Strukturelle Defizite in Unternehmen reduzieren und ganz auflösen.
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Strukturelle Defizite in Unternehmen reduzieren und ganz auflösen.

Agilität durch Teilung oder Zusammenführung?

Die aktuelle Historie von immer mehr Unternehmensentwicklungen zeigen ein immer gefährlicheres Bild. Gerade im Mittelstand gilt die Neuaufnahme von Unternehmen und/oder die Zerschlagung der bestehenden Unternehmen in ein Mosaik fraglich agiler Einheiten als vermeintliches Patentrezept. Gewissermaßen gegen Corporate Sclerosis.

Doch was, wenn der bisher gefeierte Königsweg zur Agilität in Wahrheit in die operative Lähmung führt? Gerade dies wird aber bei immer mehr Unternehmen deutlich erkennbar.

Hierbei werden häufig auch die unsichtbaren Kosten dieser Strategie missachtet. Wer Klarheit haben will, muss sich näher und konstruktiv mit folgenden Thesen beschäftigen:

  1. These 1 - Rechtliche Autonomie schafft oft härtere Silos als jede Organisationsstruktur. Dies insbesondere mit dem Risiko eigener Bilanzen, Zielen und Kulturen.
  2. These 2 - Die unsichtbare „Koordinations-Steuer“ in fragmentierten Konzernen übersteigt häufig immer mehr die sichtbaren Einsparungen durch Spezialisierung.
  3. These 3 - Der wahre Indikator für Reibungsverluste ist nicht die Komplexität des Organigramms, sondern die Anzahl der Intercompany-Verträge und deren konkrete Ausgestaltung mit den Führungsstellen und den dann häufig überreizten Kompetenzen.
  4. These 4 - Echte Agilität entsteht nicht durch strukturelle Trennung, sondern durch intelligente prozessuale und datentechnische Integration – dies wird häufig nicht konsequent genug beachtet.
  5. These 5 - Die Zukunft gehört nicht dem starren Konglomerat oder dem losen Verbund von vermeintlich überschaubaren Teilunternehmen, sondern dem integrierten Unternehmens-Ökosystem mit einem gemeinsamen operativen Rückgrat.

Das häufige Versprechen der Entflechtung - Ein nachvollziehbarer Reflex

Die Logik hinter der Zerlegung eines Konzerns in mehrere Gesellschaften ist auf den ersten Blick bestechend:

  • Klare Ergebnisverantwortung,
  • Risikobegrenzung durch Haftungsschilde (Ringfencing)
  • erleichterte M&A-Transaktionen

und die Möglichkeit, spezialisierte Talente mit dem Versprechen von echter unternehmerischer Freiheit zu gewinnen. Jede Einheit agiert wie ein Schnellboot – wendig, fokussiert und eigenverantwortlich.

Ein verlockendes Bild, insbesondere im Kontrast zum schwerfälligen Tanker des traditionellen, monolithischen Konzerns. Doch diese Sichtweise übersieht eine kritische Dimension: die Reibungskosten, die an den Nahtstellen dieser neuen Autonomie entstehen. Doch wenn der Zeitraum für Verbesserungen zu lang ist, ist auch das Schnellboot sehr schnell überfordert und bleibt hinter einem gut strukturierten "Tanker" zurück.

Die unsichtbare Steuer - Wenn Koordination zur Kernkompetenz werden muss

Stellen Sie sich eine CEO vor, die ein Jahr nach der Aufspaltung ihres Unternehmens in 10 „agile“ GmbHs oder eine zu spät vorgenommene Restrukturierung Bilanz zieht.

Statt von befreiter Innovationskraft hört sie von zermürbenden Grabenkämpfen um Verrechnungspreise. Statt von schnellen Markterfolgen berichten die Teams von monatelangen Hürdenläufen zur Klärung von IP-Rechten und internen Leistungsverrechnungen. Die einst agile Schnellboot-Flotte treibt manövrierunfähig in einem selbst geschaffenen Ozean aus Intercompany-Verträgen.

