KI: Mit dem Tempo der Entwicklung Schritt halten
Wieso es einen interdisziplinären Ansatz braucht.
Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) schreitet derzeit mit einer Geschwindigkeit voran, die selbst eingefleischte Tech-Enthusiasten atemlos zurücklässt. Für die Verwaltung in der Schweiz bedeutet dies nicht nur, permanent auf dem neuesten Stand sein zu müssen, sondern auch, komplexe rechtliche, technische und ethische Herausforderungen zu meistern.
Rasante Entwicklung – schneller Wandel als Norm
Seit 2023 erleben wir geradezu revolutionäre Sprünge in der KI‑Technologie. 2025 markiert die nächste Generation leistungsfähiger Foundation Models – Stand Juni 2025:
OpenAI: o3‑pro – High‑End‑Multimodal; o4‑mini – schlank für On‑Prem; GPT‑5 (Som 2025) – grösseres Kontextfenster und stärkere Agenten.
Google: Gemini 2.5 Pro – Deep‑Think‑Reasoning; Gemini 2.5 Flash – latenzarm und kosteneffizient.
Anthropic: Claude 4 Opus/Sonnet – Spitzen‑Reasoning und sicherheitsoptimiert.
Meta (Open Source): Llama 4 – erstes OSS‑Multimodell mit 200 k Kontext.
Gemeinsam treiben diese Modelle die fortschreitende Multimodalität voran, die Text, Bilder, Audio, Video und Code nahtlos integriert und damit völlig neue Anwendungsfelder für Verwaltungen eröffnet – von der automatisierten Aktenanalyse über Echtzeit‑Übersetzung bis hin zur Auswertung von Sensordaten und Videostreams. Für einen aktuellen Überblick der Spitzenmodelle: Leaderboard
Doch gerade für öffentliche Institutionen stellt sich zudem eine zentrale Frage: Open-Source oder proprietäre Modelle? Während offene Lösungen wie Llama oder Mistral digitale Souveränität und Kontrolle über sensible Daten bieten, versprechen proprietäre Modelle oft bessere Performance, Unterstützung und Sicherheit – verbunden mit Risiken wie Vendor-Lock-in und Datenschutzbedenken. Ein strategischer Balanceakt, den viele Verwaltungen aktuell über eine zweigleisige Strategie angehen: Experimentieren mit bewährten Cloud-Diensten und parallel Aufbau eigener Lösungen für langfristige Unabhängigkeit.
Fachwissen: Kernkompetenz statt Randthema
Die Integration von KI-Technologien in Verwaltungsabläufe darf nicht nur IT‑Sache bleiben. Sie ist eine strategische Querschnittsaufgabe, weil KI-Anwendungen nicht isoliert in Fachverfahren enden, sondern Entscheidungswege, Prozesslogiken und das Service‑Erlebnis der Bürger:innen tiefgreifend verändern. Führungskräfte und Mitarbeitende aller Verwaltungsbereiche – von Justiz über Bauwesen bis zu Soziales und Finanzen – müssen daher ihre Rollen neu denken: nicht mehr als passive Auftraggeber von IT‑Lösungen, sondern als aktive Co‑Designer, die fachliche Anforderungen in daten‑ und KI‑taugliche Formen übersetzen, Risiken bewerten und eine verantwortungsvolle Governance sicherstellen.
Um diese Gestaltungsfähigkeit aufzubauen, braucht es fundiertes Wissen in drei ineinandergreifenden Kompetenzfeldern:
Multidisziplinäre Teams – der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung
Die Implementierung von KI in Verwaltungen gelingt nur, wenn multidisziplinäre Teams aktiv zusammenarbeiten und gemeinsam Verantwortung tragen. Ein leistungsfähiges "KI-Governance‑Team" vereint dabei Fachwissen aus Technologie, Recht, Ethik und den jeweiligen Verwaltungssparten und verankert zudem Changemanagement‑ und Kommunikationskompetenz, um Akzeptanz bei Mitarbeitenden und Bürger:innen zu schaffen.
