304. 302 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Der Fokus der nationalen Debatte wird auf der Migrationssituation liegen, während die wirtschaftliche Entwick- lung weiterhin mit großer Sorge betrachtet werden wird. • nen bei der Umsetzung vorgenommen werden. • Regionale Entwicklungen am Westbalkan werden für Kroatien weiterhin sehr wichtig bleiben. • Die NATO-Mitgliedschaft wird für Kroatien und sein gegenwärtiges Sicherheitsumfeld essenziell bleiben. Das Land wird darüber hinaus versuchen, auf bilateraler, multilateraler und GSVP-Ebene enger mit Österreich und anderen mittel- und osteuropäischen Staaten zu kooperieren. • Österreich wird ein enger Partner mit gemeinsamen Werten und überschneidenden Interessen bleiben. Das Jahr 2016 könnte neue Möglichkeiten zur Kooperation im Bereich der Sicherheitspolitik und darüber hinaus bieten. KEY NOTES • The migration issue will remain a focal point of national debate, but the economy is still the major concern. • While the country will stay on track with its obligations and responsibilities at the national and international le- • Regional developments in SEE are likely to remain very important for Croatia; • While NATO membership will remain essential for Croatia’s security in the contemporary security environment, the country will continue seeking for different ways of bilateral, multilateral and CSDP cooperation with CEECs and Austria. • Austria will remain a close partner with shared values and converging interests. 2016 may show an increasing number of opportunities for co-operation, in security policy and beyond. onalen Debatte wird auf der Migrationssituation liegen, während die wirtschaftliche Entwick- gro vorg m W für Kroatien und sein gegenwärtiges Sicherheitsumfeld essenziell ble hen, auf bilateraler, multilateraler und GSVP-Ebene enger mit Ö taaten z amen Werten und überschneidenden der Migrationssituation liegen, während d rden wird. roatien weiterhin se nwärtiges Siche ateraler und d ü
  • 305. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 303 UNGARN 2016 Tamás Csiki Bedrohungswahrnehmung Masse in nichtmilitärischen Bereichen, d.h. bei der wirt- schaftlichen und sozialen Sicherheit. Politische Probleme im Zusammenhang mit Ungarns Beziehungen zur EU, die ökonomische Leistungsfähigkeit, die Verwendung von EU-Strukturfonds sowie Korruption sind für die von der Im Jahr 2016 werden in Ungarn Themen der wirtschaftlichen und sozialen Sicherheit dominieren. Auch wenn das Wachstum geringer als 2015 ausfallen wird, werden die Streitkräfte modernisiert werden. Insge- samt wird sich Ungarn mit einem geringen Engagement an der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Si- cherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) beteiligen. Außenpolitische Interessen werden in der Ukraine, am Balkan sowie in der südlichen Nachbarschaft liegen. Zwar bleibt die verteidigungspolitische Kooperati- on innerhalb der Visegrád -Gruppe (V4) dominant, doch könnte die Central European Defence Cooperation (CEDC) an Bedeutung gewinnen. Bevölkerung empfundene Bedrohung bestimmend. Diese - ne lebenden ethnischen Ungarn und des gewachsenen Mi- grationsdrucks an der ungarischen Südgrenze indirekt auch von den gegenwärtigen Krisen in Nachbarregionen – wie etwa in der Ukraine oder in Syrien – bestimmt.
  • 306. 304 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Politische Spannungen trotz starker Regierungsautorität Auch im Jahr 2016 wird die tiefe Spaltung in Ungarns Poli- tik andauern und eine konstruktive Zusammenarbeit zwi- schen Regierung und Opposition einschränken. Die Fi- desz-Regierung wird ihre starke Position halten, sich aber mit wachsendem radikalem und rechtsextremem Druck auseinanderzusetzen haben. auf steigende EU-Skepsis und wachsenden Nationalismus – werden sich verschiedene Themen im kontroversen poli- - kern aufgegriffen, könnte dies die Spaltung des Landes weiter vertiefen. Korruption und die Unabhängigkeit der Medien werden die sensibelsten politischen Themen sein. Das Momentum nutzen, um 2017 größeres Wirtschaftswachstum zu erzielen Derzeit verlangsamt sich das ungarische BIP-Wachstum, es wird 2016 mit real 2,5 % seine schwächste Phase erleben (nach zirka 3 % 2015) und muss daher wieder dynamischer werden. Unterstützt von einem generell günstigen ökono- mischen Umfeld steht Ungarns Wirtschaft 2016 vor ge- mischten Konjunkturaussichten und hat eine geringfügig positive Außenhandelsbilanz, einen stabilen Wechselkurs Forint–Euro, eine sich im Rahmen haltende Staatsschuld von 2 % und eine abnehmende Arbeitslosigkeit (voraus- sichtlich unter 7 %) zu erwarten. Die Vorhersagen für 2017 sind positiver, wobei strukturelle Faktoren auf eine mittel- fristige Steigerung der PKW-Produktion, des Dienstleis- tungssektors und der Landwirtschaft hindeuten. Dies wird den Spielraum der Regierung vergrößern, was eine Ausga- bensteigerung im gesamten politischen Spektrum (ein- schließlich Sicherheit und Verteidigung) ermöglicht. Mehr Lastenteilung innerhalb der NATO – aber fortschreitende Modernisierung der ungarischen Streitkräfte - garns Verteidigungspolitik einen Wendepunkt in seinen aktiven Beiträgen zur Lastenteilung. Bezüglich der Erhö- hung der Verteidigungsausgaben und einer beschleunigten Modernisierung, hat sich die Fidesz-Regierung das Ziel ge- setzt, die Verteidigungsausgaben ab 2015 um jährlich 0,1 % des BIP zu steigern und Impulse für eine schrittwei- - und damit direkt von den allgemeinen wirtschaftlichen Aussichten abhängig. Der erste Modernisierungsschritt sollte die lang erwartete Beschaffung von Transporthub- schraubern sein. Im Jahr 2016 wird aber auch die 10-Jah- res-Planung zu evaluieren sein, wobei bislang vernachläs- sigte Punkte – wie etwa die Modernisierung oder Beschaffung von Führungsausrüstung, gepanzerten Mannschaftstransportfahrzeugen oder selbstfahrender Ar- tillerie – Priorität bekommen könnten. Beiträge zum Bündnis – die Stationierung einer Force Integration Unit der NATO in Ungarn sowie Truppengestellung für den Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Nordirak und die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) – werden im Jahr 2016 fortgesetzt werden. Zurückhaltendes Interesse an einer Wieder- belebung der GSVP Ungarn unterstützt zwar im Allgemeinen die neue globa- le Sicherheitsstrategie der EU, die 2016 fertig gestellt werden soll, wird aber vermutlich nur zurückhaltendes Ungarns Hauptinteresse wird auch weiterhin der europä- ischen Nachbarschaftspolitik – mit Priorität Westbalkan und Ukraine, gefolgt vom Mittelmeerraum und von
  • 307. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 305 KERNPUNKTE • tet, mit gleichzeitig besseren mittelfristigen Aussichten. • Die politische Machtbalance mit starker Regie- rungsautorität bleibt unverändert. • Der sicherheitsbezogene Diskurs über Herausfor- derungen zu schwachen Bedrohungen („Soft Chal- lenges“) bleibt geübte politische Praxis. • Gespaltene Zusammenarbeit in der Region: diver- gierende Wahrnehmungen betreffend den Osten, größere Aufmerksamkeit für den Süden. Afrika – gelten. Die EU-Battlegroup „V4“ der Visegrád- Bereitschaft sein, doch ist es unwahrscheinlich, dass sich Ungarns direkte Beitragsleistungen zu Einsätzen vergrö- ßern. Auf Basis der neuen Doktrin „Öffnung nach Sü- den“, die im Jahr 2015 als Folge der Ukraine-Krise an die Stelle von „Öffnung nach Osten“ getreten ist, wird Ungarns südliche Nachbarschaft ihre derzeitige Rele- vanz für die Außen- und Handelspolitik des Landes bei- behalten. Schwellenländern wird bei der Steigerung der scheidende Rolle zukommen. Die Suche nach vermehr- ten wirtschaftlichen Möglichkeiten wird aber nicht zu größerem militärischem Engagement in Afrika führen. Gemeinsame Truppengestellung in den mit- teleuropäischen Zusammenarbeitsformaten Wegen seiner geostrategischen Lage ist Ungarn sowohl vom Osten als auch vom Süden Herausforderungen für seine Sicherheit ausgesetzt, wenn auch nicht notwendi- gerweise direkt, sondern indirekt durch die mitteleuro- päischen Zusammenarbeitsformate. Diese verfolgen mit- unter konträre Strategien. Das Hauptformat bleibt zwar mit Russland anzustreben, doch könnte wegen des fort- gesetzten Drucks aus dem Süden größere Aufmerksam- keit auch der Central European Defense Cooperation (CEDC) und der Defense Cooperation Initiative (DECI) – unter Einbindung Österreichs, Sloweniens, Kroatiens und Italiens – geschenkt werden. Nichtteilnahme an europäischer Migrationspolitik Als Frontstaat des Schengen-Raums wird die ungarische Regierung auch im Angesicht europäischer Kritik dem äußeren Migrationsdruck mit Festigkeit begegnen. Im Migration und Flüchtlingen wird sie wahrscheinlich nicht am EU-Quotensystem und am gemeinsamen Vor- gehen der Union teilnehmen und stattdessen so lange wie möglich nationalen Antworten den Vorzug geben. Für Nachbarländer wie etwa Österreich wird dies wahr- scheinlich zu weiteren negativen Folgen führen. KEY NOTES • In 2016, sluggish GDP-growth can be expected, with an improved mid-term outlook. • The political power balance remains unchanged with a strong government. • The securitization of soft challenges remains com- mon political practice. • Split regional cooperation: diverging perceptions of the East and more attention given to the South. KE • tet Auss e pol sauto erhei u schw geübte p enarbeit etreffend den litik des Landes bei- wird bei de ukomm lichen militär eins euro sam Weg vom sei ger ( Kroatiens und Italie europä rd die r Kri gnen ich n Vo ge n. hr- ted, hang s rem divergi ention g telfristigen ker Regie- rausfor- t Chal- r- same Truppengestellung in den mit- äischen narbeitsformaten trategischen Lage ist Ungarn sowohl vom Süden Herausforderungen für etzt, wenn auch nicht notwendi- indirekt durch die mitteleuro- äußeren Migrationsdruck mit Festigkeit begeg Migration und Flüchtlingen wird sie wahr nicht am EU-Quotensystem und am ge gehen der Union teilnehmen und stat wie möglich nationalen Antworten Für Nachbarländer wie etwa Öst scheinlich zu weiteren negative KEY NOTES • In 2016, slugg with an impr • The politic with a s • The s mo • S
  • 309. EUROPÄISCHE VERTEIDIGUNGSPOLITIK 2016 „Die neuen Sicherheitsrisiken können von Österreich kaum mehr im nationalen Alleingang bewältigt werden. Sie erfordern vielmehr europäische Koordination und Kooperation. Die österreichische Verteidigungspolitik hat ein fundamentales Interesse an einer handlungs- fähigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs- politik der EU und einer gleichberechtigten Mitwirkung an ihrer weiteren Ausgestaltung.“ (Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 5)
  • 310. 308 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 GSVP 2016 Mehr Engagement – Mehr Leistungsfähigkeit? Sven Biscop - same Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU Male für tot erklärt, nur um, sobald die nächste Krise und NATO verfügen über jene Instrumente und Fähig- keiten, die für eine erfolgreiche Krisenbewältigung er- forderlich sind. Die Europäer engagieren sich im Rahmen der Ge- meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union und werden dieses Engage- ment wahrscheinlich erhöhen müssen. Aber werden sie den politischen Willen aufbringen zu investieren und die Fähigkeiten erwerben, die ein solches Enga- gement erfordert?
  • 311. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 309 Wieder betrachten viele Experten die Krise in der NATO dadurch gestärkt wurde und die Mitgliedsstaa- ten die Bedeutung von Artikel 5 wiederentdeckten. Aber warum? Um die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen wollen dieselben Beobachter gewiss keinen Krieg mit Russland riskieren. Daher liegt die Hauptaufgabe der Streitkräfte in dieser Krise – abgese- hen von der Bereitstellung von Ausrüstung und Trai- ning für die ukrainische Armee – darin, durch Abschre- abzuwenden. Da diese Linie ein gemeinsames Vorgehen der Europäer und der USA bedingt, konnte diese Rolle somit nur von der NATO wahrgenommen werden. Ein keinem Zeitpunkt möglich. - - terstützen kontinuierlich den Kapazitätenaufbau unse- rer Partner in Somalia, Niger und Mali, um Sicherheit - von Aden, retten Leben und helfen bei der Eindäm- mung illegaler Schlepperaktivitäten im Mittelmeer. Man könnte zu Recht fragen, ob die Europäer genug tun, vor allem in der südlichen Nachbarschaft, um die eigenen Interessen zu schützen und menschliches Lei- den zu beenden. Aber das ist eine umfassende Frage und zielt auf einen gemeinsamen politischen Willen Eu- ropas ab, um das zu tun, was getan werden muss und - einte Nationen oder eine Ad-hoc-Koalition (wie zum Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ – IS – in Syrien und Irak). Alle diese Handlungsoptionen sind notwendig, um sicherzustellen, dass in jedem Eventual- fall Europäer die Möglichkeit haben, zu reagieren. Generelle Entwicklungstendenzen für 2016 Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Jahr 2016 das euro- päische Engagement, vor allem im Süden, verstärkt wird. Jede Regierung der nationalen Einheit in Libyen wird Friedenstruppen vor Ort benötigen, um ihr Fort- garantieren. Auch wenn multinationale UN-Truppen seitens der libyschen Führung die bevorzugte Lösung sein wird, würde der Kern einer solchen Operation sehr wahrscheinlich eine gut ausgestattete europäische Kraft sein. In diesem Rahmen könnte auch auf Einladung ei- ner Einheitsregierung die Marineoperation im Mittel- meer in den libyschen Hoheitsgewässern wirksam werden. Ebenso wird jede Vereinbarung über die zukünftigen Machtverhältnisse in Syrien zumindest eine Überwa- chung des Abkommens durch multinationale Beobach- ter verlangen. In Anbetracht des Umstandes, dass der Krieg gegen den IS auch nach einem solchen Abkom- men fortgeführt werden würde, müssten etwaige Beob- achter zur eigenen Sicherheit schwer bewaffnet sein. Zudem werden europäische Luftstreitkräfte auch wei- terhin lokale Bodentruppen im Kampf gegen die IS unterstützen. Interne Entwicklungstendenzen 2016? Die Aktivierung der Beistandsklausel des EU-Vertrages, der IS-Attacken in Paris vom 13. November 2015 könn- - ke symbolische Aussage, dass Europa nicht nur ein ge- meinsamer Markt, sondern auch eine politische Union sein will, in der die Schicksale seiner Mitglieder
  • 312. 310 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Der vermehrte Einsatz europäischer Kräfte im Jahr 2016 ist vor allem in der südlichen Nachbarschaft wahrscheinlich. • Die GSVP kann eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit und Grenzsicherheit der EU spielen. • Wenn keine groß angelegte neue politische Initiati- ve ergriffen wird, sind keine großen Fortschritte bei der Entwicklung von Fähigkeiten zu erwarten. untrennbar miteinander verbunden sind. Militär- operationen gegen den IS werden zwar bereits seit 2014 von EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt, das Ereignis könnte jedoch ein wichtiger Impuls für die Zusammen- arbeit zwischen den – militärischen und zivilen – Nach- richtendiensten der EU-Mitgliedsstaaten sowie für die der Sicherung der EU-Außengrenzen sein. Mehr Fähigkeitenentwicklung 2016? Angesichts des anhaltenden und wahrscheinlich zuneh- menden Engagements in und um Europa gibt es einen Bereich, in dem es überraschend wenig Dynamik gibt: Fähigkeitenentwicklung. Wie der Direktor der Europäi- schen Verteidigungsagentur (EDA), Jorge Domecq, auf der EDA-Jahrestagung 2015 darlegte, werde die Agen- tur nicht gerade mit neuen Vorschlägen für Projekte zur Fähigkeitentwicklung überschwemmt. Einige EU-Mit- gliedsstaaten haben den Abwärtskurs bei ihren Verteidi- gungsausgaben gestoppt, einige erhöhen ihre Verteidi- Verteidigungshaushalte auch 2016 stark unter Druck. Jene EU-Mitgliedsstaaten, die investieren, fördern pri- mär nationale Projekte, die oft in Richtung Territorial- verteidigung ausgerichtet sind. Doch das wird die Lücken an strategischen Fähigkeiten nicht schließen. Bestimmte strategische Fähigkeiten sind jedoch für einen EU-Einsatz in der Nachbarschaft erforderlich. Kleinere Staaten müssen in diesem Zusammenhang zu- nächst die Relevanz des Verteidigungsapparates sowie die außenpolitische Haltung durch Teilnahme an ausge- wählten Operationen mit wirksamen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Dies sowohl gegenüber der eigenen Öffentlichkeit als auch gegenüber den anderen Mitgliedsstaaten. Zudem sollten kleinere Staaten ein po- sitives Exempel statuieren und im Bereich von Pooling und Sharing Aktivitäten untereinander forcieren. Eine Umkehr dieses Trends im Jahr 2016 wird eine groß angelegte politische Initiative auf Seiten jener Hauptstädte erfordern, die bereit sind, die Führung zu übernehmen. KEY NOTES • European deployments will likely have to be in- creased in 2016, especially in the southern neighbourhood. • CSDP may come to play an increasingly important role in the internal and border security of the EU. • Unless a major new political initiative is taken, no great progress can be expected in capability development. RN r ver ist v einlic nn eine stung de spielen. politische Initiati- nzen sein. enentw des an Enga h, in gkeit en V r E ur n Fäh glie gu aten müss des Ver ng dur same nüber n an re St h vo cier ird n je hru ly ha in th play a ternal a less a majo no g r Kräfte im Jahr achbarschaft e Rolle eit und enentwicklung. Wie der Direktor der Europäi- digungsagentur (EDA), Jorge Domecq, auf estagung 2015 darlegte, werde die Agen- mit neuen Vorschlägen für Projekte zur ung überschwemmt. Einige EU-Mit- den Abwärtskurs bei ihren Verteidi- pt, einige erhöhen ihre Verteidi- Mitgliedsstaaten. Zudem sollten kleine sitives Exempel statuieren und im B und Sharing Aktivitäten untereina Eine Umkehr dieses Trends im groß angelegte politische Init Hauptstädte erfordern, die übernehmen. KEY N • Eu
  • 313. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 311 UNSICHERE ZUKUNFT DER GSVP 2016 Ronja Kempin und Nicolai von Ondarza Angesichts der dramatischen Zunahme von Krisen herrscht Einigkeit unter den Mitgliedsstaaten, dass die Außen- und Sicherheitspolitik der Union gestärkt werden muss. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wird gleichwohl nur in geringem Maße von diesem Reformforderungen pro- - ge des Verteidigungsgipfels von 2013 erzielt werden - gierungschefs im Juni 2015 lediglich dazu, die lau- fenden Arbeiten zur Neufassung der EU-Strategie für innere Sicherheit fortzusetzen. Die Hohe Vertre- terin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (HV) ist aufgefordert, den Prozess der strategischen - gie für die Außen- und Sicherheitspolitik“ zu über- führen. Die Verteidigung der EU-Mitgliedsstaaten wird weiterhin vorrangig von der NATO organisiert. Interne Faktoren Strategie unter Federführung der HV und Konsultation von Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen und Experten wird die interne Debatte bestimmen. Anders als die Eu-
  • 314. 312 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Aus österreichischer Hinsicht ist zu beachten, wie die Diskussion über einen NATO-Beitritt in Finnland und Schweden verläuft. Ausgehend von der Krise um die Ukraine diskutiert die Politik in beiden Staaten eine - einen NATO-Beitritt beschließen, stellt sich auch für Österreich die Frage, ob die Bündnisfreiheit noch mit der EU-Mitgliedschaft vereinbar ist. Externe Faktoren Die Bewältigung der Flüchtlingskrise wird die europäi- sche Politik des Jahres 2016 bestimmen; ein Ende des syrischen Exodus ist ebenso wenig zu erwarten wie eine Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Situ- ation in der Sahel-Zone und am Horn von Afrika. Wäh- rend die EU ihr sicherheitspolitisches Engagement auf dem afrikanischen Kontinent intensiviert (personelle Aufstockung der Trainingsmission EUTM Mali) und die EU-Marineoperation Sophia gegen Schleuser im Mittelmeer fortsetzen wird, erscheint es wenig wahr- - cherheitspolitischen Herausforderungen in den Transit- und Herkunftsländern des Nahen Osten zum Einsatz kommt. Auch in Libyen, wo der Friedensprozess 2015 Mission EUBAM Libya ihr Potential nicht entfalten können. Besorgniserregend ist die Zunahme der politischen Spannungen am Westlichen Balkan. Es kann nicht aus- geschlossen werden, dass sich die Lage 2016 gewalttätig - und seiner engen Beziehungen zu den Staaten des West- ropäische Sicherheitsstrategie (ESS) von 2003 liegt der der Außenpolitik der Union und deren Verzahnung mit der inneren Sicherheit, nicht jedoch auf der Weiterent- - ven zur Ausgestaltung von „Ständiger Strukturierter Zusammenarbeit“ (SSZ) oder Beistandsklausel noch zur Weiterentwicklung der EU-Battlegroups zu erwar- ten. Parallel wird die Hohe Vertreterin im ersten Halb- jahr 2016 Reformvorschläge für den Europäischen Aus- wärtigen Dienst (EAD) vorlegen, die jedoch ebenfalls - EU-Außenbeziehungen abzielen dürften. Die Krisen- managementstrukturen werden nicht angetastet. Ein mögliches Vehikel für mehr Zusammenarbeit im Bereich militärische Fähigkeiten könnte die Entwick- lung eines EU-Verteidigungsweißbuchs in Ergänzung - schen den Mitgliedsstaaten noch umstritten ist. Mehr Bemühungen zu militärischer Integration sind daher vor allem auf bi- und multilateraler Ebene zu erwarten, insbesondere zwischen den Mitgliedsstaaten mit erhöh- ter Bedrohungsperzeption – z.B. zwischen den balti- schen und nordische Staaten sowie Polen. Hier ist frag- lich, ob Österreich bereit ist, trotz Bündnisfreiheit gemeinsame Rüstungsprojekte mit EU/NATO-Staaten einzugehen. Ein Hemmfaktor für die weitere Entwicklung der - sein. Aufgrund der britischen Ablehnung einer Vertie- fung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Be- reich werden die EU-Partner von größeren Schritten, etwa dem Aufbau eines EU-Hauptquartiers, absehen.
  • 315. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 313 KERNPUNKTE • Der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs- politik der EU droht 2016 ein politischer wie institu- tioneller Stillstand. • Intern ist für Sommer 2016 die Veröffentlichung ei- ner neuen Strategie vorgesehen. Substanzielle Im- pulse für die GSVP sind hiervon jedoch nicht zu erwarten. • Extern werden die Krisen um die Ukraine, die Un- ruhen im Nahen Osten und Nord-Afrika, vor allem aber die Bewältigung der Flüchtlingskrise das Kri- senmanagement der EU fordern. • Neben der Fortsetzung der GSVP-Missionen und Operationen werden sich die Integrationsbemühun- gen der Mitgliedsstaaten vornehmlich auf den Be- reich der inneren Sicherheit konzentrieren. balkans analog zu den 1990er Jahren direkt betroffen. walteruption in den Beitrittsstaaten gewappnet. Schließlich werden die Folgen der Krise um die Ukrai- ne die Debatten beherrschen. Durch die seit Ende 2015 eingehaltene Waffenruhe werden sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten 2016 strategisch über die Konsequen- zen der Krise für die europäische Sicherheit und das Verhältnis der EU zu Russland auseinandersetzen kön- nen. Die Debatten werden indes vornehmlich im Warschau bestimmen. den 1990er Jahren direkt betroffen. • ruh ber die B agement de tzung der GSVP-Missionen und eruption Sc zen der ältnis d Debatt men. UNKTE einsamen Sicherheits- und Verteidigungs- EU droht 2016 ein politischer wie institu- tand. mmer 2016 die Veröffentlichung ei- gie vorgesehen. Substanzielle Im sind hiervon jedoch nicht zu n um die Ukraine, d Nord-Afrika, chtlingsk n. KEY NOTES • In 2016, the EU‘s Common Security and Defence Policy will be threatened by political and institutio- nal stalemate. • The release of a new strategy is internally planned for 2016. Substantial impetus for the CSDP, howe- ver, cannot be expected. • On an external level, crises around Ukraine, un- rest in the Middle East and in Africa and in particu- lar the refugee crisis will challenge the EU’s crisis management. • Beside the continuation of CSDP missions and ope- rations, integration efforts of Member States will primarily focus on internal security.
  • 316. 314 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 WEITERENTWICKLUNG DER GSVP-MISSIONEN UND OPERATIONEN 2016 Thierry Tardy Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo- litik der Europäischen Union (GSVP) wird im Jahr 2016 dem Trend der letzten Jahre folgen. Es deutet wenig darauf hin, dass sich eine gravierende Verän- derung der Anzahl, Mandate und Einschränkungen der GSVP-Operationen und -Missionen ergeben wer- den. Dennoch werden zwei maßgebliche Entwicklun- gen, die neue EU-Globalstrategie und das Referen- dum über den Verbleib Großbritanniens in der EU,
  • 317. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 315 - nen, sechs militärische und elf zivile. Diese Zahl wird könnten dazukommen, möglicherweise in Libyen oder der EU als Akteur im internationalen Krisenmanage- ment wird sich dadurch nicht verändern. GSVP am Balkan Obwohl ihre Berechtigung von einigen EU-Mitglieds- Beibehaltung und Fortführung der Operation EUFOR Althea: einerseits ihre moderate Dimension kombiniert mit dem Status der einzigen Berlin-Plus-Operation (die der EU den Rückgriff auf NATO-Mittel erlaubt) und andererseits die Unbeständigkeit der Region. Im Koso- vo wird das im Juni 2016 auslaufende Mandat von EU- LEX Kosovo, der größten zivilen EU-Mission, frühzei- tig um zwei Jahre verlängert werden. Die Mission wird lokale Institutionen und andere EU-Akteure übergeben wurden. Sowohl EUFOR Althea als auch EULEX Ko- sovo werden eine Rolle bei den Reaktionen auf die Mig- rationskrise spielen. GSVP in Afrika Außerhalb Europas wird Sub-Sahara-Afrika die wich- - nahme der EU-Operation im Kongo (EUSEC RDC), deren Mandat im Juni 2016 ausläuft, werden die ande- ren sieben Operationen und Missionen (zwei in Mali, jeweils eine in Niger, in der Zentralafrikanischen Re- von Aden) auch im Jahr 2016 weiter geführt. Die Man- date von EUTM Mali, EUCAP Sahel Niger und EU- MAM RCA könnten möglicherweise verlängert und abgeändert werden. EUMAM RCA wird am Ende des Mandates höchstwahrscheinlich in eine Trainings- und Beratungsmission – ähnlich EUTM Mali – umgewan- delt werden. In allen Missionen und Operationen wird der Aufbau von Kapazitäten eine zentrale Rolle spielen. Abhängig von den Ergebnissen der VN-geführten Ver- handlungen zur Bildung einer Regierung der Nationa- len Einheit könnte es zu einer EU-Operation in Libyen kommen. Obwohl es Diskussionen über verschiedene Möglichkeiten der EU zur Unterstützung der tunesi- unwahrscheinlich. geführte Operationen durch den Europäischen Ent- wicklungsfond mit insgesamt 250 Millionen Euro Die Operation im Mittelmeer und die Flüchtlingskrise Mit der militärischen Operation im südlichen Mittel- Schlepper hat die EU 2015 Neuland in ihrer Krisenma- nagement-Politik betreten. EUNAVFOR MED - SOPHIA ist Teil der Antwort der EU auf die Migra- - ßere Nähe zum Bereich der Inneren Sicherheit. In der - turen für Freiheit, Sicherheit und Justiz wie FRONTEX oder EUROPOL zusammenarbeiten. Eine mögliche umfassende und zwingende Durchsetzung des Manda- tes ist aber noch von der Zustimmung einer libyschen Regierung und einer Resolution des VN-Sicherheitsra- tes abhängig.
  • 318. 316 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Die GSVP wird 2016 ihren Trend der letzten Jahre fortsetzen. • Die Anstrengungen in EU und GSVP werden sich weiter auf Sub-Sahara-Afrika konzentrieren. • • EUNAVFOR MED wird als Instrument der EU-Reakti- onen auf die Flüchtlingskrise erprobt werden. • Eine neue GSVP-Operation könnte in Libyen gestar- tet werden. • Die neue EU-Globalstrategie wird Auskunft über das Wesen und das Ambitionsniveau der GSVP geben. • Das britische Referendum über die EU-Mitglied- schaft des Vereinten Königreichs könnte strategi- heitsakteur haben. Eine neue EU-Globalstrategie Im Juni 2015 beauftragte der Europäische Rat die Hohe strategie bis zum Juni 2016. Diese neue Strategie wird die derzeit gültige Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 ersetzen. Sie soll neue, über rein sicher- heitsorientierte Prioritäten hinausgehende Ziele festle- scher als auch in operativer Hinsicht für die kommenden Jahre zu einem gewissen Teil bestimmen. Die Strategie wird wahrscheinlich weder das An- welchen die Operationen unterliegen, seien sie politi- Das britische Referendum Schlussendlich werden wir im Jahr 2016 wahrscheinlich der EU erleben. Es ist unklar, inwieweit ein Votum für scheinlich aber nicht. Für den Fall einer Mehrheit für internationalen Ebene verändern wird. Aufgrund des geringen britischen Ambitionsniveaus innerhalb der KEY NOTES • In 2016, CSDP will continue the trend of the past years. • EU and CSDP efforts will focus on Sub-Saharan Africa. • • EUNAVFOR MED will be tested as one instrument of the EU reactions to the refugee crisis. • A new CSDP operation could be started in Libya. • The new EU global strategy will provide information on CSDP’s nature and its level of ambition´. • The British referendum on EU membership of the as an actor in security matters. TE d 2 ng -Sa wi htlin perat tegie onsn EU-Mitg strategi- r die en Teil ch we unte d. Aufgr rhalb d n of the letzten Jahre en sich n akti- KEY NOTES • In 2016, CSDP will continue the trend o years. • EU and CSDP efforts will focus on S Africa. • • EUNAVFOR MED will be teste the EU reactions to the ref • A new CSDP operation c • The new EU global str on CSDP’s nature a The British refere an actor in
  • 319. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 317 VERTEIDIGUNGS- INDUSTRIELLE BASIS EUROPAS 2016 Hilmar Linnenkamp Die Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie im Jahr 2016 wird sich nur marginal von der gegenwär- tigen Lage unterscheiden. Große Veränderungen sind nicht zu erwarten, abgesehen von einigen weni- gen Konsolidierungen wie dem Zusammengehen von Kraus-Maffei-Wegmann und Nexter, das im Jahr 2016 realisiert werden kann und den Markt für ge- schützte und gepanzerte Fahrzeuge verändern dürf- te. Zumal die Verteidigungshaushalte nur in wenigen Ländern spürbar erhöht werden, dürften für die wirt- schaftlichen Aussichten der Industrie die globalen Märkte auch 2016 mehr Bedeutung erhalten als die nationalen Märkte und der europäische Markt. Da- mit einher geht eine erhöhte Aufmerksamkeit für das politische, rechtliche und moralische Problem der Rüstungsexporte und ihre gesellschaftliche Ak- zeptanz. In der technologischen Dimension der Eu- ropean Defence Technological and Industrial Base (EDTIB) verstetigen und verstärken sich die Prozes- se, die von der Dynamik der zivilen wissenschaftli- chen und technischen Innovationen ausgehen. Die- se Erkenntnis leitet auch die intensivierte Kooperation zwischen der Europäischen Verteidi- gungsagentur (EVA) und der EU-Kommission auf dem Gebiet der Dual-Use-Technologien. Die Avant- garde-Rolle militärischer Spitzentechnologie wird sich aber weiter abschwächen.
  • 320. 318 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Im Einzelnen stellen sich für 2016 Fragen zu Verände- rungen bei Unternehmensstrukturen, Märkten, tech- nologischen Trends, ökonomischen Strategien, der Rolle der EVA, gesellschaftlichen Herausforderungen und budgetären Trends. Rüstungsunternehmen in der Europäi- schen Union Allen Versuchen der Europäischen Verteidigungsagen- tur zum Trotz bleibt, auch 2016 und darüber hinaus die EDTIB ein Konglomerat der nationalen Rüstungs- industrien und nationalen Forschungswelten. Nicht ein abgestimmtes, arbeitsteilig wirkendes System von industrieller Produktion und Vermarktung sowie Wis- senschaft und Technologie kennzeichnet die Lage, sondern die je aus der Aktualität von Angebot und Nachfrage sich ergebende Summe der nationalen Ak- Rüstungsindustrie. Wenige große Spieler halten sich auf dem Weltmarkt: Zu den zehn weltgrößten Rüs- tungsproduzenten werden auch 2016 drei europäische gehören – BAESystems, Airbus und Finmeccanica – - schäft erhebliche Unterschiede offenbart. Demgegen- über sind komplexe Konsortialstrukturen in vielen Fällen das Instrument der Wahl, wenn politisch ge- wünschte Kooperation und nationale Arbeitsanteile miteinander verbunden werden sollen, die Entstehung nicht gewünscht ist. Welche Märkte für die europäische Rüstungsindustrie? Auf den nationalen Märkten von Ländern mit nen- nenswerter Rüstungsindustrie regiert die politisch be- gründete Wahl, nur selten der Wettbewerb. Die An- kontinuierlich gesunken; auch in den nächsten Jahren wird sich das nicht ändern, weil die nationalen Vertei- digungshaushalte für Neu-Investitionen wenig Raum lassen, da sowohl die Personalkosten und die Kosten für Kriegseinsätze als auch die Kosten des Unterhalts der vorhandenen Ausrüstung (von kostspieliger Le- benszeitverlängerung bis hin zu Modernisierungen) ansteigen. Der größere europäische Markt bietet naturgemäß mehr Chancen als die engen nationalen Märkte. Indes gibt es nach wie vor in der EU wenig abgestimmte Nachfrage – nach Zeit, Quantität und Leistungsanfor- derungen – und wenig wirkliche Konkurrenz. Der Kirchturmblick des Juste retour und der Offset-Forde- rungen verhindert ökonomische Lösungen. Der globa- le Markt scheint berufen, durch ungebremste Nachfra- gedynamik und die schiere Menge der in Zukunft der europäischen Rüstungsindustrie zu si- chern. Das ist quantitativ und pauschal auch für 2016 zu erwarten. Auf die Struktur der EDTIB kann aber der Weltmarkt ambivalente Wirkungen ausüben: Er kann einerseits europäische Anbieter in hochproble- matische Konkurrenzen („Fratricidal Competition“) verwickeln, von Kampfpreisen über ausufernde Off- aber zur notwendigen Angebotskonsolidierung – z.B. in der Werftindustrie in Europa – beitragen. Technologische Trends Auf den Feldern von Forschung und Technik wird vie- - tärischen Technologie-Welt galt. Drei miteinander ver-
  • 321. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 319 schränkte Entwicklungen machen das deutlich. Erstens wird der Anteil hochvernetzter Computersysteme bei Aufklärungs-, Führungs- und Waffensystemen und auch in der Logistik immer bedeutender. Auch der Er- halt vorhandener Systeme (Lebenszeitverlängerung) oder ihre Qualitätssteigerung (Modernisierung) ge- schehen in großen Teilen durch Software-Updates. - bung („Software statt Steelware“) auf die schon länger beobachtbare Tendenz hin, dass zivile Märkte für die technischen Entwicklungen immer größere Relevanz gewinnen, anders gesagt: Die immer noch hier und da behauptete Avantgarde-Rolle der militärischen Techno- logien schwindet. Spin-off mutiert zum Spin-in. Drit- tens schließlich entsteht aus der Kombination der ge- nannten Trends das Flaggschiff der neuen Zeit – das - tur der Technologiewelt zu werden, mit noch weithin unbekannten Folgen für Ökonomie und Ethik des Handelns auf zivilen und auch militärischen Feldern. Ökonomische Trends und Geschäftsstrategien In den nationalen Rüstungsmärkten wird es bei der Dominanz nationaler Industriepolitik bleiben. Sektora- le Monopole – vor allem beim Schiffbau und bei ge- - ßere transnationale Konsolidierungen bleiben selten: Das vorgesehene Zusammengehen von KMW und Nexter ist die Ausnahme von der Regel. Vertikale Kon- solidierungen, d.h. Aufkäufe von Vorprodukt-Liefe- ranten, bleiben rar und werden den Trend zur Interna- tionalisierung globaler Lieferketten nicht brechen. Die Bemühungen der EU-Kommission erfüllen – jenseits aller Beschwörungen des European Defence Equip- ment Market (EDEM) und der Konstruktion einer EDTIB – noch nicht den Tatbestand einer gemeinsa- men europäischen Rüstungspolitik. Deklaratorisches ersetzt Substanz. Die Rolle der EVA Die hohen Ansprüche, die der Europäische Rat an die und seit zehn Jahren – zuletzt insbesondere 2013 – im- mer wieder in hehren Beschlüssen bekräftigt, leiden gleichermaßen unter der Spannung zwischen Deklara- tion und Substanz. Viele kleine Schritte militärischer und rüstungstechnischer Abstimmung werden auch - kant schärfen. Positive Dynamik kann gleichwohl aus der intensivierten F&T (Forschung und Technologie)- Koordination mit der Europäischen Kommission entstehen. Gesellschaftliche Akzeptanz von Rüstungspolitik von Rüstungspolitik lassen sich in den europäischen Skeptikern des „militärisch-industriellen Komplexes“ (Eisenhower) eine Ent-Ideologisierung eingestellt, die eine sachliche Auseinandersetzung mit Rüstungsfragen erleichtert. Zum anderen aber hat sich die größere Transparenz von Rüstungsexporten zu einer Heraus- forderung gesellschaftlicher Akzeptanz von Rüstung entwickelt: Mit restriktiver Rechtslage und Rhetorik scheint dennoch vereinbar, dass europäische Rüstungs- exporte in Spannungs- und Kriegsgebiete vollzogen und repressive Regimes beliefert werden. Dabei wird, Korruption nicht selten überschritten.