Dieses hier erkennbare Phänomen ist die „Koordinations-Steuer“: Jede Interaktion zwischen den rechtlich getrennten Einheiten wird zu einer formalen Transaktion, die oft erhebliche Ressourcen bindet:

  • Administrative Reibung - Jeder interne Prozess – vom Datenaustausch bis zur gemeinsamen Nutzung einer Ressource – wird zu einem formalen Akt, der Verträge, Verrechnungen und Freigaben erfordert. Eine interne Dienstleistungsbürokratie aus Juristen und Controllern lähmt die operative Geschwindigkeit.
  • Kulturelle Erosion - Aus einem gemeinsamen „Wir“ werden schnell viele kleine „Wir gegen die Anderen“. Jede Einheit optimiert ihr eigenes Ergebnis, oft zulasten des Gesamterfolgs. Synergien werden nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung für die eigene Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) gesehen.
  • Systemische Redundanz - Statt einer schlagkräftigen IT- oder HR-Abteilung entstehen Dutzende, die das Rad immer wieder neu erfinden. Die Kosten für redundante Systeme und Prozesse explodieren im Verborgenen.

Die Annahme, dass rechtliche Trennung automatisch zu operativer Exzellenz führt, ist ein fundamentaler Trugschluss. Hier tauscht man dann lediglich eine Form der Komplexität gegen eine andere, weitaus tückischere ein.

Jenseits der Rechtsform - Ein Plädoyer für den operativen Kern

Was ist also die Alternative? Die Lösung liegt nicht darin, die Rechtsform als primären Hebel für Agilität zu missverstehen. Stattdessen müssen wir eine entscheidende Trennung vornehmen: die zwischen der rechtlichen Hülle und dem operativen Kern.

Erfolgreiche Organisationen der Zukunft werden nicht dadurch definiert, wie viele GmbHs sie haben, sondern dadurch, wie stark ihr gemeinsames operatives Rückgrat ist.

Dieses Rückgrat besteht aus den Elementen, die unteilbar sein müssen, um Skaleneffekte und echte Synergien zu ermöglichen:

  • Eine integrierte Datenplattform, die eine 360-Grad-Sicht auf Kunden und Prozesse erlaubt.
  • Standardisierte Kernprozesse in Finanzen, HR und IT, die Effizienz und Compliance garantieren.
  • Eine gemeinsame technologische Infrastruktur, die Kollaboration und Innovation fördert, statt sie zu behindern.
  • Eine gemeinsame Führungskultur und identitätsstiftende Werte, die Kooperation über die Optimierung des eigenen P&L-Ergebnisses stellen. Echte Synergien entstehen nur, wenn Vertrauen die härteste Währung im Konzern ist und Anreizsysteme dies widerspiegeln.

Auf dieser Plattform können dann auch rechtlich eigenständige Einheiten mit maximaler Freiheit agieren, ohne das Gesamtsystem zu lähmen. Sie kombinieren gewissermaßen die juristischen und finanziellen Vorteile der Trennung mit der operativen und kulturellen Stärke der Integration.

Ihr möglicher Kurswechsel: Vom Architekten zum Gärtner eines Ökosystems - Denken Sie als Unternehmensverantwortlicher Ihre Rolle neu.

  1. Der Architekt entwirft am Reißbrett statische Blaupausen, zieht klare Linien und verlässt sich auf die Stabilität der einmal geschaffenen Struktur. Seine Arbeit ist abgeschlossen, wenn das Gebäude steht.
  2. Der Gärtner hingegen arbeitet mit einem lebenden, sich ständig entwickelnden System. Seine Aufgabe ist nicht die einmalige Konstruktion, sondern die permanente, vorausschauende Kultivierung. Er reichert den gemeinsamen Nährboden an (investiert in den operativen Kern), sorgt für Bewässerung (stellt Kapital und Ressourcen bereit), entfernt Unkraut (baut Bürokratie ab) und beschneidet, was nicht mehr gedeiht, um das Wachstum des Ganzen zu fördern.

Dieser Wechsel der Denkfigur führt zu einer fundamental anderen strategischen Fragestellung. Statt zu fragen: „Welche Einheit können wir als Nächstes ausgründen, um einen bilanziellen Vorteil zu erzielen?“, lautet die Schlüsselfrage, die den wahren Werttreiber adressiert:

Was ist der unteilbare, digitale und kulturelle Kern, der unser gesamtes Ökosystem erst wertvoll und schlagkräftig macht?