Multidisziplinarität in Aktion – Fiktives Beispiel Baugesuch
Als das kantonale Bauamt beschliesst, ein KI‑System zur automatisierten Vorprüfung von Baugesuchen einzuführen, sitzen alle relevanten Disziplinen vom ersten Tag an gemeinsam am Tisch: Die Fachsachbearbeiter schildern praxisnah die Engpässe im heutigen Prozess, der Lead Data Scientist skizziert erste Modellideen und Datenerfordernisse, die IT‑Architektin prüft parallel, ob eine On‑Prem‑GPU‑Farm ausreicht oder eine föderierte Cloud‑Variante nötig ist. Währenddessen bewertet die Juristin die Vereinbarkeit mit dem Datenschutzgesetz (DSG) und diskutiert mit der Ethik‑Beauftragten, welche Bias‑Risiken bei unterschiedlichen Gebäudetypen und Quartieren auftreten könnten. Schon im Workshop formuliert der Change‑ & Communications Manager Zielgruppenbotschaften – von der internen Schulung der Sachbearbeitenden bis zur Information der Bürger:innen auf dem Service‑Portal.
In den folgenden zwei Wochen entsteht in kurzer Hand ein Minimal‑Modell (MVP), gespeist mit anonymisierten, bereits entschiedenen Gesuchen. Während der Lead Data Scientist die Trainings‑Ergebnisse interpretiert, liefert der Fachdomänen‑Lead unmittelbares Feedback zu falsch klassifizierten Sonderfällen. Die Ethik‑Beauftragte führt parallel einen Impact‑Check durch und initiiert – zusammen mit der Juristin – ein kompaktes "Ethik‑Gate", das in 30 Minuten klärt, ob Transparenz‑ und Fairness‑Kriterien erfüllt sind. Nachdem das Steering Committee grünes Licht gegeben hat, orchestriert der IT‑Architekt den Roll‑out in eine sichere Container‑Umgebung, die sich nahtlos an das bestehende Fachverfahren andockt.
Schon nach drei Monaten Pilotbetrieb zeigt das Zusammenspiel der Disziplinen und ein konsequentes Change Management greifbare Wirkung: Durch frühzeitige Einbindung der Sachbearbeitenden, zielgruppengerechte Kommunikation und bedarfsorientierte Schulungen stieg die Nutzungsrate des Systems stark an. Mitarbeitende nutzen den gewonnenen Freiraum für komplexere Fälle, und Bürger:innen profitieren von kürzeren Wartezeiten – ein sichtbares Ergebnis erfolgreicher Multidisziplinarität und gezielter Veränderungsbegleitung.
Multidisziplinäre Teams sind mehr als eine Rollenaufzählung – sie entfalten ihren Mehrwert, wenn Fachwissen, Technik, Recht, Ethik und Kommunikation gemeinsam iterieren, Entscheidungen in Echtzeit aushandeln und Erfolge sowie Risiken transparent teilen.
Durch diese strukturierte Zusammenarbeit lassen sich technische Machbarkeit, rechtliche Compliance und fachliche Relevanz nicht nur ausbalancieren, sondern synergetisch steigern – ein entscheidender Erfolgsfaktor für nachhaltige KI‑Nutzung in der Schweizer Verwaltung.
Strategien, um Schritt zu halten
Verwaltungen, die nicht nur reagieren, sondern die Zukunft aktiv gestalten wollen, müssen proaktive Strategien verfolgen:
Proaktiv gestalten statt nur Schritt halten
Die KI-Entwicklung wird sich nicht verlangsamen – im Gegenteil, das Entwicklungstempo nimmt eher noch zu. Schweizer Verwaltungen sind daher gut beraten, KI nicht als Bedrohung, sondern als grosse Chance zur Steigerung der Effizienz und Servicequalität zu begreifen. Indem sie multidisziplinär zusammenarbeiten, kontinuierlich lernen und strategisch vorausschauend agieren, können sie die Herausforderungen meistern und KI für den Dienst am Bürger*innen verantwortungsvoll nutzen.
Digitale Verwaltung: Dein Newsletter zur Digitalen Transformation der Verwaltung.
Ich poste täglich zu Themen rund um die Digitale Transformation der Verwaltung. Falls dir meine Inhalte gefallen, freue ich mich über Kommentare, Nachrichten oder sonstige Interaktionen.
Wenn du immer auf dem neusten Stand bleiben willst: Abonniere den Newsletter!