  • 322. 320 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Verteidigungshaushalte – Erwartungen und Realität Die Turbulenzen im internationalen System stellen auch 2016 den Trend der in der vergangenen Dekade weithin merklich reduzierten Verteidigungshaushalte in Frage. Einige EU-Staaten machen ihre Absichten öffentlich, ihre Verteidigungsbudgets wieder zu stär- ken. Ähnliche politische Signale werden in der NATO gesendet. Starke Wirkungen auf die verteidigungsin- dustrielle Basis sind davon aber kurzfristig nicht zu er- warten – vor allem, weil Rüstungsgüter lange Vorlauf- zeiten für Forschung, Technologie, Erprobung, benötigen. KERNPUNKTE • Die EDTIB bleibt ein Konglomerat, kein arbeitsteili- ges kooperatives System. • Die Hoffnung auf Europäisierung der verteidigungs- industriellen Basis wird enttäuscht. • Es wird keine gemeinsame Rüstungspolitik in Euro- pa geben. • Die Avantgarde-Rolle der militärischen Technologi- en schwindet. • Bei der Entwicklung der Europäischen Verteidi- gungsagentur sind positive und negative Trends auszumachen. • Rüstungspolitik bleibt gesellschaftlich ambivalent. • Die Verteidigungsbudgets werden ohne rasche Wir- kungen leicht steigen. KEY NOTES • EDTIB will remain a conglomerate and not become a collaborative, cooperative system. • The hope for a Europeanization of the defence-in- dustrial base will be disappointed. • There will be no common European armament policy. • The avant-garde role of military technologies is fading. • In the development of the European Defence Agen- cy, positive and negative trends can be discerned. • Armament policy remains socially ambivalent. • Defence budgets will rise slightly without any im- mediate effects. haushalte – Erwartungen ität Die Tu auc a co coo a Eu base w re will policy Es w geben. tgarde-Rolle der militärischen Technologi- • öffentlich, ihre Verteidigungsbudgets wieder zu stär- ken. Ähnliche politische Signale werden in der NATO gesendet. Starke Wirkungen auf die verteidigungsin- ustrielle Basis sind davon aber kurzfristig nicht zu er- ten – vor allem, weil Rüstungsgüter lange Vorlauf- n für Forschung, Technologie, Erprobung, E n Konglomerat, kein arbeitstei stem. päisierung der verteidi enttäuscht. Rüstungspoli risch
  • 323. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 321 TRENDS IN DER EURO- PÄISCHEN STREITKRÄFTE- ENTWICKLUNG 2016 Bruno Hofbauer Von der EU werden auch 2016 keine sicherheitspoli- tischen Initiativen ausgehen, die zu einer militärisch relevanten Neuorientierung führen. Statt gemein- sam Fähigkeiten zu entwickeln werden eher bi- oder trilaterale Programme entlang rüstungspolitischer Interessen verfolgt werden. Insgesamt ist eine Ver- besserung der militärischen Fähigkeiten in Europa eher im Rahmen der NATO als in jenem der EU zu erwarten. Herausforderungen aus dem Süden Ausgehend von der fortdauernden Flüchtlingskrise, die Norden bewegt, und deren Auswirkungen auf die ge- - schen Defence und Security weiter zuspitzen. Der Ein- satz von militärischen Kräften zur Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationsbewegungen wird seine Auswirkungen auch auf das Militär in den unmittelbar betroffenen Staaten haben. Dies wird durch die akut zu- nehmende Wahrnehmung der terroristischen Bedro- hungen noch weiter verstärkt werden. Der Trend, die militärischen Kräfte für Subsidiäraufgaben zur Unter- stützung der Sicherheitskräfte einzusetzen, wird man- gels Alternativen anhalten. Die Bereitschaft der europä- ischen Staaten jedoch, dort mit Nachdruck Taten zu setzen, wo die Krisen der Flüchtlingsströme ihren Ur- Interessensdurchsetzung einzusetzen, wird weiterhin sehr beschränkt sein und eher unilateral oder in kleinen Koalitionen erfolgen. Dieser negative Trend wird trotz
  • 324. 322 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 der begonnnen Operationsführung im Mittelmeer an- halten, da die truppenstellenden europäischen Nationen nach wie vor nicht gewillt sein werden, militärische einzusetzen. Einerseits wird für solche Einsätze keine Autorisierung in Form einer ausreichend robusten Man- datierung erreicht werden können und andererseits sind die Interessen der beteiligten Nationen nach wie vor zu unterschiedlich. Der Einsatz militärischer Kräfte auf dem afrikanischen Kontinent wird nur sehr behutsam und primär unter dem Dach der UNO erfolgen. Die EU wird sich hier weiterhin eher im Bereich der Soft-Power und Bera- ihre inhärenten Interessen gemeinsam aktiv und mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Ein Einsatz euro- päischer Kräfte im Kampf gegen den islamistischen Fundamentalismus und hier vordringlich gegen die Ter- rormiliz „Islamischer Staat“ wird auch 2016 nur durch einzelne Staaten im Rahmen der Koalition mit den USA erfolgen. Ein Einsatz von Bodentruppen in einem - hen zu erwartenden Risikos äußerst unwahrscheinlich. Nahen Osten wird jedoch davon unabhängig weiter steigen und den Druck auf die Sicherheitskräfte erhö- hen. Somit wird der Einsatz militärischer Kräfte zur Verstärkung der Polizei im Inneren seine Fortsetzung Herausforderungen aus dem Osten Andererseits betrachten jene EU-Mitgliedsstaaten, die nicht unmittelbar von den Migrationsströmen betroffen - - rung, die durch die betroffenen Nationen bzw. an der Außengrenze zu lösen ist. Eine Beitragsleistung ist hier nicht oder nur in sehr bescheidenem Umfang zu erwar- ten. Es ist zu beachten, dass es sich hier aber vor allem auch um die neuen EU-Mitgliedsstaaten handelt, die ih- ren Fokus nicht nach Süden, sondern nach Osten orien- tieren. Hier wird eine massive Konfrontationssituation Ukraine wird auch 2016 aktiv bleiben, eine umfassende politische Lösung ist nicht zu erwarten. Die Folge wird die Fortsetzung der Wiederbelebung der nationalen Verteidigung sowie des Artikels 5 im Rahmen der NATO sein, was sich auch auf die Rüstungsinvestitio- nen vor allem jener Staaten auswirkt, die sich als neue auch Schweden und Finnland weiter an die NATO an- nähern, sollte sich das Verhalten Russlands im Baltikum und Norden nicht ändern. In Osteuropa ist auch eine weiterhin aktive Rolle der USA zu erwarten. Jedoch ändert dies nichts an der grundsätzlichen Neuorientierung der USA und ihrer Streitkräfte in den asiatischen Raum. Die Verlegung von Verbänden nach dem Rotationsprinzip in den ost- europäischen Raum ist keinesfalls als Trendumkehr zu werten, sondern dient eher der Beruhigung und Rück- versicherung der in Osteuropa gelegenen Bündnispart- ner, die eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der NATO und vor allem den USA haben. Die europäi- schen Verteidigungsbudgets werden auch 2016 weiter stagnieren. In einzelnen Ländern zeichnen sich zwar Erhöhungen ab, diese werden aber nicht so groß sein, dass Fähigkeiten erweitert werden können, sondern eher dazu dienen, vorhandene Fähigkeiten zu halten und jahrelange Reduzierungen zu kompensieren. Es wird in ausgesuchte Nischenbereiche wie Spezialein- satzkräfte, U-Boote oder Aufklärungskapazitäten inves- tiert und danach getrachtet werden, der nationalen Rüs- tungsindustrie das Überleben zu ermöglichen.
  • 325. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 323 KERNPUNKTE • Europa wird sich im Jahr 2016 in verschiedene Richtungen orientieren, einerseits nach Süden um dem Flüchtlingsstrom zu begegnen, ohne jedoch hier militärisch die notwendigen Schritte einleiten zu können, und andererseits nach Osten, wo eher Gedanken der Abwehrhaltung bestimmend sind. • Insgesamt ist eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten eher im Rahmen der NATO zu erwarten als im Verbund der EU, da die Europäische Union mit institutionellen Fragen und den Herausforde- rungen im Bereich der inneren Sicherheit ausgelas- tet sein wird. • Die europäischen Verteidigungsbudgets werden auch 2016 weiter stagnieren. Einzelne Erhöhungen dienen dazu, vorhandene Fähigkeiten zu halten, jahrelange Reduzierungen zu kompensieren bzw. in ausgesuchte Nischenbereiche zu investieren. • Fundamentalismus nicht zu vernachlässigen. Multiple Herausforderung der EU Somit ist davon auszugehen, dass sich Europa im Jahr 2016 in verschiedene Richtungen orientiert – einerseits nach Süden, um dem Flüchtlingsstrom zu begegnen, ohne jedoch hier militärisch die notwendigen Schritte einleiten zu können, und andererseits nach Osten, wo ausgeräumt, aber es ist nicht zu erwarten, dass eine neue des islamistischen Fundamentalismus in Verbindung mit der anhaltenden Perspektivenlosigkeit weiter Teile der Bevölkerung, politischem Stillstand, Korruption und Arbeitslosigkeit nicht zu vernachlässigen. Eher NATO als EU Von der EU sind auch 2016 nicht jene sicherheitspoliti- schen Initiativen zu erwarten, die dazu führen würden, dass eine gesamtheitliche Neuorientierung vollzogen wird, die sich auch auf den militärischen Bereich merk- bar auswirken würde. Die Initiativen gemeinsam – etwa über Pooling and Sharing oder das Framework Nation Concept – Fähigkeiten zu entwickeln und Shortfalls zu beseitigen sind der Ernüchterung gewichen, in deren Folge eher bi- oder trilaterale Programme getrieben durch rüstungspolitische Interessen verfolgt werden. Insgesamt ist eine Verbesserung der militärischen Fä- higkeiten eher im Rahmen der NATO zu erwarten als im Verbund der EU, da die Europäische Union mit ins- titutionellen Fragen und den Herausforderungen im Be- reich der inneren Sicherheit ausgelastet sein wird. KEY NOTES • In 2016, Europe will orient itself in many direc- tions; on the one hand towards the south, to meet to initiate the necessary military steps, and, on the other hand, towards the east, where defensive thoughts dominate. • On the whole, an improvement of military capabili- ties can be expected more within the framework of NATO than that of the EU, as the European Union will be busy with institutional questions and chal- • European defence budgets will continue to stagna- te in 2016. Individual increases will serve more to maintain present capabilities, to compensate for decades-long reductions, or to invest in selected ni- che areas. • talism must not be disregarded. NP opa htu m F r m ön ank sam eite rbu ione reich erteidi eren. E gkeiten zu sieren bzw. in u erwart Fund den ng, p osig über Pooling and Sh keiten zu en hterung g ogramm verfolg tärisc wart n mi im t ve abili work Uni and ntinu es wil ilities, t eductions che areas. r 2016 in verschiedene nerseits nach Süden um gegnen, ohne jedoch en Schritte einleiten ch Osten, wo eher immend sind. militärischen zu erwarten e Union forde- gelas- politischem Stillstand, Korruption t nicht zu vernachlässigen. im Verbund der EU, da die Europäische Union titutionellen Fragen und den Herausforderun reich der inneren Sicherheit ausgelastet sein KEY NOTES • In 2016, Europe will orient itsel tions; on the one hand toward to initiate the necessary the other hand, toward thoughts dominate. • On the whole, an im ties can be expe NATO than tha will be busy • Europea te in ma d
  • 326. 324 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 STREITKRÄFTEENTWICKLUNG DEUTSCHLAND 2016 Christian Mölling Die nationalen politischen Rahmenbedingungen ma- chen neue Impulse für Verteidigung und Streitkräf- teentwicklung sehr unwahrscheinlich. Weil sich die Legislaturperiode in Deutschland zu Ende neigt, sind auch weniger politische Initiativen aus dem Ver- teidigungsressort zu erwarten. Deshalb steht die Streitkräfteentwicklung 2016 im Lichte der Erhö- hung der Einsatzfähigkeit und der Implementierung des Rahmennationenkonzeptes (FNC). Der NATO- Gipfel wird von deutscher Seite eher als Implemen- tierungsgipfel gesehen. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) dürften nur mäßige Unterstützung erfahren. Praktisches verteidigungspolitisches Engagement Deutschlands in diesem Bereich könnte über ein europäisches Weißbuch sichergestellt werden. Jenseits von Afgha- nistan wird Deutschland bei Einsätzen Wert auf eu- ropäische Partner legen und weiterhin Trainingsmis- sionen bevorzugen. Als Konsequenz für Europa, EU und Österreich sucht Deutschland aktiver, aber auch selektiver Partner.
  • 327. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 325 Das Rahmennationenkonzept wird 2016 zentrales Inst- rument der Fähigkeitsentwicklung. Die Implementie- rung des FNC wird 2016 im Mittelpunkt der Fähigkeits- planung und der politischen Aufmerksamkeit des Ministeriums stehen. Deutschland wird auf dem aber nicht voll funktionsfähig sein, sondern wahr- scheinlich zunächst nicht mehr als eine Absichtserklä- rung sein. Zudem will Deutschland auch über diese Zeit hinaus seine Suche nach geeigneten Partnern syste- matisieren. Im Zentrum werden dabei die Nachhaltig- keit und die Relevanz dessen stehen, was die Partner in einen FNC-Cluster einbringen können. Eine wesentliche Veränderung der Kommandostruktur wird 2016 dadurch entstehen, dass erste Elemente des neuen Cyber-Kommandos aufgebaut sein werden. Es wird jedoch wahrscheinlich noch nicht im Normalbe- trieb einsatzbereit sein. NATO-Gipfel Hier herrscht bislang Ratlosigkeit mit Blick auf die Agenda jenseits der zu verkündenden Implementierun- gen des Readiness Action Plan und der Very High Rea- diness Joint Task Force (VJTF) sowie Sorge vor der aufkommenden Abschreckungsdebatte und den damit verbundenen Nuklearfragen. Auch wenn Deutschland „Vollzug“ bei der Implementierung der VJTF melden wird, werden sicher die Probleme bei der Einhaltung der Zeitlinien für die Verlegung der Einheiten nicht ge- Deutschland mehren, die für eine permanente Statio- nierung von Truppen im Baltikum sind, dürfte Deutschland diesem Vorschlag Polens und anderer die- ses Jahr nicht zustimmen. Politischen Rahmenbedingungen Nach der Sommerpause 2016 werden sich die politi- schen Leitungen der Ministerien langsam auf den Wahl- kampf einstellen. Sie bereiten die Leistungsbilanz vor und werden keine neuen Projekte beginnen. Vorm Wähler präsentable Ergebnisse sind gefragt. Neue Im- pulse kann es nur noch wenige geben. Diese kommen sicher nicht aus dem Außenministerium oder Kanzler- amt. Verteidigung wird insgesamt keine hohe Priorität in der Regierungsarbeit und im Wahlkampf haben. Ver- änderungen dieser Priorisierung wird es nur aufgrund neuer oder wieder angeheizter Krisen geben. Verteidigung Der Verteidigungshaushalt wird 2016 steigen. Es könn- te sein, dass die Verteidigungsministerin versucht, 2016 eine weitere Etatsteigerung durch das Parlament zu bringen, da es ein besonderes politisches Möglichkeits- fenster durch das Wohlwollen der Abgeordneten gibt. Dieses Fenster kann sich nach der Wahl 2017 wieder schließen. Vom 2016 zu veröffentlichenden Weißbuch werden keine greifbaren Impulse für die Streitkräfte- entwicklung ausgehen. Dieses wird die „Artikel 5“-Auf- gaben höher gewichten und kann einen Schwerpunkt auf Europa setzen. Streitkräfteentwicklung Das Bundesministerium der Verteidigung setzt die Ab- kehr vom Konzept „Breite vor Tiefe“ fort. Es scheint jedoch unmöglich, dass die Kampfbrigaden 2016 be- reits wieder 100% ihrer Ausstattung haben werden.
  • 328. 326 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 GASP/GSVP Die Arbeiten an der Neufassung der Sicherheitsstrate- keine besondere Bedeutung für die Streitkräfteentwick- einen Beitrag zur Konkretisierung der Verteidigungs- union leisten oder sehen wollen, die sie unterstützt. Zwei Impulse können aus Berlin erfolgen: Ein europäi- sches Weißbuch zur Verteidigung und entweder darin oder möglicherweise als deutscher Vorschlag zur Um- setzung der neu gefassten Sicherheitsstrategie die Ein- bringung des Rahmennationenkonzepts in die EU/ Einsätze Bei UN-Friedensmissionen kann es sein, dass Deutsch- land weiterhin nur verhaltenes Engagement zeigt. Es wird sich eher daran orientieren, wo man Partnern wie Niederlande oder Frankreich unterstützen und Sicht- barkeit herstellen kann, als darum, einen besonders gro- ßen oder fähigen Beitrag zu UN-Kampftruppen zu stellen. Allgemein ist der Wille groß, entlang der „Enhance und Enable“-Initiative zu verfahren und nur geringe Zahlen von Soldaten als Ausbilder in den Einsatz zu bringen. Hierfür gibt es sogar ein eigenes Budget, über das Au- ßenamt und Verteidigungsministerium gemeinsam ver- fügen. Ein stärkeres Engagement im Irak ist wahr- scheinlicher als ein Engagement in Ländern auf dem afrikanischen Kontinent. Afghanistan kann mit Blick gleich bleibendes Kontingent ist wahrscheinlich, eine Erhöhung eher unwahrscheinlich. Der Fokus deutscher Sicherheitspolitik in Afrika wird wahrscheinlich auf der innenpolitischen Seite liegen, also darauf, Polizei und Sicherheitskräfte befähigen. Streitkräfte kommen vor allem als Berater in Frage. Die Ausnahme wäre der wahrscheinliche Einsatz der Bun- deswehr im Zusammenhang mit der UN-Mission MINUSMA. Doch auch hier bleibt es sicher bei den be- kannten roten Linien: keine Kampfverbände. Dennoch - schutzkomponente und vielleicht sogar ein robustes Mandat erhalten. Dies kann aber nicht als ein systemati- scher Einstieg Deutschlands in eine größere Rolle beim militärischen Krisenmanagement in Afrika gesehen werden. Konsequenz für Europa, die EU und Österreich Deutschland sucht Partner für die Umsetzung des Rah- mennationenkonzeptes systematisch Partner. Es ver- sucht dabei selektiver zu werden. Damit könnte sich möglicherweise für Österreich die Tür zur Verteidi- gungskooperation mit Deutschland schließen, wenn man keine beidseits attraktiven Kooperationsbereiche
  • 329. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 327 KERNPUNKTE • Die politischen Rahmenbedingungen machen neue Projekte für Verteidigung und Streitkräfteentwick- lung sehr unwahrscheinlich. • Es wird mehr Ressourcen aber wenig politische Im- pulse für die Verteidigung geben. • Die Streitkräfteentwicklung wird 2016 von der Er- höhung der Einsatzfähigkeit und der Implementie- rung des Rahmennationenkonzeptes bestimmt. • Das größte internationale Einzelereignis wird der NATO-Gipfel. • GASP und GSVP dürften nur mäßige Unterstützung erfahren; praktisches Engagement Deutschlands könnte über ein europäisches Weißbuch sicherge- stellt werden. • Jenseits von Afghanistan wird Deutschland bei Ein- sätzen wert auf europäische Partner legen und wei- terhin Trainingsmissionen bevorzugen. • Als Konsequenz für Europa, EU und Österreich sucht Deutschland aktiver, aber auch selektiver Partner. KEY NOTES • The political framework conditions make new de- fence projects and armed forces developments highly unlikely. • There will be more resources for defence but less political impetus. • Armed forces development in 2016 will be deter- mined by the increase in operational capabilities and the implementation of the Framework Nations Concept. • The biggest international event will be the NATO-Summit. • CFSP and CSDP might only receive moderate sup- port, Germany’s commitment could be ensured through a European White Paper. • Beyond Afghanistan, Germany will prefer to work with European partners in military operations and continue to focus on training missions. • With regard to the Framework Nations Concept, Germany is searching for partners more actively but also more selectively. ERN ie p jekt seh me die V fteen atzfäh onenko inzelereign new pme fenc n 201 n oper tation o • The bigges gen machen neue tkräfteentwick- olitische Im- der Er- ntie- KEY NOTES • The political f fence proje highly un • There w polit • Arm
  • 330. 328 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 STREITKRÄFTEENTWICKLUNG FRANKREICH 2016 Jérôme Pellistrandi Frankreich begann im Jahr 2012, damals in einem budgetär sehr prekären Umfeld, mit der Ausarbei- tung des neuen Weißbuches zur Verteidigung und nationalen Sicherheit, in dem die französische Posi- tion zur globalen Lage wie auch die strategischen Weiterentwicklungen ausgeführt sind. Noch wäh- rend der Arbeiten am Weißbuch wurde im Jänner 2013 mit der Operation Serval die Intervention in Mali begonnen, um den Vormarsch der Jihadisten augenblicklich zu stoppen. Dieser bedeutende Ein- - aktionsfähigen militärischen Werkzeugs vor Augen geführt, aber auch gezeigt, in welchen Bereichen die französischen Streitkräfte an ihre Grenzen stoßen und wie wichtig es ist, permanent Anpassungen vor- zunehmen. Auch 2016 werden die französischen Streitkräfte ihr Engagement weiterentwickeln und im Zuge eines Transformationsprozesses den aktu- ellen wie auch zukünftigen Bedrohungen anpassen.
  • 331. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 329 Der Publikation des Weißbuches im April 2013 folgte militärischen Planung 2014-2019 (Loi de programma- tion militaire (LPM) 2014-2019), das zusätzlich zu den Kürzungen des vorherigen LPM u. a. weitere Perso- nalkürzung von 25.000 Posten vorsah und neue Re- strukturierungen bzw. die Streichung gewisser Instan- zen und Einheiten veranlasste. Militärisches Einsatzspektrum in den Kernbereichen erhalten - schen den großen Achsen der französischen Streitkräf- testruktur zu wahren, mit dem Ziel, die gesamte Palet- te des militärischen Einsatzspektrums rund um die Kernaufgaben – das sind nukleare Abwehr, Schutz und Intervention – zu erhalten. Die Verschlechterung des strategischen Kontextes seit 2013 und insbesonde- re die terroristischen Angriffe seit dem Jänner 2015 in Paris haben die politische Ausgangssituation durch ei- nen erhöhten Bedarf verändert. Dadurch werden im Notfall verstärkte Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der französischen Bevölkerung und folglich eine Auf- stockung der Streitkräftekapazitäten, insbesondere in Bezug auf Personalstärke, erforderlich. In nur wenigen Tagen wurden fast 10.500 Soldatinnen und Soldaten im gesamten Staatsgebiet aufgeboten, um den Schutz verschiedenster sensibler Bereiche zu gewährleisten; 7.000 Einsatzkräfte sind weiterhin stän- dig zugeteilt. Die Regierung hat im Zuge der Aktuali- sierung des LPM 2014-2019 im ersten Halbjahr 2015 die Bedrohungsentwicklung dahingehend berücksich- tigt, dass die von den Einsätzen seit 2013 gelernten und hierdurch aufgezeigten Lücken in Bezug auf Ka- pazitäten gefüllt werden sollen. Erhöhung der budgetären Mittel Das aktualisierte LPM unterstützt den Transformati- onsprozess und verstärkt die budgetären Mittel durch eine Erhöhung um 3,8 Mrd. auf insgesamt 162,41 Mrd. Euro für die Periode 2015 bis 2019. Als Investitions- schwerpunkte gelten weiterhin der Schutz des Staats- gebiets, die Ausrüstung, die Einsatzaktivitäten der Streitkräfte wie auch Aufklärung und Cyber Defense. Der Rückgang der Truppenstärke wird durch die Er- haltung von 18.750 Posten gemindert. Schlussendlich werden im Zeitraum 2014 bis 2019 etwa 15.000 Ar- beitsplätze eingespart werden. Tatsächlich wird das Budget 2016 32 Mrd. statt den im ursprünglichen LPM geplanten € 31,3 Mrd. Euro be- tragen. Der Anteil für Ausrüstung wird ebenfalls an- gehoben werden und somit fast 17 Mrd. anstatt der 16,7 Mrd. Euro im Jahr 2015 erreichen. Somit kann das Bewaffnungsprogramm fortgeführt und gleichzei- tig die Einsatzfähigkeit gefestigt werden, das unab- Mittel verfügen. Diese Anstrengungen sind essenziell, 135 FR, VAB, gepanzerte Radfahrzeuge…) ins Sto- cken geraten ist. Auch stellen die Erfordernisse in den Einsatzgebieten, besonders in Afrika, eine beträchtli- che logistische Herausforderung dar. Der Einsatz des dieser Hinsicht ein wichtiger qualitativer Fortschritt für die strategische Planung. Die Luftwaffe verfügt bereits über sieben Maschinen. 2016 werden sich die Investitionen auch auf die perso- nellen Ressourcen auswirken. So hat der strategische Umbruch dieses Jahr zu einer Revision der Truppen- stärke geführt, was speziell den Landstreitkräften
  • 332. 330 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 mehr Kräfte brachte. Ziel bleibt, die einsatzfähigen Landstreitkräfte von 66.000 auf 77.000 Mann zu ver- stärken. Des Weiteren werden– neben der Aufklärung – auch mit Cyber Security und der diesbezüglichen Leistungsverbesserung der nationalen Kapazitäten Schwerpunkte gesetzt. Starker politischer Wille für internationa- les Krisenmanagement Diese Entscheidungen – erschwert durch budgetäre Einschränkungen – zeigen einen starken politischen Willen der französischen Regierung, sich für die Ver- teidigung der Interessen Frankreichs einzusetzen und auch zum Krisenmanagement unter UNO-Mandat beizutragen. Derzeit beteiligt sich Frankreich an meh- reren größeren Operationen, besonders in Subsahara- Afrika und dem Mittleren Osten. Die Operation Bark- Zone vor den aus dem Norden kommenden Jihadisten zu schützen, und hat eine Stabilisierung in Mali er- möglicht. Das Ziel der Operation Sangaris in der Zen- tralafrikanischen Republik ist, einen Staat, dessen Re- gierung trotz jahrelanger militärischer und ziviler Hilfe äußerst fragil ist, zu stabilisieren. Hierbei ist zu betonen, dass sich diese Einsätze in einem multinatio- - tens der Europäischen Union und afrikanischer Part- nerländer abspielen. Im Mittleren Osten verfolgt die seit einem Jahr aktive Operation Chammal das Ziel, der Ausbreitung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) entgegenzuwirken. Anfang September wurde der Aktionsraum der französischen Flugzeuge erweitert, durch den IS kontrolliert werden. Frankreich ist durch seinen Beitrag zur Luftraumüber- wachung der baltischen Staaten auch an den Absiche- rungsmaßnahmen der NATO in Osteuropa beteiligt. Es steht außer Zweifel, dass die französischen Streit- kräfte auch weiterhin ihr Engagement beibehalten werden, und dies auch im Zuge eines Transformati- onsprozesses, der ihnen erlaubt, sich den aktuellen wie - zeitig gilt es, ein möglichst vollständiges Spektrum an militärischen Kapazitäten in enger Zusammenarbeit mit unseren NATO- und EU-Partnern zu erhalten. Rolle der Streitkräfte im Inneren Die französischen Streitkräfte können sowohl für Auf- gaben im Inneren als auch für Operationen im Aus- land eingesetzt werden. Es gibt keine speziell trainier- ten Einheiten, die sich ausschließlich dem Schutz des französischen Territoriums widmen. Die Truppen sind so trainiert, dass sie gleichzeitig in verschiedenen Mis- sionen eingesetzt werden können. Alle Einheiten sind in der Lage, sowohl im Inneren als auch im Ausland zum Einsatz zu kommen. Die jährlichen Planungen werden vom Streitkräftekommando auf diese beiden möglichen Einsatzspektren ausgerichtet. Lehren aus den Einsatzerfahrungen Nach den Terrorattacken in Paris konnten wichtige Erfahrungen aus den Einsätzen gelernt werden. Mobi- le Truppen sind effektiver als statische. Der Schutz von Häusern und Bevölkerungsgruppen ist keine leichte Aufgabe. Der Kontakt zur lokalen Bevölkerung ist sehr wichtig. Die Soldatinnen und Soldaten müssen für diesen Einsatz besonders geschult werden. Das in- kludiert auch Selbstverteidigung, Einsatzregeln, den Soldatinnen und Soldaten keine „Hilfspersonen“ von
  • 333. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 331 KERNPUNKTE • Das Budget 2016 wird 32 Mrd. anstatt den ursprünglich geplanten 31,3 Mrd. Euro betragen. • Der Schutz des Staatsgebiets, die Ausrüstung, die Einsatzaktivitäten der Streitkräfte wie auch Aufklärung und Cyber Defense haben weiterhin Priorität. • Frankreich will ein möglichst vollständiges Spektrum an militärischen Kapazitäten in enger Zusammenarbeit mit unseren NATO- und EU-Partnern erhalten. • Der Schutz von Zivilisten, Bevölkerungsgruppen und Bauwerken und bleibt eine große Herausforderung. Polizeikräften. Auf höchster Ebene der französischen Verwaltung läuft derzeit eine Debatte um eine Reform der Einsatzregeln bei den Streitkräften. Dieses Projekt wird von der Regierung in einigen Wochen der Öf- fentlichkeit präsentiert. KEY NOTES • The 2016 defence budget will be increased from € 31.3 billion to € 32 billion. • National defence, equipment, operations of the armed forces, military intelligence, and cyber defence will have priority. • France wants to maintain as full a spectrum of military capacities as possible in close cooperation with NATO and EU partners. • The protection of civilians, communities, and buildings is not an easy task 32 M ets, die Ausrüstung, die Einsatzaktivitäten der Streitkräfte wie auch Aufk Prioritä iges Spektrum an militärischen Kapazitäten in eng ischen um eine R räften. D nigen W ch geplanten 31,3 tzaktivitäten tärisc
  • 334. 332 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 REGIONALE VERTEIDIGUNGS- KOOPERATIONEN 2016 mit besonderer Berücksichtigung der Central European Defence Cooperation Rastislav Báchora Vor dem Hintergrund aktueller Krisen werden vertei- digungspolitische Formate auch 2016 daran zu messen sein, in wie weit sie als Instrument gegen reale sicherheitspolitische Herausforderungen für die einzelnen Staaten von Nutzen sein werden. Die Entwicklungen in der Central European Defence Co- operation (CEDC – bestehend aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Österreich, Slowenien und Kroati- en), in der Österreich im Januar 2016 die jährliche Präsidentschaft übernimmt, werden insbesondere Dynamiken bis 2016 Im Allgemeinen hatten 2015 die Beziehungen zwi- schen dem Westen und Russland wesentliche Auswir- von den Vertiefungstendenzen in der Visegrad-Grup- pe (V4 – bestehend aus Polen, Tschechien, der Slo- - deutung wird auch den sicherheitspolitischen Entwicklungen in und um Europa beizumessen sein.