Diese Frage zwingt Sie, die Quelle Ihres eigentlichen Wettbewerbsvorteils zu identifizieren – jene integrierten Fähigkeiten, Daten und kulturellen Normen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile und die in keiner Einzelbilanz abgebildet werden.

Meine Empfehlungen für die relevanten Entscheider - Um diesen erläuterten Kurswechsel erfolgreich zu gestalten, bedarf es konkreter Schritte, die weit über die reine Strukturanpassung hinausgehen:

  1. Auditieren Sie die Reibungsverluste - Führen Sie eine ehrliche Analyse der unsichtbaren Koordinationskosten durch. Wie viele Arbeitsstunden fließen monatlich in die Verhandlung von Verrechnungspreisen, die Klärung interner Zuständigkeiten oder die Harmonisierung inkompatibler Systeme? Quantifizieren Sie diese Kosten und stellen Sie sie den vermeintlichen Vorteilen der Autonomie gegenüber.
  2. Investieren Sie gezielt in den Kern - Definieren und schützen Sie Ihren operativen Kern. Richten Sie dedizierte Budgets und schlagkräftige Teams ein, deren einzige Aufgabe die Stärkung der gemeinsamen Plattformen, Prozesse und Dateninfrastruktur ist. Behandeln Sie diesen Kern nicht als Cost Center, sondern als strategisches Investment in die Zukunftsfähigkeit des gesamten Konzerns.
  3. Schaffen Sie Anreize für Synergien - Solange Boni und Beförderungen ausschließlich an die Performance der einzelnen Einheit gekoppelt sind, bleibt Kooperation ein Lippenbekenntnis. Verankern Sie stattdessen messbare, spartenübergreifende Erfolge und Synergie-Effekte als festen Bestandteil der variablen Vergütung.
  4. Treiber für eine Reaorganisation – Klären Sie vor allem, welches Interesse an einer weiteren De-Strukturierung besteht und welche Verantwortungseinheiten oder externen Beratungs-Cluster diesen Weg und aus welcher Motivation vorantreiben wollen.  

Unsere Fragen für eine strategische Reflexion

Wir stellen die Fragestellungen für eine Abspaltung bzw. Nicht-Reorganisation nicht grundsätzlich infrage, möchten mit diesem Artikel jedoch noch einmal einen Anstoß geben, die Risiken und Chancen noch einmal zu bewerten.

Ein geplanter Wandel erfordert einen offenen und kritischen Dialog.

  • Welcher Prozess in Ihrer Organisation verursacht aktuell die größten Reibungsverluste zwischen den Einheiten und wäre der erste Kandidat für eine Re-Integration in den operativen Kern?
  • Wie stellen Sie sicher, dass Ihre besten Talente nicht in den „Fürstentümern“ isoliert bleiben, sondern ihr Wissen und ihre Fähigkeiten dem gesamten Ökosystem zur Verfügung stellen?
  • Wenn Sie heute eine neue, strategisch wichtige Initiative starten müssten, die drei Ihrer Gesellschaften betrifft: Wie lange würde es dauern, bis das Projekt handlungsfähig ist, und welche Hürden müsste es überwinden?

Mich interessiert Ihre Perspektive: Was war Ihr wirksamster Hebel – kulturell, prozessual oder technologisch – um die unsichtbare ‘Koordinations-Steuer’ zu senken und echte Synergien und Agilität freizusetzen?

Es gibt gut strukturierte Audits, um den aktuellen Weg systematisch zu hinterfragen und so auch die neuen Chancen für eine systematische Anpassung (Teilen versus Integrieren) deutlich auszuweisen.

Sprechen Sie uns an. Entweder über den unten stehenden Kontakt oder aber auch auf unserem nächsten Kongress in Saarbrücken am 15./16. Oktober 2025.

Viele Grüße - Klaus J. Schmidt - c/o Institut für Produktions- und Logistiksysteme - Prof. Dr. Klaus-Jürgen Schmidt, Heinrich-Barth-Str. 32, 66115 Saarbrücken - Telefon: +49 681-95431-0, Mobil +49-171-4540836 Web: www.gfpm.eu, www.akjnet.de, www.iplnet.de und Mail: klaus-juergen.schmidt@iplnet.de

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