Conditional Measures and Applications 2nd Edition James O. Hamblen
Conditional Measures and Applications 2nd Edition James O. Hamblen
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5. Conditional Measures and Applications 2nd Edition
James O. Hamblen Digital Instant Download
Author(s): James O. Hamblen, Tyson S. Hall, Michael D. Furman
ISBN(s): 9780387726700, 0387726705
Edition: 2
File Details: PDF, 3.21 MB
Year: 2005
Language: english
27. still, gleichgiltig gegen Alles, was auf den Brettern vorging, nur
unsere Loge ließ er nicht aus den Augen. Die Gattin meines
Bekannten, neben der ich saß, ist eine schöne Frau, nicht mehr in
der ersten Blüte, aber eine rechte Abendschönheit, die sich mit dem
feinsten Geschmack zu kleiden versteht und, wo sie sich zeigt, bald
der Gegenstand bewundernder Aufmerksamkeit wird. Natürlich
entging ihr der eigenthümlich geschnittene Kopf nicht, dessen Augen
unablässig hinüber starrten; sie – und wahrscheinlich Alle, die darauf
achten mochten – legten sich dies Anschauen zu Gunsten ihrer
Schönheit aus. – »Ein merkwürdiger Mensch da drüben,« sagte sie
in einer Pause zu mir, »der dort mit dem rothen Bart und der
Adlernase. Offenbar ein Fremder, ich sehe ihn zum ersten Male im
Theater. Was er nur an uns findet?«
»Er hat etwas von einem Byron'schen Helden, Conrad der
Corsar –«
»Oder wohl gar Montechristo! Liebster Doctor, das ist altmodisch.
Mir kommt er wie einer unserer neuesten adeligen Gründer vor.
Wenn er einen vornehmen Namen trägt, könnte er glänzende
Geschäfte machen.«
»Im Ernst?«
»Sehen Sie ihn nur genauer an, der wird nicht allein den Frauen,
sondern auch den Männern gefährlich.«
Im anderen Sinne, als sie es meinte, war die Bemerkung nur allzu
richtig. Also hatte ich mich doch nicht ganz getäuscht, etwas
Dämonisches oder Magnetisches war um diesen Herrn von Lüttow.
Blutgeruch, würde mich Bastian unterbrochen haben, wenn er die
dumpfe Sprache meines Innern hätte vernehmen können, gar keine
Schwebelei und Mystik, sondern ein realer Todtschlag. Im Uebrigen
ging die Vorstellung ohne jede Störung vorüber; ich glaube nicht
einmal, daß Elsa ihren schrecklichen Liebhaber erblickte: in ihrem
Spiel wurde weder eine Spur ihres Leidens noch irgend einer Angst
oder Sorge sichtbar. Beruhigten Gemüths verließ ich das Theater; es
28. war mir sogar nicht unangenehm, daß er mich draußen unter dem
Portal erwartete. Ich hatte eine solche Begegnung vermuthet, und
es dünkte mich das geringere Uebel, daß ich mit ihm
zusammengerieth, als daß er Elsa aufs Neue erschreckte. Gerade
unter einer Laterne standen wir uns gegenüber, unsere Gesichter
hell beleuchtet.
»Mein Herr Medicinalrath,« sagte er nach höflichem Gruß halblaut,
zwischen Zischen und Knirschen, wie einer, der mit Spott und Wut
kämpft, »nicht das Alter noch die Wissenschaft schützen vor
gewissen Thorheiten, vielleicht thut es die Erkenntniß der Gefahr, die
zuweilen mit Narrenstreichen verbunden ist. Nichts für ungut darum,
wenn der jüngere Mann den älteren warnt. Verbrennen Sie sich nicht
an diesem Feuer, es kostet mehr als die Finger.« Nun aber schäumte
doch der Zorn über das Wehr scheinbar kühler Ironie: »Dies Weib
gehört mir,« brach er mit bebender Stimme aus, die in ihrem
Flüsterton noch unheimlicher klang, »mir allein, Niemand darf daran
rühren! Bedenken Sie's wohl!«
Und fort war er, in dem Gedränge der Menschen, der heran- und
hinwegfahrenden Wagen, in der Dunkelheit der Straße
entschwunden – er mochte gefürchtet haben, bei meiner Antwort
seiner selbst nicht mehr Herr zu bleiben, und hatte die Entfernung
einem ärgerlichen Auftritte vorgezogen.
Ich hatte Muße vollauf, über den Vorfall während der Fahrt nach
meiner Wohnung nachzudenken. Ein wunderlicher Kauz, wenn nicht
gar ein wahnsinniger. Die Festungshaft hatte in keiner Weise seine
Eifersucht abgekühlt. Neu war mir nur die Beobachtung, daß sich die
Wut nicht gegen Elsa richtete. Wenn es sich um ein Liebesabenteuer
handelte, konnte ich ihm schwerlich bei seiner Schönen hinderlich
werden, selbst mit meinem besten Willen nicht, und wenn ihn die
Schöne zurückwies, was half es ihm, daß er mich gewaltsam von ihr
entfernte? Freilich, wer wird bei einem Verliebten nach
Verstandesgründen suchen? Der Trieb stößt den Bewußtlosen
vorwärts; ein Priester hat einmal in solcher Raserei alle Bewohner
des Hauses getödtet, in dem sich die Person, die er liebte, aufhielt.
29. Das ist keine angenehme Aussicht für die Arme, die eine solche
Leidenschaft entzündet hat; sehr begreiflich, daß dieser Herr von
Lüttow bei meiner Nachbarin mit seiner Werbung kein Glück gehabt
hat. Um so mehr war es die Pflicht eines Mannes, eines Arztes, sie
zu beschützen. Ihm gehörte sie? Nach welchem Rechte? Sie war
doch weder seine Sklavin noch seine Frau. Und wie die Dinge lagen,
konnte er nicht einmal die Gewalt des Stärkeren geltend machen.
Ihm gehörte sie? Oder hatten die Worte einen verborgenen Sinn?
Gleichviel – ihr Widerstand war hier das einzig Entscheidende, und
ich that recht, sie darin zu bestärken und vor seinen Nachstellungen
zu schirmen. So scharf ich auch Einblick in meine Empfindungen
hielt, ich konnte keinen selbstsüchtigen Beweggrund meines
Handelns entdecken; was mich bestimmte, war das Mitleid,
höchstens empfing es von dem Zauber, den Elsa's Stimme auf mich
ausübte, eine wärmere Färbung.
An jenem Abend und noch in den nächsten Tagen hätte ich für die
ungetrübte Reinheit meines Gefühls einstehen wollen, es war kein
unlauterer Zusatz darin. Aber wie lange kann die Empfindung des
Mitleids einem schönen Mädchen gegenüber sich frei von Wünschen
und Hoffnungen bewahren? Zuerst stellte sich das Verlangen ein,
über die Freundschaft hinaus ein vollgiltiges, von Allen anerkanntes
Recht zu Elsa's Schutze zu haben. Denn verhielt sich auch Lüttow, im
Widerspruch zu seinem ersten Auftreten, ruhig, an vielen Zeichen
war zu erkennen, daß er uns beobachtete. Nicht allein, daß er jeder
Vorstellung Elsa's beiwohnte: auf der Promenade begegnete er ihr;
fuhr sie aus, erschien er zu Pferde und ritt in gemessener Entfernung
neben oder hinter ihrem Wagen einher. Er versagte es sich, sie
anzureden, er grüßte nur: allein dieser Gruß war hinreichend, um die
Arme zu beunruhigen. Was du auch thust, schien er zu sagen, ich
weiß darum, ich bin da. Es giebt nichts Peinlicheres, als unter dem
Zwang einer geheimen Aufsicht zu stehen, die man kennt, von der
man sich nicht zu befreien vermag, und über deren Dasein man
immer von neuem erschrickt. Der einmal nervös erregten Elsa schien
Lüttow allgegenwärtig zu sein; wenig half es, daß ich ihr vorstellte,
wie alle diese Begegnungen zufälliger Art sein könnten, daß vielleicht
30. in dem Zusammenhang der Dinge gerade ihre Furcht, mit ihm
zusammenzutreffen, ihn herbeiriefe. Die Ahnung der Unfreiheit
peinigte sie mehr, als irgend eine Besorgniß vor einer gewaltthätigen
Handlung des seltsamen Menschen. Auf den Brettern, in der
Bewegung und Hast des Spieles, inmitten ihrer Kameraden war sie
unbekümmerter und gelassener; »bin ich aber allein in meinem
Zimmer, mit meinen Gedanken, ergreift mich die Angst,« gestand sie
mir. »Plötzlich, wenn ich lese oder eine Rolle lerne, glaube ich die
Thür sich öffnen, die Vorhänge sich auseinanderschieben zu hören –
eine Weile wage ich nicht aufzublicken, der Schrei des Schreckens
bleibt mir in der Kehle stecken, bis der Schauer vorüber ist.«
Es war an einem ihrer freien Abende, und sie hatte mich bitten
lassen, eine Tasse Thee bei ihr zu trinken. Sie ging selten in
Gesellschaften, sei es, weil sie eifrig studierte oder ihre angegriffene
Gesundheit schonen wollte; Wenige kamen zu ihr – die Collegen, ein
und ein anderer junger Poet, einige Damen. Bei ihrer Jugend mußte
ihr da wohl zuweilen die Einsamkeit lästig fallen und auf ihre
Phantasie einen nicht günstigen Einfluß ausüben. Nichts war darum
natürlicher, als daß sie bei mir Unterhaltung und Zerstreuung suchte.
Ich war eine neue Bekanntschaft, aus einem anderen Lebenskreise,
überdies eine ungefährliche. – Also wir saßen zusammen, das
Zimmer war hell erleuchtet, sie liebte viel Licht; draußen fegte der
Herbstwind durch die stille Straße und trieb den Regen in
bestimmten Zeiträumen klatschend gegen die Fensterscheiben.
»Aber wie hat sich nur diese unglückselige Verbindung
angeknüpft?« fragte ich im Laufe des Gespräches. »Nicht, daß ich
mich in Ihr Leben eindrängen will, aber man löst den Knoten leichter,
wenn man weiß, wie er sich schürzte.«
»Warum sollten Sie es nicht wissen, mein verehrter Freund,«
entgegnete sie. »Giebt es doch nichts, was ich zu verbergen hätte.