  • 335. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 333 - hender regionaler Verteidigungskooperationen. Während die Relevanz des Weimarer Dreiecks (beste- hend aus Frankreich, Deutschland und Polen) stag- nierte, erfuhren die Nordic Defence Cooperation (NORDEFCO – bestehend aus Island, Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland) und die Koope- ration der baltischen Staaten (B3 – bestehend aus Est- land, Lettland und Litauen) eine Vertiefung ihrer mili- tärischen Zusammenarbeit als direkte Reaktion auf die russische Außenpolitik. Entgegen den Anzeichen zu Jahresbeginn 2015 wurde auch die verteidigungspoliti- sche Kooperation der V4-Staaten weiter vertieft und ausgebaut. Dies geschah jedoch nicht aufgrund von wahrgenommenen Bedrohungen, sondern primär auf- grund von Interessen der Verteidigungsressorts, rüs- tungspolitischer Überlegungen sowie eines gewissen Anpassungsdrucks gegenüber der NATO. Basierend auf der Tatsache, dass Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowohl in der CEDC als auch in der V4 aktiv sind, werden die Entwicklungen im V4-Format ent- scheidend für die Dynamik und den Verlauf der öster- reichischen CEDC-Präsidentschaft 2016 sein. V4 und CEDC Die anti-russische Haltung Polens führte zu Jahresbe- ginn 2015 zu offenen Meinungsverschiedenheiten in- Tschechien und die Slowakei (außen)politisch eine An- nährung an Österreich und begründeten das von War- schau mit viel Misstrauen beobachtete informelle Aus- terlitz-Format (Regierungschefs dieser Staaten trafen sich 2015 dreimal). Trotz dieser Dynamik in der ersten Jahreshälfte 2015, ist die militärische Kooperation der - schaft (Juli 2014 bis Juni 2015) ausgebaut worden und wird von der tschechischen Vorsitzführung bis Juni 2016 fortgeführt. Im April 2015 wurde eine Ausbildungs- und Übungs- strategie für V4-Streitkräfte angenommen, mit der un- ter anderem die NATO’s Connected Forces Initiave in den nächsten Jahren gestärkt werden soll. Bei einer ge- meinsamen Erklärung der V4-Verteidigungsminister wurde die Bedeutung der militärischen Zusammenar- beit vor allem für die NATO hervorgehoben. Somit zeigt sich, dass die NATO in den Konzepten der ver- teidigungspolitischen Kooperation der V4-Staaten ei- nen höheren Stellenwert als die EU einnimmt. Dieser Trend dürfte sich, trotz einer gemeinsamen V4-EU- Battlegroup im Jahr 2016, weiter verstärken. Dagegen verfolgt die CEDC, deren Vertiefungsgrad unter dem Vorsitz Kroatiens 2015 auf einem moderaten Niveau bestehen blieb, einen anderen Ansatz. Beim Treffen der CEDC-Verteidigungsminister im Mai 2015 wurde beschlossen, Absprachen im Vorfeld von Entscheidun- gen auf EU-Ebene sowie eine Vertiefung der Zusam- menarbeit auf Basis von bereits beschlossen Leucht- turmprojekten durchzuführen. Unabhängig vom verteidigungspolitischen Vertie- fungsgrad der V4 und der CEDC besteht der wesentli- che Unterschied darin, dass die militärische Koppera- Kontext zwischen Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn eingebettet ist. Während es zum Beispiel zu keinem weiteren Treffen auf Ebene der Minister anderer Ressorts der CEDC-Staat kam und 2016 sol- che auch nicht vorgesehen sind, trafen einander neben den V4-Verteidigungsministern auch Mitglieder parla- mentarischer Ausschüsse, die Staatspräsidenten, Pre- mierminister und Minister unterschiedlicher Ressorts. Alleine die Außenminister trafen einander im Jahr
  • 336. 334 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 2015 bis November insgesamt sechsmal. Die Spannun- gen hinsichtlich der Haltung gegenüber Russland wur- den durch gemeinsame Interessen in der Energiepoli- tik, Heranführung des Westbalkans an die EU und zuletzt in der Migrations- und Flüchtlingspolitik kom- pensiert. Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass sich 2016 mögliche Spannungen zwischen der neuen polni- schen Regierung und den anderen V4-Staaten auf den verteidigungspolitischen Bereich auswirken werden. Mittelfristig ist das jedoch nicht auszuschließen. Entwicklungen 2016 Die NORDEFCO, die Benelux-Kooperation sowie die B3-Zusammenarbeit werden im Allgemeinen ihre Ver- tiefungstendenz im Jahr 2016 fortsetzen, wobei kon- zeptuelle Anpassungen an die geänderte Bedrohungs- lage erfolgen könnten. Zumindest in der NORDEFCO und im Benelux-Format wird Russland nicht mehr der wichtigste Treiber der Vertiefung sein. Militärische Maßnahmen gegen terroristische Bedro- hungen und ein mögliches Schwergewicht künftiger Einsätze in Afrika könnten bei der Ausrichtung der Kooperationsformate berücksichtigt werden. Die NORDEFCO, die vielen regionalen Kooperationen als Vorbild dient, beabsichtigt im Jahr 2016, die Inter- operabilität zwischen den Streitkräften zu verbessern. Mittelfristig könnten auch Maßnahmen im Kontext der Migrations- und Flüchtlingskrise für die verteidi- gungspolische Kooperation relevant werden. Wie weit - tärkooperationen künftig berücksichtigt wird, bleibt abzuwarten. Einen ersten Vorstoß machte bereits die - kräfte an der ungarischen Schengen-Außengrenze im Rahmen einer Krisenmanagementübung zur Verstär- - übertritte zu verhindern, eingesetzt wurden. Somit wurde ein weiterer Kooperationsbereich in der vertei- digungspolitischen Zusammenarbeit der V4-Staaten erfasst, der 2016 erweitert werden könnte. Jahreshälfte erstmals eine EU-Battlegroup unter pol- nischer Führung stellen wird. Dies wird in der öster- reichischen CEDC-Präsidentschaft deshalb zu berück- sichtigen sein, weil sich Tschechien, die Slowakei und EU-Battlegroup wird Personal, Ressourcen und politi- sche Aufmerksamkeit binden. Hinsichtlich der weite- - sammenwirken im atlantischen Kontext wird der - pulse für regionale Kooperationen bringen. Polen wird höchstwahrscheinlich bestrebt sein, künftig eine stär- - wirken, wobei die V4-Militärkooperation als ein prak- tisches Modell in den Mittelpunkt rücken könnte. Ableitungen für die CEDC Um die CEDC als regionale Kooperation 2016 wäh- rend der österreichischen Präsidentschaft sichtbarer zu machen, dürfte sie nicht als Konkurrenz zur V4 auf- treten, sondern sie müsste als genuine zentraleuropäi- sche Initiative in breiterem regionalen Ansatz mit ge- meinsamen Interessen – z. B. am Westbalkan – betrachtet werden. Beim CEDC-Verteidigungsministertreffen im Mai 2016 könnten die Partner daran interessiert sein, die Abgrenzung zur V4-Kooperation zu thematisieren. Wahrscheinlich wird die Frage gestellt werden, wie ge- meinsam gegen Bedrohungen vorgegangen werden
  • 337. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 335 KERNPUNKTE • Die Außenpolitik Russlands wird als Treiber für regionale Kooperationen in Europa an Relevanz einbüßen und die Bedeutung von terroristischen Bedrohungen, Schutz der Außengrenzen sowie von möglichen Einsätzen in der südlichen Nachbarschaft der EU könnte steigen. • • Für die österreichische CEDC-Präsidentschaft ab Januar 2016 werden Prozesse innerhalb der V4 zu berück- sichtigen sein. • Auf der politischen Ebene sollte das CEDC-Verteidigungsministertreffen im Mai 2016 genutzt werden, um Ab- grenzungen gegenüber der V4 zu tätigen und die europäische Dimension der Kooperation zu präzisieren. kann. Das Interesse Österreichs, die CEDC als ein si- cherheits- und verteidigungspolitisches Abstimmungs- etablieren, könnte weiter vorangetrieben werden, wo- bei von Slowenien und Kroatien größere Unterstüt- zung erwartet werden könnte. Jedenfalls wird für die weiteren Entwicklungs- und Kooperationsprozesse der CEDC die österreichische Präsidentschaft aus- schlaggebend sein. KEY NOTES • Russia’s foreign policy will loose relevance as a driver of regional cooperations in Europe; terror threats, border protection, as well as possible operations to the south of the EU could increase in importance. • • The Austrian CEDC Presidency (from January 2016) will have to consider processes within the V4 group. • TE ik Russlands wird als Treiber für regionale Kooperationen in Europa an Relevanz einbüßen und on terroristischen Bedrohungen, Schutz der Außengrenzen sowie von möglichen Einsätzen in barsc räsidentschaft ab Januar 2016 werden Prozesse innerhalb der eidigungsministertreffen im Ma s ein si- s Abstimm angetr roatie könn ngs- errei n. regionale Kooperationen in Eur Schutz der Außengrenzen s 016 werd chische Präsidentschaft aus-
  • 339. ÖSTERREICHISCHE SICHERHEITSVORSORGE 2016 „In Österreich ist die Verteidigungspolitik Teil der natio- nalen »Umfassenden Sicherheitsvorsorge«. Das Öster- reichische Bundesheer (ÖBH) ist die bewaffnete Macht der Republik Österreich. Es ist Ausdruck des Willens und der Fähigkeit der Republik Österreich zur Verteidi- gung seiner Verfassung und Werteordnung.“ (Teilstrategie Verteidigungspolitik, S. 5)
  • 340. 338 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN DER ÖSTERREICHISCHEN SICHERHEITSVORSORGE 2016 Über Österreichs Sicherheit wird in Syrien entschieden Alexandra Föderl-Schmid In Deutschland hieß es jahrelang, über die Sicherheit im Lande werde am Hindukusch entschieden. Mit die- sem Argument wurde das Engagement deutscher Bun- deswehrsoldaten in Afghanistan innenpolitisch begrün- Die Lage in Nahost, in Afghanistan und im Irak bestimmt die Herausforderungen für die österreichische Sicherheitspolitik. Das Schwierige an der Situation: Keiner der Fak- det. Dieses Argument lässt sich abgewandelt auch auf Österreich übertragen: Über Österreichs Sicherheit wird in Syrien entschieden. Wobei das Wort „auch“ noch hinzugefügt werden muss. Denn die instabile Si- tuation in Afghanistan und die Terroranschläge im Irak sowie das Agieren des so genannten Islamischen Staats (IS) sind neben dem Bürgerkrieg in Syrien Hauptgrün- de für das Anschwellen des Flüchtlingsstroms. Dazu kommt die Situation in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens, im Libanon und in der Türkei.
  • 341. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 339 Vakuum in Washington Dass sich Russland seit dem Herbst 2015 wieder militä- risch in Syrien engagiert, hat dort zu einer weiteren Zu- spitzung der Lage geführt. Im Jahr 2016 sind in den USA die Präsidentschaftswahlen, und Moskau könnte die Zeit des Wahlkampfes und damit relativen politi- schen Stillstands in Washington nützen, um im Nahen Osten an Terrain zu gewinnen und den noch amtieren- den Präsidenten Barack Obama unter Druck zu setzen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass Obama noch weit- reichende sicherheitspolitische Entscheidungen trifft, sollte er nicht durch einen Terroranschlag oder ähnli- che unvorhersehbare Ereignisse dazu gezwungen werden. Wegen der prekären Sicherheitslage, die sich an der Er- stürmung der Stadt Kunduz durch die Taliban Ende September 2015 am deutlichsten zeigte, hat Obama be- noch am Hindukusch stationierten rund 10.000 US- Armeekräfte schon 2016 abzuziehen. Erst im Jahr 2017 soll der Abzug schrittweise weitergehen, aber auch dann sollen mehr als 5000 Armeeangehörige in Mili- tärbasen bei Kabul, Bagram, Jalalabad und Kandahar verbleiben. Drang in die Mitte Europas Wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt, wird für Österreichs Entscheidungen im sicherheitspolitischen - ghanistan. Denn Österreich ist vom Andrang der Flüchtlinge direkt betroffen. Wie die Ereignisse ab dem Frühsommer 2015 gezeigt haben, können sich rasch Massen von Menschen in Bewegung setzen, die in die Mitte Europas drängen. diesen Wanderungsbewegungen betroffen, da die meis- ten Flüchtlinge nach Deutschland wollen. An diesem Wunschziel wird sich auch 2016 nichts ändern. Die sich im September zuspitzenden Ereignisse mit - lingsströmen haben gezeigt, dass Österreich von Ent- scheidungen in anderen Ländern abhängig ist. Der Bau von Zäunen und die oft nur temporäre Schließung von - tuation hierzulande. Das zeigte sich einerseits im Os- machte, aber auch Richtung Westen, wo Deutschland Dauer des Flüchtlingsstroms zu regulieren versuchte. Absicherung der grünen Grenze Das Bundesheer wurde aufgrund politischer Entschei- dungen mehrere Wochen nach Beginn des starken Flüchtlingsandrangs in die Versorgung der Menschen eingebunden. Darüber hinaus wurde, obwohl dies Ver- - Commenda sagte in einem Standard-Interview: „Das dichtzumachen ist aus meiner Sicht unmöglich.“ Die Schlepper fänden „neue Wege, wenn Flüchtlinge nicht mehr wie derzeit per Bahn oder entlang der Straßen kommen können“. Wie man das Schlepperwesen eindämmen kann, wenn eingetretene Fluchtpfade verlassen werden, wird eine der Herausforderungen im Jahr 2016 sein. Die Flücht- lingsströme werden sich auch nicht mehr vorwiegend
  • 342. 340 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Es ist nicht zu erwarten, dass US-Präsident Obama 2016 noch weitreichende sicherheitspolitische Ent- scheidungen trifft. • Die russische Führung könnte das Vakuum in Wa- shington ausnützen. • Wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt, wird für Österreichs Entscheidungen im sicherheitspo- litischen Bereich noch wichtiger sein als das Ge- schehen in Afghanistan. • Das Flüchtlingsproblem hat gezeigt, dass Öster- reich von Entscheidungen in anderen Ländern ab- hängig ist. • Die Sicherung der EU-Außengrenze und die Einrich- tung von so genannten „Hotspots“ wird 2016 Prio- rität haben. • Österreich wird Personal für die Hotspots und die Sicherung der EU-Außengrenzen bereitstellen müssen. hier vor allem auf den Übergang in Nickelsdorf – kon- schützt werden müssen. Herausforderung für die EU Auch für die Europäische Union ist die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine Bewährungsprobe. Die Sicherung der EU-Außengrenze und die Einrichtung von so genannten „Hotspots“ zur besseren Aufnahme und Versorgung von Ankommenden wurden zwar zur Priorität erklärt. Aber die konkreten Schritte bei der Umsetzung werden 2016 im Frühjahr auf die EU-Län- der zukommen. Das bedeutet auch für Österreich die administrativen Hilfestellung zur Erfassung der Flüchtlinge. Abhängig vom weiteren Verlauf der Kampfhandlungen in Syrien könnte auf Österreich auch die Entsendung von Expertinnen und Experten in die Region zukom- men. Dass sich Österreich an einer militärischen Akti- on in Syrien ohne UN-Mandat beteiligt, ist auszu- schließen. Aber in einer Post-Kriegssituation haben lung geleistet. Diese Herausforderung ist jedoch pers- pektivisch in noch weiterer Ferne. Argumentativ könn- ten dann Anleihen an der innenpolitischen Begründung in Deutschland genommen werden. KEY NOTES • No far-reaching security policy decisions can be ex- pected from US President Barack Obama. • Russian leadership could exploit the political vacu- um in Washington. • The further development of the situation in Syria will be even more important for Austria‘s decisions ning in Afghanistan. • The refugee problem has shown that Austria is de- pendent on decisions taken in other countries. • Securing EU‘s external border and the establish- ment of so-called „hotspots“ will have priority in 2016. • Austria will have to provide personnel for the hot- spots and to secure the EU‘s external borders. -P he s V ent sich als Öste n ab- ur der EU- errei eßen. Aber in einer Post-Kriegssituation ers- y in 20 stria will have to provide personnel a KEY NOTES • No far-reaching security policy decisions can be e pected from US President Barack Obama. • Russian leadership could exploit the political um in Washington. The further development of the situation ill be even more important for Austria n Afghanistan. gee problem has shown n decisions taken in s external bord ed „hotspo p
  • 343. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 341 AUSSEN- UND SICHERHEITS- POLITISCHE AMBITION ÖSTERREICHS 2016 Karin Fichtinger-Grohe Östliche Nachbarschaft - forderungen haben nicht nur regionale Auswirkungen. Für Europa stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man bereit und fähig ist, die eigenen Werte und die demokra- Das Umfeld der Europäischen Union und somit auch Österreichs unterliegt einem tiefgehenden Wandel. Die aktuellen Krisen in der Nachbarschaft der EU haben bereits zu einer veränderten Wahrnehmung von au- ßen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und ersten politischen Reaktionen geführt. Die EU und Österreich müssen auf die Entwicklungen in ihrer Umgebung engagiert einwirken. Im Interesse der EU ist - cherheit, Migration, Klimawandel, Terrorismus – ganz allgemein, an einem stabilen Umfeld – zu arbeiten. fordert mit seinem Dominanzanspruch und seinem völ- kerrechtswidrigen Vorgehen die westliche Staatenge- - her ein funktionierender Multilateralismus und die EU - cherheit. Für Österreich bedeutet dies, auch unter Be- rücksichtigung des 2017 bevorstehenden OSZE-Vorsit-
  • 344. 342 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 zes, sich weiter an Vermittlungsbemühungen zu beteiligen und personell zur EU Advisory Mission und der OSCE Special Monitoring Mission in der Ukraine beizutragen. Südliche Nachbarschaft Aus heutiger Sicht zeichnen sich keine raschen Lösungen den Krieg wurden die Karten neu gemischt: Als erste - en kann der im Oktober 2015 in Wien begonnene politi- sche Dialog, der Russland, den Iran und andere internati- onale Akteure miteinbezieht, gewertet werden. Die Türkei, der Libanon und Jordanien, die Millionen von Flüchtlingen aufgenommen haben, müssen aus ös- terreichischer Sicht stärker unterstützt werden, um zu- mindest kurzfristig die Flüchtlingskrise zu entspannen. Die Herausforderung durch steigende Flüchtlingszahlen erfordert von der EU und ihren Mitgliedsstaaten – in Verbund mit anderen internationalen Organisationen – verstärkte Anstrengungen, koordiniert und gemeinsam in allen Politikbereichen vorzugehen. Ein Scheitern an und Sicherheitspolitik gefährden. Österreich setzt sich daher für den verstärkten Schutz der EU-Außengrenze - ein, um eine europäische Lösung zu erwirken. Als Zei- chen dieses Engagements ist die kommende österreichi- sche Beteiligung an der Operation EUNAVFOR MED Sophia im Mittelmeer zu werten, die im engen Zusam- menhang mit den Entwicklungen in Libyen steht. Die EU muss mit den ihr zur Verfügung stehenden Instru- menten ihr Möglichstes tun, um die Bildung einer liby- schen Einheitsregierung zu unterstützen. Der Westbalkan bleibt auch weiterhin einer der Schwer- punkte der österreichischen Außenpolitik, was auch durch die zahlenmäßig größten Kontingente der Entsen- dungen zu den Operationen EUFOR ALTHEA in Bos- nien und Herzegowina und KFOR im Kosovo unterstri- chen wird. Obwohl die EU als Nachbar der aktuellen Krisenregio- nen unmittelbar betroffen ist, spielt sie bei der Suche nach Lösungen im Vergleich zu den USA oder Russland eine untergeordnete Rolle, was darauf zurückzuführen ist, dass sie selbst in Krisen mit unmittelbaren Auswir- kungen auf ihre Mitgliedsstaaten keine gemeinsame Posi- Da’esh“ 2016 weiter. Afrika Eine fortgesetzte Unterstützung durch das Krisenmana- gement der EU und der UNO beim Aufbau kollektiver Sicherheitsstrukturen sowie die Förderung von Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit werden zur Stabilisierung einzelner Staaten notwendig sein. Herausforderungen bleiben etwa Länder mit großen Ressourcen, von denen ihre Bürger keinen Nutzen haben, Staaten wie Mali oder die Zentralafrikanische Republik, die von bewaffneten weiterhin mit der Beteiligung an Krisenoperationen en- gagieren wird, oder das verbreitete Auftreten von mili- Weitere Krisenherde Österreich auch im kommenden Jahr an der NATO-ge- führten Mission „Resolute Support“ teilnimmt, werden -
  • 345. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 343 KERNPUNKTE • Europa muss sich längerfristig auf eine instabile Nachbarschaft einstellen. • Es ist Aufgabe der EU, den Krisen in ihrer mittel- und unmittelbaren Nachbarschaft aktiv zu begegnen. • Die EU, als Verfechterin des rechtsstaatlichen Prinzips, benötigt für ihr Handeln ein funktionierendes multilate- rales System. • Die Verzahnung von interner und externer Sicherheit nimmt zu. • Die Solidarität Österreichs bei der Bewältigung der internen und externen Krisen ist als Mitglied der VN, der EU und der OSZE sowie als Partner der NATO auf lange Sicht gefordert. KEY NOTES • In the long term, Europe has to adjust itself to an unstable neighbourhood. • It is the EU’s task actively to respond to the crises in its immediate neighbourhood. • As an advocate of the rule of law, the EU requires a functioning multilateral system for its actions. • The connection between internal and external security is increasing. • As a member of the UN, the EU, the OSCE, and as a partner of NATO, Austria‘s solidarity in dealing with internal and external crises will be required for a long time. tung und -eindämmung sowie Sicherheitssektorreform erforderlich machen. Letztlich sollte dies zur Stabilisie- rung und Demokratisierung der betroffenen Länder führen. Globale Strategie heitsstrategie der EU muss die Ambitionen der EU – den sich abzeichnenden strategischen Trends entsprechend – sein, dass die EU imstande ist, in ihrer Nachbarschaft ge- meinsam mit Partnern wie z. B. der OSZE oder – im Fal- le einer militärisch anspruchsvollen Aufgabe – der NATO ihre Interessen durchzusetzen. Österreich Österreich kann sich in seiner Rolle als außen- und si- cherheitspolitischer Akteur diesen Prozessen nicht ent- ziehen und muss im Inneren klare Antworten auf die da- mit verbundenen drängenden Probleme geben sowie international politische Entscheidungsprozesse mitgestal- ten. Um als internationaler Akteur glaubwürdig zu sein und selbst Solidarität einfordern zu können, ist es weiter- hin notwendig, einen österreichischen Beitrag im Rah- men des internationalen Krisenmanagements zu leisten. Es ist absehbar, dass aufgrund der internationalen Lage das österreichische zivile und militärische Engagement, derzeit vorwiegend am Westbalkan, durch andere Einsät- Führung der NATO in den angesprochenen Krisenregi- onen erweitert werden wird. K • • • Die EU, als Verfechterin des rechtsstaatlichen Prinzips, benötigt für ihr Handeln ein funktionierendes multilat ral Die V e Solidarität Österreichs bei der Bewältigung der internen und externen Krisen ist als Mitglied der VN, der O ES m, Eur actively to respond to the crises in its immediate neighbourhood. e of law, the EU requires a functioning multilateral system and external security is increasing. EU mu enden s die am m ner m TO ziehen und ndenen dränge he Entsche Akteur g u könn Beitra ents z nalen agem Ein regi istig auf eine instabile Nachbarschaft einstellen. Krisen in ihrer mittel- und unmittelbaren Nachbarsc chtsstaatlichen Prinzips, benötigt für ihr Hand xterner Sicherheit nimmt zu. ewältigung der internen und exter TO auf lange Sicht gefordert. o an unstable ne es in its im a funct ity it Partnern wie z. B. der OSZE oder – im Fal- risch anspruchsvollen Aufgabe – der eressen durchzusetzen. das österreichische zivile und militärische Eng derzeit vorwiegend am Westbalkan, durch an Führung der NATO in den angesproch onen erweitert werden wird.
  • 346. 344 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ÖSTERREICHS PROFIL IN DER GSVP 2016 Markus Weidinger - reich als EU-, aber Nicht-NATO-Mitglied von hoher Bedeutung, da diese den Rahmen für das sicherheitspo- litische Engagement vorgibt sowie Mitgestaltungsmög- lichkeiten zulässt. Österreich steht aufgrund seiner ver- fassungsrechtlichen Vorgaben für einen breiten auf Verteidigung kritisch gegenüber. Zugleich zeichnet Vor dem Hintergrund eines verschlechterten Sicher- heitsumfeldes in der Nachbarschaft der Europäi- schen Union entwickelt sich der Bereich Sicherheit und Verteidigung über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union (GSVP) hinaus mit Auswirkungen auf die Positionierung Österreichs innerhalb der GSVP. - - - samtstärke: 4385 mit Stand Oktober 2015) zu den größten Truppenstellern, die Teilnahme an zivilen Mis- sionen hingegen ist mit 0,8 Prozent von insgesamt 2794 Experten unterdurchschnittlich. Zudem fehlen Öster- reich als starkem Befürworter des Comprehensive Ap- proach und eines Präventionsfokus das damit korres- pondierende EZA-Finanzvolumen. Wie andere EU-Mitgliedsstaaten steht Österreich zwei - sion gegenüber: erstens der geänderten geopolitische Lage und der damit einhergehenden Forderung zahlrei- cher EU-Mitgliedsstaaten nach Reorientierung der -
  • 347. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 345 nehmenden Verzahnung von innerer und äußerer Si- cherheit, wie man an der Flüchtlings- und Migrations- frage – der größten Herausforderung der EU auf absehbare Zeit – sehen kann, die einen umfassenden Si- cherheitsansatz benötigt. Entwicklung des EU-Krisenmanagements in Richtung Ausbildung und Kapazitätenaufbau Entsprechend den außenpolitischen Prioritäten Öster- Engagements auf dem Westbalkan. An der EU-Battle- groups beteiligt sich Österreich regelmäßig, das nächste Engagement in Subsaharaafrika hat auch eine zuneh- mende Beteiligung Österreichs an Missionen in dieser Region (EUSEC RDC in der Demokratischen Republik Kongo, EUTM MALI in Mali, EUMAM RCA in der Zentralafrikanischen Republik) zufolge. Die zunehmen- - tung verknüpft mit Kapazitätenaufbau in Drittstaaten hat Österreich durch Teilnahme an entsprechenden Missionen grundsätzlich mitvollzogen. Die neueste Entwicklung ist der – stärker als bisher eigeninteressen- Flüchtlingskrise durch die Einrichtung der Operation EUNAVFOR MED Sophia im Mittelmeer zur Be- kämpfung des Schlepperwesens, an der Österreich 2016 teilnehmen wird. Diese drei Entwicklungen werden sich auch 2016 fortsetzen. Im Zuge der Aktivierung der Beistandsklausel (Art. 42 (7) EU-Vertrag) durch Frankreich hat Österreich wie alle übrigen EU-Mitgliedsstaaten Frankreich seine volle grundsätzliche Unterstützung zugesichert. Nachdem Frankreich in diesem Zusammenhang konkret primär um bilaterale Unterstützung entweder gegen die Terror- miliz „Islamischer Staat“ oder zur Entlastung in ande- ren Einsatzräumen, in denen Frankreich stark engagiert ist, ersucht hat, sind über ein starkes Zeichen der Soli- darität hinaus die konkreten Auswirkungen für die - Strukturen des Europäischen Auswärtigen Dienstes seines persönlichen Stabes) acht Mitarbeitern (Stand: Oktober 2015), ausschließlich sekundierten nationalen Experten, erheblich schwächer vertreten sein. Von der GSVP im engeren Sinn zu einem die GSVP-Grenzen überschreitenden An- satz im Bereich Sicherheit und Verteidigung Der Europäische Rat zu Sicherheit und Verteidigung im Dezember 2013 leitete einen Prozess mit zahlreichen 2016 umzusetzenden Auftragserteilungen ein. Dieser und ergänzen: die Intensivierung der Fähigkeitenent- wicklung und die Stärkung der europäischen Verteidi- gungsindustrie, bei denen Kommission und europäi- sche Verteidigungsagentur eine wichtige Rolle spielen. Intensivierung der Fähigkeitenentwicklung Um in Zeiten angespannter Verteidigungsbudgets bei zugleich stark steigenden Entwicklungskosten für mili- tärische Fähigkeiten und zunehmenden Herausforde- rungen eine glaubwürdige Landesverteidigung weiter- hin gewährleisten zu können, hat Österreich an einer
  • 348. 346 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Österreich steht für einen breiten Sicherheitsansatz. • Österreich gehört zu den größten Truppenstellern bei militärischen GSVP-Operationen. • Drei Trends bestimmen das EU-Krisenmanage- ment: Engagement in Subsaharaafrika, Ausbildung und Kapazitätenaufbau sowie Bekämpfung des Schlepperwesens. • Die Arbeitsstränge Intensivierung der Fähigkeiten- entwicklung und Stärkung der europäischen Ver- teidigungsindustrie unterstützen und ergänzen die GSVP im engeren Sinn. gemeinsamen und koordinierten europäischen militäri- schen sowie an verbesserter ziviler Fähigkeitenentwick- lung fundamentales Interesse, wobei 2016 die Frage von Kooperationsanreizen ein wichtiges Thema sein wird. Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie Die Fragmentierung des europäischen Verteidigungs- markts gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit der europäi- schen Verteidigungsindustrie und damit die strategische Autonomie Europas, weshalb eine Konsolidierung kommen wird – und zwar entweder koordiniert oder, falls sich EU-Mitgliedsstaaten nicht auf einen gemeinsa- men Ansatz einigen können, durch den Markt selbst. Dieser Konsolidierungsprozess birgt für Österreichs Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie, die überwie- gend aus KMU besteht, stark im Dual-Use-Bereich an- gesiedelt ist und spezialisierte Nischen besetzt, Chancen und Risiken. So ist für Österreich 2016 die Umsetzung der Auftragserteilungen zu gleichberechtigtem Zugang zu grenzüberschreitenden Märkten sowie zur vorberei- benen Forschung von besonderer Wichtigkeit. Bilanz Zusammenfassend erscheint Österreich im Kernbereich ment derzeit einen durch die geopolitischen Herausfor- derungen getriebenen Veränderungsprozess, in dessen Rahmen es für Österreich wichtig ist, neben der erfor- tung sicherzustellen. Zugleich ist es 2016 für Österreich angesichts der skizzierten Entwicklungen erforderlich, sich den gegenwärtigen Herausforderungen in allen Ar- beitssträngen des Bereichs Sicherheit und Verteidigung zu stellen, um – etwa durch die nun wieder stärker ge- forderte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit – von einzelnen Weiterentwicklungen nicht abgekoppelt und damit von deren Ausgestaltung ausgeschlossen zu werden. KEY NOTES • Austria has a broad approach to security issues. • Austria is one of the largest troop contributors to CSDP military operations. • mitment to sub-Sahara Africa, training and capacity • and the strengthening of the European defence in- dustry support and complement CSDP. en Trup mana sbild s he ng ert o nen g Ma für trie ual che 20 be n t einen durch die ge derungen getriebenen Veränderungsproze Rahmen es für Österreich wichtig ist, neben der h ty and the strengthening of the European d dustry support and complement Österreichs überwie- eich an- hancen ung g g g sich den gegenwärtigen Herausforderungen in allen Ar- beitssträngen des Bereichs Sicherheit und Verteidigung zu stellen, um – etwa durch die nun wieder stärker ge- forderte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit – v einzelnen Weiterentwicklungen nicht abgekoppelt damit von deren Ausgestaltung ausgeschlossen z werden. KEY NOTES Austria has a broad approach to se Austria is one of the largest troo SDP military operations. nt to sub-Sahara Af gthen an
  • 349. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 347 ÖSTERREICH UND DIE VEREINTEN NATIONEN 2016 Jan Kickert und Philipp Charwath Steigende Relevanz der Vereinten Natio- nen … Das Interesse an den VN als multilaterale Plattform wird 2016 weiter zunehmen. Die VN sind heute trotz VN-Sicherheitsrats (VN-SR), wie beispielsweise in der Syrienfrage, so relevant wie nie zuvor. Das enorme Die Relevanz der Vereinten Nationen wird auch 2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine Lösung der größten internationalen Krisen absehbar wäre. Syrien, Terrorismus und Migration werden wei- terhin im Mittelpunkt stehen. Die Umwälzung des traditionellen VN-Peacekeepings hin zu robusten Kampfeinsätzen wird sich fortsetzen. Österreich muss darauf achten, seine Position in den VN durch gezielte Fortsetzung langjähriger Prioritäten zu wah- ren und zu stärken. Ausmaß der globalen Herausforderungen und die Ein- sicht auch der Supermacht USA, dass kein Land diese Herausforderungen alleine meistern kann, zwingen die Mitgliedsstaaten zur Suche nach multilateralen Lösun- gen. Allerdings haben die Krisen der letzten Jahre das gebracht. Eine Erneuerung des Bekenntnisses der Mit- gliedsstaaten zu den VN und tief greifende strukturelle Veränderungen innerhalb des VN-Systems sind daher unabdingbar. … bei zunehmender Polarisierung Die in den letzten Jahren zu beobachtende Polarisie- rung wird weiter zunehmen. Russland tritt sowohl in- ner- als auch außerhalb der VN zunehmend dominanter auf. Auch China wird seine Interessen vermehrt selbst- sicher durchzusetzen versuchen. Entwicklungs- und Schwellenländer treten ebenfalls immer selbstbewusster
  • 350. 348 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 auf. Als „westlich“ wahrgenommenen Themen und An- liegen – wie z.B. Menschenrechte, Rule of Law oder zu- nehmend auch die Demokratie per se – wird weiterhin ein rauer Wind entgegen wehen. Kooperation, Blockade und (keine) Re- form im Sicherheitsrat Die Mitglieder des VN-SR werden auch künftig bei vie- len Fragen zusammenarbeiten – insbesondere bei regio- - rien) wird es aber nur dann zu Fortschritten statt Blo- ckaden kommen, wenn die Interessen aller ständigen SR-Mitglieder sowie von Regionalmächten bedient wer- den können. Die Dynamik im SR wird sich mit den fünf neuen nicht-ständigen Mitgliedern nicht wesent- lich verändern – mit Ausnahme vielleicht der span- nungsgeladenen Beziehung zwischen der Ukraine und Russland. Forderungen nach einer Reform des VN-SR werden weiterhin laut werden, es wird dem aber wohl nicht in Form einer umfassenden Reform Rechnung ge- tragen werden. Schrittweise Verbesserungen der Ar- beitsmethoden und die Einbindung aller VN-Mitglieds- staaten, wie dies von Österreich und anderen Staaten gefordert wird, könnten unmittelbar die größten prakti- schen Fortschritte bringen. Krisenherde ohne Lösung in Sicht … Eine Vielzahl an Krisenherden, insbesondere in der Nachbarschaft Europas, wird weiterhin die gesamte Aufmerksamkeit der VN und ihrer Mitgliedsstaaten er- fordern. Syrien, Libyen, der Irak, die Terrororganisation „Islamischer Staat“ und der Jemen werden auch 2016 im Mittelpunkt des Interesses stehen. Die VN werden ihre Bemühungen um die Schaffung politischer Platt- formen fortsetzen, dabei aber vom Kräftespiel der - pern könnte sich ein Fenster für eine Lösung des Kon- Sofern es 2016 Impulse für eine Lösung des Nahost- - ment der USA abhängig sein. … feuern die größte Flüchtlings- und Mig- rationswelle seit dem Zweiten Weltkrieg an Eine Rückkehr der zwölf Millionen intern vertriebenen möglich sein. Die Nachbarländer Syriens und die huma- nitären Organisationen werden weiterhin mit enormen Flüchtlingszahlen zu kämpfen haben. Auch der Migrati- onsdruck in Richtung Europa aus dem Nahen Osten und Afrika wird unvermindert anhalten. Dort mitwirken, wo man sich (relativ) ei- nig ist – Reform des Peacekeepings Die laufende umfassende Reform des VN-Peace- vor Ende seiner Amtszeit aktiv weiter verfolgt werden. - dungslage als in der Vergangenheit und pro-aktiven Mandaten zum Schutz von Zivilisten wird zum Stan- dard. Lateinamerikanische und europäische Staaten kehren ins Peacekeeping zurück. China wird seine Be- teiligung massiv ausbauen. Staaten, die nicht bereit sind, hier mitzuziehen, werden sukzessive aus dem Peace- keeping gedrängt werden und müssen einen entspre- chenden Imageverlust hinnehmen. Die Entscheidung zur Beteiligung an der VN-Mission in Mali wird diesem Umstand für Österreich entgegenwirken.
  • 351. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 349 KERNPUNKTE • Die Relevanz der Vereinten Nationen wird auch 2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine Lösung der größten internationalen Krisen abseh- bar wäre. Syrien, Terrorismus und Migration wer- den weiterhin im Mittelpunkt stehen. • Die Umwälzung des traditionellen VN-Peace- keepings hin zu robusten Kampfeinsätzen wird sich fortsetzen. • Österreich muss darauf achten, seine Position in den VN durch gezielte Fortsetzung langjähriger Pri- oritäten zu wahren und zu stärken. Agenda 2030 als weltweite Orientie- rungsmarke für nachhaltige Entwicklung Was die Staatengemeinschaft erreichen kann, wenn sie an einem Strang zieht, zeigt die Annahme der Agenda 2030 mit ihren 17 nachhaltigen Entwicklungszielen und 169 Unterzielen. Anders als die Millenniumsentwick- lungsziele richten sich die Entwicklungsziele an alle Staaten und stellen eine wegweisende Skizze für eine Trendumkehr in Richtung Nachhaltigkeit dar. Die Fra- ge der Umsetzung der Agenda 2030 wird die Staaten so- wohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene beschäftigen. Herausforderungen für Österreich Im sich intensivierenden Wettkampf zwischen den VN- Mitgliedsstaaten (VN-MS) und Regionen muss Öster- reich darauf achten, sich nicht auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen und den Anschluss an ande- re, aktivere MS nicht zu versäumen. Dies betrifft das Peacekeeping, das Teil des österreichischen Selbstver- zum multilateralen System oder die stark gestiegene Konkurrenz für den Amtssitz Wien. Österreich muss weiter nachschärfen. Das starke Engagement im Abrüs- tungsbereich, insbesondere die glaubwürdige Priorisie- rung der nuklearen Abrüstung, wird Österreich auch 2016 unter den VN-MS viel Sympathie bringen und ist ein Alleinstellungsmerkmal – bei gleichzeitiger Irritati- on mancher Freunde. Eine Frau an der Spitze der UNO? den. Die Osteuropäische Regionalgruppe, die noch nie die eine Frau an der Spitze der Organisation fordern. So könnte es leicht sein, dass es ab 2017 (zumindest) ein Novum an der Spitze der VN gibt. Der Auswahlprozess der Auswahl soll erstmals transparenter und unter stär- gen. Letztlich führt aber weiter kein Weg an der not- wendigen Einigkeit der Ständigen Sicherheitsrats- mitglieder vorbei. KEY NOTES • The United Nations’ relevance will continue to in- crease in 2016 without necessarily providing solu- tions to the biggest international crises. The focus will remain on Syria, terrorism and migration. • The transformation of traditional UN-peacekeeping towards robust combat operations will continue. • Austria has to be careful about preserving and strengthening its position in the UN by setting clear long-time priorities. • 2016 weiter zunehmen, ohne dass deswegen eine g der größten internationalen Krisen abse errorismus und M 17 nachhaltigen Entwicklungsziel rzielen. Anders als die Millenniumsentwick- ngsziel Staa on e Fra euro der ein itz ers ühr igk orbe EY •einten Nation , ohne d natio wohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene beschäftigen. Herausforderungen für Österreich ich intensivierenden Wettkampf zwischen den VN- edsstaaten (VN-MS) und Regionen muss Öster- auf achten, sich nicht auf den Lorbeeren der heit auszuruhen und den Anschluss an and MS nicht zu versäumen. Dies betrifft da das Teil des österreichischen Selbs System oder die stark ges den. Die O die k
  • 352. 350 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ÖSTERREICH UND DIE OSZE 2016 Christian Strohal Hintergrund Die aktive Mitwirkung Österreichs in der OSZE ent- spricht in besonderer Weise den Schwerpunktsetzun- Vor dem Hintergrund der schwersten sicherheitspo- litischen Krise in Europa seit Jahrzehnten tritt Öster- reich am 1. Jänner 2016 in die Vorsitztroika der Or- ganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein, um ein Jahr später von Deutsch- land den Vorsitz zu übernehmen. In der Ukraine-Kri- se hat sich die OSZE als vorrangiges Instrument für Krisenmanagement bewährt. Inwieweit das mit der Krise zutiefst erschütterte Vertrauen wieder aufge- baut werden kann, wird die übergeordnete Heraus- forderung für die Vorsitze darstellen. gen in der österreichischen Außen- und Sicherheitspo- litik. Die OSZE als größte regionale Sicherheitsorganisation nimmt einen umfassenden Si- cherheitsbegriff zum Ausgangspunkt, der den einzel- nen Menschen in das Zentrum stellt und Rechtsstaat- lichkeit und Menschenrechte ebenso wie wirtschaftliche und umweltbezogene Kriterien zusätz- lich zu politisch-militärischen Faktoren berücksichtigt. Österreich hat daher auch seit Beginn der Arbeiten im Rahmen des OSZE-Vorläufers Konferenz für Sicher- heit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in den - sätze, Prinzipien und Leitdokumente ebenso mitge- wirkt wie an der politischen und institutionellen Aus- gestaltung. Aufgrund dieses nationalen Engagements für die Zusammenarbeit in Europa wurden auch der
  • 353. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 351 diplomatische Apparat um die Hauptorgane Ständiger Rat und Forum für Sicherheitszusammenarbeit (FSK) sowie das Sekretariat in Wien angesiedelt. Wesentlich bleiben vor allem in operationeller Hinsicht die Institu- tionen und Feldmissionen der Organisation, in denen mehr als drei Viertel des Personals von insgesamt etwa 3000 Personen tätig sind. Mit diesem sukzessive erwei- terten Instrumentarium ist es gelungen, die Organisati- on zu einem ganz wesentlichen Faktor in der Sicher- heitspolitik Europas zu machen und die Transformations- und Reformprozesse nach dem Ende des Kalten Krieges zu unterstützen. Die Ukraine-Krise und die Folgen umfassenden Sicherheitsgemeinschaft zutiefst erschüt- tert. Mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine wurden auch die grundlegenden Prinzipien der Organisation verletzt - tion ihr einzigartiges Instrumentarium zum operativen Krisenmanagement unter Beweis gestellt. Neben den laufenden Diskussionen in den genannten Organen konnte vor allem mit militärischen Inspektionen und der raschen Entsendung verschiedener Missionen in der Anfangsphase der Krise zu einer gewissen Deeska- lation beigetragen werden. Entscheidend war sodann die darauf folgende Entsendung der dzt. größten Feld- mission, der Special Monitoring Mission mit ihren fast 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter ca. 20 aus Österreich. Damit konnte eine Stabilisierung er- reicht und im Zusammenwirken mit der Trilateralen Kontaktgruppe des OSZE-Vorsitzes (derzeit unter Lei- tung des österreichischen Diplomaten Martin Sajdik) auch in den politischen Verhandlungen eine entspre- chende gegenseitige Unterstützung sichergestellt werden. Die Ukraine-Krise hat aber auch gravierende Auswir- kungen auf eine Reihe anderer Arbeiten der Organisa- in anderen Teilen der OSZE-Region betrifft, von Zent- ralasien über den Kaukasus und Moldau/Transnistrien - hin und droht zum Teil, tendenziell an Ausmaß und - missionen der OSZE sind hier ebenso gefordert wie - schen Verhandlungsprozesse, die bisher zumeist nur konnten. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zu weiterer De- stabilisierung führen könnten. Andere sicherheitspolitische Herausforderungen - ren Bewältigung nur mittels intensiver gemeinsamer Anstrengungen gelingen kann. Die OSZE hat ihre Ak- tivitäten daher auch laufend an diese neuen Herausfor- derungen angepasst. Schwerpunkte sind die Bekämp- fung von Terrorismus, Radikalisierung und Diskriminierung, Menschenhandel und organisiertem Verbrechen sowie von Wahlbetrug und Einschränkun- gen der Medienfreiheit. Weitere Aufgabenfelder sind die Stärkung der nationalen Kapazitäten für Krisen- vorsorge sowie transnationale Problemstellungen wie die Suche nach einer effektiven Antwort auf die aktuel- len Migrationsströme und die Bedeutung einer verbes- - aus, v. a. im Mittelmeerraum.
