Management von Informatik Projekten Digitale
Transformation erfolgreich gestalten René Riedl
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René Riedl
Management von Informatik-Projekten
Management von Informatik Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten René Riedl
René Riedl
Management
von Informatik-
Projekten
Digitale Transformation erfolgreich gestalten
Unter Mitwirkung von
Univ.-Prof. emeritus Dipl.-Ing. Dr. Lutz J. Heinrich
Prof. Dipl.-Ing. Dr. Harald Dobernig M.Sc. MBA
2., vollständig überarbeitete Auflage
ISBN 978-3-11-047126-7
e-ISBN (PDF) 978-3-11-047127-4
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047166-3
Library of Congress Control Number: 2019937554
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Vorwort
Seit einigen Jahren dominieren Digitalisierung und digitale Transformation welt-
weit die Themenlandschaft in Wirtschaft und Gesellschaft; dies wird laut der Ein-
schätzung vieler Experten auf absehbare Zeit auch so bleiben. Die erfolgreiche
Planung und Realisierung von Digitalisierungsvorhaben und die damit einherge-
hende digitale Transformation sind untrennbar mit erfolgreichem Projektmanage-
ment verbunden. Unabhängig davon, wie ausgeprägt die Reichweite der von digi-
talen Technologien ausgehenden Veränderungen ist (z.B. Reorganisation von Ge-
schäftsprozessen bis hin zur Veränderung von Geschäftsmodellen), das Handeln
im Projektmanagement wird den Ausgang eines Digitalisierungsvorhabens immer
maßgeblich beeinflussen. Dieser Umstand erklärt, warum Projektmanagement so-
wohl in der Wirtschaftsinformatik- und Informatik-Ausbildung an Hochschulen als
auch in Aus- und Fortbildungsseminaren der betrieblichen Praxis einen hohen Stel-
lenwert hat. Diesen hohen Stellenwert hat das Projektmanagement nicht erst seit
dem Entstehen der Begriffe „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“, denn
der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Erreichung
strategischer Wettbewerbsziele ist seit Jahrzehnten ein zentrales Thema der Wirt-
schaftsinformatik, insbesondere des Informationsmanagements. Dennoch gilt, dass
aufgrund der zunehmenden Anzahl, Größe und Komplexität von Digitalisierungs-
vorhaben Projektmanagement als Kompetenzfeld noch nie so bedeutsam war wie
heute. Gründe für die zunehmende Komplexität sind unter anderem die immer kür-
zer werdenden Technologiezyklen, ansteigende technische Komplexität und Ver-
netzung von Systemen sowie ein sich stark veränderndes Nutzer- und Mitarbeiter-
verhalten.
Informatik-Projekte sind in der Praxis oft solche Projekte, deren Zweck die Her-
stellung neuer oder die wesentliche Veränderung bestehender Informations- und
Kommunikationssysteme ist, im Folgenden kurz als Informationssysteme bezeich-
net. Informatik-Projekte sind daher Projekte, deren Gegenstand IT-Mittel sind. Der
Begriff „IT-Mittel“ wird dabei sehr weit gefasst, indem alles darunter verstanden
wird, was computerbasierte Mittel zur Befriedigung der Informationsnachfrage in
Wirtschaft und Gesellschaft sind. Unter „Management von Informatik-Projekten“
werden die Aufgaben, Methoden, Techniken und Werkzeuge verstanden, die zur
Planung und Realisierung von Informatik-Projekten bearbeitet werden müssen
bzw. diese unterstützen oder erst ermöglichen. Zu beachten ist, dass der Gegen-
stand eines Informatik-Projekts nicht identisch mit dem eines Software-Projekts
ist, ersterer ist umfassender. Da die Besonderheiten von Software-Projekten in ein-
schlägigen Lehrbüchern abgehandelt werden (z.B. in Büchern zum Software Engi-
neering sowie in Werken zu spezifischen Methoden der agilen Softwareentwick-
lung wie Scrum), wird zwecks tiefer gehendem Studium dieser Inhalte auf die exis-
tierende Fachliteratur verwiesen.
Viele Informatik-Projekte sind nur teilweise erfolgreich oder werden abgebrochen.
„Teilweise erfolgreich“ meint dabei, dass ein Projekt zwar abgeschlossen wird, es
jedoch zu Zeit- und/oder Kostenüberschreitungen kommt oder der geplante Funk-
tionsumfang des Systems nicht erreicht wird. Aussagen der Standish Group zufol-
ge (vgl. Chaos Report, der seit dem Jahr 1994 veröffentlicht wird) wurden im lang-
VI Vorwort
jährigen Schnitt nur rund ein Drittel der Informatik-Projekte erfolgreich abge-
schlossen (das bedeutet, das Projekt wurde dem Termin- und Kostenplan entspre-
chend und mit dem definierten Funktionsumfang abgeschlossen). Dieser Durch-
schnittswert hat eine geringe Standardabweichung und es ist auch nach den aktu-
ellsten verfügbaren Zahlen noch so, dass nur rund ein Drittel aller Informatik-
Projekte erfolgreich sind. Daraus folgt, dass rund zwei Drittel der Informatik-
Projekte nur teilweise erfolgreich sind oder abgebrochen werden. Selbst wenn man
berücksichtigt, dass manche Experten die Auffassung vertreten, dass die Aussagen
der Standish Group zu pessimistisch sind, ist es in Praxis und Wissenschaft unbe-
stritten, dass es in vielen Informatik-Projekten teilweise gravierende Probleme gibt.
Das vorliegende Buch soll einen Beitrag leisten, Wissen zum Management von
Informatik-Projekten zu vermitteln. Die Anwendung dieses Wissens beim prakti-
schen Handeln soll die Erfolgswahrscheinlichkeit von Informatik-Projekten erhö-
hen, damit in Zukunft möglichst viele Digitalisierungsvorhaben einen positiven
Ausgang nehmen.
Die Planung und Realisierung von Informatik-Projekten ist ein kooperativer und
kreativer Arbeitsprozess. Aus Sicht der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
wird dieser Arbeitsprozess primär als Interaktionsprozess zwischen den beteiligten
Systemplanern und -entwicklern, Benutzern sowie weiteren Stakeholdern aufge-
fasst und untersucht. Aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht steht der Einsatz von
Methoden, Techniken und Werkzeugen im Vordergrund, welche die Planung, Rea-
lisierung und Einführung von Informationssystemen unterstützen bzw. ermögli-
chen. Es ist ein Merkmal der Wirtschaftsinformatik, die sozial- und wirtschaftswis-
senschaftliche Sicht sowie die ingenieurwissenschaftliche Sicht zusammenzufassen
und zu integrieren. Aus diesem Blickwinkel der Wirtschaftsinformatik ist das vor-
liegende Buch entstanden.
Der Dank des Autors gilt allen, die beim Entstehen dieses Buchs mitgewirkt haben.
Allen voran ist Univ.-Prof. emeritus Dipl.-Ing. Dr. Lutz J. Heinrich zu danken, der
die 1. Auflage im Jahr 1997 veröffentlichte und motivierend auf mich einwirkte,
als ich mit ihm die Idee besprach, nach mehr als zwei Jahrzehnten das Werk „wie-
derzubeleben“ und eine 2. Auflage zu verfassen. Die Fähigkeit zur Abstraktion ist
gerade im akademischen Bereich eine bedeutsame Eigenschaft. Der Autor der 1.
Auflage abstrahierte in seinen Ausführungen in weiten Teilen. Statt Details darzu-
stellen, deren „Halbwertszeit“ aufgrund technologischer Entwicklungen gering ist,
fokussierte er auf die fundamentalen Konzepte, Aufgaben und Methoden sowie
deren Zusammenhänge. Damit schuf er die Voraussetzung, dass eine mehr als zwei
Jahrzehnte zurückliegende Veröffentlichung die Basis des vorliegenden Werkes
sein kann. Er stellte das Manuskript der 1. Auflage als Grundlage für diese neue
Auflage zur Verfügung. Die 1. Auflage hatte 46 Lerneinheiten, 14 Lerneinheiten
wurden aussortiert und 32 grundlegend überarbeitet. Zudem wurden 17 neue
Lerneinheiten verfasst. Die Ziele der Ergänzung dieser neuen Lerneinheiten sind:
(1) auf bedeutsame Entwicklungen im Projektmanagement einzugehen (Rahmen-
werke des Projektmanagements, Projektmanagementsoftware, Risikomanagement,
agile Methoden in Informatik-Projekten), (2) die Bedeutung des Menschen in In-
formatik-Projekten in den Mittelpunkt zu rücken (Psychologie, Führung und
Teamarbeit, Koordination, Stakeholder-Management, Konfliktmanagement, Ver-
Vorwort VII
änderungsmanagement, Technologieakzeptanz) und (3) in der Erstauflage nur am
Rande behandelte Themen vertiefter darzustellen (Erfolgsfaktoren des Projektma-
nagements, Evaluation, Anforderungsanalyse, Prozessmodellierung, Datenmodel-
lierung).
Ein besonderes Merkmal dieser neuen Auflage ist, dass in jeder Lerneinheit auf
Befunde wissenschaftlicher Forschung eingegangen wird. Dies ist nach Auffassung
des Autors ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Werks; es ist Ausdruck
eines am Markt der Projektmanagement-Bücher eher selten beobachtbaren akade-
mischen Anspruchs.
Ziel der 2. Auflage ist es auch, die Verwendung des Buchs mehr als bisher über die
Zielgruppe der Lehrenden und Lernenden an Universitäten und Fachhochschulen
hinaus auf Praktiker zu erweitern, die im Projektmanagement arbeiten. Die Inhalte
des vorliegenden Werks sind sowohl für Projektmanager und -mitarbeiter auf An-
wenderseite als auch für Manager, Projektverantwortliche und Mitarbeiter in Soft-
ware- und Internetunternehmen relevant. Die je Lerneinheit genannten Lernziele,
primär formuliert für Lernende in Studiengängen der Wirtschaftsinformatik und
Informatik sowie darüber hinaus der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftswis-
senschaften, sind auch als Aufforderungen zum Handeln für Praktiker zu verste-
hen. Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat der Autor mit Prof. Dipl.-
Ing. Dr. Harald Dobernig M.Sc. MBA, Hochschulprofessor an der Northern Busi-
ness School in Hamburg, eine Persönlichkeit zur Mitwirkung gewinnen können,
deren langjährige Erfahrung im Projektmanagement bei Siemens eine wertvolle
Grundlage für dieses Buch ist. Er wirkte von der Konzeption des Buchs bis zum
Verfassen der inhaltlichen Grundlagen von mehreren Lerneinheiten mit; er stand
mit Rat und Tat während des gesamten Entstehungsprozesses des Buchs zur Ver-
fügung. Namentlich sei weiter folgenden Personen gedankt: Thomas Fischer BA
M.Sc. sowie Mark C. Stieninger BA M.Sc.; Thomas Fischer verfasste die inhaltli-
che Grundlage für die Lerneinheit Prozessmodellierung, Mark C. Stieninger für die
Lerneinheit Datenmodellierung. Zudem half Florian Karlinger BA auf operativer
Ebene mit.
Der Autor verwendet das herkömmliche Maskulinum und verzichtet auf die meist
umständlichen Konstruktionen einer beide Geschlechter explizit ansprechenden
Formulierung. Wo möglich, wird eine Formulierung verwendet, die einen Ge-
schlechterbezug vermeidet. Dem Autor ist es ein Anliegen zu betonen, dass damit
keinerlei geschlechtsspezifische Absicht verbunden ist. Leserinnen und Leser sind
gleichermaßen angesprochen. Hinweise auf Fehler und sachkritische Anmerkun-
gen, die zur Verbesserung des vorliegenden Textes führen können, sind dem Autor
willkommen. Alle URL-Angaben im Buch waren per nachstehendem Datum funk-
tionsfähig.
René Riedl, am 31. Dezember 2018
Management von Informatik Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten René Riedl
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.....................................................................................................................V
Inhaltsverzeichnis....................................................................................................IX
Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten.......................................................XI
Einführung in das Management von Informatik-Projekten...............................1
EINFÜ - Einführung in das Management von Informatik-Projekten .......................3
Grundlagen des Projektmanagements ................................................................13
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15
PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29
PRORG - Projektorganisation.................................................................................39
PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55
PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73
ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95
EVALU - Evaluation.............................................................................................113
RISKM - Risikomanagement................................................................................125
Grundlagen von Informatik-Projekten.............................................................141
ZAMIP - Ziel, Aufgaben und Methodik von Informatik-Projekten .....................143
SYSIP - Systemtechnik und Informatik-Projekte .................................................155
PROIP - Prozessorientierung von Informatik-Projekten ......................................167
PROTY - Prototyping............................................................................................177
AGILM - Agile Methoden in Informatik-Projekten .............................................191
ZIELP - Zielplanung für Informatik-Projekte.......................................................207
ANFAN - Anforderungsanalyse............................................................................225
PFLIC - Lastenheft und Pflichtenheft...................................................................237
Projektphasen in Informatik-Projekten............................................................249
ZAMVS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Vorstudie.......................................251
ZAMFS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Feinstudie ......................................263
ZAMSE - Ziel, Aufgaben und Methodik des Systementwurfs.............................275
ZAMIM - Ziel, Aufgaben und Methodik der Implementierung ...........................285
ZAMIN - Ziel, Aufgaben und Methodik der Installierung ...................................301
Der Mensch in Informatik-Projekten................................................................317
PSYCH - Psychologie ...........................................................................................319
PROVE - Projektverantwortung und Projektgruppe.............................................343
FTEAM - Führung und Teamarbeit ......................................................................359
KOORD - Koordination........................................................................................371
STAKM - Stakeholder-Management ....................................................................383
KONFM - Konfliktmanagement ...........................................................................395
VERÄM - Veränderungsmanagement ..................................................................407
TECHA - Technologieakzeptanz ..........................................................................421
X Inhaltsverzeichnis
Planungsmethoden ..............................................................................................433
PROHB - Projekthandbuch ...................................................................................435
KREAT - Kreativitätstechniken............................................................................443
MEAUF - Methoden der Aufwandsschätzung......................................................455
NETZP - Netzplantechnik.....................................................................................465
Beschreibungsmethoden .....................................................................................479
ERFAS - Erfassungsmethoden..............................................................................481
DOKUM - Dokumentationsmethoden ..................................................................497
PRAET - Präsentationstechniken..........................................................................513
Analysemethoden.................................................................................................525
WIRTA - Wirtschaftlichkeitsanalyse....................................................................527
WERTA - Wertanalyse .........................................................................................539
INTER - Interaktionsanalyse.................................................................................551
Entwurfsmethoden ..............................................................................................563
PROMO - Prozessmodellierung............................................................................565
DATMO - Datenmodellierung..............................................................................581
SIMUL - Simulation..............................................................................................591
Qualitätsmanagement .........................................................................................605
QUALM - Qualitätsmanagement ..........................................................................607
REVAU - Reviews und Audits .............................................................................627
TESTM - Testmethoden........................................................................................637
Projektdiagnose ...................................................................................................651
PCONT- Projektcontrolling ..................................................................................653
PREVI - Projektrevision........................................................................................665
CHECK - Checklisten ...........................................................................................675
Schlagwortverzeichnis.........................................................................................689
Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten
AGILM - Agile Methoden in Informatik-Projekten .............................................191
ANFAN - Anforderungsanalyse............................................................................225
CHECK - Checklisten ...........................................................................................675
DATMO - Datenmodellierung..............................................................................581
DOKUM - Dokumentationsmethoden ..................................................................497
EINFÜ - Einführung in das Management von Informatik-Projekten .......................3
ERFAS - Erfassungsmethoden..............................................................................481
ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95
EVALU - Evaluation.............................................................................................113
FTEAM - Führung und Teamarbeit ......................................................................359
INTER - Interaktionsanalyse.................................................................................551
KONFM - Konfliktmanagement ...........................................................................395
KOORD - Koordination........................................................................................371
KREAT - Kreativitätstechniken............................................................................443
MEAUF - Methoden der Aufwandsschätzung......................................................455
NETZP - Netzplantechnik.....................................................................................465
PCONT- Projektcontrolling ..................................................................................653
PFLIC - Lastenheft und Pflichtenheft...................................................................237
PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73
PRAET - Präsentationstechniken..........................................................................513
PREVI - Projektrevision........................................................................................665
PROHB - Projekthandbuch ...................................................................................435
PROIP - Prozessorientierung von Informatik-Projekten ......................................167
PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29
PROMO - Prozessmodellierung............................................................................565
PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55
PRORG - Projektorganisation.................................................................................39
PROTY - Prototyping............................................................................................177
PROVE - Projektverantwortung und Projektgruppe.............................................343
PSYCH - Psychologie ...........................................................................................319
QUALM - Qualitätsmanagement ..........................................................................607
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15
REVAU - Reviews und Audits .............................................................................627
RISKM - Risikomanagement................................................................................125
SIMUL - Simulation..............................................................................................591
STAKM - Stakeholder-Management ....................................................................383
SYSIP - Systemtechnik und Informatik-Projekte .................................................155
TECHA - Technologieakzeptanz ..........................................................................421
TESTM - Testmethoden........................................................................................637
VERÄM - Veränderungsmanagement ..................................................................407
WERTA - Wertanalyse .........................................................................................539
WIRTA - Wirtschaftlichkeitsanalyse....................................................................527
ZAMFS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Feinstudie ......................................263
ZAMIM - Ziel, Aufgaben und Methodik der Implementierung ...........................285
ZAMIN - Ziel, Aufgaben und Methodik der Installierung ...................................301
ZAMIP - Ziel, Aufgaben und Methodik von Informatik-Projekten .....................143
XII Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten
ZAMSE - Ziel, Aufgaben und Methodik des Systementwurfs.............................275
ZAMVS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Vorstudie.......................................251
ZIELP - Zielplanung für Informatik-Projekte.......................................................207
Einführung in das Management
von Informatik-Projekten
Management von Informatik Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten René Riedl
EINFÜ - Einführung in das Management
von Informatik-Projekten
Lernziele
Sie können den Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ in Wissen-
schaftsdisziplinen und Lehrgebiete einordnen. Sie können die grundlegenden Be-
griffe Projekt und Management sowie die Konstrukte Projektmanagement und In-
formatik-Projekt erläutern. Sie kennen typische Gegenstände von Informatik-Pro-
jekten, insbesondere die (Re)Konstruktion und Implementierung von Informations-
und Kommunikationssystemen. Sie kennen Eigenschaften, die Informations- und
Kommunikationssysteme kennzeichnen. Sie kennen die Einordnung des Lernstoffs
in das Wirtschaftsinformatik- und in das Informatik-Studium sowie die Struktur, in
welcher der Lernstoff aufbereitet und dokumentiert wurde.
IT und IT-Mittel
Die Verwendung des Akronyms IT = Informationstechnologie ist in Wissenschaft
und Praxis weit verbreitet. Gemeint ist bzw. sind Informations- und Kommunikati-
onstechnik/en (I&K-Technik/en), also die technischen Hilfsmittel, mit denen In-
formation und Kommunikation in Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt oder erst
möglich gemacht werden (z.B. Hardware und Software). In einem weiteren Sinn ist
bzw. sind damit Informations- und Kommunikationstechnologie/n (I&K-Tech-
nologie/n) gemeint, also Verfahren und Methoden zur Anwendung und Nutzung
von I&K-Techniken. Beide werden zusammenfassend als IT-Mittel bezeichnet. IT-
Mittel sind also sowohl I&K-Techniken als auch die Verfahren und Methoden zu
ihrer Anwendung und Nutzung einschließlich Werkzeuge, kurz alle Hilfsmittel zur
Produktion, Verteilung und Nutzung von Information.
Projekt, IT-Projekt, Informatik-Projekt
Ein Projekt ist ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedin-
gungen in ihrer Gesamtheit – nicht nur einzelner Bedingungen, die für mehrere
Projekte gleich sein können – gekennzeichnet ist, wie (nach DIN 69901):
 Zielvorgabe;
 zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Begrenzungen;
 Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben;
 projektspezifische Organisation (Struktur- und Ablauforganisation).
Zweck von IT-Projekten ist die Evaluierung, Beschaffung, Veränderung, Sanie-
rung usw. von IT-Mitteln zur Unterstützung oder Ermöglichung von Information
und Kommunikation in Organisationen. Typische Gegenstände von IT-Projekten
sind daher die Evaluierung von Produkten (Hardware- und Software-Produkte) und
Dienstleistungen (z.B. Cloud Services) des IT-Markts, die Migration von Soft-
ware-Systemen (z.B. Migration von einem Betriebssystem auf ein anderes) sowie
die Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Informationssysteme.
4 Einführung
Projekte, deren Zweck die Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Informa-
tionssysteme (kurz: IS) ist, werden – zur Abgrenzung von allen anderen IT-
Projekten – als Informatik-Projekte (synonym: IS-Projekte) bezeichnet; welche im
Regelfall durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:
 in Abhängigkeit vom Kontext stark variierende Projektlaufzeit (je nach Projekt-
umfang von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren);
 mittlere bis große Anzahl beteiligter Personen und Institutionen;
 Schnittstellen zu anderen Projekten oder Komponenten der Informationsinfra-
struktur (z.B. zu bestehenden Informationssystemen), so dass eine „isolierte“
Sichtweise nicht möglich ist;
 geringer Projektfreiheitsgrad, da vorgegebene Planungsziele die Projektziele de-
terminieren;
 Ergebnisrisiko, weil aufgrund der Wirkung vieler Einflussfaktoren nicht sicher
ist, ob die Planungsziele erreicht werden;
 Unsicherheit bezüglich der Einhaltung von Termin-, Kosten-, Qualitäts-, Quanti-
täts- sowie Ressourcenzielen;
 Wettbewerb um die Ressourcen für die Projektabwicklung mit anderen Pro-
jekten (insbesondere um Budgets, Personal und Betriebsmittel).
Management und Projektmanagement
Unter Management wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Führen einer Organi-
sationseinheit verstanden (z.B. das Führen einer Abteilung oder einer Projektgrup-
pe), oder es wird damit die Personengruppe bezeichnet, die eine Organisationsein-
heit oder die gesamte Organisation (Top-Management) führt. In der Betriebswirt-
schaftslehre meint Management das Leitungshandeln in einer Organisationseinheit,
mit dem sich insbesondere der betriebswirtschaftliche Wissenschaftsbereich der
Managementlehre befasst. Diese Lehre fokussiert auf die Gestaltung, Lenkung und
Entwicklung zweckorientierter sozialer Systeme (z.B. eines Unternehmens). Die
Notwendigkeit zum Leitungshandeln besteht in jeder arbeitsteiligen Organisation.
Arbeitsschwerpunkte der Managementlehre sind die Managementtechnik und die
Menschenführung. Unter den verschiedenen Denk- und Erklärungsansätzen der
Managementlehre ist der verhaltenswissenschaftliche Ansatz für das Management
von Informatik-Projekten besonders bedeutsam, da Befunde wissenschaftlicher
Forschung zeigen, dass der Erfolg von Informatik-Projekten wesentlich durch psy-
chologische sowie soziologische Faktoren beeinflusst wird (z.B. Motivation,
Macht, Kommunikation und Bewältigung von Konflikten).
Management als Führungsaufgabe meint eine Menge von Strukturierungs-, Koor-
dinations- und Integrationsaufgaben, die für den Erhalt von arbeitsteilig organisier-
ten Institutionen (z.B. Unternehmen) und Vorhaben (z.B. Projekten) notwendig
sind. Sie sollen auf der materiellen Ebene eine zielorientierte Beschaffung, Kom-
bination und Verwertung von Ressourcen sichern, so dass Institutionen und Vorha-
ben leistungsfähig gemacht werden und bleiben. Management als Institution um-
fasst alle Positionen in Organisationen, die mit Führungsfunktionen ausgestattet
sind. Personen, die solche Positionen besetzen, werden als Manager bezeichnet
(z.B. ein Projektleiter als Projektmanager).
Einführung 5
Projektmanagement (PM) ist nach DIN 69901 die Gesamtheit von Führungs-
aufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projek-
tes. PM wird daher auch als Führungskonzeption angesehen. Das Management von
Projekten ist somit das Führungsinstrument für die fachübergreifende Koordination
von Planung, Überwachung und Steuerung bei der Abwicklung von Projekten.
Projektmanagement ist eine allgemeine, vom Projektgegenstand unabhängige Er-
klärung über und Handlungsanweisung für Führungsaufgaben, -organisation,
-techniken und -mittel der Planung, Überwachung und Steuerung bei der Abwick-
lung von Projekten. Präzisere Beschreibungen in der Fachliteratur unterstellen be-
stimmte Projektgegenstände. Diese reichen von der Planung und dem Bau industri-
eller Großanlagen (z.B. Anlagen der Stahlindustrie wie Hochöfen und Walzwerke)
und Gebäuden (z.B. Burj Khalifa in Dubai, das aktuell höchste Bauwerk der Welt)
über die Konstruktion und den Bau von Schiffen und Flugzeugen bis hin zu der in
diesem Buch betrachteten Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Infor-
mationssysteme. Dies weist darauf hin, dass eine über die allgemeine Projektmana-
gement-Methodik hinausgehende Erklärung und Gestaltung ohne Berücksich-
tigung des Projektgegenstands nicht möglich ist. Präzisere Erklärungen des Pro-
jektmanagements und praktisch verwertbare Handlungsanweisungen für das Pro-
jektmanagement erfordern Kenntnisse über den Projektgegenstand und seine Bear-
beitung. Handelt es sich um Informatik-Projekte, dann sind damit Kenntnisse über
die für diese Projekte typischen Gegenstände einschließlich der Prinzipien, Verfah-
ren, Methoden, Techniken und Werkzeuge gemeint, die zur Bearbeitung solcher
Projekte erforderlich und verfügbar sind.
Die Vielfalt der Gegenstände von IT-Projekten und damit der Prinzipien, Verfah-
ren, Methoden usw. ist groß (z.B. von IT-Outsourcingprojekten bis hin zu Platt-
form-Migrationsprojekten). Es ist daher nicht möglich, in diesem Buch alle zu be-
rücksichtigen. Das vorliegende Werk befasst sich daher im Wesentlichen nur mit
Projekten, deren Gegenstand die Schaffung neuer oder die wesentliche Verände-
rung bestehender Informations- und Kommunikationssysteme ist (hier als Informa-
tik-Projekte bezeichnet). Vieles, was dieses Buch enthält, ist jedoch auch für das
Management von Projekten mit anderen Projektgegenständen von Bedeutung.
Informations- und Kommunikationssysteme
Generell wird unter System der ganzheitliche Zusammenhang von Teilen, Einzel-
heiten, Dingen oder Vorgängen, die voneinander abhängig sind, ineinander greifen
oder zusammenwirken, verstanden. Ein System besteht aus einer Menge von Ele-
menten, die in bestimmter Weise miteinander in Beziehung stehen (miteinander
interagieren) und einen bestimmten Zweck erfüllen. Der Beziehungszusammen-
hang zwischen den Elementen ist deutlich dichter als der zu anderen Elementen, so
dass sich Systeme von ihrer Umwelt (von ihrem Umsystem) abgrenzen lassen.
Formal ausgedrückt: Ein System ist ein Gefüge, bestehend aus einer Menge von
Elementen, einer Menge von Verbindungen und einer Zuordnungsvorschrift der
Verbindungen auf die Elemente. Der Systemzweck wird durch adjektivische Be-
griffszusätze ausgedrückt (z.B. Verkehrssystem, Versorgungssystem, Computer-
system). Die Zusätze „Information“ und „Kommunikation“ verdeutlichen, dass der
6 Einführung
Zweck eines „Informations- und Kommunikationssystems“ Information und
Kommunikation ist.
 Information ist handlungsbestimmende Kenntnis über historische, gegenwärtige
oder zukünftige Zustände der Wirklichkeit und Vorgänge in der Wirklichkeit.
Erster Zweck eines Informations- und Kommunikationssystems ist es, dieses
Handlungspotential durch die datenmäßige Abbildung der Wirklichkeit und
durch Methoden zur Verknüpfung dieser Daten (Informationsproduktion) dem
Handelnden zur Verfügung zu stellen.
 Kommunikation ist der Austausch von Information zwischen den Elementen ei-
nes Systems und zwischen offenen Systemen. Zweiter Zweck eines Informa-
tions- und Kommunikationssystems ist es, Information zwischen den Elementen
des Systems und zwischen dem System und seiner Umwelt auszutauschen.
Information und Kommunikation stellen also zwei Aspekte eines Objekts dar: Oh-
ne Information keine Kommunikation, ohne Kommunikation keine Information.
Dieser sogenannte „siamesische Zwillingscharakter“ (nach Norbert Szyperski) bei-
der Phänomene macht es notwendig, sie in einem Informations- und Kommuni-
kationssystem miteinander verbunden zu betrachten. Dabei ist es korrekt, von In-
formationssystem zu sprechen, wenn sich das Hauptaugenmerk auf Information
richtet, und die Bezeichnung Kommunikationssystem zu verwenden, wenn sich das
Hauptaugenmerk auf Kommunikation richtet. Damit wird eine unterschiedliche
Sicht auf ein- und dasselbe Objekt benannt. In der Wirtschaftsinformatik und In-
formatik hat es sich allerdings eingebürgert, die Bezeichnung Informationssystem
zu verwenden, was unter anderem damit erklärt werden kann, dass es im betriebs-
wirtschaftlichen Sinn letztlich um Information geht und Kommunikation sozu-
sagen „nur“ das Vehikel zur Information (also Mittel zum Zweck) ist.
Multi-Projektmanagement
Die bisherigen Überlegungen gingen von der Annahme aus, dass sich der Blick des
Betrachters auf ein Projekt richtet; es war in diesem Sinn von Einzel-Projekt-
management die Rede. In einer realen betrieblichen Umgebung können mehrere,
im konkreten Fall viele Projekte gleichzeitig ablaufen. Daraus ergeben sich zusätz-
liche, über das Einzel-Projektmanagement hinausgehende Aufgaben, die als Multi-
Projektmanagement bezeichnet werden. Nach DIN 69909 bildet das Multi-
Projektmanagement einen organisatorischen und prozessualen Rahmen für das
Management mehrerer Projekte (z.B. in Form von Projektportfolios). Ein wesentli-
cher Aspekt ist dabei die Koordination mehrerer Projekte in Bezug auf Abhängig-
keiten und gemeinsame Ressourcen.
Einführung 7
Einordnung in die Wirtschaftsinformatik und Informatik
Zur Einordnung des Lernstoffs „Management von Informatik-Projekten“ in die
Wirtschaftsinformatik als Wissenschaft ist es notwendig, eine Vorstellung über
ihre Gliederung in Teilgebiete zu haben. Sobald der Gegenstandsbereich einer
Wissenschaft einen gewissen Umfang erreicht hat, erfolgt eine Gliederung in Teil-
gebiete. Nach Heinrich/Heinzl/Riedl bildeten sich Teilgebiete der Wirtschaftsin-
formatik im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung nur langsam heraus. Weiter
geben sie an, dass aktuell in der Wirtschaftsinformatik keine herrschende Meinung
zu einer Systematik der Teilgebiete besteht (man werfe hierzu einen Blick in die
Inhaltsverzeichnisse von einführenden Lehrbüchern). Status quo ist, dass in der
Wirtschaftsinformatik Themenbereiche, aus denen sich Teilgebiete entwickeln
können, entstehen und oft nach relativ kurzer Zeit wieder verschwinden. Gründe
hierfür sind die rasanten technologischen Entwicklungen sowie die immer wieder
beobachtbare Verhaltensweise von Technologiefirmen und Beratungsunternehmen,
bekannte Phänomene unter neuem Namen vorzustellen und zu verkaufen. Die
Wirtschaftsinformatik neigt dazu, sich an Moden zu orientieren. Dieser Umstand
war und ist Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses (siehe z.B. Mertens,
Mertens/Wiener, Riedl et al., Steininger et al.).
Trotz des Umstands, dass es in der Wirtschaftsinformatik-Forschung aktuell keine
vorherrschende Systematik der Teilgebiete gibt (von denen ein Teilgebiet IS-
Projektmanagement sein könnte), hat sich in der Lehre eine herrschende Systema-
tik herausgebildet. Seit dem Jahr 1984 gibt es Studienplanempfehlungen für die
Ausbildung in Wirtschaftsinformatik im Hochschulbereich. Aufgrund der raschen
technologischen Entwicklungen und der zunehmenden Konsolidierung der Diszip-
lin fanden in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Überarbeitungen dieser Studi-
enplanempfehlungen statt (die aktuellste Empfehlung wurde im Jahr 2017 veröf-
fentlicht, vgl. dazu Gesellschaft für Informatik e.V.). Aus der Sicht des Manage-
ments von Informatik-Projekten ist es bedeutsam, dass in diesen Empfehlungen
unmittelbar Bezug auf die Wichtigkeit von Projektmanagement genommen wird,
dabei wird auch die Bedeutung des Faktors „Mensch“ in Projekten explizit ge-
macht.