#digitaleVerwaltung
Dezernent für Schule, Jugend, Soziales und Sport | KI Netzwerker | Diplom-Psychologe | Leitender städtischer Verwaltungsdirektor | Lions (hier privat)
2 MonateEin solches Vorgehen wäre natürlich ein ganz hervorragender Standard, Paul Meyrat! Wir werden allerdings Lösungen finden müssen, wie sich solche Strukturen und Prozesse in kleineren und mittleren Kommunen realisieren lassen. Die ersten Ideen dazu entwickeln wir gerade. Danke für Ihren Beitrag!
Consultant Digitale Transformation | KI und Data Science
2 MonateSteile These meinerseits: Kompetenz erwirbt man nicht durch (externe) Schulungen, sondern durch Erfahrungslernen "on the job". Der AI Act spricht an keiner Stelle von Schulungen, sondern von "geeigneten Massnahmen".
Aus Einzelteilen ein funktionierendes Ganzes
2 MonateDanke Paul Meyrat für diesen sehr wertvollen Beitrag. Er zeigt nicht nur den Challenge gut auf, neue Technologien nutzbringen einzubinden, sondern lässt mit der Vision "Baugesuch morgen" die neuen Arbeitsweisen erahnen, die plötzlich möglich werden. Verwaltungsstellen sollten Experimentierbudgets erhalten, um solche Visionen auszuprobieren und aus der Erfahrung schleifen, präzisieren, .. zu können.
Architektur-Empfehlung Ein gestuftes Modell wird empfohlen: Einerseits leistungsstarke Cloud-Modelle (z. B. Claude 3.5, o3-pro) für komplexe Aufgaben mit hohem Outputbedarf. Andererseits Open-Source-Modelle (LLaMA 4, Mixtral), wo digitale Souveränität, Datenschutz und langfristige Unabhängigkeit gefragt sind – etwa bei sensiblen Bürgerdaten oder internen Verwaltungsvorgängen. 5. Monitoring und Governance Langfristig braucht es ein institutionelles LLM-Governance-Board, vergleichbar einer Ethikkommission, besetzt mit Jurist:innen, Technik- und Verwaltungsexpert:innen. Die Evaluationsergebnisse des GovernanceHELM könnten jährlich in einem öffentlichen Benchmarkbericht transparent gemacht und als Entscheidungsgrundlage für Bund und Kantone genutzt werden. → Die zugehörige Tabellenauswertung der aktuellen Top-Modelle (DeepSeek, Claude, Gemini, o3 etc.) sende ich Ihnen parallel zur Beurteilung zu. ___ Ganzheitliche Bewertung von großen Sprachmodellen für medizinische Anwendungen - CRFM HELM https://crfm-helm.readthedocs.io/en/latest/medhelm/ … VSAO Zürich, Medinside https://shorturl.at/trqj3
Ihre Einschätzung ist zutreffend Die Dynamik im Bereich multimodaler Foundation Models (Stand Juni 2025) stellt Verwaltung, Regulierer und Fachbereiche vor erhebliche Gestaltungs- und Integrationsherausforderungen. 1. Methodik Analog zum klinischen Stanford-Benchmark MedHELM schlagen wir die Entwicklung eines „GovernanceHELM“ vor – ein KI-Evaluationsrahmen, der reale verwaltungsbezogene Aufgaben abbildet. Bewertet würden dabei LLMs anhand ihrer Leistungsfähigkeit in fünf Bereichen: Rechtsanwendung, Kommunikation, Prozessautomatisierung, strategischer Entscheidungsunterstützung und interner Governance. Die Bewertung erfolgt durch ein multidisziplinäres Fachgremium und LLM-Jury (nach dem Vorbild von MedHELM), um Fachnähe und Skalierbarkeit zu verbinden. 2. Anwendungsbeispiele Konkret könnte ein GovernanceHELM z. B. die Anerkennung medizinischer Weiterbildungstitel wie bei der FMH effizient begleiten: Vorprüfung auf Vollständigkeit, automatische Fristenverfolgung, rechtssichere Entwurfsformulierung und Entscheidungsvermerke – KI-gestützt, prüfbar, beschleunigend. Auch für die Entlastung überlasteter Rechtsdienste und Strategiestellen ist der Nutzen evident. https://shorturl.at/Iz20d . FMH Verbindung Schweizer Ärztinnen und Ärzte