  • 354. 352 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Dazu kommt die Notwendigkeit, im militärischen Bereich sicherheits- und vertrauensbildende Maßnahmen zu mo- und asymmetrischen militärischen Bedrohungen und be- waffneten Auseinandersetzungen haben das auf die kon- ventionellen Bedrohungsformen zugeschnittene OSZE- gebracht. Vor allem gilt es, das zuletzt 2011 angepasste Wiener Dokument als Instrument der Vertrauens- und Si- cherheitsbildung wieder an die aktuellen militärischen Re- alitäten anzupassen. Neben der Stärkung des Mechanis- mus zur Risikoreduzierung bedarf es einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Transparenzmaßnah- men. Zielsetzung sollte eine verbesserte Vorhersagbarkeit und Berechenbarkeit von militärischen Ereignissen sein. Das für Februar 2016 in Wien festgesetzte hochrangige OSZE-Staaten zur Diskussion der nationalen Militärdokt- rinen stellt nach fünf Jahren wieder eine besondere Mög- lichkeit dar, wichtige Impulse für verbesserte Vertrauens- bildung im militärischen Bereich zu geben und den militärischen Dialog unter allen OSZE Staaten wieder auf- zunehmen und zu intensivieren. Die Rolle des Vorsitzes ein Jahr gewählten OSZE-Vorsitz besondere Bedeutung zu; gemeinsam mit der Troika aus Vorgänger und Nachfol- ger im Vorsitz werden nicht nur die zahlreichen Verhand- lungsstränge geführt, sondern auch inhaltliche Vorgaben in die dafür notwendigen Konsensbeschlüsse umgesetzt und der jährliche Ministerrat vorbereitet und organisiert. Außerdem dient dem Vorsitz eine Reihe von Sonderbeauf- - sche und thematische Problemstellungen. Nach der Schweiz 2014 und Serbien 2015 wird der Vor- sitz im Jahr 2016 von Deutschland und 2017 von Öster- reich übernommen. Bereits im Jahr 2016 nimmt Öster- reich als Mitglied der Troika an allen politischen und diplomatischen Bemühungen des Vorsitzes teil und führt selbst den Vorsitz im Budgetausschuss der Orga- nisation und in der Kontaktgruppe mit den mediterra- nen Partnern. Schwerpunktsetzungen Die Schwerpunkte des jeweiligen Vorsitzes ergeben sich zunächst aus der aktuellen Sicherheitssituation in der OSZE-Region und den Prioritäten der 57 Teilnehmer- - fristige Entwicklungen auf den Ergebnissen vorherge- gangener Vorsitze aufzubauen und bestimmte Themen weiter zu verstärken. Aus österreichischer Sicht stellen sich dafür grundsätz- lich mehrere aktuelle Herausforderungen. Vorrangig ist es mehr denn je notwendig, das verlorene Vertrauen wiederherzustellen und die Einhaltung der von allen - bessern. Dazu wird es erforderlich sein, die politischen und diplomatischen Möglichkeiten besser zu nützen und vor allem die Institutionen und Feldmissionen der Organisation zu stärken. Für diese Zielsetzungen sind Maßnahmen in allen Arbeitsbereichen notwendig: • Wiederherstellung der werte- und normenbasierten Zusammenarbeit aller OSZE-Staaten zur wir- kungsvollen Bekämpfung neuer Herausforderun- gen wie vor allem transnationaler Bedrohungen, • Abstimmung und Koordinierung der diesbezügli- chen Anstrengungen mit entsprechenden Aktivitä- ten in den Vereinten Nationen und anderen regio- nalen Foren,
  • 355. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 353 • Förderung und Unterstützung der grundsätzlichen Diskussion der konventionellen regionalen Rüs- tungskontrolle und Anpassung des Wiener Doku- ments zu Vertrauens- und Sicherheitsbildenden Maßnahmen an militärische Realitäten, • Stärkung der OSZE und ihrer Feldmissionen im Bereich gute Regierungsführung, Umweltschutz sowie Korruptionsbekämpfung, • Verstärkung der wirtschaftlichen und umweltbezo- genen Konnektivität unter den OSZE-Staaten und • Stärkung konkreter Aktivitäten zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten, • Stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in alle Aktivitäten der Organisation, • Stärkung der Implementierungskontrolle in allen Bereichen, • gezielte Befassung mit Fragen der Migration und allen damit zusammenhängenden sicherheitspoli- tisch relevanten Phänomenen, • intensiverer Fokus auf die Kapazitäten der Organi- • Intensivierung der Einbindung der OSZE-Partner- staaten und internationaler Organisationen zu Kernthemen der OSZE. Insgesamt gilt es, das Engagement aller 57 Mitglieder für die Organisation zu stärken, um die gemeinsame Verantwortung für die umfassende Sicherheit in der ge- samten Region wiederherzustellen. KERNPUNKTE • Seit der Ukraine-Krise erlebt die OSZE eine Renaissance als vorrangiges Instrument für Krisenmanagement. • Dieses wieder gewonnene gestärkte Verständnis wird auch 2016 fortgesetzt. • Die neuen hybriden und asymmetrischen militärischen Bedrohungen machen es notwendig, sicherheits- und vertrauensbildende Maßnahmen im militärischen Bereich zu modernisieren und zu stärken. • Nach der Schweiz 2014 und Serbien 2015 wird der Vorsitz im Jahr 2016 von Deutschland und 2017 von Öster- reich übernommen. • Um das verloren gegangene Vertrauen wieder zu stärken, sollten die politischen und diplomatischen Möglich- keiten besser genützt und die Institutionen und Feldmissionen der OSZE 2016 gestärkt werden. KEY NOTES • Since the Ukraine crisis the OSCE has experienced a renaissance as the principal instrument of crisis management. • This renewed appreciation will continue in 2016. • The new hybrid and asymmetric military threats make it necessary to strengthen and modernise security and • After Switzerland 2014 and Serbia 2016 the presidency will be taken by Germany, and, in 2017, by Austria. • To renew lost trust, the diplomatic and political possibilities should be better used, and OSCE institutions and missions strengthened in 2016. von gesell on, Insgesamt gilt es, das Enga tärken, um de Sich ise erlebt die OSZE eine Renaissance als vorrangiges Instrument für Krisenmanagement. won en de z 2014 und Serbien 2015 wird der Vorsitz im Jahr 2016 von Deutschland und 2017 von Öster- en. gegangene Vertrauen wieder zu stärken, sollten die politischen und diplomatischen Möglich- ützt s the ill co military threats make it necessary to strengthen and modernise e presidency will be taken by Germany, an ties should be be die OSZE eine Renaissance als vorrangiges Instrument für Krisenman ärkte Verständnis wird auch 2016 fortgesetzt. rischen militärischen Bedrohungen machen es notwendig, si militärischen Bereich zu modernisieren und zu stärken. 015 wird der Vorsitz im Jahr 2016 von Deutschland der zu stärken, sollten die politischen und d nd Feldmissionen der OSZE 2016 gest a renaissance as the prin ecessary to s e ta
  • 356. 354 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ÖSTERREICH UND DIE NATO 2016 Jürgen Meindl Österreich beteiligt sich an verschiedenen Operationen mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates, die von der NATO geführt werden. Dieses Engagement setzt die Die österreichischen Beziehungen zur Nordatlantik- Organisation (NATO) werden vor allem im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden (PfP) gestaltet, an der Österreich seit 20 Jahren teilnimmt. Wie andere neutrale und bündnisfreie Staaten (Finnland, Irland, Schweden, Schweiz) hat Österreich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Zusammenarbeit mit der NATO verstärkt. Neben der PfP (Teilnahme seit 1995) ist Österreich seit 1997 auch Mitglied im Eu- ro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC).
  • 357. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 355 jahrzehntelange österreichische Tradition fort, zu frie- denserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen beizutragen. Seit dem ersten Einsatz unter UNO-Flag- ge im Kongo 1960 war Österreich an zahlreichen UNO-Einsätzen beteiligt, wie z.B. in Zypern (seit - gowina (1996 bis heute), im Kosovo (1999 bis heute) oder Afghanistan (2002 bis heute). Umsetzung der Gipfelbeschlüsse von Wales Das Jahr 2016 wird für die NATO im Zeichen des War- am 8./9. Juli stehen. Dabei wird es vor allem darum ge- - zwischen umgesetzt worden sind, die eine grundlegen- de Anpassung der NATO an das geänderte sicherheitspolitische Umfeld der letzten Jahre einleiten. zunehmende Orientierung der Allianz zum internatio- nalen Krisenmanagement zu beobachten war, rückt be- sonders seit den Ereignissen in der Ukraine die traditio- nelle Aufgabe der kollektiven Verteidigung nach Art. 5 des NATO-Vertrages wieder stärker in den Vorder- grund. Die Herausforderungen in diesem Zusammen- hang werden der Wiederaufbau der klassischen Vertei- digungskapazitäten und das gleichzeitige Bewahren der Krisenlösungskapazitäten sein. Trotz des 2014 in Wales vorgegebenen langfristigen Ziels der Mitgliedsstaaten, zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung aufzuwenden, dürfte sich diese Aufgabe angesichts der allgemeinen Austeritätspolitiken äußerst schwierig gestalten. Hochdruck an der Umsetzung des Readiness Action Plans (RAP) gearbeitet, mit dem in Wales die schnellere Einsatzbereitschaft der NATO beschlossen wurde. Sichtbarstes Element des RAP ist die Schaffung einer Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), einer 5000 Mann starken Truppe, die bei Bedarf in nur zwei Tagen einsatzbereit sein soll. Diese Kräfte sollen jedoch nicht permanent in den neuen Mitgliedsstaaten statio- niert werden, um eine Verletzung der NATO-Russland- Akte aus 1997 zu vermeiden. Zur Umsetzung des RAP wurden sechs NATO Force Integration Units (NFIU) geschaffen, die mit einer Belegschaft von je 40 Perso- nen erforderlichenfalls den raschen Einsatz von NATO-Truppen in den östlichen Mitgliedsstaaten der Allianz unterstützen sollen. Diese neuen Einrichtun- gen, die im September 2015 in Litauen, Bulgarien, Est- land, Lettland, Polen und Rumänien eröffnet bzw. für Ungarn und die Slowakei beim Verteidigungsminister- rat am 8. Oktober 2015 beschlossen wurden, sollen bis Mitte 2016 voll funktionsfähig sein. Herausforderungen im Süden sich die NATO auch in ihrem Süden Bedrohungen ge- genüber, auf die die südlichen Alliierten nachdrücklich hinweisen. 2016 wird die NATO ihre Planungen auch für diese Regionen intensivieren müssen. Die bereits begonnene Partnerschaft mit Libyen vor allem im Be- reich des Aufbaus von Verteidigungskapazitäten, die - stellt werden musste, könnte im Falle der Schaffung ei- ner Regierung der Nationalen Einheit fortgesetzt werden. Die derzeit aber weitaus drängenderen Fragen sind die eines möglichen Engagements in Syrien und der weite- ren Vorgehensweise in Afghanistan. Das jüngste militä- rische Eingreifen der Russischen Föderation in Syrien
  • 358. 356 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 auf Seiten des Assad-Regimes hat auch in der Allianz eine Diskussion über ihre Positionierung in diesem die massiven Flüchtlings- und Migrationsströme ausgelöst. Afghanistan Die jüngste Eroberung der afghanischen Stadt Kunduz durch eine geringe Anzahl von Taliban-Kämpfern und die damit verbundene Frage der Nachhaltigkeit der NATO-Bemühungen im Rahmen der Resolute Support Mission (RSM) dürfte die Bereitschaft für ein derarti- ges Engagement unter den Mitgliedsstaaten nicht erhö- hen. Es darf – nicht zuletzt aufgrund der Ankündigung der Verlängerung der US Präsenz in Afghanistan durch US-Präsident Barack Obama im Oktober 2015 – be- zweifelt werden, dass der geplante Übergang der RSM in die schlankere Ausbildungsmission „Enhanced Enduring Partnership“ bereits in den nächsten Monaten Neue Bedrohungen Nicht nur geopolitisch, sondern auch thematisch sieht sich die NATO neuen Herausforderungen gegenüber. NATO derzeit eine Strategie der Reaktion auf hybride Kriegsführung. In diesem Bereich kooperiert sie eng mit der EU, die ebenfalls Planungen zu dieser Thematik entwickelt. Weiter intensiviert werden sollen auch die NATO-Vorbereitungen im Bereich Cyber-Verteidigung. Österreich ist hier unter den PfP-Partnern führend und beteiligt sich an entsprechenden Übungen im Rahmen des Cooperative Cyber Defence Centre of Exellence. Inhaltlich wird sich Österreich – u. a. gemeinsam mit Norwegen – vor allem im Bereich „Protection of Civili- ans“ (PoC) engagieren und auch mit weiteren Partnern versuchen, dieses Thema verstärkt in die Kooperation mit der NATO einzubringen. Straffung und Stärkung von Partnerschaften Derzeit läuft in der NATO ein Diskussionsprozess über die künftige Zusammenarbeit mit den Partnern. Im Laufe der letzten Jahre ist die Zahl und Art der Partner- schaften der NATO mit NichtMitgliedsstaaten (und auch internationalen Organisationen) stetig gewachsen. Die von manchen als unübersichtlich bezeichnete Fülle verschiedener Formate steht durchaus in einem gewis- sen Spannungsverhältnis zur Wahrnehmung der Nütz- So arbeite die NATO derzeit an einem „Longterm Ap- proach“, der die Straffung und Fokussierung der Part- nerschaften zum Ziel hat. Bereits in der Vorbereitung - formate eine entscheidende Neuerung durch die Schaf- fung der Interoperabilitätsplattformen sowie der En- hanced Opportunities Partnership, die die Interoperabilität und geostrategische Bedeutung der Partner fokussiert. Angesichts der Neuerungen des Jahres 2014 und der ak- tuellen Diskussionen gilt es, bestehende Formate wie je- nes der WEP-5 (Western European Partners: Finnland, Irland, Österreich, Schweden und Schweiz; mit Malta WEP-6), an dem neutrale und allianzfreie Staaten teil- nehmen, zu stärken. Damit sollten auch Tendenzen der Erodierung dieses Formats, die sich nach der Aufnah- me von Finnland und Schweden in die Enhanced Op- portunityPartnership (EOP) abzeichneten, eingedämmt werden.
  • 359. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 357 KERNPUNKTE • Am NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 wird die laufende grundlegende Anpassung der NATO an das geänderte sicherheitspolitische Umfeld überprüft. • Die Planungen der NATO gegenüber Bedrohungen aus dem Süden werden intensiviert. • Die österreichischen Beziehungen zur NATO werden vor allem im Rahmen der NATO-Partnerschaft für den Frieden gestaltet. Daneben ist Österreich auch Mitglied im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat. • Die NATO möchte und wird ihre Partnerschaftsfor- mate straffen und stärken. • Die Beteiligung an UN-mandadierten NATO-Einsät- zen setzt die jahrzehntelange österreichische Tra- dition fort, zu friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen beizutragen. • Inhaltlich wird sich Österreich vor allem im Bereich „Protection of Civilians“ engagieren. • Als geschätzter Partner sollte Österreich gemein- sam mit den neutralen und allianzfreien Partnern überlegen, wie die Kooperation mit der NATO in Zu- kunft aussehen könnte. Die gemeinsamen Einsätze mit Partnerländern u. a. in Afghanistan wie auch die von Oktober bis November datinnen und Soldaten, 140 Flugzeuge, 60 Schiffe, 9 Partnerländer inkl. Österreich) zeigen jedoch, dass die Partnerschaften auch der NATO zum Nutzen gerei- chen. Auch hier kommt das traditionell hohe Niveau der Interoperabilität der Partner zum Tragen; sei es da- durch, dass angesichts der Vielzahl der Bedrohungen jede Unterstützung hilfreich ist, oder aber auch, weil auf Kenntnisse der Partnerländer zurückgegriffen wird, über die die NATO nicht verfügt. Als Nichtmitglied, aber von der Allianz geschätzter Partner sollte Österreich daher seinerseits sowohl in- nenpolitisch wie auch gemeinsam mit den allianzfreien Partnern überlegen, wie die Kooperation mit der NATO in Zukunft aussehen könnte und mögliche Be- KEY NOTES • The NATO summit in Warsaw in July 2016 will re- view the ongoing adaptation of NATO to a changing security environment. • NATO will intensify its planning against threats from the south. • Austrian relations with NATO are shaped within the framework of the NATO Partnership for Peace. In addition, Austria is a member of the Euro-Atlantic Partnership Council. • NATO wants to and will streamline and strengthen its partnership formats. • Participation in UN-mandated NATO operations continues Austria’s decades-long tradition of con- tributing to UN-peacekeeping operations. • Content-wise Austria will mainly engage in the „Pro- tection of Civilians“. • As a valued partner Austria should consider - to- gether with other neutral and non-aligned partners - what cooperation with NATO might look like in the future. PUN m NAT ie la an ü • D • • m Die zen tion inte ich w on of C ter Par tralen peration er Bedrohungen st, oder ab länder zu O nicht will hang fro he n con the onsid n-align O migh • The NATO summit in Warsaw in July 2016 view the ongoing adaptation of NATO to security environment. • NATO will intensify its planning agai the south. • Austrian relations with NATO ar framework of the NATO Partn addition, Austria is a memb Partnership Council. • NATO wants to and wil its partnership form • Participation in UN continues Austr tributing to UN • Content-wis tection of • As a va geth - w f ATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016 wird ende grundlegende Anpassung der NATO änderte sicherheitspolitische Umfeld der NATO gegenüber Bedrohungen werden intensiviert. n Beziehungen zur NATO werden der NATO-Partnerschaft für Daneben ist Österreich auch hen Partnerschaftsrat. hre Partnerschaftsfor- rten NATO-Einsät- rreichische Tra- perationen der m Bereich ein- rn u-
  • 360. 358 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 FINANZSICHERHEIT IN ÖSTERREICH 2016 Margit Schratzenstaller Neben dem nach wie vor schwierigen makroökonomi- schen Umfeld sorgen einige spezielle Faktoren dafür, dass die Budgetpolitik auch 2016 – so wie schon in den letzten Jahren – auf anhaltend schwierige Ausgangsbe- dingungen trifft. So wird insbesondere der Bundes- haushalt auch in den nächsten Jahren mit Belastungen durch die weitere Abwicklung der (teilweise) notver- staatlichten Banken konfrontiert sein, vor allem durch die Abwicklungsgesellschaft für die Hypo Alpe Adria. Allerdings wird aus heutiger Sicht die laufende Budget- belastung in den kommenden Jahren deutlich geringer Auch 2016 steht die Finanzpolitik vor großen Her- ausforderungen. Mäßige Wachstumsaussichten und eine historisch hohe Arbeitslosigkeit belasten die öffentlichen Haushalte und erfordern ein Gegen- umfangreichen Senkung der Lohn- und Einkommen- steuer sicherzustellen, um den angestrebten Bud- getpfad nicht zu gefährden. sein als im Zeitraum 2009 bis 2014. Wurde 2014 das 5,4 Mrd. € erhöht, wird für 2015 mit knapp 2,1 Mrd. € und für 2016 mit 0,7 Mrd. € gerechnet. Zusätzlicher Finanzierungsbedarf wie Bildung/Schule, Universitäten, Kinderbetreuung sowie Forschung und Entwicklung zusätzlicher Finan- zierungsbedarf. Zusätzlich zu den bereits seit einigen Jahren gewährten Offensivmitteln für Universitäten und Fachhochschulen, vorschulische Kinderbetreu- ungseinrichtungen und den Ausbau der schulischen Nachmittagsbetreuung sowie den Wohnbau werden ab 2016 zusätzliche Mittel für Universitäten und Fach- hochschulen, den Ausbau des Breitbandnetzes, eine Be- schäftigungsinitiative für ältere Arbeitnehmer sowie Kurzarbeit bereitgestellt. Auch die Mittel für innere Si- cherheit und Landesverteidigung werden aufgestockt.
  • 361. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 359 Im Rahmen eines Sicherheitspaketes werden für die in- nere Sicherheit zwischen 2015 und 2018 jährlich zusätz- lich 72 Mio. € ausgegeben. 2015 werden weitere Zusatz- ausgaben in Höhe von 70 Mio. € für sicherheitspolizeiliche Maßnahmen gewährt. Für die Landesverteidigung werden von 2016 bis 2019 insge- - ten verausgabt. Zukunftsinvestitionen Zur Konjunkturstützung und um der stark steigenden Arbeitslosigkeit gegenzusteuern, wurden Ende Oktober 2015 im Rahmen eines Arbeitsmarkt- und Wachstums- gipfels einige weitere Maßnahmen vereinbart: Als erster Schritt einer stufenweise Senkung der Lohnnebenkos- ten für die Unternehmen im Umfang von 1 Mrd. € bis 2018 werden 2016 die Beiträge der Unternehmen zum Insolvenzentgeltfonds gesenkt. Die Mittel für Arbeits- marktpolitik, die mit dem Bundesvoranschlag 2016 um 250 Mio. € erhöht wurden, werden um weitere 50 Mio. € aufgestockt. Allerdings sind weitere Spielräu- me für eine Ausweitung der für Zukunftsinvestitionen - ge des aktuellen Ausgabenpfades sowie der gesetzten steuerlichen Anreize eine Erreichung der für 2020 an- gestrebten Forschungsquote von 3,76 % des BIP un- wahrscheinlich. Auch das Ziel, bis 2020 2 % des BIP für den tertiären Bildungsbereich auszugeben, kann auf der Basis der aktuellen Ausgabenplanungen kaum er- Bildungsbereichs bleibt 2016 bestehen. Von der im Frühjahr 2015 beschlossene Steuerreform 2015/16 werden leicht positive Impulse für Konjunktur- und Beschäftigungsentwicklung ausgehen. Unsicherhei- - rung. Ambitioniert erscheinen insbesondere die erwarteten Einnahmen aus der Bekämpfung von Steu- erhinterziehung und Sozialbetrug mit insgesamt 1.965 Mio. €. Zudem steht eine Konkretisierung der erwarteten Einsparungen von Bund und Ländern in Höhe von 1,1 Mrd. € noch aus. Mehrausgaben für Flüchtlinge Schwierig zu prognostizieren sind die Mehrausgaben für Flüchtlinge. Für 2016 werden auf Bundesebene Mehr- ausgaben von etwa 500 Mio. € erwartet, die sich aus sowie für Integrationsmaßnahmen von 75 Mio. € zu- - Mindestsicherung und Flüchtlingsunterbringung, die innerösterreichischem Stabilitätspakt angerechnet wer- den, zugestanden. Die mittelfristige Budgetbelastung wird auch davon abhängen, wie erfolgreich die Zuwan- derer in das (Aus-) Bildungssystem sowie in den Ar- beitsmarkt integriert werden können. In diesem Zusam- menhang ist darauf hinzuweisen, dass die Aufstockung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit, die in den letzten Jahren de facto stagnieren, an Dringlichkeit gewonnen hat. Staatsschulden Schließlich birgt auch die weitere Zinsentwicklung für die (Re-)Finanzierung der Staatsschuld eine gewisse Unsicherheit. Diese dürfte jedoch aufgrund des hohen auch in den letzten Jahren ständig steigenden Restlauf- zeit des gesamten Schuldenportfolios, des hohen Fix-
  • 362. 360 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Mäßige Wachstumsaussichten und eine historisch hohe Arbeitslosigkeit belasten 2016 die öffentlichen Haushalte. • • Die Schuldenquote sinkt nach ihrem Höchststand von über 86% 2016 erstmals wieder. • Wichtige Zukunftsbereiche wie Bildung, Forschung, Universitäten und Kinderbetreuung erfordern zusätzliche Mittel. • Bankenhilfen und Flüchtlinge. zinsanteils sowie des zurückgehenden Neuverschul- dungsbedarfs zumindest mittelfristig begrenzt sein. Vor dem Hintergrund der genannten Budgetrisiken er- scheinen die Verschuldungsziele für 2016 als ambitio- grenzung soll laut Bundesvoranschlag 2016 auf 1,4 % des BIP sinken. Nach der Bereinigung um konjunktu- ein nahezu ausgeglichener Haushalt erreicht werden. Die Schuldenquote, die mit über 86 % des BIP 2015 ei- nen historischen Höchststand erreichen wird, soll 2016 auf 85,1 % des BIP zurückgeführt werden. Reformbedarf Jedenfalls sind im öffentlichen Sektor weitere struktu- relle Reformmaßnahmen erforderlich, um budgetäre Spielräume für die erforderliche Ausweitung der Zu- kunftsinvestitionen und perspektivisch auch für eine Rückführung der auch nach der Steuerreform über- durchschnittlich hohen Abgabenhöhe zu schaffen. Dies betrifft insbesondere die überfällige Föderalismusre- form. Aber auch eine umfassende Reform des Förder- systems ist überfällig. Ebenso sind weitere konkrete sundheitsreform erforderlich. Schließlich sollte auch das seit längerem angekündigte Pensionsmonitoring umge- setzt werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zur Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters tat- sächlich ihre geplanten Wirkungen entfalten. KEY NOTES • • • After its peak at over 86%, the debt ratio will, in 2016, decline again. • Important future-oriented areas such as education, research, universities, and child care will require additio- nal funds. • n u em ung 2015 d, sol n. schnittlich hohen Abgabenhöhe betrifft insbesondere die überfällige Föderalis s Förd te e Arbeitslosigkeit belasten 2016 die öffentl 6% 2016 erstmals wieder. n und Kinderbetreuung er seit längerem angekündigte Pensionsmonitoring umge- setzt werden, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zur Erhöhung des faktischen Pensionsantrittsalters tat- sächlich ihre geplanten Wirkungen entfalten.
  • 363. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 361 TERRORISMUSABWEHR IN ÖSTERREICH 2016 Peter Gridling Rechtsextremismus und rechtsextremis- tischer Terrorismus Der Rechtsextremismus in Österreich stellt gegenwärtig - lungsfähigkeit des Staates bzw. der Verfassung dar. Für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit sind ein- - wie Einzelaktivisten jedoch – temporär und anlassbezo- gen – als Risiko zu bewerten. Der Beitrag behandelt drei staatsschutzrelevante Phänomenbereiche: Rechtsextremismus, Links- extremismus und islamistischer Extremismus so- wie die daraus resultierenden terroristischen Ge- fährdungslagen, die in der Terrorismusbekämp- fung im Focus stehen. Sowohl der Rechtsextremismus als auch der Linksextremis- mus in Österreich stellen keine ernsthafte Gefahr für die Funktions- und Handlungsfähigkeit des Staates dar. Indikatoren für terroristische An- schläge durch Akteure aus diesen Szenen sind aktuell nicht evident. Hingegen kann im Bereich des islamistischen Extremismus kurz- bis mittel- fristig mit anhaltenden Radikalisierungs- und Rek- rutierungsaktivitäten gerechnet werden, die sich in einem weiteren Ansteigen des Gewaltpotentials und in der Bereitschaft der betroffenen Akteure bzw. Bürgerkriegsgebieten teilzunehmen.
  • 364. 362 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 - gen nach Europa bzw. Österreich haben in der rechts- extremistischen Szene zu einer erkennbaren Flücht- lings- und Asylfeindlichkeit geführt, die auch ein erhöhtes Aggressionspotential erkennen lassen. Jedoch sind Indikatoren für die Planung von terroristi- schen Anschlägen, beispielsweise gegen Asylwerberun- terkünfte, oder den Aufbau von terroristischen Struktu- ren in der rechtsextremen österreichischen Szene aktuell nicht evident. Allfällige Ansätze und Trends rechtsterroristischer Natur im europäischen Umfeld könnten aber Aus- und Rückwirkungen auf die österrei- chische Rechtsextremistenszene haben. Linksextremismus und linksextremisti- scher Terrorismus Der Linksextremismus stellt gegenwärtig keine ernst- - keit des Staates bzw. der Verfassung dar. Für die öffent- liche Ruhe, Ordnung und Sicherheit sind Teilbereiche des linksextremen Spektrums jedoch – temporär und anlassbezogen – als Risiko zu bewerten. Indikatoren für die Planung von terroristischen An- schlägen oder den Aufbau von terroristischen Struktu- ren sind in der linksextremen österreichischen Szene nicht evident und zumindest kurzfristig auch nicht zu erwarten. Islamistischer Extremismus und jihadisti- scher Terrorismus in Österreich geht vom islamistischen Extremismus und Terrorismus aus, wobei in diesem Bereich mehrere Faktoren wirken: • Zunehmend internationalisierte Strategien von Ter- rororganisationen, wie beispielsweise der Terrormi- liz „Islamischer Staat“ bewirken ein Ansteigen des • - sche Länder betreffen oder dort ausgetragen wer- den, wie derzeit etwa in Syrien und im Irak – sowie einnimmt, sind wiederkehrende Impulse für die transnationale jihadistische Bewegung, die sich un- ter anderem in der zunehmenden Radikalisierung und Rekrutierung betroffener Menschen niederschlägt. • Junge Muslime, aber auch Konvertiten sind oft von der islamistischen Radikalisierung betroffen. Häu- - wie charismatische radikale „Prediger“ bzw. ideolo- gische Anführer entscheidend. Mit dieser der Konstituierung von abgeschotteten Milieus. Milieus, die primär ideologisch oder religiös ge- - sellschaft abschotten, können ein fruchtbares Ter- rain für Radikalisierung bilden, da davon ausgegangen werden kann, dass innerhalb dieser mit der Mehrheitsgesellschaft vorhanden sind, die dienen. • Österreicher in den Reihen der Terrormiliz „Isla- mischer Staat“ beteiligten sich 2015 mehrfach an Propagandaaktivitäten, und im Nachgang zu An- schlägen wurde zur Begehung gleichgelagerter Straftaten aufgerufen. • Bis November 2015 wurden den österreichischen Behörden über 250 Fälle von sogenannten Jihadis- ten (Foreign Terrorist Fighters) bekannt.