In der Empfehlung aus dem Jahr 1984 (Leitung: Peter Mertens) wird ein „Anfor-
derungskatalog für die Hochschulausbildung im Bereich der Betrieblichen Daten-
verarbeitung (Betriebsinformatik)“ spezifiziert (Informatik-Spektrum, Ausgabe 4,
1984, 256-258). Dieser Katalog enthält 19 Punkte, von denen sich einer ganz ex-
plizit auf Projektmanagement bezieht, nämlich „Systemplanung und Systemanaly-
se“ (vgl. Nr. 13). Die inhaltliche Beschreibung dieses Punktes umfasst unter ande-
rem „Projektorganisation, -planung, -steuerung und -überwachung“. Weitere Punk-
te, insbesondere „Software Engineering und Werkzeuge“ (Nr. 10, Inhaltsbeispiel:
„Vorgehensmodelle für die Softwareentwicklung“), „Organisation und Führung
von DV-Abteilungen“ (Nr. 14, Inhaltsbeispiel: „Mehrprojektplanung und Mitarbei-
tereinsatz in der Systementwicklung“) und „Ökonomische und soziale Wirkungen
der Informationsverarbeitung“ (Nr. 19, Inhaltsbeispiel: „Einführungsstrategien,
Akzeptanz“) beziehen sich auf in der aktuellen Fachliteratur bedeutsame Inhalte
des IS-Projektmanagements.
8 Einführung
In der Rahmenempfehlung für Diplom-Studiengänge Wirtschaftsinformatik an
Universitäten (Leitung: Karl Kurbel) aus dem Jahr 1992 (die als Fortschreibung
der Empfehlung aus dem Jahr 1984 angesehen werden kann), wird „Planung und
Realisierung betrieblicher Anwendungssysteme (einschließlich Projektmanage-
ment)“ als wesentlicher Studieninhalt genannt. Die Beschreibung dieses Punktes
umfasst unter anderem „Projektmanagement, Projektorganisation, Methoden und
Werkzeuge, projektübergreifende Planung und Kontrolle [sowie] Multiprojektma-
nagement“.
In der Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik
aus dem Jahr 2003 heißt es (Informatik-Spektrum, Ausgabe 2, 2003, 109): „Die
Berufstätigkeit des Wirtschaftsinformatikers bringt es mit sich, dass an bestimmte
Schlüsselqualifikationen (z.B. Arbeiten in interdisziplinären Projektteams …) hohe
Anforderungen zu stellen sind. Lehrveranstaltungen, in denen einschlägige Fähig-
keiten dazu vermittelt und geübt werden, müssen einen hohen Stellenwert erhal-
ten.“
In der Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik
aus dem Jahr 2007 (vgl. Gesellschaft für Informatik e.V.) werden acht Hauptaus-
bildungsbereiche für Wirtschaftsinformatik beschrieben, einer davon ist „Entwick-
lung und Management von Informationssystemen“. Dieser Hauptausbildungsbe-
reich umfasst inhaltlich „Projektmanagement für IS-Projekte“ sowie weitere mit
Informatik-Projekten in direkter Verbindung stehende Inhalte wie z.B. „Manage-
ment des Lebenszyklus von Informationssystemen und des organisatorischen
Wandels“ und „Vorgehensmodelle für die IS-Entwicklung“.
Auch in der aktuellsten Empfehlung 2017 (vgl. Rahmenempfehlung für die Aus-
bildung in Wirtschaftsinformatik an Hochschulen, Gesellschaft für Informatik e.V.)
wird die Wichtigkeit der Ausbildung in Projektmanagement explizit hervorgeho-
ben. Konkret wird im Hauptausbildungsbereich „Informationsmanagement“ ein
eigener Punkt „i) Projektmanagement: Projektinitiierung, -planung und -führung“
genannt. Zudem werden im Hauptausbildungsbereich „Entwicklung und Betrieb
von Informationssystemen“ in den Punkten a) bis f) Aufgaben beschrieben, die
beim Management von Informatik-Projekten im Mittelpunkt stehen (z.B. Problem-
analyse und Anforderungsdefinition, Architekturentwurf, Programmentwicklung
und Test, Gestaltung der Mensch-Computer-Schnittstelle, Systemintegration und
Vorgehensmodelle für die Entwicklung von Informationssystemen).
Kompetenzen im Projektmanagement werden auch in Empfehlungen für Bachelor-
und Masterprogramme im Studienfach Informatik als besonders wichtig erachtet
(trotz des Umstands, dass Informatik mehr auf technische Ausbildungsschwer-
punkte fokussiert als Wirtschaftsinformatik). In einer Empfehlung der Gesellschaft
für Informatik e.V. vom Dezember 2005 heißt es im Dokument „Empfehlungen für
Bachelor- und Masterprogramme im Studienfach Informatik an Hochschulen“:
„Projekt-Management-Kompetenz wird benötigt, um die Prozesse zu beherrschen
und insbesondere die eigene und anderer Personen Arbeit organisieren zu können.
Dazu müssen auch Grundkenntnisse im Schätzen und Messen von Aufwand und
Produktivität vorhanden sein. Die Studierenden sollten gelernt haben, bei begrenz-
Einführung 9
ten Ressourcen (Zeit, Personal, etc.) Lösungen zu erarbeiten, die allgemein aner-
kannten Qualitätsstandards genügen und von allen Beteiligten akzeptiert werden.
Dabei sollten sie verinnerlicht haben, sich nicht auf unrealistische Projekte einzu-
lassen.“
Stellt man die Frage der Einordnung des Managements von Informatik-Projekten
in ein Teilgebiet der Informatik, so bietet sich die Praktische Informatik an, und
hier ist wiederum eine Einordnung in die Softwaretechnik (Software Engineering)
zweckmäßig; Softwaretechnik befasst sich mit der professionellen Entwicklung
großer Softwaresysteme (vgl. zu dieser Einordnung einen Beitrag von Zül-
lighoven/Raasch zu „Softwaretechnik“ und hier insbesondere Abschnitt 13.6). Die
Zweckmäßigkeit dieser Einordnung wird auch durch Software-Engineering-Werke
aus dem angloamerikanischen Raum gestützt (z.B. Sommerville).
Da viele Hochschulen im deutschsprachigen Raum ihre Curricula auf der Basis
von Studienplanempfehlungen entwickeln, kann angenommen werden, dass Ab-
solventen der Wirtschaftsinformatik und Informatik – zumindest idealtypisch –
eine Ausbildung im Management von Informatik-Projekten (IS-Projekten) haben.
Die dargebotenen Aussagen aus einschlägigen Empfehlungen für die Hochschul-
ausbildung bilden die Grundlage für diese Annahme. Weiter zeigen die Empfeh-
lungen, dass IS-Projektmanagement ein bedeutsamer Ausbildungsschwerpunkt in
der Wirtschaftsinformatik ist, und auch für Informatiker mit ihrer eher technischen
Schwerpunktsetzung ist Projektmanagement ein unverzichtbarer Ausbildungsin-
halt, insbesondere dann, wenn im Studium ein Schwerpunkt auf Software-
Engineering gelegt wird.
Das vorliegende Werk geht von folgender These aus: Absolventen der Wirt-
schaftsinformatik sowie der Informatik, sofern ihr Fokus Software Engineering ist,
die über keine oder nur über unzureichende Kenntnisse im Projektmanagement
verfügen, haben ein verringertes Erfolgspotential in Bezug auf ihre berufliche Tä-
tigkeit.
Primär ist der Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ in das Lehrgebiet
der Wirtschaftsinformatik einzuordnen (trotz des Umstands, dass sich auch die In-
formatik, je nach Fokus mehr oder weniger intensiv, dieser Thematik widmet). Das
Ausbildungsziel kann hier so beschrieben werden: Absolventen sind in der Lage,
sowohl auf der Seite der Anbieter (Hersteller, System- und Softwarehäuser) als
auch auf der Seite der Anwender Informations- und Kommunikationssysteme zu
planen und zu realisieren.
Der vorliegende Lernstoff kann auch in das Lehrgebiet der Betriebswirtschaftsleh-
re eingeordnet werden, und zwar dann, wenn Wirtschaftsinformatik oder Fächer
mit anderen Bezeichnungen (z.B. Informationswirtschaft, Informationsmanage-
ment oder Digital Business Management) als Wahlpflichtfach oder als Wahlfach
vorgesehen sind. Das Ausbildungsziel kann hier so beschrieben werden: Absolven-
ten werden in der Praxis vor allem als Benutzer von Informationssystemen auftre-
ten. Sie bestimmen daher entscheidend die Anforderungen an die Konstruktion und
Implementierung dieser Systeme, wirken deshalb an der Schaffung und Verände-
10 Einführung
rung von Informationssystemen und somit in Informatik-Projekten aktiv mit. Der
Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ geht aber weit über das hinaus,
was Benutzer wissen müssen, um Benutzerbeteiligung erfolgreich praktizieren zu
können.
Forschungsbefunde zum Management von
Informatik-Projekten
Wo sind Forschungsbefunde zum Management von Informatik-Projekten publi-
ziert? Eine Antwort auf diese Frage ist bedeutsam, weil es ein wesentliches Anlie-
gen eines Werkes mit akademischem Anspruch wie dem vorliegenden sein muss,
Studierenden und Praktikern (neben Wissenschaftlern, die ohnehin mit dem Studi-
um wissenschaftlicher Quellen vertraut sind) die Auseinandersetzung mit Fachlite-
ratur „schmackhaft“ zu machen. In diesem Buch werden daher in jeder Lerneinheit
beispielhaft ausgewählte Forschungsbefunde vorgestellt. Auf dieser Basis soll die
Leserschaft dazu angeregt werden, nach weiteren Forschungsbefunden zu recher-
chieren, um die darin enthaltenen Erkenntnisse für das praktische Handeln nutzbar
zu machen und/oder weitere Studien zu initiieren. Da das Management von Infor-
matik-Projekten und die darin subsummierten Themenfelder interdisziplinär sind,
kann keine einfache Antwort auf obige Frage gegeben werden. Vielmehr ist es so,
dass Beiträge in Fachzeitschriften und Tagungsbänden sowie in wissenschaftlichen
Büchern aus unterschiedlichsten Disziplinen wie
 Projektmanagement (z.B. International Journal of Project Management, Project
Management Journal, International Journal of Managing Projects in Business),
 Information Systems (z.B. MIS Quarterly, Information Systems Research, Jour-
nal of Management Information Systems),
 Informatik (z.B. IEEE Transactions on Software Engineering, IEEE Transac-
tions on Engineering Management, Communications of the ACM),
 Management- und Organisationsforschung (z.B. Organization Science, Orga-
nization Studies, Management Science) sowie
 Psychologie (vgl. z.B. die in Wastian et al. zitierten Quellen)
bedeutsame Erkenntnisse liefern. Die Sichtung von Befunden unterschiedlichster
Disziplinen und deren Berücksichtigung im praktischen Handeln ist Erfolg deter-
minierend. Das Studium von Forschungsbefunden ist eine Grundlage für evidenz-
basiertes Management.
Neben dem Studium von Literatur aus Fachzeitschriften, Tagungsbänden und Wis-
senschaftsbüchern ist es auch bedeutsam, Veröffentlichungen von Institutionen mit
Bezug zum Projektmanagement zu beachten. Dies sind insbesondere Publikationen
des Project Management Institute (PMI, z.B. Project Management Body of Know-
ledge), der International Project Management Association (IPMA, z.B. ICB, eine
Kompetenzrichtlinie zur Beurteilung der Projektmanagement-Kompetenzen von
Projektleitern und -mitarbeitern) sowie des Institute of Electrical and Electronics
Engineers (IEEE, vgl. www.ieee.org, Suchbegriff: „project management“).
Einführung 11
Zur Gliederung des Lernstoffs
Der Lernstoff ist zunächst in einzelne Kapitel gegliedert, und zwar wie folgt:
 Grundlagen des Projektmanagements;
 Grundlagen von Informatik-Projekten;
 Projektphasen in Informatik-Projekten;
 der Mensch in Informatik Projekten;
 Planungsmethoden;
 Beschreibungsmethoden;
 Analysemethoden;
 Entwurfsmethoden;
 Qualitätsmanagement;
 Projektdiagnose.
Auf der zweiten Gliederungsebene ist der Lernstoff je Kapitel in mehrere Lernein-
heiten gegliedert. Jede Lerneinheit hat folgende Struktur:
 Lernziele;
 Definitionen und Abkürzungen, die in der Lerneinheit verwendet werden, wobei
auch die Übersetzung ins Englische angegeben wird; dies dient in Anbetracht
der häufigen Verwendung von Anglizismen in der Wirtschaftsinformatik und In-
formatik der Verbesserung der Verständlichkeit; in diesem Zusammenhang sei
auch auf die Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik, www.enzyklopaedie-der-
wirtschaftsinformatik.de/lexikon, sowie auf das Wirtschaftsinformatik-Lexikon
von Heinrich/Heinzl/Roithmayr hingewiesen;
 Stoffinhalt der Lerneinheit, der in Teilabschnitte untergliedert ist;
 Forschungsbefunde zum jeweiligen Stoffinhalt;
 Kontrollfragen zum jeweiligen Stoffinhalt;
 Quellenliteratur, also die Literatur, aus welcher der Stoffinhalt entnommen wur-
de, soweit es sich nicht um Allgemeinwissen bzw. um Arbeitsergebnisse des
Autors sowie der am Buch mitwirkenden Personen handelt;
 Vertiefungsliteratur, im Regelfall einschlägige Bücher sowie Forschungsartikel
aus Fachzeitschriften und Tagungsbänden, die ein weitergehendes Selbststudium
ermöglichen;
 Normen und Richtlinien, wobei ein Schwerpunkt auf Veröffentlichungen von
DIN – Deutsches Institut für Normung, ISO – International Organization for
Standardization und ähnlichen Institutionen gelegt wird (was aber nicht aus-
schließt, dass auch in Fachzeitschriften oder online publizierte „Guidelines“ ge-
nannt werden);
 Werkzeuge, womit als Software implementierte Methoden und Verfahren ge-
meint sind (hier werden die URLs angegeben, damit der Leser online Informati-
onen zu den Werkzeugen abrufen kann);
 interessante Links (hier werden URLs genannt, die weiterführende Informatio-
nen zum Themenbereich liefern, beispielweise Beiträge, Einträge im Glossar
oder Methodenbeschreibungen auf www.projektmagazin.de).
12 Einführung
Quellenliteratur
Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): Empfehlungen für Bachelor- und Masterprogramme im
Studienfach Informatik an Hochschulen. https://gi.de/fileadmin/GI/Hauptseite/Service/ Publi-
kationen/Empfehlungen/GI-Empfehlung_BaMa2005.pdf
Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): GI-Empfehlungen: Rahmenempfehlung für die Ausbil-
dung in Wirtschaftsinformatik an Hochschulen.
https://gi.de/fileadmin/GI/Hauptseite/Aktuelles/ Meldungen/2017/Empfehlung-
Wirtschaftsinformatik2017.pdf
Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in
Wirtschaftsinformatik. http://fb-wi.gi.de/fileadmin/gliederungen/fb-wi/wi-empf-2007.pdf
Heinrich, L. J./Heinzl, A./Riedl, R.: Wirtschaftsinformatik: Einführung und Grundlegung. 4. A.,
Springer, 2011
Heinrich, L. J./Heinzl, A./Roithmayr, F.: Wirtschaftsinformatik-Lexikon. 7. A., Oldenbourg,
2003
Mertens, P./Wiener, M.: Riding the digitalization wave: Toward a sustainable nomenclature in
Wirtschaftsinformatik: A comment on Riedl et al. (2017). Business & Information Systems
Engineering, 4/2018, 367-372
Mertens, P.: Moden und Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsinformatik. HMD – Praxis der Wirt-
schaftsinformatik, 250/2006, 109-118
Riedl, R./Benlian, A./Hess, T./Stelzer, D./Sikora, H.: On the relationship between information
management and digitalization. Business & Information Systems Engineering, 6/2017, 475-
482
Sommerville, I.: Software engineering. 9. A., Pearson, 2012
Steininger, K./Riedl, R./Roithmayr, F./Mertens, P.: Fads and trends in business and information
systems engineering and information systems research: A comparative literature analysis. Bu-
siness & Information Systems Engineering, 6/2009, 411-428
Wastian, M./Braumandl, I./von Rosenstiel, L. (Hrsg.): Angewandte Psychologie für das Pro-
jektmanagement: Ein Praxisbuch für die erfolgreiche Projektleitung. 2. A., Springer, 2012
Züllighoven, H./Raasch, J.: Softwaretechnik. In: Rechenberg, P./Pomberger, G. (Hrsg.): Infor-
matik-Handbuch. 4. A., Hanser, 2006, 795-837
Normen und Richtlinien
DIN 69901-1:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 1: Grundlagen
DIN 69901-2:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 2: Prozesse,
Prozessmodell
DIN 69901-3:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 3: Methoden
DIN 69901-4:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 4: Daten, Da-
tenmodell
DIN 69901-5:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 5: Begriffe
Gesellschaft für Informatik e. V.: https://gi.de/service/publikationen/empfehlungen/
Guidelines for Education in Business and Information Systems Engineering at Tertiary Instituti-
ons. Business & Information Systems Engineering, 3/2017, 189-203
Grundlagen des Projektmanagements
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15
PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29
PRORG - Projektorganisation.................................................................................39
PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55
PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73
ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95
EVALU - Evaluation.............................................................................................113
RISKM - Risikomanagement................................................................................125
Management von Informatik Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten René Riedl
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements
Lernziele
Sie kennen bedeutsame Rahmenwerke des Projektmanagements und ihre wesentli-
chen Eigenschaften. Sie kennen Organisationen, die diese Rahmenwerke entwi-
ckelt haben und weiterentwickeln, sowie bedeutsame Standards, die für die Pla-
nung und Realisierung von Projekten existieren. Sie können die verschiedenen Zer-
tifizierungssysteme der Organisationen beschreiben. Sie erkennen, dass mehrere
Rahmenwerke und Standards für das Projektmanagement existieren, die unter Be-
achtung der Spezifika von Informatik-Projekten in weiten Teilen auch auf die Ent-
wicklung von Informationssystemen anwendbar sind.
Definitionen und Abkürzungen
CMMI (Capability Maturity Model Integration) = eine Sammlung von Referenz-
modellen für verschiedene organisationale Anwendungsbereiche (z.B. Projekt-
planung), die vom Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mellon
University entwickelt wurde.
GPM (Gesellschaft für Projektmanagement) = Deutsche Gesellschaft für Projekt-
management e.V.; sie ist Mitglied in der International Project Management
Association.
ICB (IPMA Competence Baseline) = Kompetenzrichtlinie der IPMA zur Beurtei-
lung der Projektmanagement-Kompetenzen von Projektleitern und -mitarbeitern.
IPMA (International Project Management Association) = eine von Europa ausge-
hende Institution mit Sitz in den Niederlanden, deren Vision wie folgt angege-
ben wird: „Promoting competence throughout society to enable a world in which
all projects succeed.“ Sie ist zudem der internationale Dachverband nationaler
Projektmanagement-Gesellschaften und bietet ein anerkanntes Zertifizierungs-
programm zur Professionalisierung im Projektmanagement an.
OPM3 (Organizational Project Management Maturity Model) = ein vom PMI de-
finierter Standard für das organisationale Projektmanagement, der auf die Kom-
petenz fokussiert, Portfolios, Programme und Projekte nach Best Practices zu
planen und umzusetzen. Dieser Standard kann zur Bestimmung des organisatio-
nalen Reifegrads im Projektmanagement verwendet werden.
PMBOK (Project Management Body of Knowledge) = ein vom PMI herausgege-
bener prozessorientierter Leitfaden für das Projektmanagement, der weithin als
Projektmanagement-Standard angesehen wird.
PMI (Project Management Institute) = eine von Nordamerika ausgehende Institu-
tion mit Sitz in den USA, deren Ziel mit „advance the project management pro-
fession worldwide“ angegeben wird. Sie ist zudem der internationale Dachver-
band nationaler Projektmanagement-Gesellschaften und bietet ein anerkanntes
Zertifizierungsprogramm zur Professionalisierung im Projektmanagement an.
PMMM (Project Management Maturity Model) = ein an das CMMI angelehntes
Modell, das den Reifegrad einer Organisation mit fünf Stufen beschreibt.
16 Grundlagen des Projektmanagements
Rahmenwerke und Standards
Die steigende Bedeutung von Projektmanagement hat in den letzten Jahrzehnten
dazu geführt, dass verschiedene Institutionen einschlägige Rahmenwerke und
Standards entwickelt und veröffentlicht haben. Diese Rahmenwerke und Standards
definieren ein Grundkonzept des Projektmanagements, das im Kern Aufgaben des
Projektmanagements (vgl. Lerneinheit PROMA) und darüber hinaus weitere As-
pekte beschreibt (z.B. Phasen im Projektablauf sowie Kompetenzbereiche, die für
die Planung und Realisierung von Projekten notwendig sind). Bedeutsamste inter-
nationale Institutionen sind die International Project Management Association
(IPMA) und das Project Management Institute (PMI). Neben Rahmenwerken und
Standards, die von diesen beiden Institutionen veröffentlicht werden, gilt
PRINCE2 (PRojects IN Controlled Environments) als wichtiger Standard im Pro-
jektmanagement, der aktuell vom Office of Government Commerce (OGC; früher
CCTA, Central Computer and Telecommunications Agency), einer britischen Re-
gierungsorganisation, herausgegeben wird. PRINCE2 ist eine prozessorientierte
Projektmanagement-Methode.
International Project Management Association (IPMA)
Die International Project Management Association (IPMA) ist ein weltweiter
Dachverband verschiedener nationaler Projektmanagementverbände. Auf der Basis
von Vorgesprächen im Jahr 1964 wurde 1965 die IMSA (International Manage-
ment Systems Association) gegründet, die später in INTERNET (INTERnational
NETwork) umbenannt wurde. Im Jahr 1996 erfolgte die Umbenennung von IN-
TERNET in IPMA. Lange Zeit war der Hauptsitz der IPMA in der Schweiz, heute
ist er in den Niederlanden. Die Grundlage des Projektmanagementverständnisses
der IPMA ist die International Competence Baseline (ICB). Von ihr abgeleitet
existieren verschiedene National Competence Baselines (NCB), die aber üblicher-
weise lediglich Übersetzungen der ICB in die jeweilige Landessprache sind.
Kompetenzbegriff der IPMA
Der Ansatz der IPMA ist kompetenzorientiert, was bereits in der Vision der Institu-
tion zum Ausdruck kommt: „Promoting competence throughout society to enable a
world in which all projects succeed“. Es wird somit von der Annahme ausgegan-
gen, dass die handelnden Personen über die notwendige Kompetenz verfügen müs-
sen, um im Projektmanagement erfolgreich agieren zu können. Kompetenz ergibt
sich dabei nach Gessler aus den folgenden Bestandteilen:
 Zuständigkeit,
 Befugnis,
 Wissen,
 Können, Fertigkeiten sowie Geschick,
 Erfahrung und
 Einstellung.
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 17
Im Gegensatz zum PMI-Ansatz, der stärker prozessorientiert ist, wird den in die
Projektarbeit eingebundenen Personen kein Prozessmodell vorgegeben. Daraus
folgt, dass der Ansatz nach IPMA nicht vorgibt, wann im Projekt was zu tun ist.
Vielmehr wird davon ausgegangen, dass kompetente Personen dies situativ selbst
besser entscheiden können. Allerdings nimmt die IPMA in ihrer aktuellen Interna-
tional Competence Baseline (ICB) auch Bezug auf das Prozessmodell nach DIN
69901-2, so dass mittlerweile auch eine Bezugnahme auf Prozessabläufe besteht
(vgl. Gessler).
1. PM-technische Kompe-
tenzelemente
2. PM-Verhaltens-
kompetenzelemente
3. PM-Kontextkompetenz-
elemente
1.01 Projektmanagementerfolg 2.01 Führung 3.01 Projektorientierung
1.02 Interessierte Parteien
2.02 Engagement und Motiva-
tion
3.02 Programmorientierung
1.03 Projektanforderungen
und Projektziele
2.03 Selbststeuerung 3.03 Portfolio-Orientierung
1.04 Risiken und Chancen 2.04 Durchsetzungsvermögen
3.04 Einführung von Projekt-,
Programm- und Portfolioma-
nagement
1.05 Qualität
2.05 Entspannung und Stress-
bewältigung
3.05 Stammorganisation
1.06 Projektorganisation 2.06 Offenheit 3.06 Geschäft
1.07 Teamarbeit 2.07 Kreativität
3.07 Systeme, Produkte und
Technologie
1.08 Problemlösung 2.08 Ergebnisorientierung 3.08 Personalmanagement
1.09 Projektstrukturen 2.09 Effizienz
3.09 Gesundheit, Arbeits-,
Betriebs- und Umweltschutz
1.10 Leistungsumfang und
Lieferobjekte (Deliverables)
2.10 Beratung 3.10 Finanzierung
1.11 Projektphasen, Ablauf
und Termine
2.11 Verhandlung 3.11 Rechtliche Aspekte
1.12 Ressourcen 2.12 Konflikte und Krisen
1.13 Kosten und Finanzmittel 2.13 Verlässlichkeit
1.14 Beschaffung und Verträ-
ge
2.14 Wertschätzung
1.15 Änderungen 2.15 Ethik
1.16 Überwachung und Steue-
rung, Berichtswesen
1.17 Information und Doku-
mentation
1.18 Kommunikation
1.19 Projektstart
1.20 Projektabschluss
Abb. RAHPM-1: Kompetenzelemente der ICB im Projektmanagement (nach Gessler)
18 Grundlagen des Projektmanagements
Kompetenzelemente der ICB
Dem kompetenzorientierten Ansatz folgend gliedert die IPMA in ihrer ICB Pro-
jektmanagement (PM) in verschiedene Kompetenzelemente. Dabei werden nach
Gessler im Wesentlichen drei Kompetenzarten unterschieden:
 projektmanagementtechnische Kompetenzen,
 Verhaltenskompetenzen und
 Kontextkompetenzen.
Abbildung RAHPM-1 fasst die drei Kompetenzarten zusammen und nennt die je-
weiligen Kompetenzelemente.
Es gibt darüber hinaus noch die Kompetenzen von Project Management Consul-
tants (PMC). Während die drei dargestellten Kompetenzarten für Projektmanager
relevant sind, wird von Beratern (Consultants) ein um Beratungskompetenzen er-
weitertes Kompetenzspektrum erwartet (vgl. Abb. RAHPM-2).
1. PMC-technische Kompetenzelemente (Fachkompetenz-Elemente)
1.01 Strategien und Konzepte der Beratung
1.02 Phasen des Beratungsauftrags
1.03 Akquisitionsstrategien
1.04 Interventionen und Beratungsansätze
1.05 Kompetenzen und Techniken für effektive Durchführung von Beratungsinterventionen
1.06 Systematischer Ansatz in Beratung und Coaching
1.07 Analytische Methoden und diagnostische Werkzeuge
1.08 Bewertungsvorschläge
1.09 Fragetechniken und Diskussionsführung
1.10 Interview- und Befragungsmethoden
1.11 Methoden der Mitarbeitereinbindung
1.12 Großgruppenmethoden
2. PMC Verhaltenskompetenz-Elemente
2.01 Professionalität in Einstellung und Verhalten
2.02 Unterschiedliche Rollen in der PM-Beratung
2.03 Beziehungsmanagement
2.04 Umgang mit Widerständen
3. PMC Kontextkompetenz-Elemente
3.01 Organisationale Analyse und organisationales Verhalten
3.02 Managementprozess und Managementfunktion
3.03 Organisationale Entwicklung und Kultur
3.04 Veränderungsmanagement in Organisationen
3.05 Politik und Machtverhältnisse in Organisationen
3.06 Lernende Organisation und Wissensmanagement
Abb. RAHPM-2: Kompetenzelemente von Project Management Consultants (nach Gessler)
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 19
Die einzelnen Kompetenzelemente sind in der International Competence Baseline
(ICB) näher beschrieben; darüber hinaus hat die Gesellschaft für Projektmanage-
ment (GPM) ein umfangreiches Werk veröffentlicht, in dem jedes Kompetenzele-
ment ausführlich beschrieben wird (vgl. Gessler).
Level Projektmanager (PM) PM-Berater (CPMC)
A PM Executive Executive PM Consultant
Er ist für das Portfolio eines Unterneh-
mens oder eines Tochterunternehmens
verantwortlich und leistet einen Beitrag
zum strategischen Management eines
Unternehmens. Des Weiteren ist er für
die Entwicklung von PM-Prozessen ver-
antwortlich.
Er berät Unternehmen auf der Führungsebe-
ne in den Feldern strategische PM-Beratung,
organisationale Entwicklung, Vorbereitung
auf Assessments oder Zertifizierung. Die
Beratungstätigkeit umfasst Projekt-
Portfolios oder Multiprojekt-Management.
B Senior PM Senior PM Consultant
Er ist für alle Kompetenzelemente eines
komplexen Projektes verantwortlich und
nimmt eine allgemeine Management-
funktion wahr. Zusätzlich bedient er sich
angemessener PM-Prozesse, Tools und
Methoden.
Er hat Erfahrung mit bekannten Beratungs-
methoden und Beratungsinstrumenten sowie
in komplexen Interventionsmethoden. Er
berät Unternehmen auf der operativen Ebene
in den Feldern PM-Methoden sowie PM-
Instrumente, Coaching und Vorbereitung
von Projekten auf PM-Awards. Seine Bera-
tungstätigkeit umfasst Programme oder
komplexe Projekte.
C Zertifizierter PM PM Consultant
Er ist für das Management begrenzt
komplexer Projekte verantwortlich und
beherrscht die üblichen PM-Methoden,
Tools und Prozesse.
Er hat Erfahrung in fundamentalen Bera-
tungsmethoden und Beratungsinstrumenten
sowie in einfachen Interventionsmethoden.
Er berät Unternehmen auf der operativen
Ebene in den Feldern PM-Methoden sowie
PM-Instrumente, Coaching und Vorberei-
tung von Projekten auf PM-Awards. Die
Beratertätigkeit umfasst Einzelprojekte un-
terschiedlicher Komplexität.
D Zertifizierter Junior Projektmanager Associated PM Consultant
Er verfügt über ein breit gefächertes
Wissen im PM und kann dieses folge-
richtig anwenden.
Er kann Beratungsmethoden, Beratungsin-
strumente und einfache Interventionsmetho-
den anwenden und ist im Auftrag oder unter
Verantwortung eines PM-Consultants bei
Einzelaufgaben wie Moderation von Work-
shops und Besprechungen oder Auswertung
von erhobenen Daten tätig.
Abb. RAHPM-3: 4-Level-Zertifizierung der IPMA (nach Gessler)
Zertifizierungssystem der IPMA
Sowohl die IPMA bietet eine 4-Level-Zertifizierung von Level D als niedrigstem
bis zum Level A an (vgl. Abb. RAHPM-3). Parallel zu den Projektmanagerzertifi-
zierungen existiert die Zertifizierung zum Certified Project Management Consul-
20 Grundlagen des Projektmanagements
tant (CPMC), bei der zusätzlich zu den projektmanagementspezifischen Kompe-
tenzelementen auch die beratungsspezifischen Kompetenzelemente fokussiert wer-
den.
Sowohl die Projektmanagement-Zertifizierung als auch die CPMC-Zertifizierung
sind zweistufig aufgebaut. Neben einer formalen Prüfung der einzureichenden, um-
fangreichen Erfahrungsnachweise und Tätigkeitsberichte findet eine mehrstündige
Wissensüberprüfung statt.
Zertifikate haben eine Gültigkeit von fünf Jahren bevor sich der Inhaber einer Re-
Zertifizierung unterziehen muss. Die Zertifizierung wird durch unabhängige Zerti-
fizierungsstellen durchgeführt. Abbildung RAHPM-3 stellt die einzelnen IPMA-
Levels und die dazugehörigen Verantwortungsbereiche dar.