Ohne den Charakter des Herrn von Lüttow wäre es die einfachste
Geschichte, die jeder Schauspielerin passirt. Vor zwei Jahren spielte
ich in Königsberg. Ich gefiel meinem Direktor und einem Teil des
Publikums, aber es gab auch eine starke Partei, die mir nicht wohl
31. wollte. Ich, die Anfängerin, hatte die Kühnheit, eine erfahrene
Künstlerin aus ihrem Rollenfache zu verdrängen – einzig, weil ich
jünger und hübscher war. Ach! Sie haben nie erfahren, was
Theaterneid und Theatereifersucht bedeuten. So oft ich mit meiner
Nebenbuhlerin spielte, hatte sie den Beifall und die Kränze; meine
Freunde wurden von ihren Anhängern überstimmt. Sie war seit
Jahren in der Stadt ansässig, mit vielen Familien bekannt; ich kam
aus einer anderen Provinz, aus anderen Lebensgewohnheiten und
hatte zunächst keinen Umgang und keine Stütze als bei einigen
meiner Genossen. So verdrießlich und peinlich waren diese
Verhältnisse, so viel Thränen hatte ich schon darüber vergossen, daß
ich den Beschluß gefaßt, meinen Kontrakt zu lösen und auf einer
anderen Bühne mein Heil zu versuchen, als ein Abend mein Schicksal
änderte. Damals hielt ich es für eine Wendung zum Glück! Was sind
wir doch für kurzsichtige Eintagsgeschöpfe mit unendlichen Plänen
und Hoffnungen! Emilia Galotti wurde aufgeführt, ich war die
unglückliche Emilia. Man hatte mir gesagt, daß meine Gegnerin
gerade in dieser Rolle ein Meisterstück geleistet hätte, daß es
thöricht und übermütig von mir wäre, gerade hier den Kampf mit ihr
aufzunehmen – ich wußte im Voraus, daß mir an diesem Abend
nichts gelingen würde. Das Haus war dichtgedrängt voll von
Zuschauern; mich dünkte es, als wären die meisten aus boshafter
Absicht gekommen, meinen Fall mit anzusehen. Den Schrecken
Emiliens, bei ihrem Auftreten, hat vielleicht nie eine Schauspielerin
natürlicher dargestellt als ich, nur floh ich den Feind nicht, sondern
mußte ihm entgegengehen. Ein Zischen empfing mich, das nur
mühsam zur Ruhe gebracht wurde, die Versammlung war aufgeregt;
als ich mich nach einer tödtlichen Viertelstunde endlich zum
Abgehen wandte, das Schlimmste erwartend, erhob sich ein lauter
Beifall, ein anhaltendes Händeklatschen, in dem das Gezisch
verhallte, ich wurde hervorgerufen – ein-, zweimal, mit
thränenfeuchten Augen blickte ich umher. In einer der vordersten
Logen, hart an der Bühne, saßen mehrere Offiziere der Garnison:
einer war aufgestanden und klatschte wie toll, es war Herr von
Lüttow. Es war natürlich, daß ich bei meinem Auftritt im anderen
Akte dankbar nach meinem Ritter hinüberschaute. Wie eine
32. Erinnerung dämmerte es in mir auf, daß ich ihn schon einmal
gesehen hätte – es war eine schmerzliche Erinnerung. In der
Leidenschaft des Spieles bekümmerte ich mich nicht um das
unangenehme Gefühl, aber um so stärker kehrte es mir zurück, als
ich in einer schlaflosen Nacht die Ereignisse des Abends überdachte.
Wohl war ich stolz und glücklich über meinen Erfolg, er hatte nicht
nur über meine Stellung an diesem Theater, sondern überhaupt über
meine künstlerische Laufbahn entschieden. Manche Zweifel, die in
mir aufgestiegen waren, hatte der Beifall verstummen lassen. Sie
würden mich auslachen, verehrter Freund, wenn ich Ihnen meine
damaligen ehrgeizigen Gedanken beichten wollte, da so wenig von
ihnen in Erfüllung gegangen ist. In meine Freude mischte sich indeß
ein Tropfen Wermut; es verdroß und ängstigte mich, daß Herr von
Lüttow einen so großen Anteil an meinem Triumphe gehabt hatte.
Nicht, daß ich jemand zu Dank verpflichtet war – daß ich es ihm war,
beunruhigte mich. War es schon eine Ahnung von dem Unheil, das
er mir bereiten würde, die sich in mir regte? Ich suchte mir damals
jene Empfindung aus einer Art von Scham zu erklären. Vor zwei
Jahren hatte mich Herr von Lüttow unter anderen, unter
glänzenderen Verhältnissen kennen gelernt. Es war in einem Badeort
gewesen, mein Vater lebte noch. Ich galt für eine reiche Erbin und
gab in meinem Kreise den Ton an. Es ist bitter, dann als arme
Schauspielerin einem früheren Verehrer zu begegnen; Sie müßten
ein Weib sein, um mich ganz zu verstehen, lieber Doctor – ein Weib,
das plötzlich einem Manne Dankbarkeit schuldet, dessen Huldigung
sie bisher übermütig zurückgewiesen hat, das von den Höhen des
Reichthums in die Unsicherheit eines zweideutigen Standes
hinabgestürzt, dem vornehmen Manne gegenübersteht. Daß mir
gerade das Künstlerthum einen romantischen Zauber in seinen
Augen geben könnte, fiel mir nicht ein. Ich fand mich durch das
Unglück meines Vaters in meinen Augen gedemütigt, ich fürchtete
mich vor der Erzählung unseres Sturzes, vor dem Aufreißen kaum
vernarbter Wunden. So mischte sich von vornherein in mein
Verhältniß zu Herrn von Lüttow ein Element der Pein und des
Unbehagens, das zu verbannen vermutlich selbst der zärtlichsten
Liebe schwer geworden wäre.«
33. Erst nach einer Pause, in der sie still vor sich hin auf den Teppich
geblickt hatte, fuhr sie fort: »Und ich liebte ihn nicht. Nein,«
wiederholte sie mit Heftigkeit, als ob ich oder eine geheime Stimme
ihres Herzens ihr widersprochen hätte, »ich liebte ihn nicht. Seine
Gegenwart drückte mich, seine Blicke, die mich unablässig
verfolgten, schüchterten mich ein. Mir fiel immer der Jäger ein, der
auf dem Anstand das arglose Thier erwartet, bis es ihm in den
Schuß kommt. Nun bin ich freilich nicht ohne Schuld, ich hätte auch
als Schauspielerin ihm gegenüber die Rolle weiter spielen sollen, die
ich als Weltdame gegen ihn angenommen. Mein Herz hatte sich in
den zwei Jahren nicht zu seinen Gunsten gewandelt, aber ich hatte
meinen Trotz, meinen Uebermut verloren. Arm geboren, in den
Entbehrungen der Not, in den Kämpfen um das armselige Leben
groß geworden sein, mag den Charakter stählen und dem Menschen
durch Willenskraft ersetzen, was es ihm an anmutigen Formen raubt.
Aber durch einen einzigen Wetterschlag aus der Sorglosigkeit des
Wohlstandes auf das Schlachtfeld des Daseins geworfen werden, der
Armut ins hohle Antlitz sehen, Entbehrungen erleiden und
Forderungen sich fügen müssen, vor denen wir in unserem Glücke
zurückgeschauert wären, wie vor der Berührung des Todes – das
kann wohl den Mut auch des Stärksten herabstimmen. Und ich war
ein Mädchen; froh genug, daß ich mich so weit emporgekämpft,
ohne den Stolz der Seele eigenwillig ganz zerbrochen, ohne ihn ganz
durch das Verhängniß verloren zu haben! Wie hätte ich die Hand
eines Freundes in meiner Lage zurückstoßen können? Auch vermied
er in der ersten Zeit nach der Wiederanknüpfung unserer
Bekanntschaft jede heftigere Annäherung und jede Anspielung auf
die Vergangenheit, die mich hätte verletzen können. Er war voll
ritterlicher Zurückhaltung und schien die schiefe Stellung, in die ich
durch das Unglück zu ihm gerathen war, achten zu wollen. Wäre ich
ein Theaterkind oder eine echte Schauspielerin gewesen, die nicht
nur auf der Bühne Komödie spielt, sondern unwillkürlich und
unbewußt ihr ganzes Leben zu einer Reihe von Komödienscenen
ausbildet, wie leicht, wie angenehm hätte sich mein Verhältniß zu
Lüttow gestaltet. Er war ganz der glänzende Kavalier, mit dem eine
Schauspielerin gern eine Weile ein Liebesabenteuer hat. Ich aber
34. hatte wohl aus dem Drange der Not und in einem dunklen Triebe die
Bühne betreten, doch Schauspielerblut hatte ich nicht in den Adern.
Noch immer betrachtete ich die Welt mit den Augen eines
gebildeten, sittsam erzogenen Mädchens, einer jungen Dame der
besten Gesellschaft – damals noch mehr wie heute, mein verehrter
Freund, muß ich leider hinzusetzen. Meine Colleginnen beneideten
mir die Eroberung des reichen Offiziers; sie begriffen nicht, daß ich
nicht mit beiden Händen zugriff oder ihn nicht, wenn ich nun einmal
einen unbesieglichen physischen Widerwillen gegen ihn empfände,
entschlossen von mir entfernte. Der ersten Entscheidung
widersprachen mein Herz und meine Lebensanschauung, zu der
anderen fehlte mir der Muth. Denn inzwischen hatte sich Lüttows
Benehmen gegen mich in einer Weise geändert, die mir die
lebhaftesten Besorgnisse einflößte. Er war zudringlich und
herausfordernd geworden, seine Huldigung äußerte sich in so
auffälligen Zeichen, daß bald die ganze Stadt von seiner Leidenschaft
sprach. Diese Ständchen, diese Blumen, diese Geschenke trieben mir
die Schamröthe in die Wangen und brachten mich außer Fassung. Es
half nichts, daß ich sie ihm verbot, daß ich ihm drohte, jede
Beziehung zu ihm abzubrechen: er lachte darüber. Ich sei eben eine
Festung, die regelrecht belagert und bestürmt werden wolle, das sei
ihm neu und unterhalte ihn, behauptete er. Wie lange sich der kleine
Krieg zwischen uns hätte hinziehen können? Ich weiß es nicht; die
spöttischen Reden seiner Kameraden über die Nutzlosigkeit seiner
Bemühungen erregten schließlich einen so großen Zorn in ihm, daß
er ein Ende zu machen beschloß. Ich hatte einige leidenschaftliche
Auftritte zu erdulden, aber ich beugte mich nicht. Seiner
Verfolgungen und Liebeserklärungen müde, schloß ich ihm meine
Thür und forderte von meinem Direktor meine Entlassung. Es war
mir nicht möglich, mit diesem Wilden in derselben Stadt zu wohnen.
Nun legte er sich auf das Bitten und Schmeicheln; einsehend, daß
ich niemals seine Geliebte werden würde, bot er mir seine Hand an.