  • 365. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 363 KERNPUNKTE • Infolge der Migrationslage können in der rechtsext- remistisch orientierten Szene Flüchtlings- und Asyl- feindlichkeit zunehmen. • Primär ideologisch oder religiös geprägte abge- schottete Milieus können als fruchtbarer „Nährbo- den“ für eine potentielle Radikalisierung mit extre- mistischem Gedankengut dienen. • Kurz- bis mittelfristig kann die Bereitschaft zur Be- gehung von Gewalttaten ansteigen. • Das Internet bzw. Social Media werden mit sehr ho- her Wahrscheinlichkeit weiterhin durch terroristi- sche Gruppierungen genutzt werden. Kurz- bis mittelfristig kann mit anhaltenden Radikali- sierungs- und Rekrutierungsaktivitäten sowie – bei ei- ner Verschärfung dieser Bestrebungen – mit einem wei- werden. Diese schlägt sich in der Absicht bzw. in dem Ziel nieder, sich einer Ausbildung für eine Kampfbetei- ligung am sogenannten Jihad zu unterziehen. In diesem Zusammenhang waren in den vergangenen Jahren ver- mehrte Reisebewegungen aus Österreich in Richtung biet, im Focus der Sicherheitsbehörden stehen. Für die Terrorismusbekämpfung sind auch Aktivitäten islamistischer Akteure im Internet von Interesse – allen voran die einschlägige Online-Propagandatätigkeit. Mit schen Strömung, die mitunter zwar nicht direkt dem ji- hadistischen – d.h. terroristischen – Spektrum zugeord- net werden, wesentlich zu Radikalisierung beitragen, indem sie Sympathien für jihadistische Ideologien er- kennen lassen. Diese Akteure haben durchaus das Po- rungen zu fungieren. Die islamistischen Szenen sind meist durch persönliche und ideologische Verbindun- gen transnational vernetzt. Insgesamt wird der Trend zur Nutzung des Internets für islamistische Propaganda, zur Indoktrination, Rek- rutierung und Finanzierung sowie zur Legitimation, terhin (junge) Muslime, aber auch Konvertiten als Ziel- gruppe der islamistischen Extremisten radikalisiert wer- den; potentiell könnten diese Radikalisierten letztlich den Aufrufen zur Teilnahme am sogenannten Jihad – im Sinne der islamistischen Terroristen – in den diver- Aufenthaltsländern folgen. KEY NOTES • As a result of the migration situation, hostilities against refugees and asylum seekers may increase in the right-wing extremist scene. • Ideologically or religiously charged, closed environ- ments can serve as a „breeding ground“ for radica- lization and extremism. • In the short to medium term, the willingness to commit acts of violence might increase. • There is a very high probability of terrorist groups using the internet and social media. K • f Pri scho n“ fü sche s mitt Gewa w. Soci eit weite t werden. rreich in Richtung Sicher rrorism scher die e hen adis net w g für islamistische Pr nanzierun Konve radik ten le n Jih n di s rea env for llingn ncrea lity of social können in der rechtsext- e Flüchtlings- und Asyl- geprägte abge- tbarer „Nährbo- ung mit extre- ft zur Be- hr ho- einschlägige Online-Propagandatätigkeit. Mit ng, die mitunter zwar nicht direkt dem ji- .h. terroristischen – Spektrum zugeord- tlich zu Radikalisierung beitragen, den Aufrufen zur Teilnahme am sogenannten im Sinne der islamistischen Terroristen – in Aufenthaltsländern folgen. KEY NOTES • As a result of the m against refugees in the right-win • Ideologically ments can lization • In the com • T
  • 366. 364 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 MIGRATIONSPOLITIK IN ÖSTERREICH 2016 Peter Webinger Derzeit wird Europa von einer noch nie dagewesenen transkontinentalen, weitgehend ungesteuerten und gleichzeitig kaum steuerbaren Zuwanderungswelle erfasst. Bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen, die diesem Massenexodus zugrunde liegen, wird sich diese Entwicklung im Jahr 2016 wohl auch in ähnlichen Quantitäten fortsetzen. Den Ursachen dieser Migration kann nur mit gesamteuropäischen bzw. globalen Impulsen Rechnung getragen werden – durch umfassende sicherheitspolitische Interventionen bzw. holisti- sche Hilfs- und Entwicklungsmaßnahmen. Für Menschen, die sich schon in Bewegung gesetzt haben, be- darf es anderer Lösungen als für jene Personen, die noch vor Ort sind. Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht, um Europa herum 20 Millionen. Zudem würden 40 Prozent der erwachsenen Bevölkerung des ärmsten Viertels aller Staaten gerne dauerhaft migrieren, hätten sie die Möglichkeit dazu. Bei all diesen großen Zahlen sollte immer im Bewusstsein bleiben, dass dahinter Menschen mit Schicksalen und Hoffnungen stehen. -
  • 367. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 365 len Angaben zwölf Millionen auf der Flucht. Davon al- Nach Jahren des Abwartens und des Erkennens der tek- tonischen Verschiebungen der Sicherheitslage wächst die Perspektivenlosigkeit. Dass sich Menschen in gro- ßen Quantitäten gleichzeitig in Bewegung setzen, be- darf aber in der Regel auslösender Momente. Kürzun- gen des World Food Programms haben bereits eine Reduktion der zur Verfügung gestellten Lebensmittel danach, ihren Kindern eine Ausbildung und eine besse- re Zukunft zu ermöglichen, erkennen aber gleichzeitig, dass ihre Kinder seit Jahren an keinem geregelten Schulunterricht mehr teilnehmen können. Dazu gesel- len sich ermunternde Signale durch potentielle Aufnah- mestaaten. In Summe machen es diese Faktoren wahr- scheinlich, und es ist in einer empathischen Annäherung nur allzu verständlich, dass sich Menschen Vor allem dann, wenn die Psychologie der Massen ein- setzt und sich Menschen verstärkt in eine Richtung bewegen. Die meisten Flüchtlinge versuchen in Länder zu gelan- - den und in denen sie sich Asyl, Arbeit und eine Zukunft erhoffen. Informationen verbreiten sich über soziale Netzwerke in einer Art globalem Stille-Post-Spiel. In- formationen gehen dabei verloren oder werden verzerrt. Die begleitend transportierten Bilder sprechen zudem eine klare Sprache: Noch nie war die Chance, nach Eu- ropa zu gelangen und dort bleiben zu können, so hoch wie in diesen Tagen, da der bürgerliche Rechtsstaat auf diese Massenphänomene kaum probate Antworten pa- Migrationsbewegungen sind kaum vorherzusehen Bei all diesen Erkenntnissen ist es dennoch nur sehr eingeschränkt möglich, Zeitpunkt und Umfang von Mi- grationsbewegungen zu antizipieren. Unter den derzeit gegebenen Rahmenbedingungen, die auf das System Migration wirken, ist es wahrscheinlich, dass der hohe Migrationsdruck auf Europa anhalten wird. Derzeit ist dieser Druck nur auf wenige Staaten der EU verteilt: Im 1. Halbjahr 2015 wurden in nur 10 Mitgliedsstaaten 93 Prozent der Asylanträge gestellt. Diese Antithese zur europäischen Solidarität lässt eine gerechtere Verteilung innerhalb der Europäischen Union geboten erscheinen. Die Asylanträge für Österreich im Jahr 2015 sind ein gutes Beispiel dafür, wie schwer es ist, eine genaue Zahl vorauszusehen. Wurden im Jahr 2014 rund 28.000 Asyl- anträge in Österreich gestellt, was einer Steigerung von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entsprach, ging man zu Jahresbeginn 2015 von zu erwarteten 40.000 Asylanträgen aus. Tatsächlich wird bei gleich bleiben- dem Verlauf 2015 mit 80.000 bis 85.000 Asylanträgen und 2016 mit mehr als 100.000 Anträgen zu rechnen sein. Dies sind Trendannahmen, eine genaue Prognose ist naturgemäß nicht möglich. Fluchtbewegungen hän- gen von nicht vorhersehbaren Faktoren in den Her- - sit- und Zielländern ab und unterliegen somit einer starken Volatilität. Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik Auf politisch-rechtlicher Ebene muss es in den kom- menden Jahren zu einem Paradigmenwechsel kommen: Es wird für unterschiedliche Zielgruppen unterschiedli- cher Lösungsansätze bedürfen. Abgestimmte Lösungen
  • 368. 366 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen wird der transkontinentale Migrationsdruck auf Europa im Jahr 2016 in ähnlicher Quantität anhalten. • 2016 wird in Österreich mit mehr als 100.000 An- trägen zu rechnen sein. • Das zentrale Ziel eines modernen Sozialstaates muss der Erhalt des sozialen Friedens sein. Mig- ration per se gefährdet dieses Ziel nicht, aber sie kann Auswirkungen auf dieses Ziel haben. • Ohne konkrete migrationspolitische Antworten wer- den die Polarisierung und Entsolidarisierung in der Gesellschaft zunehmen. für Menschen, die schon in Bewegung sind und bereits tausende Kilometer „in den Beinen“ haben, und andere Ansätze für jene, die noch vor Ort in den Krisenregio- nen sind. Es wird zu einem verstärkten Schutz der Au- ßengrenzen bei gleichzeitiger Schaffung legaler und si- cherer Zuwanderungsalternativen für schutzsuchende Menschen kommen, um die Notwendigkeit lebensge- fährlicher Überfahrten zu reduzieren. Weiters wird die Implementierung von Hotspots an den EU-Außengren- zen zur besseren Registrierung, Verteilung auf EU-Mit- gliedsstaaten und Rückführung – falls eine Schutzge- währung unwahrscheinlich ist – erforderlich sein. Das Stellen von Asylanträgen in den Herkunftsregionen so- wie humanitäre Zentren in Nachbarländern von Kri- sengebieten werden noch intensiver diskutiert werden müssen. Migrationspolitik wird innerhalb der jeweiligen europä- Approach brauchen. Dabei werden alle zentralen Ak- teure permanent zu hinterfragen haben, wie ihr Druck auf die Nationalstaaten wachsen, ihre staatliche Souveränität durchzusetzen. Das zentrale Ziel eines modernen Sozialstaates muss der Erhalt des sozialen Friedens sein. Migration per se gefährdet dieses Ziel nicht, aber sie kann Auswirkungen auf dieses Ziel ha- ben. Zuwanderung strahlt in unterschiedlichste Berei- che wie Arbeitsmarkt, Wirtschaft, demographische Zu- aus. Es werden Antworten auf die Frage nach der Leis- tungsfähigkeit dieser Systeme in einem sich ändernden Umfeld eingefordert werden – auch mit Blick auf die Budgetkomponente. Der Migrationsdiskurs wird inten- siver, aber auch offener und faktenbasierter geführt über Individualfälle wird aber weiterhin oft in einem Zerrbild und daher in scheinbaren Lösungen münden. Ohne konkrete Antworten und Taten werden die Pola- nehmen, und den politischen Zentrifugalkräften wird weiterer Zulauf beschert sein. KEY NOTES • Should framework conditions stay the same, trans- continental migration pressure on Europe will per- sist in 2016. • In 2016, more then 100,000 asylum applications can be expected in Austria. • The major goal of a modern welfare state should be the preservation of social peace. Migration per se does not jeopardize this objective, but it can have an impact. • Without concrete migration policy responses, pola- rization and the lack of solidarity within society will increase. PU eich nsk 201 d in echn Ziel des s det di dieses sche Antw ung in der egionen so- rländern v ensiver wird uche nen Budgetkomp auch offen aber w aren aten galk sa uro um welfa pea his ob ut concret rizatio bedingungen wird druck auf Europa anhalten. 100.000 An- aates Mig- sie Dabei werden alle zentralen Ak- nterfragen haben, wie ihr nehmen, und den politischen Zentr weiterer Zulauf beschert sein. KEY NOTES • Should framewo continental m sist in 2016 • In 2016, can be • The th
  • 369. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 367 SICHERHEIT DURCH INTEGRATION IN ÖSTERREICH 2016 Alexander Schahbasi Viele allgemeine integrationspolitische Herausforderun- gen sind zwar primär keine Sicherheitsthemen, können aber in Summe zu gesellschaftlichen Spannungen und der Prozess der Integration durch Maßnahmen unter- stützt, aber nicht vollständig gesteuert werden kann. In- - beitsmarkt und im Bildungssystem sowie durch soziale Interaktion statt. Integrationspolitik kann hierzu durch - potential im Hinblick auf gesellschaftliche Spannun- gen. Ob und wie sich Situationen ergeben, in denen es zur Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit kommt, kann nicht vorhergesagt werden. Mittelfris- tig kommt es vor allem darauf an, wie umfassend - gen, damit Potentiale genutzt werden können. Die fehlende Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum wird dabei die größte Herausforderung werden.
  • 370. 368 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 nungsverfahren und Beratung den passenden Rahmen schaffen. Die gegenwärtigen Integrationsherausforde- rungen fokussieren sich primär auf die derzeit in Öster- reich aufhältigen Flüchtlinge. Wohnraum Anerkannte Flüchtlinge werden in den kommenden Jahren auf den privaten Wohnungsmarkt drängen, wo- - nung einer mittelgroßen österreichischen Stadt bedarf. Angesichts der geringen Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum in städtischen Ballungszentren und der lan- gen Vorlaufzeiten im Wohnbau wird die Wohnungssu- che für anerkannte Flüchtlingen eine große Herausfor- derung, nicht zuletzt für jene ohne Beruf bzw. ausreichendes Einkommen und Sprachkenntnisse. Der Wettbewerb um günstigen Wohnraum wird zunehmen. Arbeitsmarkt Das geringe Wirtschaftswachstum, die angespannte Lage am Arbeitsmarkt und die steigende Zahl an Asyl- berechtigten sind denkbar ungünstige Rahmenbedin- gungen zur Integration in den Arbeitsmarkt. Während - cher Barrieren und Vorbehalten bei Unternehmen nur schwer eine Stelle bekommen werden, wird es selbst für - kenntnisse und fehlender Anerkennungen in den ersten Jahren schwer sein, eine ausbildungsadäquate Arbeit zu - - hintergrund treffen. Die starke Reglementierung und erschweren den Integrationsprozess, wobei gerade eine ausbleibende Integration in diesem Bereich die entspre- und langfristig besteht jedoch – bei entsprechenden Be- gleitmaßnahmen in Form von Deutschkursen und dass die derzeitige Zuwanderung der demographischen Alterung entgegenwirkt und der Fachkräftemangel in vielen Bereichen abgefedert werden kann. Systemische Kosten Eine genaue Abschätzung, wie viel der Zuzug von Flüchtlingen dem Staat kurzfristig kosten wird bzw. langfristig bringen könnte, ist schwierig. In den Berei- - ist 2016 jedenfalls mit steigenden Kosten zu rechnen. Auch im Sicherheitsbereich (Polizei, Verfassungsschutz, - cenbedarf entstehen. Die Finanzplanung des Bundes (und der Länder) für die kommenden Jahre bedarf dies- bezüglich einer Neukalkulation. Die Befassung mit ak- tuellen Migrationsthemen und den damit einhergehen- den wahlpolitischen Überlegungen könnte dazu führen, dass größere Reformen in anderen Bereichen hintange- stellt werden – die Einsparungsgewinne könnten jedoch die oben angeführten Aufwendungen bei weitem überschreiten. Öffentliche Sicherheit Während Integrationserfolg ganz allgemein anhand von Bildungsstand, Erwerbstätigen- und Arbeitslosenquote, Einkommen und Armut gemessen werden kann, sind im Sicherheitsbereich vor allem die Kategorien soziale Spannungen, Unruhen, Kriminalität und Terrorismus von Relevanz. Im internationalen Vergleich kann man
  • 371. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 369 KERNPUNKTE • Integration kann durch Maßnahmen unterstützt, aber nicht vollständig gesteuert werden. • Die Wohnungssuche wird für anerkannte Flüchtlin- ge eine große Herausforderung darstellen. • Tendenziell besteht in den kommenden Jahren ein schaftliche Spannungen. • Die gegenwärtigen Herausforderungen bedürfen eines erhöhten Einsatzes aller staatlichen, wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen Akteure. feststellen, dass die Skepsis gegenüber Zuwanderern zu- tungen korreliert. In Bezug auf die gegenwärtigen Mig- rationsbewegungen scheint die Bevölkerung gespalten – zwischen Hilfsbereitschaft und Ablehnung. Die Ver- unsicherung generiert sich primär aus kultureller Dis- tanz, Verlust- und Abstiegsängsten. Ob (und wie) sich derschlägt, kann nicht vorausgesagt werden, ist aber ebenso wie gewaltsame Auseinandersetzungen zwi- schen Migrantengruppen nicht auszuschließen. Der Integrationsprozess ist aus sicherheitspolitischer Sicht vor allem im Hinblick auf den großen Anteil an männlichen Jugendlichen von Bedeutung, da bei diesen im Falle des Scheiterns des Prozesses ein erhöhtes Po- dikalisierung und Rekrutierung im Bereich des islamis- tischen Extremismus ist ebenfalls ein Szenario, das einer verstärkten Beobachtung durch die Sicherheitsbe- hörden bedürfen wird. Ein Terroranschlag im Land würde die Akzeptanz aller Integrationsbemühungen in weiten Teilen der Bevölkerung schlagartig weit zurück- werfen. Ob und wie zugänglich Einzelne für religiösen Extremismus sind, wird sich zeigen, jedenfalls hängt dies stark vom individuellen Integrationserfolg der ers- ten Jahre nach der Einwanderung ab. Insgesamt ist festzuhalten, dass die gegenwärtigen Her- ausforderungen nicht systemgefährdend sind, aber eines erhöhten Einsatzes aller staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure bedürfen, um den Integ- rationsprozess zu unterstützen und allfällige sicher- heitsrelevante Entwicklungen zu erkennen und zu unterbinden. KEY NOTES • Some measures can support integration but can- not steer it completely. • Finding accommodation will be a major challenge for refugees. • in the coming years. • The current challenges require an increased com- mitment of all governmental, economic and soci- al actors. ER nte ber n Woh e groß ell be nungen ausforde r staatlichen, ure Ob (und wie) sich vorausge ame A ngrup ratio or all lich alle kali Extremismus sind, w dividuellen nderung gegenw sind, haftli den her- t can chal require overnmen ors. en unterstützt, den. te Flüchtlin- n. ren ein lem im Hinblick auf den großen Anteil an ugendlichen von Bedeutung, da bei diesen heiterns des Prozesses ein erhöhtes Po- ekrutierung im Bereich des islamis- und gesellschaftlichen Akteure bedürfen, um d rationsprozess zu unterstützen und allfällige heitsrelevante Entwicklungen zu erkennen unterbinden. KEY NOTES • Some measu not steer it • Finding a for refu • in • T
  • 372. 370 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 SOZIALE SICHERHEIT UND GESELLSCHAFTLICHE KOHÄSION IN ÖSTERREICH 2016 Christian Klopf Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum – Schwierige Rahmenbedingungen Österreich konnte über einen langen Zeitraum seit Be- ginn der Wirtschafts- und Finanzkrise eine im Euro- pavergleich relativ günstige Arbeitsmarktsituation vor- weisen. Seit Ende 2014 und im Jahresverlauf 2015 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit: Aktuelle Wirtschaftsprognosen gehen von einer et- was besseren Konjunkturlage 2016 aus, zusätzlich werden die wirtschaftsfördernden Effekte der Steu- erreform wirksam, die sich in der Folge auch positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken. Insgesamt werden von dieser Entlastung– gemeinsam mit einem Ar- beitsmarktpaket – bis zu 60.000 zusätzliche Ar- beitsplätze erwartet. Die einkommensbezogene Ar- mutsgefährdung wird 2016 voraussichtlich weitgehend konstant bleiben, wohingegen die Zahl der erheblich deprivierten Personen, die sich be- stimmte Güter und Dienstleistungen nicht leisten können, weiterhin zurückgehen könnte. Eine Bünde- lung der Integrationsbemühungen von Bund, Län- dern, Gemeinden, NGOs und der Zivilgesellschaft kann in Hinblick auf die herausfordernde Flücht- lingssituation vor allem mittelfristig zu Integrations- erfolgen führen.
  • 373. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 371 Inklusive Jobsuchende in Schulungsmaßnahmen über- schritt im Oktober 2015 die Zahl der Arbeitssuchen- Im Jahr 2011 lag diese Zahl noch bei knapp 300.000. Im EU-Vergleich liegt Österreich im September 2015 mit einer Eurostat-Arbeitslosenquote von 5,7 %, das ist immer noch deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 9,3 %, gemeinsam mit Estland an fünfter Stelle. Ein zentraler Hintergrund dieser Entwicklungen ist die bereits seit 2012 schwächelnde Konjunktur in Ös- terreich. Für das Jahr 2016 wird zwar von den führen- den Wirtschaftsforschungsinstituten WIFO und IHS ein etwas höheres reales Wachstum des BIP prognosti- ziert, eine spürbare Entlastung der angespannten Ar- beitsmarktlage ist jedoch – trotz steigender Beschäfti- gung – eher unwahrscheinlich. Zum einen wäre hierfür ein längerfristiges reales BIP-Wachstum von etwa 2 % vonnöten, zum anderen steigt auch das Ar- beitskräfteangebot – durch höhere Frauenerwerbsbe- teiligung, den politisch intendierten Anstieg des tat- sächlichen Pensionsantrittsalters und ausländische Arbeitskräfte. Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur und Beschäftigung Vor dem Hintergrund dieser ungünstigen Rahmenbe- dingungen hat die Bundesregierung ein Maßnahmen- paket beschlossen, das konjunktur- und arbeitsmarkt- fördernd wirkt: Ein Kernelement besteht aus einer Wohnbauoffensive, die ab 1. Jänner 2016 startet, wo- mit etwa 20.000 Arbeitsplätze gesichert und leistbarer Wohnraum für rund 68.000 Menschen geschaffen werden. Mit diesem Paket soll der soziale Zusammen- halt in Österreich sowohl durch mehr Beschäftigung als auch durch die bessere Verfügbarkeit von leistba- rem Wohnraum gestärkt werden. Neben dieser Offensive wird darüber hinaus ab 2016 die lohnsteuersenkende Komponente der Steuerreform die Kaufkraft der Österreicher – und damit auch die Kon- sumnachfrage – stärken, aber auch bestimmte Lohnne- benkosten der Unternehmen werden gesenkt: Die Regie- rung prognostiziert, dass insbesondere die Entlastung der Unternehmen bis zu 14.000 Arbeitsplätze hervor- bringen wird. Einkommens- und Arbeitszeitverteilung Diese Maßnahmen der Bundesregierung werden jedoch nur geringe umverteilende Effekte erzielen. Letzte ver- fügbare Daten zeigen, dass die Summe der Einkommen im obersten Einkommensfünftel fast so hoch ist wie die Summe der Einkommen der übrigen achtzig Prozent der ungleichen Verteilung zu sehen: Die Teilzeitquote ist ins- gesamt seit dem Jahr 2008 um über vier Prozentpunkte auf zuletzt etwa 28 % gestiegen. Während Frauen eine Teilzeitquote von knapp 47 % aufweisen, ist jene der Männer mit rund 11 % deutlich niedriger. Armut, soziale Ausgrenzung und Mindestsicherung Österreich ist eines der wenigen Länder innerhalb der - ziale Ausgrenzung“: Seit dem Jahr 2008 – vor Eintritt der Wirtschafts- und Finanzkrise – kam es zu einem Rückgang dieser EU-Zielgruppe für Armutsbekämp- fung um 1,4 Prozentpunkte auf zuletzt 19,2 %. Diese Zielgruppe besteht aus folgenden drei Teilgruppen: Per-
  • 374. 372 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Nach steigender Arbeitslosigkeit 2014/15 ist keine wesentliche Entspannung für 2016 zu erwarten. • Ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung soll ab 2016 Arbeitsplätze sichern und leistbaren Wohn- raum schaffen. • Strukturellen Änderungen für eine gerechtere Ein- kommensverteilung sind nicht absehbar. • Der Trend Richtung Teilzeitbeschäftigung wird vor- aussichtlich anhalten. • Im Bereich Armut und soziale Ausgrenzung ist eine konstante Entwicklung wahrscheinlich. • Die Bedeutung der Bedarfsorientierten Mindestsi- cherung wird steigen. sonen, die ein zu geringes Einkommen erzielen (Ar- mutsgefährdete), Menschen, die sich bestimmte grundle- gende Ausgaben nicht leisten können (erheblich Deprivierte) sowie Personen in Haushalten mit sehr ge- der weiterhin schwierigen Arbeitsmarktlage auch 2016 nicht substanziell kleiner werden, wenngleich hier auch Änderungen bei der Verteilung der Arbeit eine Rolle spielen. Der lohnsteuersenkende Effekt bei der Steuerre- form könnte sich eventuell auf die Kaufkraft einer Teil- gruppe der erheblich deprivierten Bevölkerung in Öster- reich positiv auswirken und einen weiteren Rückgang bei dieser Problemlage bewirken. Die Einkommensarmut wird jedoch voraussichtlich auch 2016 einen konstanten Verlauf nehmen. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung wird voraus- sichtlich auch im nächsten Jahr eine steigende Bedeu- tung erfahren. Die armutsabfedernden Effekte der min- destsichernden Leistungen werden auch 2016 gemeinsam mit den automatischen Stabilisatoren der Ar- beitslosenversicherungsleistungen die soziale Sicherheit und gesellschaftliche Kohäsion in Österreich stützen. Konsequenzen für Österreich und die EU Die Ausgestaltung der integrationswirksamen Maß- nahmen im Umgang mit der aktuellen Flüchtlingssitu- ation wird die Entwicklungen in Bezug auf den sozia- len Zusammenhalt im Jahr 2016 wesentlich on sowohl innerhalb Österreichs als auch zwischen Österreich, der EU-Ebene und den EU-Mitgliedsstaa- ten ist hierfür entscheidend. Die soziale und arbeits- ne wesentlich günstigeren Rahmenbedingungen bieten. Trotz des günstigeren Konjunktur-Ausblicks muss auch im Jahr 2016 mit einer angespannten Arbeits- marktlage gerechnet werden. In der Folge sind bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung keine substanziellen Erfolge zu erwarten. u geringes Einkommen erzielen (Ar- ährdete), Menschen, die sich bestimmte grundle- de Aus Depr d geme slosen ellschaftliche Kohäsion in Österreich stützen. Die A men im rd di men rha EU- ch tig ere 6 m hn von anzi nicht substanziell kleiner werden, wenngleich hier auch Änderungen bei der Verteilung der Arbeit eine Rolle spielen. Der lohnsteuersenkende Effekt bei der Steuerre- rm könnte sich eventuell auf die Kaufkraft einer Teil- pe der erheblich deprivierten Bevölkerung in Öster- ositiv auswirken und einen weiteren Rückgang bei oblemlage bewirken. Die Einkommensarmut h voraussichtlich auch 2016 einen konstanten en. ierte Mindestsicherung wird vorau chsten Jahr eine steigende Be mutsabfedernden Effekte en werden auch 2016 atischen Stabilis ngen die so n in Öst on sowohl Österreic ten ist ne b KEY NOTES • Following the 2014/15 rise in unemployment, no change can be expected for 2016. • Measures taken by the government are to safegu- ard jobs and to create affordable housing. • Structural changes for a more equal distribution of incomes are not foreseeable. • The trend towards part-time employment will continue. • verty and social exclusion. • The importance of the needs-based minimum be-
  • 375. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 373 GESUNDHEIT UND SICHERHEIT IN ÖSTERREICH 2016 Michael Kunze Flüchtlingsproblematik Die anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl ein internationales Thema bleiben. Dabei wird es auch zu gesundheitlich relevanten neuen Fragestellungen kom- Mittel-und langfristig sind die wirtschaftliche Ent- - - sundheitswesens. Für 2016 ist nicht mit wesentlichen Änderungen des Status quo in diesen Bereichen zu rechnen. Die folgenden Themen wer- den die nächste Zukunft bestimmen: Flüchtlingspro- Coronaviren, weiters Resistenzen, nahrungsassoziierte Infektionen und Klimawandel. Natur- und andere Katastrophen können weitere He- rausforderungen bedeuten.
  • 376. 374 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 men. Es geht hier nicht nur um die Einschleppung von in Europa nicht oder nur selten auftretenden Krankhei- ten, sondern vor allem auch um die Tatsache, dass Men- schen auf engem Raum konzentriert, immer Anlass für endemische und epidemische Entwicklungen sein können. weiteren pandemischen Entwicklung kommen. Diese (Mutation) der Erreger bedingt. Zu bedenken sind so- wohl das bekannte H5N1, das unter anderem in Ägyp- ten zirkuliert, als auch das H7N9 („neue Vogelgrippe“), aber auch wiederum das H1N1 („Schweinegrippe“). Potential. Pandemie Eine Pandemie wäre eine ganz besondere Herausforde- rung für Österreich, u.a. weil es zurzeit keine geeignete rasche Impfstoffproduktion mehr im Land gibt. Auch die Produktion antiviraler Substanzen müsste innerhalb kurzer Zeit wieder erhöht werden. Die terroristische Auslösung einer Pandemie erscheint eher unwahrscheinlich, und zwar wegen der Komplexi- tät der virologischen Situation und der damit gegebenen- falls notwendigen fachlichen Expertise und Labor-Ausstattung. Die vorliegende Pandemie-Planung wäre mit überschau- barem Aufwand zu aktualisieren, und an die zu erwar- tenden Szenarien anzupassen; dies gilt für die EU in ih- Ergänzend müssen auch Übungen und Planspiele vorge- sehen werden. Terroranschläge Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenherde könnte es zu Terroranschlägen mit biologischen und chemischen Agenzien kommen. Auch ist eine Andro- hung derartiger Angriffe schon geeignet, Unruhe in der Bevölkerung sehr nachhaltig auszulösen. In diesem Zu- sammenhang ist nicht nur auf bekannten Erreger wie Anthrax oder Ebola zu verweisen, sondern etwa auch auf Monkey Pox (Affenpocken). die Verbreitung einer möglichen panikauslösenden Be- drohung. In der jüngsten Vergangenheit wurde von die- - - ren Personen. - heitswesen vorstellbar, ist dieses doch z.B. durch die Ab- hängigkeit von der Energieversorgung durchaus vulnerabel. Ebola, MERS-Coronavirus Die Einschleppung von Ebola wird sich zu keinem we- sentlichen Problem entwickeln, weil sich die epidemiolo- gische Situation in Westafrika weiter positiv entwickelt und das medizinische System gut vorbereitet ist. Diese Feststellung gilt auch für die MERS-Coronavirus-Infek- tion; es gab und wird auch eingeschleppte Fälle geben, aber keine quantitativ wesentliche Ausbreitung.
  • 377. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 375 KERNPUNKTE • Die anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl ein internationales Thema bleiben. Dabei wird es auch zu gesundheitlich relevanten neuen Frage- stellungen kommen. • einer weiteren pandemischen Entwicklung kom- men. Eine Pandemie wäre eine ganz besondere He- rausforderung für Österreich. • Die Einschleppung von Ebola wird sich zu keinem wesentlichen Problem entwickeln. • Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenher- de könnte es auch zu Terroranschlägen mit biolo- gischen und chemischen Agenzien kommen. Auch mit einer Androhung derartiger Angriffe muss man rechnen. • Cyberattacken sind möglicherweise auch im Ge- sundheitswesen vorstellbar. Die historische Erfahrung lässt aber den Schluss zu, dass in jedem Jahr auch neue bisher weitgehend unbe- kannte Infektionen auftreten können. Das hoch entwi- maßnahmen einzuleiten. Resistenzentwicklung, nahrungsassozi- ierte Infektionen, Klimawandel Während und nach 2016 werden die Themen Resistenz- entwicklung von Keimen (vor allem auch im Kranken- haus) und nahrungsassozierte Infektionen ein Thema bleiben. Ebenso der viel diskutierte Klimawandel, der ben kann. Natur- und andere Katastrophen Natur- und andere Katastrophen können eintreten, eine Prognose ist im Detail nicht zu treffen. KEY NOTES • The refugee problem is likely to remain an interna- tional issue. It will also bring up new health-related questions. • lopments are possible. A pandemic would be a very peculiar challenge for Austria. • Ebola will not become a major problem. • Given the geopolitical hotspots, terrorist attacks in- volving biological and chemical agents are possib- le. Such threats are to be expected. • Cyber attacks on healthcare are also possible. twicklung, nahrungsass nfektion Wäh S pro It are r ch w Angesichts der weltpolitisch relevanten Krisenher- nte es auch zu Terroranschlägen mit biolo ischen Agenzien k wil ven t volv ERNPUNKTE ie anhaltende Flüchtlingsproblematik wird wohl internationales Thema bleiben. Dabei wird es zu gesundheitlich relevanten neuen Frage- en kommen. en pandemischen Entwicklung demie wäre eine ganz bes r Österreich. von Ebola wird s m entwickeln tisch rel rora
  • 378. 376 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ENERGIESICHERHEIT IN ÖSTERREICH 2016 Walter Boltz Versorgungssicherheit im Bereich Gas und auch Österreich die Vulnerabilität der Erdgasver- sorgung sowie die Abhängigkeit von russischem Erdgas zuletzt deutlich vor Augen geführt. Um die Versor- gungssicherheit im Erdgasbereich für heimische End- verbraucher auch im Fall einer allfälligen Lieferunter- daher in regelmäßigen zeitlichen Abständen umfangrei- che nationale und europäische Risikountersuchungen Die österreichische Elektrizitäts- und Erdgaswirt- schaft ist durch ein traditionell gut ausgeprägtes Si- cherheitsbewusstsein gekennzeichnet. Exogene so- wie systemimmanente Entwicklungen wie z.B. die Ukraine-Krise oder der vermehrte Einsatz von „intel- ligenter“ Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) zur Steuerung und Regelung von komplexen energiewirtschaftlichen Prozessen führen jedoch zu neuen Bedrohungslagen und erfordern die Anpas- sung und Aktualisierung von bewährten Sicherheitsmaßnahmen.