Project Management Institute (PMI)
Das Project Management Institute (PMI) wurde im Jahr 1969 in den USA gegrün-
det. Es ist Herausgeber des Project Management Body of Knowledge (PMBOK)
Guide, einem weltweit gültigen Standard für Projektmanagement. Ebenso wie die
IPMA ist das PMI bestrebt, die Profession des Projektmanagements durch die
Schaffung von globalen Standards und Qualifizierungsmaßnahmen kontinuierlich
weiterzuentwickeln.
Wissensgebiete des PMI
Analog zu den Kompetenzelementen der IPMA hat das PMI zentrale Wissensge-
biete definiert, die im PMBOK Guide beschrieben sind (vgl. PMI, 60ff.).
Wissens-
gebiete
Projektmanagement-Prozessgruppen
Initiierungs-
prozess-
gruppe
Planungs-
prozess-
gruppe
Ausfüh-
rungspro-
zessgruppe
Überwachungs-
und Steuerungs-
prozessgruppe
Abschluss-
prozess-
gruppe
1. Integrati-
onsmanage-
ment in Projek-
ten
1.1 Projek-
tauftrag ent-
wickeln
1.2 Projekt-
manage-
mentplan
entwickeln
1.3 Projekt-
ausführung
lenken und
managen
1.4 Projektar-
beit überwa-
chen und steu-
ern
1.5 Integrierte
Änderungssteu-
erung durchfüh-
ren
1.6 Projekt
oder Phase
abschließen
2. Inhalts- und
Umfangsma-
nagement in
Projekten
2.1 Inhalts-
und Um-
fangsma-
nagement
planen
2.2 Anforde-
rungen
2.5 Inhalt und
Umfang vali-
dieren
2.6 Inhalt und
Umfang steuern
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 21
sammeln
2.3 Inhalt
und Umfang
definieren
2.4 Projekt-
strukturplan
(PSP) erstel-
len
3. Terminma-
nagement in
Projekten
3.1 Termin-
management
planen
3.2 Vorgän-
ge definieren
3.3 Vor-
gangsfolge
festlegen
3.4 Ressour-
cen für Vor-
gänge schät-
zen
3.5 Vor-
gangsdauer
schätzen
3.6 Termin-
plan entwi-
ckeln
3.7 Terminplan
steuern
4. Kostenma-
nagement in
Projekten
4.1 Kosten-
management
planen
4.2 Kosten
schätzen
4.3 Budget
festlegen
4.4 Kosten
steuern
5. Qualitäts-
management in
Projekten
5.1 Quali-
tätsmanage-
ment planen
5.2 Quali-
tätssicherung
durchführen
5.3 Qualität
lenken
6. Personal-
management in
Projekten
6.1 Perso-
nalmanage-
ment planen
6.2 Projekt-
team zu-
sammenstel-
len
6.3 Projekt-
team entwi-
ckeln
6.4 Projekt-
team mana-
gen
22 Grundlagen des Projektmanagements
7. Kommunika-
tionsmanage-
ment in Projek-
ten
7.1 Kommu-
nikations-
management
planen
7.2 Kommu-
nikation ma-
nagen
7.3 Kommuni-
kation steuern
8. Risikoma-
nagement in
Projekten
8.1 Risiko-
management
planen
8.2 Risiken
identifizieren
8.3 Qualita-
tive Risiko-
analyse
durchführen
8.4 Quantita-
tive Risiko-
analyse
durchführen
8.5. Risiko-
bewälti-
gungsmaß-
nahmen pla-
nen
8.6 Risiken
steuern
9. Beschaf-
fungsmanage-
ment in Projek-
ten
9.1 Beschaf-
fungsma-
nagement
planen
9.2 Beschaf-
fungen
durchführen
9.3 Beschaffun-
gen steuern
9.4 Beschaf-
fungen ab-
schließen
10. Manage-
ment der Pro-
jektstakeholder
10.1 Stake-
holder iden-
tifizieren
10.2 Stake-
holderma-
nagement
planen
10.3 Enga-
gement der
Stakeholder
managen
10.4 Engage-
ment der Stake-
holder steuern
Abb. RAHPM-4: Projektmanagement-Prozessgruppen und Wissensgebiete (nach PMI)
Prozessbegriff und Prozessgruppen des PMI
Das PMI gliedert Projektmanagementprozesse in verschiedene Prozessgruppen, die
sich im Gegensatz zu den Kompetenzelementen der IPMA mehr entlang eines Pha-
senmodells orientieren. Grundsätzlich legt das PMI einen größeren Fokus auf die
Projektmanagementprozesse. Das hat den Vorteil, dass eine Art Checkliste (vgl.
Lerneinheit CHECK) entsteht, da in jedem Projekt unabhängig von konkreten
Rahmenbedingungen immer wieder teilweise dieselben, zumindest aber ähnliche
Prozesse durchlaufen werden. Es entsteht somit ein gewisser Grad an Standardisie-
rung und auch weniger kompetentes Projektpersonal sollte auf der Basis von Pro-
zessmodellen und Checklisten in der Lage sein, herausfordernde Projekte abzuwi-
ckeln. Ein möglicher Nachteil des Handelns nach Prozessmodellen ist, dass Projek-
te „im Formalismus verlaufen“ und die Akteure nicht die in vielen Informatik-
Projekten notwendige Flexibilität in ihren Handlungen entwickeln können. Dies
RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 23
kann letztlich dazu führen, dass Projekte nicht nur im Formalismus laufen, sondern
sich im Formalismus verlaufen. Im Einzelnen beschreibt das PMI folgende Pro-
zessgruppen (vgl. Abb. RAHPM-4):
 Initiierungsprozessgruppe, die zu Beginn eines Projekt und zu Beginn einer je-
den neuen Projektphase durchlaufen wird.
 Planungsprozessgruppe, die alle Prozessschritte der Planung und Detaillierung
eines Projektes beschreibt und sich dabei an den Projektzielen orientiert.
 Ausführungsprozessgruppe, die die Steuerung des Ressourceneinsatzes sowie
Teamentwicklung und Qualitätsmanagement beinhaltet.
 Überwachungs- und Steuerungsprozessgruppe, die die laufende Überwachung
und das Controlling samt Änderungsmanagement beschreibt.
 Abschlussprozessgruppe, die alle Prozessschritte zur Übergabe und administra-
tiven Vertragsbeendigung beinhaltet.
Zertifizierungssystem des PMI
Da die Anforderungen hinsichtlich Zugangsvoraussetzungen sowie Prüfungen
beim PMI niedriger sind als bei der IPMA, haben Zertifizierungen des PMI einen
höheren Verbreitungsgrad (vgl. z.B. Ahlemann/Teuteberg). Eine Beraterzertifizie-
rung existiert im Gegensatz zur IPMA beim PMI nicht. Abbildung RAHPM-5 gibt
eine Übersicht über die PMI-Zertifizierungen und die verschiedenen Stufen.
Abb. RAHPM-5: Überblick PMI-Zertifizierungen (nach PMI Austria)
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etwas größer zu, befestigt sie erst am Buche und schneidet sie
nachher passend; der Fachmann nennt dies »For miere n«. Ober-
und Unterkanten sollen je nach Größe und Dicke des Bandes 3–5
mm überstehen, während die Vorderkante meist noch einen mm
breiter gelassen wird.
Vor der Befestigung der Deckel am Buche, welche Arbeit das
»Ans etzen« heißt, werden dieselben für alle besseren Bände mit
Papier beklebt, »gefütter t«, und zwar Halbfranzbände auf der
inneren Seite allein, Ganzlederbände auf beiden Seiten. Das Papier,
stets mit Kleister aufgeklebt, wird am hinteren Rande, der
»Ans a tzka nte«, umschlagen, damit dieselbe sich nicht staucht.
In Frankreich und England wird, abweichend von der deutschen
Weise, das geleimte und gerundete Buch vor dem Beschneiden
angesetzt und mit den Deckeln beschnitten; wir kommen später
hierauf zurück.
Fig. 52. Pappschere von Chr. Mansfeld in Leipzig.
Man kann die Deckel auf dreierlei Weise ansetzen:
»durchziehen«, »a uf tiefen Fa lz a n s etzen«, »a uf die
Bünde a ns etzen«; das Durchziehen geschieht auf folgende
Weise: 1 cm von der Ansetzkante entfernt wird mit dem Zirkel eine
Linie hergestrichen und auf dieser die Durchstichstellen für die
Bünde markiert; der Deckel wird dazu auf dem Buche genau in die
Lage gebracht, welche er am fertigen Buche haben soll. Das
Durchstechen geschieht mit einer spitzen Ahle und in schräger
Richtung nach der Vorderkante zu. Alsdann wendet man den Deckel
um und sticht etwas rechts seitwärts und 1 cm weiter zurück zu
jedem Bunde ein zweites Loch in derselben Weise. Die Bünde, deren
lose Enden nicht unter 7 cm lang sein dürfen, werden zunächst in
ganzer Länge gekleistert, einige Male durch die Finger gezogen, spitz
gedreht, dann einer nach dem andern durch das erste Loch nach
innen, und durchs zweite wieder nach außen gezogen, während der
Deckel aufrecht im Falz steht. Indem man nun das Buch dicht vor
sich nimmt, zieht man die Bünde bei noch hochstehendem Deckel
kräftig heran, legt den aufgeschlagenen Deckel auf eine Metallplatte
und klopft die Bünde von beiden Seiten des Deckels mit dem
Hammer gut nieder; das überstehende Ende wird glatt
abgeschnitten und der Deckel vorsichtig zugelegt. Das Buch wird
alsdann gewendet und die andere Seite genau ebenso behandelt.
Damit später die Deckel sich gut und frei auflegen, wird schon vor
dem Abpressen eine Lage Makulatur vor den Endbogen leicht
angeklebt und bis zum Fertigmachen des Bandes mit bearbeitet; es
ist dies unbedingt notwendig, denn nur so ist der wirklich schöne
Falz zu erlangen, den wir mit Recht an englischen und französischen
Bänden bewundern.
Einfacher ist das Ansetzen »a uf tiefen Fa lz«. Die Deckel
werden passend auf das Buch gelegt, die nicht mehr als etwa 4 cm
langen Bünde mit einem Messer gleichmäßig auf den Deckel
herübergestrichen und mit Kleister strahlenförmig und recht glatt
festgeklebt; darüber kommt ein Streifen Papier, der die Bünde deckt.
Nachdem die Rückseite in derselben Weise behandelt worden ist,
wird der Band, am besten unter Vorlage von Zinkblechen, zwischen
Brettern eingepreßt.
Wir erwähnten schon oben das »For mieren«, welches für gute
Bände selbst in solchen Werkstätten noch üblich ist, die mit
Pappscheren versehen sind, da der sehr glatte Schnitt des Messers
selbst von der schärfsten Pappschere nicht erreicht wird. Zu dieser
Arbeit dient ein »Ka ntenl in ea l«, d. i. ein dünnes, je nach
Buchgröße längeres oder kürzeres Lineal, an dessen einem
Längsrande eine schmale Schiene in der Breite der Buchkante
aufgenietet ist.
Die eben erwähnte glatte Deckelkante erzielt man in England und
Frankreich dadurch, daß man die Bücher oben und unten mit den
Deckeln in der Beschneidepresse beschneidet; auch der
Vorderschnitt wird meist nicht in der Maschine geschnitten. Während
wir in Deutschland den Vorderschnitt zuerst machen, schneidet man
dort die kürzeren Schnitte zuerst, indem man die durchgezogenen
Deckel beim Unterschnitt nach oben, beim Oberschnitt nach unten
zurückschiebt, mit Winkel und Bleistift die genaue Schnittlinie
verzeichnet, den Band einsetzt und abschneidet; dadurch erreicht
man eine genau parallele und an beiden Seiten gleich überstehende
Kante. Zum Schneiden des Vorderschnittes schlägt man die Deckel
zurück und macht das Buch wieder gerade, was in Frankreich unter
Anwendung des sogenannten »Persierens« geschieht. Die Deckel
werden zurückgeschlagen, das Buch zwischen zwei Spalten gefaßt
und durch Hin- und Herdrücken mit den Spalten nach und nach in
eine gerade Richtung gebracht, in der es eingesetzt und beschnitten
wird. Etwas abweichend verfährt man in England; indem man den
ganzen Band mit dem Rücken auf den Tisch stemmt, drückt man mit
den Deckeln den Band nach hinten, wonach man diesen selbst mit
zwei eisernen Klammern, die oben und unten angeschoben werden,
in der so erreichten geraden Lage festhält und zum Beschneiden
einsetzt. In beiden Fällen wird die Vorderkante der Deckel am Lineal
mit dem Messer geschnitten.
Bei geringeren Arbeiten setzt man die Deckel an, indem die
Bünde auf den Flügelfalz, und auf diesen die Deckel aufgeklebt
werden, welche letzteren man vorher etwa 4 cm breit mit Kleister
auf der Innenseite anschmiert.
In jeden Falle, gleichviel welche Ansatzweise in Anwendung kam,
wird der Band nach dem Ansetzen der Deckel einige Zeit, je länger
desto besser, eingepreßt.
Schon früher (S. 45) haben wir bemerkt, daß der gewöhnliche
Halbleinenband auf einfachere Weise mit sogenanntem
»gebrochenem Rücken« hergestellt wird. Derselbe wird aus
nicht zu dickem, aber kräftigem Stoff, am besten Aktendeckel
gemacht. An demselben sind außer dem eigentlichen Rückenteil die
Gelenke und je ein Flügel zum Ankleben unter den Deckel
herzustellen. Ein Stück Aktendeckel, 2 cm langer als das Buch, 5 cm
breiter, als der Rücken über der Rundung beträgt, wird an beiden
Längsseiten mit scharfem Messer etwas verlaufend abgeschärft,
damit unter dem Papier ein Absatz möglichst vermieden wird. Mit
einem Streifen Papier wird die Rundung über den Rücken gemessen
von Falz zu Falz, in den Zirkel genommen und oben wie unten auf
die Mitte des Rückens übertragen. Diesen Punkten gemäß wird am
Lineal her mit dem Falzbein ein Strich gemacht und der Ansatzflügel
längs des Lineals in die Höhe gebogen und mit dem Falzbein hart
daran hergestrichen. Sind beide Rückenbrüche in dieser Weise
hergestellt, so biegt man die beiden Ansatzflügel auf den Brüchen
vollends um und streicht sie recht fest nieder. Damit der Deckel sich
aber recht frei auflege, wird ein zweiter Bruch, der sogenannte
Falzbruch, gemacht. Das Lineal wird im Rücken parallel mit dem
ersten Bruch, aber etwa ¼ bis ½ cm (je nach Größe des Buches)
nach innen gerückt, angelegt und auf den herübergelegten
Ansatzflügel ein zweiter Bruch an das Lineal herangerieben. Der
innere Teil des Rückens wird mittelst Durchziehens unter dem
Falzbein gerundet. Der nun zum Ansetzen fertige Rücken muß diese
Form haben.
Die beiden Ansatzflügel werden angeschmiert, ans Buch geklebt
und darauf die Deckel angesetzt, eingepreßt und nachher formiert,
wenn die Deckel nicht vorher passend waren. Alles Kleben geschieht
mit Kleister. Bei sehr dicken Bänden wird vor dem Ansetzen noch ein
zweiter Streifen in den mittleren Teil des Rückens eingeklebt. —
Somit sind wir schon am Rücken des Buches angekommen, haben
jedoch noch einiges über diesen Bestandteil der Decke
vorauszuschicken.
Der sogenannte »fes te R ücke n« war bis gegen Ende des 15.
Jahrhunderts allein üblich; das Leder wurde, nachdem der Rücken
zwischen den Bünden mit weichen Pergamentstreifen bis auf den
Deckel herüber überklebt worden war, fest aufgeklebt. Alles Kleben
geschah mit Kleister, und es scheint, als sei der Leim dem Binder
damaliger Zeit durchaus unbekannt gewesen und erst beim
Aufkommen des Druckpapieres — mit dem Planieren — zur
Verwendung gekommen; selbst ein »L eim en« des Rückens fand
nicht statt, die Befestigung wurde mit Kleister erreicht. Die festen
Bände mit den unverwüstlichen Rücken von weißem Schweinsleder
sind männiglich bekannt; ihre Dauerhaftigkeit steht aber zur
Bequemlichkeit beim Gebrauch im umgekehrten Verhältnis, denn
wenn ein solches Buch nicht ein sehr großes Format besitzt, so
schlägt es sich nie recht auf, und das geöffnete Buch muß auf
beiden Seiten beschwert werden, um das Zuklappen zu verhindern.
Auch alle späteren italienischen, französischen und englischen
Einbände haben noch feste Rücken. Erst als das Pergament als
Überzug der Decke in Gebrauch kam, änderte sich dies, da
Pergament sich nicht so weit dehnt, daß es über die Bünde auf den
Rücken geklebt werden kann. Die ersten Bände dieser Art finden
sich gegen 1600 (der älteste, dem Schreiber dieses bekannte datiert
London 1565), doch blieb bei Verwendung anderer Ledersorten der
feste Rücken nach wie vor in Übung, bis der im 18. Jahrhundert
eingeführte »Pa ppba nd« mit gebrochenem Rücken allgemein
wurde. Auch der Lederband erhielt nun den »hoh len Rü cken«,
der den Vorzug hat, daß er beim geschlossenen Buche fest anliegt,
beim Aufschlagen aber sich ablöst und ein Durchbiegen des
inneren Rückens gestattet. Damit der Buchkörper an und für sich
genügende Festigkeit erhält, wird der Rücken desselben mit einem
weniger dicken, als zähen Schreibpapier überklebt, bei
Halbleinenbänden mit gebrochenem Rücken vor dem Ansetzen, bei
anderen Bänden nach dem Ansetzen in der Presse.
Schwieriger ist die Sache beim Ha lbfra nz ba n de, denn hier
wird der Rücken sofort beim Überkleben geformt. Zu diesem Zwecke
wird jeder Band einzeln in eine Presse gesetzt, so daß der Rücken
frei nach oben steht. Dieser wird mit Leim mäßig bestrichen, und ein
besonders zähes Papier, welches etwas länger als der Band und etwa
5–6mal breiter als der Rücken ist, aufgeklebt, und mit einem
Falzbein gut angerieben. Auf der einen Seite wird das Papier am Falz
her mit einem Messer glatt weggeschnitten, am anderen Falz her
wird das Papier über den Rücken zurückgebrochen. An der glatt
geschnittenen Seite wird ganz schmal Leim gegeben und der
herübergelegte andere Teil des Rückenpapieres hier angeklebt und
gut angerieben. Jetzt wird abermals über den Rücken
zurückgebrochen, aber der vorher gespannte Teil angeschmiert, das
Ende aufgeklebt und angerieben. Am Falz wird abermals
zurückgebrochen, aufgeklebt und dies fortgesetzt, bis der Rücken
eine der Schwere des Buches entsprechende Dicke erreicht hat.
Wenn das Rückenpapier nicht allzudünn ist, genügen 5 geklebte
Lagen für ein mittleres Buch. Am Falz der letzten Papierlage wird das
Papier glatt weggeschnitten.
Hierbei ist zu bemerken, daß jede Lage die vorhergehende nicht
überragen darf, sondern eher eine Kleinigkeit zurückstehen muß,
damit der Rücken nicht höher wird als die Deckel. Soll ein solcher
Band keine erhabenen Bünde auf dem Rücken erhalten, so ist er
jetzt schon fertig zum Einledern, nachdem der Rücken oben und
unten noch mit den Deckeln gleichhoch abgeschnitten wurde, was
zweckmäßig mit einer Schere geschieht.
In gewöhnlichen Werkstätten, welche nach älterer deutscher
Manier arbeiten, wird der Rücken einfacher hergestellt; ein Streifen
Aktendeckel, so lang als die Deckel, wird auf die genaue Breite des
Rückens von Falz zu Falz gemessen, zugeschnitten und gerundet,
indem er unter dem Falzbein in wiegender Bewegung durchgezogen
wird. An beiden Längsseiten schmal angeschmiert, wird er auf den
Rücken passend angehängt; er soll sich überall genau an den
Buchkörper anschmiegen und nirgends abstehen. Die weitere
Behandlung deckt sich mit der vorher beschriebenen.
Wie früher, beim festen Rücken und mit ums toc hen en
Heftschnüren, die Bünde sich erhaben abzeichneten, so kleben wir
auch heute meistens »un ech te Bünde« von schmalen
Lederstreifen auf dem Buche auf, die möglichst die wirklichen
Heftbünde decken sollen. Diese Art ist für alle besseren Leder- und
Halbfranzbände zu empfehlen, wo nicht ganz besondere Zwecke
einen glatten Rücken erfordern, wie etwa bei einzelnen Arten der
Rokokobände.
Je schmäler der aufgeklebte Bund ist, desto schöner ist er. Die
Streifen werden etwas länger als Rückenbreite zugeschnitten, genau
rechtwinkelig zum Falz aufgeleimt und an diesem mit einem scharfen
Messer so abgeschnitten, daß er vom Rücken nach dem Falz zu ganz
dünn verläuft.
Das Überziehen, »Einleder n«, häufiger »da s
L eder ma chen« genannt, erfordert als Vorarbeit das »S chä r fe n«
des Leders. Man versteht darunter das Verdünnen oder Abflachen
des Leders nach den Enden zu und in den Fälzen. Dies hat den
Zweck, zu verhüten, daß Ränder oder Enden auf die daran- oder
darübergeklebten Teile zu stark »auftragen«. Zu dieser Arbeit dient
das »S chä r fme s s er«, mit dem auf dem »S chä r fs tein« von
Marmor oder Solenhofer Schiefer die entsprechende Behandlung
vorgenommen wird. Je nach der Arbeitsweise unterscheiden wir das
»S chä r fen« und »Stoß en«, und demgemäß verwendet man die
sogenannte B er l iner und O ffen ba c her Form des Schärfmessers
mit mehr schneidender, und die Pa r is er und Wien er Form mit
mehr stoßender Bewegung, ähnlich dem Hobeln des Tischlers. Um
bei der Arbeit die Finger zu schützen, wird der hintere Teil des
Messers bis zum Heft mit Leder umklebt. Der Schärfstein muß
entweder genügend schwer sein, damit er beim Arbeiten nicht
ausweicht, oder in einen Holzrahmen gefaßt werden, an dessen
unterer Vorderkante eine angeschraubte Leiste gegen die Tischkante
anstößt. Der Stein selbst ist nicht allein auf seiner Oberfläche
geschliffen und poliert, sondern auch die Vorderkante ist sorgfältig
gerundet, damit das zu verarbeitende Leder keine Marken oder
Verletzungen erhält.
Gleichviel welcher Art das Schärfmesser ist, immer hält die linke
Hand das Leder mit dem Daumen gegen die vordere Kante des
Steines gepreßt, während die anderen Finger ausgespreizt das Leder
an der zu bearbeitenden Stelle straff anspannen; die Rechte führt
das Messer. Die Stoßmesser arbeiten Strich an Strich von rechts nach
links, die Schärfmesser arbeiten stoßend und zugleich schneidend
von links nach rechts. — Zur Zeit findet man in den besseren
Werkstätten beide Arten von Messer vertreten, und zwar wird meist
für dünnere Leder und zum schmalen Schärfen (die gewöhnliche Art)
meist Offenbacher, für dickes Leder und zum breit Ausschärfen
Pariser Form benutzt.
Fig. 53. Offenbacher und Pariser Messerform.
Man unterscheidet mehrere Arten des Schärfens: »Abs toß en«,
»Eins chla gs chä r fen«, »Au s s ch ä r fen« bei größeren Flächen.
Erstgenannte Arbeit ist die leichteste; wie zu jeder Art des Schärfens
wird das Leder erst »ger ibbel t«, d. h. der zu schärfende Lederteil
wird nach der Fleischseite zu umgeschlagen und durch Hin- und
Herrollen auf dem Stein unter den Fingern der rechten Hand mürbe,
geschmeidig, und zum Schärfen geeigneter gemacht. Nur dünnere
Sorten, Spalt-, Kalb-, Bastard- und Bockleder, werden abgestoßen,
d. h. es wird davon ein etwa 1 cm breiter Streif nach den Kanten zu
verlaufend abgenommen, während dickere Ledersorten breiter
ausgeschärft werden müssen.
Wir müssen an dieser Stelle über das Zuschneiden des Leders
noch einiges nachholen. Es kommt zuerst in Frage, ob der Band, zu
dem gerade Leder zuzuschneiden ist, in Ganz- oder Halbleder
gebunden werden soll. In jedem Falle ist es zweckmäßig, zuvor ein
Papiermuster zu schneiden, welches die Größe des Leders nebst der
für den Einschlag erforderlichen Zugabe darstellt. Nach diesem
Muster wird die Größe auf der Vorderseite des Felles mit einem
Falzbein abgezeichnet und dann herausgeschnitten. Dies muß auf
der Vorderseite geschehen, damit kleine Fehler oder Flecken im
Leder entweder umgangen oder doch an eine Stelle gebracht
werden können, wo sie nicht bemerkbar sind. Die Ecken werden so
schräg abgeschnitten, daß das Leder, wenn es von beiden Seiten
über den Deckel geschlagen ist, über der Ecke noch etwas
übereinander geht.
Beim Schärfen muß auf die einzelnen Teile des Buches Rücksicht
genommen werden. Wird bei dünnem Leder die Kante ringsherum
auch nur wenig abgestoßen, so muß doch der Teil, der an den
Kapitalen über den Rücken eingeschlagen wird, etwas breiter
abgeschärft werden, damit hier das Leder am Rücken, der ja schon
durch das angeheftete oder angeklebte Kapital eine Verstärkung
erfahren hat, nicht nochmals verdickt wird.
In den Fälzen schabt man das Leder mit dem ziemlich flach
gehaltenen Messer nur etwas aus, damit es geschmeidig wird. Es
empfiehlt sich, vor dem Schärfen das Leder um das Buch
herumzuschlagen und alle Kanten, sowie auch die Fälze mit einem
Falzbein genau vorzuzeichnen, um beim Schärfen sich danach
richten zu können.
Bei Verwendung dickerer Ledersorten muß der Einschlag breiter
abgeschärft werden. Nachdem auch hier alle Kanten genau
vorgemerkt sind und auch das Ribbeln sorgfältig ausgeführt ist, wird
zunächst ringsherum die Kante abgestoßen; dann aber bis über den
vorgezeichneten Strich hinaus, oder richtiger gesagt hinter der
Vorzeichnung beginnend, das Leder breit ausgestoßen, so zwar, daß
merkliche Unebenheiten, Vertiefungen oder stehen gebliebene Teile
mit den Fingerspitzen nicht zu fühlen sind, auch an der
Umschlagestelle das Leder sich weich und geschmeidig umlegen
läßt; ebenso muß der Falz, sowohl vom Deckel als vom Rücken her,
gut und gleichmäßig ausgestoßen sein.
Am schwierigsten ist es, ganze Rücken oder überhaupt größere
Stücke auszuschärfen, wie dies bei Marokko oder echtem Saffian,
auch bei Schweinsleder häufig vorkommt. Unter allen Umständen ist
dies auch an sehr breiten Einschlägen bei Ganzlederbänden
notwendig, die später mit innerer Kantenvergoldung versehen
werden sollen.
Ein durchaus scharfes Messer, das wiederholt auf einem guten
Ölstein abzuziehen ist, und eine sichere Handführung sind für diese
Arbeit unbedingtes Erfordernis, vor allem aber lange und fleißige
Übung. Wem die Zeit beim Schärfen zu lang wird, der kann diese
Arbeit, von der das saubere und gefällige Aussehen eines Bandes
abhängig ist, nie erlernen. Deshalb lasse sich niemand, besonders im
Anfang nicht, die Mühe verdrießen, an einer größeren Decke für den
Rücken und dem 4 Finger breiten Einschlag einen halben Tag zu
schärfen. Später geht die Arbeit schon schneller, und was beim
Schärfen an Zeit verloren ging, wird beim Ledermachen und
Vergolden reichlich wieder eingebracht. Die Ecken des Leders für
Halbfranzbände müssen zunächst nach einer genauen Schablone
zugeschnitten werden in der Form: Die lange Seite wird nur
schmal abgestoßen, während alle anderen Seiten breiter
ausgeschärft werden. Sehr dickes Leder wird gleichmäßig dünner
geschärft.
Ehe das Ledermachen vorgenommen wird, werden die nach dem
Falz zu liegenden Ecken der Deckel etwas gebrochen, indem ein
Streifchen Zinkblech unter den Deckel geschoben und von diesem
etwa ½ cm breit nach den Ecken zu mit einem scharfen Messer
weggestochen wird. Das »Insledermachen«, wie der Kunstausdruck
heißt, wird eingeleitet durch Anschmieren der Lederecken und des
Rückens. Dann legt man die Ecken an dem Buche an, schlägt erst an
Ober- und Unterkanten den Ledereinschlag nach innen, kneift an
den Ecken das Leder ein wenig ein und schlägt den Einschlag der
Vorderkante über den anderen weg. Beide Einschläge sollen sich
nicht mehr, aber auch nicht weniger decken, als sie ausgestoßen
sind, damit die sich deckenden Abschrägungen im inneren Deckel
nur wenig zu sehen und kaum fühlbar sind.
Ist die Ecke am Buche festgemacht, so werden mit dem Falzbein
alle Kanten noch genau scharf und winklig gerieben, damit das
Ganze ja recht zierlich aussieht.
Der Rücken wird so über das Buch gezogen, daß er an beiden
Seiten gleichbreit auf die Deckel herübergreift; sind erhabene Bünde
vorhanden, so muß an diesen das Leder besonders kräftig
angezogen werden, auch der Bund rechts und links mit einem
Falzbein gut eingerieben werden. Mit Vorteil bedient man sich dabei
eines besonders geformten Holzes von Buchsbaum; dieses trägt auf
seiner unteren Seite eine Kerbe, in welche der Bund paßt, und mit
dieser wird der Bund von beiden Seiten gleichzeitig eingerieben. Die
Einschläge am Kapital werden nun nach innen umgeklebt. Es ist
dazu notwendig, etwa zwei cm lang den Rücken an allen Fälzen vom
Buche abzulösen, indem man mit einem dünnen, spitzen Falzbein
unter den geklebten Rücken fährt und ihn in den Fälzen aufschlitzt.
Während man mit der linken Hand den Buchkörper etwas aus den
aufgeschlagenen Deckeln heraushebt, schiebt man mit der Spitze
eines Falzbeins den Ledereinschlag unter dem Kapital in den inneren
Rücken und das Buch ein, wobei sorgfältig jede Verunreinigung des
Kapitals mit Kleister zu vermeiden ist. Dieser Einschlag muß völlig
glatt liegen, darf weder Falten haben noch zusammengeschoben
sein. (Fig. 54.)
Sind beide Kapitaleinschläge ausgeführt, so legt man den Band
quer vor sich, drückt die Fälze scharf ans Buch heran, jedoch so, daß
sie oben wie unten völlig gleich, nicht etwa an einer Seite breiter
sind, als an der anderen. Der Einschlag im Falz muß ebenfalls
durchaus glatt und straff anliegen. War vor den Endlagen eine Lage
Makulatur vorgeklebt, so kann der Deckel alsbald zugeschlagen
werden, anderenfalls geschieht dies Verkleben nachträglich.
Die andere Seite wird in gleicher Weise zugerichtet und das
Kapital dann äußerlich behandelt, zu welchem Ende der Band im Falz
mit einem Zwirnfaden umschnürt wird. Dadurch wird an den
Kapitalen das Leder nach innen geschnürt. Indem man nun dicht
neben dem Faden mit der Spitze des Falzbeins in die Kapitalecke
fährt, drückt man diese wieder nach auswärts. Den Band legt man
flach auf den Schärfstein, drückt auch die Deckelkanten an der
Umschnürung recht glatt und flach, reibt die Schnittkante des
Deckels eben und winkelig und wiederholt dies an allen
Kapitalecken.
Fig. 54. Das Einschlagen des Kapitals.
Das Kapital selbst, das durch Herüberreiben mit der hohlen Hand
recht gleichmäßig über den seidenen Saum herübergeholt werden
muß, wird oben mit dem Falzbein gleichmäßig und nicht zu kräftig
flachgerieben, so daß das Seidenkapital wie mit einer Haube bedeckt
ist. Schließlich streicht man mit dem Falzbein unten einige Male um
das Kapital herum, wodurch auch hier ein scharfes und sauberes
Aussehen erreicht wird, und legt den Band zwischen Brettern mit frei
herausragendem Rücken — etwas beschwert — zum Trocknen hin.