So groß war seine Leidenschaft, oder seine Eitelkeit so blind, daß er
meine Abneigung gegen seine Person nicht für möglich hielt und
meinen Widerstand einzig aus moralischen Gründen erklärte. In
denkbar maßvollster Weise antwortete ich ihm; nachdem ich ihm die
35. Hindernisse auseinandergesetzt, die sich seiner Verbindung mit mir
widersetzten, deutete ich leise die Verschiedenheit unserer
Charaktere an, die auch innerlich eine dauernde glückliche
Verbindung zwischen uns ausschlösse, und bat ihn, nicht ferner
meine Ruhe zu stören und mich ziehen zu lassen. Große Hoffnungen
hegte ich freilich nicht von meiner Vernunftpredigt, aber ich war
doch weit entfernt, den leidenschaftlichen Ausbruch zu ahnen, den
sie hervorbrachte. Mit zweien seiner Freunde erschien er plötzlich in
meiner Wohnung und erklärte mir vor ihnen, als seinen
Ehrenzeugen, daß er mich heiraten wolle, ich müsse einwilligen. Nur
mit Mühe konnten die Herren den Tobenden beschwichtigen. In
meiner Herzensangst, eben so sehr um ihn wie um mich besorgt,
that ich jetzt einen Schritt, der die Qual und der beständige Stachel
meines Lebens geworden ist – er hat den Tod eines Unschuldigen
verursacht.«
»Sie Aermste!« suchte ich zu trösten. Ich empfand in diesem
Augenblick, wie ich sie so aufgeregt von den schmerzlichsten
Erinnerungen sah, einen tödtlichen Haß gegen diesen Lüttow und
wünschte mir Riesenkräfte, ihn zu bändigen.
»Ich schrieb,« nahm Elsa ihre Erzählung wieder auf, »einen Brief
an einen der Herren, die Zeugen jenes Auftrittes gewesen waren,
einen Jugendfreund Lüttows und seiner ganzen Familie, und
ersuchte ihn, mir eine Unterredung mit der Schwester Lüttows zu
vermitteln, die einen großen Einfluß auf ihn ausübte und in der Nähe
der Stadt mit einem Gutsbesitzer verheiratet war. Herr von Sternberg
kannte mein ganzes Verhältniß zu seinem Freunde; ich hatte ihm
gestanden, daß ich Lüttow nicht lieben könnte – ich rief ihm in dem
unglückseligen Briefe Alles, was zwischen uns verhandelt worden
war, ins Gedächtniß zurück: so wie er mich kennen gelernt, möchte
er mich der edlen Frau, deren Schutz ich anflehte, schildern. War es
ein tückischer Zufall, war es eine Unvorsichtigkeit Sternbergs –
Lüttow erhielt Kunde von diesem Briefe; um sich zu rechtfertigen,
übergab ihm Sternberg meine Zeilen – die Folge war ein Duell.
Lüttow glaubte sich von dem Freunde verraten und betrogen; er traf
36. ihn ins Herz. Was ich dabei gelitten, erlassen Sie mir Ihnen zu sagen.
Mein Aufenthalt in der unseligen Stadt dauerte zum Glück nicht
lange mehr. Von Lüttows Verfolgungen war ich befreit, er saß auf der
Festung, aber unablässig verfolgte mich das Bild des unschuldig
Gemordeten. Noch jetzt sehe ich es vor mir, die treuen, guten Augen
vorwurfsvoll auf mich gerichtet – nie wird es mich zur Ruhe kommen
lassen.«
Neunmal – hart und scharf schlug im Nebenzimmer die
abscheuliche Uhr. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und
weinte bitterste Thränen.
An dem Abend sprachen wir noch lange über die Launen des
Schicksals, über das dämonisch Unerklärliche der Leidenschaft in
kühler Verständigkeit und kamen darin überein, daß es für die
Heiterkeit und Ruhe des Daseins am besten sei, sich früh bescheiden
zu lernen. Da selbst die Befriedigung der Leidenschaft wohl
entzücke, aber nicht beruhige und nur Unlust und Ermüdung
zurücklasse, wozu diese Qual? Ob es aber überhaupt dem Menschen
möglich sei, sein Herz zu bändigen? fragte sie dazwischen. Ob der
dunkle Trieb nicht stärker sei, als der bewußte Wille, und sogar
denjenigen fortrisse, der in lichten Augenblicken das Gefährliche und
Selbstmörderische eines überwältigenden Dranges der Liebe oder
des Ehrgeizes erkenne? Ich war nahe daran, ihr eine Geschichte aus
meinen jungen Jahren zu erzählen, in der sich, wie ich wenigstens
glaube, meine Entsagungsfähigkeit der Versuchung gegenüber
heroisch bewährt hatte – aber eine innere Stimme sprach dawider,
mit meinen fünfzig Jahren erschien es mir beinahe geckenhaft, von
einem sentimentalen Liebesabenteuer zu sprechen. Noch dazu einer
Schauspielerin gegenüber! Auch war es über unseren
philosophischen Betrachtungen spät geworden und
wünschenswerth, daß jeder die Gedanken, die in ihm aufstiegen, still
für sich und in sich ausklingen ließe.
An der Wahrheit der Geschichte Elsa's gab es in keinem Punkte
einen Zweifel; vielleicht, sagte mein Argwohn, ist sie nicht immer in
ihrem Benehmen vorsichtig genug gewesen und hat Erwartungen
37. erweckt, deren Nichterfüllung den hitzköpfigen Lüttow eine
Beleidigung zu sein dünkte. Das ist aber auch Alles, ohne Schuld ist
sie dem Verhängniß verfallen. Dennoch war es nicht dieser Teil ihrer
Erzählung, der mich am meisten beschäftigte; ihr Vorleben, ehe sie
die Bühne betreten hatte, die halb verlorenen Andeutungen, die sie
darüber gemacht, nicht, wie ich es wohl gemerkt, ohne sich einen
gewissen Zwang anzuthun, der schmerzliche Rückblick auf eine
schönere Vergangenheit zogen meine Gedanken wie magnetisch an
und verlockten meine Phantasie in den Irrgarten der Möglichkeiten.
Dazu gesellte sich eine Art selbstgefälligen Stolzes über meine
Menschenkenntniß; hatte ich doch gleich an dem ersten Abend, wo
ich sie spielen gesehen, die Vermutung gehabt, daß sie ursprünglich
einem anderen Lebenskreise als dem des Theaters angehört habe.
Allein was gingen mich die Verhältnisse meiner Nachbarin an? Was
hatte ich dieselben bis zu ihren tiefsten und geheimsten Wurzeln zu
verfolgen? Wollte ich sie wieder von der Bühne entführen? Sie ihrem
früheren Dasein zurückgeben? Gewiß, das wäre ein Weg gewesen,
der sie für immer von Lüttow getrennt hätte. Zwischen einem
unternehmenden Manne und einer Schauspielerin ist die Hälfte der
Schranken gefallen, die sonst in der gebildeten Gesellschaft die
beiden Geschlechter trennen. Aber ihre Eltern waren todt, ich kannte
nicht einmal ihre Namen. Hatte sie noch Verwandte? Wußten,
wollten sie noch etwas von der Schauspielerin wissen? Und dann
erschien auf dem Hintergrund all dieser Hypothesen, sie alle
vernichtend, ein ernstes, finsteres Antlitz: die Not. War es möglich,
ihr durch einen Zauberspruch die eingebüßten Glücksgüter wieder zu
verschaffen, sie wieder von dem Schlachtfeld des Daseins in die
idyllische Behaglichkeit des Reichtums zu versetzen? Wenn sie einen
reichen Mann heiratete – ja, wohin verlor ich mich? Hatte ich für sie
zu sorgen und in die Wahl ihres Herzens ein Wort mit darein zu
reden, als Oheim, als Bruder, als Vater? Mitleid sollen wir mit allen
Geschöpfen haben – und wohin hatte mich das Mitleid für Elsa schon
geführt, wohin drohte es mich noch zu führen! Ja, wenn sie dich
lieben könnte – noch hatte ich Kraft und verständige Ueberlegung
genug, um diesen Einfall blitzschnell, wie er in mir aufgetaucht war,
auch wieder zu verbannen.
38. Eine Weile war ich der Schönen und meinem eigenen Herzen
gegenüber auf der Hut und glaubte, daß Alles zwischen uns in dem
gewohnten Geleise bleiben würde. Der Unterschied des Alters, der
Widerspruch der Stellung und der Lebensaufgabe, die
Verschiedenheit des Empfindens machten sich oft so scharf und
einschneidend geltend, daß ich in eine trügerische Ruhe gewiegt und
über die Natur meines Gefühls getäuscht wurde. Wie es mit ihr in
dieser Hinsicht stand, war für meinen geringen Scharfsinn nicht zu
entdecken. Der Verkehr mit mir unterhielt sie und regte sie
angenehm an. Eine Fülle von Dingen, die sie mit ihren Kameraden
nicht besprechen konnte, ihre Vergangenheit, die Bildung, die sie
genossen, der Drang, ihre Kenntnisse auszubreiten, wünschten sich
zu offenbaren und forderten ein Ohr und ein Herz für sich.
Vermutlich wäre ihr der jüngere Freund der willkommenere
gewesen, aber einen gewissen Ersatz bot ihr doch auch der ältere
Mann. Mit herzlichem Vertrauen, mit harmloser Heiterkeit trat sie mir
entgegen, beinahe ganz streifte sie im Gespräch mit mir die
Schauspielerin ab und zeigte sich als ein kluges, liebenswürdiges
Mädchen, durch das Unglück geläutert und über viele Nichtigkeiten
des gesellschaftlichen Treibens erhaben. Für mich hatte der
Gegensatz ihres inneren und äußeren Lebens einen
unbeschreiblichen Reiz. Niemals hatte das Komödiantische mich
bisher anzuziehen vermocht; sorgfältig war ich einer persönlichen
Bekanntschaft auch mit den berühmtesten Künstlern aus dem Wege
gegangen; ich fürchtete das Unwahre in ihnen. Nun erschien mir
unerwartet in Elsa eine Schauspielerin, an der das Herz wahr und
nur die Maske eine Lüge war, deren echte Weiblichkeit sich halb
wider Willen in eine phantastische Vermummung hatte hüllen
müssen.
Wie lange die Dinge in dieser Weise ohne Entscheidung hätten
fortlaufen können? Jetzt scheint es mir so, als hätte einzig der Zufall
eine vorzeitige Krisis herbeigeführt, aber vielleicht war der Zufall nur
der Drang und Trieb des Herzens. Auf die Dauer läßt sich ein
sogenanntes Freundschaftsverhältniß zwischen einem Mann und
einem Weibe, die beide keine Pflicht zurückhält und keine Neigung
39. bindet, nicht aufrecht erhalten; der Unterschied der Jahre, der
Stellungen wird mit jedem Tage im gemeinsamen Verkehr geringer;
endlich tritt der entscheidende Augenblick ein, wo Beide einander in
die Arme fallen oder das Eine erschrocken vor dem Anderen
zurückflieht. – Wie war es nur möglich, daß wir uns dahin verirrten?