  • 379. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 377 statt, bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ri- siken bewertet und Handlungsmaßnahmen erarbeitet werden. Bei der aktuell gültigen Risikoabschätzung aus dem Jahr 2014 wurden insgesamt 39 Risikoelemente wie z.B. - und unter Einbeziehung von Experten die Eintritts- wahrscheinlichkeit von Liefer- und Infrastrukturein- schränkungen bzw. -ausfällen bewertet. Als Ergebnis dieser Risikoanalyse zeigte sich, dass nur bei 5,2 Pro- zent der angenommenen Störungsszenarien mit einer maßgeblichen Einschränkung der heimischen Erdgas- versorgung zu rechnen ist. Allfällige Auswirkungen können aber durch das gezielte Ergreifen von marktba- sierten oder energielenkungstechnischen Maßnahmen wie z.B. dem verstärkten Erdgasimport über andere - - frastruktur trotzdem in der Lage ist, zu 235 Prozent - samtnachfrage nach Erdgas an einem Tag mit einer au- ßerordentlich hohen Nachfrage benötigt wird. IKT-Bedrohung für Betreiber kritischer Infrastruktur im Strom- und Gasbereich Unternehmen der Elektrizitäts- und Erdgasversor- gung sehen sich in Folge ihrer strategischen Bedeu- tung für das Funktionieren einer Volkswirtschaft verstärkt intentionalen Angriffen auf ihre Informa- tions- und Kommunikationstechnik (IKT) ausge- setzt. Vor allem die fortschreitende Vernetzung, Di- gitalisierung und Automatisierung von industriellen Kontroll- und Steuerungssystemen (SCADA-Syste- men) machen eine systematische Erhebung und Be- Elektrizitäts- und Erdgasversorgung in regelmäßigen zeitlichen Abständen notwendig. - men, den sicherheitsrelevanten Bundesministerien, dem Kuratorium Sicheres Österreich (KSÖ) sowie dem ös- terreichischen Bundeskanzleramt hat die Energie-Con- trol (E-Control) als zuständige Regulierungsbehörde in strukturierten und auf internationalen Standards beru- henden Analyse- und Bewertungsprozessen aus diesem - gungssicherheit detailliert beleuchtet. Dabei wurden insgesamt 73 Einzelrisiken im Elektrizitätsbereich und 61 Einzelrisiken im Erdgasbereich mit dem Potential ei- - In weiterer Folge wurden detaillierte Maßnahmenpläne zur Risikominimierung und -vorbeugung mit konkre- Mindestsicherheitsstandards ausgearbeitet und verein- bart. So wird ab 2016 zum Beispiel ein brancheneigenes Energie-CERT (Computer Emergency Response Team) die verstärkte Vernetzung und den Informationsaus- tausch zwischen den Branchenunternehmen ermögli- - cherheitsübungen werden zudem zur weiteren Sensibilisierung und Ausbildung von Sicherheitsbe- wusstsein in der Branche beitragen. Mit Spannung wird auch der bevorstehende Beschluss der europäischen Netz- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS-RL) und deren Umsetzung auf nationaler Ebene erwartet. Insbesondere für Betreiber kritischer Infrastruktur im Energiebereich ergeben sich dadurch wesentliche neue
  • 380. 378 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Nationale und europäische Risikountersuchungen bescheinigen der heimischen Elektrizitäts- und Erdgaswirt- schaft eine hohe Versorgungssicherheit und eine gut ausgebaute Energieinfrastruktur. • Exogene sowie systemimmanente Entwicklungen wie z.B. die Ukraine-Krise oder die zunehmende Automatisie- rung und Digitalisierung von kritischen Kontroll- und Steuerungsprozessen führen zu neuen Bedrohungslagen für die österreichische Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft. • Der Anstieg an intentionalen Cyber-Attacken auf Betreiber kritischer Infrastruktur erfordert eine systemati- chendeckende Elektrizitäts- und Erdgasversorgung. • In einem strukturierten Public-Private-Partnership-Projekt der heimischen Energiewirtschaft wurden im Jahr 2015 systemrelevante IKT-Risiken detailliert beleuchtet und konkrete Handlungsmaßnahmen zur Steigerung der Versorgungssicherheit entwickelt. • Mit 2016 unterstützt ein brancheneigenes Energie-CERT (Computer Emergency Response Team) den Informa- tionsaustausch zwischen den Branchenunternehmen und dem öffentlichen Sektor. KEY NOTES • degree of supply security and a well-developed infrastructure. • External and systematic developments, e.g. the Ukraine crisis or increasing automation and digitalization of critical control and steering mechanisms, produce new threats for the Austrian electricity and gas industry. • The increase in international cyber-attacks on operators of critical infrastructure requires the systematic and regular inquiry into and the assessment of the risks to IT technology required for the comprehensive provision of electricity and gas. • In 2015, a PPP project by the domestic energy industry took a closer look at systematic IT-related risks, and developed concrete measures to increase supply security. • By 2016, an Energy Computer Emergency Response Team (Energy-CERT) will support the exchange of informa- tion between industry and the public sector. ters erhe e E tisc itä Cyb nd -Pr ke ick ene nch d infra aine crisis or increasing automation and digitalizati eats for the Austrian electricity and g t und eine gut ausgebaute Energieinfrastruktur. klungen wie z.B. die Ukraine-Krise oder die zunehmende Automatisie- troll- und Steuerungsprozessen führen zu neuen Bedrohungslagen aswirtschaft. f Betreiber kritischer Infrastruktur erfordert eine systemati- jekt der heimischen Energiewirtschaft wurden und konkrete Handlungsmaßnahmen zur mputer Emergency Response Tea öffentlichen Sektor. ng auto ian
  • 381. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 379 RISIKOPOTENTIAL VON NATUR- UND TECHNISCHEN KATASTROPHEN IN ÖSTERREICH 2016 Robert Stocker Extremwetterereignisse, insbesondere Hitze und Stark-Niederschläge, Versorgungsausfälle und Pan- demien bergen für Österreich das größte Risiko- potential; die jährliche statistische Eintrittswahr- scheinlichkeit liegt unter 1. Moderne Katastrophen-Vorsorge umfasst Haus- haltsautonomie für drei bis sieben Tage. Das Katast- rophenwesen in seiner Gesamtheit und der Schutz vor derartigen Schadenseintritten stellt in Öster- reich eine Querschnittsmaterie dar. Rechtliche Rahmenbedingungen, Kooperation und Koordination Katastrophenschutz ist Aufgabe der Länder; wesentliche Akteure dabei sind neben den zuständigen Behörden auch (freiwillige) Organisationen im operativen Rettungs- und Katastrophenschutzwesen, nämlich Rettungsorganisationen und Feuerwehren. -
  • 382. 380 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 - fahren, Luftfahrt, Schutz vor nuklearen, chemischen - bauung dar. All diese Verantwortlichkeiten und Er- fahrungen sind in ein gesamtstaatliches gemeinsames und koordiniertes Agieren einzubetten. Seit Mai 2003 obliegt die Koordination dieses Staatli- chen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements (SKKM) ebenso wie die internationale Katastro- phenhilfe dem Bundesministerium für Inneres. Nationale Risikoanalyse - tung von Naturkatastrophen und von Menschen ver- ursachten Katastrophen“ der Europäische Union, Rat Justiz und Inneres aus 2009 hat die Europäische Kommission im Jahr 2010 die Mitgliedsstaaten aufge- fordert, nationale Risikoanalysen durchzuführen. Im Rahmen des SKKM wurde eine umfangreichere Status quo „Risikonanalyse“ erstellt, die auf nationa- erkannten und antizipierten Risiken darstellt. Die Risikoanalyse umfasst dabei „Natural and man made disaster“. Für diesen Beitrag bleiben die von Menschen vorsätzlich herbeigeführten und sich in Österreich realisierenden oder auf Österreich auswir- keine Aussage zur Beherrschbarkeit der Risiken getroffen. Konkrete Risiken - menten wird nicht in jährlichen Zyklen beurteilt; viel- mehr stellen eine derartige Analyse, die Betrachtung - tegien oder die Herausforderungen einer Anpassung einen mehrjährigen Prozess dar; die Beurteilung des Risikopotentials für ein bestimmtes Jahr ist daher in einem größeren mehrjährigen Kontext zu sehen. Bereich der Naturereignisse Extremwetterlagen (Star- kregen, Hitze, Kälte, Hagel), Hochwässer und Lawi- nen, im Bereich von technischen Ereignissen Ver- kehrs- und Industrieunfälle sowie Versorgungsausfälle und im Bereich von grenzüber- schreitenden Ereignissen insbesondere Pandemien für Österreich das größte Risikopotential dar. Hierbei wurde einerseits auf in Österreich in der Ver- gangenheit bereits realisierte Ereignisse Bezug ge- nommen, hier wiederum auf die Zahl der Todesopfer und die Schadenssummen im öffentlichen Bereich/an öffentlichen Einrichtungen, andererseits wurden anti- zipierte künftige Entwicklungen mit einbezogen. Hinsichtlich möglicher technischer Ereignisse zeich- net sich das Jahr 2016 durch keine Besonderheiten aus, sodass das Risikopotential gegenüber den vergan- genen Jahren als unverändert bezeichnet werden kann. Der gesellschaftliche Trend zum urbanen Le- ben und der Bevölkerungskonzentration in Ballungs- gebieten erhöht versorgungstechnische Abhängigkei- ten; der Ausfallsicherheit und den Redundanzen kommt daher im urbanen Bereich erhöhte Bedeutung zu. - fahren hat die Weltgemeinschaft am Beispiel Ebola – als eine von vielen infektiösen Krankheiten – er- kannt, dass gemeinsames, rasches und vorzeitiges
  • 383. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 381 Agieren von entscheidender Bedeutung ist. Ange- sichts der Zunahme bzw. des Fortdauerns von Kri- angesichts des Umstandes, dass in diesen Regionen und angesichts der bestehenden verkehrs- und kom- munikationstechnischen Möglichkeiten unserer Zeit Rahmen der Migration, aber auch im weiteren Sinn im Rahmen des Tourismus weiterhin ein Risiko auf erhöhtem Niveau dar. Hinsichtlich der klassischen Naturgefahren kann sich Österreich als ein in der Bewältigung von Hochwäs- sern oder Lawinenschutz erfahrenes Land bezeich- nen, das sich auch in der Prävention auf hohem Ni- Die Ereignisse der vergangenen Jahre wie Hochwäs- vermehrte lokale Unwetterstürmen, Hitzeperioden – zeigen tendenziell eine Häufung von Extremwetterereignissen. Langanhaltende Hitzewellen mit einhergehenden Trockenperioden sind statistisch jene Ereignisse, bei denen direkt und indirekt die meisten Menschen, etwa bereits geschwächte Personen oder Personen, die die körperliche Hitzebelastung unterschätzen, zu Schaden und zu Tode kommen. Diese Ereignisse ber- gen im Bereich der Naturkatastrophen das für Öster- reich aus momentaner Sicht größte Katastrophen- potential, auch wenn sie in der Öffentlichkeit weniger deutlich wahrgenommen werden. Jedes dieser Risiken wird sich irgendwo in Österreich im kleinräumigen Bereich oder mit einer einzelnen subjektiven Betroffenheit realisieren – ohne dass wir bezeichnen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit jeder einzelnen die- ser Risiken als überregionale Katastrophe hingegen - gangenen Jahre und Jahrzehnte als relativ gering zu beurteilen; mit Ausnahme von regionalen Hochwäs- sern und Lawinenunglücken mit Todesopfern ist de- bezogen mit unter 50 % zu beurteilen; im 10-jährigen Zyklus hingegen muss eine derartige Vorhersage mit bedeutender Wahrscheinlichkeit > 75 % ausgewiesen werden. Schadensausmaß von Katastrophen In Österreich existiert derzeit noch keine Stelle, bei der das Schadensausmaß von Katastrophen standar- disiert und ganzheitlich erfasst wird. Lediglich beim „Jahrhundert-Hochwasser“ im Jahr 2002 wurde durch die Zusammenarbeit von Ministerien, Län- kritischer Infrastrukturen das Schadensausmaß er- fasst und mit ca. 2,8 Mrd. Euro beziffert. In dem Be- trag wurden die Schäden an privaten Haushalten und Wirtschaftsbetrieben nicht berücksichtigt. Das Hochwasser im Jahr 2013 war vom Wettercharakter und den Auswirkungen dem Ereignis von 2002 sehr ähnlich. Die ermittelte Schadenssumme lag diesmal bei rund 870 Mio. Euro exklusive Schäden an priva- ten Haushalten und Wirtschaftsbetrieben, wobei an- zumerken ist, dass nach dem Hochwasser 2002 von der öffentlichen Hand in etwa zwei Mrd. Euro in den Hochwasserschutz investiert worden waren.
  • 384. 382 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Gemäß der österreichischen Risikoanalyse stellen Extremwetterlagen, Hochwässer, Lawinen, Verkehrs- und In- dustrieunfälle, Versorgungsausfälle und Pandemien für Österreich das größte Risikopotential dar. • Die genannten Risiken werden sich irgendwo in Österreich im kleinräumigen Bereich realisieren und nur im Ein- zelfall als überregionale Katastrophe in Erscheinung treten. • Das Schadensausmaß einer Katastrophe wird in den wenigsten Fällen ganzheitlich erfasst. • Der Eigenvorsorge kommt besondere Bedeutung zu; jeder Haushalt und jeder Gewerbebetrieb sollte für sich autonom in der Lage sein, die Eigenversorgung für drei Tage bis eine Woche sicherstellen zu können. Eigenvorsorge Der Eigenvorsorge kommt angesichts dieser Szenarien scher Versorgungsausfälle – besondere Bedeutung zu. autonom in der Lage sein, die Eigenversorgung für drei Tage bis eine Woche sicherstellen zu können: ausrei- chende Wasservorräte, lagerfähige Nahrungsmittel, Heizmaterial, Medikation, Treibstoff/Energie für nöti- ge Transportbewegungen, autonome Kommunikations- und Empfangsmöglichkeiten, allenfalls nötiger Energie- vorrat zur Erhaltung wichtiger Systeme und auch Tiernahrung. Eine derartige Vorsorge entspricht dem modernen Ansatz im Zivil- und Bevölkerungsschutz. KEY NOTES • dents, power outages, as well as pandemics represent the highest risk potentials for Austria. • These risks will mostly occur on a small scale somewhere in Austria, national disasters might only occur in sin- gle cases. • The full extent of damage caused by a disaster is not holistically recorded only in few cases. • Individual provision is of particular importance; every household and every business enterprise should be able • • D De auto le – beson Lage e Wo d I m E für en. Heizmateria portbewegung ichkeiten iger Sy rsorge völker NOTE r outages, as well as pandemics represent the highest risk potentials for Austr ostly occur on a small scale somewhere in Austria, national disaster ed by a disaster is not holistically recorde schen Risikoanalyse stellen Extremwetterlagen, Hochwäss ngsausfälle und Pandemien für Österreich das größte R rden sich irgendwo in Österreich im kleinräumigen astrophe in Erscheinung treten. atastrophe wird in den wenigsten Fällen g dere Bedeutung zu; jeder Haushalt un nversorgung für drei Tage bis eine s represent the somewhere ot
  • 385. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 383 RISIKOPOTENTIAL UND RESILIENZ KRITISCHER INFRASTRUKTUR IN ÖSTERREICH 2016 Alexander Pschikal Strategisch wichtige Infrastrukturen bilden das Rückgrat einer Gesellschaft und Volkswirtschaft. Bevölkerung und Wirtschaft benützen selbstver- ständlich dieses breite Angebot, ohne an Sicherheit und Resilienz zu denken. Neben den klassischen Ri- sikopotentialen wie Naturkatastrophen oder sicher- heitspolizeiliche Gefährdungen werden „strukturelle Risiken“, die in der Form der Organisation eines Un- ternehmens, in Cyberbedrohungen und in multiplen Bedeutung von Infrastrukturen für eine moderne Gesellschaft - Abhängigkeiten zwischen den Infrastrukturen müssen.
  • 386. 384 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 - sive Nutzung unterschiedlichster Infrastrukturen mög- lich ist – Entwicklungstendenz weiter steigend. Zu den strategisch wichtigen Infrastrukturen zählen nicht nur die klassischen Verkehrsdienstleistungen, Informa- tions- und Kommunikationsangebote, die Lebensmit- tel- und Trinkwasserversorgung, die Abfall- und Ab- wasserentsorgung und die Energiebereitstellung. Auch Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und die - gen sind unabdingbar für die Bevölkerung, genauso wie der Handel, der gesamte „industrielle Kern“ einer Volkswirtschaft und der öffentliche Sektor. Überdies sind neben der Abhängigkeit von inländischen Infra- strukturen auch jene von ausländischen Infrastruktu- ren mit zu bedenken, da zirka die Hälfte des österrei- chischen BIP exportiert und auch importiert wird. World Economic Forums lag Österreich bei der Quali- tät im Bereich der Infrastrukturen Straße, Bahn, Flug, Transportinfrastruktur und Elektrizität insgesamt vor Deutschland, den USA oder UK. Alleine die Schweiz war hier voran. Strategische Ziele: Sicherheit und Resilienz Sicherheit wird technisch, sicherheitspolizeilich oder hingegen die Fähigkeit eines Systems, durch entspre- chende Anpassung, Flexibilität, Robustheit, Redundan- zen, Selbstregenerations- bzw. Selbstorganisationsfä- higkeit auch unter Störungen stabil zu bleiben, die Stabilität wieder rasch herzustellen oder sich dadurch sogar weiterzuentwickeln. Risikopotential – Faktor Mensch mangelndes Bewusstsein sind meist noch immer die - oder immaterielle Sicherheit von Unternehmen und - len Handlungen wie (Wirtschafts-)Spionage, Organi- sierter Kriminalität und Terror bedrohen eine kontinu- ierliche Leistungserstellung. Risikopotential – Natur-, Umwelt- und Technologiegefahren Diese Risiken sind als klassisch zu bezeichnen und um- fassen auch humane und veterinäre Epidemien. Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen des Klimawan- neue Herausforderung, da die Abhängigkeit von der IKT ständig wächst und gleichzeitig deren Komplexi- tät, Vernetzung und Mobilität weitere Risiken produ- ziert. Immer kürzere Innovationszyklen und eine welt- weite Standardisierung verschärfen die Problemlage. Risikopotential – Interne Unternehmensorganisation Ein Hauptrisiko ist die interne „Organisation“ von Un- ternehmen. Einseitige Lieferanten- oder Kundenab- hängigkeiten, hohe Konzentration der Leistungserstel- lungsprozesse, Outsourcing von Kernaufgaben, ausgereizte Logistikketten bis hin zu „unerwünschten“ Beteiligungen von arabischen oder asiatischen Staats- - seits durchgeführte Liberalisierung hat zu einem Ab- bau von bisher vertrauten Sicherheiten geführt.
  • 387. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 385 Risikopotential – Interdependenzen durch mannigfaltige Interdependenzen. Abhängigkei- ten, Wechselwirkungen und Dominoeffekte potenzie- - sellschaft und Wirtschaft überproportional. Mangelnde Resilienz europäischer Stromversorgung Die Folgen eines Blackouts sind für die meisten Men- schen kaum vorstellbar. Fast alle täglichen Verrichtun- von der Stromversorgung ab. Durch die bislang hohe Versorgungssicherheit bestand scheinbar keine Not- wendigkeit sich mit diesen Abhängigkeiten auseinan- der zu setzen. Die Resilienz der europäischen Strom- versorgung wurde durch massive organisatorische und technische Veränderungen geschwächt: Die Liberali- sierung des Strommarktes hat die Konkurrenz der Energieanbieter untereinander verschärft, weshalb Re- dundanzen und Reserven in den letzten beiden Jahr- zehnten kontinuierlich abgebaut wurden. Darüber hinaus hat der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Solar- und Windstrom und deren Förde- rung technisch und wirtschaftlich das Umfeld massiv Einspringen für diese höchst volatilen, aber sauberen Energien überaus notwendig wären, werden wegen des Kostendrucks stillgelegt, und Übertragungsleitungen fehlen, um den ökologischen Strom zu transportieren. Darüber hinaus wird die Stromversorgung über Smart - tes Netz) von Seiten der Informationstechnologie in Zukunft noch leichter angreifbar. Folgen für Österreich Die volkswirtschaftlichen Schäden eines österreich- weiten Blackouts wurden in Studien abgeschätzt und belaufen sich auf bis zu einer Milliarde Euro pro Tag. Wann also ist mit einem Blackout zu rechnen? Nimmt man die Anzahl der Eingriffe und die damit entste- henden Kosten für Redispatching (Aktivierung zu- sätzlicher Kraftwerkskapazitäten in Regionen hohen Stromverbrauches) und Intradaystops (Aussetzen des Intraday-Handels) oder Negativstrompreise als Bench- marks für die Stabilität des Systems, muss man fest- stellen, dass diese Notmaßnahmen binnen zwei Jahren zum netzbetrieblichen Alltagsgeschäft wurden. Diese Notmaßnahmen selbst sind aber gefährdet, weil sys- temrelevante Kraftwerke in Zukunft nicht verfügbar sind. In den nationalen Risikomatrizen ist aktuell ein Blackout europaweit ein Hauptrisiko. Da weder der Einzelne, noch Unternehmen und der Staat resilient organisiert sind, sind die Auswirkungen eines Black- outs unabsehbar. Gewährleistung der infrastrukturellen Resilienz Infrastrukturalterung ist ein unaufhaltbarer Prozess, der nur durch ständige Instandhaltungsmaßnahmen oder entsprechendem Upgrading und Neuinvestitio- nen verlangsamt werden kann. Private Investoren sind bei den klassischen Infrastrukturinvestitionen wegen der niedrigen Verzinsung und den langen Laufzeiten sehr zurückhaltend, weshalb die öffentliche Hand und ausgegliederte Unternehmen trotz Budgetrestriktionen auch 2016 und weiterhin die größten Infrastrukturer- halter sein werden.
  • 388. 386 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Schutz und Sicherung von kritischen Infrastruk- turen werden auch 2016 steigende Bedeutung haben. • Resilienz soll wesentliche Grundfunktionen des So- zial- und Wirtschaftssystem aufrechterhalten. • Resilienz bedeutet deutlich mehr als passi- ver Schutz um Störungen abzufangen oder auszuschließen. • Cybersicherheit ist einerseits durch strafbare Handlungen, andererseits durch mangelhafte Orga- nisation strukturell gefährdet. • Mit einem Ausfall der Stromversorgung ist 2016 je- derzeit zu rechnen, die Gesellschaft ist auf ein sol- ches Ereignis nicht vorbereitet. • Österreich sollte auch 2016 ein starkes Bewusst- sein für solide Infrastrukturen als Basis einer er- folgreichen Wirtschaft und stabilen Gesellschaft haben. • Der Beitrag der Landesverteidigung hat auch 2016 beim Thema „Schutz kritischer Infrastrukturen“ den Schwerpunkt „Assistenzleistung“. U und rde l we chaft t deu gen ab h strafbare en Infrastruk- Bedeutung en des So- en. KEY NOTES • The protection and security of critical infrastructure will continue to increase in importance in 2016. • Resilience is to maintain the essential functions of the social and economic system. • Resilience clearly means more than the passi- ve protection in order to intercept or exclude interferences. • Cyber security is structurally threatened by crimi- nal acts on the one hand and a lack of organizati- on on the other. • A power supply failure in 2016 can be expected at any time; an event society is not prepared for. • In 2016, Austria should be aware that solid infra- structures are a basis for a successful economy and stable society. • In 2016, the contribution of national defence to the protection of critical infrastructure will again focus on military assistance.
  • 389. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 387 CYBERSICHERHEIT UND CYBERABWEHR IN ÖSTERREICH 2016 Wolfgang Rosenkranz und Wolfgang Gattringer Die zur Bearbeitung dieser Herausforderungen notwen- digen Ressourcen werden durch konkurrierende Bedro- hungen wie die europäische Wirtschaftskrise oder die Flüchtlingsproblematik reduziert bzw. gar nicht zur Verfügung gestellt (Budgetvorgaben, Knappheit an Ex- - vilgesellschaft 2016 mit neuen IT-Herausforderungen in immer höherem Tempo konfrontiert. Neben jeder neuen Nutzungsmöglichkeit des Inter- nets entsteht derzeit eine ebenso neue Miss- brauchsmöglichkeit, die auch aktiv ausgenutzt wird. Auf gesamtstaatlicher Ebene stellt aber schon der einfachste Informationsaustausch eine Herausfor- derung dar, und deshalb wird 2016 zum entschei- denden Jahr einer europäischen Antwort auf die Be- drohungen des Cyberraums.
  • 390. 388 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Internet überall und permanent Die durchgängige Vernetzung wird auch 2016 durch das „Internet of Things“ massiv verstärkt; dieses schafft - chen für Cyberattacken. Insbesondere die bereits durchgeführten Hacks von Au- tomobilen zeigen, dass ganze Industriezweige derzeit nicht darauf vorbereitet sind, ihre Systeme vor Cyberan- griffen zu schützen, und dies auch nicht rasch genug än- dern können. Die holprigen Versuche mancher Auto- hersteller, die Firmware der Fahrzeuge durch die Anwender selbst aktualisieren zu lassen, haben dies mehr als deutlich gezeigt. 2016 werden damit Fragen der sicheren Aktualisierung von Firmware, der sicheren - zes der von ihnen generierten Daten zu einem der Hauptthemen der Cybersecurity-Diskussion werden. Unternehmen unter Erfolgsdruck Die Einbindung mobiler Endgeräte in Unternehmens- netzwerke verlagert den Schwerpunkt von traditionel- len Ansätzen mit einem Fokus auf Perimetersicherheit hin zum kontinuierlichen Monitoring der Netzwerke, Stellt dies für größere Unternehmen bereits eine Her- ausforderung dar, so sind kleine und mittlere Unterneh- men umso mehr unter Druck, Maßnahmen zu ergrei- fen. Die Auslagerung der Verantwortung für den Schutz vor Angriffen und die Wiederherstellung nach einem Angriff ist für viele – vor allem kleine – Unter- nehmen im nächsten Jahr die einzige Möglichkeit, sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren zu können. Damit verschärfen sich aber auch die Probleme durch die Verlagerung von Daten in Drittstaaten und die da- mit verbundenen Datenschutzfragen für Staat und Un- Anbieter und deren Mitarbeiter verstärkt zum Ziel von Cyberangriffen werden. Bei größeren Unternehmen ist es durch staatliche und private Aufklärungsmaßnahmen in den letzten Jahren gelungen, das Bewusstsein für notwendige Maßnahmen tragen – die nun wiederum Ergebnisse fordert. Immer - genspieler und ein Mangel an Experten erschwert den Automatisierte Systeme zur Erkennung von Angriffen 2016 zu einem der wichtigsten Werkzeuge der Unter- nehmens-IT werden. Eine europäische Chance Vor diesem Hintergrund ist es überraschend, dass der Informationsaustausch zwischen allen Akteuren auf ge- samtstaatlicher Ebene noch immer in den Kinderschu- hen steckt. Mit 2016 besteht durch den Beschluss der EU-Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit nationalen Implementierung die Notwendigkeit, natio- nale Cyber-Sicherheitsgesetze zu schaffen. Die dabei von EU-Seite vorgeschriebenen Maßnahmen (insbeson- - ler Ebene Staat und Wirtschaft enger zusammenzubrin- gen – oder bereits aufgebautes Vertrauen zu schädigen. Österreich nutzt den seit 2011 in Fragen der Cybersi- cherheit eingeführten öffentlich-privaten Dialog, um das nationale Cyber-Sicherheitsgesetz zu erarbeiten.
  • 391. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 389 KERNPUNKTE • Die durch das „Internet of Things“ beschleunigte Vernetzung deckt Unterlassungssünden bei der si- cheren Entwicklung und dem sicheren Betrieb von autonomen Systemen schonungslos auf. • Unternehmen wissen um die Unerlässlichkeit der Cybersecurity. Gleichzeitig stellen sie aber auch fest, dass sie sich alleine kaum ausreichend schüt- zen können; kollaborative Lösungen gewinnen an Bedeutung. • formationssicherheit national umzusetzen, führt 2016 zur Nagelprobe für die Belastbarkeit der öf- fentlich-privaten Sicherheitszusammenarbeit. • Staatliche Maßnahmen werden durch mangeln- de Ressourcen nicht ausreichend wirksam sein und müssen daher durch private Initiativen ergänzt werden. Dieser Dialog soll 2016 konkrete Antworten auf nach wie vor offene Fragestellungen z.B. zum Informations- austausch, zur operativen Koordinierung im Ereignis- fall und zur präventiven Unterrichtung über mögliche sicherheitsgefährdende Entwicklungen im Cyberraum werden. Security Center (CSCI) im Bundesministerium für In- neres und das Cyber Defence Zentrum (CDZ) im Bun- desministerium für Landesverteidigung und Sport we- sentliche Koordinierungsrollen übernehmen und die Erstellung eines staatlichen Cyber-Lagebildes ermögli- chen sollen. Ihr Aufbau wird 2016 fortgesetzt, aber vor- aussichtlich nicht abgeschlossen werden. Außerdem ist zu erwarten, dass beide nicht über ausreichend Ressour- cen verfügen werden. Umso wichtiger ist daher, dass von privater Seite ergänzende Schritte gesetzt werden, z.B. durch die Energiebranche, die 2016 ein Energy-Cy- ber Emergency Response Team gründen wird. Zusam- mengenommen und auf Basis des Cybersicherheitsge- gesamtstaatlichen Antwort auf Cyberherausforderungen gelegt werden. KEY NOTES • The accelerated networking by the „Internet of Things“ mercilessly uncovers sins of omission made during the safe development and operation of autonomous systems. • Companies are aware of the indispensability of cy- ber security. But at the same time they realize that on their own. Collaborative solutions become more important. • In 2016, the obligation to implement the EU’s Di- rective on network and information security on a national level will become a litmus test for the resi- lience of public-private security cooperation. • Government measures are not going to be effecti- ve enough due to a lack of resources and therefore must be complemented by private initiatives. U urc tzu n E om eh ecu s si n; k eit na ür die zusamm ch mangeln- m (CDZ) im B eidigun rollen mtstaatlichen A ter mi d o sa hey ons mple infor becom ublic-pr Governme of Things“ beschleunigte ssungssünden bei der si- m sicheren Betrieb von ngslos auf. erlässlichkeit der sie aber auch eichend schüt- winnen an hrt öf- KEY NOTES • The accelerated netwo Things“ mercilessly u made during the s of autonomous s • Companies ar ber security on their impo • In 2 r
  • 392. 390 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 MEDIEN UND SICHERHEITS- POLITIK IN ÖSTERREICH 2016 Wilhelm Theuretsbacher Afghanistan Obwohl im Zeitraum von Jänner bis September 2015 Asylantragsteller aus Afghanistan mit 12.687 Anträgen sie in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine margina- le Rolle. Österreich stellt in Afghanistan nur ein kleines Kontingent, außerdem hat der jahrzehntelange Bürger- krieg fast alle sozialen Verbindungen zerstört. Die Krise in Afghanistan hat daher in der öffentlichen Diskussion eine geringe emotionale Komponente und wird auch weiterhin in der Berichterstattung nur geringe Beach- Syrer, Afghanen und Iraker stellen derzeit das Gros der Flucht- und Migrationswelle in Österreich. Den- noch steht nur der syrische Bürgerkrieg im Fokus der medialen Berichterstattung. Das wird auch im Jahr 2016 so bleiben. Es wird eine echte Herausfor- derung werden, das derzeit geplante Engagement des Österreichischen Bundesheeres in Afrika medi- al zu vermitteln. Außerdem ist damit zu rechnen, dass sich – bedingt durch die internationalen Her- ausforderungen und die gleichzeitig steigende Ter- rorgefahr – die Diskussion um die budgetäre Situa- tion des Österreichischen Bundesheeres verstärken wird.
  • 393. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 391 Ukraine Bezüglich der Krise in der Ukraine wird in den Medien weiterhin die europapolitische Dimension im Vorder- grund stehen. Sie hat wegen nationaler Betroffenheit, wie beispielsweise den Folgen der Wirtschaftssanktio- nen, einen höheren emotionalen Stellenwert als Afgha- nistan. Die Medien werden vom Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) weiterhin stra- tegische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine er- warten. Sollte es zu einem aktiven Stabilisierungsbeitrag des Bundesheeres in der Ukraine kommen, ist mit ei- nem stark steigenden Interesse der Medien zu rechnen. Afrika Zum Tschad-Einsatz EUFOR/TCHAD/RCA erschie- nen in den Jahren 2007 bis 2009 in österreichischen Medien 2.828 Beiträge mit weitgehend negativem Un- terton. Zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung Ablehnung waren allgemeines Desinteresse an Afrika, die in Österreich weit verbreitete EU-Skepsis sowie eine - essen. Auch die damals schon von vielen als unzurei- - gungshaushaltes spielte eine wesentliche Rolle. Obwohl EURFOR/TCHAD/RCA unzweifelhaft einen außenpolitischen, militärischen und humanitären Er- folg darstellte, gab es zum Thema Afrika medial kein Umdenken. Das belegen Polemiken im März 2015, die sich gegen die Entsendung von vier Experten zur EU- Beratermission EUMAM/RCA richteten. Diese Pole- miken waren teilweise wortident mit jenen, die sich vor- her gegen den Tschad-Einsatz gerichtet hatten. am 21. Jänner 2015 in Den Haag, dass vom Österreichi- schen Bundesheer gemeinsam mit den europäischen Partnern ein verstärktes Afrika-Engagement in enger Kooperation mit den UN und der OSCE erforderlich sei. Die Vermittlung der Notwendigkeit eines nunmehr verstärkten Engagements in Afrika kann nicht alleine die Aufgabe des BMLVS sein. Wohl aber wird es not- wendig sein, die militärische Komponente für die Be- wältigung der Flüchtlingsströme aus Sicht des Bundes- heeres aufzuzeigen. Erschwerend bei dieser Aufgabe kann sich wiederum die Diskussion um die dramatische Budgetlage des Bundesheeres auswirken. Mittlerer Osten Die stärkste emotionale Komponente in der Berichter- stattung weist der Bürgerkrieg in Syrien auf. Das liegt nicht nur daran, dass Syrer im ersten Halbjahr 2015 mit darstellen. Österreich und Syrien verbinden vielfältige 40 Jahre dauernde Engagement von österreichischen Soldaten im Rahmen von UNDOF/AUSBATT trägt zu erhöhter Aufmerksamkeit bei. Darüber hinaus greift der - tion „Islamischer Staat“ und der zahlreichen Bürger- kriegsmilizen auf Europa über. Die Krisen- und Kriegs- berichterstattung stößt aber in Syrien wegen des hohen Die aus der nationalen Betroffenheit resultierende er- höhte Nachfrage des Publikums nach glaubwürdigen Informationen aus dem Kriegsgebiet kann nur ungenü- gend befriedigt werden. Daraus resultiert ein weiterhin hoher Bedarf an zeitnahen und aktuellen Analysen aus dem BMLVS, und das eröffnet die Möglichkeit, das Bundesheer als einen wichtigen Teil vernetzter Außen- und Sicherheitspolitik zu präsentieren.
  • 394. 392 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • kunftsland gering bleiben. • Die Medien erwarten vom BMLVS weiterhin strategische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine. Im Falle eines aktiven Stabilisierungsbeitrags des Bundesheeres in der Ukraine ist mit einem stark steigenden Interes- se der Medien zu rechnen. • Bezüglich Afrika wird es notwendig sein, aus Sicht des Bundesheeres die militärische Komponente für die Be- wältigung der Flüchtlingsströme aufzuzeigen. • Die sehr eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten in Syrien und in Teilen des Iraks werden zu ei- nem hohen Bedarf an zeitnahen und aktuellen Analysen aus dem BMLVS führen. Das eröffnet die Möglichkeit, das Bundesheer als einen wichtigen Teil vernetzter Außen- und Sicherheitspolitik zu präsentieren. • Die Notwendigkeit, der Bevölkerung die Wichtigkeit eines verstärkten Engagements in Afrika zu erklären, wird ebenso zu einer innenpolitischen Diskussion um die dramatische Budgetlage des Bundesheeres führen. Eine Expansion der Terrororganisation „Islamischer Staat“ in Regionen des Westbalkans wird diese Argumentation Islamischer Staat Unübersehbar sind Versuche der Terrororganisation „Islamischer Staat“, in einigen Regionen des Westbal- kans militärisch Fuß zu fassen und hier eine zweite, eu- ropäische Front zu eröffnen. Sollte das gelingen, wird der Islamische Staat in den Fokus der medialen Bericht- erstattung treten. Diese Entwicklung kann die Rolle und die Fähigkeiten des Bundesheeres bei der Terrorab- wehr in Inland auf die Agenda bringen. Dann könnten – wie im Fall Afrikas – die budgetären Einschränkun- gen des Bundesheeres ebenfalls zum innenpolitischen batte könnte wiederbelebt werden. Erste Versuche in diese Richtung gab es bereits. KEY NOTES • main limited. • What the media expect from the Austrian MoD are strategic analyses concerning the events in Ukraine. Should the Austrian Armed Forces actively contribute to a stabilisation of Ukraine, increasing media interest can be expected. • of refugees. • There is a demand by journalists for prompt and up-to-date analyses of Syria by the Austrian MoD. This will give the Austrian Armed Forces the opportunity to present themselves as an important part of a networked for- eign and security policy. • An enhanced international commitment of the Austrian Armed Forces will lead to domestic policy discussions on the dramatic budget situation of the Armed Forces and might revive debates on compulsory military service. we itra en öm be he ich ke hen on e Richtung gab es bereits. re strategic analyses concerning the events in Ukraine ilisation of Ukraine, increasing media inte eiterhin strategische Analysen über die Vorgänge in der Ukraine. Im Falle es Bundesheeres in der Ukraine ist mit einem stark steigenden Interes- s Sicht des Bundesheeres die militärische Komponente für die B für Journalisten in Syrien und in Teilen des Iraks werden alysen aus dem BMLVS führen. Das eröffnet die Mö Außen- und Sicherheitspolitik zu präsentieren. nes verstärkten Engagements in Afrika zu e matische Budgetlage des Bundesheer egionen des Westbalkans wird dies oncernin e, in
  • 395. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 393 SORGEN UND ERWARTUNGEN DER ÖSTERREICHISCHEN BEVÖLKERUNG IM LICHTE DER FLÜCHTLINGSTHEMATIK 2016 Alexander Reichmann Spätestens seit dem zweiten Halbjahr 2015 waren die Fluchtbewegungen aus dem Bürgerkriegsgebiet Syrien und anderer Krisenregionen das bestimmen- de (sicherheits)politische Thema – sowohl im Inland als auch auf europäischer Ebene. In Österreich hatte die Thematik einen bedeutsa- - reich und Wien, tangierte aber bereits auch die Wahl in der Steiermark und im Burgenland. Auf EU- Ebene führte dieses Thema, bedingt durch die Un- willigkeit der Mitgliedsstaaten sich auf eine gemein- same Vorgehensweise zur Bewältigung des Flüchtlingsandrang zu einigen, die Union in eine veri- table, wenn nicht existenzbedrohende Krise. Da anzunehmen ist, dass die „Flüchtlingskrise“ und de- ren Bewältigung auch im Jahr 2016 ein bestimmender Aspekt der politischen Diskussion sein wird, sollen in gebotener Kürze relevante Befunde aus der Sicht der SORA-Meinungsforschung dargestellt und in weiterer Folge auf mögliche Implikationen für die Sicherheitspo- litik eingegangen werden. Menschen auf der Flucht: Zuversicht, Sorge und Verärgerung innerhalb der Bevölkerung Themenrelevante Studienergebnisse von SORA besa- gen, dass sich rund die Hälfte der österreichischen Be- völkerung angesichts der Flüchtlingsbewegungen be-
  • 396. 394 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 sorgt zeigt, etwa jeder Dritte begegnet dem Thema mit Zuversicht, etwa zwei von zehn Österreicherinnen und Österreichern zeigen sich verärgert. Diese themenspezi- - neswegs als für sich stehend zu betrachten, vielmehr stehen diese mit den Konnotationen zu anderen gesell- schaftlichen Entwicklungen und der Selbstpositionie- - gerem Zusammenhang. Konkret: Wer vermehrt Sorge bzw. Verärgerung über die gesellschaftliche Entwick- lung (Wirtschaft, Arbeitsplätze, sozialer Zusammen- halt, Kriminalität etc.) zeigt, tut dies auch hinsichtlich der Flüchtlingsthematik. Und in weiterer Folge: Wer glaubt, dass er nicht den gerechten Anteil am gesell- schaftlichen Wohlstand erhält, der tendiert generell zu einer pessimistischen Zukunftsbild. Somit gehen Zu- kunftsoptimismus mit optimistischerer Einstellung, Zukunftspessimismus mit pessimistischerer Einstellung auch zur Flüchtlingsthematik einher. Schlechtes Zeugnis für die Politik, gute Bewertung der Arbeit von Bundesheer und Blaulichtorganisationen Die Arbeit des Bundesheeres und anderer im Rahmen der Koordination des Flüchtlingsandranges und der Erstbetreuung von Menschen auf der Flucht involvier- ten Blaulichtorganisationen – Polizei und Rotes Kreuz – wird innerhalb der österreichischen Bevölkerung überaus positiv bewertet. Die Bewertung der Politik steht dieser diametral entgegen: Die österreichischen Bürgerinnen und Bürger stehen der bislang geleisteten Arbeit von Bundesregierung und EU deutlich kritischer gegenüber. Hier scheint die österreichische Bevölke- rung Führungs- und Lösungskompetenz auf beiden Ebenen zu vermissen. Gemeinsame Linie der Bundesregierung notwendig Um ebendiese Führungs- und Lösungskompetenz ver- mitteln zu können, ist es unerlässlich, dass sich die ös- terreichische Bundesregierung in grundlegenden Punk- ten zu einer gemeinsamen Linie auf nationaler und europäischer Ebene durchringt, die als Leitfaden für ein gemeinsames Vorgehens in der Flüchtlingsthematik für die Bevölkerung erkennbar wird. Lösungsansätze auf europäischer Ebene gefragt Es mag zwar angesichts der unzähligen Appelle in der medialen Öffentlichkeit, Willensbekunden sowie ergeb- nisarmen Sitzungen und Konferenzen auf EU-instituti- oneller Ebene müßig erscheinen, nichtsdestotrotz sei angemerkt: Die Bewältigung der Flüchtlingskrise stellt die größte der diese im schlechtesten Fall scheitern, aus der sie - te Verteilungsschlüssel von Asylwerbern innerhalb der EU, verstärkte Mittel u. a. für die Verbesserung der teils desaströsen Lage der Menschen in den Flüchtlingsla- zur Bekämpfung der Ursachen von Flüchtlingsströmen aus den Bürgerkriegsgebieten schaffen jene Vorausset- zungen, die den Bevölkerungen der EU-Mitgliedsstaa- - lingskrise“ zu bewältigen ist.