Ähnlich, nur noch etwas umständlicher ist der Ga nz leder ba nd
zu bearbeiten, bei welchem noch mehr auf gutes Schärfen Gewicht
gelegt werden muß. Das Leder wird mit Kleister angeschmiert, bleibt
kurze Zeit liegen, wird noch einmal angeschmiert und das Buch dann
so daraufgelegt, daß die beste Seite des Leders nach vorn kommt.
Wird aber die Vorderseite reich verziert, während auf der Rückseite
größere Flächen unverziert bleiben, so bringt man die bessere Seite
nach hinten. Die ausgearbeiteten Fälze des Überzuges müssen
genau mit den Buchfälzen übereinstimmen. Unter kräftigem
Anziehen über die Bünde wird das Leder nach den Seiten
herübergeklebt, der Deckel halb geöffnet, an der Vorderkante der
Einschlag ohne Rücksicht auf die Ecken nach innen geschlagen und
der Deckel geschlossen. Das Leder zieht sich auf diese Weise recht
glatt über die Bünde und den Deckel weg. Genau so wird die andere
Seite behandelt. Man achte darauf, daß die dünn gearbeiteten
Stellen für die Fälze sich nicht seitwärts auf den Rücken oder den
Deckel verschieben, sondern gerade sitzen. Der Einschlag muß
gleichfalls so zubereitet sein, daß die Abschärfung bereits auf dem
Deckel beginnt, um die Kanten herum aber völlig dünn geschärft ist,
so daß das Leder fast wie ein Kissen sich nach den Rändern zu
verjüngt.
Hat man sich von der Richtigkeit der Arbeit überzeugt, so wird
oben und unten eingeschlagen, zunächst wieder ohne Rücksicht auf
die Ecken; vorher jedoch sind die Lederecken mit einem spitzen
Schärfmesser schräg wegzustoßen, zu welchem Zwecke der
Vordereinschlag teilweise wieder abgelöst wird. Je dünner der
Deckel, desto näher an, je dicker der Deckel, desto weiter von der
Deckelecke wird das Leder weggestoßen. Dazu wird die Klinge im
halben rechten Winkel schräg gehalten und so an der Pappenecke
vorbeigeführt, daß das Messer mit seiner flachen Seite den Deckel
gerade noch streicht. Je dicker der Deckel ist, desto breiter wird also
das Leder stehen bleiben.
Wird das Leder nun über die Kanten eingeschlagen, so muß es
genau im halben rechten Winkel zusammenstoßen und sich so weit
decken, als die Schrägung ausmacht. Die Ecke selbst kann auf
zweierlei Weise behandelt werden; einmal kann sie, wie die Ecke des
Halbfranzbandes, eingekniffen werden. Dann kann auch folgendes
Verfahren eingeschlagen werden, sofern man ein besonders
dehnbares Leder verarbeitet. Indem mit der hohlen Hand von der
Außenseite her das Leder über die Ecke weggestrichen wird, schiebt
sich dasselbe in einer Anzahl ganz kleiner Fältchen zusammen, und
nach dem Trocknen sieht der Zusammenstoß fast wie aus einem
Stück gemacht aus. In beiden Fällen werden die Kanten mit dem
Falzbein rechtwinkelig und scharf angestrichen. Damit die Ecke
selbst scharfkantig ausfällt, schlägt man den Deckel auf und legt ihn
mit der Innenseite flach auf den Schärfstein, während man die
Kanten mit dem Falzbein behandelt; die Verarbeitung des Kapitals
bleibt dieselbe.
Dünnes Kalbleder, wie es neuerdings häufig im Handel vorkommt,
wird meist nur an den Kapitalen, soweit solche in den Rücken
eingeschlagen werden, geschärft, während der übrige Einschlag
ungeschärft bleibt. Wir kommen später auf die weitere Behandlung
des ungeschärften Einschlages zurück.
Über die Behandlung von Ka l ikobä n den ist folgendes zu
bemerken. Der Kaliko wird mit dem Messer und dem Lineal
zugeschnitten, und zwar groß genug, damit die Einschläge später
unter dem aufzupappenden Vorsatz gleichmäßig in der Breite von ½
cm zu sehen sind. Einzelne Fäden, rauhe Stellen oder gar schräg
geschnittene Einschläge dürfen nicht zu sehen sein. Das
zugeschnittene Stück wird mit Leim angeschmiert, das Buch
aufgelegt, der Kaliko angerieben und scharf eingeschlagen. Die
Ecken werden mit der Schere schräg abgeschnitten, jedoch so, daß
noch genug zum Einkneifen stehen bleibt; die Einschläge sollen sich
an den Ecken nicht mehr als 2 mm decken.
Ha lbfra nzbä nde werden, sobald der Rücken ganz trocken ist,
mit Papier oder Kaliko überzogen. Ehe dies geschieht, wird das Leder
am Rücken her und an den Ecken abgeschnitten. Mit dem Zirkel wird
von der Vorderkante nach dem Leder zu die Breite des zu
überziehenden Stückes abgestochen und durch einen Falzbeinstrich
markiert; ebenso werden die Ecken mit Hilfe einer kleinen, auf die
Ecke gelegten Schablone gleichmäßig gestrichen. Auf diesen Marken
wird aus freier Hand mit einem scharfen Messer das Leder schräg
nach der Mitte zu eingeschnitten und das Überstehende abgezogen.
Der Überzug ist so zuzuschneiden, daß er auf allen Seiten — also am
Rücken und den Ecken — ans Leder anstößt, dasselbe aber nur
soweit deckt, als es schräg abgestoßen ist. Vor dem Zuschneiden
des Papieres (meist marmoriert, seltener einfarbig und gepreßt) hat
man zu überlegen, wie sich der einzelne Bogen am vorteilhaftesten
einteilt. Für den Einschlag rechnet man nicht über 2 cm an den
Vorder- und Oberkanten zu. Der Schnitt wird mit einem scharfen
Messer am Lineal oder Winkel ausgeführt.
Das Ausschneiden der Ecken erfordert besondere Sorgfalt. Am
zweckmäßigsten ist es, ein Überzugsteil dem Bande an das Leder
anstoßend aufzulegen mit der erforderlichen Zugabe für den
Einschlag. Die beiden unteren Ecken werden nach oben
zurückgeschlagen und an den Stellen, wo sie an die Lederecken
anzustoßen haben, wird ein scharfer Bruch gemacht. Streicht man
nun mit der Hand scharf über die drei Kanten nach unten, indem die
andere Hand das Blatt unverrückbar festhält, so erhält man eine
genaue Marke, nach welcher das Ausschneiden der Ecke zu erfolgen
hat. (Fig. 55.)
Die zugeschnittenen Überzugsteile werden nun mit Leim
»a nges chmier t«, zu welchem Zwecke sie genau geradegestoßen
auf einer Unterlage, der »Ans ch mier pa ppe«, aufgelegt werden.
Zweckmäßig dafür sind dicke, nicht zu große Pappen, die mit Papier,
besser noch mit Wachstuch bespannt werden; ist das Papier
wiederholt benutzt, so wird es von den Deckeln abgenommen,
eingeweicht und der Leim ausgekocht. Von Wachstuch löst sich nach
dem Trocknen der Leim von selbst ab. Auch Zinkblech wird als
Unterlage zum Anschmieren benutzt mit ähnlichem Vorteil wie
Wachstuch.
Nicht alle Bände werden a nges etzt, in vielen Fällen werden
Buch und Buchdecke gesondert hergestellt und ersteres dann in
letztere »eingeha ngen«. Dies Verfahren wird hauptsächlich bei
den in Massen angefertigten Schulbänden eingeschlagen, ebenso bei
den Bänden, zu denen der Verleger fertige Decken,
»Verlagsdecken«, liefert, ferner auch bei den Photographie-Albums,
auf deren Herstellung, da sie in das Gebiet der Portefeuille-Arbeit
gehören, hier nicht näher eingegangen werden kann. Hat auch die
Kunstbuchbinderei als solche mit der Verlagsdecke wenig zu thun, da
diese ein Erzeugnis des Großbetriebes ist, so soll hier doch deren
Herstellung der Vollständigkeit halber einen Platz finden.
Deckel wie Rücken werden nach Maßgabe des beschnittenen und
abgepreßten Buches passend geschnitten. Der Überzugsstoff, meist
Kaliko, wird unter Zugabe des Einschlages zugeschnitten,
angeschmiert, Rücken und Deckel unter Berechnung des Falzes
aufgelegt, der, je nach Dicke der Deckel, 1½ bis 3 mm beträgt. Die
Kanten werden eingeschlagen, das Ganze durch die
Anreibemaschine geführt, bei welcher die Decken zwischen zwei
Gummiwalzen durchgehen. Sollen »Ha lbfra nz ba n ddecken«
(das Wort ist unrichtig, da ein Halbfranzband und Decken sich
gegenseitig ausschließende Begriffe sind) hergestellt werden, so
klebt man sowohl die Rückeneinlage als auch die Deckel mit Leim
auf dem Lederrücken auf; eingeschlagen wird jedoch mit Kleister,
damit die Gelenke nicht spröde werden. Dann werden Ecken
angemacht und die Decken in üblicher Weise mit Papier oder Kaliko
überzogen.
Fig. 55. Ausschneiden der Überzugsecken.
Soll ein Band in eine solche Decke möglichst haltbar befestigt
werden, so ist dazu erstlich ein Kalikofalz im Vorsatz erforderlich,
dann aber auch möglichst viele Bünde, bei 8o
Format mindestens
vier. Überhaupt muß man einen solchen Buchkörper behandeln, als
sollte er in Halbfranz gebunden werden. Man macht zunächst aus
Papier, besser aus Stoff eine »Hülse«, d. h. man biegt ein Stück
Papier oder Stoff, das genau so lang wie der Rücken ist, von beiden
Seiten in der Breite des Rückens zusammen, so daß sich die Ränder
in der Mitte treffen, wo sie übereinander geklebt werden.
Beistehende Figur gibt das Schema.
Diese Hülse wird mit einer Seite fest auf den Rücken der Decke
geklebt, während auf der anderen Seite der gut gerundete
Buchrücken aufgeklebt wird. Zu weiterer Befestigung müssen die
Bünde und die Fälze des Bandes recht sorgfältig und sauber am
Deckel festgeklebt werden. Ein Blatt Vorsatzpapier, nach Maßgabe
der Kanten passend geschnitten, deckt schließlich die Innenseite des
Deckels.
Daß ein solcher Band trotz der vorhandenen Decke sich nicht
»für wenige Groschen« herstellen läßt, sei hier ausdrücklich zum
Troste der Fachleute betont. Für alle Fälle sollte ein wirklich gutes
Buch gebunde n und nicht eingehä ngt sein.
N
Randleiste von einem Bande der Wolfenbütteler Bibliothek. 1572.
3. Das Fertigmachen vor und nach dem
Vergolden.
Anpappen — Offen Anpappen — Aufpappen des fliegenden
Blattes — Tiefer Falz, Stoff- und Lederfalz — Seidenspiegel,
Lederspiegel — Abglätten, Einpressen — Futteral und Karton.
achdem der Buchkörper mit der Einbanddecke, dem äußeren
Teile des Buches, verbunden ist, werden die Deckel auch auf der
Innenseite bekleidet. Diese Arbeit heißt das »Anpa ppen« und hat
nicht allein den Zweck, die Spuren der vorhergehenden Arbeiten zu
verdecken, sondern soll auch die Haltbarkeit des Buches in den
Gelenken möglichst verstärken. Die einfachste Art, einen Band
anzupappen, ist folgende: Das erste Blatt des Vorsatzes wird mit
Kleister angeschmiert, der Deckel zugeschlagen, das Buch
herumgewendet und die andere Seite in derselben Weise behandelt;
das Buch wird danach sofort eingepreßt. Solange der Falz noch
einigermaßen feucht ist, darf der Band nicht geöffnet werden,
anderenfalls würden sich im Falz Falten bilden. Diese Art des
Anpappens vertragen alle die Bände, welche nicht auf tiefen Falz
angesetzt sind, die also weder durch den Deckel gezogene, noch
äußerlich auf den Deckel geklebte Bünde haben. Dahin gehören
außer den einfachsten Steifbänden die Halbleinen- und
gewöhnlichen Halblederbände, sowie die Ganzleinen- und die
»eingehängten« Bände ohne Leinenfalz.
Es empfiehlt sich sehr, die eingepreßten Bände nach einiger Zeit
wieder aus der Presse zu nehmen, um, ohne daß der Band geöffnet
wird, hinter die ersten fünf bis sechs Blätter vorn und hinten ein
Zinkblech einzulegen, mit welchem die Bände dann von neuem in die
Presse gebracht werden, in der sie mindestens über Nacht,
womöglich noch länger verbleiben. Die Endlagen sowohl als auch der
innere Deckel erscheinen infolge dieser Maßregel durchaus glatt und
die Bünde zeichnen sich weniger scharf ab. Schließlich ist zu
bemerken, daß nur S ch reib- und Na tur pa piere diese Art des
Anpappens vertragen, alle anderen Vorsätze müssen »offen«
angepappt werden.
»O ffen a npa ppen« heißt das Buch in aufgeschlagenem
Zustande anpappen und trocknen lassen; dies geschieht bei allen
Bänden mit Buntpapier-Vorsätzen, bei den fabrikmäßig hergestellten,
mit Draht gehefteten Bänden, und bei allen Bänden mit tiefem Falz.
Die Bände mit bunten Vorsätzen erhalten immer einen Leinenfalz;
die Bünde werden bis auf etwa 2 cm Länge abgeschnitten, sehr glatt
und gleichmäßig strahlenförmig auseinander gestrichen und mit
Leim auf den Deckel herübergeklebt, wobei dieser fest gegen das
Buch gedrückt wird; der Kalikofalz wird auf einem untergelegten
Blatte Makulatur angeschmiert, stramm und gleichmäßig auf den
Deckel herübergezogen und gut angerieben, wobei besonders auf
die Ansetzkante des Deckels zu achten ist, da hier der Falz nicht gut
haftet und leicht »hohl« wird.
Das Anpappen der fabrikmäßig hergestellten Bände ist gleich
dem Verfahren, das bei Bänden mit tiefem Falz angewandt wird; im
folgenden wird nur von diesem die Rede sein.
Schon oben (S. 35) sprachen wir von der Zurichtung der
Vorsätze; doch ist es in vielen Werkstätten üblich, erst kurz vor dem
Anpappen die Bunt- oder Brokatpapiere einzukleben. No tw endig
ist dieses spätere Einkleben des farbigen Vorsatzes da, wo ein tiefer
Falz ohne Kaliko- oder Lederfalz in Anwendung kommt.
Fig. 56.
Fig. 57. Anreiben des Vorsatzes im tiefen Falz.
In diesem Falle werden zwei Doppelblätter des erwählten
Papieres, etwas größer als der Band mit der farbigen Seite
zusammengebrochen, am Bruch 3 mm breit mit Leim angeschmiert
und genau in den Falz, nicht aber a uf den Falz und bis an den
Rücken eingeklebt. Nach dem Anhängen des farbigen Papieres wird
dieses zurückgeschlagen, das erste weiße Blatt mit mäßig dünnem
Leim recht gleichmäßig und sauber angeschmiert, das bunte Blatt
zugelegt und leicht angerieben. Nachdem die andere Seite des
Buches in derselben Weise behandelt ist, wird der Band leicht
eingepreßt. Ist das Geklebte etwas abgetrocknet, so wird ein
Zinkblech zwischen die farbigen Blätter eingeschoben und am Buche
her das Überstehende sauber abgeschnitten. Nun wird die andere
Blatthälfte auf den Deckel »a ngepa ppt«, muß aber vorher
passend geschnitten werden. Zu diesem Ende legt man dieselbe in
der Lage, wie sie aufzukleben ist, auf den Deckel herüber und
zeichnet mit dem Zirkel der Kante parallel ringsum eine Linie vor,
deren Abstand von der Kante sich nach der Breite zu richten hat, die
man dem inneren Rande geben will. In Fällen, wo dieser Rand
vergoldet werden soll, hat man sich darauf Rücksicht zu nehmen.
Diesem Zirkelstrich nach wird das Blatt auf einem untergelegten
Zinkblech bis an den Falz abgeschnitten; in dem Falz selbst bleibt
das Papier in ganzer Länge stehen, d. h. die auf dem Deckel
aufgeklebte Hälfte wird oben und unten kürzer als das erste
Vorsatzblatt und der Falz. An diesem her, genau in der Biegung,
welche das Deckelblatt, der »Spiegel«, um die Deckelkante macht,
wird bis an den Zirkelstrich heran mit der Schere eingeschnitten, so
daß der vorhergehende Messerschnitt mit dem Schereneinschnitt auf
unserer Fig. (56) bei a zusammentrifft. Nun wird unter das
beschnittene Blatt zum Schutze von Vorsatz und Buchschnitt
Makulatur eingelegt, das Blatt sauber angeschmiert und auf den
Deckel geklebt. Das Anschmieren muß, wie beim Aufpappen des
ersten, sogenannten »fl iegen den B la tte s«, sehr gleichmäßig
geschehen; besonders aber ist das Anhäufen von Leim im Falz
nachteilig, weil erstlich das Gelenk unsauber, zweitens aber nicht
trocken wird. Das angeschmierte Blatt wird vorsichtig auf den Deckel
herübergezogen, wobei der Falz nochmals recht genau zu richten,
der Deckel beizudrücken ist. Zweckmäßig ist es, das Buch quer zu
legen, die vordere Deckelkante gegen den Körper zu stemmen und
mit Daumen und Zeigefinger beider Hände den Falz gut anzureiben;
zu dieser Arbeit wird ein Stück Makulatur vorgelegt, über das
angerieben wird. Unsere Abbildung (Fig. 57) zeigt das Anreiben des
Falzes, doch ohne Papiervorlage.
In vielen Werkstätten wird diese Art des Vorsatzanpappens in der
Weise gehandhabt, daß das Doppelblatt auf den Falz bis in den
Rücken hereingeklebt wird. Das innere Blatt wird aufgepappt, und
beide Doppelblätter am Buche ringsherum abgeschnitten. Auf
eingelegter Makulatur wird angeschmiert und das nicht weiter
abgeschnittene Blatt angepappt. Diese Weise hat den Nachteil, daß
der scharfe Bruch in das Gelenk kommt und leicht durchreißt; zudem
sieht das abgeschnittene Blatt auf dem Deckel bei der vorher
genannten Weise besser und zierlicher aus. Vergl. Fig. 58.
Fig. 58. Tiefer Falz mit eingeklebtem Papiervorsatz.
In den Grundzügen genau dasselbe Verfahren beobachtet man
bei den Bänden mit Kaliko- oder Lederfalz. Ersterer ist entweder mit
dem Vorsatz bereits vorgeheftet oder wird jetzt eingeklebt; Lederfalz
wird stets eingeklebt, und muß in allen den Fällen angewendet
werden, wo im Deckel eine breite vergoldete Kante den ganzen
Spiegel umfaßt. Die Breite des Lederfalzes richtet sich demgemäß
auch nach der Breite der Vergoldung. Selbst in dem Falle aber, daß
die hintere Deckelkante nicht vergoldet wird, muß der eingeklebte
Falz (Leder oder Kaliko) auf den Deckel, wie auf das fliegende Blatt
je 1 cm herübergehen. Lederfälze werden vor dem Einkleben
durcha us dünn geschärft und mit Kleis ter eingeklebt. Kaliko wird
mit L eim geklebt. Der Falz muß vorher auf Höhe passend, der auf
den Deckel herüberreichende Flügel an beiden Enden etwas schräg
nach innen abgeschnitten werden. Scharfes Anreiben und
Beidrücken des Falzes ist hier genau wie bei der vorher erwähnten
Weise erforderlich. Ein mit dem Vorsatz ums to che ner Fa lz wird
über sich selbst zurückgeklebt, so daß er in der Breite des
Abpreßfälzchens doppelt liegt.
Wenn es sich darum handelt, die Kante ringsum zu vergolden, so
muß beim Einkleben des Lederfalzes, wie folgt, verfahren werden.
Der auf Höhe passend geschnittene Lederstreif wird eingeklebt, muß
aber auf dem Deckel genau nach der Gehrung geschnitten werden,
d. h. er muß mit den Rändern der Ober- und Unterkante im halben
rechten Winkel wie ein Bilderrahmen zusammenstoßen. Würde man
den Streifen einfach über den Kanteneinschlag des Deckels kleben,
so läge das Leder an diesen Stellen doppelt und bildete eine
Erhöhung. Zur Vermeidung dieses Übelstandes zeichnet man auf
dem frisch geklebten Falze den Gehrungsschnitt vor und
durchschneidet auf diesem Lederfalz und Einschlag bis auf die
Pappe, indem man das scharfe, spitze Messer etwas schräg nach
außen zu hält; dadurch wird der Falz etwas unterschnitten, der
Kanteneinschlag etwas abgeschrägt. Indem der Falz nun ein wenig
gehoben wird, löst man das darunter liegende Lederstückchen des
Einschlages bis an den Schnitt ab und klebt den Falz so fest, daß er
mit dem Einschlag zusammenstößt, aber denselben nur so viel
deckt, als dies durch den schrägen Schnitt bedingt ist.
Nach dem Anpappen des ersten Falzes kann der ganze Band mit
aufgeschlagenem Deckel gewendet und sofort der zweite Falz
eingeklebt, bez. das Vorsatz angepappt werden, doch muß er
nachher ruhig liegen bleiben bis zum vollständigen Abtrocknen, was
beim Lederfalz natürlich länger dauert als beim Papier- oder
Kalikofalz. Damit der unten liegende, zuerst behandelte Falz nicht
leidet, wird ein Preßbrett untergelegt.
Bei eingeklebten Fälzen wird das Vorsatz hinterher so angehängt,
daß es genau bis an den Abpreßfalz reicht; war ein Falz mit
umstochen, so reicht es bis dicht an den zurückgebogenen Falz. Das
Blatt für den Deckel wird entweder bis dicht an die hintere
Deckelkante herangesetzt, oder aber, wenn die Kantenvergoldung
ringsherum läuft, wird er dieser gemäß eingesetzt. Hiernach hat man
sich beim Zuschneiden zu richten. Sollen die Kanten vergoldet
werden, so hat dies vor dem Einkleben des Spiegels zu geschehen.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß gewisse Muster sowohl
von marmorierten als gedruckten oder gepreßten Papieren, die eine
nach aufwärts gehende Richtung haben, nicht auf den Kopf gestellt
werden dürfen. Buntpapiervorsatz wird sofort nach dem Einkleben
mit einem heißen »Glä ttkolben« (Fig. 59) »a bge glä ttet«,
damit der Deckel sich nicht nachträglich wirft. Der Deckel soll nach
dieser Arbeit völlig eben erscheinen, auf keinen Fall darf er sich nach
außen Wölben, eher kann er nach innen zu eine leichte Wölbung
haben.
Bei allen diesen Arbeiten wird auf den Arbeitstisch ein Tuch
gelegt, um ein Verkratzen der Außenseite des Buches zu vermeiden.
Reich ausgestattete Bände werden auch auf der ganzen
Innenseite vergoldet und erhalten demnach einen L eder s piegel.
Besteht derselbe aus dünnem Leder, so wird er stets eingelassen,
d. h. es wird ein etwas größer als notwendig zugeschnittenes Stück
Leder an einigen Stellen des Deckels mit Leim befestigt, mit einem
Zirkel die Kantenparallelen gezogen, diesen gemäß durch Spiegel
und Einschlag hindurch bis auf die Pappe mit einem scharfen,
spitzen Messer ein Schnitt gemacht, wobei in schon erwähnter Weise
das Messer ein wenig schräg gehalten wird. Das unter dem Spiegel
innerhalb des Schnittes klebende Leder wird abgelöst, der Spiegel
angeschmiert und mit Kleister eingeklebt. Dickere Leder werden
ringsherum geschärft, passend geschnitten und aufgeklebt. Das
fliegende Blatt besteht dabei ebenfalls meist aus farbigem Papier.
S eide ns piegel und fliegendes Blatt mit Seidenbespannung
kommt ebenfalls vor, wenn jetzt auch seltener als früher. Seide wird
stets gespannt, d. h. um ein Blatt Papier an den Kanten
umgeschlagen, während die Fläche selbst hohl aufliegt. Für Spiegel
und fliegendes Blatt wird je ein Blatt kräftiges, jedoch nicht
allzudickes Papier genau zugeschnitten, dazu passend je ein Stück
Seide nebst Zurechnung von 1 cm Umschlag. Die Rückseite dieser
Papiereinlagen wird an den Kanten her 1 cm breit mit Leim
angeschmiert, das Blatt mit der Vorderseite von hinten auf die Seide
gelegt und deren Umschlag um die Kante geklebt. Zweckmäßig ist
es, ein Blatt Papier unterzulegen, welches breit übersteht, mit
diesem überstehenden Teile den Seideneinschlag um die Kante zu
ziehen und anzureiben. Die Seide soll auf der Vorderseite durchaus
glatt und ohne Falten oder sichtbare Brüche sein, muß deshalb
nötigenfalls vorher ausgebügelt werden; ein besseres, dem weichen
Stoffe angemessenes Ansehen gewinnt die Seide dadurch, daß auf
das Papier erst eine dünne Lage Watte geklebt wird. Die so
vorbereiteten Seidenteile werden auf dem Deckel sowohl, wie auf
dem fliegenden Blatte aufgeklebt. Es ist zweckmäßig, das ganze
Blatt aufzukleben und einige Zeit einzupressen. Durch die
Feuchtigkeit des Leimes zieht die Seide etwas an, legt sich nach dem
Trocknen in der Presse aber wieder glatt.
Fig. 59. Großer Glättkolben.
Bei jedem Einpressen der Bände auf tiefen Falz werden unter die
Deckel Zinkbleche bis an den Falz eingeschoben; stehen weiße oder
helle Seidenvorsätze in Frage, so schlägt man um die Bleche erst ein
Blatt weißes Papier. Die Bretter werden nicht in den Falz gelegt,
sondern über denselben herausgerückt, die Presse nicht zu fest
angezogen.
Auf jeden Fall bleibt der fertige Band längere Zeit, am besten
über Nacht, in der Presse. Bände, welche nach dem Vergolden auch
auf der Außenseite abgeglättet wurden — diese Arbeit wird später
näher behandelt — preßt man zwischen vorgelegten Zinkblechen
ein. Empfehlenswerter sind lackierte Eisentafeln. Das Lackieren muß
jedoch im heißen Ofen besorgt worden sein, weshalb nicht jeder
Lackierer, sondern nur gut eingerichtete Lackieranstalten brauchbare
Tafeln zu liefern im stande sind.
Wertvolle Einbände, die man gern in der Weise erhalten will, wie
sie aus der Hand des Buchbinders hervorgingen, bedürfen noch
einer Schutzvorrichtung in Gestalt eines Futterals oder eines Kastens.
Unsere Vorfahren in früheren Jahrhunderten bedienten sich zu dem
Ende einer Büchse oder eines Kastens von Holz, auch wohl eines
ledernen oder leinenen Sackes. Im vorigen Jahrhundert gab man
dieser Schutzhülle die Form des Buches selbst und druckte auch
wohl den Titel darauf. Gegenwärtig werden dergleichen Bände
entweder mit einem Pappfutteral versehen, an dessen offener Seite
der Rücken heraussieht, oder man legt den Band in ein pappenes
Kästchen, das gewöhnlich als Karton bezeichnet wird. Um ein
Futteral herzustellen, wird die Pappe nach Maßgabe der
Größenverhältnisse des Buches geritzt und an den geritzten Stellen
zusammengebogen. Die Kanten, mit denen die Seitenteile
zusammenstoßen, werden überklebt und das Ganze entweder mit
Papier oder besser mit Kaliko überzogen. In ähnlicher Weise wird der
Karton hergestellt; doch kann man die einzelnen Teile auch aus der
Pappe ganz herausschneiden und dann zusammenkleben; der
Rückenteil wird beiderseits an Gelenke gehangen, so daß sich der
Kasten flach auseinander legen läßt. Außerdem erhalten die Bände
auch wohl noch Schutzumschläge von festem Papier, das, um es
noch haltbarer zu machen, mit Stoff gefüttert zu werden pflegt.
W
Gotische Randleiste mit dreieckiger Rosette.
DRITTER ABSCHNITT.
Das Verzieren der Einbanddecke.
1. Die farblose Verzierung.
Ritzarbeit und Punzung. — Lederschälarbeit. — Der Blinddruck.
enn man von den kostbaren Einbänden absieht, deren Zierat
hauptsächlich der Goldschmied oder der Elfenbeinschnitzer
oder beide vereint besorgten, so kann man von alters her zweierlei
Arten der Musterung des Einbandes unterscheiden, die bl in de und
die fa r bige, zu der auch die Vergoldung zu rechnen ist.
Das Wesen des Blinddrucks, der selbstverständlich die
gleichzeitige Verwendung von Gold und Farbe nicht ausschließt,
beruht auf dem Umstande, daß durch den Druck eines erwärmten
Stempels die von ihm getroffenen Stellen des zuvor gefeuchteten
Leders einen dunkleren Ton annehmen und glänzend erscheinen. Ist
der Stempel ein Hohlstempel, bei dem also die Zierform eingegraben
(graviert) ist, so erscheint die Verzierung erhaben, in der Weise wie
bei Siegelabdrücken, und der Grund blind; im entgegengesetzten
Falle tritt der Grund heraus und die Verzierung erscheint blind.
Ehe wir auf das beim Blinddruck anzuwendende Verfahren
eingehen, sei zuvor der Ri tz a r bei t und der Pu nzu ng des Leders
gedacht, beides Techniken, die, vermutlich erst von anderen
Lederarbeiten auf den Einband übertragen, oft gemeinsam
angewandt wurden, um das Bild oder die Zierform in Umrissen
darzustellen. Zur Herstellung der Ritzarbeit bedurfte man nur eines
Messers und zur Punzung eines einfachen Punzens, dessen Fuß eine
Höhlung hatte, die beim Einschlagen eine ganz kleine
halbkugelförmige Erhöhung hervorbrachte. Schlag an Schlag gesetzt,
wurde die Fläche auf diese Weise genarbt.
Fig. 60. Gepunzte Decke von Maroquin aus dem Kloster Votopodos am Berge
Athos.
Fig. 61. Deutscher Einband mit Lederritzung und gepunztem Grunde. 15.
Jahrh. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum.
In neuester Zeit hat man die Ritzarbeit mit Glück wieder zu
beleben gewußt, auch durch kräftige Modellierung der Formen, die
sich unter Anfeuchtung des Leders von der Rückseite her durch eine
Art Treibarbeit bewirken läßt, die alten Vorbilder noch zu überbieten
versucht. Für Buchdecken wird diese Art der Lederverzierung aber
immer nur eine beschränkte sein, schon weil sie ein künstlerisches
Geschick erfordert, das sich nicht jedermann zu geben vermag.
In Figur 60 geben wir als Beispiel der Punzung ohne Ritzung
einen Band, der aus einem der Klöster am Berge Athos stammt und
vermutlich dem 16. Jahrhundert angehört. Er zeigt eine an
Eisentechnik (Thürbeschläge) erinnernde, symmetrisch angeordnete
Verzierung mit Knöpfen (Nagelköpfen), die mit größeren Punzen teils
in den Grund, teils in das Ornament eingeschlagen sind. Eine
gepunzte Ritzarbeit zeigt uns Fig. 61 in freier künstlerischer
Anwendung der Technik. Dieser Einband ist deutschen Ursprungs
und stammt aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts. Als drittes
Beispiel (Fig. 62), auf dem zwei phantastische Bestien, wie sie das
germanische Mittelalter gern bildlich darstellte, erscheinen, geben
wir die Rückseite eines Pergamentbreviers vom Ende des 15.
Jahrhunderts, das der Nürnberger Familie Löffelholz gehörte und wie
der vorher erwähnte Band im Germanischen Nationalmuseum zu
Nürnberg bewahrt wird.
Für Lederschnitt eignet sich am besten R inds lede r, weniger
gut Kalbleder. Maroquin und Schafleder sind dazu ganz ungeeignet.
Eine verwandte Technik ist die ebenfalls schon im 15.
Jahrhundert geübte L eder s chä la r bei t, zu der sich jedoch nur
Saffian oder Bockleder eignet. Die Konturen des Ornaments werden
dabei ebenfalls mit dem Messer eingeritzt und dann die Oberhaut
des Leders an einem Ende gehoben und abgeschält. Statt das
Ornament auf diese Weise zu behandeln und hell erscheinen zu
lassen, kann man auch die Oberhaut des Grundes abschälen, um die
umgekehrte Wirkung zu erzielen. Ist diese Arbeit für die Außenseite
der Decken auch wenig empfehlenswert, so ist sie doch gut
anwendbar zur Verzierung der Spiegel auf den inneren
Deckelflächen, wenn es sich um einen in nicht gewöhnlicher Weise
auszustattenden Einband handelt.