Zwei ganz veränderte Gesichter starren sich an. Und was ist im
Grunde geschehen? In dem Einen ist die Skala der Empfindung um
ein Kleines gestiegen, und diese Steigerung hat in den Gefühlen des
Anderen eine hochgradige Abkühlung erzeugt. Dies aber ist doch
immer von natürlichen Gesetzen abhängig, die darum, weil uns ihre
Wurzeln verborgen sind, nichts von ihrer Folgerichtigkeit und
Verständlichkeit verlieren. Zwischen Elsa und mir indessen that sich
etwas Unerwartetes, Seltsames auf.
In den zwei Monaten unseres Verkehrs war sie schon so vertraut
mit mir geworden, daß sie kaum ein Geheimniß vor mir hatte und
mir all ihren Aerger und ihr Vergnügen vor und hinter den Coulissen
erzählte. Ich meinerseits versäumte beinahe keine ihrer
Vorstellungen; anfangs hatte ich mich geschämt, so oft das Theater
zu besuchen – ich glaubte, jeder im Saale müsse es mir ansehen,
daß ich allein Elsa's wegen käme –, zuletzt nahm ich meinen
bestimmten Platz mit gelassener Unbefangenheit ein. Der Reiz, sie
zu sehen, war eben stärker, als der mögliche Verdruß, darüber
geneckt zu werden. In Wirklichkeit achtete auch niemand sonderlich
auf mich. Und wenn ich sie heiratete, dachte ich, würde es eben so
wenig Anstand erregen. Ein halbes Dutzend Leute machten vielleicht
ihre guten oder schlechten Witze über mich, nach vierzehn Tagen
würde niemand mehr davon sprechen. Ist man einmal auf einem
Abhang ins Gleiten gekommen, geht es immer schneller bergunter.
»Raten Sie, mit wem ich gestern zusammen war?« fragte sie mich
eines Tages. »Sie merken mir nichts an, keine ungewöhnliche
Aufregung, keinen stärkeren Herzschlag? Und dennoch – gestern in
der Gesellschaft bei unserem Direktor, die ich nothgedrungen
mitmachen mußte, habe ich Herrn von Lüttow getroffen.«
40. »Lüttow!« fuhr ich auf. Wohl hatte ich beständig an ihn gedacht,
aber wie es der Zufall so fügt – in der großen Stadt waren wir uns
Beide seit jenem Abend nicht wieder begegnet.
»Und nun wollen Sie wissen, wie Alles zugegangen,« sprach sie
munter weiter. »Sie brennen vor Neugierde, lieber Freund. Ueber
Erwarten gut und friedlich. Als ich seiner zuerst ansichtig wurde,
glaubte ich in die Erde sinken zu müssen. Eine Weile glich ich einer
Bildsäule, so starr und regungslos stand ich da. Es brauste mir vor
den Ohren; ich war nicht im Stande, ein einziges Wort zu äußern,
einen einzigen Schritt zu thun. Aber ganz gegen seine Gewohnheit
verhielt sich Lüttow still und ruhig; er machte mir aus einiger
Entfernung eine tiefe Verneigung und begnügte sich während des
Abends ein paar gleichgiltige Worte an mich zu richten. Auch als ich
ging, drängte er sich nicht an mich heran: er blieb noch in der
Gesellschaft, nur seinen finstern Blick fühlte ich auf mich gerichtet,
als ich das Zimmer verließ. Dieser Blick verfolgte mich, bis ich in
meinem Wagen saß; erst da hatte ich das vollkommene Gefühl der
Freiheit und Sicherheit, allein gegen meine Befürchtungen gehalten,
war dies erste Zusammentreffen harmlos genug. Was meinen Sie,
lieber Freund, sollte endlich bei Lüttow der Verstand gesiegt haben?
Zeit wäre es,« setzte sie mit einem ein wenig gefallsamen Lächeln
hinzu, »er und ich – wir sind längst über die Kinderjahre hinaus.«
Ich weiß nicht – etwas in ihrer Erzählung gefiel mir nicht, etwas,
das nicht ausgesprochen wurde und das mir doch in den Worten zu
liegen oder darüber zu schweben schien. »Herr von Lüttow geheilt?«
sagte ich mit größerer Schärfe, als die Sache verdiente. »Sie können
es nicht im Ernste glauben, meine Freundin. Unter so vielen auf ihn
gerichteten Augen konnte er sich Ihnen wohl nicht anders als in den
vorgeschriebenen Formen der Höflichkeit nähern. Nein, so leichten
Kaufs werden Sie nicht von ihm befreit werden. Er Sie aufgeben, um
die er so viel gelitten, um die er eine Blutschuld auf sich geladen!«
Ich redete mich in einen solchen Eifer hinein, daß sie mich mit dem
erstaunten Ausruf beruhigen mußte:
41. »Aber, lieber Doctor, ich erkenne Sie nicht wieder! Habe ich Ihren
Gelehrtenstolz beleidigt, weil ich die Möglichkeit einer Heilung
ausgesprochen, wo Sie schon das Todesurtheil gefällt haben? Ich
bescheide mich, allein ich gestehe Ihnen aufrichtig, mir wäre es
lieber, Lüttow würde ein vernünftiger Mensch und vergäße mich so
völlig, wie man hienieden nur jemand vergessen kann, als daß er
nach Ihrer Diagnose als Wahnsinniger vor meiner Thür sich
erschösse.«
Mit einem Lächeln um ihre vollen Lippen hatte sie angefangen –
nun endete sie doch wider ihren Willen mit so herben und traurigen
Worten. Sie war bleich geworden und streckte die beiden Arme
abwehrend weit von sich, als sähe sie das schrecklich häßliche Bild
leibhaftig vor sich.
»Wie nur ein solcher Einfall in uns aufsteigt!« sagte sie dann und
schüttelte sich.
»Ich bin trostlos über meine Ungeschicklichkeit,« erwiderte ich,
und ich war es in der That; »vergeben Sie mir, Fräulein Themar. In
dem Manne muß wohl ein Dämon stecken, daß man gleich in
Verwirrung geräth, wenn man nur von ihm redet. Welcher Arzt hörte
aber auch gern von seinem Kranken, daß er wieder in der Gefahr
eines Rückfalls gewesen? Und so oft Sie ihm begegnen, besorge ich
ein Unglück.«
»Natürlich,« meinte sie abgebrochen, »– als Arzt.« Plötzlich
schaute sie mich groß an; es ging etwas in ihrer Seele vor, das nur
als Wiederschein über ihr Gesicht blitzte und seinen Ausdruck
erhöhte, dem sie jedoch keine Worte geben konnte oder mochte.
So blieben die drei Worte: »Natürlich, als Arzt« – in der Luft
hängen – schwebende Fragezeichen, hinter einer Frage, die nur in
einem Blicke – noch weniger, die nur in einem Hauche bestand. Das
Gespräch wollte nicht mehr recht in Fluß kommen; Elsa's Stimme
hatte einen eigenen, leise zitternden Ton – auf der Bühne sprach sie
so, wenn ein Unerwartetes auf sie einstürmte, wenn sie sich mit
42. einem plötzlichen Ereigniß, einer peinlichen Thatsache abzufinden
hatte. Wie immer trennten wir uns mit freundlichem Händedruck; sie
hatte eine starke, kleine Hand und eine besonders liebenswürdige
Art, die des Anderen zu ergreifen – heute zum ersten Male war in
ihrer Bewegung etwas Zögerndes; ihre Hand war feucht und ihre
Augen wie verschleiert.
Mir selbst war nicht weniger bänglich und unheimlich. Woraus
entsprang denn mein Uebereifer gegen Lüttow, woher dies Geschrei
über eine Begegnung, die mir vor einigen Wochen noch ganz in dem
Lichte, wie ihr selbst, erschienen wäre? Aus Eifersucht, alter Narr,
aus Eifersucht! Das Netz war über mir zusammengezogen – das Netz
ihres Liebreizes, ihrer Liebenswürdigkeit. Mit all meiner Klugheit saß
ich gefangen. Weder die Jahre noch die Studien, weder die
Erfahrungen noch die Erkenntniß von der Nichtigkeit und der
Gefährlichkeit der Leidenschaft hatten mich vor dem Falle bewahrt.
Und was wollte ich denn? Ihre Liebe gewinnen, sie heiraten, Lüttow
den Zweiten spielen? Denn wie durfte ich Günstigeres hoffen als der
jüngere, glänzendere Mann? Aber nicht diese Aussicht in die Zukunft
war es, was mich zunächst bekümmerte und meinen Stolz auf das
empfindlichste kränkte – ich hatte mich Elsa gegenüber verraten.
Daher ihre Verwirrung, das Beben ihrer Stimme. Es war noch eine
Güte ihres Herzens, daß sie mich nicht ausgelacht. Ein älterer Mann,
ein Gelehrter, der einem Mädchen seine Liebe erklärt – wie lächerlich
hatte ich das bisher gefunden; die Rache des Schicksals war gerecht
– ich mußte mich in eine Schauspielerin verlieben. Dahin hatten mich
schließlich meine Weisheit, mein Junggesellentum, meine Sicherheit,
daß mir die Pfeile Amors nichts mehr anhaben könnten, geführt. Ich
irrte an diesem Tage trotz des schlechten Wetters in den
entlegensten Teilen des Parks umher, um von niemand gesehen zu
werden. Ich fürchtete in meiner Wohnung jeden Besuch, das Gesicht
des gleichgiltigsten Bekannten. Alle müßten mir meine Thorheit von
der Stirn ablesen. Gegen die Flamme, die in mir lohte, half freilich
das Spazierengehen unter entlaubten Bäumen, auf feuchtem Boden,
in Wind und Regen ebenso wenig, wie der Vorsatz, sie unter
moralischen Betrachtungen zu ersticken. Nichts war leichter, als mich
43. auszuschelten, als mir die unwürdige Lage, in die mich die
Leidenschaft gebracht hatte, die Demütigung, die mir zweifellos
noch vorbehalten war, in den schwärzesten Farben auszumalen;
darum hörte die Hoffnung nicht auf, mir in das Ohr zu flüstern: wenn
nun aber Elsa trotz alledem deine Hand annimmt, weniger aus Liebe
– so eitel wirst du doch nicht sein, an ihre Liebe zu glauben! – als
aus Freundschaft; wenn sie der Bühne und dieses unruhigen,
unstäten Lebens müde, eine gesicherte Stellung, ein behagliches
Dasein in Kreisen, die ihrer Bildung und Schönheit angemessen sind,
einer ungewissen Zukunft und den mageren Lorbeern vorziehen
sollte ... So hinüber und herüber, in einem wilden Durcheinander
gingen Furcht und Zuversicht. Der heldenmütige Entschluß, sie die
nächsten Tage zu vermeiden und auch das Theater nicht zu
besuchen, der noch heldenmütiger ausgeführt wurde, änderte weder
an dem Zustande meines Herzens noch an der Lage der Dinge das
Geringste. Meine Bücher dünkten mich schal, meine Untersuchungen
wertlos – ich sehnte mich nach ihrem Lächeln, nach einem Wort von
ihr; das ersetzte mir nicht nur den ganzen Galenus – ich empfand zu
meinem Schrecken, daß es mir schon zu meinem Leben notwendig
geworden, wie der Sonnenschein meinen Palmen.
