1. Vergabekriterien für die erfolgreiche Beschaffung
von Open Source Software
Die Auswahl des passenden Anbieters
Claus R. Wickinghoff
Sprecher der OSBA Working Group Beschaffung
Disclaimer: Dies ist keine Rechtsberatung.
openCode Connect / 20. März 2025
3. Aus der Praxis (1)
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Erfahrung eines Herstellers von Open Source Software:
“Konkretes Beispiel: Ein Bundesland hat sich entschieden, für die Schüler aller Schulen
unsere Software auszuschreiben. Das haben Unternehmen x und Unternehmen y gewonnen,
beide haben vorher noch nie etwas mit unserer Software gemacht.
Wir haben uns selbst auch an der Ausschreibung beteiligt, das Bundesland hatte sehr hohe
Anforderungen mit harten Kriterien zu Performance und anderen Sachen. Hierzu haben wir
uns intern sehr viele Gedanken gemacht, ob und wie man das erfüllen kann.
Unternehmen x und Unternehmen y haben die Ausschreibung mit Dumpingpreisen
gewonnen und sich im Nachhinein bei uns gemeldet, ob wir das Consulting für Skalierung &
Performanceprobleme machen können. Wir haben das abgelehnt und auf unsere normale
Subskription verwiesen, für die aber kein Budget mehr vorhanden war."
4. Aus der Praxis (2)
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Erfahrung eines anderen Anbieters von Open Source Software:
“Vor anderthalb Jahren hat mir der CIO eines Bundeslandes zum Deal für die
Videoarbeitsplätze mit unserer Software gratuliert und geschwärmt, dass er ein großer
Open-Source-Verfechter sei. Ich wusste zuerst nicht, wovon er sprach und dann stellte sich
heraus, das das Unternehmen z mit unserer Software eine Ausschreibung gewonnen hat.
Letztlich haben sie damit einen Dritten beauftragt, unsere Software zu forken und mit
entsprechendem Wissen um die Anforderungen in dem Bundesland Anpassungen zu
Accessibility und anderem vorzunehmen. Der CIO hat gedacht, das wäre super für Open
Source - aber das, was da für viel Geld für das Bundesland entwickelt wurde, ist nun alles
Closed Source.
Das Bizarre ist, dass ein Bundesministerium jetzt erneut viel Geld in Accessibility investiert,
obwohl Unternehmen z diese gleichen Funktionen ja bereits mit Steuergeldern für das
Bundesland entwickelt hat. Aber diese Weiterentwicklungen sind eben nicht Open Source.“
5. Was genau wird eigentlich beschafft ?
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Open Source Software ist lizenzkostenfrei.
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Nutzerlizenzen sind also üblicherweise nicht Teil einer
Ausschreibung.
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Ausgeschrieben werden daher Service und Dienstleistung.
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Erinnerung: Bei proprietärer Software partizipiert der Hersteller an
jeder verkauften Lizenz seiner Software.
6. Fazit
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Werden Leistungen der öffentlichen Hand allein oder in
erster Linie nach Preis vergeben, benachteiligt dies
Bewerber/Bieter, die in Pflege, Sicherheit und
Aktualisierung der Software investieren und die Lieferkette
mit Supportverträgen absichern.
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Eine schlechte Umsetzung sollte eigentlich auf den Anbieter
zurückfallen, nicht auf das Projekt bzw. den Hersteller.
7. Möglichkeiten bei der Beschaffung
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Grundsätzlich sollte der Zuschlag für das wirtschaftlichste
Angebot erfolgen. Das ist jedoch schwierig, wenn die
Software (und deren Weiterentwicklung) nicht Teil der
Ausschreibung ist.
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Die UfAB*)
zeigt in Abschnitt 4.2.1 Möglichkeiten auf, nicht
nur den Preis als Entscheidungskriterium heranzuziehen.
Dazu nennt sie in 5.4 konkret auch die Nachhaltigkeit als
Aspekt.