Die umständliche und zeitraubende Ritzarbeit konnte ebenso
wenig wie die Schälarbeit bei Büchern Anwendung finden, die in
kurzer Frist und ohne erhebliche Kosten hergestellt sein wollten. Für
diese diente das einfache Verfahren des Blinddrucks, zu dem auch
die Verzierung mittelst glatter Linien zu rechnen ist, die vielleicht mit
einem Falzbein am Lineal entlang gezogen wurden, um eine
Einrahmung der inneren Fläche des Deckels herbeizuführen, dann

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Lost in translation – ein praktischer Wegweiser
Projektmanagement kompakt
Wirtschaftsinformatik Basics für Betriebswirte und Ingenieure
Wirksames Projektmanagement
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Management von Informatik Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten René Riedl

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  • 3. Smart Service Engineering Konzepte und Anwendungsszenarien für die digitale Transformation 1st Edition Oliver Thomas http://ebookstep.com/product/smart-service-engineering-konzepte- und-anwendungsszenarien-fur-die-digitale-transformation-1st- edition-oliver-thomas/ Management der digitalen Transformation: Eine praxisorientierte Einführung 2nd Edition Harwardt http://ebookstep.com/product/management-der-digitalen- transformation-eine-praxisorientierte-einfuhrung-2nd-edition- harwardt/ Ai Ren Bunga Cahaya http://ebookstep.com/product/ai-ren-bunga-cahaya/ Unternehmenskultur Erkennen Entwickeln Verändern Erfolgreich durch kulturbewusstes Management 2nd Edition Sonja Sackmann http://ebookstep.com/product/unternehmenskultur-erkennen- entwickeln-verandern-erfolgreich-durch-kulturbewusstes- management-2nd-edition-sonja-sackmann/ Management von Lieferanteninsolvenzen Elmar Holschbach http://ebookstep.com/product/management-von- lieferanteninsolvenzen-elmar-holschbach/
  • 4. René Riedl Management von Informatik-Projekten
  • 6. René Riedl Management von Informatik- Projekten Digitale Transformation erfolgreich gestalten Unter Mitwirkung von Univ.-Prof. emeritus Dipl.-Ing. Dr. Lutz J. Heinrich Prof. Dipl.-Ing. Dr. Harald Dobernig M.Sc. MBA 2., vollständig überarbeitete Auflage
  • 7. ISBN 978-3-11-047126-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047127-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047166-3 Library of Congress Control Number: 2019937554 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Wright Studio / Shutterstock Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
  • 8. Vorwort Seit einigen Jahren dominieren Digitalisierung und digitale Transformation welt- weit die Themenlandschaft in Wirtschaft und Gesellschaft; dies wird laut der Ein- schätzung vieler Experten auf absehbare Zeit auch so bleiben. Die erfolgreiche Planung und Realisierung von Digitalisierungsvorhaben und die damit einherge- hende digitale Transformation sind untrennbar mit erfolgreichem Projektmanage- ment verbunden. Unabhängig davon, wie ausgeprägt die Reichweite der von digi- talen Technologien ausgehenden Veränderungen ist (z.B. Reorganisation von Ge- schäftsprozessen bis hin zur Veränderung von Geschäftsmodellen), das Handeln im Projektmanagement wird den Ausgang eines Digitalisierungsvorhabens immer maßgeblich beeinflussen. Dieser Umstand erklärt, warum Projektmanagement so- wohl in der Wirtschaftsinformatik- und Informatik-Ausbildung an Hochschulen als auch in Aus- und Fortbildungsseminaren der betrieblichen Praxis einen hohen Stel- lenwert hat. Diesen hohen Stellenwert hat das Projektmanagement nicht erst seit dem Entstehen der Begriffe „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“, denn der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Erreichung strategischer Wettbewerbsziele ist seit Jahrzehnten ein zentrales Thema der Wirt- schaftsinformatik, insbesondere des Informationsmanagements. Dennoch gilt, dass aufgrund der zunehmenden Anzahl, Größe und Komplexität von Digitalisierungs- vorhaben Projektmanagement als Kompetenzfeld noch nie so bedeutsam war wie heute. Gründe für die zunehmende Komplexität sind unter anderem die immer kür- zer werdenden Technologiezyklen, ansteigende technische Komplexität und Ver- netzung von Systemen sowie ein sich stark veränderndes Nutzer- und Mitarbeiter- verhalten. Informatik-Projekte sind in der Praxis oft solche Projekte, deren Zweck die Her- stellung neuer oder die wesentliche Veränderung bestehender Informations- und Kommunikationssysteme ist, im Folgenden kurz als Informationssysteme bezeich- net. Informatik-Projekte sind daher Projekte, deren Gegenstand IT-Mittel sind. Der Begriff „IT-Mittel“ wird dabei sehr weit gefasst, indem alles darunter verstanden wird, was computerbasierte Mittel zur Befriedigung der Informationsnachfrage in Wirtschaft und Gesellschaft sind. Unter „Management von Informatik-Projekten“ werden die Aufgaben, Methoden, Techniken und Werkzeuge verstanden, die zur Planung und Realisierung von Informatik-Projekten bearbeitet werden müssen bzw. diese unterstützen oder erst ermöglichen. Zu beachten ist, dass der Gegen- stand eines Informatik-Projekts nicht identisch mit dem eines Software-Projekts ist, ersterer ist umfassender. Da die Besonderheiten von Software-Projekten in ein- schlägigen Lehrbüchern abgehandelt werden (z.B. in Büchern zum Software Engi- neering sowie in Werken zu spezifischen Methoden der agilen Softwareentwick- lung wie Scrum), wird zwecks tiefer gehendem Studium dieser Inhalte auf die exis- tierende Fachliteratur verwiesen. Viele Informatik-Projekte sind nur teilweise erfolgreich oder werden abgebrochen. „Teilweise erfolgreich“ meint dabei, dass ein Projekt zwar abgeschlossen wird, es jedoch zu Zeit- und/oder Kostenüberschreitungen kommt oder der geplante Funk- tionsumfang des Systems nicht erreicht wird. Aussagen der Standish Group zufol- ge (vgl. Chaos Report, der seit dem Jahr 1994 veröffentlicht wird) wurden im lang-
  • 9. VI Vorwort jährigen Schnitt nur rund ein Drittel der Informatik-Projekte erfolgreich abge- schlossen (das bedeutet, das Projekt wurde dem Termin- und Kostenplan entspre- chend und mit dem definierten Funktionsumfang abgeschlossen). Dieser Durch- schnittswert hat eine geringe Standardabweichung und es ist auch nach den aktu- ellsten verfügbaren Zahlen noch so, dass nur rund ein Drittel aller Informatik- Projekte erfolgreich sind. Daraus folgt, dass rund zwei Drittel der Informatik- Projekte nur teilweise erfolgreich sind oder abgebrochen werden. Selbst wenn man berücksichtigt, dass manche Experten die Auffassung vertreten, dass die Aussagen der Standish Group zu pessimistisch sind, ist es in Praxis und Wissenschaft unbe- stritten, dass es in vielen Informatik-Projekten teilweise gravierende Probleme gibt. Das vorliegende Buch soll einen Beitrag leisten, Wissen zum Management von Informatik-Projekten zu vermitteln. Die Anwendung dieses Wissens beim prakti- schen Handeln soll die Erfolgswahrscheinlichkeit von Informatik-Projekten erhö- hen, damit in Zukunft möglichst viele Digitalisierungsvorhaben einen positiven Ausgang nehmen. Die Planung und Realisierung von Informatik-Projekten ist ein kooperativer und kreativer Arbeitsprozess. Aus Sicht der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wird dieser Arbeitsprozess primär als Interaktionsprozess zwischen den beteiligten Systemplanern und -entwicklern, Benutzern sowie weiteren Stakeholdern aufge- fasst und untersucht. Aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht steht der Einsatz von Methoden, Techniken und Werkzeugen im Vordergrund, welche die Planung, Rea- lisierung und Einführung von Informationssystemen unterstützen bzw. ermögli- chen. Es ist ein Merkmal der Wirtschaftsinformatik, die sozial- und wirtschaftswis- senschaftliche Sicht sowie die ingenieurwissenschaftliche Sicht zusammenzufassen und zu integrieren. Aus diesem Blickwinkel der Wirtschaftsinformatik ist das vor- liegende Buch entstanden. Der Dank des Autors gilt allen, die beim Entstehen dieses Buchs mitgewirkt haben. Allen voran ist Univ.-Prof. emeritus Dipl.-Ing. Dr. Lutz J. Heinrich zu danken, der die 1. Auflage im Jahr 1997 veröffentlichte und motivierend auf mich einwirkte, als ich mit ihm die Idee besprach, nach mehr als zwei Jahrzehnten das Werk „wie- derzubeleben“ und eine 2. Auflage zu verfassen. Die Fähigkeit zur Abstraktion ist gerade im akademischen Bereich eine bedeutsame Eigenschaft. Der Autor der 1. Auflage abstrahierte in seinen Ausführungen in weiten Teilen. Statt Details darzu- stellen, deren „Halbwertszeit“ aufgrund technologischer Entwicklungen gering ist, fokussierte er auf die fundamentalen Konzepte, Aufgaben und Methoden sowie deren Zusammenhänge. Damit schuf er die Voraussetzung, dass eine mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegende Veröffentlichung die Basis des vorliegenden Werkes sein kann. Er stellte das Manuskript der 1. Auflage als Grundlage für diese neue Auflage zur Verfügung. Die 1. Auflage hatte 46 Lerneinheiten, 14 Lerneinheiten wurden aussortiert und 32 grundlegend überarbeitet. Zudem wurden 17 neue Lerneinheiten verfasst. Die Ziele der Ergänzung dieser neuen Lerneinheiten sind: (1) auf bedeutsame Entwicklungen im Projektmanagement einzugehen (Rahmen- werke des Projektmanagements, Projektmanagementsoftware, Risikomanagement, agile Methoden in Informatik-Projekten), (2) die Bedeutung des Menschen in In- formatik-Projekten in den Mittelpunkt zu rücken (Psychologie, Führung und Teamarbeit, Koordination, Stakeholder-Management, Konfliktmanagement, Ver-
  • 10. Vorwort VII änderungsmanagement, Technologieakzeptanz) und (3) in der Erstauflage nur am Rande behandelte Themen vertiefter darzustellen (Erfolgsfaktoren des Projektma- nagements, Evaluation, Anforderungsanalyse, Prozessmodellierung, Datenmodel- lierung). Ein besonderes Merkmal dieser neuen Auflage ist, dass in jeder Lerneinheit auf Befunde wissenschaftlicher Forschung eingegangen wird. Dies ist nach Auffassung des Autors ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Werks; es ist Ausdruck eines am Markt der Projektmanagement-Bücher eher selten beobachtbaren akade- mischen Anspruchs. Ziel der 2. Auflage ist es auch, die Verwendung des Buchs mehr als bisher über die Zielgruppe der Lehrenden und Lernenden an Universitäten und Fachhochschulen hinaus auf Praktiker zu erweitern, die im Projektmanagement arbeiten. Die Inhalte des vorliegenden Werks sind sowohl für Projektmanager und -mitarbeiter auf An- wenderseite als auch für Manager, Projektverantwortliche und Mitarbeiter in Soft- ware- und Internetunternehmen relevant. Die je Lerneinheit genannten Lernziele, primär formuliert für Lernende in Studiengängen der Wirtschaftsinformatik und Informatik sowie darüber hinaus der Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftswis- senschaften, sind auch als Aufforderungen zum Handeln für Praktiker zu verste- hen. Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat der Autor mit Prof. Dipl.- Ing. Dr. Harald Dobernig M.Sc. MBA, Hochschulprofessor an der Northern Busi- ness School in Hamburg, eine Persönlichkeit zur Mitwirkung gewinnen können, deren langjährige Erfahrung im Projektmanagement bei Siemens eine wertvolle Grundlage für dieses Buch ist. Er wirkte von der Konzeption des Buchs bis zum Verfassen der inhaltlichen Grundlagen von mehreren Lerneinheiten mit; er stand mit Rat und Tat während des gesamten Entstehungsprozesses des Buchs zur Ver- fügung. Namentlich sei weiter folgenden Personen gedankt: Thomas Fischer BA M.Sc. sowie Mark C. Stieninger BA M.Sc.; Thomas Fischer verfasste die inhaltli- che Grundlage für die Lerneinheit Prozessmodellierung, Mark C. Stieninger für die Lerneinheit Datenmodellierung. Zudem half Florian Karlinger BA auf operativer Ebene mit. Der Autor verwendet das herkömmliche Maskulinum und verzichtet auf die meist umständlichen Konstruktionen einer beide Geschlechter explizit ansprechenden Formulierung. Wo möglich, wird eine Formulierung verwendet, die einen Ge- schlechterbezug vermeidet. Dem Autor ist es ein Anliegen zu betonen, dass damit keinerlei geschlechtsspezifische Absicht verbunden ist. Leserinnen und Leser sind gleichermaßen angesprochen. Hinweise auf Fehler und sachkritische Anmerkun- gen, die zur Verbesserung des vorliegenden Textes führen können, sind dem Autor willkommen. Alle URL-Angaben im Buch waren per nachstehendem Datum funk- tionsfähig. René Riedl, am 31. Dezember 2018
  • 12. Inhaltsverzeichnis Vorwort.....................................................................................................................V Inhaltsverzeichnis....................................................................................................IX Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten.......................................................XI Einführung in das Management von Informatik-Projekten...............................1 EINFÜ - Einführung in das Management von Informatik-Projekten .......................3 Grundlagen des Projektmanagements ................................................................13 RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15 PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29 PRORG - Projektorganisation.................................................................................39 PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55 PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73 ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95 EVALU - Evaluation.............................................................................................113 RISKM - Risikomanagement................................................................................125 Grundlagen von Informatik-Projekten.............................................................141 ZAMIP - Ziel, Aufgaben und Methodik von Informatik-Projekten .....................143 SYSIP - Systemtechnik und Informatik-Projekte .................................................155 PROIP - Prozessorientierung von Informatik-Projekten ......................................167 PROTY - Prototyping............................................................................................177 AGILM - Agile Methoden in Informatik-Projekten .............................................191 ZIELP - Zielplanung für Informatik-Projekte.......................................................207 ANFAN - Anforderungsanalyse............................................................................225 PFLIC - Lastenheft und Pflichtenheft...................................................................237 Projektphasen in Informatik-Projekten............................................................249 ZAMVS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Vorstudie.......................................251 ZAMFS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Feinstudie ......................................263 ZAMSE - Ziel, Aufgaben und Methodik des Systementwurfs.............................275 ZAMIM - Ziel, Aufgaben und Methodik der Implementierung ...........................285 ZAMIN - Ziel, Aufgaben und Methodik der Installierung ...................................301 Der Mensch in Informatik-Projekten................................................................317 PSYCH - Psychologie ...........................................................................................319 PROVE - Projektverantwortung und Projektgruppe.............................................343 FTEAM - Führung und Teamarbeit ......................................................................359 KOORD - Koordination........................................................................................371 STAKM - Stakeholder-Management ....................................................................383 KONFM - Konfliktmanagement ...........................................................................395 VERÄM - Veränderungsmanagement ..................................................................407 TECHA - Technologieakzeptanz ..........................................................................421
  • 13. X Inhaltsverzeichnis Planungsmethoden ..............................................................................................433 PROHB - Projekthandbuch ...................................................................................435 KREAT - Kreativitätstechniken............................................................................443 MEAUF - Methoden der Aufwandsschätzung......................................................455 NETZP - Netzplantechnik.....................................................................................465 Beschreibungsmethoden .....................................................................................479 ERFAS - Erfassungsmethoden..............................................................................481 DOKUM - Dokumentationsmethoden ..................................................................497 PRAET - Präsentationstechniken..........................................................................513 Analysemethoden.................................................................................................525 WIRTA - Wirtschaftlichkeitsanalyse....................................................................527 WERTA - Wertanalyse .........................................................................................539 INTER - Interaktionsanalyse.................................................................................551 Entwurfsmethoden ..............................................................................................563 PROMO - Prozessmodellierung............................................................................565 DATMO - Datenmodellierung..............................................................................581 SIMUL - Simulation..............................................................................................591 Qualitätsmanagement .........................................................................................605 QUALM - Qualitätsmanagement ..........................................................................607 REVAU - Reviews und Audits .............................................................................627 TESTM - Testmethoden........................................................................................637 Projektdiagnose ...................................................................................................651 PCONT- Projektcontrolling ..................................................................................653 PREVI - Projektrevision........................................................................................665 CHECK - Checklisten ...........................................................................................675 Schlagwortverzeichnis.........................................................................................689
  • 14. Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten AGILM - Agile Methoden in Informatik-Projekten .............................................191 ANFAN - Anforderungsanalyse............................................................................225 CHECK - Checklisten ...........................................................................................675 DATMO - Datenmodellierung..............................................................................581 DOKUM - Dokumentationsmethoden ..................................................................497 EINFÜ - Einführung in das Management von Informatik-Projekten .......................3 ERFAS - Erfassungsmethoden..............................................................................481 ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95 EVALU - Evaluation.............................................................................................113 FTEAM - Führung und Teamarbeit ......................................................................359 INTER - Interaktionsanalyse.................................................................................551 KONFM - Konfliktmanagement ...........................................................................395 KOORD - Koordination........................................................................................371 KREAT - Kreativitätstechniken............................................................................443 MEAUF - Methoden der Aufwandsschätzung......................................................455 NETZP - Netzplantechnik.....................................................................................465 PCONT- Projektcontrolling ..................................................................................653 PFLIC - Lastenheft und Pflichtenheft...................................................................237 PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73 PRAET - Präsentationstechniken..........................................................................513 PREVI - Projektrevision........................................................................................665 PROHB - Projekthandbuch ...................................................................................435 PROIP - Prozessorientierung von Informatik-Projekten ......................................167 PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29 PROMO - Prozessmodellierung............................................................................565 PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55 PRORG - Projektorganisation.................................................................................39 PROTY - Prototyping............................................................................................177 PROVE - Projektverantwortung und Projektgruppe.............................................343 PSYCH - Psychologie ...........................................................................................319 QUALM - Qualitätsmanagement ..........................................................................607 RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15 REVAU - Reviews und Audits .............................................................................627 RISKM - Risikomanagement................................................................................125 SIMUL - Simulation..............................................................................................591 STAKM - Stakeholder-Management ....................................................................383 SYSIP - Systemtechnik und Informatik-Projekte .................................................155 TECHA - Technologieakzeptanz ..........................................................................421 TESTM - Testmethoden........................................................................................637 VERÄM - Veränderungsmanagement ..................................................................407 WERTA - Wertanalyse .........................................................................................539 WIRTA - Wirtschaftlichkeitsanalyse....................................................................527 ZAMFS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Feinstudie ......................................263 ZAMIM - Ziel, Aufgaben und Methodik der Implementierung ...........................285 ZAMIN - Ziel, Aufgaben und Methodik der Installierung ...................................301 ZAMIP - Ziel, Aufgaben und Methodik von Informatik-Projekten .....................143
  • 15. XII Alphabetisches Verzeichnis der Lerneinheiten ZAMSE - Ziel, Aufgaben und Methodik des Systementwurfs.............................275 ZAMVS - Ziel, Aufgaben und Methodik der Vorstudie.......................................251 ZIELP - Zielplanung für Informatik-Projekte.......................................................207
  • 16. Einführung in das Management von Informatik-Projekten
  • 18. EINFÜ - Einführung in das Management von Informatik-Projekten Lernziele Sie können den Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ in Wissen- schaftsdisziplinen und Lehrgebiete einordnen. Sie können die grundlegenden Be- griffe Projekt und Management sowie die Konstrukte Projektmanagement und In- formatik-Projekt erläutern. Sie kennen typische Gegenstände von Informatik-Pro- jekten, insbesondere die (Re)Konstruktion und Implementierung von Informations- und Kommunikationssystemen. Sie kennen Eigenschaften, die Informations- und Kommunikationssysteme kennzeichnen. Sie kennen die Einordnung des Lernstoffs in das Wirtschaftsinformatik- und in das Informatik-Studium sowie die Struktur, in welcher der Lernstoff aufbereitet und dokumentiert wurde. IT und IT-Mittel Die Verwendung des Akronyms IT = Informationstechnologie ist in Wissenschaft und Praxis weit verbreitet. Gemeint ist bzw. sind Informations- und Kommunikati- onstechnik/en (I&K-Technik/en), also die technischen Hilfsmittel, mit denen In- formation und Kommunikation in Wirtschaft und Gesellschaft unterstützt oder erst möglich gemacht werden (z.B. Hardware und Software). In einem weiteren Sinn ist bzw. sind damit Informations- und Kommunikationstechnologie/n (I&K-Tech- nologie/n) gemeint, also Verfahren und Methoden zur Anwendung und Nutzung von I&K-Techniken. Beide werden zusammenfassend als IT-Mittel bezeichnet. IT- Mittel sind also sowohl I&K-Techniken als auch die Verfahren und Methoden zu ihrer Anwendung und Nutzung einschließlich Werkzeuge, kurz alle Hilfsmittel zur Produktion, Verteilung und Nutzung von Information. Projekt, IT-Projekt, Informatik-Projekt Ein Projekt ist ein Vorhaben, das im Wesentlichen durch Einmaligkeit der Bedin- gungen in ihrer Gesamtheit – nicht nur einzelner Bedingungen, die für mehrere Projekte gleich sein können – gekennzeichnet ist, wie (nach DIN 69901):  Zielvorgabe;  zeitliche, finanzielle, personelle oder andere Begrenzungen;  Abgrenzung gegenüber anderen Vorhaben;  projektspezifische Organisation (Struktur- und Ablauforganisation). Zweck von IT-Projekten ist die Evaluierung, Beschaffung, Veränderung, Sanie- rung usw. von IT-Mitteln zur Unterstützung oder Ermöglichung von Information und Kommunikation in Organisationen. Typische Gegenstände von IT-Projekten sind daher die Evaluierung von Produkten (Hardware- und Software-Produkte) und Dienstleistungen (z.B. Cloud Services) des IT-Markts, die Migration von Soft- ware-Systemen (z.B. Migration von einem Betriebssystem auf ein anderes) sowie die Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Informationssysteme.
  • 19. 4 Einführung Projekte, deren Zweck die Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Informa- tionssysteme (kurz: IS) ist, werden – zur Abgrenzung von allen anderen IT- Projekten – als Informatik-Projekte (synonym: IS-Projekte) bezeichnet; welche im Regelfall durch folgende Merkmale gekennzeichnet sind:  in Abhängigkeit vom Kontext stark variierende Projektlaufzeit (je nach Projekt- umfang von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren);  mittlere bis große Anzahl beteiligter Personen und Institutionen;  Schnittstellen zu anderen Projekten oder Komponenten der Informationsinfra- struktur (z.B. zu bestehenden Informationssystemen), so dass eine „isolierte“ Sichtweise nicht möglich ist;  geringer Projektfreiheitsgrad, da vorgegebene Planungsziele die Projektziele de- terminieren;  Ergebnisrisiko, weil aufgrund der Wirkung vieler Einflussfaktoren nicht sicher ist, ob die Planungsziele erreicht werden;  Unsicherheit bezüglich der Einhaltung von Termin-, Kosten-, Qualitäts-, Quanti- täts- sowie Ressourcenzielen;  Wettbewerb um die Ressourcen für die Projektabwicklung mit anderen Pro- jekten (insbesondere um Budgets, Personal und Betriebsmittel). Management und Projektmanagement Unter Management wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Führen einer Organi- sationseinheit verstanden (z.B. das Führen einer Abteilung oder einer Projektgrup- pe), oder es wird damit die Personengruppe bezeichnet, die eine Organisationsein- heit oder die gesamte Organisation (Top-Management) führt. In der Betriebswirt- schaftslehre meint Management das Leitungshandeln in einer Organisationseinheit, mit dem sich insbesondere der betriebswirtschaftliche Wissenschaftsbereich der Managementlehre befasst. Diese Lehre fokussiert auf die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung zweckorientierter sozialer Systeme (z.B. eines Unternehmens). Die Notwendigkeit zum Leitungshandeln besteht in jeder arbeitsteiligen Organisation. Arbeitsschwerpunkte der Managementlehre sind die Managementtechnik und die Menschenführung. Unter den verschiedenen Denk- und Erklärungsansätzen der Managementlehre ist der verhaltenswissenschaftliche Ansatz für das Management von Informatik-Projekten besonders bedeutsam, da Befunde wissenschaftlicher Forschung zeigen, dass der Erfolg von Informatik-Projekten wesentlich durch psy- chologische sowie soziologische Faktoren beeinflusst wird (z.B. Motivation, Macht, Kommunikation und Bewältigung von Konflikten). Management als Führungsaufgabe meint eine Menge von Strukturierungs-, Koor- dinations- und Integrationsaufgaben, die für den Erhalt von arbeitsteilig organisier- ten Institutionen (z.B. Unternehmen) und Vorhaben (z.B. Projekten) notwendig sind. Sie sollen auf der materiellen Ebene eine zielorientierte Beschaffung, Kom- bination und Verwertung von Ressourcen sichern, so dass Institutionen und Vorha- ben leistungsfähig gemacht werden und bleiben. Management als Institution um- fasst alle Positionen in Organisationen, die mit Führungsfunktionen ausgestattet sind. Personen, die solche Positionen besetzen, werden als Manager bezeichnet (z.B. ein Projektleiter als Projektmanager).
  • 20. Einführung 5 Projektmanagement (PM) ist nach DIN 69901 die Gesamtheit von Führungs- aufgaben, -organisation, -techniken und -mittel für die Abwicklung eines Projek- tes. PM wird daher auch als Führungskonzeption angesehen. Das Management von Projekten ist somit das Führungsinstrument für die fachübergreifende Koordination von Planung, Überwachung und Steuerung bei der Abwicklung von Projekten. Projektmanagement ist eine allgemeine, vom Projektgegenstand unabhängige Er- klärung über und Handlungsanweisung für Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mittel der Planung, Überwachung und Steuerung bei der Abwick- lung von Projekten. Präzisere Beschreibungen in der Fachliteratur unterstellen be- stimmte Projektgegenstände. Diese reichen von der Planung und dem Bau industri- eller Großanlagen (z.B. Anlagen der Stahlindustrie wie Hochöfen und Walzwerke) und Gebäuden (z.B. Burj Khalifa in Dubai, das aktuell höchste Bauwerk der Welt) über die Konstruktion und den Bau von Schiffen und Flugzeugen bis hin zu der in diesem Buch betrachteten Schaffung neuer oder wesentlich veränderter Infor- mationssysteme. Dies weist darauf hin, dass eine über die allgemeine Projektmana- gement-Methodik hinausgehende Erklärung und Gestaltung ohne Berücksich- tigung des Projektgegenstands nicht möglich ist. Präzisere Erklärungen des Pro- jektmanagements und praktisch verwertbare Handlungsanweisungen für das Pro- jektmanagement erfordern Kenntnisse über den Projektgegenstand und seine Bear- beitung. Handelt es sich um Informatik-Projekte, dann sind damit Kenntnisse über die für diese Projekte typischen Gegenstände einschließlich der Prinzipien, Verfah- ren, Methoden, Techniken und Werkzeuge gemeint, die zur Bearbeitung solcher Projekte erforderlich und verfügbar sind. Die Vielfalt der Gegenstände von IT-Projekten und damit der Prinzipien, Verfah- ren, Methoden usw. ist groß (z.B. von IT-Outsourcingprojekten bis hin zu Platt- form-Migrationsprojekten). Es ist daher nicht möglich, in diesem Buch alle zu be- rücksichtigen. Das vorliegende Werk befasst sich daher im Wesentlichen nur mit Projekten, deren Gegenstand die Schaffung neuer oder die wesentliche Verände- rung bestehender Informations- und Kommunikationssysteme ist (hier als Informa- tik-Projekte bezeichnet). Vieles, was dieses Buch enthält, ist jedoch auch für das Management von Projekten mit anderen Projektgegenständen von Bedeutung. Informations- und Kommunikationssysteme Generell wird unter System der ganzheitliche Zusammenhang von Teilen, Einzel- heiten, Dingen oder Vorgängen, die voneinander abhängig sind, ineinander greifen oder zusammenwirken, verstanden. Ein System besteht aus einer Menge von Ele- menten, die in bestimmter Weise miteinander in Beziehung stehen (miteinander interagieren) und einen bestimmten Zweck erfüllen. Der Beziehungszusammen- hang zwischen den Elementen ist deutlich dichter als der zu anderen Elementen, so dass sich Systeme von ihrer Umwelt (von ihrem Umsystem) abgrenzen lassen. Formal ausgedrückt: Ein System ist ein Gefüge, bestehend aus einer Menge von Elementen, einer Menge von Verbindungen und einer Zuordnungsvorschrift der Verbindungen auf die Elemente. Der Systemzweck wird durch adjektivische Be- griffszusätze ausgedrückt (z.B. Verkehrssystem, Versorgungssystem, Computer- system). Die Zusätze „Information“ und „Kommunikation“ verdeutlichen, dass der
  • 21. 6 Einführung Zweck eines „Informations- und Kommunikationssystems“ Information und Kommunikation ist.  Information ist handlungsbestimmende Kenntnis über historische, gegenwärtige oder zukünftige Zustände der Wirklichkeit und Vorgänge in der Wirklichkeit. Erster Zweck eines Informations- und Kommunikationssystems ist es, dieses Handlungspotential durch die datenmäßige Abbildung der Wirklichkeit und durch Methoden zur Verknüpfung dieser Daten (Informationsproduktion) dem Handelnden zur Verfügung zu stellen.  Kommunikation ist der Austausch von Information zwischen den Elementen ei- nes Systems und zwischen offenen Systemen. Zweiter Zweck eines Informa- tions- und Kommunikationssystems ist es, Information zwischen den Elementen des Systems und zwischen dem System und seiner Umwelt auszutauschen. Information und Kommunikation stellen also zwei Aspekte eines Objekts dar: Oh- ne Information keine Kommunikation, ohne Kommunikation keine Information. Dieser sogenannte „siamesische Zwillingscharakter“ (nach Norbert Szyperski) bei- der Phänomene macht es notwendig, sie in einem Informations- und Kommuni- kationssystem miteinander verbunden zu betrachten. Dabei ist es korrekt, von In- formationssystem zu sprechen, wenn sich das Hauptaugenmerk auf Information richtet, und die Bezeichnung Kommunikationssystem zu verwenden, wenn sich das Hauptaugenmerk auf Kommunikation richtet. Damit wird eine unterschiedliche Sicht auf ein- und dasselbe Objekt benannt. In der Wirtschaftsinformatik und In- formatik hat es sich allerdings eingebürgert, die Bezeichnung Informationssystem zu verwenden, was unter anderem damit erklärt werden kann, dass es im betriebs- wirtschaftlichen Sinn letztlich um Information geht und Kommunikation sozu- sagen „nur“ das Vehikel zur Information (also Mittel zum Zweck) ist. Multi-Projektmanagement Die bisherigen Überlegungen gingen von der Annahme aus, dass sich der Blick des Betrachters auf ein Projekt richtet; es war in diesem Sinn von Einzel-Projekt- management die Rede. In einer realen betrieblichen Umgebung können mehrere, im konkreten Fall viele Projekte gleichzeitig ablaufen. Daraus ergeben sich zusätz- liche, über das Einzel-Projektmanagement hinausgehende Aufgaben, die als Multi- Projektmanagement bezeichnet werden. Nach DIN 69909 bildet das Multi- Projektmanagement einen organisatorischen und prozessualen Rahmen für das Management mehrerer Projekte (z.B. in Form von Projektportfolios). Ein wesentli- cher Aspekt ist dabei die Koordination mehrerer Projekte in Bezug auf Abhängig- keiten und gemeinsame Ressourcen.