Uebrigens hatte ich mit meinem Enthaltungssystem die Rechnung
ohne die Wirtin gemacht; ich hatte vergessen, daß ich nicht mehr
allein im Kahne saß, sondern daß ein Zweites zu mir eingestiegen
war. Als ich am dritten Tage nicht zu Elsa hinübergekommen war, ließ
sie fragen: ob ich krank sei, ob mir ihr Besuch nicht ungelegen? Und
da war sie schon, schöner als je. Ich schützte meine Studien vor, daß
ich sie nicht besucht, eine schwierige Untersuchung. Sie nickte
lächelnd mit dem Kopfe, als brauche ich ihr keine weitere
Entschuldigung oder Lüge zu sagen. Neugierig schaute sie sich in
den vorderen Zimmern um.
»Ich hatte mir die Wohnung eines Gelehrten nicht halb so
freundlich und so prächtig gedacht,« sagte sie. »Welch' schöne
Blumen! Echte alte chinesische Vasen?«
44. »Das Geschenk eines Engländers, der lange Jahre Konsul im Reich
der Mitte gewesen.«
Nun fragte sie nach diesem und jenem; ich kramte die
Seltsamkeiten, Kunstsachen und Kunsttrödel aus, die ich besaß. Und
dann ein Gespräch, das nicht abriß, wie ich sie erworben, an
welchem Orte, von meinen Reisen – die Stunde flog nur so dahin.
Sie hatte ihre frühere Harmlosigkeit wieder gewonnen und gab mir
dadurch gleichfalls wenigstens den äußeren Schein der Ruhe und die
gemessene Haltung.
»Und für wen haben Sie dies Alles gesammelt?« fragte sie
plötzlich, ihren Kopf zurückwerfend »Für das Gewerbemuseum?«
Es lag so viel Schelmerei und Neckerei in der Frage, daß ich in
demselben Ton antwortete: »Freilich, für wen sammelt ein
Hagestolz, wenn nicht für das Allgemeine?«
Ein schräger Blick traf mich, und um ihre Mundwinkel zuckte es
wie von einem verhaltenen Lächeln. »Da mögen Ihnen die
Nachkommen Dank wissen.«
»Sie halten nicht viel davon, vom Nachruhm?«
»Eine mittelmäßige Schauspielerin und Nachruf! Spotten Sie nur!
Ich bin eine Eintagsfliege und suche so viel Sonnenschein als
möglich zu genießen. Bei Ihnen liegt die Sache anders; Sie leben
nicht mit uns und für uns; die besten Gedanken und Stunden eines
großen Gelehrten gehören den noch ungeborenen Geschlechtern. Ist
es nicht eine Ironie des Weltgeistes, daß Darwin die Unsterblichkeit
leugnet und für die Unsterblichkeit arbeiten muß? Für eine Zukunft,
die er nicht absehen kann?«
Während sie so sprach, spielte sie mit einem japanischen Fächer,
den ich einmal auf einer Auction in London gekauft hatte: zierlich in
Elfenbein geschnitzt, mit phantastischen Drachenungetümen und
Vögeln, sollte er ein hohes Alter besitzen.
45. »Wie hieß der Künstler, der ihn fertigte? Wo sind die Schönen hin,
die sich mit ihm fächelten und ihn die Sprache der Liebe reden
ließen?« meinte sie halb für sich hin, halb zu mir gewendet.
»Niemand weiß von ihnen.«
»Aber die ursprüngliche Absicht des Künstlers,« entgegnete ich,
»ist doch in Erfüllung gegangen und geht immer von neuem in
Erfüllung; er wollte etwas Gefälliges für die Schönen schaffen, und
seine Arbeit gelangt in Jahrhunderten immer wieder, nach den
mannigfaltigsten Wechselfällen, aus einer schönen Hand in die
andere; jede Nachfolgerin freut sich des zierlichen Werkes, wie die
erste Besitzerin, und gedenkt unwillkürlich des Meisters und all ihrer
Vorgängerinnen.«
Rasch wollte sie den Fächer in das Futteral zurücklegen, allein ich
litt es nicht.
»Nun müssen Sie ihn schon behalten,« lachte ich und drückte ihn
in ihre Hand.
»Muß ich?« scherzte sie, »dann bezahle ich ihn auch« – und ihre
Wange schmiegte sich an meine Lippen ... So empfängt ein junges
Mädchen die Liebkosung eines alten Verwandten. Ein unschuldiger
Kuß ... Wären nur ihre Augen nicht gewesen, die wie durch einen
leichten Schleier mich anschauten, halb mit einer Frage, halb mit
einer Aufforderung.
Seitdem setzte sich unser Verkehr wieder in der früheren Weise
fort. Keines wollte dem andern deutlich merken lassen, daß trotz der
scheinbaren Gleichmäßigkeit unseres Benehmens unser Verhältnisse
eine tiefgehende Aenderung erfahren hatte. Nur ein verstohlener
Blick Elsa's, ein kurzer Seufzer, gewisse Wendungen der Rede, ein
zärtlicheres Eingehen auf meine Eigenheiten und Ansichten, dann
wieder ein beredtes Schweigen, ein Zusammenschauern, wenn ich
sie berührte, ließen mich glauben, daß sie gegen meine Liebe nicht
unempfänglich wäre, daß sie meinen Wünschen keinen
unbesiegbaren Widerspruch entgegensetzen würde. Es waren eben
46. so viele Brände, um die Glut meines Herzens noch mehr zu
entzünden. Du bist ja noch kein Greis, sagten die Eitelkeit und die
Begierde in mir, daß du nicht nach dem Besitz eines schönen
Mädchens streben könntest, und über die erste Jugend und den
ersten Liebestraum ist doch auch sie schon hinaus. Bitter genug hat
sie die Wechselfälle des Schicksals erfahren, um nicht den heiteren
Lebensgenuß in würdiger Stellung nach seinem vollen Werte zu
schätzen.
So kleinlaut ich noch vor Kurzem gewesen, so mutig wurde ich
jetzt. Mutig und unternehmend – wir waren in der Weihnachtszeit,
und ich fühlte mich, mehr wie in der Jugend, zu abenteuerlichen
Streichen aufgelegt. Unter so harten Entbehrungen und Kämpfen um
das Dasein hatte ich die Jahre, die man die schönsten nennt,
hinbringen müssen, daß ich kaum eine Jugend gehabt, wenigstens
nichts von ihrem Sonnenschein genossen. Einmal hatte auch mir die
Liebe gelächelt, einmal war auch ich in Arkadien gewesen – aber ich
hatte das Glück nicht zu benutzen verstanden. Jetzt war es unnütz,
nachträglich darüber zu grübeln, ob ich wie ein Thor oder wie ein
Held gehandelt, ob ich mich mit der Kraft des Willens vor der Schuld
bewahrt hatte oder vor der Leidenschaft aus angeborener Schwäche
geflohen war. Die einzige Ausbeute, die ich von allen Arbeiten,
Nachtwachen und Entsagungen heimgebracht, war ein Name in der
Wissenschaft und ein Vermögen – zu spät erkannte ich, daß sie nicht
im Stande sind, Glück zu gewähren. Nein, es sollte nicht zu spät
sein! Ich wollte mich an die Tafel des Lebens setzen und seinen Wein
kosten.
Das Weihnachtsfest bietet die leichteste und die ungezwungenste
Annäherung auch denen, die sich bisher im Zwange der Gesellschaft
ferner gestanden; unter dem Tannenbaum, im Glanz der Lichter, in
dem Hauch der Kindheitserinnerungen, der mit dem Harzduft durch
das Gemach zieht, finden sich Hände und Herzen gleichsam von
selbst zusammen. In meiner Stube hatte freilich seit fünfunddreißig
Jahren kein Weihnachtsbaum gestanden; ich pflegte mich jeden
heiligen Abend, wenn die Pflicht mich nicht durch die feuchten
47. Straßen, in Nebel und Regen, auf und ab von einem Krankenbett
zum andern trieb, so tief ich konnte unter meinen Büchern zu
vergraben. Hatte ich doch nicht einmal frohe Erinnerungen
heraufzubeschwören. In Armut und Sorge war meine Mutter
gestorben, ich hatte ihr keinen heiteren Lebensabend bereiten
können; in weiter Ferne lebten mir die Geschwister – nun auch, so
viel ich wußte, in wohlhabenden Verhältnissen, aber jenseit des
Oceans, im Westen der Union. So war mir der Christabend nur
dadurch ein anderer als die übrigen Abende im Jahre, daß sich an
ihm mein Mißmut und meine Melancholie steigerten und das
Weltelend mich in den Abgrund der Verzweiflung hinabzustoßen
drohte.
Heute sollte es anders sein. »Ich lasse mir meinen
Weihnachtsbaum nicht nehmen,« hatte Elsa gesagt. »Der Direktor
ist in der Gebelaune und will uns Allen eine feierliche Bescherung
bereiten, allein um neun Uhr bin ich wieder daheim und zünde mir
mein eigenes Christlicht an. Sie sind feierlich dazu geladen, mein
lieber, mein verehrter Freund!« Mir war das eine Botschaft wie aus
Engelsmunde. Wie dereinst der römischen Welt, so schien auch mir
eine Zeit des Friedens und der Fröhlichkeit anbrechen zu sollen.