  • 397. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 395 KERNPUNKTE • Hinsichtlich der Flüchtlingsthematik vermisst die österreichische Bevölkerung Führungs- und Lö- sungskompetenz seitens der Bundesregierung. • Die stärkere Sichtbarmachung von Führungs- und Lösungskompetenz ist eine Grundvoraussetzung für den Abbau von Ängsten in der Bevölkerung. • Gemeinsame Lösungsansätze auf europäischer Ebene zeigen den Bevölkerungen der EU-Staa- ten einen glaubhaften Weg zur Bewältigung der „Flüchtlingskrise“. • Anhand solcher Lösungsansätze könnte das Ver- trauen in die EU gestärkt werden. • Die Kommunikation ihres Nutzens und des Allein- stellungsmerkmals des Österreichischen Bundes- heeres sichert den internationalen Einsätzen den bestmöglichen Rückhalt in der Bevölkerung. Handlungsfähigkeit zeigen heißt Vertrau- en in die EU stärken Eine derartige Demonstration von Handlungsfähigkeit zept gegen die anhaltend hohe EU-Verdrossenheit in nicht, ist weiterhin mit schwindendem Vertrauen in das Projekt eines gemeinsamen Europas zu rechnen. Internationale Einsätze des Bundeshee- res: Die Bevölkerung rechtzeitig ins Boot holen Im Lichte der oben angesprochenen Konzepte werden sich für das österreichische Bundesheer wohl Fragen nach konkreten Beteiligungen im europäischen bzw. in- ternationalen Kontext stellen. Hierbei gilt es stets zu berücksichtigen, worauf bei der Kommunikation über derartige Einsätze geachtet werden sollte, um den best- möglichen Rückhalt innerhalb der Bevölkerung erzielen zu können. Dazu gehören u. a. die Entwicklung einer tragfähigen Rahmenerzählung, die den Nutzen des En- gagements für die österreichische Bevölkerung sowie die betroffenen Menschen im Krisengebiet klar dar- stellt, die Ausarbeitung glaubwürdiger und emotionaler Botschaften für jeden der Beweggründe sowie die Ver- deutlichung eines etwaigen Alleinstellungsmerkmales des Österreichischen Bundesheeres innerhalb des jewei- ligen Engagements – sprich: Was kann das Bundesheer in diesem beitragen, was andere nicht können, was macht das Bundesheer hier einzigartig? Im Rahmen dieser Kommunikation muss stets auch dem Faktor Angst Rechnung getragen werden – etwa der Angst in der Bevölkerung, dass Österreich durch ein weiter gehendes militärisches Engagement auf euro- päischer bzw. internationaler Ebene verstärkt in das Vi- sier der Terrormiliz „Islamischer Staat“ geraten könnte. KEY NOTES • With regard to the refugee issue, the Austrian po- ship competence on the side of the federal government. • petence is a prerequisite for a reduction of fears within the population. • Finding common solutions on the European level is a credible way of showing Europeans that the “refugee crisis” can be solved. • On the basis of such solutions trust in the EU could be strengthened. • Communicating the use and the unique characte- ristics of the Austrian Armed Forces will ensure the population’s maximum support for the inter- national operations. K • • fü Ge ben eine htling solche e EU ge ion ihr es Österre onalen Einsä ung zu rechnen. Eins völke hte d für d h ko rnat erü deutlichung eines et chen Bunde ch: Was e nicht tig? stets n – e durc f eu as V nnte po- fea ean ns th trust se and ustrian A e population’s natio htlingsthematik vermisst die erung Führungs- und Lö- der Bundesregierung. ung von Führungs- und Grundvoraussetzung er Bevölkerung. f europäischer er EU-Staa- tigung der as Ver- ein- s- der oben angesprochenen Konzepte werden österreichische Bundesheer wohl Fragen n Beteiligungen im europäischen bzw. in- ontext stellen. Hierbei gilt es stets zu orauf bei der Kommunikation über dem Faktor Angst Rechnung getragen werden der Angst in der Bevölkerung, dass Österrei ein weiter gehendes militärisches Engagem päischer bzw. internationaler Ebene ver sier der Terrormiliz „Islamischer Staa KEY NOTES • With regard to the refuge ship competence on government. • petence is a within the p • Finding c is a cre “refu • On •
  • 398. DAS ÖSTERREICHISCHE BUNDESHEER 2016 Abgeleitet aus den in der Österreichischen Sicher- grundlegende verteidigungspolitische Zielsetzungen: 1. Gewährleistung der staatlichen Souveränität und Integrität, 2. Beitragsleistung zum Schutz der verfas- sungsmäßigen Einrichtungen, der kritischen Infra- struktur und der Bevölkerung, 3. Leistung eines militä- rischen Solidarbeitrages zum sicherheitspolitischen Handeln der EU, 4. Förderung von Frieden, Humanität und internationaler Sicherheit und 5. Beitragsleistung zum gesamtstaatlichen Sicherheitsmanagement im Rahmen der Umfassenden Sicherheitsvorsorge. (Vgl. Teilstrategie Verteidigungspolitik S. 9f)
  • 399. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 397 STREITKRÄFTEENTWICKLUNG IN ÖSTERREICH 2016 Philipp Eder 2016 ist das zweite Jahr des Überganges von der Streitkräftestruktur des Österreichischen Bundes- heeres 2010 (ÖBH 2010) zum neuen Österreichi- schen Bundesheer (ÖBH 2018). Gleichzeitig wird die Grundlagenplanung zur weiteren Streitkräfteent- wicklung über das ÖBH 2018 hinaus (Arbeitsbegriff: ÖBH der Zukunft – ÖBHdZ), die bereits im Jahr 2015 eingeleitet wurde, 2016 fortgesetzt. Ausgangspunkt der weiteren Streitkräfteentwicklung „Militärstrategische Konzept 2015“ (MSK 2015) wurde von den verteidigungspolitischen Vorgaben (v.a. der Teilstrategie Verteidigungspolitik ) abgeleitet. Die ge- troffenen Entscheidungen zur Strukturanpassung des
  • 400. 398 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 ÖBH 2010 zum ÖBH 2018 wurden als Ausgangspunkt berücksichtigt. Sein Planungshorizont reicht mit einer mittelfristigen Perspektive bis zu zehn Jahre in die Zu- kunft. Im Zentrum des MSK 2015 steht eine konse- quente Ausrichtung des ÖBH auf die Abwehr nicht konventioneller bzw. hybrider Angriffe auf Österreich inklusive Maßnahmen zur Cyberverteidigung. Dies er- fordert unter anderem die Sicherstellung von strategi- scher Antizipation und Krisenfrüherkennung sowie der Beitragsleistung zur gesamtstaatlichen Lagebeurteilung und Risikoanalyse. Das ÖBH soll über alle benötigten Fähigkeiten verfügen, um als strategische Reserve der Republik fungieren zu können. Das Schwergewicht des fortgesetzten internationalen Engagements liegt auf Stabilisierungseinsätzen mittlerer Intensität auf Ebene einer infanteristischen Bataillonskampfgruppe, inklusi- ve Beiträge für höhere Führungsebenen und auch tech- nologisch hochwertiger Unterstützungselemente. Zu- sätzlich soll ein zeitlich begrenzter Beitrag zu robusten Auslandseinsätzen – vor allem mit Logistiktruppen oder Infanterie bzw. Spezialeinsatzkräften – möglich sein. Das MSK 2015 ist, speziell mit den Inhalten seines Abschnitts „Ausblick“, auch Ausgangspunkt der weite- ren Streitkräfteentwicklung zum ÖBHdZ. Dort wird erstmals auch ein neuer Streitkräfteentwicklungsprozess beschrieben und im Rahmen des Konzepts angeordnet. Der Streitkräfteentwicklungsprozess - rigen Prozessen im Bundesministerium für Landesver- teidigung und Sport (BMLVS) begonnen, diese zu ei- nem gesamtheitlichen Streitkräfteentwicklungsprozess zusammenzufassen und weiterzuentwickeln. Er wird 2016 erstmals zur Anwendung kommen. Der Prozess hat nicht zum Ziel, das ganze ÖBH periodisch umzu- strukturieren oder völlig neu aufzustellen. Vielmehr soll er ermöglich, (vorhandene) Fähigkeiten des ÖBH unter Berücksichtigung der zu erwartenden Bedrohungslage, des zu erwartenden Fähigkeitenbedarfs und der vorge- gebenen oder zur erwartenden Ressourcen fortlaufend weiter zu entwickeln bzw. anzupassen. Dementsprechend wird im Jahr 2016 der Teilprozess - lungsprozesses in Planungsdokumente für das ÖBHdZ zusammengefasst. Dabei wird, abgeleitet unter anderem aus der „Umfeldszenarienanalyse“ und dem „Streitkräf- - zesses, das „Bedrohungsbild ÖBH“ verfasst. Für die im MSK 2015 angeführten einsatzwahrscheinlichen Aufga- ben werden „Einsatzszenarien“ zum Zwecke der erfor- derlichen Fähigkeits- und Strukturentwicklung erstellt und beurteilt. Für jedes Einsatzszenario werden Pla- nungsannahmen im Bereich der Umfeldbedingungen sowie für die Bedrohungslage getroffen. Dann werden die zu erfüllenden militärischen Einsatzaufgaben sowie die erforderlichen Aufgabenträger mit den jeweils erfor- derlichen Fähigkeiten abgeleitet und beurteilt und in ei- nem detaillierten generischen „Einsatzkonzept“ darge- stellt. Dazu wird auch in einer Erstbeurteilung festgelegt, welche Einsatzaufgaben jedenfalls selbstän- dig und welche auch in Kooperation mit Partnern er- füllt werden können. Die gesamtheitliche Ableitung der erforderlichen Fähigkeiten wird dabei in „Einsatzkon- zepten“, wie „Militärische Landesverteidigung“, „Frie- denssicherung“, „Evakuierung“ oder „Humanitäre Hil- fe und Katastrophenhilfe im Rahmen des internationalen Krisen- und Katastrophenmanage- ments“ durchgeführt. Das so beurteilte Fähigkeiten- Soll bildet gemeinsam mit den Strukturierungsprinzipi- Durchhaltefähigkeit und den Bereitschaftsstufen die
  • 401. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 399 KERNPUNKTE • Die Einnahme der neuen Streitkräftestruktur (ÖBH 2018) wird 2016 planmäßig fortgesetzt. • 2016 ist das Jahr des Teilprozes- ses Grundlagenplanung des neuen Streitkräfteentwicklungsprozesses. • Im Zentrum dieses Prozesses steht eine konse- quente Ausrichtung des ÖBH auf die Abwehr nicht konventioneller bzw. hybrider Angriffe auf Öster- reich inklusive Maßnahmen zur Cyberverteidigung sowie fortgesetztes internationales Engagement auf hohem Niveau. • Eines der Ziele dieses Prozesses ist, der nächsten Bundesregierung Fachexpertise des Generalsta- bes zur weiteren Streitkräfteentwicklung anbieten zu können. in den Teilprozessen „Bereitstellung“ und „allgemeine Einsatzvorbereitung“ bzw. das Führen und Einsetzen der Streitkräfte selbst. Ausblick Dem BMLVS wurden Ende 2014 durch die Bundesre- gierung zusätzliche einmalige Budgetmittel in der Höhe von 616 Mio. EUR zur Deckung des dringend notwen- digen Investitionsbedarfs zugesagt. Davon sind 350 Rest der Summe als Finanzierungszusage ab 2020 fest- gelegt. Diese Mittel werden für notwendige Investitio- nen bei den Luftstreitkräften, zur Verbesserung der Mobilität und des Schutzes der Truppe, zur Umsetzung KEY NOTES • In 2016 the Austrian Armed Forces will proceed take up their new structure (ÖBH 2018) according to plan. • The component process basics planning of the new armed forces development process will be conduc- ted in 2016. • A consequent orientation of the Austrian Armed Forces on defence of non-conventional and hyb- rid attacks on Austria including measures in terms of cyber defence as well as continued international commitment at a high stage stands in the centre of this process. • This process intends to enable the general staff to provide an expert opinion for the next government concerning the further development of the Armed Forces. der Wehrdienstreform sowie zur Stärkung der Miliz eingesetzt. Aufgrund der bereits festgelegten Verwen- dung dieses Sonderinvestitionspaketes zur Umsetzung der Strukturanpassung ÖBH 2018 sind nennenswerte freie Investitionsspielräume für das ÖBHdZ frühestens ab dem Finanzjahr 2019 erwartbar. Da jedoch spätes- und mit einer neuen Bundesregierung auch eine Weiter- entwicklung (gegebenenfalls auch Änderung) der ver- teidigungspolitischen Vorgaben möglich wäre, ist der Zeitplan des Streitkräfteentwicklungsprozesses so auf- gestellt, dass seine Ergebnisse in den Regierungsver- handlungen bzw. im neuen Regierungsprogramm als K • 2 20 ses Strei Zen nte A tione sive M etztes Prozesses e des Generals nbieten h die Bundesre- Budgetmi Deckung edarfs mme a ese M den ität u n Bundesr lls auch Ä möglic sproze gierun ramm g e ne ond n Arm al an easu ontinu tage sta process inten provide Streitkräftestruktur (ÖBH fortgesetzt. es- en ine konse- wehr nicht Öster- digung ent Luftstreitkräften, zur Verbesserung der des Schutzes der Truppe, zur Umsetzung KEY NOTES • In 2016 the Austrian A take up their new str to plan. • The component armed forces ted in 2016 • A consequ Forces rid at of c c
  • 402. 400 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 AUSLANDSEINSÄTZE DES BUNDESHEERES 2016 Martin Jawurek In stringenter Fortführung der Umsetzung der Österreichischen Sicherheitsstrategie wird das Österreichi- sche Bundesheer auch 2016 für einen kleinen Staat einen beachtlichen Beitrag zum internationalen Kri- senmanagement leisten. Auch wenn 2015 die Zahl der dauerhaft im Ausland eingesetzten Soldatinnen und Soldaten mit etwa 1035 knapp unter der durch die Sicherheitsstrategie vorgegebenen Zahl von 1100 lag, Reserven bereitgehalten. Operationen und Missionen Bei einer reinen Betrachtung der Zahlen muss der alter- nierende Wechsel einer Infanteriekompanie mit Ungarn bei der EU-Mission EUFOR/ALTHEA in Bosnien und Herzegowina berücksichtigt werden, durch den sich eine Verringerung des Mengengerüstes ergibt. Auf die beson- dere Bedeutung der bereitgehaltenen Reserven wird - den Dynamik im Bereich von neuen Beteiligungsmög- lichkeiten bei Auslandseinsätzen (EU-„Hot Spots“/ FRONTEX, MINUSMA in Mali, EUNAVFOR/MED Operation SOPHIE im Mittelmeer) ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Jahr 2016 mit einem Einsatz von durchschnittlich 1100 Soldatinnen und Soldaten zu rechnen. Im derzeitigen Schwergewichtsraum Balkan werden die Kontingente bei der EU Mission EUFOR/ALTHEA und bei KFOR im Kosovo mit geringen Veränderungen fortgeführt. Es ist damit zu rechnen, dass Österreich auch 2016 die Kommandantenfunktion bei EUFOR/ALTHEA angeboten wird. Bei KFOR ist eine Reduktion von Kräften erst mit dem Jahreswechsel auf
  • 403. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 401 2017 wahrscheinlich. Das hat Auswirkungen auf die Be- teiligung des Österreichischen Bundesheeres mit Infan- - mente, bei denen Österreich auch jetzt bereits mit einer Kompanie vertreten ist, an Bedeutung gewinnen. Im Bereich der UNIFIL im Libanon wird das Kontin- - fes der Force innerhalb der Obergrenze des bestehenden Ministerratsbeschlusses angepasst. Durch den Abschluss eine verbesserte Unterkunftssituation abzeichnen. Im Zusammenhang mit der derzeitigen und sich auch weiter fortsetzenden Migrationsproblematik ist mit ei- nem vermehrten Engagement des Bundesheeres bei Einsätzen in Afrika zu rechnen. Nur durch Stabilisie- rung der Lage vor Ort können die Fluchtbewegungen Richtung Europa wesentlich reduziert und ausreichende humanitäre Hilfe angeboten werden. Das Österreichische Bundesheer wird sich, nach dem seit Oktober 2015 ein Mandat des UN-Sicherheitsrates vorliegt, voraussichtlich mit Stabspersonal an der EU- NAVFOR/MED Operation SOPHIE der EU im südli- chen zentralen Mittelmeer beteiligen. Die Beteiligung an der EU-Mission EUMAM in der Zentralafrikanischen Republik wird bis zum Mandatsende Mitte 2016 fortge- setzt. Sollte die Mission verlängert oder in ihrer Aufga- benstellung verändert werden, wird es eine Überprüfung der Beteiligung geben. Bei der EU-Trainingsmission in Mali (EUTM MALI) wird der Wechsel der Beteiligung von Sanitätsunterstüt- zung zu Ausbildung mit Februar 2016 wirksam. In wei- terer Folge sollen auch hier bestehende Fehlstellen bis zur Obergrenze der politischen Vorgabe von 20 Solda- tinnen und Soldaten abgedeckt werden. Eine besondere Herausforderung ist die Beteiligung an der UN-Mission in Mali (MINUSMA). Hier wird vor- erst ein kombiniertes Kontingent aus Beobachtern und werden sich mit Masse bei der durch Niederlande ge- - den. Durch dieses von europäischen Staaten gestellten Hochwertelementes werden der Mission vor allem Auf- klärungsergebnisse zur Verfügung gestellt. In weiterer Folge ist ein Einsatz mit Truppe, jedoch nicht vor 2017, in Beurteilung. Im Rahmen der internationalen hohen Sichtbarkeit und zur Abdeckung mit Spezialisten werden verschiedenste Kleinmissionen auch 2016 weiter fortgeführt. Neben traditionellen Missionen wie UNTSO im Nahen Osten, UNOWA in Westafrika, MINURSO in der Westsahara, EUSEC in der Demokratischen Republik Kongo oder OSZE in der Ukraine zu verweisen, die hohe Ansprü- che an das eingesetzte Personal stellt. Spezialisten, Battlegroups und Reservekräfte Im Rahmen von gesamtstaatlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Europäischen „Agenda on Migrati- on“ hat das Österreichische Bundesheer eine breite Pa- lette von Spezialisten zur Unterstützung der Tätigkeiten im Rahmen des „Hot Spot“-Konzeptes vorerst für die Die laufende Umwandlung der bisher regional orientier- ten nationalen Verstärkungskräfte (mit Fokus Balkan) in eine Militärstrategische Reserve Österreichs soll die rasche Reaktionsfähigkeit mit mindestens einem gehär- teten Kompanie-Äquivalent und Evakuierungskräfte für einen größeren Reaktionsradius sicherstellen.
  • 404. 402 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 KERNPUNKTE • Österreichs Beteiligung am internationalen Krisen- management wird weiterhin auf hohem Niveau in einem ausgewogenen Verhältnis der Beiträge zu • Neue Missionen in und um Afrika gewinnen an Bedeutung. • Die Bedeutung der Miliz für die Auslandseinsätze wird auf Grund des parallelen Bedarfes von Kräf- ten des Bundesheeres im Inland steigen. • Neben den konkreten Einsätzen im In- und Aus- land haben die Einsatzvorbereitung für die und die Bereitschaftsphase in der Battlegroup 2016-2 für die weitere Fähigkeitsentwicklung des ÖBH hohe Priorität. Schwergewichtsaufgabe des Bundesheeres statt. Unmit- telbar darauf folgt im zweiten Halbjahr 2016 die Bereit- stellungsphase für internationale Einsätze als Krisen- reaktionskraft der EU. Weiters werden neben der Fortsetzung der Beteiligung bei den Reservekräften für den Balkan (Operational Re- serve Force – ORF) die österreichischen Battlegroup- Rückholung und Katastrophenhilfe Infolge der Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ kommt den Vorbereitungen für eine mögliche Rückho- lung von österreichischen Staatsbürgern vor allem aus Urlaubsdestinationen eine besondere Bedeutung zu. Die aus den konkreten Einsätzen 2011 gewonnenen Erfah- rungen werden laufend umgesetzt und in ressortüber- greifenden Übungen verfeinert. 2016 sind zu diesem Zweck unter der Leitung des Bundesministeriums für Europa, Integration und Äußeres gemeinsam mit dem Bundesministerium für Inneres Erkundungen vor Ort in zu mindestens zwei Staaten/Regionen geplant. Die Anzahl der Naturkatastrophen mit massiven Aus- wirkungen auf die Bevölkerung ist in den letzten Jahren vor allem UN-Organisationen bereiten sich hierfür seit Ort wirksam werden. Das Bundesheer hat mit der Kata- strophenhilfeeinheit „Austrian Forces Disaster Relief Unit“ ein weltweit anerkanntes Element zur Verfügung. 2016 wird sich die für die Aufstellung verantwortliche ABC-Abwehrschule gezielt auf die erforderliche Rezer- men der österreichischen Präsidentschaft für die Central European Defence Cooperation im ersten Halbjahr ist es vorgesehen, die Erfahrungen, die Öster- reich in diesem Bereich gesammelt hat, an die Nachbar- länder gezielt weiterzugeben. KEY NOTES • Austria’s participation in international crisis ma- nagement will continue at a high level and balan- ce the contributions to UN, EU, NATO, and OSCE operations. • New operations in and in the vicinity of Africa will increase in importance. • The importance of the active militia for internatio- nal operations will increase, due to the concurrent domestic need for AAF personnel. • Apart from concrete operations both domestic and international, preparations for the Battlegroup 2016-2 and the further development of AAF capa- bilities have high priority. • Ne Bede e Bed auf G Bund konkr Einsatz n der Bat cklung des ÖBH g kan (Operational Re- erreichisch ung e de mt d ng vo rlau us run gre rden. Das ustrian F s Elem ng ve orderl ie en Öst hba - an- CE ca w r inte the c el. ons b paration e further ties have high am internationalen Krisen- n auf hohem Niveau in tnis der Beiträge zu gewinnen an ndseinsätze von Kräf- Aus- d die ür er Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ Vorbereitungen für eine mögliche Rückho- rreichischen Staatsbürgern vor allem aus ionen eine besondere Bedeutung zu. Die Einsätzen 2011 gewonnenen Erfah- nd umgesetzt und in ressortüber- erfeinert. 2016 sind zu diesem men der österreichischen Präsidentschaft fü Central European Defence Cooperation Halbjahr ist es vorgesehen, die Erfahru reich in diesem Bereich gesammelt h länder gezielt weiterzugeben. KEY NOTES • Austria’s participatio nagement will cont ce the contributi operations. • New operati increase i • The imp nal op dom • A
  • 405. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 403 INLANDSEINSÄTZE DES BUNDESHEERES 2016 Franz Reißner Militärische Landesverteidigung Einsätze zur militärischen Landesverteidigung im Sinne - sche Kräfte eines anderen Staates in Österreich wirk- sam werden, sind 2016 wenig wahrscheinlich. Die Festlegung des Rechtsstatus für Einsätze gegen an- dere von außen kommende Bedrohungen, denen nur mit militärischen Mitteln begegnet werden kann, ob- liegt der politischen Ebene. Die militärische Luftraumüberwachung nach dem Mili- tärbefugnisgesetz wird permanent wahrgenommen. 2015 wurden bis Redaktionsschluss 34 Priorität-A-Ein- sätze (Einsätze der höchsten Dringlichkeitsstufe) durchgeführt. Die originäre verfassungsgesetzliche Aufgabe des Bundesheeres ist die militärische Landesverteidi- gung. Darüber hinaus kann es zum Schutz der ver- fassungsmäßigen Einrichtungen, deren Handlungs- fähigkeit und der demokratischen Freiheiten der Einwohner sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren herangezogen werden. Dies und die Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges kommen nur in Form von Assistenzeinsätzen auf An- forderung von Behörden und Organen des Bundes, der Länder und Gemeinden zur Wirkung, sofern die- se ihre Aufgaben nur unter Mitwirkung des Bundes- heeres erfüllen können.
  • 406. 404 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Sicherheitspolizeilicher Assistenzeinsatz Der Strom asylsuchender Menschen hat 2015 einen si- cherheitspolizeilichen Assistenzeinsatz des Bundeshee- res für das Bundesministerium für Inneres erfordert. Parallel zu diesem Einsatz unterstützt das Bundesheer die Versorgung und den Transport der Asylsuchenden. 2016 werden diese Leistungen des Bundesheeres die Einsätze im Inland mit hoher Wahrscheinlichkeit be- stimmen. Die quantitative und qualitative Bereitstellung Ressourcen im neuen Millennium, sehr komplexe wehr- und dienstrechtliche Voraussetzungen für das Personal im Verein mit den gleichzeitig zu bewältigenden Einsät- zen des Bundesheeres zur Friedenssicherung im Aus- land resultieren in einem knappen Handlungsspielraum. Die ungewohnte Situation, Ordnungsaufgaben bei Auf- nahme und Durchreise von Asylsuchenden gemäß der Einsatzweisung der jeweiligen Landespolizeidirektion wahrzunehmen, erfordern von den Soldatinnen und Soldaten, sich in ihren Denk- und Handlungsweisen kongruent zu jenen der Kolleginnen und Kollegen der Polizei zu verhalten. Dies unter Abstimmung mit den zivilen unterstützenden Kräften und unter Bedachtnah- me auf das gesellschaftliche Umfeld. Diese Fähigkeit zur zivil-militärischen Disziplinenkoordinierung ist ein Charakteristikum von Streitkräften und rückt so in den Vordergrund. Die oft höchst fordernden Situationen im Umgang mit den Asylsuchenden in Relation zum eige- nen Belief-System machen die Anleitung zu ethisch ein- wandfreiem Verhalten durch truppenpsychologische Betreuung und Leadership der Kommandantinnen und Kommandanten zu einem kritischen Erfolgsfaktor. Aus internationalen Einsätzen bringen Soldatinnen und Soldaten Einsatzerfahrungen sowie ein hohes Maß an Awareness für den erfolgreichen und korrekten Um- gang mit krisenbelasteten anderen Kulturen mit. Das Bundesheer unterscheidet sich darin wesentlich von an- deren staatlichen Organisationen im Sinne eines Allein- stellungsmerkmales. Daraus werden wertvolle Synergi- en in diesem herausfordernden Einsatz gewonnen. Katastropheneinsatz Das Bundesheer ist bei der Bewältigung von Katastro- phen infolge von Elementarereignissen und Unglücks- fällen außergewöhnlichen Umfanges nicht „First res- ponder“. Es kommt auf Anforderung zum Einsatz, wenn Kräfte in großer Zahl zur Bewältigung einer Spit- zenbelastung oder zur Sicherstellung einer Dauerleis- tung (Durchhaltefähigkeit) erforderlich sind. Meist tritt dies nach Abfall der quantitativen Leistungsfähigkeit der zivilen Einsatzorganisationen infolge der erforderli- chen Rückkehr der ehrenamtlich Tätigen in ihre Berufe ein. Dabei kommt es vor allem auf strukturierte Kräfte an, auf die militärische Führungsleistung zur Aufbie- tung und Disposition von Kräften, und weniger auf be- stimmte fachliche Qualitäten der „Helping hands“. In qualitativer Hinsicht können Fähigkeiten des Bun- desheeres bereits Teil der „First responder“ sein, die mit den zivilen Kräften zum Einsatz kommen. Die Effekto- ren, also z. B. mittlere Transporthubschrauber, schwere militärische Brückensysteme, gewisse ABC-Abwehr- dienste und logistische Fähigkeiten – im Verbund mit den „Force Enablern“ wie Luftaufklärung, Fernmelde- diensten und der militärischen Führungsstruktur – so- wie die Fähigkeit, diese militärischen Elemente mit den zivilen Einsatzkräften zum Zusammenwirken zu brin- gen, sind nur im Bundesheer vorhanden. Der Doppel- nutzen der Streitkräfte, das „Dual use“-Prinzip, ist ein Merkmal österreichischer Sicherheitspolitik. Neben der von Doppelstrukturen fördert dieser Ansatz insbeson- dere die Integration des Militärs in die Zivilgesellschaft. Das kommt dem Bundesheer auch in internationalen
  • 407. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 405 KERNPUNKTE • Einsätze zur militärischen Landesverteidigung im 2016 wenig wahrscheinlich. • Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird auch 2016 der Strom asylsuchender Menschen einen sicherheits- polizeilichen Assistenzeinsatz des Bundesheeres erfordern. • Durch die Erfahrungen aus Internationalen Einsät- zen bringen Soldatinnen und Soldaten des Österrei- chischen Bundesheeres ein hohes Maß an Aware- ness für den erfolgreichen und korrekten Umgang mit krisenbelasteten anderen Kulturen mit. • Der Doppelnutzen der Streitkräfte ist ein Merk- mal österreichischer Sicherheitspolitik. Neben der baues von Doppelstrukturen fördert dieser Ansatz insbesondere die Integration des Militärs in die Zivilgesellschaft. • Wesentlicher Teil der Leistungen des Bundeshee- res wird 2016 weiterhin in einer entsprechen- den Vorhalteleistung zur Sicherung der strategi- schen Handlungsreserve der Republik Österreich bestehen. Friedenseinsätzen zugute, da sich österreichische Solda- tinnen und Soldaten so überdurchschnittlich gut auf die Erfordernisse der betroffenen Zivilgesellschaft im Sin- ne des Comprehensive Approach einstellen können. 2015 wurden bis Redaktionsschluss ca. 4800 Personen- tage mit 50.000 Arbeitsstunden für Katastrophenhilfe geleistet. In Folge des Klimawandels und verschiedener vom genden Versiegelung von Naturböden durch Bauten sellschaft verstärkt negativ auswirken. Katastrophenein- sätze des Bundesheeres sind, wenngleich sie quantitativ und qualitativ nicht prognostizierbar sind, mit einer ho- hen Eintrittswahrscheinlichkeit zu erwarten. Ein wesentlicher Teil der Leistungen des Bundesheeres wird 2016 weiterhin in einer entsprechenden Vorhalte- leistung liegen, um dem Auftrag der Sicherheitsstrategie 2013, die strategische Handlungsreserve der Republik Österreich zu bilden, gerecht werden zu können. KEY NOTES • Operations for the purpose of military national de- 2016. • There is a high probability that also in 2016 the operation of the Austrian Armed Forces. • The experience gained in international operations provides soldiers of the Austrian Armed Forces with the high level of awareness required to deal with crisis-hit cultures appropriately and successfully. • Austrian security policy. In addition to the cost-ef- this approach especially encourages the integrati- on of the armed forces in civil society. • An important part of the services provided by the Austrian Armed Forces in 2016 will continue to be the safeguarding of the strategic reserve of the Re- public of Austria. KE • • p erf Durc n br chen ür de belas utzen d her Sich ördert dieser A in die esellschaft im Sin- oach einste daktio Arbe e des den sätze des Bundesheer ht prognost hkeit z des B nden V heitss Repub e- ions ces al w cess on to y encou forces in mportant part Austri ischen Landesverteidigung im lich. keit wird auch 2016 der chen einen sicherheits- des Bundesheeres tionalen Einsät- en des Österrei- ß an Aware- Umgang k- der s Klimawandels und verschiedener vom elung von Naturböden durch Bauten 2013, die strategische Handlungsreserve der R Österreich zu bilden, gerecht werden zu kön KEY NOTES • Operations for the purpose o 2016. • There is a high probab operation of the A • The experience provides sold the high lev crisis-hit • Aust
  • 408. 406 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Die aktuellen Entwicklungen und das sicherheits- und verteidigungspolitische Trendszenario der Jahresvorschau 2016 zeigen die großen Herausforderungen, vor denen die Republik Österreich und das Österreichische Bundesheer stehen. Der Konflikt in der Ukraine erfordert zur weiteren Deeskalation eine ambitionierte Leistung im Rahmen interna- tionaler Organisationen. In der europäischen Nachbarschaft gibt es hybride Konflikte, die sich über Migrations- ströme und Terrorismus auf die innere Sicherheit Österreichs und Europas auswirken. Die intensivierten Konflikte im Nahen Osten und in Nord- und Subsahel-Afrika erfordern Maßnahmen für eine bessere Stabilisierung, auch um die Gefahr des völligen Versagens staatlicher Strukturen zu verhindern. Diese Entwicklungen zeigen, dass die Republik Österreich für die nationale und europäische Sicherheit ausreichende Kräfte und Mittel im Sicherheitssek- tor bereithalten muss. Die in der Bundesverfassung vorgegebene militärische Landesverteidigung ist für das Österreichische Bundesheer die Basis, von der aus alle anderen Fähigkeiten der Streitkräfte aufwachsen. Unser Heer ist darüber hinaus für die demokratische Gesellschaft jenes Rückgrat, das die zentralen Funktionen der Republik Österreich schützen soll, wenn andere Organisationen an ihre Grenzen kommen. Auf Grund der anhaltenden Migrationsströme und den Anforderungen des Innenministeriums zur Unterstützung und sicherheitspolizeilichen Assistenz wird das Österreichische Bundesheer einen wesentlichen Beitrag zur Erhal- tung der Sicherheit leisten. Medizinische Versorgung, Transport und Logistikaufgaben stehen im Vordergrund, wofür eine hohe personelle und materielle Durchhaltefähigkeit über einen längeren Zeitraum notwendig ist. Auch zur Prävention und Abwehr terroristischer Bedrohungen wie jener in Paris, muss das Bundesheer in der Lage sein, einen substanziellen Beitrag zu leisten: moderne militärische Systeme im Bereich der Aufklärung und Beob- achtung, der Kampfmittelabwehr, der ABC-Abwehr und der Logistik, aber auch best ausgerüstete und ausgebildete Soldaten – binnen kurzer Zeit einsetzbar – werden dazu erforderlich sein. Deswegen sind personelle und materielle Vorkehrungen zur Terrorabwehr und zum Schutz der Bevölkerung wesent- liche Vorhaben für das kommende Jahr. Mehr Sicherheit durch ein leistungsfähiges Bundesheer
  • 409. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 407 Zentrale Elemente der europäischen Sicherheit sind das Erfordernis zur Konfliktprävention und zur Stabilisierung im unmittelbaren Umfeld der Europäischen Union, um negative Auswirkungen auf Europa und Österreich mög- lichst zu verhindern. Es ist essenziell, den Krisen dort zu begegnen, wo sie entstehen. Deshalb wird sich das Öster- reichische Bundesheer auch weiterhin anlassbezogen mit 1100 Soldatinnen und Soldaten am Internationalen Kri- senmanagement beteiligen. Ab 2016 wird das Bundesheer an der EUNAVFOR MED Operation SOPHIA im Mittelmeer und an der UN- Operation MINUSMA in Mali teilnehmen. Die Operation im Mittelmeer ist ein entschiedener Schritt der Europä- ischen Union im Kampf gegen organisierte Schlepper, die Menschen illegal nach Europa bringen wollen. Die Ope- ration in Afrika zeigt die neue robuste Art der Peacekeeping-Einsätze, die für stabile Verhältnisse in Krisenregionen notwendig sind. Derartige militärische Beiträge Österreichs zum europäischen Krisenmanagement sind nur mit spezialisierten, durchhaltefähigen, robusten und zusammenarbeitsfähigen Kräften mit zeitgemäßem Truppenschutz und modernen Einsatzmitteln möglich. Um den hohen Anforderungen im In- und Ausland gerecht zu werden, müssen die Streitkräfte ausreichende Res- sourcen zum Einsatz moderner zusammenarbeitsfähiger Systeme haben. Gerade jetzt brauchen wir dazu eine ver- antwortungsvolle Politik, die eine Ausstattung des Bundesheeres mit dem dringend notwendigen Budget, Personal und Gerät sicherstellt. Substanzielle Einsparungen bei den Streitkräften als Rückgrat der Umfassenden Sicherheitsvorsorge sind dann ver- hängnisvoll, wenn das Volk und die politische Führung nach Sicherheit verlangen, diese aber nicht in ausreichen- dem Maß bekommen. Die höhere Konfliktintensität und die sinkende Vorwarnzeit erfordern deshalb bereits jetzt ein deutlich höheres Budget für das Bundesheer. Denn bei all diesen Anstrengungen geht es um die Sicherheit Österreichs: Es geht um das Leben unserer Mitmenschen in Freiheit und Frieden. GENERAL MAG. OTHMAR COMMENDA Chef des Generalstabes des Österreichischen Bundesheeres
  • 410. 408 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Amr Adly, PhD, geboren 1982, ist externer Experte am Carnegie Middle East Center in Kairo. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich der Politischen Ökonomie, der Entwicklung und der ökonomischen Soziologie mit Fokus auf Ägypten. Er unterrichtete Politische Ökonomie an der Amerikanischen Universität in Kairo sowie an der Stanford Universität, wo er auch am Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtstaatlichkeit (CDDRL) als Projektleiter tätig war. Prof. Sascha Dov Bachmann ist Associate Professor für Internationales Recht an der Universität Bournemouth (U.K.), Assessor Jur, LL.M (Stellenbosch) und LL.D (Johannesburg). Als Oberstleutnant d.R. der Bundeswehr war er u.a. in verschiedenen Verwendungen in Peacekeeping-Missionen (NATO/KFOR, 2002 bis 2006) tätig. Dr. Rastislav Báchora, geboren 1978, ist seit 2015 im Büro für Sicherheitspolitik des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) tätig. Er studierte Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Belgrad und ist Autor zahlreicher Fachbeiträge. Mag. Christoph H. Benedikter, geboren 1966, ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann- Prof. Dr. Sven Biscop, geboren 1976, ist Director of the Europe in the World Programme am Egmont – Royal Europe in Brügge. Als Senior Research Associate hält er regelmäßig Vorlesungen an der People’s University in Peking. 2015 war er Honorary Fellow am Europäischen Sicherheits- und Verteidigungkolleg in Brüssel. Diplom-Pädagoge Josef D. Blotz Planning im Internationalen Militärstab des NATO-Hauptquartiers in Brüssel. Zahlreiche Truppen-, Ministeriums- und NATO-Verwendungen im In- und Ausland. Auslandseinsätze u. a. als Commander Regional Command North in Afghanistan (2007) und als International Security Assistance Force (ISAF) Spokesperson in Kabul (2010/11). Dipl.-Ing. Walter Boltz Control Austria und seit 2010 Vice Chair of ACER‘s Regulatory Board.