  • 22. Einführung 7 Einordnung in die Wirtschaftsinformatik und Informatik Zur Einordnung des Lernstoffs „Management von Informatik-Projekten“ in die Wirtschaftsinformatik als Wissenschaft ist es notwendig, eine Vorstellung über ihre Gliederung in Teilgebiete zu haben. Sobald der Gegenstandsbereich einer Wissenschaft einen gewissen Umfang erreicht hat, erfolgt eine Gliederung in Teil- gebiete. Nach Heinrich/Heinzl/Riedl bildeten sich Teilgebiete der Wirtschaftsin- formatik im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung nur langsam heraus. Weiter geben sie an, dass aktuell in der Wirtschaftsinformatik keine herrschende Meinung zu einer Systematik der Teilgebiete besteht (man werfe hierzu einen Blick in die Inhaltsverzeichnisse von einführenden Lehrbüchern). Status quo ist, dass in der Wirtschaftsinformatik Themenbereiche, aus denen sich Teilgebiete entwickeln können, entstehen und oft nach relativ kurzer Zeit wieder verschwinden. Gründe hierfür sind die rasanten technologischen Entwicklungen sowie die immer wieder beobachtbare Verhaltensweise von Technologiefirmen und Beratungsunternehmen, bekannte Phänomene unter neuem Namen vorzustellen und zu verkaufen. Die Wirtschaftsinformatik neigt dazu, sich an Moden zu orientieren. Dieser Umstand war und ist Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses (siehe z.B. Mertens, Mertens/Wiener, Riedl et al., Steininger et al.). Trotz des Umstands, dass es in der Wirtschaftsinformatik-Forschung aktuell keine vorherrschende Systematik der Teilgebiete gibt (von denen ein Teilgebiet IS- Projektmanagement sein könnte), hat sich in der Lehre eine herrschende Systema- tik herausgebildet. Seit dem Jahr 1984 gibt es Studienplanempfehlungen für die Ausbildung in Wirtschaftsinformatik im Hochschulbereich. Aufgrund der raschen technologischen Entwicklungen und der zunehmenden Konsolidierung der Diszip- lin fanden in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Überarbeitungen dieser Studi- enplanempfehlungen statt (die aktuellste Empfehlung wurde im Jahr 2017 veröf- fentlicht, vgl. dazu Gesellschaft für Informatik e.V.). Aus der Sicht des Manage- ments von Informatik-Projekten ist es bedeutsam, dass in diesen Empfehlungen unmittelbar Bezug auf die Wichtigkeit von Projektmanagement genommen wird, dabei wird auch die Bedeutung des Faktors „Mensch“ in Projekten explizit ge- macht. In der Empfehlung aus dem Jahr 1984 (Leitung: Peter Mertens) wird ein „Anfor- derungskatalog für die Hochschulausbildung im Bereich der Betrieblichen Daten- verarbeitung (Betriebsinformatik)“ spezifiziert (Informatik-Spektrum, Ausgabe 4, 1984, 256-258). Dieser Katalog enthält 19 Punkte, von denen sich einer ganz ex- plizit auf Projektmanagement bezieht, nämlich „Systemplanung und Systemanaly- se“ (vgl. Nr. 13). Die inhaltliche Beschreibung dieses Punktes umfasst unter ande- rem „Projektorganisation, -planung, -steuerung und -überwachung“. Weitere Punk- te, insbesondere „Software Engineering und Werkzeuge“ (Nr. 10, Inhaltsbeispiel: „Vorgehensmodelle für die Softwareentwicklung“), „Organisation und Führung von DV-Abteilungen“ (Nr. 14, Inhaltsbeispiel: „Mehrprojektplanung und Mitarbei- tereinsatz in der Systementwicklung“) und „Ökonomische und soziale Wirkungen der Informationsverarbeitung“ (Nr. 19, Inhaltsbeispiel: „Einführungsstrategien, Akzeptanz“) beziehen sich auf in der aktuellen Fachliteratur bedeutsame Inhalte des IS-Projektmanagements.
  • 23. 8 Einführung In der Rahmenempfehlung für Diplom-Studiengänge Wirtschaftsinformatik an Universitäten (Leitung: Karl Kurbel) aus dem Jahr 1992 (die als Fortschreibung der Empfehlung aus dem Jahr 1984 angesehen werden kann), wird „Planung und Realisierung betrieblicher Anwendungssysteme (einschließlich Projektmanage- ment)“ als wesentlicher Studieninhalt genannt. Die Beschreibung dieses Punktes umfasst unter anderem „Projektmanagement, Projektorganisation, Methoden und Werkzeuge, projektübergreifende Planung und Kontrolle [sowie] Multiprojektma- nagement“. In der Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik aus dem Jahr 2003 heißt es (Informatik-Spektrum, Ausgabe 2, 2003, 109): „Die Berufstätigkeit des Wirtschaftsinformatikers bringt es mit sich, dass an bestimmte Schlüsselqualifikationen (z.B. Arbeiten in interdisziplinären Projektteams …) hohe Anforderungen zu stellen sind. Lehrveranstaltungen, in denen einschlägige Fähig- keiten dazu vermittelt und geübt werden, müssen einen hohen Stellenwert erhal- ten.“ In der Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik aus dem Jahr 2007 (vgl. Gesellschaft für Informatik e.V.) werden acht Hauptaus- bildungsbereiche für Wirtschaftsinformatik beschrieben, einer davon ist „Entwick- lung und Management von Informationssystemen“. Dieser Hauptausbildungsbe- reich umfasst inhaltlich „Projektmanagement für IS-Projekte“ sowie weitere mit Informatik-Projekten in direkter Verbindung stehende Inhalte wie z.B. „Manage- ment des Lebenszyklus von Informationssystemen und des organisatorischen Wandels“ und „Vorgehensmodelle für die IS-Entwicklung“. Auch in der aktuellsten Empfehlung 2017 (vgl. Rahmenempfehlung für die Aus- bildung in Wirtschaftsinformatik an Hochschulen, Gesellschaft für Informatik e.V.) wird die Wichtigkeit der Ausbildung in Projektmanagement explizit hervorgeho- ben. Konkret wird im Hauptausbildungsbereich „Informationsmanagement“ ein eigener Punkt „i) Projektmanagement: Projektinitiierung, -planung und -führung“ genannt. Zudem werden im Hauptausbildungsbereich „Entwicklung und Betrieb von Informationssystemen“ in den Punkten a) bis f) Aufgaben beschrieben, die beim Management von Informatik-Projekten im Mittelpunkt stehen (z.B. Problem- analyse und Anforderungsdefinition, Architekturentwurf, Programmentwicklung und Test, Gestaltung der Mensch-Computer-Schnittstelle, Systemintegration und Vorgehensmodelle für die Entwicklung von Informationssystemen). Kompetenzen im Projektmanagement werden auch in Empfehlungen für Bachelor- und Masterprogramme im Studienfach Informatik als besonders wichtig erachtet (trotz des Umstands, dass Informatik mehr auf technische Ausbildungsschwer- punkte fokussiert als Wirtschaftsinformatik). In einer Empfehlung der Gesellschaft für Informatik e.V. vom Dezember 2005 heißt es im Dokument „Empfehlungen für Bachelor- und Masterprogramme im Studienfach Informatik an Hochschulen“: „Projekt-Management-Kompetenz wird benötigt, um die Prozesse zu beherrschen und insbesondere die eigene und anderer Personen Arbeit organisieren zu können. Dazu müssen auch Grundkenntnisse im Schätzen und Messen von Aufwand und Produktivität vorhanden sein. Die Studierenden sollten gelernt haben, bei begrenz-
  • 24. Einführung 9 ten Ressourcen (Zeit, Personal, etc.) Lösungen zu erarbeiten, die allgemein aner- kannten Qualitätsstandards genügen und von allen Beteiligten akzeptiert werden. Dabei sollten sie verinnerlicht haben, sich nicht auf unrealistische Projekte einzu- lassen.“ Stellt man die Frage der Einordnung des Managements von Informatik-Projekten in ein Teilgebiet der Informatik, so bietet sich die Praktische Informatik an, und hier ist wiederum eine Einordnung in die Softwaretechnik (Software Engineering) zweckmäßig; Softwaretechnik befasst sich mit der professionellen Entwicklung großer Softwaresysteme (vgl. zu dieser Einordnung einen Beitrag von Zül- lighoven/Raasch zu „Softwaretechnik“ und hier insbesondere Abschnitt 13.6). Die Zweckmäßigkeit dieser Einordnung wird auch durch Software-Engineering-Werke aus dem angloamerikanischen Raum gestützt (z.B. Sommerville). Da viele Hochschulen im deutschsprachigen Raum ihre Curricula auf der Basis von Studienplanempfehlungen entwickeln, kann angenommen werden, dass Ab- solventen der Wirtschaftsinformatik und Informatik – zumindest idealtypisch – eine Ausbildung im Management von Informatik-Projekten (IS-Projekten) haben. Die dargebotenen Aussagen aus einschlägigen Empfehlungen für die Hochschul- ausbildung bilden die Grundlage für diese Annahme. Weiter zeigen die Empfeh- lungen, dass IS-Projektmanagement ein bedeutsamer Ausbildungsschwerpunkt in der Wirtschaftsinformatik ist, und auch für Informatiker mit ihrer eher technischen Schwerpunktsetzung ist Projektmanagement ein unverzichtbarer Ausbildungsin- halt, insbesondere dann, wenn im Studium ein Schwerpunkt auf Software- Engineering gelegt wird. Das vorliegende Werk geht von folgender These aus: Absolventen der Wirt- schaftsinformatik sowie der Informatik, sofern ihr Fokus Software Engineering ist, die über keine oder nur über unzureichende Kenntnisse im Projektmanagement verfügen, haben ein verringertes Erfolgspotential in Bezug auf ihre berufliche Tä- tigkeit. Primär ist der Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ in das Lehrgebiet der Wirtschaftsinformatik einzuordnen (trotz des Umstands, dass sich auch die In- formatik, je nach Fokus mehr oder weniger intensiv, dieser Thematik widmet). Das Ausbildungsziel kann hier so beschrieben werden: Absolventen sind in der Lage, sowohl auf der Seite der Anbieter (Hersteller, System- und Softwarehäuser) als auch auf der Seite der Anwender Informations- und Kommunikationssysteme zu planen und zu realisieren. Der vorliegende Lernstoff kann auch in das Lehrgebiet der Betriebswirtschaftsleh- re eingeordnet werden, und zwar dann, wenn Wirtschaftsinformatik oder Fächer mit anderen Bezeichnungen (z.B. Informationswirtschaft, Informationsmanage- ment oder Digital Business Management) als Wahlpflichtfach oder als Wahlfach vorgesehen sind. Das Ausbildungsziel kann hier so beschrieben werden: Absolven- ten werden in der Praxis vor allem als Benutzer von Informationssystemen auftre- ten. Sie bestimmen daher entscheidend die Anforderungen an die Konstruktion und Implementierung dieser Systeme, wirken deshalb an der Schaffung und Verände-
  • 25. 10 Einführung rung von Informationssystemen und somit in Informatik-Projekten aktiv mit. Der Lernstoff „Management von Informatik-Projekten“ geht aber weit über das hinaus, was Benutzer wissen müssen, um Benutzerbeteiligung erfolgreich praktizieren zu können. Forschungsbefunde zum Management von Informatik-Projekten Wo sind Forschungsbefunde zum Management von Informatik-Projekten publi- ziert? Eine Antwort auf diese Frage ist bedeutsam, weil es ein wesentliches Anlie- gen eines Werkes mit akademischem Anspruch wie dem vorliegenden sein muss, Studierenden und Praktikern (neben Wissenschaftlern, die ohnehin mit dem Studi- um wissenschaftlicher Quellen vertraut sind) die Auseinandersetzung mit Fachlite- ratur „schmackhaft“ zu machen. In diesem Buch werden daher in jeder Lerneinheit beispielhaft ausgewählte Forschungsbefunde vorgestellt. Auf dieser Basis soll die Leserschaft dazu angeregt werden, nach weiteren Forschungsbefunden zu recher- chieren, um die darin enthaltenen Erkenntnisse für das praktische Handeln nutzbar zu machen und/oder weitere Studien zu initiieren. Da das Management von Infor- matik-Projekten und die darin subsummierten Themenfelder interdisziplinär sind, kann keine einfache Antwort auf obige Frage gegeben werden. Vielmehr ist es so, dass Beiträge in Fachzeitschriften und Tagungsbänden sowie in wissenschaftlichen Büchern aus unterschiedlichsten Disziplinen wie  Projektmanagement (z.B. International Journal of Project Management, Project Management Journal, International Journal of Managing Projects in Business),  Information Systems (z.B. MIS Quarterly, Information Systems Research, Jour- nal of Management Information Systems),  Informatik (z.B. IEEE Transactions on Software Engineering, IEEE Transac- tions on Engineering Management, Communications of the ACM),  Management- und Organisationsforschung (z.B. Organization Science, Orga- nization Studies, Management Science) sowie  Psychologie (vgl. z.B. die in Wastian et al. zitierten Quellen) bedeutsame Erkenntnisse liefern. Die Sichtung von Befunden unterschiedlichster Disziplinen und deren Berücksichtigung im praktischen Handeln ist Erfolg deter- minierend. Das Studium von Forschungsbefunden ist eine Grundlage für evidenz- basiertes Management. Neben dem Studium von Literatur aus Fachzeitschriften, Tagungsbänden und Wis- senschaftsbüchern ist es auch bedeutsam, Veröffentlichungen von Institutionen mit Bezug zum Projektmanagement zu beachten. Dies sind insbesondere Publikationen des Project Management Institute (PMI, z.B. Project Management Body of Know- ledge), der International Project Management Association (IPMA, z.B. ICB, eine Kompetenzrichtlinie zur Beurteilung der Projektmanagement-Kompetenzen von Projektleitern und -mitarbeitern) sowie des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE, vgl. www.ieee.org, Suchbegriff: „project management“).
  • 26. Einführung 11 Zur Gliederung des Lernstoffs Der Lernstoff ist zunächst in einzelne Kapitel gegliedert, und zwar wie folgt:  Grundlagen des Projektmanagements;  Grundlagen von Informatik-Projekten;  Projektphasen in Informatik-Projekten;  der Mensch in Informatik Projekten;  Planungsmethoden;  Beschreibungsmethoden;  Analysemethoden;  Entwurfsmethoden;  Qualitätsmanagement;  Projektdiagnose. Auf der zweiten Gliederungsebene ist der Lernstoff je Kapitel in mehrere Lernein- heiten gegliedert. Jede Lerneinheit hat folgende Struktur:  Lernziele;  Definitionen und Abkürzungen, die in der Lerneinheit verwendet werden, wobei auch die Übersetzung ins Englische angegeben wird; dies dient in Anbetracht der häufigen Verwendung von Anglizismen in der Wirtschaftsinformatik und In- formatik der Verbesserung der Verständlichkeit; in diesem Zusammenhang sei auch auf die Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik, www.enzyklopaedie-der- wirtschaftsinformatik.de/lexikon, sowie auf das Wirtschaftsinformatik-Lexikon von Heinrich/Heinzl/Roithmayr hingewiesen;  Stoffinhalt der Lerneinheit, der in Teilabschnitte untergliedert ist;  Forschungsbefunde zum jeweiligen Stoffinhalt;  Kontrollfragen zum jeweiligen Stoffinhalt;  Quellenliteratur, also die Literatur, aus welcher der Stoffinhalt entnommen wur- de, soweit es sich nicht um Allgemeinwissen bzw. um Arbeitsergebnisse des Autors sowie der am Buch mitwirkenden Personen handelt;  Vertiefungsliteratur, im Regelfall einschlägige Bücher sowie Forschungsartikel aus Fachzeitschriften und Tagungsbänden, die ein weitergehendes Selbststudium ermöglichen;  Normen und Richtlinien, wobei ein Schwerpunkt auf Veröffentlichungen von DIN – Deutsches Institut für Normung, ISO – International Organization for Standardization und ähnlichen Institutionen gelegt wird (was aber nicht aus- schließt, dass auch in Fachzeitschriften oder online publizierte „Guidelines“ ge- nannt werden);  Werkzeuge, womit als Software implementierte Methoden und Verfahren ge- meint sind (hier werden die URLs angegeben, damit der Leser online Informati- onen zu den Werkzeugen abrufen kann);  interessante Links (hier werden URLs genannt, die weiterführende Informatio- nen zum Themenbereich liefern, beispielweise Beiträge, Einträge im Glossar oder Methodenbeschreibungen auf www.projektmagazin.de).
  • 27. 12 Einführung Quellenliteratur Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): Empfehlungen für Bachelor- und Masterprogramme im Studienfach Informatik an Hochschulen. https://gi.de/fileadmin/GI/Hauptseite/Service/ Publi- kationen/Empfehlungen/GI-Empfehlung_BaMa2005.pdf Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): GI-Empfehlungen: Rahmenempfehlung für die Ausbil- dung in Wirtschaftsinformatik an Hochschulen. https://gi.de/fileadmin/GI/Hauptseite/Aktuelles/ Meldungen/2017/Empfehlung- Wirtschaftsinformatik2017.pdf Gesellschaft für Informatik e.V. (GI): Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik. http://fb-wi.gi.de/fileadmin/gliederungen/fb-wi/wi-empf-2007.pdf Heinrich, L. J./Heinzl, A./Riedl, R.: Wirtschaftsinformatik: Einführung und Grundlegung. 4. A., Springer, 2011 Heinrich, L. J./Heinzl, A./Roithmayr, F.: Wirtschaftsinformatik-Lexikon. 7. A., Oldenbourg, 2003 Mertens, P./Wiener, M.: Riding the digitalization wave: Toward a sustainable nomenclature in Wirtschaftsinformatik: A comment on Riedl et al. (2017). Business & Information Systems Engineering, 4/2018, 367-372 Mertens, P.: Moden und Nachhaltigkeit in der Wirtschaftsinformatik. HMD – Praxis der Wirt- schaftsinformatik, 250/2006, 109-118 Riedl, R./Benlian, A./Hess, T./Stelzer, D./Sikora, H.: On the relationship between information management and digitalization. Business & Information Systems Engineering, 6/2017, 475- 482 Sommerville, I.: Software engineering. 9. A., Pearson, 2012 Steininger, K./Riedl, R./Roithmayr, F./Mertens, P.: Fads and trends in business and information systems engineering and information systems research: A comparative literature analysis. Bu- siness & Information Systems Engineering, 6/2009, 411-428 Wastian, M./Braumandl, I./von Rosenstiel, L. (Hrsg.): Angewandte Psychologie für das Pro- jektmanagement: Ein Praxisbuch für die erfolgreiche Projektleitung. 2. A., Springer, 2012 Züllighoven, H./Raasch, J.: Softwaretechnik. In: Rechenberg, P./Pomberger, G. (Hrsg.): Infor- matik-Handbuch. 4. A., Hanser, 2006, 795-837 Normen und Richtlinien DIN 69901-1:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 1: Grundlagen DIN 69901-2:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 2: Prozesse, Prozessmodell DIN 69901-3:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 3: Methoden DIN 69901-4:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 4: Daten, Da- tenmodell DIN 69901-5:2009-01: Projektmanagement - Projektmanagementsysteme - Teil 5: Begriffe Gesellschaft für Informatik e. V.: https://gi.de/service/publikationen/empfehlungen/ Guidelines for Education in Business and Information Systems Engineering at Tertiary Instituti- ons. Business & Information Systems Engineering, 3/2017, 189-203
  • 28. Grundlagen des Projektmanagements RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements ...............................................15 PROMA - Aufgaben des Projektmanagements.......................................................29 PRORG - Projektorganisation.................................................................................39 PROPL - Projektplanung, -überwachung und -steuerung.......................................55 PMSOF - Projektmanagementsoftware...................................................................73 ERFPM - Erfolgsfaktoren des Projektmanagements ..............................................95 EVALU - Evaluation.............................................................................................113 RISKM - Risikomanagement................................................................................125
  • 30. RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements Lernziele Sie kennen bedeutsame Rahmenwerke des Projektmanagements und ihre wesentli- chen Eigenschaften. Sie kennen Organisationen, die diese Rahmenwerke entwi- ckelt haben und weiterentwickeln, sowie bedeutsame Standards, die für die Pla- nung und Realisierung von Projekten existieren. Sie können die verschiedenen Zer- tifizierungssysteme der Organisationen beschreiben. Sie erkennen, dass mehrere Rahmenwerke und Standards für das Projektmanagement existieren, die unter Be- achtung der Spezifika von Informatik-Projekten in weiten Teilen auch auf die Ent- wicklung von Informationssystemen anwendbar sind. Definitionen und Abkürzungen CMMI (Capability Maturity Model Integration) = eine Sammlung von Referenz- modellen für verschiedene organisationale Anwendungsbereiche (z.B. Projekt- planung), die vom Software Engineering Institute (SEI) der Carnegie Mellon University entwickelt wurde. GPM (Gesellschaft für Projektmanagement) = Deutsche Gesellschaft für Projekt- management e.V.; sie ist Mitglied in der International Project Management Association. ICB (IPMA Competence Baseline) = Kompetenzrichtlinie der IPMA zur Beurtei- lung der Projektmanagement-Kompetenzen von Projektleitern und -mitarbeitern. IPMA (International Project Management Association) = eine von Europa ausge- hende Institution mit Sitz in den Niederlanden, deren Vision wie folgt angege- ben wird: „Promoting competence throughout society to enable a world in which all projects succeed.“ Sie ist zudem der internationale Dachverband nationaler Projektmanagement-Gesellschaften und bietet ein anerkanntes Zertifizierungs- programm zur Professionalisierung im Projektmanagement an. OPM3 (Organizational Project Management Maturity Model) = ein vom PMI de- finierter Standard für das organisationale Projektmanagement, der auf die Kom- petenz fokussiert, Portfolios, Programme und Projekte nach Best Practices zu planen und umzusetzen. Dieser Standard kann zur Bestimmung des organisatio- nalen Reifegrads im Projektmanagement verwendet werden. PMBOK (Project Management Body of Knowledge) = ein vom PMI herausgege- bener prozessorientierter Leitfaden für das Projektmanagement, der weithin als Projektmanagement-Standard angesehen wird. PMI (Project Management Institute) = eine von Nordamerika ausgehende Institu- tion mit Sitz in den USA, deren Ziel mit „advance the project management pro- fession worldwide“ angegeben wird. Sie ist zudem der internationale Dachver- band nationaler Projektmanagement-Gesellschaften und bietet ein anerkanntes Zertifizierungsprogramm zur Professionalisierung im Projektmanagement an. PMMM (Project Management Maturity Model) = ein an das CMMI angelehntes Modell, das den Reifegrad einer Organisation mit fünf Stufen beschreibt.
  • 31. 16 Grundlagen des Projektmanagements Rahmenwerke und Standards Die steigende Bedeutung von Projektmanagement hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass verschiedene Institutionen einschlägige Rahmenwerke und Standards entwickelt und veröffentlicht haben. Diese Rahmenwerke und Standards definieren ein Grundkonzept des Projektmanagements, das im Kern Aufgaben des Projektmanagements (vgl. Lerneinheit PROMA) und darüber hinaus weitere As- pekte beschreibt (z.B. Phasen im Projektablauf sowie Kompetenzbereiche, die für die Planung und Realisierung von Projekten notwendig sind). Bedeutsamste inter- nationale Institutionen sind die International Project Management Association (IPMA) und das Project Management Institute (PMI). Neben Rahmenwerken und Standards, die von diesen beiden Institutionen veröffentlicht werden, gilt PRINCE2 (PRojects IN Controlled Environments) als wichtiger Standard im Pro- jektmanagement, der aktuell vom Office of Government Commerce (OGC; früher CCTA, Central Computer and Telecommunications Agency), einer britischen Re- gierungsorganisation, herausgegeben wird. PRINCE2 ist eine prozessorientierte Projektmanagement-Methode. International Project Management Association (IPMA) Die International Project Management Association (IPMA) ist ein weltweiter Dachverband verschiedener nationaler Projektmanagementverbände. Auf der Basis von Vorgesprächen im Jahr 1964 wurde 1965 die IMSA (International Manage- ment Systems Association) gegründet, die später in INTERNET (INTERnational NETwork) umbenannt wurde. Im Jahr 1996 erfolgte die Umbenennung von IN- TERNET in IPMA. Lange Zeit war der Hauptsitz der IPMA in der Schweiz, heute ist er in den Niederlanden. Die Grundlage des Projektmanagementverständnisses der IPMA ist die International Competence Baseline (ICB). Von ihr abgeleitet existieren verschiedene National Competence Baselines (NCB), die aber üblicher- weise lediglich Übersetzungen der ICB in die jeweilige Landessprache sind. Kompetenzbegriff der IPMA Der Ansatz der IPMA ist kompetenzorientiert, was bereits in der Vision der Institu- tion zum Ausdruck kommt: „Promoting competence throughout society to enable a world in which all projects succeed“. Es wird somit von der Annahme ausgegan- gen, dass die handelnden Personen über die notwendige Kompetenz verfügen müs- sen, um im Projektmanagement erfolgreich agieren zu können. Kompetenz ergibt sich dabei nach Gessler aus den folgenden Bestandteilen:  Zuständigkeit,  Befugnis,  Wissen,  Können, Fertigkeiten sowie Geschick,  Erfahrung und  Einstellung.