Ungeduldig erwartete ich die neunte Stunde – ich glaube, mit
klopfendem Herzen wie ein Kind. Und meine Hoffnung wurde nicht
getäuscht. Nie habe ich einen schöneren Weihnachtsabend gefeiert,
als diesen. Alles vereinigte sich, Elsa in die rosigste Laune zu
versetzen. Ihre Kollegen, ihr Direktor hatten sie mit ausgesuchtester
Liebenswürdigkeit behandelt; vor einigen Tagen war ein neues
Schauspiel aufgeführt worden, und sie hatte darin einen so großen
Erfolg gehabt, daß ihr Spiel und die Kunde, die sich davon in der
Stadt verbreitet, der Neuigkeit während mehrerer Wochen volle
Häuser zu versprechen schienen. Die Kleinigkeiten, die sie
verschenkt, hatten den anderen eben so viele Freude bereitet, als ihr
die Gaben, die sie empfangen. In ihrer Wohnung strahlte bald der
bunt aufgeputzte Tannenbaum im hellen Lichterglanz. Mir
schimmerte ihr Gesicht wie Frühlingssonnenschein. Sie trug ein
48. blauseidenes Kleid, die blonden Haare fielen ihr lang ausgekämmt
über Schultern und Rücken. In ihrer Heiterkeit und Geschäftigkeit
hatte sie niemals bestrickender den ganzen Zauber ihrer Anmut
entfaltet. Nachdem wir Beide uns an dem gegenseitigen »Aufbau«
erfreut und satt gesehen, sie in jeder Kleinigkeit noch eine
besondere Zierlichkeit entdeckt hatte, saßen wir dicht neben
einander. Aus ihrer munteren Laune war sie allmählich ernsthafter
geworden, unwillkürlich hatten sich unsere Hände
zusammengefunden. »Heute komme ich mir wirklich wie die arme
Schäferin vor,« sagte sie, »der ihre Pate, die Fee, einen ganzen Korb
köstlicher Geschenke in den Schooß schüttet. Denken Sie nur, ich
habe einen Gastspielantrag von dem Burgtheater in Wien erhalten –
ich, armes Ding! Wer mir das vor einem halben Jahre geweissagt
hätte! Ich muß aber seitdem eine vortreffliche Schauspielerin
geworden sein, wenn ich dem Publikum und meinem Direktor
glauben soll. Und wem verdanke ich dies glänzende Resultat? Wem
anders als Ihnen, lieber Freund, Ihren Ratschlägen, Ihren Lehren!«
Darauf wußte ich kein Wort zu erwidern, ich hatte auch nur die
erste Hälfte ihrer Aeußerung deutlich vernommen. Einen Antrag
nach Wien! »Also wollen Sie uns verlassen?« rief ich aus.
»So weit ist es noch lange nicht,« erwiderte sie. »Ein Gastspiel ist
noch kein Engagement – und wenn ich auch hier an einem zweiten
Theater gefalle, werde ich auf einer ersten Bühne auch nur
genügen? Tel brille au second rang, qui s'éclipse au premier.«
Nun mochte ihr doch wohl mein unruhiges Hin- und Herrücken auf
dem Sopha auffallen; der Verschluß unserer Hände hatte sich gelöst,
sie blickte zur Erde, zupfte an den Schleifen ihres Kleides und sagte
endlich: »Oder verbieten Sie mir jeden Ehrgeiz? Meinen Sie, daß ich
trotz alledem nur eine Mittelmäßigkeit bin und wohl daran thue, mich
keiner schärferen Beurteilung auszusetzen?«
»Lästern Sie doch Ihr Talent nicht, Elsa,« brach ich ungestüm aus,
in irgend einer Weise mußte sich meine Erregung Luft schaffen.
»Warum sollte Ihnen das Höchste unerreichbar bleiben? Ich dachte,
49. bei dem Gedanken, daß Sie fortgehen könnten, nur an unseren, an
meinen Verlust.«
»Würde ich Ihnen fehlen?« fragte sie zurück und wandte mir
plötzlich ihr Gesicht voll und ganz zu. Es war, als vereinigte sich der
Glanz aller Kerzen und Lichter, so viel ihrer im Zimmer brannten, auf
diesen schönen rosig überhauchten Zügen. Ihre Augen forschten in
den meinen, und ihre halb geöffneten Lippen schienen eine Frage
flüstern zu wollen, wenn ich ihnen nicht mit der Antwort zuvorkam.
»Wenn Sie wieder gingen, Elsa, warum es verschweigen? Ein
schöner Stern würde mir damit unwiederbringlich von dem
Lebenshimmel entschwinden. Und ich bin nicht mehr in den Jahren,
wo man mutig das Erscheinen neuer Meteore erhofft. Ein Dunkel
würde über mich hereinbrechen, doppelt so finster und trostlos als
das vorangegangene, da ich mich an die Schönheit des Lichtes
gewöhnt. Was uns zusammengeführt hat, ist mir mehr als ein
bedeutungsloser Zufall. Sie haben mir eine Seite des Lebens
erschlossen, die ich nicht kannte, deren Duft und Farbenschimmer
mich nun entzückt – die ich ewig entbehren würde, wenn ich jetzt in
mein Einsiedlertum zurücktreten müßte. Aber es ist selbstsüchtig,
nur von mir und meinem Verluste zu reden, während Sie nichts
verlieren, nichts einbüßen werden.«
»Glauben Sie?« sagte sie und stand auf. Sie ging einmal durch das
Gemach, wie mit sich selbst kämpfend und nach Worten ringend,
dann trat sie dicht vor mich hin, in einem prächtigen Schwunge
flossen ihre Haare um sie. »Nein, Sie können mich nicht für so
gleichgiltig und herzlos halten! Ich sollte einen Freund, einen so
treuen, redlichen, uneigennützigen Freund nicht entbehren? Mich
nicht nach seinem Umgang, seiner Belehrung, seiner
Liebenswürdigkeit zurücksehnen? Warum spielen die stolzesten
Männer so gern die bescheidenen? Denn Sie fühlen es so gut wie
ich, daß Sie nicht zu der großen Schaar der Alltagsmenschen
gehören, denen man ohne Neigung begegnet, und die man bis auf
die Erinnerung vergißt.«
50. Vielleicht wurde nun doch, je länger sie sprach, die Schauspielerin
in ihr mächtig, aber ihre Erregung, das höhere Rot ihrer Wangen,
der lebhaftere Blick ihrer Augen gaben ihr etwas Unwiderstehliches.
Wie hätte sie mich nicht hinreißen sollen, den das heimliche Feuer
schon seit Wochen verzehrte? Wenn es je einen günstigen
Augenblick für die Liebeserklärung eines älteren Mannes gegeben,
so war es dieser, wo die gegenseitige Leidenschaftlichkeit den
Unterschied der Jahre verwischte und in uns Beiden die Empfindung
stärker sprach als die Ueberlegung. »Müssen Sie denn von uns
gehen, Elsa?« begann ich. »Ist das Glück Ihres Lebens an die
Verfolgung Ihrer künstlerischen Laufbahn gebunden? Reizt Sie die
Unruhe des Kampfes mehr als die Heiterkeit des Friedens? Es mag ja
eine tolle Aufforderung sein, einer jungen glänzenden Schauspielerin
zu sagen: tritt vom Schauplatze deiner Triumphe zurück; und ich
würde der Letzte sein, Ihnen einen solchen Vorschlag zu machen,
wenn Sie mir nicht selbst gestanden, daß bisher Ihre Thätigkeit Ihr
Herz nicht ganz ausgefüllt hätte, wenn ich nicht annehmen dürfte,
daß Ihnen ein anderes Loos nicht auch wünschenswert erschiene –«
»O!« unterbrach sie mich, »ich habe Ihnen nicht verschwiegen,
was mich auf die Bühne führte, aber ein erster Schritt auf den
Brettern ist verhängnißvoll, allmählich wird zur Neigung, was
anfänglich nur Notwendigkeit und dann Gewohnheit war, um so
mehr, wenn die Verhältnisse, die unsern Entschluß bestimmten,
dieselben bleiben und noch fortwährend ihren Einfluß ausüben.«
»Aber diese Verhältnisse sind nicht unüberwindlich, sind nicht
unwandelbar,« rief ich. Was ich ihr nun weiter sagte, in welchen
Worten ich ihr die Entstehung, das Wachsen meiner Neigung zu ihr,
die Kämpfe, die ich mit meiner Leidenschaft bestanden, das Glück,
das sie mir schenken, die Ruhe und die sichere Stellung, die ich ihr
bereiten würde, aus meinem Herzen heraus schilderte, vermag ich
nicht mehr niederzuschreiben. Ich kam mir selbst wie ein Besessener
vor, eine höhere Macht oder mein erhöhtes Ich redete und handelte
aus mir. Elsa atmete nur schwer, sie erwiderte nichts, bald sah sie
von mir weg auf die Lichter des Tannenbaumes, bald blickte sie mich
51. wieder freundlich an, als wolle sie mich dadurch ermuntern, weiter
zu sprechen. Einmal entfuhr mir der Name Lüttow – daß es nur eine
Sicherheit für sie gegen seine Verfolgungen gäbe, eine Heirat, die sie
für immer von ihm trennen würde.
»Für immer!« murmelte sie halblaut und nickte, wie meine
Meinung bestätigend, mit dem Kopfe; dann fuhr sie mit der Hand
über die Stirn, als wolle sie einen bösen Gedanken verscheuchen.
»Es ist wahr, ich muß mit ihm enden.« Und wieder versank sie in ihr
Schweigen, wortlos und entschlußlos.
Sie mochte vielleicht eine Liebeserklärung, aber nicht eine Bitte
um ihre Hand erwartet haben. Als ich nun aber, durch ihr Schweigen
kühn gemacht, sie umfassen wollte, entzog sie sich mir hastig,
sprang auf und eilte zum Fenster. Sie drückte ihr Gesicht gegen die
Scheiben und starrte hinaus. Hier und dort hell erleuchtete Fenster,
gleichsam die Freude, die drinnen in den Zimmern herrschte, nach
außen strahlend, im Gegensatz zu dem unheimlichen
Schneegestöber, das der pfeifende Wind durch die Straße jagte. Ich
war ihr gefolgt und an ihre Seite getreten. »Zürnen Sie mir?« fragte
ich leise. Statt der Antwort gab sie mir ihre Hand. Ihre Augen waren
wie umflort; war es tiefe Bewegung oder eine heimliche Angst –
etwas hielt das Wort in ihrem Munde zurück.
»Daß Sie mich liebten, mein Freund,« brachte sie endlich wie
mühsam hervor, »war nicht schwer zu erraten, nun aber –«
»Sie finden, daß ich ein Geck sein müsse, Ihnen in meinem Alter
einen solchen Antrag zu machen.«
»Als ob ich ein Kind wäre, das die Jahre seines Freundes abzählt.