  • 411. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 409 Dr. Raphael Bossong, geboren 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa Universität Viadrina und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Er promovierte an der London School of Economics und wirkte in den vergangen Jahren an mehreren internationalen Sicherheitsforschungsprojekten mit. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die innere und äußere Sicherheitspolitik der EU, Terrorismusbekämpfung sowie Fragen des zivilen Krisen- und Katastrophenmanagements. Prof. Dr. Michael Brzoska, geboren 1953, ist seit 2006 Wissenschaftlicher Direktor des Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg (IFSH). 1994 bis 2006 war er Forschungsleiter und stellvertretender Direktor am Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC). Victoria Bucataru, geboren 1983, ist seit 2009 Programme Director bei der Foreign Policy Association in Moldawien. Zwischen 2005 bis 2010 hat sie als Lektorin am International Relations Department der Moldova State University gearbeitet und war für die Koordinierung der Programme am Information and Documentation Centre der NATO sowie am European Institute for Political Studies zuständig. Mathew J. Burrows, PhD, geboren 1953, ist Direktor der Atlantic Council for Strategic Foresight Initiative. Zuvor war er Berater am National Intelligence Council und Direktor des Analyses und Production Staff. Er studierte an der Philipp Charwath, geboren 1974, ist Erstzugeteilter an der Ständigen Vertretung Österreichs bei den Vereinten Nationen. , MA, geboren 1964, war Verteidigungsminister und Mitglied der Partei der Demokratischen Aktion Sarajevo gemacht. Dr. Anne L. Clunan ist Visiting Scholar am Center for International Security and Cooperation der Stanford University und Associate Professor der U. S. Naval Postgraduate School. Othmar Commenda Davor war er als Leiter des Managements ÖBH 2010 tätig.
  • 412. 410 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Tamás Csiki, PhD, geboren 1984, ist Research Fellow mit dem Spezialgebiet Euro-Atlantic Defense am Zentrum für Strategic and Defense Studies in Budapest. Er war auch im Bereich Independent Analysis on International Security für das ungarische Verteidigungsministerium tätig. Zudem ist er Lektor an der Fakultät für Internationale und Europäische Studien an der National University of Public Service in Budapest. Mag. Alexander Dubowy, geboren 1982, ist seit September 2014 wissenschaftlicher Projektmitarbeiter (Post–Doc) in der Abteilung Polemologie/Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien. Er ist zudem Koordinator der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS) und Mitglied der Forschungsplattform für Osteuropa an der Universität Wien. Mag. Dr. , geboren 1976, ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip), Politologe an der Universität Wien, er unterrichtet bei den Masterstudienlehrgängen Balkan Studies und Autor zahlreicher Publikationen. Mag. Maximilian Edelbacher, geboren 1944, ist seit 2014 Stellvertretender Leiter des Wien-Büros des Academic Council on the United Nations System (ACUNS). Seit 2008 ist er Lektor an der Universität Wien am Institut für Soziologie sowie Sicherheitsexperte und Berater. Hochrangige Polizeilaufbahn von 1972 bis 2006. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt: Edelbacher M/Kratcoksi P/Dobovsek B, Corruption, Fraud, Organized Crime & Shadow Brigadier Philipp Eder, geboren 1968, ist seit April 2014 Leiter der Abteilung Militärstrategie im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport (BMLVS). Davor war er Leiter des Instituts für Höhere Militärische Führung der Landesverteidigungsakademie Wien und Projektleiter des Strategischen Führungslehrgangs der Bundesregierung. Von 2008 bis 20013 war er Stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Transformation im BMLVS. Dr. Walter Feichtinger, geboren 1956, ist seit 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und verteidigungspolitischer Berater im Bundeskanzleramt. Er ist bekannt durch zahlreiche Medienauftritte als Experte für Fragen der Sicherheits-, Verteidigungs- und Militärpolitik. Dr. Karin Fichtinger-Grohe, geboren 1967, ist Politologin, seit 1993 im Außenministerium tätig und leitet derzeit das Referat für Sicherheitspolitik. Verwendungen an den Botschaften Belgrad, Den Haag, Bern und Dublin sowie Leitung des Referats für bilaterale Wirtschaftsbeziehungen mit dem außereuropäischen Raum.
  • 413. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 411 Dr. Alexandra Föderl-Schmid, geboren 1971, ist seit 2007 Chefredakteurin und seit 2012 Co-Herausgeberin der Tageszeitung „Der Standard“. Seit 2013 ist sie auch Chefredakteurin und Co-Herausgeberin der Onlinezeitung „derStandard.at“. Sie war u. a. Korrespondentin in Berlin und Brüssel und hatte die Herzl-Dozentur für Journalismus im Sommersemester 2013. Libor Frank, PhD, geboren 1975, ist Leiter der Abteilung für Security Studies and Analyses am Zentrum für Security and Military Strategic Studies an der Universität für Verteidigung in Brünn. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bedrohungsanalyse und Entwicklung des Sicherheitsumfeldes der Tschechischen Republik. Er promovierte an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk Universität in Brünn. Brigadier Mag. Dr. Johann Frank, MAS, geboren 1969, ist Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik und Sicherheitspolitischer Direktor im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport in Wien. Davor u. a. Verwendung im Kabinett des Bundesministers für Landesverteidigung. Seit 2014 beratendes Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat der Republik Österreich. Mitglied der Wissenschaftskommission und Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen zur europäischen und österreichischen Sicherheitspolitik. Prof. Dr. Sven Bernhard Gareis Center und lehrt Internationale Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören die Politik Chinas sowie die internationalen Beziehungen in Ostasien. Er ist Absolvent des internationalen Kurses an der chinesischen Nationalen Verteidigungsuniversität und war neben zahlreichen Aufenthalten in der Region zu insgesamt sieben Einsätzen als Verteidigungsattaché der Reserve an die deutschen Botschaften in Peking bzw. Kuala Lumpur abgeordnet. Mag. Wolfgang Gattringer Wien. Er war von 2003 bis 2007 Kabinettchef-Stellvertreter im Bundesministerium für Inneres und dabei unter anderem für Technik und IT zuständig. Nach einer Tätigkeit als Service Director bei Alcatel-Lucent in Ungarn und komplexe Strategie- und Stakeholderprojekte unter anderem im Cybersecurity-Bereich unterstützen zu können. Dr. Dalia Ghanem-Yazbeck, geboren 1976, ist Politikwissenschafterin und derzeit Research-Analystin am und Extremismus in der arabischen Welt mit Schwerpunk Algerien. Insbesondere beschäftigt sie sich auch mit der
  • 414. 412 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Dr. Bastian Giegerich, geboren 1976, ist Director for Defence and Military Analysis am International Institute for Strategic Studies in London, an dem er bereits von 2005 bis 2010 zu Fragen der europäischen Sicherheitspolitik geforscht hat. Von 2010 bis Anfang 2015 hat er in verschiedenen Funktionen für das Bundesministerium der Verteidigung in Berlin gearbeitet. Er studierte Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen an den Universitäten Potsdam und Maryland und promovierte 2005 an der London School of Economics (LSE) promoviert. Richard Gowan, geboren 1978, ist Wissenschafter am European Council on Foreign Relations (ECFR) und on International Cooperation, wo er als Non-Resident Fellow verblieb. Er unterrichtet ebenfalls an der Columbia University‘s School of Iternational and Public Affairs. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne („Diplomatic Fallout“) für die Zeitschrift „World Politics Review“. Er arbeitete als Konsulent für das UN-Sekretariat und für eine Vielzahl von Außenministerien. Mag. Peter Gridling, geboren 1957, ist seit 2003 Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Zuvor war er Leiter der Terrorismusabwehr bei Europol in Den Haag und bei der Vertretung Europols in Brüssel sowie Leiter bei zahlreichen internationalen Konferenzen. Dipl.-Ing. Julia Grill, geboren 1981, ist seit 2013 an der Montanuniversität (MU) Leoben. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dissertantin am Lehrstuhl für Thermoprozesstechnik mit dem Forschungsschwerpunkt politische Strategien zur Erreichung der österreichischen Klima- und Energieziele. Prof. Dr. Ruslan Grinberg ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie für Wissenschaften (RAN). Bis 2015 war er Direktor des Instituts. Zudem ist er Professor am Lehrstuhl für und korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie für Wissenschaften. José Ángel Gurría Treviño Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Von 1998 bis 2000 war er Finanzminister, von 1994 bis 1998 Außenminister Mexikos. Er nahm an den Verhandlungen zum OECD-Beitritt Mexikos 1994 teil und leitete als zuständiger Minister im Jahr 1999 den Ministerrat der OECD. 2010 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Haifa.
  • 415. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 413 Brigadier Mag. Gustav E. Gustenau, geboren 1959, ist seit 2008 Verbindungsperson des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport zum Sekretariat des Nationalen Sicherheitsrates. Er war von 2000 bis 2008 Stellvertretender Leiter der Direktion für Sicherheitspolitik und sicherheitspolitischer Berater des Bundesministers für Landesverteidigung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher wissenschaftlicher Schriften. Mag. Dr. Gerald Hainzl, geboren 1970, ist seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedenssicherung Lektor an mehreren Universitäten und tertiären Bildungseinrichtungen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Daniel S. Hamilton, PhD, geboren 1955, ist Direktor am Center for Transatlantic Relations der Johns Hopkins University School of Advanced International Studies (SAIS). Als ehemaliger Diplomat liegt Prof. Hamiltons wissenschaftlicher Fokus auf der Europäischen Union und Südosteuropa. Dr. Gudrun Harrer, geboren 1959, ist leitende Redakteurin der Tageszeitung Der Standard. Sie hat des Nahen Ostens an der Universität Wien und an der Diplomatischen Akademie Wien. 2006 war sie österreichische Sondergesandte im Irak. Jüngste Bucherscheinungen: Dismantling the Iraqi Nuclear Programme (Routledge) und Nahöstlicher Irrgarten – Analysen abseits des Mainstream (Kremay&Scheriau). Dr. Hiski Haukkala ist Associate Professor of International Relations at the School of Management an der Studies in Paris, am IISS in London und dem Department of Politics der University of Stirling in Schottland. Er ist Autor zahlreicher Beiträge zum Thema EU-Außenpolitik. Mag. Marie-Christine Heinze ist Vorsitzende des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO). Sie forscht seit 2008 im Jemen und promovierte 2015 an der Universität Bielefeld. Neben ihrer Forschung, die unter anderem auf Fragen zum Sicherheitssektor fokussiert, berät sie Institutionen aus Politik und Entwicklungszusammenarbeit zum Jemen.
  • 416. 414 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Brigadier Mag. Bruno Hofbauer für Landesverteidigung und Sport. In dieser Zeit war er zwölf Monate Kommandant der 3. Panzergrenadierbrigade Österreichischen Kontingents in Bosnien und Herzegowina. Botschafter Dr. Peter Jankowitsch, geboren 1933, ist heute im Direktorium des Österreich-Französischen österreichischen Auswärtigen Dienst als Missionschef bei verschiedenen multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen, der OECD oder der Europäischen Weltraumagentur an und war auch Mitglied der Bundesregierung sowie des Nationalrates. Brigadier Martin Jawurek, geboren 1966, ist Abteilungsleiter Einsatzplanung des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport, Leiter der Führungsabteilung und Chef des Stabes an der , MA, ist Research Fellow am International Centre for Defence and Security (ICDS) in Tallinn, Estland. Zuvor arbeitete er am Baltic Defence College (BALTDEFCOL) als stellvertretender Direktor. Er hat einen BA der Politikwissenschaft von der Universität Vilnius, einen MA der „War Studies“ vom King’s College in London und einen MBA der Universätät Liverpool. Dr. der Studiengruppe Regional Stability in South East Europe des PfP (Partnership for Peace) Consortium of Defence und Friedensprozess in Südosteuropa. Dr. Karl-Heinz Kamp, geboren 1957, ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Giorgi Kanashvili, MA, ist seit 2011 Executive Director am Center for Cultural Relations „Caucasian House“. 2012 schloss er sein Studium an der Ilia State Univeristy ab und begann dort 2013 sein Doktorstudium. Er nahm am
  • 417. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 415 Thiemo Kapffer vor allem die Lage in den Ländern Nordafrikas sowie in ausgewählten Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und des Subsahara-Afrikas analysiert. Dr. Patrick Keller, geboren 1978, ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn und lehrt Internationale Sicherheitspolitik an der Zeppelin Universität Friedrichshafen. Dr. Ronja Kempin, geboren 1974, ist Senior Fellow der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft Botschafter Jan Kickert, geboren 1964, ist Ständiger Vertreter Österreichs bei den Vereinten Nationen. Dr. Christian Klopf Forschung im Sozialministerium. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u. a. die sozialen Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise, Armut und soziale Ausgrenzung sowie Einkommens- und Vermögensverteilung. Er ist zudem österreichischer Delegierter in der Indikatoren-Untergruppe des EU-Ausschusses für Sozialschutz und in der OECD Working Party on Social Policy. Dr. Karin Kneissl, geboren 1965, ist freischaffende Analystin und Korrespondentin sowie Lehrbeauftragte. Die und Hebräisch). Kneissl war 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst der Republik Österreich. Sie unterrichtet in Wien und Beirut Energiepolitik und ist Autorin mehrerer Sachbücher. Vgl. www.kkneissl.com. Dr. , geboren 1976, ist Senior Research Associate am Department for International Economic and Political Relations am Institute for International Relations in Zagreb, Kroatien. Er studierte an der Fakultät für Politkwissenschaft der Universität Zagreb. Ivan Krastev Bulgarien. Zudem ist er Permanet Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Er ist auch Founding Board Member des European Council on Foreign Relations (ECFR), Mitglied des Advisory Board der Advisory Council of the Center for European Policy Analysis (CEPA) und der European Cultural Foundation (ECF).
  • 418. 416 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Oberst Ing. Mag. Guido Kraus, geboren 1969, war von 2012 bis 2015 österreichischer Verteidigungsattaché in Israel, mehreren Auslandseinsätzen des Österreichischen Bundesheeres, u. a. in Zypern, Albanien und der Westsahara. Miriam Kraus, geboren 1979, ist Expertin für Rohstoffanlagen, Chefredakteurin des Börsen-Newsletters „Rohstoff Daily“ und selbstständige Finanzanalystin seit 2007. Zuvor Studium der Rechtswissenschaft und Weiterbildung Vermögensverwaltung, in deren Rahmen sie Investmentbanken bei der Konstruktion von Derivaten unterstützte. Prof. Dr. Michael Kunze, geboren 1942, ist an der Medizinischen Universität Wien als Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie beschäftigt. Er ist auch Facharzt für Sozialmedizin und Mitglied des Wehrmedizinischen Beirats des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport sowie Director, Competent Body ECDC (European Center Disease Control). Dr. Hilmar Linnenkamp, geboren 1944, ist Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam und berät seit 2009 die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Von 2004 bis 2007 war er Deputy Chief Executive der European Defence Agency in Brüssel, 2001 bis 2004 im Bundesministerium der Verteidigung zuständig für Internationale Rüstungsangelegenheiten, davor Leiter des Sekretariats der Weizsäcker- Kommission zur Reform der Bundeswehr. Marian Majer, PhD, geboren 1980, ist der Leiter des Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Programms beim Central European Policy Institute (CEPI) in Bratislava. 2012 bis 2014 arbeitete er als Forscher am Centre for European and North Atlantic Affairs (CENAA), 2004 bis 2012 war er in verschiedenen Funktionen im slowakischen Dr. Roland Marchal für Internationale Forschung der SciencesPo in Paris. Darüber hinaus war er von 2002 bis 2006 Chefredakteur des französischen, akademischen Journals „Politique Africaine“. Er arbeitete als Berater für verschiedene europäische Afrika. Prof. Dr. Miroslav Mareš, PhD, geboren 1974, ist Leiter des Studienfaches Sicherheits- und Strategiestudien am Lehrstuhl für Politikwissenschaft der Masaryk-Universität in Brünn. Er ist Mitglied des European Expert Network on Terrorism Issues und nahm am Radicalisation Awareness Network der EU teil.
  • 419. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 417 Sergey Markedonov, PhD, geboren 1972, ist Director of the Department for Problems of Ethnic Relations am Dr. Alessandro Marrone, geboren 1982, ist Senior Fellow am Sicherheits- und Verteidigungsprogramm am International Affairs Institute (IAI) in Rom. Er unterrichtet u.a. Strategische Studien an der Universität von Perugia und ist Mitglied der Redaktion des „Webmagazine AffarInternazionali“. Dr. Hartmut Mayer, geboren 1968, ist Wissenschafter und Tutor in Politics am St. Peter‘s College der Universität Oxford sowie Adjunct Professor für Europäische und Euroasiatische Studien an der Johns Hopkins University (SAIS Europe) in Bologna. Er leitet seit 1998 den Regionalbereich Europa bei Oxford Analytica und hat an der Universität Oxford promoviert. Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, geboren 1957, ist stellvertretender Hauptgeschäftsführer und Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in München. Er lehrt Internationale Politik an der Universität Regensburg. Botschafter Mag. Jürgen Meindl, geboren 1965, ist seit August 2015 Botschafter im Königreich Belgien und Leiter der Österreichischen Vertretung bei der NATO. Zuvor war er unter anderem bevollmächtigter Botschafter in der Schweizer Eidgenossenschaft und Außenpolitischer Berater und stellvertretender Kabinettschef des Bundeskanzlers. Paul Melly ist Associate Fellow im Africa Programme beim Royal Institute of International Affairs – Chatham Politik Frankreichs und der EU sowie Entwicklungspolitik oder IWF/Weltbank Afrika Strategie. Er ist auch leitender Prof. a.D. Dr. Ulrich Menzel, geboren 1947, hatte bis September 2015 den Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Vergleichende Regierungslehre am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig mit dem Veröffentlichungen, zuletzt „Die Ordnung der Welt“, Berlin 2015.
  • 420. 418 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Dr. Christian Mölling arbeitet er zu Fragen europäischer Sicherheit, Verteidigung und Rüstungsindustrie. Frühere Stationen beinhalten die Stiftung Wissenschaft und Politik, das Royal United Services Institute in London, das European Union Institute for Security Studies in Paris und das Center for Security Studies der ETH (Eidgenössische Technische Hochschule) Zürich. Prof. Dr. Herfried Münkler, geboren 1951, ist Inhaber des Lehrstuhls für Theorie der Politik an der Humboldt- Universität zu Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Prof. John M. Nomikos, PhD, ist Direktor am Research Institute for European and American Studies (RIEAS), Webster University in Athen und Head of the Department of International Relations, History and Politics. Dr. Hardy Ostry, geboren 1970, ist seit 2012 Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tunis Internationalen Beziehungen an der Universität der Bundeswehr in München begann er 2001 seine Tätigkeit für die Europäische und Internationale Zusammenarbeit (KAS) und war in Benin, Tunesien sowie Jordanien stationiert. Dr. Martin Pabst das Büro für Forschung und Politikberatung in München. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, ständiger Mitarbeiter der Österreichischen Militärzeitschrift (ÖMZ) und der Zeitschrift „Europäische Sicherheit und Oberst Dr. Jérôme Pellistrandi, geboren 1961, ist Chefredakteur der Zeitschrift „Revue de la Défense Nationale“ in Paris. Er trat 1980 in die französische Armee ein und war auch Kommandant der multinationalen Unterstützungsbrigade des Eurokorps. Dr. Thieß Petersen zurzeit als Senior Advisor im Programm Nachhaltig Wirtschaften, zudem seit 2010 Lehrbeauftragter an der Europa- Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.
  • 421. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 419 Georg Plattner, MA, geboren 1988, forscht an der Tel Aviv University als Stipendiat des israelischen Außenministeriums zum „Wandel der sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen der EU und Israel seit 2011“. Er Sicherheit im Middle East and North Africa (MENA)-Raum mit Fokus auf Israel. Mag. Alexander Pschikal ist seit 1982 im Bundeskanzleramt, Abteilung Sicherheitspolitische Angelegenheiten und Nationaler Sicherheitsrat, Koordinator „Schutz kritischer Infrastrukturen“. Er ist Point of Contact für das European Programme for Critical Infrastructure Protection (EPCIP) und nahm an Wahlbeobachtungsmissionen in Europa und Afrika teil. Tariq Rauf ist seit Februar 2014 Direktor des Programms Disarmament, Arms Control and Non-Proliferation des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) in Schweden. Zuvor war er Leiter des Büros für Themen Nuklearer Rüstung, Non-Proliferation und Nuklearpolitik. Zuletzt erschien 2014 „Indicators of Nuclear Weaponization”, Moskau. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Harald Raupenstrauch, geboren 1961, ist seit 2007 Universitätsprofessor an der Alexander Reichmann, geboren 1974, ist seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter beim SORA Institute for Social Research and Consulting im Bereich Wahlforschung und politische Kommunikation. Franz Reißner, MSc, geboren 1957, ist Kommandant der Streitkräfte des Österreichischen Landesverteidigung und Sport (BMLVS) und war Kommandant der Einsatzunterstützung in Wien. Dr. Henning Riecke Weatherhead Center for International Affairs der Harvard University durch.
  • 422. 420 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 Wolfgang Rosenkranz, geboren 1971, ist Manager in der REPUCO Unternehmensberatung, Oberleutnant der Direktor International Sales bei der Österreichischen Staatsdruckerei 2011 zur REPUCO Unternehmensberatung, wo er vor allem für den Bereich Cybersecurity zuständig ist. In dieser Funktion leitet er für das Kuratorium Sicheres Österreich das KSÖ Cybersecurity Forum und führt Projekte wie z.B. den KSÖ-Rechts- und Technologiedialog zum Cyber-Sicherheitsgesetz durch. Petra Roter, PhD, ist Associate Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaften im Bereich der Internationalen Beziehungen an der Universität Ljubljana. Sie promovierte an der Universität Cambridge und arbeitet als unabhängige Expertin im Bereich Minderheitenschutz für den Rat der EU und mit dem Hohen OSZE- Repräsentanten für nationale Minderheiten. , PhD candidate, geboren 1980, ist beim Belgrade Fund for Political Excellence tätig, wo er für die Koordinierung des Programms des Belgrade Security Forums der South East Europe’s premier security conference verantwortlich ist. Zuvor war er Direktor der Regional Academy for Democracy, eine Initiative zur Kapazitätsbildung Sciences und arbeitet dort zum Thema Privatisierung und Auslagerung von internationaler Sicherheit. Mag. Alexander Schahbasi Menschenrechte des Bundesministeriums für Inneres und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa. Mag. Martin Schenk, geboren 1970, ist Sozialexperte und Stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich, Fachhochschule Campus Wien. Aktuelle Publikationen bei Deuticke und im Studienverlag. Dr. Margit Schratzenstaller, geboren 1968, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung mit den Arbeitsschwerpunkten Budget- und Steuerpolitik, Steuerwettbewerb und -harmonisierung sowie Fiskalischer Föderalismus. Dr. Ulrich Schuh, geboren 1969, ist Forschungsvorstand von EcoAustria – Institut für Wirtschaftsforschung; Mitglied des Fiskalrates, des Finanzmarktstabilitätsgremiums, der Wettbewerbskommission, der Pensionskommission DIE AUTOREN
  • 423. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 421 Prof. Michael Semple Social Justice, an der Queen‘s University in Belfast. Prof. Noel Sharkey, PhD, DSc, geboren 1948, ist Informatiker und Professor für künstliche Intelligenz und Robotik Prof. Dr. Jamie Patrick Shea Relations und Direktor für Information und Presse bei der NATO. Er promovierte 1981 an der Oxford University Nadim Shehadi, geboren 1956, ist seit 2014 Direktor am Fares Center for Eastern Mediterranean Studies an der Fletcher School of Law and Diplomacy an der Tufts University. Er ist auch Associate Fellow beim Middle East and North Africa (MENA)-Programme des Chatham House, Royal Institute of International Affaires in London. Prof. Dr. Louise Shelley Transnational Crime and Corruption Center (TraCCC). Prof. Stefano Silvestri, geboren 1942, ist Forschungsleiter am International Affairs Institute (IAI) in Rom, bei dem er auch bis 2013 Vorsitzender war. Er war ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Berater mehrerer italienischer Regierungen vor allem in den Bereichen Verteidigung und Internationale Beziehungen. Prof. Dr. Dr. Christian Stadler, geboren 1966, ist seit September 2013 Leiter der Abteilung Polemologie/ Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien. Er ist zudem Stv. Leiter der Forschungsstelle für Eurasische Studien (EURAS). Dr. Guido Steinberg, geboren 1968, ist IslamWissenschafter und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. 2001 bis 2005 arbeitete er als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Zuletzt erschienen von Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror“.
  • 424. 422 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Mag. Robert Stocker, MBA, geboren 1961, ist Leiter der Abteilung II/13 - Einsatz-, Krisen- und Katastrophenkoordination im Bundesministerium für Inneres. Er studierte Rechtswissenschaften in Wien und schloss 2009 die Ausbildung zum Akademischen Krisen- und Katastrophenschutzmanager ab. Dr. Nicolas Stockhammer, geboren 1975, ist seit Juli 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Senior-Post-Doc Researcher) der Abteilung Polemologie&Rechtsethik des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien. Botschafter Dr. Christian Strohal, geboren 1951, ist österreichischer Diplomat und seit 2013 als Ständiger Vertreter Österreichs bei der OSZE in Wien tätig. Zuvor war er u. a. als Vertreter Österreichs bei den internationalen Menschenrechte und Demokratische Institutionen der OSZE in Warschau. Fregattenkapitän Marco Taedcke, geboren 1974, ist Diplom-StaatsWissenschafter, Fregattenkapitän der Deutschen Dane Taleski, PhD, geboren 1979, ist seit Oktober 2015 Visiting Fellow am Centre for Southeast European Studies Dr. Thierry Tardy, geboren 1968, ist leitender Analytiker am European Institute for Security Studies (EUISS). Sein Forschungs- und Publikationsschwerpunkt liegt im militärischen und zivilen Krisenmanagement mit Fokus auf Development Studies. Wilhelm Theuretsbacher, geboren 1957, Oberst der Miliz, ist Chefreporter bei der Tageszeitung „Kurier“. Er war in allen wesentlichen Krisen- und Kriegsgebieten der letzten 40 Jahre im Einsatz in wechselnden Rollen als Journalist oder Soldat. Er ist Autor der Bücher „Ich gelobe“ und „The Austrian Armed Forces – From a Secret Army to the Member of European Security“. Nathalie Tocci, PhD, geboren 1977, ist die Spezielle Beraterin der Hohen Repräsentantin für Auswärtige Angelegenheiten der EU, Federica Mogherini, und seit 2011 stellvertretende Direktorin des Istituto Affari Internazionali in Rom und Herausgeberin des International Spectator. Sie war 2014 auch die strategische Beraterin des italienischen Ministers für Auswärtige Angelegenheiten.
  • 425. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 423 Prof. Ben Tonra, geboren 1965, ist Leiter der UCD School of Politics and International Relations (SPIRe) am University College in Dublin. Zudem ist er Jean Monnet Professor für europäische Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik und außerordentlicher Professor für Internationale Beziehungen. Sinan Ülgen ist Vorsitzender des in Istanbul ansässigen Think Tanks EDAM und Visting Scholar bei Carnegie Europe in Brüssel. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Analysen zur türkischen Außenpolitik und ihre die sicherheits- und wirtschaftspolitischen Aspekte in den transatlantischen Beziehungen. Er ist Mitherausgeber des Buches „Turkey’s Nuclear Future“. Joris Van Bladel, geboren 1966, ist Russlandexperte, freier Wissenschafter und Autor für strategische Analysen. Er ist Mitglied der Wissenschaftskommission im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport und war Berater von Javier Solana. Peter Van der Auweraert, geboren 1968, ist derzeit bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) tätig und unterstützt die interne Koordination von IOM-Maßnahmen im Zuge der Flüchtlingskrise im Mittelmeerraum. Dr. Nicolai von Ondarza, geboren 1982, ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind das Regieren in der Europäischen Union, Mag. Peter Webinger im Bundesministerium für Inneres, Vertreter Österreichs im Strategic Committee on Immigration, Frontiers and Asylum sowie Vortragender u. a. beim Strategischen Führungslehrgang der Bundesregierung und im Botschafter Mag. Markus Weidinger, MA, geboren 1973, ist als österreichischer Vertreter in der Politisch- Wirtschaftswissenschaften, Master in internationalem Management, Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien der Mission Österreichs bei der NATO tätig.
  • 426. 424 Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 DIE AUTOREN Richard Weitz, geboren 1961, ist Senior Fellow am Center for Political-Military Analysis am Hudson Institute mit Schwerpunkt auf den Entwicklungen der regionalen Sicherheit im Umfeld von Europa, Eurasien und Ostasien sowie auf der US-Außen- und Sicherheitspolitik. Er ist auch Experte bei Wikistrat und ein Non-Resident Adjunct Senior Fellow am Center for a New American Security. Jacob Westberg, PhD, geboren 1963, ist am Department of Political Science der Universität Stockholm tätig. Zudem arbeitet er seit 2008 als Lektor und Researcher am Department of Security and Strategy der Swedish Defence University. Sein Forschungsschwerpunkt ist die schwedische Sicherheitspolitik und die Verteidigungskooperation zwischen den nordischen Ländern. Botschafter Lamberto Zannier Diplomat. Von 2008 bis 2011 war er UN Special Representative für den Kosovo und Head of the United Nations Centre der OSZE. Ilya Zaslavskiy Institut für Internationale Angelegenheiten – Chatham House.
  • 427. Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2016 425 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Seite 9 Wilke/Bundesheer Seite 11 Bittner/Bundesheer Seite 13 Shutterstock.com Seite 33 Brian A Jackson/Shutterstock.com Seite 37 pixabay.com Seite 41 red-feniks/shuttertock.com Seite 44 Nik Merkulov/shutterstock.com Seite 47 Chuck Wagner/Shutterstock.com Seite 50 nikitabuida/Shutterstock.com Seite 55 Pigdevil Photo/Shutterstock.com Seite 59 Harvepino/Shutterstock.com Seite 62 violetkaipa/Shutterstock.com Seite 65 isak55/Shutterstock.com Seite 69 anekoho/Shutterstock.com Seite 73 vita khorzhevska/Shutterstock.com Seite 76 Stepan Kapl/Shutterstock.com Seite 79 forest badger/Shutterstock.com Seite 82 Michael Wick/Shutterstock.com Seite 85 Denis Kornilov/Shutterstock.com Seite 89 UN Photo/Cia Pak Seite 92 Elnur/Shutterstock.com Seite 95 Botschaft Äquartorialguinea zur AU/ Seite 99 yui/Shutterstock.com Seite 107 IanC66/Shutterstock.com Seite 112 Chepko Danil Vitalevich/ Seite 115 Sirocco/Shutterstock.com Seite 118 ver0nicka/Shutterstock.com Seite 121 Istvan Csak/Shutterstock.com Seite 124 UN Photo/Eskinder Debebe Seite 127 Procyk Radek/Shutterstock.com Seite 130 ChameleonsEye/Shutterstock.com Seite 136 Syda Productions/Shutterstock.com Seite 140 Keith Tarrier/Shutterstock.com Seite 143 KANIN.studio/Shutterstock.com Saite 146 Alexander Kazantsev/Shutterstock.com Seite 149 Mikkel Bigandt/Shutterstock.com Seite 157 Dmitry Kaminsky/Shutterstock.com Seite 160 The Visual Explorer/Shutterstock.com Seite 163 lculig/Shutterstock.com Seite 167 AridOcean/Shutterstock.com Seite 174 Jiri Flogel/Shutterstock.com Seite 180 pixabay.com Seite 183 Thomas Koch/Shutterstock.com Seite 195 Tracing Tea/Shutterstock.com Seite 198 Ryan Rodrick Beiler/Shutterstock.com Seite 203 Ryan Rodrick Beiler/Shutterstock.com Seite 206 Volodymyr Borodin/Shutterstock.com Seite 209 Owen Holdaway/Shutterstock.com Seite 212 Dmitry Chulov/Shutterstock.com Seite 215 TonelloPhotography/Shutterstock.com Seite 218 360b/Shutterstock.com Seite 221 posztos/Shutterstock.com Seite 225 Milkovasa/Shutterstock.com Seite 228 MattiaATH/Shutterstock.com Seite 231 Damian Ryszawy/Shutterstock.com Seite 234 David Varga/Shutterstock.com Seite 240 ID1974/Shutterstock.com Seite 243 Anton Watman/Shutterstock.com Seite 247 Mopic/Shutterstock.com Seite 250 ayzek/Shutterstock.com Seite 254 canadastock/Shutterstock.com Seite 257 TonelloPhotography/Shutterstock.com Seite 260 IM_photo/Shutterstock.com Seite 263 maziarz/Shutterstock.com Seite 270 PromesaArtStudio/Shutterstock.com Seite 274 Victor Maschek/Shutterstock.com Seite 278 gopixa/Shutterstock.com Seite 281 Aitormmfoto/Shutterstock.com Seite 285 Vladimir Korostyshevskiy/Shutterstock.com Seite 288 Radoslaw Maciejewski/Shutterstock.com Seite 291 Ventura/Shutterstock.com Seite 295 yanugkelid/Shutterstock.com Seite 299 PromesaArtStudio/Shutterstock.com Seite 303 Northfoto/Shutterstock.com Seite 314 Bundesheer Seite 321 Bundesheer Seite 328 sylv1rob1/Shutterstock.com Seite 332 Markus Pfaff/Shutterstock.com Seite 338 Bundesheer Seite 341 Borodaev/Shutterstock.com Seite 344 Bundesheer Seite 347 Ioan Panaite/Shutterstock.com Seite 350 Bertl123/Shutterstock.com Seite 354 Bundesheer Seite 358 Kyrien/Shutterstock.com Seite 364 Bundesheer Seite 367 William Perugini/Shutterstock.com Seite 370 PathDoc/Shutterstock.com Seite 373 angellodeco/Shutterstock.com Seite 376 Bohbeh/Shutterstock.com Seite 379 Bundesheer Seite 387 bluebay/Shutterstock.com Seite 390 Mitrija/Shutterstock.com Seite 393 paintings/Shutterstock.com Seite 397 Weber/Bundesheer Seite 400 Bundesheer Seite 403 Minich/Bundesheer Seite 407 Bundesheer
  • 430. DIREKTION FÜR SICHERHEITSPOLITIK SICHER. UND MORGEN? SICHERHEITSPOLITISCHEJAHRESVORSCHAU2016 Die Direktion für Sicherheitspolitik im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport hat internationale und österrei- chische Experten eingeladen, die für das Jahr 2016 relevan- Institutionen, wichtiger Regionen und Staaten sowie konkreter mit weit reichenden Auswirkungen auf die innere Sicherheit eine eingeschränkte Gestaltungsfähigkeit und eine schwinden- politik sind: Intensivierung von Kooperationen SICHERHEITSPOLITISCHE JAHRESVORSCHAU 2016 ÖSTERREICHISCHES BUNDESHEER