  • 32. RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 17 Im Gegensatz zum PMI-Ansatz, der stärker prozessorientiert ist, wird den in die Projektarbeit eingebundenen Personen kein Prozessmodell vorgegeben. Daraus folgt, dass der Ansatz nach IPMA nicht vorgibt, wann im Projekt was zu tun ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass kompetente Personen dies situativ selbst besser entscheiden können. Allerdings nimmt die IPMA in ihrer aktuellen Interna- tional Competence Baseline (ICB) auch Bezug auf das Prozessmodell nach DIN 69901-2, so dass mittlerweile auch eine Bezugnahme auf Prozessabläufe besteht (vgl. Gessler). 1. PM-technische Kompe- tenzelemente 2. PM-Verhaltens- kompetenzelemente 3. PM-Kontextkompetenz- elemente 1.01 Projektmanagementerfolg 2.01 Führung 3.01 Projektorientierung 1.02 Interessierte Parteien 2.02 Engagement und Motiva- tion 3.02 Programmorientierung 1.03 Projektanforderungen und Projektziele 2.03 Selbststeuerung 3.03 Portfolio-Orientierung 1.04 Risiken und Chancen 2.04 Durchsetzungsvermögen 3.04 Einführung von Projekt-, Programm- und Portfolioma- nagement 1.05 Qualität 2.05 Entspannung und Stress- bewältigung 3.05 Stammorganisation 1.06 Projektorganisation 2.06 Offenheit 3.06 Geschäft 1.07 Teamarbeit 2.07 Kreativität 3.07 Systeme, Produkte und Technologie 1.08 Problemlösung 2.08 Ergebnisorientierung 3.08 Personalmanagement 1.09 Projektstrukturen 2.09 Effizienz 3.09 Gesundheit, Arbeits-, Betriebs- und Umweltschutz 1.10 Leistungsumfang und Lieferobjekte (Deliverables) 2.10 Beratung 3.10 Finanzierung 1.11 Projektphasen, Ablauf und Termine 2.11 Verhandlung 3.11 Rechtliche Aspekte 1.12 Ressourcen 2.12 Konflikte und Krisen 1.13 Kosten und Finanzmittel 2.13 Verlässlichkeit 1.14 Beschaffung und Verträ- ge 2.14 Wertschätzung 1.15 Änderungen 2.15 Ethik 1.16 Überwachung und Steue- rung, Berichtswesen 1.17 Information und Doku- mentation 1.18 Kommunikation 1.19 Projektstart 1.20 Projektabschluss Abb. RAHPM-1: Kompetenzelemente der ICB im Projektmanagement (nach Gessler)
  • 33. 18 Grundlagen des Projektmanagements Kompetenzelemente der ICB Dem kompetenzorientierten Ansatz folgend gliedert die IPMA in ihrer ICB Pro- jektmanagement (PM) in verschiedene Kompetenzelemente. Dabei werden nach Gessler im Wesentlichen drei Kompetenzarten unterschieden:  projektmanagementtechnische Kompetenzen,  Verhaltenskompetenzen und  Kontextkompetenzen. Abbildung RAHPM-1 fasst die drei Kompetenzarten zusammen und nennt die je- weiligen Kompetenzelemente. Es gibt darüber hinaus noch die Kompetenzen von Project Management Consul- tants (PMC). Während die drei dargestellten Kompetenzarten für Projektmanager relevant sind, wird von Beratern (Consultants) ein um Beratungskompetenzen er- weitertes Kompetenzspektrum erwartet (vgl. Abb. RAHPM-2). 1. PMC-technische Kompetenzelemente (Fachkompetenz-Elemente) 1.01 Strategien und Konzepte der Beratung 1.02 Phasen des Beratungsauftrags 1.03 Akquisitionsstrategien 1.04 Interventionen und Beratungsansätze 1.05 Kompetenzen und Techniken für effektive Durchführung von Beratungsinterventionen 1.06 Systematischer Ansatz in Beratung und Coaching 1.07 Analytische Methoden und diagnostische Werkzeuge 1.08 Bewertungsvorschläge 1.09 Fragetechniken und Diskussionsführung 1.10 Interview- und Befragungsmethoden 1.11 Methoden der Mitarbeitereinbindung 1.12 Großgruppenmethoden 2. PMC Verhaltenskompetenz-Elemente 2.01 Professionalität in Einstellung und Verhalten 2.02 Unterschiedliche Rollen in der PM-Beratung 2.03 Beziehungsmanagement 2.04 Umgang mit Widerständen 3. PMC Kontextkompetenz-Elemente 3.01 Organisationale Analyse und organisationales Verhalten 3.02 Managementprozess und Managementfunktion 3.03 Organisationale Entwicklung und Kultur 3.04 Veränderungsmanagement in Organisationen 3.05 Politik und Machtverhältnisse in Organisationen 3.06 Lernende Organisation und Wissensmanagement Abb. RAHPM-2: Kompetenzelemente von Project Management Consultants (nach Gessler)
  • 34. RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 19 Die einzelnen Kompetenzelemente sind in der International Competence Baseline (ICB) näher beschrieben; darüber hinaus hat die Gesellschaft für Projektmanage- ment (GPM) ein umfangreiches Werk veröffentlicht, in dem jedes Kompetenzele- ment ausführlich beschrieben wird (vgl. Gessler). Level Projektmanager (PM) PM-Berater (CPMC) A PM Executive Executive PM Consultant Er ist für das Portfolio eines Unterneh- mens oder eines Tochterunternehmens verantwortlich und leistet einen Beitrag zum strategischen Management eines Unternehmens. Des Weiteren ist er für die Entwicklung von PM-Prozessen ver- antwortlich. Er berät Unternehmen auf der Führungsebe- ne in den Feldern strategische PM-Beratung, organisationale Entwicklung, Vorbereitung auf Assessments oder Zertifizierung. Die Beratungstätigkeit umfasst Projekt- Portfolios oder Multiprojekt-Management. B Senior PM Senior PM Consultant Er ist für alle Kompetenzelemente eines komplexen Projektes verantwortlich und nimmt eine allgemeine Management- funktion wahr. Zusätzlich bedient er sich angemessener PM-Prozesse, Tools und Methoden. Er hat Erfahrung mit bekannten Beratungs- methoden und Beratungsinstrumenten sowie in komplexen Interventionsmethoden. Er berät Unternehmen auf der operativen Ebene in den Feldern PM-Methoden sowie PM- Instrumente, Coaching und Vorbereitung von Projekten auf PM-Awards. Seine Bera- tungstätigkeit umfasst Programme oder komplexe Projekte. C Zertifizierter PM PM Consultant Er ist für das Management begrenzt komplexer Projekte verantwortlich und beherrscht die üblichen PM-Methoden, Tools und Prozesse. Er hat Erfahrung in fundamentalen Bera- tungsmethoden und Beratungsinstrumenten sowie in einfachen Interventionsmethoden. Er berät Unternehmen auf der operativen Ebene in den Feldern PM-Methoden sowie PM-Instrumente, Coaching und Vorberei- tung von Projekten auf PM-Awards. Die Beratertätigkeit umfasst Einzelprojekte un- terschiedlicher Komplexität. D Zertifizierter Junior Projektmanager Associated PM Consultant Er verfügt über ein breit gefächertes Wissen im PM und kann dieses folge- richtig anwenden. Er kann Beratungsmethoden, Beratungsin- strumente und einfache Interventionsmetho- den anwenden und ist im Auftrag oder unter Verantwortung eines PM-Consultants bei Einzelaufgaben wie Moderation von Work- shops und Besprechungen oder Auswertung von erhobenen Daten tätig. Abb. RAHPM-3: 4-Level-Zertifizierung der IPMA (nach Gessler) Zertifizierungssystem der IPMA Sowohl die IPMA bietet eine 4-Level-Zertifizierung von Level D als niedrigstem bis zum Level A an (vgl. Abb. RAHPM-3). Parallel zu den Projektmanagerzertifi- zierungen existiert die Zertifizierung zum Certified Project Management Consul-
  • 35. 20 Grundlagen des Projektmanagements tant (CPMC), bei der zusätzlich zu den projektmanagementspezifischen Kompe- tenzelementen auch die beratungsspezifischen Kompetenzelemente fokussiert wer- den. Sowohl die Projektmanagement-Zertifizierung als auch die CPMC-Zertifizierung sind zweistufig aufgebaut. Neben einer formalen Prüfung der einzureichenden, um- fangreichen Erfahrungsnachweise und Tätigkeitsberichte findet eine mehrstündige Wissensüberprüfung statt. Zertifikate haben eine Gültigkeit von fünf Jahren bevor sich der Inhaber einer Re- Zertifizierung unterziehen muss. Die Zertifizierung wird durch unabhängige Zerti- fizierungsstellen durchgeführt. Abbildung RAHPM-3 stellt die einzelnen IPMA- Levels und die dazugehörigen Verantwortungsbereiche dar. Project Management Institute (PMI) Das Project Management Institute (PMI) wurde im Jahr 1969 in den USA gegrün- det. Es ist Herausgeber des Project Management Body of Knowledge (PMBOK) Guide, einem weltweit gültigen Standard für Projektmanagement. Ebenso wie die IPMA ist das PMI bestrebt, die Profession des Projektmanagements durch die Schaffung von globalen Standards und Qualifizierungsmaßnahmen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wissensgebiete des PMI Analog zu den Kompetenzelementen der IPMA hat das PMI zentrale Wissensge- biete definiert, die im PMBOK Guide beschrieben sind (vgl. PMI, 60ff.). Wissens- gebiete Projektmanagement-Prozessgruppen Initiierungs- prozess- gruppe Planungs- prozess- gruppe Ausfüh- rungspro- zessgruppe Überwachungs- und Steuerungs- prozessgruppe Abschluss- prozess- gruppe 1. Integrati- onsmanage- ment in Projek- ten 1.1 Projek- tauftrag ent- wickeln 1.2 Projekt- manage- mentplan entwickeln 1.3 Projekt- ausführung lenken und managen 1.4 Projektar- beit überwa- chen und steu- ern 1.5 Integrierte Änderungssteu- erung durchfüh- ren 1.6 Projekt oder Phase abschließen 2. Inhalts- und Umfangsma- nagement in Projekten 2.1 Inhalts- und Um- fangsma- nagement planen 2.2 Anforde- rungen 2.5 Inhalt und Umfang vali- dieren 2.6 Inhalt und Umfang steuern
  • 36. RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 21 sammeln 2.3 Inhalt und Umfang definieren 2.4 Projekt- strukturplan (PSP) erstel- len 3. Terminma- nagement in Projekten 3.1 Termin- management planen 3.2 Vorgän- ge definieren 3.3 Vor- gangsfolge festlegen 3.4 Ressour- cen für Vor- gänge schät- zen 3.5 Vor- gangsdauer schätzen 3.6 Termin- plan entwi- ckeln 3.7 Terminplan steuern 4. Kostenma- nagement in Projekten 4.1 Kosten- management planen 4.2 Kosten schätzen 4.3 Budget festlegen 4.4 Kosten steuern 5. Qualitäts- management in Projekten 5.1 Quali- tätsmanage- ment planen 5.2 Quali- tätssicherung durchführen 5.3 Qualität lenken 6. Personal- management in Projekten 6.1 Perso- nalmanage- ment planen 6.2 Projekt- team zu- sammenstel- len 6.3 Projekt- team entwi- ckeln 6.4 Projekt- team mana- gen
  • 37. 22 Grundlagen des Projektmanagements 7. Kommunika- tionsmanage- ment in Projek- ten 7.1 Kommu- nikations- management planen 7.2 Kommu- nikation ma- nagen 7.3 Kommuni- kation steuern 8. Risikoma- nagement in Projekten 8.1 Risiko- management planen 8.2 Risiken identifizieren 8.3 Qualita- tive Risiko- analyse durchführen 8.4 Quantita- tive Risiko- analyse durchführen 8.5. Risiko- bewälti- gungsmaß- nahmen pla- nen 8.6 Risiken steuern 9. Beschaf- fungsmanage- ment in Projek- ten 9.1 Beschaf- fungsma- nagement planen 9.2 Beschaf- fungen durchführen 9.3 Beschaffun- gen steuern 9.4 Beschaf- fungen ab- schließen 10. Manage- ment der Pro- jektstakeholder 10.1 Stake- holder iden- tifizieren 10.2 Stake- holderma- nagement planen 10.3 Enga- gement der Stakeholder managen 10.4 Engage- ment der Stake- holder steuern Abb. RAHPM-4: Projektmanagement-Prozessgruppen und Wissensgebiete (nach PMI) Prozessbegriff und Prozessgruppen des PMI Das PMI gliedert Projektmanagementprozesse in verschiedene Prozessgruppen, die sich im Gegensatz zu den Kompetenzelementen der IPMA mehr entlang eines Pha- senmodells orientieren. Grundsätzlich legt das PMI einen größeren Fokus auf die Projektmanagementprozesse. Das hat den Vorteil, dass eine Art Checkliste (vgl. Lerneinheit CHECK) entsteht, da in jedem Projekt unabhängig von konkreten Rahmenbedingungen immer wieder teilweise dieselben, zumindest aber ähnliche Prozesse durchlaufen werden. Es entsteht somit ein gewisser Grad an Standardisie- rung und auch weniger kompetentes Projektpersonal sollte auf der Basis von Pro- zessmodellen und Checklisten in der Lage sein, herausfordernde Projekte abzuwi- ckeln. Ein möglicher Nachteil des Handelns nach Prozessmodellen ist, dass Projek- te „im Formalismus verlaufen“ und die Akteure nicht die in vielen Informatik- Projekten notwendige Flexibilität in ihren Handlungen entwickeln können. Dies
  • 38. RAHPM - Rahmenwerke des Projektmanagements 23 kann letztlich dazu führen, dass Projekte nicht nur im Formalismus laufen, sondern sich im Formalismus verlaufen. Im Einzelnen beschreibt das PMI folgende Pro- zessgruppen (vgl. Abb. RAHPM-4):  Initiierungsprozessgruppe, die zu Beginn eines Projekt und zu Beginn einer je- den neuen Projektphase durchlaufen wird.  Planungsprozessgruppe, die alle Prozessschritte der Planung und Detaillierung eines Projektes beschreibt und sich dabei an den Projektzielen orientiert.  Ausführungsprozessgruppe, die die Steuerung des Ressourceneinsatzes sowie Teamentwicklung und Qualitätsmanagement beinhaltet.  Überwachungs- und Steuerungsprozessgruppe, die die laufende Überwachung und das Controlling samt Änderungsmanagement beschreibt.  Abschlussprozessgruppe, die alle Prozessschritte zur Übergabe und administra- tiven Vertragsbeendigung beinhaltet. Zertifizierungssystem des PMI Da die Anforderungen hinsichtlich Zugangsvoraussetzungen sowie Prüfungen beim PMI niedriger sind als bei der IPMA, haben Zertifizierungen des PMI einen höheren Verbreitungsgrad (vgl. z.B. Ahlemann/Teuteberg). Eine Beraterzertifizie- rung existiert im Gegensatz zur IPMA beim PMI nicht. Abbildung RAHPM-5 gibt eine Übersicht über die PMI-Zertifizierungen und die verschiedenen Stufen. Abb. RAHPM-5: Überblick PMI-Zertifizierungen (nach PMI Austria)
  • 39. Other documents randomly have different content
  • 40. etwas größer zu, befestigt sie erst am Buche und schneidet sie nachher passend; der Fachmann nennt dies »For miere n«. Ober- und Unterkanten sollen je nach Größe und Dicke des Bandes 3–5 mm überstehen, während die Vorderkante meist noch einen mm breiter gelassen wird. Vor der Befestigung der Deckel am Buche, welche Arbeit das »Ans etzen« heißt, werden dieselben für alle besseren Bände mit Papier beklebt, »gefütter t«, und zwar Halbfranzbände auf der inneren Seite allein, Ganzlederbände auf beiden Seiten. Das Papier, stets mit Kleister aufgeklebt, wird am hinteren Rande, der »Ans a tzka nte«, umschlagen, damit dieselbe sich nicht staucht. In Frankreich und England wird, abweichend von der deutschen Weise, das geleimte und gerundete Buch vor dem Beschneiden angesetzt und mit den Deckeln beschnitten; wir kommen später hierauf zurück.
  • 41. Fig. 52. Pappschere von Chr. Mansfeld in Leipzig. Man kann die Deckel auf dreierlei Weise ansetzen: »durchziehen«, »a uf tiefen Fa lz a n s etzen«, »a uf die Bünde a ns etzen«; das Durchziehen geschieht auf folgende Weise: 1 cm von der Ansetzkante entfernt wird mit dem Zirkel eine Linie hergestrichen und auf dieser die Durchstichstellen für die Bünde markiert; der Deckel wird dazu auf dem Buche genau in die
  • 42. Lage gebracht, welche er am fertigen Buche haben soll. Das Durchstechen geschieht mit einer spitzen Ahle und in schräger Richtung nach der Vorderkante zu. Alsdann wendet man den Deckel um und sticht etwas rechts seitwärts und 1 cm weiter zurück zu jedem Bunde ein zweites Loch in derselben Weise. Die Bünde, deren lose Enden nicht unter 7 cm lang sein dürfen, werden zunächst in ganzer Länge gekleistert, einige Male durch die Finger gezogen, spitz gedreht, dann einer nach dem andern durch das erste Loch nach innen, und durchs zweite wieder nach außen gezogen, während der Deckel aufrecht im Falz steht. Indem man nun das Buch dicht vor sich nimmt, zieht man die Bünde bei noch hochstehendem Deckel kräftig heran, legt den aufgeschlagenen Deckel auf eine Metallplatte und klopft die Bünde von beiden Seiten des Deckels mit dem Hammer gut nieder; das überstehende Ende wird glatt abgeschnitten und der Deckel vorsichtig zugelegt. Das Buch wird alsdann gewendet und die andere Seite genau ebenso behandelt. Damit später die Deckel sich gut und frei auflegen, wird schon vor dem Abpressen eine Lage Makulatur vor den Endbogen leicht angeklebt und bis zum Fertigmachen des Bandes mit bearbeitet; es ist dies unbedingt notwendig, denn nur so ist der wirklich schöne Falz zu erlangen, den wir mit Recht an englischen und französischen Bänden bewundern. Einfacher ist das Ansetzen »a uf tiefen Fa lz«. Die Deckel werden passend auf das Buch gelegt, die nicht mehr als etwa 4 cm langen Bünde mit einem Messer gleichmäßig auf den Deckel herübergestrichen und mit Kleister strahlenförmig und recht glatt festgeklebt; darüber kommt ein Streifen Papier, der die Bünde deckt. Nachdem die Rückseite in derselben Weise behandelt worden ist, wird der Band, am besten unter Vorlage von Zinkblechen, zwischen Brettern eingepreßt. Wir erwähnten schon oben das »For mieren«, welches für gute Bände selbst in solchen Werkstätten noch üblich ist, die mit Pappscheren versehen sind, da der sehr glatte Schnitt des Messers selbst von der schärfsten Pappschere nicht erreicht wird. Zu dieser Arbeit dient ein »Ka ntenl in ea l«, d. i. ein dünnes, je nach
  • 43. Buchgröße längeres oder kürzeres Lineal, an dessen einem Längsrande eine schmale Schiene in der Breite der Buchkante aufgenietet ist. Die eben erwähnte glatte Deckelkante erzielt man in England und Frankreich dadurch, daß man die Bücher oben und unten mit den Deckeln in der Beschneidepresse beschneidet; auch der Vorderschnitt wird meist nicht in der Maschine geschnitten. Während wir in Deutschland den Vorderschnitt zuerst machen, schneidet man dort die kürzeren Schnitte zuerst, indem man die durchgezogenen Deckel beim Unterschnitt nach oben, beim Oberschnitt nach unten zurückschiebt, mit Winkel und Bleistift die genaue Schnittlinie verzeichnet, den Band einsetzt und abschneidet; dadurch erreicht man eine genau parallele und an beiden Seiten gleich überstehende Kante. Zum Schneiden des Vorderschnittes schlägt man die Deckel zurück und macht das Buch wieder gerade, was in Frankreich unter Anwendung des sogenannten »Persierens« geschieht. Die Deckel werden zurückgeschlagen, das Buch zwischen zwei Spalten gefaßt und durch Hin- und Herdrücken mit den Spalten nach und nach in eine gerade Richtung gebracht, in der es eingesetzt und beschnitten wird. Etwas abweichend verfährt man in England; indem man den ganzen Band mit dem Rücken auf den Tisch stemmt, drückt man mit den Deckeln den Band nach hinten, wonach man diesen selbst mit zwei eisernen Klammern, die oben und unten angeschoben werden, in der so erreichten geraden Lage festhält und zum Beschneiden einsetzt. In beiden Fällen wird die Vorderkante der Deckel am Lineal mit dem Messer geschnitten. Bei geringeren Arbeiten setzt man die Deckel an, indem die Bünde auf den Flügelfalz, und auf diesen die Deckel aufgeklebt werden, welche letzteren man vorher etwa 4 cm breit mit Kleister auf der Innenseite anschmiert. In jeden Falle, gleichviel welche Ansatzweise in Anwendung kam, wird der Band nach dem Ansetzen der Deckel einige Zeit, je länger desto besser, eingepreßt.
  • 44. Schon früher (S. 45) haben wir bemerkt, daß der gewöhnliche Halbleinenband auf einfachere Weise mit sogenanntem »gebrochenem Rücken« hergestellt wird. Derselbe wird aus nicht zu dickem, aber kräftigem Stoff, am besten Aktendeckel gemacht. An demselben sind außer dem eigentlichen Rückenteil die Gelenke und je ein Flügel zum Ankleben unter den Deckel herzustellen. Ein Stück Aktendeckel, 2 cm langer als das Buch, 5 cm breiter, als der Rücken über der Rundung beträgt, wird an beiden Längsseiten mit scharfem Messer etwas verlaufend abgeschärft, damit unter dem Papier ein Absatz möglichst vermieden wird. Mit einem Streifen Papier wird die Rundung über den Rücken gemessen von Falz zu Falz, in den Zirkel genommen und oben wie unten auf die Mitte des Rückens übertragen. Diesen Punkten gemäß wird am Lineal her mit dem Falzbein ein Strich gemacht und der Ansatzflügel längs des Lineals in die Höhe gebogen und mit dem Falzbein hart daran hergestrichen. Sind beide Rückenbrüche in dieser Weise hergestellt, so biegt man die beiden Ansatzflügel auf den Brüchen vollends um und streicht sie recht fest nieder. Damit der Deckel sich aber recht frei auflege, wird ein zweiter Bruch, der sogenannte Falzbruch, gemacht. Das Lineal wird im Rücken parallel mit dem ersten Bruch, aber etwa ¼ bis ½ cm (je nach Größe des Buches) nach innen gerückt, angelegt und auf den herübergelegten Ansatzflügel ein zweiter Bruch an das Lineal herangerieben. Der innere Teil des Rückens wird mittelst Durchziehens unter dem Falzbein gerundet. Der nun zum Ansetzen fertige Rücken muß diese Form haben. Die beiden Ansatzflügel werden angeschmiert, ans Buch geklebt und darauf die Deckel angesetzt, eingepreßt und nachher formiert, wenn die Deckel nicht vorher passend waren. Alles Kleben geschieht
  • 45. mit Kleister. Bei sehr dicken Bänden wird vor dem Ansetzen noch ein zweiter Streifen in den mittleren Teil des Rückens eingeklebt. — Somit sind wir schon am Rücken des Buches angekommen, haben jedoch noch einiges über diesen Bestandteil der Decke vorauszuschicken. Der sogenannte »fes te R ücke n« war bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts allein üblich; das Leder wurde, nachdem der Rücken zwischen den Bünden mit weichen Pergamentstreifen bis auf den Deckel herüber überklebt worden war, fest aufgeklebt. Alles Kleben geschah mit Kleister, und es scheint, als sei der Leim dem Binder damaliger Zeit durchaus unbekannt gewesen und erst beim Aufkommen des Druckpapieres — mit dem Planieren — zur Verwendung gekommen; selbst ein »L eim en« des Rückens fand nicht statt, die Befestigung wurde mit Kleister erreicht. Die festen Bände mit den unverwüstlichen Rücken von weißem Schweinsleder sind männiglich bekannt; ihre Dauerhaftigkeit steht aber zur Bequemlichkeit beim Gebrauch im umgekehrten Verhältnis, denn wenn ein solches Buch nicht ein sehr großes Format besitzt, so schlägt es sich nie recht auf, und das geöffnete Buch muß auf beiden Seiten beschwert werden, um das Zuklappen zu verhindern. Auch alle späteren italienischen, französischen und englischen Einbände haben noch feste Rücken. Erst als das Pergament als Überzug der Decke in Gebrauch kam, änderte sich dies, da Pergament sich nicht so weit dehnt, daß es über die Bünde auf den Rücken geklebt werden kann. Die ersten Bände dieser Art finden sich gegen 1600 (der älteste, dem Schreiber dieses bekannte datiert London 1565), doch blieb bei Verwendung anderer Ledersorten der feste Rücken nach wie vor in Übung, bis der im 18. Jahrhundert eingeführte »Pa ppba nd« mit gebrochenem Rücken allgemein wurde. Auch der Lederband erhielt nun den »hoh len Rü cken«, der den Vorzug hat, daß er beim geschlossenen Buche fest anliegt, beim Aufschlagen aber sich ablöst und ein Durchbiegen des inneren Rückens gestattet. Damit der Buchkörper an und für sich genügende Festigkeit erhält, wird der Rücken desselben mit einem weniger dicken, als zähen Schreibpapier überklebt, bei
  • 46. Halbleinenbänden mit gebrochenem Rücken vor dem Ansetzen, bei anderen Bänden nach dem Ansetzen in der Presse. Schwieriger ist die Sache beim Ha lbfra nz ba n de, denn hier wird der Rücken sofort beim Überkleben geformt. Zu diesem Zwecke wird jeder Band einzeln in eine Presse gesetzt, so daß der Rücken frei nach oben steht. Dieser wird mit Leim mäßig bestrichen, und ein besonders zähes Papier, welches etwas länger als der Band und etwa 5–6mal breiter als der Rücken ist, aufgeklebt, und mit einem Falzbein gut angerieben. Auf der einen Seite wird das Papier am Falz her mit einem Messer glatt weggeschnitten, am anderen Falz her wird das Papier über den Rücken zurückgebrochen. An der glatt geschnittenen Seite wird ganz schmal Leim gegeben und der herübergelegte andere Teil des Rückenpapieres hier angeklebt und gut angerieben. Jetzt wird abermals über den Rücken zurückgebrochen, aber der vorher gespannte Teil angeschmiert, das Ende aufgeklebt und angerieben. Am Falz wird abermals zurückgebrochen, aufgeklebt und dies fortgesetzt, bis der Rücken eine der Schwere des Buches entsprechende Dicke erreicht hat. Wenn das Rückenpapier nicht allzudünn ist, genügen 5 geklebte Lagen für ein mittleres Buch. Am Falz der letzten Papierlage wird das Papier glatt weggeschnitten. Hierbei ist zu bemerken, daß jede Lage die vorhergehende nicht überragen darf, sondern eher eine Kleinigkeit zurückstehen muß, damit der Rücken nicht höher wird als die Deckel. Soll ein solcher Band keine erhabenen Bünde auf dem Rücken erhalten, so ist er jetzt schon fertig zum Einledern, nachdem der Rücken oben und unten noch mit den Deckeln gleichhoch abgeschnitten wurde, was zweckmäßig mit einer Schere geschieht. In gewöhnlichen Werkstätten, welche nach älterer deutscher Manier arbeiten, wird der Rücken einfacher hergestellt; ein Streifen Aktendeckel, so lang als die Deckel, wird auf die genaue Breite des Rückens von Falz zu Falz gemessen, zugeschnitten und gerundet, indem er unter dem Falzbein in wiegender Bewegung durchgezogen wird. An beiden Längsseiten schmal angeschmiert, wird er auf den
  • 47. Rücken passend angehängt; er soll sich überall genau an den Buchkörper anschmiegen und nirgends abstehen. Die weitere Behandlung deckt sich mit der vorher beschriebenen. Wie früher, beim festen Rücken und mit ums toc hen en Heftschnüren, die Bünde sich erhaben abzeichneten, so kleben wir auch heute meistens »un ech te Bünde« von schmalen Lederstreifen auf dem Buche auf, die möglichst die wirklichen Heftbünde decken sollen. Diese Art ist für alle besseren Leder- und Halbfranzbände zu empfehlen, wo nicht ganz besondere Zwecke einen glatten Rücken erfordern, wie etwa bei einzelnen Arten der Rokokobände. Je schmäler der aufgeklebte Bund ist, desto schöner ist er. Die Streifen werden etwas länger als Rückenbreite zugeschnitten, genau rechtwinkelig zum Falz aufgeleimt und an diesem mit einem scharfen Messer so abgeschnitten, daß er vom Rücken nach dem Falz zu ganz dünn verläuft. Das Überziehen, »Einleder n«, häufiger »da s L eder ma chen« genannt, erfordert als Vorarbeit das »S chä r fe n« des Leders. Man versteht darunter das Verdünnen oder Abflachen des Leders nach den Enden zu und in den Fälzen. Dies hat den Zweck, zu verhüten, daß Ränder oder Enden auf die daran- oder darübergeklebten Teile zu stark »auftragen«. Zu dieser Arbeit dient das »S chä r fme s s er«, mit dem auf dem »S chä r fs tein« von Marmor oder Solenhofer Schiefer die entsprechende Behandlung vorgenommen wird. Je nach der Arbeitsweise unterscheiden wir das »S chä r fen« und »Stoß en«, und demgemäß verwendet man die sogenannte B er l iner und O ffen ba c her Form des Schärfmessers mit mehr schneidender, und die Pa r is er und Wien er Form mit mehr stoßender Bewegung, ähnlich dem Hobeln des Tischlers. Um bei der Arbeit die Finger zu schützen, wird der hintere Teil des Messers bis zum Heft mit Leder umklebt. Der Schärfstein muß entweder genügend schwer sein, damit er beim Arbeiten nicht ausweicht, oder in einen Holzrahmen gefaßt werden, an dessen unterer Vorderkante eine angeschraubte Leiste gegen die Tischkante
  • 48. anstößt. Der Stein selbst ist nicht allein auf seiner Oberfläche geschliffen und poliert, sondern auch die Vorderkante ist sorgfältig gerundet, damit das zu verarbeitende Leder keine Marken oder Verletzungen erhält. Gleichviel welcher Art das Schärfmesser ist, immer hält die linke Hand das Leder mit dem Daumen gegen die vordere Kante des Steines gepreßt, während die anderen Finger ausgespreizt das Leder an der zu bearbeitenden Stelle straff anspannen; die Rechte führt das Messer. Die Stoßmesser arbeiten Strich an Strich von rechts nach links, die Schärfmesser arbeiten stoßend und zugleich schneidend von links nach rechts. — Zur Zeit findet man in den besseren Werkstätten beide Arten von Messer vertreten, und zwar wird meist für dünnere Leder und zum schmalen Schärfen (die gewöhnliche Art) meist Offenbacher, für dickes Leder und zum breit Ausschärfen Pariser Form benutzt. Fig. 53. Offenbacher und Pariser Messerform. Man unterscheidet mehrere Arten des Schärfens: »Abs toß en«, »Eins chla gs chä r fen«, »Au s s ch ä r fen« bei größeren Flächen. Erstgenannte Arbeit ist die leichteste; wie zu jeder Art des Schärfens wird das Leder erst »ger ibbel t«, d. h. der zu schärfende Lederteil wird nach der Fleischseite zu umgeschlagen und durch Hin- und Herrollen auf dem Stein unter den Fingern der rechten Hand mürbe, geschmeidig, und zum Schärfen geeigneter gemacht. Nur dünnere
  • 49. Sorten, Spalt-, Kalb-, Bastard- und Bockleder, werden abgestoßen, d. h. es wird davon ein etwa 1 cm breiter Streif nach den Kanten zu verlaufend abgenommen, während dickere Ledersorten breiter ausgeschärft werden müssen. Wir müssen an dieser Stelle über das Zuschneiden des Leders noch einiges nachholen. Es kommt zuerst in Frage, ob der Band, zu dem gerade Leder zuzuschneiden ist, in Ganz- oder Halbleder gebunden werden soll. In jedem Falle ist es zweckmäßig, zuvor ein Papiermuster zu schneiden, welches die Größe des Leders nebst der für den Einschlag erforderlichen Zugabe darstellt. Nach diesem Muster wird die Größe auf der Vorderseite des Felles mit einem Falzbein abgezeichnet und dann herausgeschnitten. Dies muß auf der Vorderseite geschehen, damit kleine Fehler oder Flecken im Leder entweder umgangen oder doch an eine Stelle gebracht werden können, wo sie nicht bemerkbar sind. Die Ecken werden so schräg abgeschnitten, daß das Leder, wenn es von beiden Seiten über den Deckel geschlagen ist, über der Ecke noch etwas übereinander geht. Beim Schärfen muß auf die einzelnen Teile des Buches Rücksicht genommen werden. Wird bei dünnem Leder die Kante ringsherum auch nur wenig abgestoßen, so muß doch der Teil, der an den Kapitalen über den Rücken eingeschlagen wird, etwas breiter abgeschärft werden, damit hier das Leder am Rücken, der ja schon durch das angeheftete oder angeklebte Kapital eine Verstärkung erfahren hat, nicht nochmals verdickt wird. In den Fälzen schabt man das Leder mit dem ziemlich flach gehaltenen Messer nur etwas aus, damit es geschmeidig wird. Es empfiehlt sich, vor dem Schärfen das Leder um das Buch herumzuschlagen und alle Kanten, sowie auch die Fälze mit einem Falzbein genau vorzuzeichnen, um beim Schärfen sich danach richten zu können. Bei Verwendung dickerer Ledersorten muß der Einschlag breiter abgeschärft werden. Nachdem auch hier alle Kanten genau vorgemerkt sind und auch das Ribbeln sorgfältig ausgeführt ist, wird
  • 50. zunächst ringsherum die Kante abgestoßen; dann aber bis über den vorgezeichneten Strich hinaus, oder richtiger gesagt hinter der Vorzeichnung beginnend, das Leder breit ausgestoßen, so zwar, daß merkliche Unebenheiten, Vertiefungen oder stehen gebliebene Teile mit den Fingerspitzen nicht zu fühlen sind, auch an der Umschlagestelle das Leder sich weich und geschmeidig umlegen läßt; ebenso muß der Falz, sowohl vom Deckel als vom Rücken her, gut und gleichmäßig ausgestoßen sein. Am schwierigsten ist es, ganze Rücken oder überhaupt größere Stücke auszuschärfen, wie dies bei Marokko oder echtem Saffian, auch bei Schweinsleder häufig vorkommt. Unter allen Umständen ist dies auch an sehr breiten Einschlägen bei Ganzlederbänden notwendig, die später mit innerer Kantenvergoldung versehen werden sollen. Ein durchaus scharfes Messer, das wiederholt auf einem guten Ölstein abzuziehen ist, und eine sichere Handführung sind für diese Arbeit unbedingtes Erfordernis, vor allem aber lange und fleißige Übung. Wem die Zeit beim Schärfen zu lang wird, der kann diese Arbeit, von der das saubere und gefällige Aussehen eines Bandes abhängig ist, nie erlernen. Deshalb lasse sich niemand, besonders im Anfang nicht, die Mühe verdrießen, an einer größeren Decke für den Rücken und dem 4 Finger breiten Einschlag einen halben Tag zu schärfen. Später geht die Arbeit schon schneller, und was beim Schärfen an Zeit verloren ging, wird beim Ledermachen und Vergolden reichlich wieder eingebracht. Die Ecken des Leders für Halbfranzbände müssen zunächst nach einer genauen Schablone zugeschnitten werden in der Form: Die lange Seite wird nur schmal abgestoßen, während alle anderen Seiten breiter ausgeschärft werden. Sehr dickes Leder wird gleichmäßig dünner geschärft. Ehe das Ledermachen vorgenommen wird, werden die nach dem Falz zu liegenden Ecken der Deckel etwas gebrochen, indem ein Streifchen Zinkblech unter den Deckel geschoben und von diesem etwa ½ cm breit nach den Ecken zu mit einem scharfen Messer
  • 51. weggestochen wird. Das »Insledermachen«, wie der Kunstausdruck heißt, wird eingeleitet durch Anschmieren der Lederecken und des Rückens. Dann legt man die Ecken an dem Buche an, schlägt erst an Ober- und Unterkanten den Ledereinschlag nach innen, kneift an den Ecken das Leder ein wenig ein und schlägt den Einschlag der Vorderkante über den anderen weg. Beide Einschläge sollen sich nicht mehr, aber auch nicht weniger decken, als sie ausgestoßen sind, damit die sich deckenden Abschrägungen im inneren Deckel nur wenig zu sehen und kaum fühlbar sind. Ist die Ecke am Buche festgemacht, so werden mit dem Falzbein alle Kanten noch genau scharf und winklig gerieben, damit das Ganze ja recht zierlich aussieht. Der Rücken wird so über das Buch gezogen, daß er an beiden Seiten gleichbreit auf die Deckel herübergreift; sind erhabene Bünde vorhanden, so muß an diesen das Leder besonders kräftig angezogen werden, auch der Bund rechts und links mit einem Falzbein gut eingerieben werden. Mit Vorteil bedient man sich dabei eines besonders geformten Holzes von Buchsbaum; dieses trägt auf seiner unteren Seite eine Kerbe, in welche der Bund paßt, und mit dieser wird der Bund von beiden Seiten gleichzeitig eingerieben. Die Einschläge am Kapital werden nun nach innen umgeklebt. Es ist dazu notwendig, etwa zwei cm lang den Rücken an allen Fälzen vom Buche abzulösen, indem man mit einem dünnen, spitzen Falzbein unter den geklebten Rücken fährt und ihn in den Fälzen aufschlitzt. Während man mit der linken Hand den Buchkörper etwas aus den aufgeschlagenen Deckeln heraushebt, schiebt man mit der Spitze eines Falzbeins den Ledereinschlag unter dem Kapital in den inneren Rücken und das Buch ein, wobei sorgfältig jede Verunreinigung des Kapitals mit Kleister zu vermeiden ist. Dieser Einschlag muß völlig glatt liegen, darf weder Falten haben noch zusammengeschoben sein. (Fig. 54.) Sind beide Kapitaleinschläge ausgeführt, so legt man den Band quer vor sich, drückt die Fälze scharf ans Buch heran, jedoch so, daß sie oben wie unten völlig gleich, nicht etwa an einer Seite breiter
  • 52. sind, als an der anderen. Der Einschlag im Falz muß ebenfalls durchaus glatt und straff anliegen. War vor den Endlagen eine Lage Makulatur vorgeklebt, so kann der Deckel alsbald zugeschlagen werden, anderenfalls geschieht dies Verkleben nachträglich. Die andere Seite wird in gleicher Weise zugerichtet und das Kapital dann äußerlich behandelt, zu welchem Ende der Band im Falz mit einem Zwirnfaden umschnürt wird. Dadurch wird an den Kapitalen das Leder nach innen geschnürt. Indem man nun dicht neben dem Faden mit der Spitze des Falzbeins in die Kapitalecke fährt, drückt man diese wieder nach auswärts. Den Band legt man flach auf den Schärfstein, drückt auch die Deckelkanten an der Umschnürung recht glatt und flach, reibt die Schnittkante des Deckels eben und winkelig und wiederholt dies an allen Kapitalecken. Fig. 54. Das Einschlagen des Kapitals. Das Kapital selbst, das durch Herüberreiben mit der hohlen Hand recht gleichmäßig über den seidenen Saum herübergeholt werden muß, wird oben mit dem Falzbein gleichmäßig und nicht zu kräftig flachgerieben, so daß das Seidenkapital wie mit einer Haube bedeckt ist. Schließlich streicht man mit dem Falzbein unten einige Male um das Kapital herum, wodurch auch hier ein scharfes und sauberes Aussehen erreicht wird, und legt den Band zwischen Brettern mit frei herausragendem Rücken — etwas beschwert — zum Trocknen hin.