Nein, ich bin bestürzt, verwirrt. Hand in Hand gingen wir in der
Dämmerung einen uns nur halb bekannten Weg, allein ich vertraute
sorglos Ihrer Führung, und statt mich zu fürchten, gefiel ich mir
sogar in dem Halbdunkel. Ach, warum konnten wir nicht immer wie
im Traum neben einander hergehen! Nun ist ein grelles Licht auf den
Pfad gefallen und zeigt mir das Ziel.«
52. »Ein Ziel, das Ihnen unfreundlich und unwohnlich erscheint –«
»Das mich nur zögern läßt, es zu betreten. Sie verlangen nicht in
dieser Stunde eine Entscheidung über mein Schicksal. Ich bin eben
kein Mädchen, die mit einem Ja oder Nein Alles abgethan glaubt und
die weiteren Folgen dem Vater oder dem Vormunde überläßt – ich
stehe allein da, und Sie fordern den Beginn eines neuen Lebens von
mir. Was könnte ich Ihnen für die Sicherheit unserer beiderseitigen
Zukunft bieten, zöge ich jetzt blindlings einen Strich unter meine
Vergangenheit und Gegenwart?«
»Sie halten nur gutmütig den bittern Trank zurück, den mir Ihre
Hand doch kredenzen muß.«
»Würde ich sie dann in der Ihrigen lassen?« fragte sie sanft
zurück und lehnte ihren Kopf an meine Brust. Ihren Haaren
entströmte ein feiner, berauschender Duft, heftiger preßte ich sie an
mich und bedeckte ihre Stirn mit meinen Küssen. Augen und Lippen
hielt sie fest geschlossen. »Und nun genug mit der Ernsthaftigkeit!«
rief sie sich schüttelnd und hatte sich mir schon entwunden. »Wir
wollen uns den Abend nicht durch Nachdenken und Grübeln stören,
lieber Freund. Ich hatte einmal als Kind eine so prächtige Puppe zum
Weihnachtsfeste bekommen, daß ich sie gar nicht anzufassen wagte.
›Nimm sie doch,‹ lachte die Mutter und wollte sie mir in den Arm
legen. Aber ich blieb bei meiner Weigerung. So lassen Sie mich noch
eine Weile Ihr kostbares Geschenk von ferne betrachten, es ist nicht
der Geber, es ist die Gabe, die mir ein wenig Angst macht.«
Mit der Leichtigkeit und Anmut, in denen sich nun doch wieder die
Schauspielerin verriet, wußte sie das Gespräch nach anderen
Punkten zu lenken, ihre Stimmung und allmählich auch die meine zu
verwandeln. Aus ihrem Wesen und Betragen glänzte mir ein
Hoffnungsschimmer entgegen. Und hatte sie nicht Recht? Ich
forderte nicht allein ihre Freundschaft, sondern auch ihre Zukunft,
nicht nur ihre Hand, sondern auch ihre Freiheit und ihren Ruhm. In
der That – ich hätte sie geringer schätzen müssen, wenn sie, ohne
sich zu besinnen, in meine Bitte eingewilligt.
53. Freilich – als ich nicht mehr unter dem Zauber ihrer Gegenwart
stand, nahm die Sache eine dunklere Färbung für mich an. Wohl
mußte ich ihre Bedenken gelten lassen, aber – würde sie danach
gefragt haben, hätte sie mich geliebt? So ungerecht sind wir; ich
hatte mir Tage und Wochen zur Ueberlegung und zum Austrag
meiner Herzenskämpfe gestattet und wollte ihr nicht die kürzeste
Frist gönnen. Gern oder unwillig, schließlich mußte ich mich darein
ergeben. Die nächsten Tage schlichen in Hangen und Bangen, im
Wechsel von Furcht und Hoffnung dahin; sie war viel beschäftigt,
jeden Abend auf der Bühne, ich wurde von einer russischen Fürstin
in Anspruch genommen, die mich zu konsultiren nach der Stadt
gekommen war, ehe sie ihre Winterreise nach dem Süden antrat. So
sahen wir uns nur flüchtig, zum Aussprechen war keine Muße
gegeben. Und derselbe Drang, der mich zu meiner Erklärung
fortgerissen, hielt mich jetzt zurück, ungestüm die ihrige zu
verlangen. Zeit zu gewinnen, schien mir plötzlich in meiner Lage das
Wünschenswerteste. Mindestens blieb mir dadurch das Herbste
erspart, ihr Nein zu vernehmen, den Schmerz zu verbeißen und in
der Entfernung von ihr nicht Vergessenheit, doch Trost zu suchen.
Der Ernst ihres Gesichtes, ein gewisser träumerischer Zug, den ich in
solcher Stärke noch nicht an ihr bemerkt, bewiesen mir hinlänglich,
daß sie mit sich selbst nach einer Entscheidung rang. Wenn ich des
Abends im Theater dem stürmischen Beifall zuhorchte, der ihre
Darstellung begleitete, die Kränze und Blumensträuße zählte, die
man ihr zuwarf, fühlte ich wohl, daß ich da einen ungreifbaren, kaum
zu überwindenden Gegner hatte. Alle stimmten darin überein, daß
sie noch nie so vortrefflich gespielt habe. Und dem Allen, ihrem
Talente, diesen Triumphen sollte sie entsagen, um einem älteren
Manne den Abend seines Lebens zu verschönen und ihre eigene
Zukunft vor Stürmen und Schicksalsschlägen sicher zu stellen!
Welche Thorheit, welche Dürftigkeit der Phantasie, welche Leere des
Herzens mußte ich bei ihr voraussetzen! Sie aus diesem Glanz, aus
diesem bacchantischen Taumel herausreißen zu wollen – ich hätte
meine Werbung zu keiner ungelegeneren Zeit vorbringen können!
54. Gleichsam, um die Aussichtslosigkeit meiner Wünsche mir grell vor
das Bewußtsein zu führen, mußte mir da eines Nachmittags bei
meinem Spaziergange durch die Siegesallee des Parkes Lüttow
entgegenkommen und mich anreden. Er war in Gesellschaft, schlank
und hoch und trotzig wie immer, aber er ließ, wie er mich erkannte,
die Herren stehen, eilte auf mich zu und bot mir die Hand.
»Haben uns lange nicht gesehen, Herr Medicinalrat,« sagte er in
seiner lauten, aber dennoch gewinnenden Weise. »Sie haben eine
Wunderkur an Fräulein Themar vollbracht. Das ist jetzt all' ein Leben
und ein Feuer in ihrem Spiel. Schauen Sie mich nicht so fragwürdig
von der Seite an; ich rede im Ernst. Dies Mädchen ist eine große
Künstlerin, es wäre ein Unrecht, sie der Kunst zu entführen und
prosaisch zu heiraten. Ihr Genius hat sie richtig geleitet. Wollen Sie
ihr sagen, daß ich aufrichtig alle meine Sünden gegen sie bereue?«
Zum Glück hatten sich jetzt seine Begleiter genähert, und ich
konnte mit einigen allgemeinen verbindlichen Redensarten und mit
der Zustimmung in sein Lob Elsa's mich losmachen. Was vor Wochen
mich sowohl ihret- wie meinetwegen gefreut hätte, Lüttows Einkehr
in sich selbst, wie ich es damals genannt hätte, ängstigte mich jetzt.
Hoffte ich zu siegen, wo dieser Hartnäckigste der Menschen sein
Spiel verloren gab? Wenn er den Triumph und den Rausch der Bühne
für mächtiger hielt als seine Leidenschaft, was hatte ich dagegen
einzusetzen? Dennoch teilte ich meine Begegnung mit Lüttow Elsa
mit: es wäre mir unmöglich gewesen, ihr eine solche Mitteilung zu
verschweigen. Sie wurde blaß, als ich seinen Namen nannte – wie
ich dann zu Ende war, griff sie nach ihrem Herzen, und ein
schwermütiges Lächeln spielte um ihren Mund: »Er ist ja sehr ruhig
geworden!«
Irgend etwas in seiner Aeußerung hatte sie verletzt. »Wenn mein
Spiel eine so beruhigende Wirkung auf erregte Nerven ausübt,«
meinte sie, »sollten Sie es Ihren Kranken als Heilmittel empfehlen,
werter Freund. Im übrigen hat mich Herr von Lüttow niemals
verstanden, weder meine Empfindungen noch meine
Handlungsweise; er würde sonst wissen oder doch ahnen müssen,
55. daß mich nie mehr als gerade in meinem Triumph das Gefühl meiner
Unzulänglichkeit und die Sehnsucht nach der Stille beschlichen hat.«
Wie hoffnungsvoll klang das für mich! Und endlich mußte doch
auch die Entscheidung fallen. Wie alle Spieler und unglücklich
Liebende war ich in diesen acht Tagen abergläubisch geworden und
hatte mir fest eingeredet, am Neujahrstage würde Elsa ihr Ja oder
Nein sprechen. Mein Erstaunen, meine Verwirrung war darum nicht
gering, als sie mir am Morgen des Sylvestertages sagte:
»Schelten Sie mich nur gleich tüchtig aus, als Arzt und als Freund.
Wenn es noch Ablaßzettel gäbe, kaufte ich mir einen im Voraus. Ich
will heut' Abend eine Thorheit begehen und das alte Jahr auf einem
Maskenball beschließen. Meine Kollegen haben mir so viele lustige
Geschichten von dem Balle erzählt, den das Balletcorps heute giebt,
daß ich nicht habe widerstehen können. Ich werde im Domino
hingehen und hoffentlich einen guten Tänzer finden. Nun, da sitz'
ich, was muß ich thun, um die Sünde zu büßen?«
Anfangs war ich so betroffen, daß ich sprachlos vor ihr dastand,
bis ihr helles Gelächter mich zur Besinnung brachte.
»Bin ich eine rückfällige Ketzerin, für die Sie gar keine Buße und
Strafe wissen? Wollte ich nun meine Hexenmacht gebrauchen,
müßte ich darauf bestehen, daß Sie mich begleiteten und mit mir in
dieselbe Schuld verfielen. Bekennen Sie, daß ich großmütig bin,
wenn ich allein die Verdammniß auf mich nehme.«
Wie verstimmt ich auch über ihre so unerwartet auftauchende
Laune war, durch ein schroffes Dareinreden wagte ich meine Lage
nicht noch mehr zu verschlimmern. Mein Mißvergnügen war gewiß
kein vernünftiger Grund gegen den Besuch eines Balles, und wenn
schon der Liebhaber Einspruch gegen ihre Vergnügungen erhob,
welche Beschränkungen ihrer Freiheit und ihrer Neigungen mußte
sie erst von dem Gatten befürchten. Nach Kräften suchte ich
einzulenken und riet ihr nur, sich nicht zu erhitzen, nicht zu heftig zu
tanzen – Albernheiten, über die ich vor mir selbst errötete. Wie es
56. nicht anders sein konnte, schieden wir ein wenig kühl und frostig.