*) UfAB = Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen
8. 4 Kriterien zur Auswahl eines nachhaltigen Anbieters
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Beziehung zum Software-Hersteller / der Community
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Sicherstellung der Upstream-Veröffentlichung
vorgenommener Anpassungen und Patches
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Sicherstellen einen qualifiziertes 3rd-Level-Supports
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Absicherung der Lieferkette durch Unterstützung von
Basiskomponenten
9. Beziehung zu einem kommerziellen Hersteller
Der Anbieter kann u.a. einen Vertrag mit dem
Softwarehersteller nachweisen und darlegen, welche
Leistungen durch diesen Vertrag abgedeckt werden.
Eine enge Zusammenarbeit gewährleistet direkten Zugang zu
technischem Support und den neuesten Software-Updates.
Dies verbessert die Betriebssicherheit und hilft mit
frühzeitigem Wissen über potenzielle Sicherheitslücken, um
das Risiko von Sicherheitsverletzungen zu minimieren.
10. Beziehung zu einer Community
Der Anbieter kann u.a. nachweisen, dass er
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bereits Contributions zu der entsprechenden Software
(erfolgreiche Merges etc.) geleistet hat
●
Core-Contributoren der entsprechenden Software im
eigenen Unternehmen beschäftigt
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an Veröffentlichungen zu der entsprechenden Software
mitgewirkt hat (zu Neuentwicklungen, Dokumentation,
Schulungsmaterialien, Absicherung der Lieferkette o.ä.)
11. Sicherstellung der Upstream-Veröffentlichung
●
Der Anbieter kann Commitrechte im Projekt nachweisen
und/oder ist Certified Contributor.
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Der Anbieter beschäftigt einen oder mehrere Core-
Entwickler des Projekts.
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Der Anbieter hat eine aktive Partnerschaft mit dem
Hersteller der Software und maßgeblichen Einfluss auf die
Entwicklung der Software (z.B. Einreichung von Feature-
Requests, Beteiligung an der Priorisierung von Bugfixes,
usw.).
12. Sicherstellen einen qualifiziertes 3rd-Level-Supports
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Der Anbieter kann vertraglich sicherstellen, dass Third-Level
Support durch den entsprechenden Hersteller geleistet
wird.
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Der Anbieter kann nachweisen, dass er Entwickler mit
Commitrechten oder Core-Entwickler der entsprechenden
Software beschäftigt.
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Der Anbieter kann nachweisen, dass er in den letzten Jahren
regelmäßig Bugfixes an der entsprechenden Software
durchgeführt hat (z.B. mit Link o.ä. auf die entsprechenden
Fixes).
13. Sicherung der Lieferkette
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Der Anbieter beschäftigt Core-Entwickler eines externen
Projekts oder einer Basiskomponente, die Teil der
Lieferkette sind.
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Der Anbieter unterstützt mit seinen Beiträgen zu einer
Basiskomponente oder einem externen Projekt
beispielsweise bei der Umsetzung der im CRA geforderten
Anforderungen und Dokumentationspflichten.
14. Beispiel: Upstream-Veröffentlichung als B-Kriterium
Punkteskala:
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0 Punkte: Keine Angaben oder keine qualifizierenden Angaben des
Bieters
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1 Punkt: Bieter kann generell eigenes Entwickler-Personal nachweisen
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2 Punkte: Bieter legt konzeptionell dar, dass und wie Entwicklungen
upstream einfließen
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3 Punkte: Bieter legt dar, dass er bereits relevanten eigenen Code zum
Projekt beigetragen hat
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4 Punkte: Bieter kann Commitrechte im Projekt nachweisen und/oder ist
Certified Contri
butor
●
5 Punkte: Bieter beschäftigt einen oder mehrere Core-Entwickler des
Projekts
15. Verwendung der Kriterien in einer Ausschreibung
Gemäß UfAB können die Kritierien jeweils nach Bedarf als A-
oder B-Kriterium formuliert werden:
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A-Kriterium ist ein Eignungskriterium
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B-Kriterium ist ein Wertungskriterium und liefert mit dem
Preis eine Kennzahl Z = Leistung / Preis (UfAB 4.2.3)
Festlegung der Kriterien kann/sollte auf die Ausschreibung
angepasst werden.
Rückmeldungen und weitere Vorschläge gerne erwünscht!