  • 53. Ähnlich, nur noch etwas umständlicher ist der Ga nz leder ba nd zu bearbeiten, bei welchem noch mehr auf gutes Schärfen Gewicht gelegt werden muß. Das Leder wird mit Kleister angeschmiert, bleibt kurze Zeit liegen, wird noch einmal angeschmiert und das Buch dann so daraufgelegt, daß die beste Seite des Leders nach vorn kommt. Wird aber die Vorderseite reich verziert, während auf der Rückseite größere Flächen unverziert bleiben, so bringt man die bessere Seite nach hinten. Die ausgearbeiteten Fälze des Überzuges müssen genau mit den Buchfälzen übereinstimmen. Unter kräftigem Anziehen über die Bünde wird das Leder nach den Seiten herübergeklebt, der Deckel halb geöffnet, an der Vorderkante der Einschlag ohne Rücksicht auf die Ecken nach innen geschlagen und der Deckel geschlossen. Das Leder zieht sich auf diese Weise recht glatt über die Bünde und den Deckel weg. Genau so wird die andere Seite behandelt. Man achte darauf, daß die dünn gearbeiteten Stellen für die Fälze sich nicht seitwärts auf den Rücken oder den Deckel verschieben, sondern gerade sitzen. Der Einschlag muß gleichfalls so zubereitet sein, daß die Abschärfung bereits auf dem Deckel beginnt, um die Kanten herum aber völlig dünn geschärft ist, so daß das Leder fast wie ein Kissen sich nach den Rändern zu verjüngt. Hat man sich von der Richtigkeit der Arbeit überzeugt, so wird oben und unten eingeschlagen, zunächst wieder ohne Rücksicht auf die Ecken; vorher jedoch sind die Lederecken mit einem spitzen Schärfmesser schräg wegzustoßen, zu welchem Zwecke der Vordereinschlag teilweise wieder abgelöst wird. Je dünner der Deckel, desto näher an, je dicker der Deckel, desto weiter von der Deckelecke wird das Leder weggestoßen. Dazu wird die Klinge im halben rechten Winkel schräg gehalten und so an der Pappenecke vorbeigeführt, daß das Messer mit seiner flachen Seite den Deckel gerade noch streicht. Je dicker der Deckel ist, desto breiter wird also das Leder stehen bleiben. Wird das Leder nun über die Kanten eingeschlagen, so muß es genau im halben rechten Winkel zusammenstoßen und sich so weit decken, als die Schrägung ausmacht. Die Ecke selbst kann auf
  • 54. zweierlei Weise behandelt werden; einmal kann sie, wie die Ecke des Halbfranzbandes, eingekniffen werden. Dann kann auch folgendes Verfahren eingeschlagen werden, sofern man ein besonders dehnbares Leder verarbeitet. Indem mit der hohlen Hand von der Außenseite her das Leder über die Ecke weggestrichen wird, schiebt sich dasselbe in einer Anzahl ganz kleiner Fältchen zusammen, und nach dem Trocknen sieht der Zusammenstoß fast wie aus einem Stück gemacht aus. In beiden Fällen werden die Kanten mit dem Falzbein rechtwinkelig und scharf angestrichen. Damit die Ecke selbst scharfkantig ausfällt, schlägt man den Deckel auf und legt ihn mit der Innenseite flach auf den Schärfstein, während man die Kanten mit dem Falzbein behandelt; die Verarbeitung des Kapitals bleibt dieselbe. Dünnes Kalbleder, wie es neuerdings häufig im Handel vorkommt, wird meist nur an den Kapitalen, soweit solche in den Rücken eingeschlagen werden, geschärft, während der übrige Einschlag ungeschärft bleibt. Wir kommen später auf die weitere Behandlung des ungeschärften Einschlages zurück. Über die Behandlung von Ka l ikobä n den ist folgendes zu bemerken. Der Kaliko wird mit dem Messer und dem Lineal zugeschnitten, und zwar groß genug, damit die Einschläge später unter dem aufzupappenden Vorsatz gleichmäßig in der Breite von ½ cm zu sehen sind. Einzelne Fäden, rauhe Stellen oder gar schräg geschnittene Einschläge dürfen nicht zu sehen sein. Das zugeschnittene Stück wird mit Leim angeschmiert, das Buch aufgelegt, der Kaliko angerieben und scharf eingeschlagen. Die Ecken werden mit der Schere schräg abgeschnitten, jedoch so, daß noch genug zum Einkneifen stehen bleibt; die Einschläge sollen sich an den Ecken nicht mehr als 2 mm decken. Ha lbfra nzbä nde werden, sobald der Rücken ganz trocken ist, mit Papier oder Kaliko überzogen. Ehe dies geschieht, wird das Leder am Rücken her und an den Ecken abgeschnitten. Mit dem Zirkel wird von der Vorderkante nach dem Leder zu die Breite des zu überziehenden Stückes abgestochen und durch einen Falzbeinstrich
  • 55. markiert; ebenso werden die Ecken mit Hilfe einer kleinen, auf die Ecke gelegten Schablone gleichmäßig gestrichen. Auf diesen Marken wird aus freier Hand mit einem scharfen Messer das Leder schräg nach der Mitte zu eingeschnitten und das Überstehende abgezogen. Der Überzug ist so zuzuschneiden, daß er auf allen Seiten — also am Rücken und den Ecken — ans Leder anstößt, dasselbe aber nur soweit deckt, als es schräg abgestoßen ist. Vor dem Zuschneiden des Papieres (meist marmoriert, seltener einfarbig und gepreßt) hat man zu überlegen, wie sich der einzelne Bogen am vorteilhaftesten einteilt. Für den Einschlag rechnet man nicht über 2 cm an den Vorder- und Oberkanten zu. Der Schnitt wird mit einem scharfen Messer am Lineal oder Winkel ausgeführt. Das Ausschneiden der Ecken erfordert besondere Sorgfalt. Am zweckmäßigsten ist es, ein Überzugsteil dem Bande an das Leder anstoßend aufzulegen mit der erforderlichen Zugabe für den Einschlag. Die beiden unteren Ecken werden nach oben zurückgeschlagen und an den Stellen, wo sie an die Lederecken anzustoßen haben, wird ein scharfer Bruch gemacht. Streicht man nun mit der Hand scharf über die drei Kanten nach unten, indem die andere Hand das Blatt unverrückbar festhält, so erhält man eine genaue Marke, nach welcher das Ausschneiden der Ecke zu erfolgen hat. (Fig. 55.) Die zugeschnittenen Überzugsteile werden nun mit Leim »a nges chmier t«, zu welchem Zwecke sie genau geradegestoßen auf einer Unterlage, der »Ans ch mier pa ppe«, aufgelegt werden. Zweckmäßig dafür sind dicke, nicht zu große Pappen, die mit Papier, besser noch mit Wachstuch bespannt werden; ist das Papier wiederholt benutzt, so wird es von den Deckeln abgenommen, eingeweicht und der Leim ausgekocht. Von Wachstuch löst sich nach dem Trocknen der Leim von selbst ab. Auch Zinkblech wird als Unterlage zum Anschmieren benutzt mit ähnlichem Vorteil wie Wachstuch. Nicht alle Bände werden a nges etzt, in vielen Fällen werden Buch und Buchdecke gesondert hergestellt und ersteres dann in
  • 56. letztere »eingeha ngen«. Dies Verfahren wird hauptsächlich bei den in Massen angefertigten Schulbänden eingeschlagen, ebenso bei den Bänden, zu denen der Verleger fertige Decken, »Verlagsdecken«, liefert, ferner auch bei den Photographie-Albums, auf deren Herstellung, da sie in das Gebiet der Portefeuille-Arbeit gehören, hier nicht näher eingegangen werden kann. Hat auch die Kunstbuchbinderei als solche mit der Verlagsdecke wenig zu thun, da diese ein Erzeugnis des Großbetriebes ist, so soll hier doch deren Herstellung der Vollständigkeit halber einen Platz finden. Deckel wie Rücken werden nach Maßgabe des beschnittenen und abgepreßten Buches passend geschnitten. Der Überzugsstoff, meist Kaliko, wird unter Zugabe des Einschlages zugeschnitten, angeschmiert, Rücken und Deckel unter Berechnung des Falzes aufgelegt, der, je nach Dicke der Deckel, 1½ bis 3 mm beträgt. Die Kanten werden eingeschlagen, das Ganze durch die Anreibemaschine geführt, bei welcher die Decken zwischen zwei Gummiwalzen durchgehen. Sollen »Ha lbfra nz ba n ddecken« (das Wort ist unrichtig, da ein Halbfranzband und Decken sich gegenseitig ausschließende Begriffe sind) hergestellt werden, so klebt man sowohl die Rückeneinlage als auch die Deckel mit Leim auf dem Lederrücken auf; eingeschlagen wird jedoch mit Kleister, damit die Gelenke nicht spröde werden. Dann werden Ecken angemacht und die Decken in üblicher Weise mit Papier oder Kaliko überzogen.
  • 57. Fig. 55. Ausschneiden der Überzugsecken. Soll ein Band in eine solche Decke möglichst haltbar befestigt werden, so ist dazu erstlich ein Kalikofalz im Vorsatz erforderlich, dann aber auch möglichst viele Bünde, bei 8o Format mindestens vier. Überhaupt muß man einen solchen Buchkörper behandeln, als sollte er in Halbfranz gebunden werden. Man macht zunächst aus Papier, besser aus Stoff eine »Hülse«, d. h. man biegt ein Stück Papier oder Stoff, das genau so lang wie der Rücken ist, von beiden Seiten in der Breite des Rückens zusammen, so daß sich die Ränder in der Mitte treffen, wo sie übereinander geklebt werden. Beistehende Figur gibt das Schema. Diese Hülse wird mit einer Seite fest auf den Rücken der Decke geklebt, während auf der anderen Seite der gut gerundete Buchrücken aufgeklebt wird. Zu weiterer Befestigung müssen die Bünde und die Fälze des Bandes recht sorgfältig und sauber am Deckel festgeklebt werden. Ein Blatt Vorsatzpapier, nach Maßgabe der Kanten passend geschnitten, deckt schließlich die Innenseite des Deckels. Daß ein solcher Band trotz der vorhandenen Decke sich nicht »für wenige Groschen« herstellen läßt, sei hier ausdrücklich zum Troste der Fachleute betont. Für alle Fälle sollte ein wirklich gutes Buch gebunde n und nicht eingehä ngt sein.
  • 58. N Randleiste von einem Bande der Wolfenbütteler Bibliothek. 1572. 3. Das Fertigmachen vor und nach dem Vergolden. Anpappen — Offen Anpappen — Aufpappen des fliegenden Blattes — Tiefer Falz, Stoff- und Lederfalz — Seidenspiegel, Lederspiegel — Abglätten, Einpressen — Futteral und Karton. achdem der Buchkörper mit der Einbanddecke, dem äußeren Teile des Buches, verbunden ist, werden die Deckel auch auf der Innenseite bekleidet. Diese Arbeit heißt das »Anpa ppen« und hat nicht allein den Zweck, die Spuren der vorhergehenden Arbeiten zu verdecken, sondern soll auch die Haltbarkeit des Buches in den Gelenken möglichst verstärken. Die einfachste Art, einen Band anzupappen, ist folgende: Das erste Blatt des Vorsatzes wird mit Kleister angeschmiert, der Deckel zugeschlagen, das Buch herumgewendet und die andere Seite in derselben Weise behandelt; das Buch wird danach sofort eingepreßt. Solange der Falz noch einigermaßen feucht ist, darf der Band nicht geöffnet werden, anderenfalls würden sich im Falz Falten bilden. Diese Art des Anpappens vertragen alle die Bände, welche nicht auf tiefen Falz angesetzt sind, die also weder durch den Deckel gezogene, noch äußerlich auf den Deckel geklebte Bünde haben. Dahin gehören außer den einfachsten Steifbänden die Halbleinen- und gewöhnlichen Halblederbände, sowie die Ganzleinen- und die »eingehängten« Bände ohne Leinenfalz.
  • 59. Es empfiehlt sich sehr, die eingepreßten Bände nach einiger Zeit wieder aus der Presse zu nehmen, um, ohne daß der Band geöffnet wird, hinter die ersten fünf bis sechs Blätter vorn und hinten ein Zinkblech einzulegen, mit welchem die Bände dann von neuem in die Presse gebracht werden, in der sie mindestens über Nacht, womöglich noch länger verbleiben. Die Endlagen sowohl als auch der innere Deckel erscheinen infolge dieser Maßregel durchaus glatt und die Bünde zeichnen sich weniger scharf ab. Schließlich ist zu bemerken, daß nur S ch reib- und Na tur pa piere diese Art des Anpappens vertragen, alle anderen Vorsätze müssen »offen« angepappt werden. »O ffen a npa ppen« heißt das Buch in aufgeschlagenem Zustande anpappen und trocknen lassen; dies geschieht bei allen Bänden mit Buntpapier-Vorsätzen, bei den fabrikmäßig hergestellten, mit Draht gehefteten Bänden, und bei allen Bänden mit tiefem Falz. Die Bände mit bunten Vorsätzen erhalten immer einen Leinenfalz; die Bünde werden bis auf etwa 2 cm Länge abgeschnitten, sehr glatt und gleichmäßig strahlenförmig auseinander gestrichen und mit Leim auf den Deckel herübergeklebt, wobei dieser fest gegen das Buch gedrückt wird; der Kalikofalz wird auf einem untergelegten Blatte Makulatur angeschmiert, stramm und gleichmäßig auf den Deckel herübergezogen und gut angerieben, wobei besonders auf die Ansetzkante des Deckels zu achten ist, da hier der Falz nicht gut haftet und leicht »hohl« wird. Das Anpappen der fabrikmäßig hergestellten Bände ist gleich dem Verfahren, das bei Bänden mit tiefem Falz angewandt wird; im folgenden wird nur von diesem die Rede sein. Schon oben (S. 35) sprachen wir von der Zurichtung der Vorsätze; doch ist es in vielen Werkstätten üblich, erst kurz vor dem Anpappen die Bunt- oder Brokatpapiere einzukleben. No tw endig ist dieses spätere Einkleben des farbigen Vorsatzes da, wo ein tiefer Falz ohne Kaliko- oder Lederfalz in Anwendung kommt.
  • 60. Fig. 56. Fig. 57. Anreiben des Vorsatzes im tiefen Falz. In diesem Falle werden zwei Doppelblätter des erwählten Papieres, etwas größer als der Band mit der farbigen Seite
  • 61. zusammengebrochen, am Bruch 3 mm breit mit Leim angeschmiert und genau in den Falz, nicht aber a uf den Falz und bis an den Rücken eingeklebt. Nach dem Anhängen des farbigen Papieres wird dieses zurückgeschlagen, das erste weiße Blatt mit mäßig dünnem Leim recht gleichmäßig und sauber angeschmiert, das bunte Blatt zugelegt und leicht angerieben. Nachdem die andere Seite des Buches in derselben Weise behandelt ist, wird der Band leicht eingepreßt. Ist das Geklebte etwas abgetrocknet, so wird ein Zinkblech zwischen die farbigen Blätter eingeschoben und am Buche her das Überstehende sauber abgeschnitten. Nun wird die andere Blatthälfte auf den Deckel »a ngepa ppt«, muß aber vorher passend geschnitten werden. Zu diesem Ende legt man dieselbe in der Lage, wie sie aufzukleben ist, auf den Deckel herüber und zeichnet mit dem Zirkel der Kante parallel ringsum eine Linie vor, deren Abstand von der Kante sich nach der Breite zu richten hat, die man dem inneren Rande geben will. In Fällen, wo dieser Rand vergoldet werden soll, hat man sich darauf Rücksicht zu nehmen. Diesem Zirkelstrich nach wird das Blatt auf einem untergelegten Zinkblech bis an den Falz abgeschnitten; in dem Falz selbst bleibt das Papier in ganzer Länge stehen, d. h. die auf dem Deckel aufgeklebte Hälfte wird oben und unten kürzer als das erste Vorsatzblatt und der Falz. An diesem her, genau in der Biegung, welche das Deckelblatt, der »Spiegel«, um die Deckelkante macht, wird bis an den Zirkelstrich heran mit der Schere eingeschnitten, so daß der vorhergehende Messerschnitt mit dem Schereneinschnitt auf unserer Fig. (56) bei a zusammentrifft. Nun wird unter das beschnittene Blatt zum Schutze von Vorsatz und Buchschnitt Makulatur eingelegt, das Blatt sauber angeschmiert und auf den Deckel geklebt. Das Anschmieren muß, wie beim Aufpappen des ersten, sogenannten »fl iegen den B la tte s«, sehr gleichmäßig geschehen; besonders aber ist das Anhäufen von Leim im Falz nachteilig, weil erstlich das Gelenk unsauber, zweitens aber nicht trocken wird. Das angeschmierte Blatt wird vorsichtig auf den Deckel herübergezogen, wobei der Falz nochmals recht genau zu richten, der Deckel beizudrücken ist. Zweckmäßig ist es, das Buch quer zu legen, die vordere Deckelkante gegen den Körper zu stemmen und
  • 62. mit Daumen und Zeigefinger beider Hände den Falz gut anzureiben; zu dieser Arbeit wird ein Stück Makulatur vorgelegt, über das angerieben wird. Unsere Abbildung (Fig. 57) zeigt das Anreiben des Falzes, doch ohne Papiervorlage. In vielen Werkstätten wird diese Art des Vorsatzanpappens in der Weise gehandhabt, daß das Doppelblatt auf den Falz bis in den Rücken hereingeklebt wird. Das innere Blatt wird aufgepappt, und beide Doppelblätter am Buche ringsherum abgeschnitten. Auf eingelegter Makulatur wird angeschmiert und das nicht weiter abgeschnittene Blatt angepappt. Diese Weise hat den Nachteil, daß der scharfe Bruch in das Gelenk kommt und leicht durchreißt; zudem sieht das abgeschnittene Blatt auf dem Deckel bei der vorher genannten Weise besser und zierlicher aus. Vergl. Fig. 58. Fig. 58. Tiefer Falz mit eingeklebtem Papiervorsatz. In den Grundzügen genau dasselbe Verfahren beobachtet man bei den Bänden mit Kaliko- oder Lederfalz. Ersterer ist entweder mit dem Vorsatz bereits vorgeheftet oder wird jetzt eingeklebt; Lederfalz wird stets eingeklebt, und muß in allen den Fällen angewendet werden, wo im Deckel eine breite vergoldete Kante den ganzen Spiegel umfaßt. Die Breite des Lederfalzes richtet sich demgemäß auch nach der Breite der Vergoldung. Selbst in dem Falle aber, daß die hintere Deckelkante nicht vergoldet wird, muß der eingeklebte Falz (Leder oder Kaliko) auf den Deckel, wie auf das fliegende Blatt
  • 63. je 1 cm herübergehen. Lederfälze werden vor dem Einkleben durcha us dünn geschärft und mit Kleis ter eingeklebt. Kaliko wird mit L eim geklebt. Der Falz muß vorher auf Höhe passend, der auf den Deckel herüberreichende Flügel an beiden Enden etwas schräg nach innen abgeschnitten werden. Scharfes Anreiben und Beidrücken des Falzes ist hier genau wie bei der vorher erwähnten Weise erforderlich. Ein mit dem Vorsatz ums to che ner Fa lz wird über sich selbst zurückgeklebt, so daß er in der Breite des Abpreßfälzchens doppelt liegt. Wenn es sich darum handelt, die Kante ringsum zu vergolden, so muß beim Einkleben des Lederfalzes, wie folgt, verfahren werden. Der auf Höhe passend geschnittene Lederstreif wird eingeklebt, muß aber auf dem Deckel genau nach der Gehrung geschnitten werden, d. h. er muß mit den Rändern der Ober- und Unterkante im halben rechten Winkel wie ein Bilderrahmen zusammenstoßen. Würde man den Streifen einfach über den Kanteneinschlag des Deckels kleben, so läge das Leder an diesen Stellen doppelt und bildete eine Erhöhung. Zur Vermeidung dieses Übelstandes zeichnet man auf dem frisch geklebten Falze den Gehrungsschnitt vor und durchschneidet auf diesem Lederfalz und Einschlag bis auf die Pappe, indem man das scharfe, spitze Messer etwas schräg nach außen zu hält; dadurch wird der Falz etwas unterschnitten, der Kanteneinschlag etwas abgeschrägt. Indem der Falz nun ein wenig gehoben wird, löst man das darunter liegende Lederstückchen des Einschlages bis an den Schnitt ab und klebt den Falz so fest, daß er mit dem Einschlag zusammenstößt, aber denselben nur so viel deckt, als dies durch den schrägen Schnitt bedingt ist. Nach dem Anpappen des ersten Falzes kann der ganze Band mit aufgeschlagenem Deckel gewendet und sofort der zweite Falz eingeklebt, bez. das Vorsatz angepappt werden, doch muß er nachher ruhig liegen bleiben bis zum vollständigen Abtrocknen, was beim Lederfalz natürlich länger dauert als beim Papier- oder Kalikofalz. Damit der unten liegende, zuerst behandelte Falz nicht leidet, wird ein Preßbrett untergelegt.
  • 64. Bei eingeklebten Fälzen wird das Vorsatz hinterher so angehängt, daß es genau bis an den Abpreßfalz reicht; war ein Falz mit umstochen, so reicht es bis dicht an den zurückgebogenen Falz. Das Blatt für den Deckel wird entweder bis dicht an die hintere Deckelkante herangesetzt, oder aber, wenn die Kantenvergoldung ringsherum läuft, wird er dieser gemäß eingesetzt. Hiernach hat man sich beim Zuschneiden zu richten. Sollen die Kanten vergoldet werden, so hat dies vor dem Einkleben des Spiegels zu geschehen. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß gewisse Muster sowohl von marmorierten als gedruckten oder gepreßten Papieren, die eine nach aufwärts gehende Richtung haben, nicht auf den Kopf gestellt werden dürfen. Buntpapiervorsatz wird sofort nach dem Einkleben mit einem heißen »Glä ttkolben« (Fig. 59) »a bge glä ttet«, damit der Deckel sich nicht nachträglich wirft. Der Deckel soll nach dieser Arbeit völlig eben erscheinen, auf keinen Fall darf er sich nach außen Wölben, eher kann er nach innen zu eine leichte Wölbung haben. Bei allen diesen Arbeiten wird auf den Arbeitstisch ein Tuch gelegt, um ein Verkratzen der Außenseite des Buches zu vermeiden. Reich ausgestattete Bände werden auch auf der ganzen Innenseite vergoldet und erhalten demnach einen L eder s piegel. Besteht derselbe aus dünnem Leder, so wird er stets eingelassen, d. h. es wird ein etwas größer als notwendig zugeschnittenes Stück Leder an einigen Stellen des Deckels mit Leim befestigt, mit einem Zirkel die Kantenparallelen gezogen, diesen gemäß durch Spiegel und Einschlag hindurch bis auf die Pappe mit einem scharfen, spitzen Messer ein Schnitt gemacht, wobei in schon erwähnter Weise das Messer ein wenig schräg gehalten wird. Das unter dem Spiegel innerhalb des Schnittes klebende Leder wird abgelöst, der Spiegel angeschmiert und mit Kleister eingeklebt. Dickere Leder werden ringsherum geschärft, passend geschnitten und aufgeklebt. Das fliegende Blatt besteht dabei ebenfalls meist aus farbigem Papier. S eide ns piegel und fliegendes Blatt mit Seidenbespannung kommt ebenfalls vor, wenn jetzt auch seltener als früher. Seide wird stets gespannt, d. h. um ein Blatt Papier an den Kanten
  • 65. umgeschlagen, während die Fläche selbst hohl aufliegt. Für Spiegel und fliegendes Blatt wird je ein Blatt kräftiges, jedoch nicht allzudickes Papier genau zugeschnitten, dazu passend je ein Stück Seide nebst Zurechnung von 1 cm Umschlag. Die Rückseite dieser Papiereinlagen wird an den Kanten her 1 cm breit mit Leim angeschmiert, das Blatt mit der Vorderseite von hinten auf die Seide gelegt und deren Umschlag um die Kante geklebt. Zweckmäßig ist es, ein Blatt Papier unterzulegen, welches breit übersteht, mit diesem überstehenden Teile den Seideneinschlag um die Kante zu ziehen und anzureiben. Die Seide soll auf der Vorderseite durchaus glatt und ohne Falten oder sichtbare Brüche sein, muß deshalb nötigenfalls vorher ausgebügelt werden; ein besseres, dem weichen Stoffe angemessenes Ansehen gewinnt die Seide dadurch, daß auf das Papier erst eine dünne Lage Watte geklebt wird. Die so vorbereiteten Seidenteile werden auf dem Deckel sowohl, wie auf dem fliegenden Blatte aufgeklebt. Es ist zweckmäßig, das ganze Blatt aufzukleben und einige Zeit einzupressen. Durch die Feuchtigkeit des Leimes zieht die Seide etwas an, legt sich nach dem Trocknen in der Presse aber wieder glatt. Fig. 59. Großer Glättkolben. Bei jedem Einpressen der Bände auf tiefen Falz werden unter die Deckel Zinkbleche bis an den Falz eingeschoben; stehen weiße oder helle Seidenvorsätze in Frage, so schlägt man um die Bleche erst ein
  • 66. Blatt weißes Papier. Die Bretter werden nicht in den Falz gelegt, sondern über denselben herausgerückt, die Presse nicht zu fest angezogen. Auf jeden Fall bleibt der fertige Band längere Zeit, am besten über Nacht, in der Presse. Bände, welche nach dem Vergolden auch auf der Außenseite abgeglättet wurden — diese Arbeit wird später näher behandelt — preßt man zwischen vorgelegten Zinkblechen ein. Empfehlenswerter sind lackierte Eisentafeln. Das Lackieren muß jedoch im heißen Ofen besorgt worden sein, weshalb nicht jeder Lackierer, sondern nur gut eingerichtete Lackieranstalten brauchbare Tafeln zu liefern im stande sind. Wertvolle Einbände, die man gern in der Weise erhalten will, wie sie aus der Hand des Buchbinders hervorgingen, bedürfen noch einer Schutzvorrichtung in Gestalt eines Futterals oder eines Kastens. Unsere Vorfahren in früheren Jahrhunderten bedienten sich zu dem Ende einer Büchse oder eines Kastens von Holz, auch wohl eines ledernen oder leinenen Sackes. Im vorigen Jahrhundert gab man dieser Schutzhülle die Form des Buches selbst und druckte auch wohl den Titel darauf. Gegenwärtig werden dergleichen Bände entweder mit einem Pappfutteral versehen, an dessen offener Seite der Rücken heraussieht, oder man legt den Band in ein pappenes Kästchen, das gewöhnlich als Karton bezeichnet wird. Um ein Futteral herzustellen, wird die Pappe nach Maßgabe der Größenverhältnisse des Buches geritzt und an den geritzten Stellen zusammengebogen. Die Kanten, mit denen die Seitenteile zusammenstoßen, werden überklebt und das Ganze entweder mit Papier oder besser mit Kaliko überzogen. In ähnlicher Weise wird der Karton hergestellt; doch kann man die einzelnen Teile auch aus der Pappe ganz herausschneiden und dann zusammenkleben; der Rückenteil wird beiderseits an Gelenke gehangen, so daß sich der Kasten flach auseinander legen läßt. Außerdem erhalten die Bände
  • 67. auch wohl noch Schutzumschläge von festem Papier, das, um es noch haltbarer zu machen, mit Stoff gefüttert zu werden pflegt.
  • 68. W Gotische Randleiste mit dreieckiger Rosette. DRITTER ABSCHNITT. Das Verzieren der Einbanddecke. 1. Die farblose Verzierung. Ritzarbeit und Punzung. — Lederschälarbeit. — Der Blinddruck. enn man von den kostbaren Einbänden absieht, deren Zierat hauptsächlich der Goldschmied oder der Elfenbeinschnitzer oder beide vereint besorgten, so kann man von alters her zweierlei Arten der Musterung des Einbandes unterscheiden, die bl in de und die fa r bige, zu der auch die Vergoldung zu rechnen ist. Das Wesen des Blinddrucks, der selbstverständlich die gleichzeitige Verwendung von Gold und Farbe nicht ausschließt, beruht auf dem Umstande, daß durch den Druck eines erwärmten Stempels die von ihm getroffenen Stellen des zuvor gefeuchteten Leders einen dunkleren Ton annehmen und glänzend erscheinen. Ist der Stempel ein Hohlstempel, bei dem also die Zierform eingegraben
  • 69. (graviert) ist, so erscheint die Verzierung erhaben, in der Weise wie bei Siegelabdrücken, und der Grund blind; im entgegengesetzten Falle tritt der Grund heraus und die Verzierung erscheint blind. Ehe wir auf das beim Blinddruck anzuwendende Verfahren eingehen, sei zuvor der Ri tz a r bei t und der Pu nzu ng des Leders gedacht, beides Techniken, die, vermutlich erst von anderen Lederarbeiten auf den Einband übertragen, oft gemeinsam angewandt wurden, um das Bild oder die Zierform in Umrissen darzustellen. Zur Herstellung der Ritzarbeit bedurfte man nur eines Messers und zur Punzung eines einfachen Punzens, dessen Fuß eine Höhlung hatte, die beim Einschlagen eine ganz kleine halbkugelförmige Erhöhung hervorbrachte. Schlag an Schlag gesetzt, wurde die Fläche auf diese Weise genarbt.
  • 70. Fig. 60. Gepunzte Decke von Maroquin aus dem Kloster Votopodos am Berge Athos.
  • 71. Fig. 61. Deutscher Einband mit Lederritzung und gepunztem Grunde. 15. Jahrh. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. In neuester Zeit hat man die Ritzarbeit mit Glück wieder zu beleben gewußt, auch durch kräftige Modellierung der Formen, die sich unter Anfeuchtung des Leders von der Rückseite her durch eine Art Treibarbeit bewirken läßt, die alten Vorbilder noch zu überbieten versucht. Für Buchdecken wird diese Art der Lederverzierung aber immer nur eine beschränkte sein, schon weil sie ein künstlerisches Geschick erfordert, das sich nicht jedermann zu geben vermag. In Figur 60 geben wir als Beispiel der Punzung ohne Ritzung einen Band, der aus einem der Klöster am Berge Athos stammt und
  • 72. vermutlich dem 16. Jahrhundert angehört. Er zeigt eine an Eisentechnik (Thürbeschläge) erinnernde, symmetrisch angeordnete Verzierung mit Knöpfen (Nagelköpfen), die mit größeren Punzen teils in den Grund, teils in das Ornament eingeschlagen sind. Eine gepunzte Ritzarbeit zeigt uns Fig. 61 in freier künstlerischer Anwendung der Technik. Dieser Einband ist deutschen Ursprungs und stammt aus dem Anfange des 15. Jahrhunderts. Als drittes Beispiel (Fig. 62), auf dem zwei phantastische Bestien, wie sie das germanische Mittelalter gern bildlich darstellte, erscheinen, geben wir die Rückseite eines Pergamentbreviers vom Ende des 15. Jahrhunderts, das der Nürnberger Familie Löffelholz gehörte und wie der vorher erwähnte Band im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg bewahrt wird. Für Lederschnitt eignet sich am besten R inds lede r, weniger gut Kalbleder. Maroquin und Schafleder sind dazu ganz ungeeignet. Eine verwandte Technik ist die ebenfalls schon im 15. Jahrhundert geübte L eder s chä la r bei t, zu der sich jedoch nur Saffian oder Bockleder eignet. Die Konturen des Ornaments werden dabei ebenfalls mit dem Messer eingeritzt und dann die Oberhaut des Leders an einem Ende gehoben und abgeschält. Statt das Ornament auf diese Weise zu behandeln und hell erscheinen zu lassen, kann man auch die Oberhaut des Grundes abschälen, um die umgekehrte Wirkung zu erzielen. Ist diese Arbeit für die Außenseite der Decken auch wenig empfehlenswert, so ist sie doch gut anwendbar zur Verzierung der Spiegel auf den inneren Deckelflächen, wenn es sich um einen in nicht gewöhnlicher Weise auszustattenden Einband handelt. Die umständliche und zeitraubende Ritzarbeit konnte ebenso wenig wie die Schälarbeit bei Büchern Anwendung finden, die in kurzer Frist und ohne erhebliche Kosten hergestellt sein wollten. Für diese diente das einfache Verfahren des Blinddrucks, zu dem auch die Verzierung mittelst glatter Linien zu rechnen ist, die vielleicht mit einem Falzbein am Lineal entlang gezogen wurden, um eine Einrahmung der inneren Fläche des Deckels herbeizuführen, dann