Wider meinen und ihren Willen war nun doch der Unterschied
zwischen einer lebenslustigen, munteren Schauspielerin und einem
alternden Gelehrten zur unerfreulichen Erscheinung gekommen. Ich
pflegte sonst den Sylvesterabend im Kreise langjähriger Freunde,
Wittwer oder Hagestolze, zuzubringen: heute lehnte ich ab, ich war
zu verdrießlich und unzufrieden, um einen halbwegs erträglichen
Gesellschafter abzugeben. Aber was nun mit dem langen Abend
beginnen? Zu Hause bleiben, lesen, schreiben, die Rechnung des
Jahres ziehen? Ein Alpdruck lastete auf mir, als müßten in der
nächsten Sekunde die Mauern über mich hin zusammenstürzen.
Vielleicht fiel es Elsa gar ein, im Domino und mit der Larve vor dem
Gesicht Abschied von mir zu nehmen, ehe sie in den Wagen stieg.
Ich glaubte das Rollen der Räder zu hören – jeder Schlag versetzte
meinem Herzen einen Stoß. Ich blickte auf die Uhr – die neunte
Stunde ging eben zu Ende, und sie spielte noch im Theater. Nein, ich
wollte, ich konnte sie nicht erwarten; jetzt schalt ich sie herzlos,
eitel, vergnügungssüchtig, und dann spottete ich mich aus, einen
Gecken, einen Eifersüchtigen, wie es noch nie einen größeren und
traurigeren gegeben. Unmöglich, in den engen, überheizten
Zimmern auszudauern. Wenn auch ich auf den Ball ginge und sie
beobachtete? Unsinn, ich auf dem Maskenball des Corps de Ballet!
Wollte ich die lustigen Streiche der Jugend mit fünfzig Jahren
nachholen? Inzwischen, inmitten all dieser Anklagen, Ausrufungen,
ironischen Betrachtungen kleidete ich mich gesellschaftsmäßig an.
Ich getraute mich dabei nicht, meinem Diener ins Gesicht zu sehen,
aber der Gute vermutete meine bösen Gedanken nicht und wunderte
sich nur, daß ich mich so früh schon auf den Weg zu meiner
Sylvester-Gesellschaft machte. Auf der Straße war ich bald, aber
mein Wille blieb zwiespältig wie zuvor. Als ich um die Ecke unserer
stillen Straße in die belebtere Hauptstraße einbog, fuhr ein Wagen
dicht an mir vorbei. Ich wußte, daß es der Wagen war, der sie aus
dem Theater heimbrachte, und ich empfand eine gewisse
Genugthuung, ihr entgangen zu sein. Sie sollte merken, daß ich auch
ohne sie zu leben vermöchte. Und dabei schmachtete ich armseliger
Thor nach ihrer Gegenwart, ihrer Rede und ihrem Lächeln. Nein –
57. fahrt dahin, Stolz des Weisen und Würde des Alters, dahin ihr
Entschlüsse der Entsagung! Ich bin ein Mensch von Fleisch und Blut.
Sehr wahrscheinlich werde ich morgen einen Thorenstreich zu
bereuen haben, aber der Drang des Herzens will seine Befriedigung,
gleichviel, um welchen Preis. Ein Maskengarderobe-Laden war leicht
gefunden, ein dunkelblauer Domino, eine Maske erstanden – ich ließ
eine Droschke kommen und fuhr nach dem im Parke gelegenen
Ballhause. Der Pförtner schaute mich verwundert an, ich war der
erste Ballgast. Von dem Kellner, der mir eine Flasche Wein brachte,
erfuhr ich, daß die rechte Lustigkeit und das bunteste Maskengewühl
erst kurz vor Mitternacht seinen Anfang nähme. Eines vor Allem that
mir not: Gelassenheit, ich war sonst nahe daran, die auffälligste
Erscheinung des Balles zu werden.
Allmählich füllten sich die Säle mit Charaktermasken und Dominos.
Mir waren diese wie jene gleichgiltig, ich suchte nur die Eine zu
entdecken. Unter Tausenden hätte ich geglaubt, ihren Wuchs, ihre
Haltung, ihren Gang heraus erkennen zu müssen – nun zeigte sich
die Sache doch schwieriger, die Stimme des Herzens schwieg. Hinauf
und hinab drängte ich mich durch das Gewühl, wiederholt angeredet
von Stimmen, die mir unbekannt waren, und mit einer Stimme
antwortend, die den Anderen so fremd klang, wie ihnen die meine.
Ohne Absicht war ich so in die Nähe zweier schwarzen Dominos
gekommen, die Hand in Hand mit einander gingen. Leise streifte ich
die Eine, sie achtete nicht darauf, aber im nächsten Augenblick hörte
ich sie halblaut zu ihrer Begleiterin sagen: »Da ist er!« Die Musik
übertönte das Uebrige, allein mir genügten die drei kurzen Worte. Es
war Elsa, offenbar mit einer befreundeten Schauspielerin. Da ist er –
nur sie konnte mit diesem eigentümlich zitterndem eindringlichen
Tone reden. Da ist er – wen hatte sie gemeint? wen konnte sie
meinen? Hatte sie mich eher entdeckt als ich sie? Hatte die
unwillkürliche Berührung ihres Gewandes mich verraten? Oh, oh!
grollte es dagegen in mir, täusche dich doch nicht länger! Nicht von
dir war die Rede, nicht deinetwegen ging sie auf diesen Ball.
Herunter die Maske und betrachte dein runzeliges, häßliches Gesicht
in einem der vielen Spiegel, welche die Wände zieren. Und dann
58. entfliehe diesem Raum, wohin du nicht gehörst, vergrabe dich in
deine Höhle, vertrinke deinen Gram wie ein alter Satyr, oder noch
besser, hänge dich auf, Medicinalrat, ehe du eine Figur für die Posse
wirst!
Und nun fing eine tolle Jagd an. Ich suchte ihr auf den Fersen zu
bleiben und zugleich den Unbekannten zu entdecken, den sie ihrer
Begleiterin bezeichnet hatte. Einmal war ich dicht hinter ihr, dann
schob sich wieder eine Menschenwelle zwischen uns. Zuweilen
blickte sie sich um, als hätte sie die Empfindung, daß sie verfolgt
würde. Aber sie beschleunigte ihren Schritt darum nicht. Sie
anzureden wagte ich nicht, meine Stimme würde mich verraten
haben. Plötzlich, als die Paare sich zum Tanz ordneten und das
Ganze zu einem buntschimmernden, in einander wirrenden,
rasenden Wirbel wurde, war sie mir entrückt. Weder unter den
Tanzenden noch unter denen, die zuschauten, vermochte ich sie zu
entdecken. Eine geraume Weile verlief so, mir stand die Zeit still. Ich
lehnte mich an eins der hohen Fensterkreuze des Saales und starrte
beinahe gedankenlos in das jubelnde, lachende, walzende Gewühl.
Der Wein, die Hitze im Saal, die rauschende Musik, das Drehen hin
und her vor meinen Augen hatten mir einen dumpfen Schmerz im
Kopf, Ohrensausen und Schwindel verursacht: ich war in der That
auf einen Hexensabbat verschlagen worden. Zu Ende – die Musik
schweigt. Was ist das? Alle drängen sich zusammen, zischeln mit
einander, rücken an ihren Masken, ziehen ihre Uhren. – Und da –
zwölf laute, dröhnende, weithin hallende Schläge. Neujahr! Prost
Neujahr! schreien sie wie die Besessenen. Champagnerpfropfen
knallen – und Hurrah! Hoch! Das Orchester bläst einen Tusch. Trink,
Brüderchen, trink! Das neue Jahr soll leben! Und die alten Flammen!
Was wir lieben, rosa Domino! Die Masken werden abgenommen,
überall lachende, grinsende, erhitzte Gesichter, flatternde Locken,
funkelnde Augen – Bacchanten und Mänaden! Was soll ich unter
ihnen? In ihren Lärm und Taumel mit einstimmen? Mich von ihnen
foppen lassen? In diesem Tumult Elsa suchen und sie am Arme eines
Andern finden? Nein, ich rette mich ... Da entsteht ein Laufen, ein
ängstliches Durcheinander, ein herzzerreißender Schrei ... ich kenne
59. diesen Schrei! Und zugleich der Ruf: »Zu Hilfe, ein Arzt, ein Arzt!«
»Hier! hier!« schreie ich, reiße mir die Larve, den Domino vom Leibe
und arbeite mich durch das Gedränge. Alle machen mir Platz, ich
komme aus dem Tanzsaal in den Nebensaal. – »Sie stirbt mir unter
den Händen!« jammert eine Frauenstimme aus einer der Nischen. –
Auf dem Divan liegt Elsa besinnungslos in Krämpfen, ein junger Arzt
ist schon um sie beschäftigt, der den älteren, ihm bekannten
Kollegen mit Freuden begrüßt. An ein Fragen, wie Alles gekommen,
ist hier nicht zu denken, es gilt zu helfen. Unseren Bemühungen
gelingt es, mit krampfstillenden Mitteln die Gewalt des Anfalls zu
brechen. In einer halben Stunde ist es möglich, Elsa mit ihrer
Begleiterin in einen Wagen zu schaffen, ich fahre sie nach Hause.
Gesprochen wird kein Wort zwischen uns, obgleich sie mich erkannt
hat, schlaff ruht ihre Hand in der meinen. Während sie mit Hilfe ihrer
Zofe und meines Dieners hinaufgebracht wird, eile ich in die nächste
Apotheke, um noch einige Medicamente herbeizuschaffen. Die
Bereitung dauert länger, als ich gehofft; als ich zurückkehre, finde
ich Elsa schon im Bett, unruhig, in Fieberphantasien. Ihre Zofe ist bei
ihr. – »Ich werde mich im Salon in einen Lehnstuhl setzen,« sage
ich, »und mit Ihnen wachen. Weinen Sie nicht, wenn der Krampf
nicht wiederkehrt, ist es noch nicht gefährlich. Ruhe und
Eisumschläge.«
Und nun sitze ich bei einer mit einem großen grünen Schirm
verdeckten Lampe, im Halbdunkel, in meinem Ballstaat, die ängstlich
hin- und herflackernde Flamme des mir theuersten Lebens
bewachend. Welch' eine Neujahrsnacht! Daß Lüttow bei dem
Unglück mit im Spiel gewesen, daß Elsa von einer dämonischen
Macht angezogen, nur seinetwegen auf diesen Maskenball
gegangen, stand bei mir fest, aber alle diese Nachgedanken, diese
ohnmächtigen, leise zwischen den Zähnen gemurmelten
Verwünschungen beseitigten das Uebel, verscheuchten das
Schreckgespenst eines tödlichen Herzschlages nicht. In kurzen
Pausen trat ich an ihr Bett, um zu sehen, ob das Pochen des Herzens
sich mindere, ob die einschläfernden Mittel ihre Wirkung thäten.
Halb aufgerichtet saß sie in den Kissen, mit geschlossenen Augen,
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